Sie sind auf Seite 1von 25

2022 | 06

Viel Schatten, aber auch etwas Licht


Die Situation der Baubeschäftigten – Ergebnisse
einer Online-Beschäftigtenbefragung
Angelika Kümmerling, Gerhard Bosch, Frederic
Hüttenhoff und Claudia Weinkopf
• Eine Online-Befragung unter 3052 Baubeschäftigten zeigt, dass rund
jeder vierte Beschäftigte in “näherer Zukunft“ beabsichtigt, seinen
Arbeitgeber oder sogar die Branche zu wechseln.
• Baubeschäftigte beschreiben ihren Beruf als abwechslungsreich, viel-
fältig und lernförderlich und schätzen die Entscheidungsspielräume.
Negativ werden die hohe körperliche Belastung und die Verdichtung
der Arbeit durch neue Technologien gesehen. Ein hoher Anteil be-
richtet auch, dass der Fachkräftemangel in ihrem Betrieb bereits
spürbar sei.
• Die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen insgesamt, den Ar-
beitszeiten und der Bezahlung ist hoch und stellt einen Hauptgrund
für Wechselabsichten dar.
• Nur gut jeder fünfte Arbeiter ist der Meinung, seinen Beruf bis zum
gesetzlichen Renten-Einstiegsalter durchhalten zu können. Arbeiter
wünschen sich einen Renteneintritt mit 60,7 Jahren, Angestellte mit
61,7 Jahren.
• Die Wechselneigung ist nicht betriebsunabhängig: Beschäftigte, die
ihren Betrieb für zukunftsfähig halten und die das Betriebsklima als
gut einschätzen, zeigen eine geringere Wechselneigung.

Aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ),


Universität Duisburg-Essen
2022 | 06 IAQ-Report

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung......................................................................................................................................... 3

2 Zentrale Kennzeichen der Tätigkeit in der Bauwirtschaft ............................................................... 4


2.1 Hohe Arbeitsmarktdynamik .................................................................................................. 4
2.2 Mindestlöhne ........................................................................................................................ 4
2.3 Arbeitssparende Technologien ............................................................................................. 5
2.4 Rollenverteilung der Betriebe ............................................................................................... 6

3 Die Beschäftigtenbefragung ............................................................................................................ 7


3.1 Stichprobenbeschreibung ..................................................................................................... 8

4 Ergebnisse ..................................................................................................................................... 11
4.1 Die subjektive Einschätzung der Arbeitsbedingungen im Baugewerbe ............................. 11

5 Wer will bleiben, wer will wechseln? ............................................................................................ 13


5.1 Welche Rolle spielt der Betrieb für den Wechselwunsch? ................................................. 17

6 Zusammenfassung und Fazit ......................................................................................................... 19

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 21
2
2022 | 06 IAQ-Report

1 Einleitung dungsquoten derzeit nicht aus, um die aus Al-


tersgründen ausscheidenden Fachkräfte zu er-
setzen (HDB 2022). Zudem wandern viele Bau-
Das Baugewerbe liege „im Schatten der For-
arbeiter trotz des Baubooms in andere Bran-
schung“, schreiben Gerhard Bosch und Fre-
chen ab, oftmals sogar kurz nach der abge-
deric Hüttenhoff in ihrem gerade erschienenen
schlossenen Berufsausbildung. Die Abwande-
Buch „Der Bauarbeitsmarkt“. Das ist erstaun-
rung wird durch eine hohe Arbeitsplatzunsi-
lich, denn die Bauwirtschaft zählt zu den wirt-
cherheit infolge der ausgeprägten Abhängig-
schaftlich wichtigsten Branchen in Deutschland
keit von der Konjunktur und saisonalen Nach-
und liegt bei der Wirtschaftsleistung vor wich-
frageschwankungen ausgelöst. Hinzu kommen
tigen Industriebereichen wie dem Fahrzeug-
gesundheitlich belastende Arbeitsbedingungen
bau, dem Maschinenbau und der Chemischen
(BIBB/BAuA 2014; Brussig/Schwarzkopf 2014)
Industrie. Allein im Bauhauptgewerbe sind
an wechselnden Orten, eine überdurchschnitt-
über 900.000 abhängig Beschäftigte tätig, da-
liche Unfallgefahr, ein schlechtes Betriebsklima
bei steigen die Zahlen seit Überwindung der Fi-
und eine oftmals nicht adäquate Entlohnung
nanzkrise (Statistisches Bundesamt 2021a). Bei
(SOKA-BAU 2018, DGUV 2022). Denn Fach-
über der Hälfte davon handelt es sich um ge-
kräfte, insbesondere in Ostdeutschland, wur-
werbliche Fachkräfte mit abgeschlossener Be-
den zunehmend lediglich wie Hilfskräfte be-
rufsausbildung, weshalb die Branche auch als
zahlt und bekamen nur den bis Ende letzten
„Facharbeiterbranche“ gilt. Zudem war das
Jahres gültigen Branchenmindestlohn. Mit der
Baugewerbe einer der wenigen Wirtschaftsbe-
Aufkündigung der Branchenmindestlöhne
reiche, der im Jahr 2020, zu Beginn der Corona-
durch die Arbeitgeber im April 2022 ist zu er-
Pandemie, noch ein Wachstum zu verzeichnen
warten, dass die Löhne noch weiter absinken
hatte (3,8 Prozent im Vergleich zu 2019). Dem-
werden und mithin das Arbeiten in der Branche
gegenüber waren das produzierende Gewerbe
Bau unattraktiver wird. Zudem kann angenom-
um 9,7 Prozent und der Handel sowie das Gast- 3
men werden, dass die Abwanderung in andere
gewerbe um 5,4 Prozent eingebrochen (Statis-
Branchen zunehmen wird, wenn Facharbeiter-
tisches Bundesamt 2021b).
löhne nicht mehr garantiert werden können.
Eigentlich könnte die Branche in eine glanzvolle Doch ohne einen gut funktionierenden Bauar-
Zukunft blicken. Aufgrund des Investitionsstaus beitsmarkt mit kompetenten und gut bezahl-
der letzten beiden Jahrzehnte bei öffentlichen ten Fachkräften werden die Transformationen
Bauvorhaben, besteht ein hoher Sanierungsbe- kaum gelingen.
darf etwa bei Schulgebäuden, Straßen und Brü-
Nicht nur das Branchengeschehen ist in der so-
cken. Zudem gibt es u.a. durch Zuwanderung
zialwissenschaftlichen Forschung etwas nach-
und Wanderungsbewegungen vom Land in die
rangig behandelt worden, auch die Situation
Städte weiterhin einen hohen Bedarf an Neu-
der Baubeschäftigten selbst, die Wahrneh-
bauten. Auch der demografische Wandel spielt
mung und Bewertung ihrer Arbeit, sind in der
der Bauwirtschaft eigentlich in die Hände und
Forschung unterrepräsentiert. So weiß man
treibt das Baugeschehen an (Streck 2010).
aus der Zusatzauswertung der BIBB/BAuA
Nicht zuletzt gilt das Baugewerbe als Schlüssel-
(2014) und dem DGB-Index, dass die Bautätig-
branche bei der Bewältigung der digitalen und
keit auch subjektiv als körperlich sehr belas-
ökologischen Transformation. Dies zeigt sich
tend wahrgenommen wird und viele Beschäf-
etwa in der Verlegung neuer Glasfaserkabel,
tigte der Meinung sind, ihre Tätigkeit nicht bis
der Erweiterung des Schienennetzes und dem
zur Rente durchhalten zu können (DGB-Index
Ausbau erneuerbarer Energien (Bosch/Hütten-
Gute Arbeit 2020, 2021b). Aber es fehlt ein ge-
hoff 2022).
nerelles Bild darüber, wie Baubeschäftigte ih-
Um diese Vorhaben in naher Zukunft anzuge- ren Beruf insgesamt wahrnehmen, welche As-
hen, benötigt die Branche allerdings gut ausge- pekte sie positiv einschätzen, welche sie als
bildete Fachkräfte, die jedoch nicht in ausrei- (besonders) belastend empfinden und wie zu-
chender Zahl zur Verfügung stehen. In der frieden sie allgemein mit den Arbeitsbedingun-
überalterten Baubranche reichen die Ausbil- gen sind. Ein solches Bild ist vor dem Hinter-
grund des zunehmenden Fachkräftemangels in
2022 | 06 IAQ-Report

einer von Fluktuation und Abwanderung ge- ist, was sich nachteilig auf die sogenannte
prägten Branche (siehe hierzu Bosch/Hütten- Work-Life Balance auswirkt.
hoff 2022) wichtig um einen Hebel in die Hand
zu bekommen und diesen Tendenzen entge-
2.1 Hohe Arbeitsmarktdynamik
genzuwirken. Was erwarten Baubeschäftigte
von der Digitalisierung und inwieweit halten sie Bauarbeit ist nicht nur durch immer neue Ein-
ihren Betrieb für die Zukunft gut aufgestellt? satzorte gekennzeichnet, sondern auch durch
Das sind die Fragen, die wir im Dezember 2019 eine hohe Arbeitsmarktdynamik. Während in
rund 11.000 Mitgliedern der IG BAU gestellt ha- industriellen Großbetrieben die Arbeitskräfte
ben und von über 3052 Personen, Arbeitern oft langjährig in einem Betrieb beschäftigt sind,
und Angestellten, beantwortet bekommen ha- ist die Fluktuation im Bauhauptgewerbe über-
ben und deren Ergebnisse wir im Folgenden durchschnittlich hoch (Bosch/Hüttenhoff 2022:
darstellen möchten. 98ff). Witterungsabhängigkeit, eine hohe Kon-
Der Beitrag gliedert sich wie folgt. Zunächst ge- junkturempfindlichkeit der Bauinvestitionen,
hen wir knapp auf die zentralen Merkmale der das Risiko von fehlenden Anschlussaufträgen
Bautätigkeit ein, die das Arbeiten „auf dem sowie die unstete öffentliche Auftragsvergabe
Bau“ von anderen Tätigkeiten unterscheiden. lassen die Beschäftigung stärker schwanken als
Im Anschluss daran stellen wir das Vorgehen in den meisten anderen Branchen. Die Risiken
und die Inhalte der Befragung vor und be- der Bauarbeit erzeugen sowohl für die Beschäf-
schreiben die Stichprobe. Im Ergebnisteil zei- tigten als auch für die Betriebe beträchtliche
gen wir, wie Baubeschäftigte ihre Arbeit ein- Probleme: Bauarbeiter sind häufiger als Be-
schätzen, wir stellen sowohl positive wie auch schäftigte in stationärer Produktion arbeitslos
belastende Faktoren der Bautätigkeit dar und und müssen immer wieder mit Einkommens-
gehen auf die Frage ein, wie Betriebe dazu bei- verlusten rechnen. In Wirtschaftskrisen und bei
tragen können, Beschäftigte stärker und dauer- langen wetterbedingten Winterpausen wech-
4
hafter an sich zu binden. Der Report endet mit seln daher immer wieder Fachkräfte in andere
einer kurzen Zusammenfassung und Diskussion Branchen und Sektoren, und meist kehren sie
der Ergebnisse. der Baubranche für immer den Rücken
(Bosch/Hüttenhoff 2022: 105f). Die Standort-
bindung und der temporäre Charakter des Bau-
2 Zentrale Kennzeichen der Tätig- ens begrenzt auch die Internationalisierung der
keit in der Bauwirtschaft Branche. Während in der verarbeitenden In-
dustrie Zwischen- und Endprodukte über die
Grenzen geliefert werden können, kaufen Bau-
Die Tätigkeiten in der Baubranche weisen spe- unternehmen zur Bedienung ausländischer
zifische Besonderheiten auf, die sie von ande- Märkte in den betreffenden Ländern Bauunter-
ren Branchen unterscheiden und die in der nehmen mit ihren Arbeitskräften ein oder
Summe dazu führen, dass der Bauberuf häufig gründen eigene Zweigstellen, um Beschäftigte
als unattraktiv angesehen wird und Fachkräfte vor Ort anwerben zu können. Importiert wer-
in andere Branchen abwandern. Ein zentrales den weniger Produkte als vielmehr Baudienst-
Merkmal besteht darin, dass die Produktion leistungen ausländischer Nachunternehmer,
dort stattfinden muss, wo die Endprodukte die ihre Arbeitskräfte auf die jeweiligen Bau-
auch gebraucht werden, da diese in der Regel stellen entsenden.
nicht transportfähig sind. Dementsprechend
wechselt der Arbeitsort von Baubeschäftigten
regelmäßig und findet nicht in stationären Fer- 2.2 Mindestlöhne
tigungsstätten statt – Bosch und Hüttenhoff
(2022) sprechen in diesem Zusammenhang von Ein weiteres zentrales Merkmal ist die frühe
„wandernden Fabriken“. In der Konsequenz Einführung eines Branchenmindestlohnes, für
bedeutet das, dass das Arbeiten im Bauge- den mit der Einführung der EU-Entsenderichtli-
werbe mit längeren Abwesenheiten von der Fa- nie 1996 die rechtliche Grundlage geschaffen
milie und/oder dem Freundeskreis verbunden wurde und der auch für ausländische Beschäf-
tigte bindend war. Im Bauhauptgewerbe
2022 | 06 IAQ-Report

wurde der erste tarifliche Branchenmindest- chung der SOKA-BAU zu Abwanderungsgrün-


lohn in Deutschland im Jahr 1996 eingeführt, den von Baubeschäftigten wurde ein geringes
wobei in Ost- und Westdeutschland unter- bzw. stark schwankendes Gehalt als zweithäu-
schiedlich hohe Löhne galten (Bosch et al. figster Grund für das Verlassen der Branche an-
2011: 49). Mit dem Branchenmindestlohn gegeben (2018).
sollte ein Unterbietungswettbewerb durch ent-
Durch die Aufkündigung des Branchenmindest-
sandte Arbeitnehmer von ausländischen Be-
lohns durch die Arbeitgeber ist zu erwarten,
trieben, die zuvor nach dem Lohn des Her-
dass der Druck auf das Tarifgefüge insbeson-
kunftslandes entgolten werden konnten, ver-
dere in Westdeutschland zunehmen wird.
hindert werden.
Denn aus den Erfahrungen mit der Abschaffung
Da die meisten Beschäftigten im Bauhauptge- des Mindestlohns 2 in Ostdeutschland ist be-
werbe qualifiziert waren und die Fachkräfte- kannt, dass die Abschaffung von Mindestlöh-
löhne deutlich über dem Mindestlohn lagen, nen selbst bei guter Konjunktur einen Sog nach
vereinbarten die Sozialpartner des Bauhaupt- unten auslöst. Die Beschränkung auf den ge-
gewerbes einen zweiten höheren Mindestlohn setzlichen Mindestlohn wird in dieser Fachkräf-
für qualifizierte Tätigkeiten, der zum 1. Sep- tebranche mit hohen körperlichen Belastungen
tember 2003 in Kraft trat. Als Begründung zu einem weiteren Reputationsverlust führen
wurde betont, dass der zweite Mindestlohn be- und den Fachkräftemangel weiter verschärfen.
sonders wichtig in Ostdeutschland mit seiner Auf dem heimischen Arbeitsmarkt wird man
geringen Tarifbindung sei. Der Mindestlohn 2 dann immer weniger Arbeitskräfte gewinnen
zielte auch darauf ab, die zu erwartende Ero- können. Die Rechnung kann für die Unterneh-
sion des westdeutschen Tarifgefüges zu verhin- men nur aufgehen, wenn die Fachkräftelücke
dern (Bosch 2020: 19). Allerdings wurde in Ost- durch eine weiter wachsende Zahl ausländi-
deutschland der höhere Mindestlohn 2 zum 1. scher Werkvertragsnehmer, die zum gesetzli-
September 2009 auf Betreiben der ostdeut- chen Mindestlohn arbeiten, geschlossen wer- 5
schen Arbeitgeberverbände wieder abge- den kann (Bosch/Hüttenhoff 2022: 186f).
schafft. Seitdem dominierte der untere Min-
destlohn das Lohngefüge im Osten mit einem
2.3 Arbeitssparende Technologien
Anteil zwischen 40 und 50 Prozent der Beschäf-
tigten. Einen Facharbeiterlohn oder höheren Wie auch andere Branchen setzt die Bauwirt-
Lohn, wie im Tarifvertrag vorgesehen, be- schaft zunehmend arbeitssparende Technolo-
kommt nicht einmal mehr jeder fünfte Beschäf- gien ein. Die größten Rationalisierungspotenti-
tigte. In Westdeutschland wurde die Lohn- ale werden jedoch aufgrund der zahlreichen
struktur dagegen durch den Mindestlohn 2 sta- Schnittstellen mit vielen Subunternehmen in
bilisiert. Bis 2019 arbeiteten mit 40 bis 45 Pro- der verbesserten Planung und Organisation des
zent in etwa so viele Beschäftigte zum Mindest- Bauprozesses gesehen 1. Insgesamt scheinen
lohn 1 und 2 wie im Osten alleine zum Mindest- den Rationalisierungsbemühungen der Bautä-
lohn 1. Im Gegenzug erhielten noch rund 40 tigkeit u.a. aufgrund der Standortgebunden-
Prozent mindestens einen deutlich höheren heit und der Produktion von Unikaten Grenzen
Facharbeiterlohn. gesetzt zu sein. In der Folge schlägt der ver-
Durch die Einführung des Mindestlohnes mehrte Technikeinsatz weniger stark auf die
konnte zwar Lohndumping verhindert werden, Beschäftigung durch als z.B. im Verarbeitenden
aber das Absinken des Lohnniveaus und die zu- Gewerbe (Bosch/Hüttenhoff 2022).
nehmende Orientierung am Mindestlohn als Entsprechend ist die Arbeit am Bau nach wie
Facharbeiterlohn verschärft den Fachkräftebe- vor geprägt durch körperlich schwere Arbeit.
darf. In einer nicht repräsentativen Untersu- Eine Auswertung der BIBB/BAuA zeigt nicht

_
1 Sogenannte BIM Systeme (BIM = Building Information Model) digitales Bauwerksmodell, auf das alle am Bau Beteiligten zugrei-
ermöglichen die vollständige Integration aller Tätigkeiten und fen können (Przybylo 2015).
Prozesse von der Ausschreibung über die Planung und Ausfüh-
rung bis hin zu Nacharbeiten und dem späteren Betreiben in ein
2022 | 06 IAQ-Report

nur, wie hoch die körperliche Belastung der be- dern auch, wie sehr sich ihre Belastung im Ver-
fragten männlichen Baubeschäftigten ist, son- gleich zu anderen Berufen unterscheidet
(BIBB/BAuA 2014: 1).

Abbildung 1: Prozent der Erwerbstätigen, die häufig von diesen Arbeitsbedingungen betroffen sind.

100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
Arbeiten im Stehen Arbeiten mit den Händen schwer heben und tragen Arbeiten in Zwangshaltung

Männer in Bauberufen Männer in anderen Berufen

6
Quelle: BAuA (2014: 1).

Bauarbeiter arbeiten nicht nur weitaus mehr Denn die Arbeit hat sich verändert, Hilfstätig-
als Männer in anderen Branchen im Stehen, keiten haben abgenommen oder wurden an
mit den Händen oder in Zwangshaltung, son- ausländische Beschäftigte ausgelagert, gleich-
dern auch deutlich häufiger unter schlechten zeitig ist die autonome Handlungsfähigkeit der
Umgebungsbedingungen wie „Arbeiten unter Beschäftigten gestiegen. Dadurch ist es Betrie-
ungünstigen Klima“ (Männer in Bauberufen - ben möglich, eigenständige Verantwortung
MiB: 79 Prozent vs. Männer in anderen Berufen nach unten mit wenig Überwachung durch Po-
- MaB: 23 Prozent), unter Lärm (MiB: 64 Pro- liere oder Vorarbeiter zu delegieren.
zent vs. MaB: 29 Prozent) oder in Schutzklei-
dung, oder -ausrüstung (MiB: 62 Prozent vs.
2.4 Rollenverteilung der Betriebe
MaB: 33 Prozent).
Auch wenn die harte körperliche Arbeit weiter- Ein markantes Strukturmerkmal des Bauhaupt-
hin ein zentrales Merkmal der Baubeschäfti- gewerbes ist die Rollenverteilung der Betriebe.
gung ist, so ist mit der zunehmenden Technisie- Viele mittlere und vor allem die größeren Bau-
rung und Digitalisierung doch ein Wandel der unternehmen haben sich in den vergangenen
Anforderungen an die Beschäftigten festzustel- Jahrzehnten zu Generalunternehmen und Bau-
len, der in einem deutlich höheren Fachkräf- dienstleistern entwickelt und übernehmen, je
teanteil mündet: Nur noch rund 10 Prozent der nach eigenem Leistungsspektrum, die kom-
Beschäftigten im Baugewerbe haben keine ab- plette Abwicklung eines gesamten Bauauftra-
geschlossene Berufsausbildung (zum Vergleich: ges, der teilweise mit eigenen Leuten und teil-
1980 hat mehr als jeder vierte Beschäftigte im weise mit Nachunternehmen ausgeführt wird.
Hochbau und sogar knapp 45 Prozent der Be- Generalunternehmen sind für alle bauausfüh-
schäftigten im Tiefbau keine abgeschlossene renden Leistungen bis zur Endabnahme des
Ausbildung (Bosch/Hüttenhoff 2022: 91f.). Bauwerkes verantwortlich (BWI-Bau 2013:
151f). Neben der kompetenzorientierten
2022 | 06 IAQ-Report

Vergabe von Aufträgen an andere Gewerke Bemühungen zeigt sich aber, dass diese Instru-
und an auf bestimmte Tätigkeiten spezialisierte mente auf einem durch Fachkräftemangel cha-
Unternehmen werden Lohnarbeiten zuneh- rakterisierten Arbeitsmarkt nicht ausreichend
mend auch zur Kostensenkung vergeben und sind, um insbesondere gut ausgebildete Be-
ausgelagert. Die kostenorientierte Vergabe ist schäftigte zu halten. Die Fluktuation im Bauge-
für mittlere und größere Unternehmen beson- werbe ist hoch, Betriebswechsel sind häufig.
ders attraktiv, wenn große Pools von Arbeits- Auch die Gefahr der Abwanderung in andere
kräften zur Verfügung stehen, die zu geringe- Branchen ist hoch (Bosch/Hüttenhoff 2022).
ren Löhnen als die Stammbeschäftigten der Eine Untersuchung der SOKA-BAU (2018) weist
Auftraggeber arbeiten. Solche Subunterneh- zudem darauf hin, dass der Exodus aus dem
merreserven können kleine und kleinste Unter- Baugewerbe schon sehr früh, nicht selten di-
nehmen im eigenen Land sein, die nicht die rekt nach der Ausbildung, beginnt.
gleichen Löhne wie ihre Auftraggeber zahlen.
Dies ist der Hintergrund, vor dem sich unser
Es kann sich aber auch um ausländische Subun-
Forschungsinteresse, mehr über die konkrete
ternehmer handeln, die ihre Arbeitskräfte zu
Arbeitssituation von Baubeschäftigten zu er-
Konditionen ihres Heimatlandes entsenden.
fahren, entfaltete.
Der zunehmende Einsatz von entsandten Be-
schäftigten erhöht gleichzeitig den Wettbe-
werbsdruck auf die Unternehmen mit der 3 Die Beschäftigtenbefragung
Folge, dass bestimmte Tätigkeiten aus Kosten-
gründen nicht mehr mit der eigenen Stammbe-
legschaft ausgeführt werden können und man In unserer Befragung haben wir nach der sub-
die Wahl hat, selber auf ausländische Nachun- jektiven Wahrnehmung der Arbeitssituation
ternehmen zurückzugreifen oder das Angebot von Baubeschäftigten gefragt. Dazu haben wir
auf spezielle Fachtätigkeiten zu beschränken. Fragen zu den Arbeitsbedingungen und ihrer
Bewertung gestellt und Informationen über die 7
Die besonderen Bedingungen des Bauarbeits- aktuelle Beschäftigungssituation und Tätigkeit,
marktes sind der Grund, warum in Deutschland den Betrieb, die Eingruppierung, Arbeitszeiten,
die Sozialpartner schon frühzeitig zusammen Work-Life Balance sowie demografische Anga-
mit dem Staat besondere kollektive Lösungen ben erhoben. Von besonderem Interesse wa-
für die genannten Probleme entwickelt haben. ren dabei auch die Gründe, die aus der Per-
Dies gelang mit der Einrichtung von tariflich spektive der Befragten für den Eintritt und Ver-
vereinbarten Sozialkassen, die den Grundstein bleib in der Baubranche bzw. für den Wunsch,
für eine „institutionalisierte Sozialpolitik“ in andere Branchen zu wechseln, sprechen. Die
(Schütt 2000) legten und einen sozialpartner- Befragung wurde im Dezember 2019 online
schaftlichen Kompromiss zwischen den sozia- und mithilfe des Befragungstools „Netigate“
len Interessen der Beschäftigten und den wirt- unter IG BAU Mitgliedern durchgeführt. Die
schaftlichen Interessen der Unternehmen dar- durchschnittliche Fragenbogendauer (Median)
stellen. Durch die Verwaltung der Urlaubsver- betrug knapp 10 Minuten (9 Minuten, 58 Se-
gütungen, der finanziellen Förderung der Be- kunden). Mitglieder, von denen Email-Adres-
rufsausbildung, der arbeitsmarktpolitischen sen vorlagen und die zur interessierenden
Förderung der ganzjährigen Beschäftigung, der Grundgesamt Baubeschäftigte gehörten, wur-
Absicherung von Arbeitszeitkonten sowie das den per Email durch die IG BAU kontaktiert und
Angebot einer Zusatzversorgung durch die So- erhielten einen Link zur Befragung. Insgesamt
zialkassen wird in diesem hochflexiblen Ar- konnten so rund 11.000 Mitglieder kontaktiert
beitsmarkt mit vielen Betriebswechseln sowie werden, von denen 3052 einen Fragebogen
saisonalen und konjunkturellen Schwankungen ausgefüllt haben. Da es sich nicht um eine Zu-
eine soziale Sicherheit und Nachwuchssiche- fallsstichprobe handelte und nur Gewerk-
rung wie in keiner anderen Branche garantiert. schaftsmitglieder befragt wurden, die eher in
Diese Regulierungssysteme stellen gleichzeitig mittleren und größeren Betrieben arbeiten und
wirtschaftliche Effizienz und sozialen Ausgleich eher nach Tarif bezahlt werden, ist unsere Be-
sicher und sind für einen funktionierenden fragung nicht repräsentativ. Wir stellen jedoch
Bauarbeitsmarkt zukunftsweisend. Trotz aller
2022 | 06 IAQ-Report

die These auf, dass die Bewertung der Arbeits- chen Arbeitssituation von Arbeitern und Ange-
bedingungen noch deutlich kritischer ausfallen stellten werden im Folgenden die Ergebnisse
würde, wenn die vielen Beschäftigten in den für beide Statusgruppen getrennt dargestellt.
Klein- und Kleinstbetrieben mit oft geringerer Das Durchschnittsalter der Befragten ist mit
Beschäftigungsstabilität und Bezahlung stärker 44,8 Jahren recht hoch (s = 12,6 Jahre), dabei
einbezogen worden wären. sind die Arbeiter in unserer Stichprobe mit 45,1
Jahren (s = 12,5) älter als die Angestellten (M =
44,8 Jahre, s = 12,6).
3.1 Stichprobenbeschreibung
Anders als es im klein(st)- und mittelbetrieblich
Mit 93,1 Prozent war die überwiegende Mehr- organsierten Baugewerbe eigentlich der Fall
heit der Befragten erwartungsgemäß männ- ist 3, arbeitet ein vergleichsweise hoher Anteil
lich, 6,6 Prozent weiblich und 0,4 Prozent unserer Befragten in größeren Betrieben, wo-
machten keine Angabe zum Geschlecht 2. Mit bei – und das ist wiederum erwartungsgemäß
61,6 Prozent war der Anteil der gewerblich Be- – Angestellte häufiger in größeren Betrieben zu
schäftigten, der Arbeiter, deutlich höher als der finden sind als Arbeiter (Abbildung 2). Das liegt
Anteil der Angestellten mit 38,4 Prozent, liegt daran, dass größere Betriebe mehr Verwal-
damit aber unter dem in der Realität zu erwar- tungsaufgaben haben als kleinere und gleich-
tenden Anteil, der bei rund 70 Prozent liegt zeitig auch mehr Dienstleistungen einkaufen,
(Bosch/Hüttenhoff, 2022). Zum Zeitpunkt der wofür ebenfalls extra Personal benötigt wird.
Befragung waren 96,7 Prozent erwerbstätig, Mit der Beschäftigung der Nachunternehmen
1,6 Prozent arbeitslos, 0,4 Prozent verrentet sinkt der Bedarf an eigenen gewerblich Be-
und 1,3 Prozent machten dazu keine Angabe. schäftigten. Eine sehr hohe Anzahl Befragter
Da es uns um die Arbeitssituation der Baube- gibt an, in einem Betrieb mit Betriebsrat zu ar-
schäftigten geht, wurden die bereits verrente- beiten (65,8 Prozent), wobei entsprechend der
ten und diejenigen, deren Erwerbsstatus nicht Verteilung auf die Betriebsgröße, Angestellte 8
feststellbar war, von der weiteren Analyse aus- häufiger in einem Betrieb mit Betriebsrat tätig
geschlossen. Die Fallzahl, auf der die Auswer- sind als Arbeiter (71,4 Prozent vs. 62,5 Pro-
tungen für diesen Report basiert, beträgt somit zent). Der Anteil der Arbeiter, die Mitglied ei-
2987. Aufgrund des hohen Anteils Angestellter ner Gewerkschaft sind, liegt mit 95,8 Prozent
in unserer Stichprobe und der unterschiedli- um knapp 4 Prozentpunkte höher als bei den
Angestellten (91,9 Prozent).

_
2Der Frauenanteil im Baugewerbe insgesamt lag 2021 bei rund 3Im Jahr 2020 waren 72 Prozent der Beschäftigten in Betrieben
13 Prozent, im Bauhauptgewerbe sogar nur bei rund 10 Prozent mit 1-9 Mitarbeitern beschäftigt und nur 1,2 Prozent in Betrieben
(HDB/Kraus 2022). Im Vergleich dazu ist der Frauenanteil bei den mit 100 und mehr Beschäftigten (Statistisches Bundesamt zit. n.
Mitgliedern der IG BAU mit rund 28% im Jahr 2020 sehr viel hö- Bosch/Hüttenhoff 2022: 79).
her (Bosch/Hüttenhoff 2022). Der Frauenanteil in unserer Stich-
probe ist also im Vergleich zur Grundgesamt deutlich unterreprä-
sentiert.
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 2: Befragte nach Betriebsgröße

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
1-4 MA 5-9 MA 10-19 MA 20-49 MA 50-199 MA 200 + MA

Insgesamt Arbeiter Angestellte

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 2790.

Die Befragten sind gut ausgebildet. In der nissen eingruppiert werden sollen und dies ge-
Gruppe der Arbeiter gibt fast jeder Dritte mäß Paragraph 5 Absatz 2 BRTV auch schriftlich 9
(30,7%) an, Vorarbeiter oder Polier zu sein, festzuhalten ist (Bosch/Hüttenhoff 2022: 148).
mehr als jeder Zweite (52,2 Prozent) hat eine
In unserer Befragung gibt ein hoher Anteil der
Qualifikation zum Facharbeiter erworben, 5,7
Befragten an, nicht ausbildungsadäquat be-
Prozent sind Fachwerker und 3,5 Prozent Wer-
zahlt zu werden. Dabei liegt der Anteil bei den
ker. Immerhin 7,9 Prozent der Befragten fallen
Arbeitern mit 40,5 Prozent noch einmal deut-
in die Kategorie „Sonstiges“. Nach Lohngrup-
lich höher als bei den Angestellten (29,7 Pro-
pen 4 befragt, teilen sich die Befragten folgen-
zent).
dermaßen auf: In Lohngruppe 1 befinden sich
7,9 Prozent der Befragten, in Lohngruppe 2 und Der überwiegende Anteil der Befragten ist
2a 11,9 Prozent, in Lohngruppe 3 sind 18,4 Pro- schon längere Zeit im Bauberuf tätig, drei Vier-
zent eingestuft. 31,7 Prozent sind in Lohn- tel sogar länger als zehn Jahre, wobei der Anteil
gruppe 4, weitere 17 Prozent in Lohngruppe 5 der Arbeiter, die zehn Jahre oder länger im Be-
und in Lohngruppe 6 13,1 Prozent. Auch bei ruf stehen, mit knapp 80 Prozent deutlich hö-
den Angestellten sind die höheren Gehalts- her ist, als der Anteil der Angestellten mit rund
gruppen stärker besetzt als die unteren (A I 2,9 70 Prozent (Abbildung 3). Dabei waren 83 Pro-
Prozent, A II 6,0 Prozent, III:4,8 Prozent, IV: zent der Befragten durchgängig, das heißt ohne
11,4 Prozent, V: 10,4, VI: 11,7 Prozent, VII: 17,4 Unterbrechungen, im Baugewerbe tätig, wobei
Prozent, VIII: 23,7 Prozent, IX: 6,3 Prozent, X: sich Arbeiter und Angestellte in dieser Hinsicht
5,4 Prozent). Dabei gilt, dass Beschäftigte ge- kaum unterschieden (Arbeiter: 83,6 Prozent vs.
mäß ihrer Ausbildung, Fertigkeiten und Kennt- Angestellte: 84,7 Prozent).

_
4 Der Tarifvertrag für das Bauhauptgewerbe beschreibt die Ein- Dabei wird der Tariflohn in der Lohngruppe 4 (Spezialfacharbei-
stufungskriterien für sechs Lohngruppen, die von einfachen Bau- ter/Baumaschinenführer) als Ecklohn bezeichnet, der die Grund-
und Montagearbeiten ohne besondere Qualifikationsanforde- lage bei Tarifverhandlungen bildet. Auf seiner Basis werden mit
rungen (Lohngruppe 1) bis hin zu Führungstätigkeiten als Werk- prozentualen Auf- und Abschlägen die Tariflöhne der anderen
polier bzw. Baumaschinen-Fachmeister (Lohngruppe 6) reichen. Lohngruppen errechnet (siehe auch Bosch/Hüttenhoff 2022:
148).
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 3: Wann haben Sie das erste Mal einen Beruf im Baugewerbe ergriffen?

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
vor bis zu 1 Jahr vor 2-4 Jahren vor 5-10 Jahren vor über 10 Jahren

Insgesamt Arbeiter Angestellte

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 2754.


15,8 Prozent der Arbeiter und 14,5 Prozent der lich häufiger als Angestellte an, dass sie ihre Tä-
Angestellten berichteten dagegen, sie hätten tigkeit unterbrochen hätten, um in einer ande-
ihre Bautätigkeit zwischendurch unterbrochen. ren Branche zu arbeiten oder schon mal ar- 10
Nach den Gründen befragt, zeigen sich deutli- beitslos gewesen seien. Dagegen werden ge-
che Unterschiede zwischen Arbeitern und An- sundheitliche Gründe in etwa gleich häufig an-
gestellten (Abbildung 4). Arbeiter geben deut- gegeben, während Angestellte häufiger „an-
dere Gründe“ nennen.

Abbildung 4: Gründe für Unterbrechung der Bautätigkeit

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
in anderer Branche arbeitslos gesundheitliche andere Gründe keine Angabe
gearbeitet Gründe

Arbeiter Angestellte

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 412 (Mehrfachantworten möglich).


2022 | 06 IAQ-Report

4 Ergebnisse 4.1 Die subjektive Einschätzung der Ar-


beitsbedingungen im Baugewerbe
Im folgenden Abschnitt gehen wir auf die Er-
In unseren Fragen nach der Bewertung der Ar-
gebnisse unserer Befragung ein. Die Analysen
beitsbedingungen haben wir darauf geachtet,
erfolgten vor allem deskriptiv, vereinzelt wur-
sowohl mögliche positive als auch negative As-
den auch bivariate Auswertungsmethoden im
pekte der Bautätigkeit zu erfassen. Wir wollten
Sinne von t-tests oder Varianzanalysen vorge-
nicht nur wissen, was die Beschäftigten belas-
nommen. Diese Ergebnisse werden hier nicht
tet und was Unzufriedenheitsfaktoren sind,
detailliert dargestellt, sondern können per An-
sondern es ging uns auch darum, mehr darüber
frage von den Autor*innen erhalten werden.
erfahren, was die Beschäftigten an der Bauar-
Aufgrund der Tatsache, dass sich die Arbeitsre-
beit reizt und was sie gegebenenfalls in der
alitäten von Beschäftigten „auf dem Bau“ und
Branche hält.
denen „im Büro“ deutlich unterscheiden, ha-
ben wir die Analysen für beide Beschäftigten- Auf einer zehnstufigen Skala gibt fast jeder
gruppen getrennt durchgeführt. Im Zentrum zehnte (9,6 Prozent) Befragte an, sehr oder zu-
unserer Auswertung stand zunächst die subjek- mindest eher unzufrieden mit den Arbeitsbe-
tive Einschätzung von Arbeitsbedingungen so- dingungen zu sein. Weniger als jeder Dritte
wie die Zufriedenheit der Befragten mit den Ar- (29,9 Prozent) ist dagegen sehr oder zumindest
beitszeiten oder dem Gehalt. In einem weite- eher zufrieden mit den Arbeitsbedingungen.
ren Auswertungsstrang haben wir uns mit der Dabei macht es einen großen Unterschied, ob
Wechselneigung und ihren Gründen beschäf- die Befragten Arbeiter oder Angestellte sind.
tigt. Drittens versuchen wir aufzuzeigen, was Wie Abbildung 5 zeigt, sind Arbeiter im Ver-
die Betriebe dafür tun können, um ihre Mitar- gleich zu Angestellten deutlich unzufriedener
beiter*innen zu halten. mit ihren Arbeitsbedingungen als Angestellte.

Abbildung 5: Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen allgemein 11

70,0%

60,0%

50,0%

40,0%

30,0%

20,0%

10,0%

0,0%
(sehr) unzufrieden) teils/teils (sehr) zufrieden

Arbeiter Angestellter

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 2379.

Unsere Analyse der Bewertung von Einzelas- zung, die Arbeit im Baugewerbe sei abwechs-
pekten der Bautätigkeit zeigt, dass der Baube- lungsreich (81 Prozent) und dass die im Bauge-
ruf aus Sicht der Beschäftigten sowohl Licht als werbe übliche Teamarbeit gefalle (79 Prozent).
auch Schatten aufweist (Abbildung 6). Auf der Weniger einig sind sich die Befragten in der Be-
Plusseite der Bautätigkeit steht die Einschät- wertung der Aussage, „das Arbeiten mit ver-
schiedenen Gewerken gefalle gut“; aber auch
2022 | 06 IAQ-Report

hier stimmen noch immerhin rund zwei Drittel Angestellte schätzen die Bautätigkeit insge-
der befragten Arbeiter zu. 60 Prozent gaben an, samt positiver ein als Arbeiter es tun. Die
in ihrer Tätigkeit selbständige Entscheidungen höchsten Zustimmungswerte von Angestellten
treffen zu können, deutlich mehr als jeder erhält die Aussage, die Arbeit im Baugewerbe
Zweite ist der Auffassung, er könne ständig et- sei abwechslungsreich, gefolgt von der Aus-
was Neues lernen. In Anbetracht der Tatsache, sage, das Arbeiten im Team gefalle. Gleiche
dass die Bautätigkeit an wechselnden Standor- Einschätzungen von Arbeitern und Angestell-
ten stattfindet, ist es bemerkenswert, dass nur ten erhalten die Aussagen, der Fachkräfteman-
57 Prozent angeben, das Arbeiten an wechseln- gel sei bereits spürbar und die Arbeit habe sich
den Orten gefalle. in den letzten Jahren verdichtet. Angestellte
schätzen aber das Arbeiten mit verschiedenen
Etwas mehr als jeder Zweite (52 Prozent)
Gewerken deutlich positiver ein als Arbeiter,
stimmt der Auffassung zu, die Arbeit habe sich
sie sind eher der Ansicht, sie könnten selbstän-
durch neue Technologien verdichtet. Nur jeder
dig Entscheidungen treffen oder etwas Neues
Zweite berichtet von einem guten Betriebs-
lernen. Auch sie bewerten ihre körperliche Be-
klima in seinem Betrieb. Noch geringer werden
lastung als hoch, aber deutlich seltener als ihre
die Zustimmungswerte in der Einschätzung der
gewerblichen Kollegen. Im Gegensatz dazu lei-
Arbeitszeiten und des Gehalts. Deutlich weni-
den Angestellte eher als Arbeiter unter der Ver-
ger als jeder Zweite ist der Meinung, die Ar-
dichtung der Arbeit durch die Einführung neuer
beitszeiten passten gut zum eigenen Leben,
Technologien. Gleichwohl sehen sie in der Digi-
und noch weniger stimmen der Aussage zu, die
talisierung eher eine Chance als Arbeiter. Ange-
Arbeit sei gut bezahlt. Nur die Aussage, in der
stellte schätzen das Betriebsklima besser ein
Digitalisierung liege eine Chance für den Bau,
als Arbeiter. Auch wenn sie ihre Arbeitszeiten
erhält noch weniger Zustimmung von Arbei-
und ihre Bezahlung im Durchschnitt als
tern.
schlecht betrachten, ist die Bewertung doch
besser als bei den Arbeitern. 12
Abbildung 6: Einschätzung von unterschiedlichen Aspekten der Bautätigkeit von Arbeitern und Angestellten im
Baugewerbe

90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%

Arbeiter Angestellter

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n körperliche Belastung = 2291, n Fachkräftemangel spürbar = 2251,
n abwechslungsreich = 2368 n Arbeitsbelastung stärker = 2289, n Arbeiten im Team = 2325, n Arbeiten in Gewerken = 2314, n selbständig
entscheiden = 2333, n Neues lernen = 2288, n wechselnde Orte = 2270, n Verdichtung = 2250, n Betriebsklima = 2287,
n Arbeitszeiten = 2302, n Bezahlung = 2312, n Digitalisierung = 2238.
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 7: Zufriedenheitseinschätzungen mit Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Bezahlung von


Arbeitern und Angestellten im Baugewerbe

10,0
9,0
8,0
7,0
6,0
5,0
4,0
3,0
2,0
1,0
0,0
Zufriedenheit mit den Zufriedenheit mit Arbeitszeiten Zufriedenheit mit Bezahlung
Arbeitsbedingungen

Insgesamt Arbeiter Angestellte

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Arbeitsbedingungen = 2374, n Arbeitszeiten = 2433, n Bezahlung = 2564.

Vor dem Hintergrund der schlechten Bewer- schlechter ein als Angestellte (Abbildung 7).
tung von Arbeitszeiten und Bezahlung haben Auch die Zufriedenheit mit der Bezahlung ist
wir uns im Folgenden noch einmal stärker mit nur gering ausgeprägt (M = 6,0), und auch hier 13
beiden Aspekten befasst und uns die Zufrie- sind Arbeiter deutlich unzufriedener als Ange-
denheit mit Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten stellte.
und der Bezahlung angeschaut (Abbildung 7).
Bei der Gruppe der Arbeiter ist im Gegensatz zu
Insgesamt ist die Zufriedenheit mit der Arbeits- den Angestellten, bei denen der Fragebogen
zeit in der Baubranche nicht sehr hoch ausge- diese Unterscheidung nicht hergibt, eine wei-
prägt: Auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) tere Aufschlüsselung in Tätigkeitsgruppen
bis 10 (sehr zufrieden) wird die Vereinbarkeit möglich. Wie Abbildung 8 zeigt, sind die Be-
der Arbeitszeiten mit den privaten Verpflich- schäftigten in den unteren Lohngruppen am
tungen nur mit 5,4 bewertet. Dabei schätzen wenigsten mit ihren Arbeitsbedingungen, ihrer
Arbeiter die Passung ihrer Arbeitszeit zu den Bezahlung und ihren Arbeitszeiten zufrieden.
privaten Anforderungen noch einmal deutlich
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 8: Zufriedenheitseinschätzungen von Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Arbeitszeiten nach


Qualifikation

7,0

6,0

5,0

4,0

3,0

2,0

1,0

0,0
Zufriedenheit Arbeitsbedingungen Zufriedenheit Bezahlung Zufriedenheit Arbeitszeiten

Werker Fachwerker Facharbeiter Vorarbeiter / Polier

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Arbeitsbedingungen = 1310, n Bezahlung = 1408 , n Arbeitszeiten = 1347.

5 Wer will bleiben, wer will wech- 14


seln?
mehr als jeder zehnte Arbeiter einen Job au-
Trotz der Positivauswahl in unserer Stichprobe ßerhalb der Branche suchen, während Ange-
kann sich fast jeder vierte Befragte in näherer stellte etwas häufiger innerhalb der Branche
Zukunft einen Wechsel vorstellen. Dabei will wechseln wollen (Abbildung 9).

Abbildung 9: Wechselwunsch von Baubeschäftigten

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
kein Wechselwunsch innerhalb Branche außerhalb Branche

Arbeiter Angestellte

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 2155.


2022 | 06 IAQ-Report

Beschäftigte mit Wechselwunsch sind im Mittel von Facharbeitern (27 Prozent) und Vorarbei-
deutlich jünger als Beschäftige, die weiterhin in tern (17 Prozent) liegen deutlich darunter
ihrem Betrieb bleiben wollen (Arbeiter: 45,8 (ohne Abbildung). Es sind also vergleichsweise
Jahre vs. 38,5 Jahre, Angestellte: 44,6 Jahre vs. junge, gut ausgebildete Kräfte, die mit den „Fü-
37,2 Jahre). Hinzu kommt, dass die Mehrheit ßen abstimmen“ und den Arbeitgeber wech-
der Wechselwilligen gut ausgebildet ist: Drei seln wollen, wenn sie mit den Arbeits- oder Be-
Viertel der Wechselwilligen haben eine Fachar- schäftigungsbedingungen nicht zufrieden sind.
beiterausbildung oder sogar eine Aufstiegsfort- Für die Branche besonders problematisch sind
bildung abgeschlossen (Abbildung 10). Inner- die Wechselwünsche in andere Branchen und
halb der Qualifikationsgruppen äußern vor al- der damit verbundene hohe Verlust an über die
lem die Werker (60 Prozent) und Fachwerker Ausbildungsumlage gemeinschaftlich finanzier-
(39 Prozent) eine Wechselabsicht. Die Werte ten Ausbildungsinvestitionen.

Abbildung 10: Wechselwunsch nach Qualifikation

60%

50%

40%

30%

15
20%

10%

0%
Sonstige Werker Fachwerker Facharbeiter Vorarbeiter/Polier

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 1288.

Was sind die Ursachen für einen Wechsel- Arbeitgebers in Betracht zu ziehen, sind deut-
wunsch? Für komplexe multivariate Verfahren lich und signifikant (p < .001) 5 unzufriedener
ist die Anzahl der Wechselwilligen in unserer mit den allgemeinen Arbeitsbedingungen und
Stichprobe zu gering. Die bivariate Analyse gibt der Bezahlung und geben häufiger an, die Ar-
uns jedoch einige Anhaltspunkte: Arbeiter und beitszeiten passten nicht zu ihrem Leben (Ab-
Angestellte, die angeben, einen Wechsel des bildung 11).

_
5 Die kompletten Analysen sind von den Autor*innen auf Nach-
frage zu erhalten.
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 11: Arbeiter: Zufriedenheit mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingung und Wechselwunsch

8,0

7,0

6,0

5,0

4,0

3,0

2,0

1,0

0,0
Zufriedenheit Arbeitsbedingungen Zufriedenheit Arbeitszeit Zufriedenheit Bezahlung

Arbeiter Wechsel: nein Arbeiter Wechsel: ja

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Arbeitsbedingungen = 1192, n Arbeitszeit = 1179, n Bezahlung = 1226.

Abbildung 12: Angestellte: Zufriedenheit mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingung und Wechselwunsch

8,0

7,0 16

6,0

5,0

4,0

3,0

2,0

1,0

0,0
Zufriedenheit Arbeitsbedingungen Zufriedenheit Arbeitszeit Zufriedenheit Bezahlung

Angestellter Wechsel: nein Angestellter Wechsel: ja

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Arbeitsbedingungen = 756, n Arbeitszeiten = 771, n Bezahlung = 808.

Es sind aber nicht „nur“ subjektive Zufrieden- unter den derzeitigen Anforderungen Ihre jet-
heitseinschätzungen, die dazu führen, auf der zige Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben
Suche nach besseren Bedingungen den Arbeit- können?“ Die Antwort fällt unter den gewerb-
geber zu wechseln oder gar die Branche zu ver- lichen Beschäftigten im Baugewerbe eindeutig
lassen. Angesichts der hohen körperlichen Be- aus: 79,4 Prozent der befragten Arbeiter kön-
lastungen haben wir die Baubeschäftigten ge- nen sich nicht vorstellen, ihre Tätigkeit bis zum
fragt: „Wenn Sie an Ihre Arbeit und Ihren Ge- Eintritt der gesetzlichen Rente durchzuhalten.
sundheitszustand denken: Meinen Sie, dass Sie Insbesondere in den Beschäftigtengruppen der
Fachwerker (89 Prozent) und Facharbeiter
2022 | 06 IAQ-Report

(84,8 Prozent) ist die überwältigende Mehrheit ausgeglichen werden, um attraktiv für die Be-
nicht der Ansicht, bis zur Rente im Job verblei- schäftigten zu bleiben. Wir konnten oben zei-
ben zu können. gen, dass die Bautätigkeit im Dreiklang von
schwerer körperliche Arbeit, nicht zum Leben
Dass die körperliche Belastung diesbezüglich
passenden Arbeitszeiten und Unzufriedenheit
eine Schlüsselvariable darstellt, wird deutlich,
mit der Bezahlung stattfindet. Aber nur jeder
wenn man die Antworten der Angestellten im
zweite Arbeiter und 57 Prozent der Angestell-
Vergleich hinzuzieht, bei denen immerhin et-
ten stimmten der Aussage zu, das Betriebs-
was mehr als jeder Zweite (51,7 Prozent) er-
klima sei gut. Damit ist die Einschätzung des Be-
wartet, die aktuelle Tätigkeit bis zur Rente
triebsklimas in unserer Studie schlechter als
durchhalten zu können. Arbeiter und Ange-
z.B. im DGB-Index Gute Arbeit (2021a). Das ist
stellte, die glauben, die aktuelle Tätigkeit nicht
deshalb von Bedeutung, weil Studien zeigen,
bis zur Rente durchhalten zu können, sind
dass das Betriebsklima, operationalisiert als
deutlich jünger als diejenigen, die meinen, es
Unterstützung von Vorgesetzten, eine wichtige
bis zum gesetzlichen Rentenalter zu schaffen
Rolle bei der Entscheidung spielt, den Arbeitge-
(Arbeiter: nein: 43,1 Jahre vs. ja: 51,7 Jahre; An-
ber wechseln zu wollen (v.d. Heijden et al.
gestellte: nein: 40,7 Jahre vs. ja: 46,9 Jahre).
2010). Vor diesem Hintergrund haben wir ana-
Ganz offensichtlich führen die schweren Ar-
lysiert, inwieweit die Einschätzung des Be-
beits- und Beschäftigungsbedingungen zu einer
triebsklimas mit dem aktuellen Wechsel-
frühen Selbstselektion. Wer meint, die Arbeit
wunsch von Baubeschäftigten zusammen-
nicht bis zur Rente durchhalten zu können, ver-
hängt. Wie Abbildung 13 zeigt, ist zumindest
lässt die Baubranche oft frühzeitig.
bivariat ein deutlicher Zusammenhang erkenn-
Wir haben auch gefragt, welches Rentenein- bar: Rund 73 Prozent der Arbeiter und sogar 77
trittsalter von den Beschäftigten als realistisch Prozent der Angestellten, die der Aussage, das
eingestuft wird. Die Angaben mit durchschnitt- Betriebsklima sei gut, nicht zustimmten, äußer-
lich 60,7 Jahren bei den Arbeitern und 61,7 Jah- ten gleichzeitig, in nächster Zeit den Arbeitge- 17
ren bei den Angestellten liegen beträchtlich un- ber wechseln zu wollen. Umgekehrt ziehen nur
ter dem gesetzlichen Renteneinstiegsalter von rund 12 Prozent der Arbeiter und 16 Prozent
derzeit 67 Jahren (für die ab 1964 Geborenen). der Angestellten, die das Betriebsklima als gut
Beschäftigte mit Wechselwünschen halten da- einschätzen, einen Wechsel des Arbeitgebers
bei ein geringeres Renteneintrittsalter für an- in Betracht. In einer Situation des Fachkräfte-
gemessener als Beschäftigte, die bei in ihrem mangels kann ein schlechtes Betriebsklima
Betrieb bleiben möchten (Arbeiter mit Bleibe- schnell zu einer „Abstimmung mit den Füßen“
wunsch 61 Jahre vs. Arbeiter mit Wechselab- führen. Beschäftigte bemühen sich nicht
sicht: 59,6 Jahre; Angestellte mit Bleibewunsch (mehr) um eine Verbesserung des Arbeitskli-
62,1 Jahre vs. Angestellte mit Wechselwunsch: mas vor Ort, sondern wechseln einfach den Ar-
60,6 Jahre). beitgeber. Diese Sichtweise wird in einer Un-
tersuchung der SOKA-BAU (2018) bestätigt, in
5.1 Welche Rolle spielt der Betrieb für der sowohl Arbeitgeber als auch gewerbliche
den Wechselwunsch? Arbeitnehmer angeben, die Verbesserung der
Kommunikation sowie die Schaffung eines gu-
Bei hohem Fachkräftemangel sollten hohe Ar- ten Betriebsklimas stelle eine wirksame Maß-
beitsbelastungen in einem Tätigkeitsfeld durch nahme zur Verhinderung von Abwanderung
positive Arbeitsbedingungen an anderer Stelle dar.
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 13: Wechselwunsch in Abhängigkeit des Betriebsklimas

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
Betriebsklima ist gut teils/teils Betriebsklima ist nicht gut

Wechselwunsch: ja Arbeiter Wechselwunsch: ja Angestellter

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n = 495.

Nicht nur sogenannte „weiche“ betriebliche oder Angestellte sind, die Effekte sind sehr ähn-
Faktoren prägen die Wechselstimmung der Be- lich ausgeprägt. Beschäftigte mit Wechselab-
fragten. Beschäftigte nehmen deutlich wahr, sicht schätzen ihren Betrieb signifikant schlech-
wie ihr Betrieb für die Zukunft aufgestellt ist ter ein in Bezug auf die Aktualität der techni- 18
und diese Einschätzung kann sich auf die Wech- schen Ausstattung, der ausreichenden Qualifi-
selneigung auswirken. Beschäftigte mit Wech- kation der Mitarbeiter, bei der Einführung
selwunsch schätzen ihren Betrieb als schlech- technischer Neuerungen und der Nachwuchs-
ter für die Zukunft gerüstet ein als Beschäftigte, förderung. Wenngleich die Digitalisierung, wie
die noch länger im Betrieb bleiben wollen. (vgl. oben gezeigt, insgesamt eher wenig positiv ein-
Abbildung 14 und Abbildung 15). Oder anders geschätzt wird, spielt sie doch für die Wechsel-
formuliert: Betriebe, die schlechter für die Zu- absicht eine Rolle: Beschäftigte, die ihrem Be-
kunft gerüstet scheinen, haben größere Prob- trieb bescheinigen, die Prozesse digitalisiert zu
leme, ihre Mitarbeiter zu halten, als diejenigen, haben, zeigen eine geringe Wechselneigung als
die besser aufgestellt sind. Dabei spielt es keine Beschäftigte, die ihren Betrieb als weniger digi-
besondere Rolle, ob die Beschäftigten Arbeiter talisiert wahrnehmen.
2022 | 06 IAQ-Report

Abbildung 14: Einschätzung der Zukunftsfähigkeit des eigenen Betriebs (Arbeiter)

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
technische Ausstattung auf technischen Neuerungen: Nachwuchsförderung ist Prozesse sind digitalisiert
dem neuesten Stand alle MA qualifiziert aussreichend

Kein Wechselwunsch Wechselwunsch

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Ausstattung =1263, n Neuerungen = 1240, n Nachwuchsförderung = 1234,
n Prozesse = 1226; alle Unterschiede signifikant (p < .001)

Abbildung 15: Einschätzung der Zukunftsfähigkeit des eigenen Betriebs (Angestellte)


19
5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
technische Ausstattung auf technischen Neuerungen: Nachwuchsförderung ist Prozesse sind digitalisiert
dem neuesten Stand alle MA qualifiziert aussreichend

Kein Wechselwunsch Wechselwunsch

Quelle: IAQ/ IG BAU Beschäftigtenbefragung 2019, n Ausstattung =779, n Neuerungen = 759, n Nachwuchsförderung = 758,
n Prozesse = 757; alle Unterschiede signifikant (p < .001).
2022 | 06 IAQ-Report

6 Zusammenfassung und Fazit ist, um qualitativ hochwertige Arbeit zu liefern.


Der Ausstieg aus dem Mindestlohn lässt be-
fürchten, dass der Druck auf die Löhne steigen
Arbeiten im Bau ist und bleibt wahrscheinlich
wird, was die Attraktivität der Baubranche ins-
auch in naher Zukunft, trotz zugenommener
besondere für gut ausgebildete Beschäftigte o-
Technisierung, eine körperlich anstrengende
der hoch motivierte Auszubildende weiter
Arbeit in „wandernden Fabriken“ und mit sai-
schmälern wird. Aufmerksam muss auch beo-
sonal bedingten Schwankungen in den Be-
bachtet werden, welche Auswirkungen die im
schäftigungsverhältnissen. Dadurch unter-
Koalitionsvertrag festgehaltene Möglichkeit,
scheidet sich die Bautätigkeit bereits deutlich
die Arbeitszeiten weiter zu flexibilisieren, auf
von anderen Tätigkeiten z.B. im Verarbeiten-
die Baubranche und die Arbeit der Baubeschäf-
den Gewerbe. Hinzu kommt, dass die Bezah-
tigten hat. Die dort angeführte Verkürzung von
lung insbesondere der gewerblichen Baube-
Ruhezeiten und die Ausweitung der Höchstar-
schäftigten häufig nicht ausbildungsadäquat
beitszeit würde die Arbeitsbedingungen weiter
ist. Tatsächlich kommt eine Befragung der
verschlechtern. In der Summe könnte das die
SOKA-BAU von vormals Baubeschäftigten, die
Wahrscheinlichkeit für einen Exodus aus der
die Branche verlassen haben, zu dem Ergebnis,
Branche erhöhen.
eine bessere Bezahlung sei eine der wirksams-
ten Maßnahmen, um Abwanderung der drin- Dabei zeigt unsere Studie auch, dass die Be-
gend benötigten Fachkräfte zu vermeiden. Um triebe nicht chancenlos sind beim Wettbewerb
mehr über die konkrete Arbeitssituation Bau- um gute Arbeitskräfte und es bis zu einem ge-
beschäftigter zu erfahren, haben wir im De- wissen Grad auch selbst in der Hand haben, ob
zember 2019 eine nicht repräsentative Online- sie Beschäftigte halten können. Beschäftigte,
Mitgliederbefragung der IG BAU durchgeführt, die ihren Betrieb als für die Zukunft gut aufge-
in der wir um die Einschätzung von positiven stellt sehen, zeigen eine signifikant geringere
und negativen Aspekten der Bautätigkeit gebe- Wechselneigung, als Beschäftigte, die diese
20
ten haben, die Zufriedenheit mit den Arbeits- Einschätzung nicht teilen.
bedingungen erhoben und die Neigung, den
Arbeitgeber zu wechseln, erfasst haben.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Bauberuf
bei Arbeitern und Angestellten als abwechs-
lungsreich und lernförderlich gilt, zudem ist der
Anteil an Entscheidungsautonomie hoch. Die
gleichen Befragten stimmen aber auch der Aus-
sage zu, die Arbeit sei körperlich belastend und
die Arbeitsbelastung sei in den letzten Jahren
gestiegen. Mehr als jeder Zweite beklagt zu-
dem eine Verdichtung der Arbeit durch die Ein-
führung neuer Technologien. Gleichzeitig sind
insbesondere die gewerblichen Baubeschäftig-
ten unzufrieden mit der Arbeitszeit, den Ar-
beitsbedingungen insgesamt und nicht zuletzt
mit der Bezahlung. Nicht verwunderlich ist,
dass die Unzufriedenheit besonders bei den
Beschäftigten ausgeprägt ist, die vorhaben,
den Arbeitgeber oder sogar die Branche zu
wechseln.
Vor dem Hintergrund des aktuellen und in der
Zukunft erwartbar noch weiter zunehmenden
Fachkräftemangels sind das schlechte Aussich-
ten für die eigentlich auftragsmäßig gut aufge-
stellte Branche, die auf Fachkräfte angewiesen
2022 | 06 IAQ-Report

Literaturverzeichnis

BIBB/BAuA. 2014. Arbeitsbedingungen am Bau – Immer noch schwere körperliche Arbeit trotz techni-
schen Fortschritts. Factsheet 11. BIBB/BAuA 2012. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publika-
tionen/Fakten/BIBB-BAuA-11.pdf?__blob=publicationFile&v=6. Zugegriffen: 13. Dez. 2021.
Bosch, Gerhard. 2020. Wirkungen und Kontrolle des Mindestlohns für qualifizierte Beschäftigte im
deutschen Bauhauptgewerbe. Gutachten im Auftrag der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Um-
welt (IG BAU). Duisburg: Institut Arbeit und Qualifikation, IAQ-Forschung 2020-03. Mehr
Bosch, Gerhard, Claudia Weinkopf, und Georg Worthmann. 2011. Die Fragilität des Tarifsystems: Ein-
haltung von Entgeltstandards und Mindestlöhnen am Beispiel des Bauhauptgewerbes, Berlin.
Brussig, Martin, und Manuela Schwarzkopf. 2014. Altersübergänge in der Bauwirtschaft gestalten: Pre-
karisierung vermeiden – Erwerbsbeteiligung stärken. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. Arbeits-
papier, Arbeit und Soziales 291.
Bosch, Gerhard, und Frederic Hüttenhoff. 2022. Der Bauarbeitsmarkt. Soziologie und Ökonomie einer
Branche. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Frankfurt: Campus.
BWI-Bau (Hrsg.). 2013. Ökonomie des Bauarbeitsmarktes. Grundlagen und Handlungsoptionen: Zwi-
schen Leistungsversprecher und Produktanbieter. Wiesbaden: Springer Vieweg.
DGB-Index Gute Arbeit. 2021a. Jahresbericht 2021. Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung zum DGB-
Index Gute Arbeit 2021. Themenschwerpunkt: Unter erschwerten Bedingungen – Corona und die
Arbeitswelt. Berlin.
DGB-Index Gute Arbeit. 2021b. Gute Arbeit im Handwerk. Wie bewerten die Beschäftigten ihre Ar- 21
beitsbedingungen? DGB-Index Gute Arbeit Kompakt 02/2021.
DGB-Index Gute Arbeit. 2020. Fachkräfteengpass am Bau. Welche Rolle spielen die Arbeitsbedingun-
gen? DGB-Index Gute Arbeit Kompakt 02/2020.
DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung). 2022. Meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1.000 Vollar-
beiter nach Bereich und Berufsgenossenschaft. Berlin. https://www.dguv.de/de/zahlen-fak-
ten/au-wu-geschehen/au-1000-vollarbeiter/index.jsp (Zugegriffen: 02. Jun. 2022).
HDB (Hauptverband der deutschen Bauindustrie). 2022. Ausbildung in der Bauwirtschaft: Mehr Ren-
ten- als Neuzugänge. https://www.bauindustrie.de/zahlen-fakten/bauwirtschaft-im-zahlen-
bild/ausbildung-in-der-bauwirtschaft (zugegriffen am 02. Jun. 2022).
HDB (Hauptverband der deutschen Bauindustrie), und Petra Kraus. 2022. Frauen am Bau. Eine statis-
tische Analyse. Präsentation vom 03.03.2022 https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindust-
rie.de/Media/Pressemitteilungen/220303_Frauen_am_Bau.pdf (zugegriffen am 14.06.2022).
Heijden, Beatrice I.J.M. van der, Angelika Kümmerling, Karen van Dam, Ellen van der Schoot, Madeleine
Estryn-Béhar, und Hans-Martin Hasselhorn 2010. The impact of social support upon intention to
leave among female nurses in Europe: Secondary analysis of data from the NEXT survey. Interna-
tional Journal of Nursing Studies 47 (4): 434–445.
Przybylo, Jakob. 2015. BIM – Einstieg kompakt: Die wichtigsten BIM-Prinzipien in Projekt und Unter-
nehmen. Berlin: Beuth-Pocket.
SOKA-BAU. 2018. FAXit (Facharbeiter-Exit). Studie zur Abwanderung von Fachkräften aus der Bauwirt-
schaft.-Präsentation auf der FAXit Bldungsstättenleiter-Tagung am 15.11.2018.
Streck, Stefanie. 2010. Leitbild Bau – Zur Zukunft des Planens und Bauens in Deutschland. Bauingeni-
eur, Bd. 85: 53–60. Düsseldorf: Springer VDI Verlag.
2022 | 06 IAQ-Report

Statistisches Bundesamt. 2021a. Produzierendes Gewerbe. Tätige Personen und Umsatz der Betriebe
im Baugewerbe. Fachserie 4 Reihe 5.1. https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unter-
nehmen/Bauen/Publikationen/Downloads-Baugewerbe-Struktur/personen-umsatz-bauge-
werbe-2040510217004.pdf?__blob=publicationFile (zugegriffen am 02. Jun. 2022).
Statistisches Bundesamt. 2021b. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Inlandsproduktberechnung.
Detaillierte Jahresergebnisse. Fachserie 18, Reihe 1.4. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
Schütt, Bernd. 2000. Wirtschaftliche Ordnungsfunktion der Sozialpartner am Bau in historischer und
aktueller Sicht. In Arbeitsmarkt und erfolgsorientiertes Personalmanagement am Bau, Hrsg. Ma-
yrzedt, Hans, 12–35. Düsseldorf: Werner.

22
2022 | 06 IAQ-Report

Autorinnen und Autoren

Dr. Angelika Kümmerling


Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Arbeitszeit und Arbeitsorganisation (AZAO)
Mail: angelika.kuemmerling@uni-due.de
Telefon: +49 203 37 91825

Prof. Dr. Gerhard Bosch


Research Fellow Flexibilität und Sicherheit (FLEX)
und Senior Professor der UDE
Mail: gerhard.bosch@uni-due.de
Telefon: +49 203 37 91339

Frederic Hüttenhoff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Flexibilität und Sicherheit (FLEX)
Mail: frederic.huettenhoff@uni-due.de 23
Telefon: +49 203 37 92683

Dr. Claudia Weinkopf


Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Flexibilität und Sicherheit (FLEX)
Mail: claudia.weinkopf@uni-due.de
Telefon: +49 203 37 91353
2022 | 06 IAQ-Report

IAQ-Report 2022 | 06
24
Redaktionsschluss: 15.06.2022

Institut Arbeit und Qualifikation


Fakultät für Gesellschaftswissenschaften
Universität Duisburg-Essen
47048 Duisburg

IAQ-Reports: Redaktion:
https://www.uni-due.de/iaq/reihen.php Claudia Braczko
claudia.braczko@uni-due.de
Über das Erscheinen des IAQ-Reports informieren wir
über eine Mailingliste: Thomas Haipeter
https://www.uni-due.de/iaq/newsletter.php thomas.haipeter@uni-due.de

Der IAQ-Report (ISSN 1864-0486) erscheint seit 2007 IAQ im Internet


in unregelmäßiger Folge als ausschließlich elektroni- https://www.uni-due.de/iaq/
sche Publikation. Der Bezug ist kostenlos.
Dieser Text wird via DuEPublico, dem Dokumenten- und Publikationsserver der Universität
Duisburg-Essen, zur Verfügung gestellt. Die hier veröffentlichte Version der E-Publikation
kann von einer eventuell ebenfalls veröffentlichten Verlagsversion abweichen.

DOI: 10.17185/duepublico/76127
URN: urn:nbn:de:hbz:465-20220622-135121-5

Alle Rechte vorbehalten.

Das könnte Ihnen auch gefallen