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FACHZEITSCHRIFT FÜR PROFESSIONELLE AUDIOTECHNIK 2018

41. JAHRGANG · NR. 445

FRIEDEMANN KOOTZ, FOTOS: FRIEDEMANN KOOTZ

D I G I T A L E S M I S C H P U LT Y A M A H A R I V A G E P M 1 0 I N D E R D E T A I L B E T R A C H T U N G

Manchmal ergeben sich glückliche Zufälle. Als mich ein Freund aus Hamburg im letzten Jahr fragte, ob ich ihn im Juni 2018
zum einzigen Deutschlandkonzert der Foo Fighters begleiten möchte, ahnte ich noch nicht, dass dieses Freizeitvergnü-
gen direkt mit einem zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Testbericht zusammenfallen würde. Das Konzert war für mich
als Fan ein besonderes Erlebnis, für den Tonmeister in mir jedoch ebenso außergewöhnlich. Die 60.000 Menschen auf der
Hamburger Trabrennbahn kamen in den Genuss des vielleicht besten Live-Sounds, den ich bis dato gehört hatte. Druck-
voll, durchhörbar, klar und differenziert. Dabei trotzdem mit dem Schub, den eine echte Rockband braucht. Beeindru-
ckend. Durch Zufall erfuhr ich, dass das Konzert auf dem Mischpult gemischt wurde, welches ich in den nächsten Tagen un-
ter die Lupe nehmen würde.

SONDERDRUCK
testbericht
Rechenkern DSP-R10 stellt das Funkti-
onszentrum des Gerätes dar. Hier lau-
fen alle Audioleitungen zusammen
und werden bearbeitet. Der Kern bie-
tet eine Kapazität von 144 Eingangska-
nälen, 72 Mix-Bussen, 36 Matrix-Ein-
gängen und einem Stereosummenaus-
gang. Neben dem fest zugewiesenen
Processing in jedem Kanal können wei-
tere Plug-In-Module als Inserts adres-
siert werden. In diesem Fall müssen sie
jeweils bei den notwendigen DSP-Res-
sourcen freigeschaltet werden. Diese
DSP-Slots sind nicht nur wegen der end-
lichen Rechenkapazität notwendig, son-
dern auch, weil die Signale einen Pfad
zum und vom DSP belegen müssen. Ein
Prinzip, welches zum Beispiel auch von
der UAD-Karte und anderen DSP-Syste-
men bekannt ist. Die als Inserts verfüg-
baren Plug-Ins basieren zum größten
Natürlich kommt der Sound nicht aus auseinanderzusetzen, denn das Pult ist Teil auf Yamahas Virtual Circuitry Mode-
dem Pult allein, sondern entsteht durch viel mehr als ein reiner ‚Live-Tisch‘. Un- ling-Technik (VCM), bei der eine Schal-
den Menschen, der es bedient und ter der Haube steckt sehr viel Technolo- tung mit den Eigenheiten der ursprüng-
dessen Team (vorausgesetzt die Band gie, die aus dem Studiosektor abgelei- lichen Bauteile nachempfunden wird.
spielt gut...). Der zuständige FOH-Engi- tet wurde. Ganz konkret in Form von ver- Das PM10 bietet hier zum Beispiel Mo-
neer der Foo Fighters ist Bryan Worthen, schiedenen Plug-Ins, die den Sound von delle von verschiedenen Neve Vintage-
den ich leider kurzfristig nicht mehr er- klassischen Studio-Peripheriegeräten Kompressoren und -Equalizern, die sich
reicht habe, denn sonst hätten wir hier und Bandmaschinen nachempfinden. mehr oder weniger lose an ihren Vorbil-
noch eine Stellungnahme von ihm hin- Darüber hinaus geht Yamaha mit der dern aus den 1960er, 70er und 80er Jah-
zufügen können. Es ist jedoch auch Eingangsstufe einen sehr spannenden ren orientieren. Darüber hinaus gibt es
ganz klar, dass ein Toningenieur sein Schritt und emuliert die von Rupert Ne- Portico-Emulationen und Nachbildungen
Talent nur so gut umsetzen kann, wie ve in seiner Portico-Serie eingeführten von klassischen Kompressoren und Mul-
es die Technik erlaubt und hier können Silk-Übertragereingänge. Da wir bereits tieffekten (zum Beispiel Eventide H3000
wir nun wieder die Schleife zum Misch- verschiedene Rupert-Neve-Geräte mit oder TC Electronic VSS4). Aber auch ei-
pult direkt zurückführen. Nur wenn alles der Originaltechnik im Test hatten, konn- ne Bandmaschinen-Emulation mit vier
zusammenspielt, kann etwas Außerge- ten wir hier direkte Vergleiche ziehen. Modellen. Hierauf werden wir weiter un-
wöhnliches entstehen, so wie an jenem Es wird sich also zeigen, wie gut Yamaha ten etwas genauer zu sprechen kom-
Abend in Hamburg. sich dem Neve-Sound nähern kann und men. VCM kommt auch bei der Nachbil-
ob das Rivage PM10 auch für den Studi- dung von Rupert Neves Silk-Schaltung
Das Studio Magazin ist nicht gerade obetrieb geeignet ist. Oder, und das ist in den Eingängen zum Einsatz. Unab-
prädestiniert für die Präsentation eines sicher der noch spannendere Aspekt, in hängig vom Rechenkern sind die Ein-
klassischen Live-Mischpultes. Zunächst wie weit man den Sound aus dem Stu- und Ausgangsmodule in den Stage-Bo-
gehört es nicht in unser routinemäßiges dio auch adäquat auf die Bühne brin- xen. Der Anwender kann hier zwischen
Portfolio, zum anderen ist unsere Exper- gen kann. Ich denke, dass dies auch die verschiedenen Typen wählen, die einen
tise in diesem Bereich inzwischen auch Leser des Studio Magazins interessie- entscheidenden Unterschied aufweisen.
begrenzt. Live-Sound ist heute mehr ren wird. Die ‚nativen‘ Rivage-Exemplare hören
denn je ein eigenständiges Gewerk, auf den Namen RPio und sind mit eige-
welches von hochspezialisierten Kolle-
Überblick nen DSPs in den Eingangskarten (RY16-
ginnen und Kollegen abgedeckt wird. ML-SILK) bestückt. Diese Module kom-
Dennoch haben wir uns entschlossen, Ein komplettes Rivage PM10-System be- men auch bei den acht lokalen Analog-
uns mit dem Rivage PM10 etwas näher steht aus drei großen Komponenten. Der eingängen, den sogenannten Omni-In-

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puts, der Bedienoberfläche zum Einsatz. nativ zur aktuellen RPio können auch be- Einschränkung des Silk bestehen bleibt;
Denn, die Berechnung der Silk-Eingangs- stehende Stage-Boxen aus Yamahas Rio- auch das PM7 bietet Silk nur in Kombi-
stufen erfolgt immer direkt am phy- Serie eingesetzt werden, die bereits bei nation mit den RPio-Eingangsstufen.
sischen Eingang. Das Signal welches an den etwas kleineren Pulten der CL-Se-
den Rechenkern übergeben wird, ist also rie zum Einsatz kamen und auf Dante als
Übertrager + Silk
bereits mit dem Silk-Effekt beaufschlagt, Schnittstelle setzen. Diese sind jedoch
ebenso mit dem Hochpassfilter und dem nicht mit Silk ausgestattet, wodurch Bei Rupert Neves Silk-Schaltung handelt
Trim-Pegelwert. Eine nachträgliche Be- dessen Funktion ersatzlos entfällt. Die es sich um einen analogen Effekt, der
rechnung von Silk ist nicht vorgesehen, dritte und offensichtlichste Komponen- zuerst mit der Portico-Serie seiner aktu-
in den Plug-In-Racks steht es nicht zur te des Rivage-Systems ist die Bedieno- ellen Firma RND vorgestellt wurde. In der
Verfügung. Diese Vorgehensweise hat berfläche. Sie steht derzeit in zwei Grö- ersten Generation gab es nur eine Vari-
den großen Vorteil, dass die qualitative ßen, den Modellen CS-R10 mit 38 oder ante des Effekts, die später in der blau-
Aufwertung durch Silk allen Teilnehmern CS-R10-S mit 26 Fadern, zur Verfügung. en Version der inzwischen umschalt-
im Netz zur Verfügung steht. Sowohl Die Größe der Bedienoberfläche ist un- baren Schaltung aufgegangen ist. Beim
dem FOH, als auch dem Monitor, einem abhängig von der erwähnten Rechenka- Einschalten der Silk-Funktion wird die
Mehrspurrekorder oder dem Ü-Wagen. pazität des Kerns, dieser ließe sich so- Gegenkoppelung am Übertrager redu-
Nachteilig ist dabei aber, dass es keine gar ausschließlich mit dem Software- ziert, wodurch sich auch die Aussteue-
‚neutrale‘ Aufnahme gibt und dass Silk Editor oder der StageMix-App bedienen, rung des Übertragers verändert und ihn
nicht auf digitale Eingänge oder Rück- was freilich nicht ganz im Sinne des Er- früher in die Sättigung bringt. Darüber
wege aus der DAW angewendet werden finders wäre. Für etwas kleinere Einsät- hinaus gibt es eine leichte Veränderung
kann. Auch beim virtuellen Soundcheck ze oder Installationen, in denen auf ei- des Frequenzgangs, die sich nach Aus-
muss darauf geachtet werden, dass Silk ne bestehende Verkabelung zurückge- sage des Herstellers an beliebten Desi-
bereits bei der Originalaufnahme einge- griffen werden soll, präsentierte Yamaha gns des Entwicklers aus den 1970er Jah-
rechnet wurde. Auf die Details von Silk auf der diesjährigen Prolight+Sound das ren orientiert. Diese Bearbeitung führt
kommen wir später genauer zu spre- kleinere Geschwister Rivage PM7. Das zu einer subtilen Verdichtung des Si-
chen. Zur Übertragung der großen Ka- Pult bietet die exakt gleiche Bedienober- gnals, mit einer Betonung der unteren
nalzahlen setzt Rivage PM10 auf ein ei- fläche wie das PM10, wobei der Rechen- Mitten. Das Signal beginnt in den Tie-
genes Netzwerk-Protokoll mit dem Na- kern fest im Pultgehäuse untergebracht fen früher zu verzerren, wird angedickt
men Twinlane. Natürlich stehen paral- wurde. Die Kapazität des PM7 ist dabei und im besten Sinne ‚verrundet‘. Silk
lel zu Twinlane auch Dante und andere nur etwas geringer, als die des PM10. blau eignet sich damit zur Betonung von
Standardschnittstellen zur Verfügung. So bietet es beispielsweise eine auf 120 ‚blasseren‘ Signalen und um sie in den
Yamaha hat Twinlane zu einem Zeitpunkt Kanäle, 60 Busse und 24 Matrix-Quel- akustischen Vordergrund zu rücken. Wer
entwickelt, als Dante die hohen benöti- len reduzierte Rechenpower. Das System sich bei der beschriebenen Klangver-
gten Kanalzahlen noch nicht mit der ge- verkleinert sich damit auf das Pult und änderung wundert, warum Rupert Ne-
forderten Latenz erreichen konnte. Alter- die Stage-Boxen, wobei auch hier die ve die Farbe Blau assoziiert hat, obwohl
testbericht

eine solche ‚Anwärmung‘ des Signals die Rauschwerte auch beim Zuschalten Klirr die Verzerrungsneigung des Wand-
eher mit der Farbe Rot zusammenpassen des Effekts nicht. Die Vergleichswerte lers um mehrere Dimensionen überla-
würde, wir wissen es auch nicht. Erst nach Quasi-Peak ITU-R BS.468-4 liegen gert. Dabei ist der THD keineswegs sta-
mit Portico II wurde Silk um die zweite, im erwarteten Abstand von rund 11 dB. tisch, sondern verändert sich deutlich
rot markierte Klangfarbe erweitert. Die- Das einwandfreie Rauschspektrum ist über die Frequenz. Diagramm 7 illus-
se unterscheidet sich im Obertonspek- in Diagramm 1 abgebildet. Diagramm 2 triert das Verhalten beider Varianten
trum und betont die oberen Mitten und zeigt die Amplituden- und Phasenfre- unter -3 dBFS Aussteuerung. Die Tex-
Höhen in der Verzerrung. Dadurch ent- quenzgänge der neutralen Eingangs- ture-Einstellung war dabei auf den Wert
steht eine angenehme Veränderung in stufe. Wichtig ist auch ein Blick auf das 8 von 10 gestellt. Diese höhere Einstel-
den Präsenzen, die vor allem dumpfere Klirrverhalten, denn schließlich wird ge- lung ist nicht übertrieben, denn die
Signale ‚aufpoliert‘ und im Mix betont. nau dies mit Silk maßgeblich beein- Emulation hat, genau wie das Vorbild
Es entsteht ein angenehmer Glanz. Auch flusst. Diagramm 3 zeigt den Verlauf des die Eigenschaft, erst oberhalb des hal-
die Möglichkeit, Silk mit einem Texture- THD über den Eingangspegel. Gemessen ben Stellwegs (12 Uhr-Stellung) über-
Poti in seiner Intensität anzupassen, wurde bei 1 kHz und mit minimaler Ein- haupt eine deutlich wahrnehmbare Ver-
kam erst mit Portico II in Neves Design. gangsverstärkung. Dass sich die Kurven änderung zu verursachen. Es ist ein
Yamaha hat für das Rivage PM10 ver- bei anderen Frequenzen nicht grundle- günstiger Umstand, dass wir im Stu-
sucht, die Eigenschaften der gesamten gend verändern, zeigt der Verlauf des dio Magazin damals den Rupert Neve
Schaltung zu emulieren. Das bedeutet, THD über die Frequenz, bei -3 dBFS Ein- Shelford Channel mit ähnlichen Voraus-
dass durch Einschalten der Silk-Funkti- gangspegel, dargestellt in Diagramm 4. setzungen gemessen haben, so dass
on auch die Übertrager-Emulation akti- Die Eingänge des Pultes sind sehr klir- sich die Klirrspektren der Silk-Umset-
viert wird. Ohne Silk verzichtet die Ein- rarm und auch das Rauschverhalten ist zung im Shelford Channel und dem Ya-
gangsstufe auf jegliche Veränderung des sehr gut. Beste Voraussetzungen al- maha PM10 weitestgehend direkt mit-
Signals hinter dem Wandler, vom Hoch- so, um als Basis für eine geschmack- einander vergleichen lassen. Alle Mes-
passfilter und dem M/S-Decoder abge- liche Bearbeitung herzuhalten. Schal- sungen wurden jeweils in den drei Tex-
sehen. tet man Silk ein, so fällt sofort eine Ver- tur-Einstellungen Linksanschlag (blau),
änderung im Amplitudenfrequenzgang 12 Uhr (grün) und Rechtsanschlag (rot)

Messtechnik Silk auf. Diagramm 5 zeigt die beiden Ver- vorgenommen. Beginnen möchten wir
läufe, wobei die Farben der Kurven de- mit Silk Blau des Yamaha in Diagramm
Bei der Messung wollten wir natür- nen der Silk-Einstellungen entsprechen. 8 und dem entsprechenden Vergleich
lich ebenfalls nicht das gesamte Misch- Auch der Verlauf des THD verändert sich mit dem Shelford Channel in Diagramm
pult berücksichtigen, sondern haben erwartungsgemäß. In Diagramm 6 lässt 9. Es zeigt sich, dass die absoluten Di-
unser Augenmerk auf die Eingangsstu- sich gut erkennen, wie der zugefügte mensionen durchaus vergleichbar sind,
fen gerichtet. Das APx555 war also ana-
log mit zwei Eingängen der RPio verbun-
den, während der Rückweg digital über
AES3 angebunden war. Um den Status
Quo zu ermitteln, haben wir zunächst
die technischen Daten der neutralen
Eingangsstufe bestimmt. Der maxima-
le Eingangspegel im Line-Betrieb be-
trägt +24 dBu. Die maximale Analogver-
stärkung liegt bei fast exakt 65 dB. Ohne
Verstärkung rauschen die Eingänge bei
-112,96 dBFS RMS ungewichtet (20 Hz
bis 20 kHz). Dreht man die Verstärkung
auf ihren Maximalwert, so steigt das
Rauschen auf -84,1 dBFS RMS ungewich-
tet (20 Hz bis 20 kHz) an. Diese Wer-
te stellen die maximal verfügbare Dy-
namik im Kanal dar. Da Silk hinter dem
Wandler berechnet wird, verändern sich

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Diagramm 1: Einwandfreies Rauschspektrum der neutralen Diagramm 2: Amplituden- (solide) und Phasenfrequenzgang (gestri-
Eingangsstufe chelt) der neutralen Eingangsstufe

Diagramm 3: Verlauf des THD Ratio über den Eingangspegel, Diagramm 4: Verlauf des THD Ratio über die Frequenz, ohne Effekte bei
ohne Effekte -3 dBFS Aussteuerung

Diagramm 5: Amplituden- (solide) und Phasenfrequenzgang (gestrichelt) Diagramm 6: Verlauf des THD über den Eingangspegel, Silk blau und rot
der Übertrager-Emulation von Silk blau und rot

Diagramm 7: Verlauf des THD über die Frequenz, Silk blau und rot Diagramm 8: Klirrspektrum Silk blau Yamaha, Linksanschlag (blau),
12 Uhr-Stellung (grün) und Rechtsanschlag (rot)
testbericht

Diagramm 9: Klirrspektrum Silk blau Neve Shelford Channel, Linksan- Diagramm 10: Klirrspektrum Silk rot Yamaha, Linksanschlag (blau), 12
schlag (blau), 12 Uhr-Stellung (grün) und Rechtsanschlag (rot) Uhr-Stellung (grün) und Rechtsanschlag (rot)

Diagramm 11: Klirrspektrum Silk rot Shelford Channel, Linksanschlag Diagramm 12: Amplituden- (solide) und Phasenfrequenzgang (gestrichelt)
(blau), 12 Uhr-Stellung (grün) und Rechtsanschlag (rot) Opendeck, Swiss 85 (blau), Swiss 78 (rot), Swiss 70 (grün) und American
70 (lila)

die spektrale Zusammensetzung je- denn wir wissen auch nicht, welche Silk- so nur die neutralen, nur die roten und
doch einige Unterschiede aufweist. Variante direktes Vorbild für die Emula- nur die blauen Quellen unter sich. Dabei
Ein Ähnliches Verhalten zeigt auch Silk tion war. zeigte sich sofort der charakteristische
Rot in Diagramm 10 beim Vergleich zu Unterschied. Während die ursprüng-
Rupert Neve in Diagramm 11. Insge-
Praxis und Klang Silk lichen Quellen im Vergleich eher dünn
samt scheint Yamaha sogar eine deut- und unauffällig blieben, schoben sich
lich ausgeprägtere Unterscheidung zwi- Um die Klangqualität fair beurteilen zu die blauen Signale dicht zusammen,
schen rot und blau zu erreichen, als können, haben wir nicht nur Einzelsi- mit einer Betonung der unteren Mitten.
Rupert Neve selbst. Dies kann daher gnale über die Prozessoren geschickt, Die roten Signale hingegen zeigten eine
kommen, dass die Verhältnisse in der sondern ganze drei Mehrspurprojekte deutliche Zeichnung in den unteren Hö-
Simulation natürlich deutlich kontrol- mit Silk bearbeitet. Anschließend wur- hen, eine Präsenz, die aber in der Sum-
lierter sind, als an einem realen Bau- den die Projekte nur mit Pegelanpas- me bei allen Kanälen zu viel wurde. Ähn-
teil, noch dazu einem so komplexen sungen und Panoramapositionierung ge- lich, wenn auch nicht so drastisch, wie
wie einem Übertrager. Es wird auf jeden mischt. Als Klangquellen lagen sowohl ein Exciter-Effekt, der sich bei Übertrei-
Fall deutlich, dass Yamaha sich viel Mü- Aufnahmen akustischer Instrumente, als bung abnutzt. Das war auch nicht an-
he bei der Nachbildung gegeben hat, auch rein digitale Signale vor. Damit erg- ders zu erwarten, denn natürlich ist es
denn die dynamischen Veränderungen ab sich ein bunter Querschnitt an reprä- nicht sinnvoll, alle Quellen mit dem glei-
über die Frequenz und den Pegel sind sentativen Signalen, die sowohl im neu- chen Konzept zu bearbeiten. Optimal
differenziert ausgearbeitet und weisen tralen Zustand (natürlich über die neu- war die Situation, wenn man stattdes-
auf einen nicht unerheblichen Entwick- tralen Wandler geschickt) und jeweils sen eine sinnvolle Mischung aus allen
lungs- und Rechenaufwand hin. Ob die mit Silk Rot und Silk Blau bearbeitet vor- drei Versionen erzeugte. Sofort sortieren
Emulation ganz genau trifft, kann lei- lagen. Zunächst haben wir versucht, sich die einzelnen Instrumente in den
der nicht abschließend geklärt werden, die Signale ‚sortenrein‘ zu mischen, al- akustischen Hintergrund, die Mitte oder

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Diagramm 13: THD Ratio über den Eingangspegel, alle Modelle Diagramm 14: THD Ratio über die Frequenz bei -20 dBFS Aussteuerung,
Swiss 85 (blau), Swiss 78 (rot), Swiss 70 (grün) und American 70 (lila)

Diagramm 15: Klirrspektrum bei -20 dBFS Aussteuerung, Swiss 70 Diagramm 16: Klirrspektrum bei -20 dBFS Aussteuerung, Swiss 85 (blau),
(grün) und American 70 (lila) Swiss 78 (rot)

nach vorne. Es entsteht automatisch ei- aber den ‚störenden‘ Charakter. Üb- decks ist auch als VST-Plug-In von Stein-
ne sehr transparente Tiefenstaffelung, rig bleibt ein dichtes, schönes Signal, berg verfügbar. Wir haben uns mit die-
im Sinne einer vorne-hinten Lokalisati- welches sich gut mischt. Auch das ist sem speziellen Plug-In deshalb ausein-
on. Auch schafft es die Emulation, den ein Qualitätsmerkmal, denn schlechtes andergesetzt, da es in gewisser Weise
typischen 3D-Effekt einer analogen Be- Prozessing lässt sich meist nicht mehr eine Besonderheit für ein Live-Pult dar-
arbeitung gut nachzuempfinden. Ein ge- reparieren. Am Ende stellen wir fest, stellt, in den Themenkreis von Silk ge-
nereller Einsatz von Silk ist nicht sinn- dass sich die mit Silk bearbeiteten Si- hört und noch dazu in unsere Reihe der
voll, aber am Ende unserer Mischver- gnale einfacher mischen lassen, als die bereits durchgeführten Bandmaschi-
suche wurde deutlich, dass es sehr viel neutralen Eingangsquellen. Da wir bei nen-Emulations-Tests passt. Das Plug-In
seltener nicht passte, als es die Signale diesem Test bewusst auf zusätzliche lässt sich zwischen vier verklausulierten
aufwertete. Ein einzelnes, mit Silk be- Klangbearbeitungen verzichtet haben, Maschinen umschalten. Hinter den Be-
arbeitetes Signal ist dabei nie unange- lässt sich das Fazit ziehen, wer Silk kon- zeichnungen verbergen sich mutmaß-
nehm oder wirkt künstlich überprozes- trolliert einsetzt, wird weniger Arbeit in lich die folgenden Geräte. Swiss 70 ori-
siert. Mit anderen Worten, man verbaut eine gute Mischung stecken müssen. entiert vermutlich sich an Studers A80,
sich mit Silk nichts, sollte es aber trotz- Swiss 80 könnte eine A800 zum Vor-
dem nicht übertreiben (wo gilt diese Re-
Bandmaschinen-Emula- bild nehmen und Swiss 85 schließlich
gel nicht...). Selbst, wenn man manch- auf die eng verwandten Maschinen A812
mal im Nachhinein eine andere Intensi- tion Opendeck und A820 zurückgreifen. Darüber hi-
tät bevorzugt hätte, beheben kleinere Wie bereits erwähnt bietet das Riva- naus gibt es ein Modell American 70,
Eingriffe am EQ die vielleicht entstan- ge PM10 die Möglichkeit, auch eine Ta- welches sich möglicherweise an der Am-
dene Überbetonung. Natürlich entfer- pe-Simulation in den Insert eines Kanals pex ATR-102 orientieren könnte, zumin-
nen solche Korrekturen die entstan- oder Busses zu laden. Diese aktuelle dest das Design der Drehknöpfe orien-
denen Obertöne nicht, nehmen ihnen Version der sogenannten Yamaha Open- tiert sich an diesem Modell. Allerdings
testbericht

sollte man sich, wie auch die Messtechnik zeigt sich der erste und wichtigste Unter- ranreichen. Die Diagramme 15 und 16 ver-
zeigen wird, nicht zu sehr auf diese Paral- schied zwischen den verschiedenen Mo- deutlichen dies noch einmal anhand der
lelen versteifen und den Effekt stattdessen dellen. Diagramm 12 (siehe Seite 74) zeigt Obertonspektren, die bei den Originalen
als eigenständige Qualität sehen. Die Aus- die doch recht unterschiedlichen Ergeb- natürlich ebenfalls nicht so gleich sind,
wahl der Modelle kann unabhängig für die nisse der vier Emulationen. Die absolute wie hier in der Emulation.
Aufnahme und Wiedergabe vorgenommen Überhöhung im Bassbereich kann bis zu 4
werden, ganz so, als würde man ein Band dB betragen und ist damit unmittelbar hör-
Praxis und Klang
mit einer Maschine aufzeichnen und auf bar, wenn das Plug-In aktiviert wird. Eben-
einer anderen abspielen. Die Einstellmög- falls wahrnehmbar sind die Unterschiede Opendeck
lichkeiten gleichen sich bei allen Model- zwischen den verschiedenen Modellen. Es Auch wenn die technischen Ergebnisse
len und umfassen den Aufnahme und Wie- scheint jedoch so zu sein, dass die wei- der Messungen zeigen, dass Opendeck,
dergabepegel, eine grobe Frequenzgang- tere Emulation keine relevanten Unter- vermutlich aus Ressourcen-Spargründen,
anpassung für Höhen und Tiefen, eine Ver- schiede zwischen den verschiedenen Mo- nicht ganz so aufwändig gestaltet ist, wie
schiebung des Bias (Vormagnetisierung), dellen macht. Diagramm 13 zeigt das Er- man es sich vielleicht gewünscht hätte,
sowie die Möglichkeit, zwischen einem al- gebnis der Messung des THD über den Ein- klingt es doch erstaunlich gut. Für unseren
ten und einem neuen Band und zwei Ge- gangspegel. Hier wird deutlich, dass das Praxistest haben wir verschiedene Sum-
schwindigkeiten zu wählen. Klirrverhalten einem weitestgehend sta- men- und auch Einzelsignale durch die
tischen Modell folgt und sich kaum zwi- vier Modelle laufen lassen und die klang-

Messtechnik Opendeck schen den verschiedenen Emulationen un- lichen Ergebnisse waren zum größten Teil
terscheidet. Dieser Verdacht bestätigt sich sehr überzeugend. Wichtig ist es dabei auf
Damit kommen wir zur Messtechnik am Ya- bei einem Blick auf Diagramm 14. Hier ist eine penible Aussteuerung zu achten, so
maha Opendeck Plug-In. Zu diesem Zweck der Verlauf des THD über die Frequenz do- dass man sich nicht von einem Pegelunter-
war das Mischpult per AES3 an unser Au- kumentiert; ein Kriterium, welches sich schied an der Nase herumführen lässt. Der
dio Precision angebunden, eine Wandlung bei den verschiedenen Vorbildern dra- Schalter zur Pegelkompensation sollte al-
hat in diesem Fall nicht stattgefunden. Als stisch unterscheidet. Die Emulation hin- so aktiviert bleiben. Ist dies garantiert, so
Einstellungen wurden die von Yamaha als gegen bleibt hier ebenfalls etwas statisch zeigt sich Opendeck als sehr subtiler und
Grundeinstellungen vorgesehenen Presets und ändert seinen Verlauf nicht mit den doch wirklich angenehmer Effekt. Beson-
der verschiedenen Modelle geladen. Be- unterschiedlichen Typen. Insgesamt bleibt ders positiv fällt dabei die Behandlung
ginnen möchten wir mit den Amplituden- Opendeck hier etwas blass und kann nicht von Transienten auf. Waren hier scharfe
und Phasenfrequenzgängen, denn hier an die Tiefe der Nachbildung von Silk he- oder übertrieben steile Signalflanken zu-

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gegen, so sorgte das Plug-In für eine ange- betrachtet, als es hier in diesem Bericht mischt‘ zurückzugreifen. Es ist ganz klar,
nehme Abrundung der Spitzen, verbunden zur Geltung kam. Die Klangqualität ist sehr wer mit dem PM10 arbeitet oder mit den
mit einer Reduktion der ‚Nervigkeit‘ sol- hoch, hebt sich vor allem aber mit weni- Ergebnissen der Arbeit am Pult konfron-
cher Signale. Extrem transiente Anschläge gen Handgriffen vom neutralen Sound an- tiert ist (Nachmischung der Mehrspurauf-
einer akustischen Gitarre, wie sie oftmals derer Digitalkonsolen oder Workstations nahmen), dem wird sicher ein Lächeln im
mit Piezo-Tonabnehmern auftreten, wer- positiv ab. Einen großen Anteil daran hat Gesicht stehen. Die Klangqualität ist wirk-
den auf eine sehr musikalische Weise aus- die von Rupert Neve zertifizierte Silk-Ein- lich toll und erleichtert allen Beteiligten
geregelt. Die Signale erfahren eine subtile gangsstufe, die jedem Signal einen sehr die Arbeit. Ein hervorragendes Mischpult,
Verdichtung. Etwas aufpassen muss man schönen Charakter verleiht und selten zu welches ganz bestimmt auch einen Platz
mit dem Anstieg des Pegels in den Tiefen. viel wird. Für eine Menge Anwendungen, im Studio finden könnte. Sicher ist aber,
Es empfiehlt sich, Opendeck am Anfang ei- wir lehnen uns dabei sogar so weit aus dass man hiermit eine gute Möglichkeit
ner Session zu laden und in das Plug-In hi- dem Fenster zu behaupten, bei den mei- hat, sich den Studio-Sound auch auf der
nein zu mischen, damit es hier nicht zu ei- sten, ist Silk eine Aufwertung, die man Bühne zu bewahren.
ner Überbetonung und ‚Vermatschung‘ sehr schnell nicht mehr missen möchte.
kommt. Insgesamt hat uns Opendeck gut Denn ein damit bearbeitetes Signal fügt
gefallen, wobei wir es nicht so bedenken- sich leichter in den Mix ein, schafft ei-
los einsetzen würden wie Silk. An den ver- ne größere Differenzierung der einzelnen
dichtenden Effekt einer realen Bandma- Quellen und kann sie bei größeren Eingrif-
schine kommt Opendeck aber nicht he- fen deutlich in den Vordergrund rücken.
ran. Ein Fazit, welches wir bisher bei al- Mit anderen Worten, die Mischung geht
len Tape-Emulationen ziehen mussten. Es viel leichter von der Hand. Diesen Um-
bleibt auch bei Yamaha dabei, dass sich stand kennen viele von analogen Groß-
die Strecke Kopf-Band-Kopf nicht adäquat pulten und es ist einer der Gründe, warum
nachbauen lässt. bestimmte Marken auch heute noch be-
sonders hoch im Kurs stehen. Der größ-

Fazit te Nachteil des Konzepts liegt darin, Silk


nicht nachträglich auf digitalen Signalen
Bei unseren Tests konnte das Pult seine einsetzen zu können. Hier ergibt sich nur
Stärken eindrucksvoll unter Beweis stel- die Möglichkeit auf das klassische Kon-
len. Natürlich haben wir es tiefergehend zept ‚mit Farbe aufgenommen, neutral ge-

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