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Germanistik
Als Wolfdietrich, der unerhört starke und von Wölfen verschonte Sohn des Königs
von Kriechen, 13 Jahre alt wird, veranstaltet sein Vater ein großes Turnier, um öffent
lich zu zeigen, daß seine drei Söhne nun zu Männern geworden seien:
Männlichkeit als öffentliche Inszenierung vor den Mitgliedern des Hofes, als Akt der
Performanz: Dies ist das typische Bild, das mittelalterliche Literatur vermittelt.2 Die
Passage aus dem Wolfdietrich D steht stellvertretend fiir zahlreiche vergleichbare Text
stellen in der mhd. Dichtung, und sie macht verschiedenes deudich: Männlichkeit be
nötigt die Zustimmung der Mächtigen, sie ist eng an das Tragen von Waffen3 und
den Kampf gebunden — die Fähigkeit zu kämpfen ist es, die keinen Zweifel an der
Männlichkeit des Königssohnes Wolfdietrich läßt. Als kriegerische Männlichkeit ist sie
primär im Rahmen des Machtdiskurses zu sehen: Kriegerische Tüchtigkeit und Kampf
kraft erwerben und sichern Herrschaft, in der Lebenswelt des Kriegeradels genauso wie
in der mittelalterlichen Dichtung.
Dazu gehört die gesellschafdiche Konstruiertheit von Männlichkeit.4 Das vermittel
te Bild orientiert sich ganz an den Vorstellungen der sozialen Führungsschicht (die ja
Zit. η.: Ortnit und die Wolfdietriche, hrsg. v. leiten. Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur, Mün
A. Amelung, O. Jänicke, Bd. 2, Berlin 1871 chen '1997, S. 318f.
(WD D). Dieser Aspekt wurde in der gender-Forschung zur
Vgl. Ursula Liebertz-Grün: Das trauernde Ge mhd. Literatur bisher häufig vernachlässigt; vgl. aber
schlecht. Kriegerische Männlichkeit und Weiblich Heike Wunder: Wie wird man ein Mann? Befunde
keit im „Willehalm" Wolframs von Eschenbach. In: am Beginn der Neuzeit (15.-17. Jh.), in: Was sind
GRM 46 (1996), S. 383-405; Ingrid Bennewitz: Der Frauen? Was sind Männer?, hrsg. v. Ch. Eifert u.a.,
Körper der Dame. Zur Konstruktion von .Weib Frankfurt a.M. 1996, S. 122-155; zur grundsätzlichen
lichkeit' in der deutschen Literatur des Mittelalters, Bedeutung sozialer Fragen fur die Konstruktion von
in: .Aufführung' und .Schrift' in Mittelalter und Frü Männlichkeit John Tosh: Was soll die Geschichts
her Neuzeit, hrsg. v. J.-D. Müller, Stuttgart, Wei wissenschaft mit Männlichkeit anfangen?, in: Kultur
mar 1996, S. 222-238. & Geschichte, hrsg. v. Ch. Conrad, M. Kessel, Stutt
Dies zeigt auch die Schwertleite, der Akt, durch den gart 1998, S. 160-206. Viel zu undifferenziert ist die
ein junger Adliger zum Ritter gemacht wurde. Die Bestimmung, die Vern L. Bullough vornimmt: kon
Schwertleite, bei der dem Adligen das Schwert um stitutive Kriterien für gesellschaftlich akzeptierte
gegürtet wurde, war keine Standeserhebung, son Männlichkeit im Mittelalter seien „impregnating
dern bekundete vor allem, daß der Adlige großjäh women, protecting dependents, and serving as pro
rig und zu selbständigem Handeln befähigt war; in vider to one's fämily." (On Being a Male in the
der höfischen Dichtung wird der Ausdruck ze man Middle Ages, in: Médiéval Masculinities, hrsg. v.
werden in der Regel synonym verwendet mit swerl C.A. Lees, Minneapolis, London 1994, S. 34.)
Brigitte Spreitzer: Storfàlle. Zur Konstruktion, dert. In: Erfindungen des Menschen, hrsg. v. R. van
Destruktion und Rekonstruktion von Geschlechter Dülmen, Wien u.a. 1998, S. 323.
differenz(en) im Mittelalter, in: manlîchiu wîp, wî Vgl. Cläre A. Lees: Men and Beowulf. In: Médiéval
plîch man, hrsg. ν. 1. Bennewitz, H. Tervooren, Masculinités (wie Anm. 4), S. 130, mit Bezug auf
Berlin 1999, S. 261; vgl. Thomas Laqueur: Auf den Arthur Brittan.
Leib geschrieben, Frankfurt a.M., New York 1992; John Tosh (wie Anm. 4), S. 185.
kritisch dazu Joan Cadden: Meanings of sex diffé Zum folgenden Joachim Heinzle, Art. Heldendich
rence in the Middle Ages, Cambridge 1993. tung. In: Reallexikon der deutschen Literaturwis
Ute Frevert: Herren und Helden. Vom Aufstieg und senschaft, Bd. 2, Berlin, New York 2000, S. 21f.
Niedergang des Heroismus im 19. und20.Jahrhun
10 Vgl. v.a. Wolfgang Haubrichs: Die Anfinge. VerKlaus von See: Was ist Heldendichtung? In: Euro
suche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen päische Heldendichtung, hrsg. v. K.v.S., Darmstadt
Mittelalter (ca. 700-1050/60), Frankfurt a.M. 1988, 1978, S. 30-35.
S. 135f. Zur Gewaltbereitschaft als überzeitlichem
13 Vgl. Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Unter
Bestandteil männlicher Identitätsbildung vgl. David gang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen
D. Gilmore: Mythos Mann, München, Zürich 1991. 1997; Elisabeth Lienert: Der Körper des Kriegers.
In Gesellschaften, in denen Männer im Konfliktfall Erzählen von Helden in der,Nibelungenklage', in:
zur Flucht erzogen würden, spiele auch die Männ ZfdA 130 (2001), S. 127-142.
14 Vgl. Sonja Kerth: Die historische Dietrichepik als
lichkeitsideologie eine verschwindende Rolle (S. 243).
11 VgJ. Joachim Heinzle: Zur Funktionsanalyse heroi,späte Heldendichtung', in: ZfdA 129 (2000), S. 154
scher Überlieferung: das Beispiel Nibelungensage. bis 175; zum Begriff des hybriden Helden Stephan
In: New Methods in the Research of Epic, hrsg. v. Fuchs: Hybride Helden: Gwigalois und Willehalm,
H.L.C. Tristram, Tübingen 1998, S. 202-207. Heidelberg 1997.
12 Die klarsten Ansätze finden sich immer noch bei 15 Jan-Dirk Müller (wie Anm. 13), S. 204.
tiure)16 und fügt seinem Herrn so eine nicht wieder gutzumachende Schädigung zu -
wie soll der vertriebene Dietrich Oberitalien ohne Krieger zurückerobern? Trotzdem
bleibt eine klare Verurteilung Wolfharts aus — die Tötung Rüdigers und die Weige
rung Volkers, dessen Leiche herauszugeben, lassen Wolfharts Verhalten zwar als ex
trem, für einen Helden aber letztlich als angemessen erscheinen.17
In der nachnibelungischen Heldendichtung nimmt Wolfhart ganz unterschiedliche
Rollen ein. Wie im Nibelungenlied tobt er blind im Kampf, will sich gegen alle Warnun
gen als ersterin den Kampf stürzen (z.B. Virginal18 Str. 615, Rosengarten zu Worms A19 Str.
198ff.). Doch es finden sich punktuell auch ganz andere Züge: Im Biterolf und Dietleib20
möchte Wolfhart statt einer Schlacht ein Turnier erleben (v. 8197ff.). In der Virginal tritt
er eine Heerfahrt an, um seinem gefangenen Herrn zu helfen, aber auch, um die Damen
vor Ort zu begutachten (Str. 608); am Ende verliebt er sich in eine schöne Jungfrau, was
ihm den Spott eines Mitstreiters einbringt (Str. 786f.). Im Rosengarten zu Worms A und
in der Virginal wird sogar die Zaudererrolle seines Herrn21 auf ihn übertragen: Dem
anfanglichen Übereifer beim Drachenkampf folgt tiefe Verzagtheit beim Anblick des
Monsters (Vi Str. 630) - diese Angst mündet freilich in einen Zornanfall, der gewaltige
Kräfte in ihm freisetzt und das Bild des Haudegens restituiert.
Die AusdifFerenzierung der Wolfhart-Figur ist nur ein Beispiel für die grundlegende
Transformation des Heldenbildes in der späten Heldendichtung, die ich mit Kurt Ruh
als Entstehung eines „pragmatischen Heldenethos"22 auffasse: Das Handeln der Helden
wird in einen politisch-rechtlichen Kontext (Herrschaftswahrung bzw. -erwerb), in
moralische (Kampf gegen das Böse), religiöse (Heidenkampf) und soziale Zusammen
hänge (Kämpfe für von Usurpatoren und unerwünschten Freiem bedrohte Königin
nen) eingebunden und so von der Ambivalenz befreit, die das heroische Ethos in der
alten Heldendichtung prägt. Gewalt wird an die (Wieder-)Herstellung von Recht und
Ordnung, an die Schutzpflichten des Adels und an den Glaubenskampf gebunden und
so gleichzeitig legitimiert und begrenzt. Am engsten bleiben diejenigen Dichtungen
mit den Vorstellungen heroischer Männlichkeit in der alten Heldenepik verbunden,
die den Helden als Schicksalslenker seiner Gemeinschaft zeigen: z.B. die historischen
Dietrichepen,23 die die Vertreibung und die Rückeroberungsversuche des Berners schil
dern. Die Konzeptualisierung des Heldentums wird hier letztlich von den Anfor
derungen der Dietrichsage bestimmt: Die Rückerobemng Oberitaliens erfordert her
ausragende Kämpfer. Gleichzeitig zeigt sich aber die Tendenz, die ursprüngliche
16 Das Nibelungenlied, hrsg. v. S. Grosse, Stuttgart 1997 19 Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms, hrsg. v.
(NL). G. Holz, Halle 1893 (RG A).
17 Jan-Dirk Müller (wie Anm. 13), S. 204. Auch die 20 Hrsg. ν. A. Schnyder, Bern, Stuttgart 1980 (BuD).
Schilderung der Bergung des toten Wolfhart in der 21 Jens Haustein: Die „zagheit" Dietrichs von Bern. In:
„Klage", wo seine Leiche mit zusammengebissenen Der unzeitgemäße Held in der Weltliteratur, hrsg.
Zähnen gefunden wird und noch im Tod das v. G.R. Kaiser, Heidelberg 1998, S. 47-62.
Schwert festklammert, besitzt trotz erkennbarem 22 Kurt Ruh: Verständnisperspektiven von Heldendich
„Unbehagen am Heroischen" noch eine gewisse tung im Spätmittelalter und heute. In: Deutsche Hel
Ambivalenz, die von der Exorbitanz des Toten her denepik in Tirol, hrsg. ν. E. Kühebacher, Bozen
vorgerufen wird; vgl. E. Lienert (wie Anm. 13), 1979, S. 24.
S. 128,133. 23 Dietrichs Flucht und Rabenschlacht, hrsg. ν. E. Mar
18 Hrsg. v.J. Zupitza, Berlin 1870 (Vi). tin, Berlin 1866 (DF, RS); eine Neuedition ist in
Bremen in Vorbereitung.
I. Mann-Werdungen.
tensweisen ablegt un
klassisches Thema de
ein fester literarische
rischen Dietrichepik
24 Dies zeigt schon
den: amdie Mod
eheste
in der in
altftz. Giselher
Chanson das
de
lied" ist der Heldenjünglin
Interesses: Die Rabenschlacht zelebriert den Typus des heroischen Jünglings geradezu,
wenn sie den Tod der jungen Etzelsöhne Orte und Scharphe sowie Diethers (Dietrichs
junger Bruder) ins Zentrum des Interesses rückt; in Alpharts Tod25 wird der gleichnamige
Heldenjüngling im tödlichen Kampf gegen zwei Gefolgsleute Ermrichs gezeigt.26 In
beiden Texten werden die jungen Helden in Konfliktsituationen gestellt, die den Cha
rakter von Initiationen besitzen, die den Status des Kriegen öffendich demonstrieren und
die ersehnte Aufnahme in die Gruppe der Krieger bringen sollen. Dabei werden die
jugendlichen Helden immer wieder mit Verhaltensweisen in Verbindung gebracht, die
die Exorbitanz wie auch die Ambivalenz des Heroischen anzitieren und die Konzeptio
nalisierung von kriegerischer Männlichkeit auf die Spitze treiben: absolut gesetzte Ehr
sucht, irrationaler Trotz und blinde Kampfwut, die eine Akzeptanz als Mann und Held
erzwingen wollen. In Heldenjünglingen wie Alphart, den Helchesöhnen und Diether,
so könnte man überspitzt sagen, feiert das traditionelle Heldenbild seine Wiederkehr -
eine problematische Wiederkehr allerdings, wie sich zeigt.
Die Grundkonstellation ist in beiden Dichtungen ähnlich: Die jungen Helden er
zwingen sich gegen die Warnung der Eltern bzw. des weisen Onkels Hildebrand die
Teilnahme an Kriegszügen — Alp hart die Übertragung des Wartritts, der ihn allein auf
Witege und Heime treffen läßt; Orte, Scharpfe und Diether zunächst nur die Anwe
senheit im Lager des Berners, von wo aus sie sich jedoch leichtsinnig entfernen. Sie
geraten so in Gefahrensituationen, die sie aufgrund ihrer Jugend (Rabenschlacht) und
im Kampf gegen zwei Erwachsene (Alpharts Tod) nicht überstehen können. In diesen
Extremsituationen legen sie ein Verhalten an den Tag, das als dezidiert heroisch zu
bezeichnen ist: Witege wird regelrecht gedrängt, die Helchesöhne und Diether der
Reihe nach zu erschlagen, weil sie auf alle Deskalationsversuche mit Trotz und Pro
vokationen antworten (eine völlige Entschuldigung Witeges erfolgt trotzdem nicht).
Der Erzähler der Rabenschlacht äußert sich prinzipiell positiv zu dem Verhalten der drei
Jünglinge, die — im Gegensatz zu Witege — deudiche Sympatieträger sind. Er bewun
dert ihren Trotz und ihre Kampfkraft, die sie auch und gerade dann noch beweisen,
als schon Blut geflossen ist:
Scharphe der junge herre / vrumte manegen slac / û ζ stnem herzen verre.
ahl, waz er manheit phlac / er vaht mit beides muote (RS Str. 400, 1-5).
Jugendliches Ungestüm wird geradezu zum Signum für Tapferkeit und Tatkraft: mit
kintheit si dô sâzen / ûf diu ors, der zageheit si vergâzen (Str. 390, 5£). Zwischen den
Zeilen läßt sich aber doch eine gewisse Distanzierung von dem Verhalten der beiden
feststellen, wenn ihnen mit Diether ein etwas weniger blindwütiger Heldenjüngling
zur Seite gestellt wird: Diether ist um einige Jahre älter und kann deshalb die Aus
weglosigkeit besser einschätzen (er besitzt bezzer sinne als die törichten Kinder, Str.
25 Textabdruck in: Studien zu „Alpharts Tod" nebst rückt den Protagonisten aber in die Opferrolle,
einem verbesserten Abdruck der Handschrift von die durch die Kindlichkeit und damit verbundene
Uwe Zimmer, Göppingen 1972. .natürliche' Unterlegenheit des Helden noch un
26 „Dietrichs Flucht" schildert die Vertreibung des ju terstrichen wird. Vgl. S. Kerth (wie Anm. 14),
gendlichen Dietrich von Bern durch seinen Onkel, S. 171-173.
do begunde er stuften to
Ein leit im in das herze
Beim Gedanken an e
jedoch auch Diether
sich zurückzuziehen
Bedauern des Erzähle
Noch ambivalenter
Protagonisten. Alpha
nen zu geben; dies w
würden. Weil die erzw
stellungen in Einkla
eigenen Namen prei
auch der Verzicht d
töten (AT Str. 246) ;27
heroischen Tradition
Erzähler klar verurt
aber nicht. Als solche
der Lebensgefahr ein
als heroischer Trotz
werden, während di
Wohl in bewußter
richs erste Waffent
läßt sich als Lern- u
Sicherheit des Zuhauses vollzieht und durch das Erlernen kontrollierten Gewalteinsat
zes gekennzeichnet ist: Gekämpft wird, wenn es die Situation erfordert, d.h. vor allem
im Dienst bedrohter Damen. Kampfkritisch äußert sich der Erzähler deswegen nicht,
denn solche Situationen treten fast ununterbrochen auf (Kämpfe gegen Heiden, Dra
chen und Riesen). Was die Virginal unter kriegerischer Männlichkeit versteht, wird
dem alten Hildebrand in den berühmten Aventiuregesprächen in den Mund gelegt:
„Waent ir daz " sprach her Hildebrant, / ,/iaz iu got bürge unde lant
gap durch iuch alterseine? / starken Up und heldes muot,
gold, silber, hon, er unde guot? / daz suit ir lân gemeine,
sit ir durch minnecllchiu wip / süllent komen ze tröste,
obe kein sorge habe ir Up" (Vi Str. 239, 1-9)
Hildebrand definiert hier Männlichkeit als überlegte und ständige Bereitschaft zum
Kämpfen für andere, die nichts mit Trotz und Ubermut zu tun hat, sondern mit der
Verantwortung des ritterlichen Kriegen für die Schwachen und Bedrohten. Gefahren
27 Günter Zimmermann: Wo beginnt der Übermut? sprach: Die historische Dietrichepik, hrsg. ν. K.
Zu .Alpharts Tod*. In: 2. Pöchlarner Heldenliedge Zatloukal, Wien 1992, S. 177-179.
Situationen dienen damit nicht der egozentrischen Demonstration von Kampfkraft und
Heldenmut, sondern stellen Gelegenheiten bereit, um den nötigen männlichen Ver
haltenskanon zu erlernen und durch ständig wiederholte Zitation von Verhaltensmustern
und Praktiken einzuüben.28
II. Kriegerische Männlichkeit und die Frauen. Heroische Männlichkeit konstituiert sich vor
allem dort, wo Frauen nur am Rande, in untergeordneter Position zugelassen sind:29 im
blutigen Kampf, auf dem Schlachtfeld mit seinen Bergen von Leichen. Trotzdem sind
die Frauen ein unerläßlicher Bestandteil der heroischen Welt, und sie besetzen in der
späten Heldendichtung Rollen, die ganz von der gewalttätigen und kriegerischen Atmo
sphäre der heroischen Welt bestimmt sind. Eine friedliche Gegenwelt, wie sie einige
Artusromane mit märchenhaft-utopischen Inseln weiblicher Friedensherrschaft kennen,30
ist ihnen fremd. Die Anwesenheit der Damen kann zwar momentan für ein friedliches
Zusammensein stehen, bei dem die höfische Stimmung Gewalt und Leid zumindest für
den Moment vergessen macht (z.B. Dietrichs Flucht und Rabenschlacht). Aber Kummer
und Krieg brechen doch unweigerlich wieder in die heroische Welt ein.
Dominierend übernehmen die Frauen in der späten Heldendichtung solche Rol
len, die kriegerische Männlichkeit legitimieren und forcieren: Sie sind vor allem
Opfer und Antreiberinnen, die die Männer mit motivierenden Worten und materiell
finanzieller Hilfe (z.B. Kudrun: Hilde; Dietrichepik: Helche, die aber auch als Mutter
figur auftritt) zur Aufnahme bzw. Fortsetzung kriegerischer Handlungen bringen wol
len, ohne jedoch direkt in die männliche Domäne des Kampfes einzudringen. Eigenhän
dig kämpfende Frauen werden in mittelalterlicher Literatur fast durchwegs ausgegrenzt
und stigmatisiert:31 Die um ihre Position kämpfende Heldenbraut Brünhild im Nibe
lungenlied trägt eindeutig unhöfische Züge; ihre als magisch klassifizierte Kraft muß von
den Männern gebrochen werden, um Brünhild in die höfische Gesellschaft in Worms
einzupassen — bezeichnenderweise im Akt der Vergewaltigung (Str. 665£f.). Kriemhild
wird sogar als Teufelin (Str. 1748, 2371) denunziert. Daß ihr Körper am Ende in Stücke
gehackt wird, erscheint legitim, da sie den Tod herausragender Helden willentlich ver
ursacht hat, um die Ermordung ihres ersten Gatten zu rächen — damit hat sie die Grenzen
ihrer Handlungsmöglichkeiten weit überschritten.32 An das Kriemhild-Büd des Nibe
lungenliedes knüpft die harrsche Kritik an der Kampfinitiatorin im Rosengarten zu Worms
A an, wo der übermütigen Frau ihre Grenzen gezeigt werden — von Männern, die
sich in blutigen Kämpfen für diese Aufgabe qualifizieren.33
28 Damit treffen sich Hildebrands Vorstellungen mit Krieg und die Frauen in mittelhochdeutscher Lite
denen von Judith Buder: Körper von Gewicht, Berlin ratur. In: Vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. v.
1995, S. 148. D. Klein u.a., Wiesbaden 2000, S. 129-146.
29 Vgl. Walter Erhart, Britta Herrmann: Der erforsch32 Diese Ansicht teilt prinzipiell sogar der Erzähler der
te Mann? In: Wann ist der Mann ein Mann?, hrsg. „Klage", der Kriemhild sonst in Schutz nimmt und
v. dens., Stuttgart 1997, S. 18. die Schuld auf Hagen abzuschieben versucht; vgl.
30 Vgl. etwa den „Wigalois" Wirnts von Grafenberg, E. Lienert (wie Anm. 13), S. 135, 139.
den „Lanzelet" Ulrichs von Zatzikhoven und den33 Grundlegend:Joachim Heinzle: Mittelhochdeutsche
„Wigamur", wo die Helden jeweils in solchen Frie Dietrichepik, Zürich, München 1978, S. 244-263.
densreichen aufwachsen - diese aber als Männer als Ein ähnliches Frauenbild fuhrt auch das „Eckenlied"
defizitär empfinden. vor, wo die drei Königinnen vom Jochgrimm den
31 Vgl. Elisabeth Lienert: daz beiveinten sit diu ινίρ. Der jungen Ecke in den Tod treiben.
In anderen nachnibe
darauf, die Helden i
Hilde), weinend und
Jungfrauen), blutig
fen auf Versöhnung
und aktive Politikerin
gestalten der späten
ges Handeln und auf
schaft des Helden, d
denkt, eine autonom
ginal, die sich bei D
durch bedankt, daß
34 Julia Kristeva
35 sieht in:
Abgedr. im
diskurs den v. F. Heinrich
Versuch, Agg
über Frauen Berlin zu
1825. überspiele
der Liebe, Frankfurt a.M.
Wolfdietrich sich erneut weigert, die Heidin zu heben, zieht diese die Zügel an: Sie
beginnt zu toben, versucht sich auf Zauberei, entblößt ihren Körper und beginnt, Wolf
dietrich physisch zu bedrängen. Damit stürzt sie den Helden in einen inneren Kampf,
denn der zeigt sich nicht imstande, der Versuchung Herr zu werden:
Eine Wende bringt erst Marpalys Versuch, den Helden zu vergewaltigen (Sie begunde
ringen mit dem fürsten klär, VI, Str. 103, 1; Daz bein huop sie höhe und swanc es über den
man\ VI, Str. 105,1). Jetzt bittet Wolfdietrich die Gottesmutter um Hilfe, und dank
deren Intervention lassen ihn die gefährlichen Reize der entblößten Heidin fortan kalt:
Diese „Vergewaltigungsszene" markiert nicht nur eine Situation physischer Gefahr, son
dern sie zeigt ein Defizit seines Heldentums: Der Held Wolfdietrich kann nicht seiner
Triebhaftigkeit Herr werden, seine Sexualität droht, ihn selbst in die weibliche Rolle
zu rücken und so seine Männlichkeit zu zerstören. Die Hilflosigkeit im Umgang mit
der weiblichen Sexualität setzt sich auf der Handlungsebene fort: Als Wolfdietrich die
Burg verlassen will, offenbart Marpaly ihre ,wahre' Natur und verwandelt sich in einen
stinkenden schwarzen Vogel, der zur Hölle fliegt: Aggressive weibliche Sexualität wird
nicht nur ausgegrenzt (Heidin!), sondern im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt.
III. Grenzen heroischen Kriegertums. Der Umgang mit Sexualität markiert nur eine Grenze
heroischer Männlichkeit. Auch der Körper des Kriegers36 rückt immer wieder Beschrän
kungen und potentielle Gefährdungen ins Blickfeld; Achills Ferse und Siegfrieds Schul
terfleck sind nur zwei Beispiele. In der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts steht
der Versehrte Körper für Individualität und Subjektivität. Gerade in seiner Versehrtheit
und Unzulänglichkeit eröffnet er den Zugang zum Authentischen. Kriegswunden sind
bleibende, individuelle Erinnerungen an die Schlacht, die in den Soldatenkörper eingra
viert wurden.37 Die historische Dietrichepik mit ihren exzessiven Schlachtschilderungen
fuhrt zwar auch Wunden und Verletzungen vor, verbindet damit aber keine Subjekti
vität und Authentizität, sondern blickt von außen auf das Geschehen: Geschildert werden
in Dietrichs Flucht und der Rabenschlacht das Aufplatzen der Schädel und die freigelegten
Eingeweide, nicht aber die Schmerzen und die Todesqual. Gleichzeitig entindividuali
siert sie körperliche Versehrtheit im breiten Schlachtengemälde: Die heroische Einzel
36 Vgl. Elisabeth Lienert (wie Anm. 13); vgl. K. Schrei 37 Aleida Assmann: Erinnerungsräume, München 1999,
ner, N. Schnitzler (Hrsg.): Gepeinigt, begehrt, ver S. 74; vgl. Körper - Gedächtnis - Schrift, hrsg. v.
gessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im C. Öhlschläger, B. Wiens, Berlin 1997, bes. die Ein
späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Mün leitung.
chen 1992.
verwickelt, die sich über eine Spanne von 13 Jahren erstrecken. Während dieser gan
zen Zeit bleibt der Gedanke an die treuen eilif dienestmann immer präsent. Im Zenit
seiner Macht, nach der Hochzeit mit der Kaiserwitwe, verläßt er diese und begibt sich
nach Konstantinopel, um endlich die Getreuen zu befreien. Die Bindung bewährt sich
sogar über den Tod des alten Waffenmeisters hinaus: Wolfdietrich erkennt, daß er ihm
nicht mehr helfen kann, und zweifelt den Sinn seiner Taten an (WD D IX, 149, 3f.).
Als er klagend am Sarg des toten Berchtung steht, beginnt dieser noch einmal zu sei
nem Herrn zu sprechen und bittet ihn um 70 Seelenmessen, die ihn von der Sünden
last befreien sollen, die wegen 70 getöteter Gegner auf ihm ruht. Wolfdietrich, der
daraufhin 100 Priester mit Messen beauftragt, kann so einen letzten Treuedienst lei
sten und seine Trauer überwinden (IX, Str. 158). Das Seelenheil des Kriegen rückt
vor allem beim alternden Helden in den Vordergrund. Schon die altfrz. Chansons de
geste kennen den Rückzug des Helden aus der Welt, um sich im Kloster auf den Tod
vorzubereiten. Eine moniage findet sich auch im Wolfdietrich D. Nachdem er seine Dienst
leute belohnt, seine Frau verloren und seine Herrschaft an seinen Sohn Hugdietrich
übergeben hat, zieht Wolfdietrich sich ins Kloster nach Tischcal zurück, um für seine
Kriegstaten zu büßen:
Jch wil des landes enberen und büezen daz min hant
hât min zit begangen, ich wil in ein clôster vam.
ich enweiz ze leben wie lange: ich wil die sêle bewam." (X, 3, Str. 2-4)
Als Heiden das Kloster angreifen, zeichnet sich der alte Held noch einmal durch ge
waltige Kriegstaten aus. Nach unermeßlichen Kämpfen, bei denen auch sechs seiner
Dienstmannen fallen, bittet Wolfdietrich die Mitbrüder um eine Buße, durch die er
in einer Nacht die Last seiner Sünden - Kriegstaten! - büßen könne:
Der Kampf nimmt die Last von der Seele des alten Kriegers — nach seinem Tod füh
ren ihn Engel vor Gott, wie der Erzähler abschließend zu berichten weiß.
42 Abgedr. in:
43 Heldenbuch
Begriff nac
in Abbildung hrsg.
Anregungv. dur
J.
band, Göppingen 1987, S.