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Die Denkströmung der Romantik wird charakterisiert durch die bewussten Ablehnung
gesellschaftlicher Entwicklungen ihrer Zeit und konnte die Form einer Flucht vor der
Wirklichkeit annehmen. Die Weltflucht der Romantiker konnte auf unterschiedlichen
Wegen geschehen: Zum einen konnte es sich dabei um die vielzitierte „Rückkehr zu
Natur“ handeln, die man als Gegenpol zum als unnatürlich oder sogar lebensfeindlich
empfunden Dasein in den Städten wahrnahm bzw. entsprechend idealisierte.
Die romantische Weltflucht konnte zum anderen in Form einer imaginierten Rückkehr
in die Vergangenheit geschehen: In Einzelfällen konnte es sich dabei um die Antike
handeln, ein viel bestimmenderer Bezugspunkt war allerdings das Mittelalter, das nach
Jahrhunderten der Geringschätzung nun regelrecht verklärt wird. Hierin unterscheidet
sich die Romantik klar von den ihr vorangegangenen Literaturepochen der Frühen
Neuzeit. Die Hinwendung zu anderen, oft fernen Kulturen, wie etwa der chinesischen
und der arabischen, kann als Spielart dieser Tendenz gelten.
Besonders innovativ und in der Literaturgeschichte in diesem Ausmaß ohne Beispiel ist
allerdings der Rückzug in Phantasie- und Traumwelten, innerhalb derer das
Individuum nicht nur, wie schon in der weltzugewandten Klassik, zum Mittelpunkt,
sondern zum alleinigen und unbegrenzt machtvollen Maßstab wird. Insbesondere der
Schlafzustand sowie der Traum werden als Möglichkeiten verstanden, den dunklen
Bereichen der Seele auf den Grund zu gehen.
Konkrete Motive der Romantik sind der Tod, der in Gestalt unterschiedlichster
Metaphern auftaucht, die Vergänglichkeit, das Geheimnisvolle und Obskure, die nicht
äußerlichen sichtbaren Geisteswelten und weitere nicht alltägliche Phänomene, welche
im Nachtmotiv ihr ästhetisches Zentrum finden.
Politische Inhalte
Die Epoche der Romantik überschnitt sich in vielen europäischen Nationen mit dem
Erwachen eines Nationalismus. Insbesondere in Deutschland und Polen wurde sie von
ihren Vertretern als Mittel genutzt, nationalstaatliche Vereinigung bzw.
Unabhängigkeit zu popularisieren.
Novalis
E. T. A. Hoffman
Joseph von Eichendorff
„Die Ballade vom alten Seemann“ (1798) von Samuel Taylor Coleridge
Hymnen an die Nacht (1800) von Novalis
Der Sandmann (1816) von E. T. A. Hoffmann
5. Weltanschauung der Romantik
In ihrem Ursprung ist die Romantik eine Gegenbewegung sowohl zur ihr
vorangegangenen Epoche der Aufklärung und Klassik, als auch zu ihrer eigenen, die
Phase der Frühindustrialisierung berührenden Gegenwart. Bedeutende
zeitgeschichtliche Hintergründe der Romantik sind die Französische Revolution, die
Napoleonischen Kriege sowie die von England aus ihren Lauf nehmende industrielle
Revolution. Obschon mit gewissen Ähnlichkeiten zum Barock, ist die Romantik auf
ihre eigene Weise innovativ, da sie bestimmte ästhetische Errungenschaften der
Klassik nicht rundheraus ablehnt (oder zumindest sehr viel weniger, als Romantiker
selbst von sich behaupteten) und den Fokus weg von der nach außen gewandten
herrschaftlichen Geltungssucht des Barock, hin zum den Innenwelten des Individuums
verlegt. Die moderne Lebensumwelt des Dichters wird in zunehmendem Maße als
feindselig wahrgenommen: rapide wachsende, schmutzige und laute Städte, sich noch
verstärkende Klassenunterschiede und politische Turbolenzen lassen die Romantiker
nach Möglichkeiten suchen, dieser Welt, wennschon nicht physisch, so doch zumindest
im Geiste zu entfliehen.
"Poesie der Wirklichkeit, die nackten Stellen des Lebens überblumend […] durch
Ausmalung der Stimmung und Beleuchtung des Gewöhnlichsten im Leben mit dem
Lichte der Idee." (Otto Ludwig über den Realismus)
3. Zeitgeschichtliche Einordnung
Die Epoche des Realismus umfasst in der deutschen Literaturgeschichte den Zeitraum
von 1848 bis 1890. Damit folgt sie der gefühlsbetonten Epoche der Romantik (1795–
1848) und geht dem Naturalismus (1880–1900) voraus. Zudem löst der
Realismus den Vormärz (1815–1848) und den Biedermeier (1814/15–1848) ab.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es auf gesellschaftlicher,
wirtschaftlicher und technischer Ebene viele Entwicklungen, die die Lebenswelt
der Menschen stark veränderten. Diese waren vor allem von der Märzrevolution von
1848 geprägt, die eine Demokratisierung der politischen Herrschaftssysteme, die
Schaffung von Nationalstaaten und eine Neuordnung der Sozialverfassungen gefordert
hatte. Da die Revolution jedoch gescheitert war und das politische Mitspracherecht, das
sich die Bevölkerung erhofft hatte, ausblieb, musste die Rolle des Einzelnen neu
definiert werden. Wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse, wie das
christliche Weltbild oder die Ständegesellschaft, wurden infrage gestellt. Zudem
veränderte die fortschreitende Industrialisierung die Arbeitswelt.
Wichtige Veränderungen im 19. Jahrhundert:
Industrialisierung
Arbeitslosigkeit
Verstädterung
Herausbildung einer Arbeiterschicht, dem sogenannten Proletariat
Ständegesellschaft und Großfamilie werden unwichtiger.
Darwins Evolutionstheorie
So wie die Inhalte nüchtern und sachlich sein sollten, so ist auch die Sprache des
Realismus klar und schlicht. Das war wichtig, damit die Menschen die Sprache
problemlos verstehen, an der Literatur teilhaben und sich eine eigene Meinung bilden
konnten. Gleichzeitig hatte die Sprache die Aufgabe, die Wirklichkeit dichterisch
auszugestalten. Deswegen war die Sprache im Realismus durchaus auch poetisch und
kunstvoll.
Objektivität
Verschönerung
Humor
Ein weiteres wichtiges stilistisches Mittel in den Werken des Realismus ist
der Humor. Durch Humor, der sich auch in Ironie und Satire äußerte, sollte
eine Distanz zur Wirklichkeit geschaffen werden. Humor war auch eine Möglichkeit,
Kritik zu verpacken und die negativen Seiten des Lebens, wie Elend, Tod oder
Krankheit, darzustellen. Humorvolle oder ironische Einschübe stellten zudem eine
Distanz zum Erzählten her. Ein gutes Beispiel für eine humorvolle Erzählung ist "Max
und Moritz – Eine Bubengeschichte in sieben Streichen” von Wilhelm Busch.
Entwicklungsromane
Gesellschaftsromane
Historische Romane
Lyrik
Insgesamt löste sich die Lyrik des Realismus von der überladenen Metaphorik der
Romantik und des Biedermeier, um sich der Alltagssprache anzunähern. Folglich
verwendeten die Dichterinnen und Dichter dieser Zeit eine zwar künstlerische, aber
schlichte Sprache.
Verbreitet war vor allem das Dinggedicht, das einen Gegenstand beschreibt.
Dramatik
Auch wenn in der Epoche des Realismus einige bedeutende Dramen entstanden sind,
etwa "Maria Magdalene" (heute meist "Maria Magdalena") und "Judith" von Friedrich
Hebbel, spielte die literarische Gattung der Dramatik in dieser Zeit insgesamt nur eine
kleine Rolle. Die Dramen stellten nicht so sehr den Einzelnen in den Vordergrund,
sondern eher die Beziehung des Menschen zur Gesellschaft, was eigentlich nicht der
Idee des Realismus entsprach.
Theodor Fontane (1819–1898), z.B. "Effi Briest" oder "Die Brück am Tay"
Gottfried Keller (1819–1890), z.B. "Der grüne Heinrich"
1. Effi Briest
Der 38-jährige Baron von Innstetten, Landrat in Kessin in Hinterpommern, hält um die
Hand der 17-jährigen Effi Briest an. Die Mutter redet Effi zu, den Antrag anzunehmen,
obwohl ihr selbst bald Bedenken kommen. Nach einer Hochzeitsreise durch Italien
bezieht das Paar im November Innstettens Haus in Kessin. Effi ist sofort von der
unheimlichen Atmosphäre des Hauses irritiert, und bald leidet sie unter einer
peinigenden Angst vor Spuk. Innstetten, obwohl sonst sehr rücksichtsvoll, zeigt sich in
diesem Punkt ehr verständnislos.
Die junge Frau langweilt sich bald in dem Badeort, in dem es vor allem im Winter
kaum eine Abwechslung gibt. Der einzige ihr wirklich sympathische Mensch an
diesem Ort ist der Apotheker Gieshübler, ein liebenswürdiges Original. Der Frühling
bringt für Effi eine Linderung ihrer Ängste, aber keine Besserung der Langeweile. Im
Mai trifft Major Crampas in Kessin ein, wodurch das gesellschaftliche Leben etwas
lebendiger wird. Im Juni nimmt sich Effi das katholische Dienstmädchen Roswitha als
Kinderfrau, Anfang Juli kommt ihre Tochter Annie zur Welt. Nach einem Aufenthalt
im elterlichen Haus kehrt Effi im Spätsommer nach Kessin zurück. Innstetten und
Major Crampas unternehmen gemeinsame Ausritte, an denen sich später auch Effi
beteiligt. Als Innstetten durch seine Pflichten verhindert ist, reiten Effi und Crampas
zusammen mit dem Kutscher aus, und der erotische Abenteurer Crampas macht einen
ersten Annäherungsversuch.
Effi zieht sich zurück und sieht Crampas erst im Dezember bei der Aufführung eines
Dramas wieder, bei dem sie die weibliche Hauptrolle spielt und Crampas die Regie
übernimmt. Zu Weihnachten folgen Effi und Innstetten einer Einladung des
Oberförsters Uvagla, zu der auch Crampas erscheint. Als auf der Rückfahrt der Weg
wegen einer unpassierbaren Stelle durch einen dunklen Wald führt, nutzt Crampas die
Gelegenheit und bedeckt Effis Hand mit Küssen. In den folgenden Wochen trifft sich
Effi regelmäßig mit ihm auf Spaziergängen, die sie angeblich auf ärztliche Verordnung
hin unternimmt.
Nach einigen Wochen erklärt Innstetten, dass sie binnen kurzem nach Berlin
zurückziehen werden. Effi ist erleichtert und bricht den Kontakt mit Crampas
unwiderruflich ab. In Berlin sucht sie zusammen mit ihrer Mutter eine Wohnung und
schützt eine Krankheit vor, um nicht noch einmal nach Kessin zurückzumüssen.
Sechs Jahre später – Effi ist zur Kur nach Bad Ems gefahren – findet Innstetten durch
Zufall die Briefe, die Crampas Effi seinerzeit geschrieben hat. Nachdem er sich mit
seinem Sekundanten besprochen hat, fordert er Crampas zum Duell, bei dem dieser den
Tod findet. Effi erhält durch ein Schreiben ihrer Mutter die Nachricht von der
Scheidung. Sie sucht sich eine kleine Wohnung in Berlin und lebt dort drei Jahre lang
sehr zurückgezogen; Roswitha ist beinahe ihre einzige Gesellschaft. Als sie eines
Tages ihre Tochter Annie in der Straßenbahn sieht, wird in ihr der Wunsch wach, sich
mit ihr zu treffen. Doch das Wiedersehen führt zum Zusammenbruch Effis, denn
Innstetten hat Annie regelrecht darauf abgerichtet, ihrer Mutter distanziert zu
begegnen.
Als sich Effis Gesundheitszustand weiter verschlechtert, erreicht der Arzt, dass die
Eltern sie wieder bei sich aufnehmen. Effi verbringt ihre letzten Wochen damit, einsam
durch die Natur zu streifen, doch ihre Gesundheit ist zerstört. Sie stirbt, nachdem sie
Innstetten verziehen und so ihren Frieden gefunden hat.
Der Naturalismuns
1. Definition
Definition der Epoche
Der Begriff Naturalismus leitet sich von dem lat. Wort natura, dt. Natur, ab. Er steht
für eine Strömung in der Literatur, die in Deutschland etwa zwischen 1870 und 1900
entstand. Die Naturalisten legten Wert auf eine detaillierte Beschreibung der
Wirklichkeit, die sie mit menschlichen Sinneseindrücken für erfahrbar hielten. Sie
hatten ein materialistisches Menschenbild. Um eine objektive Darstellungsform zu
erreichen, orientierten sie sich in ihrer Kunst an naturwissenschaftlichen Methoden.
2. Merkmale
Verwissenschaftlichung der Kunst
Der Naturalismus lässt sich als Aufstand gegen die sozialen, politischen und
kulturellen Verhältnisse verstehen. Philosophisch gesehen war das 19. Jahrhundert
geprägt von der Lehre Ludwig Feuerbachs über den Materialismus, vom Pessimismus
Arthur Schopenhauers und der Milieutheorie des Hippolythe Taine. Nun kam noch die
Theorie über Allmacht der Entwicklung und Vererbung von Charles Darwin hinzu.
Diese Denkströmungen schalteten das christliche Weltbild und den Glauben an das
Jenseits aus. Die neuesten Erkenntnisse der Technik, Industrie, Medizin und
Psychologie trugen ebenfalls dazu bei. Aufgrund des industriellen Wachstums spaltete
sich die Gesellschaft in Unternehmer und Arbeiter, in Kapitalismus und Sozialismus.
Die in dieser Zeit heranwachsende Dichtergeneration protestierte gegen jegliche
Sentimentalität und gegen die traditionelle, reine Form der Kunst. Die
Weltbetrachtungen des Realismus schienen ihnen viel zu verklärt zu sein. Deshalb
nahmen sie das naturwissenschaftliche Weltbild der Gegenwart als Herausforderung an
und riefen nach einer Verwissenschaftlichung der Kunst.
Wahrheitsbegriff
Während es im Realismus noch darauf angekommen war, die Wahrheit in einer
künstlerischen Form wiederzugeben, kam es den Naturalisten darauf an, ihrer Dichtung
wissenschaftliche Objektivitätsmaßstäbe zu verleihen. Sie nahmen sich Methoden aus
den verschiedensten naturwissenschaftlichen Bereichen zum Vorbild. Sie
recherchierten, um allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten formulieren zu können.
Ebenso arbeiteten sie mit der experimentellen Methode und orientierten sich dabei am
Experimentalroman von Emil Zola. Ein Schriftsteller war in ihren Augen ein
Experimentator, der seine mit individuellen Erbanlagen versehenen Figuren in ein
Umfeld setzten konnte, dem sie ausgeliefert waren. Und sie ließen diese Menschen in
Konflikte geraten, aus denen sie je nach charakterlichen Eigenschaften, als Sieger oder
Verlierer hervorgingen. Die Naturalisten vertraten die Auffassung, dass ein Chemiker
nichts Anderes tun würde, wenn er verschiedene Stoffe vermischen und in
unterschiedliche Temperaturgrade brächte, um ein Ergebnis zu beobachten. Die
Literatur sollte aus einer wissenschaftlichen Grundlage heraus entstehen. Das
eigentliche Schreiben wurde aber nicht als ein wissenschaftlicher, sondern nach wie
vor als ein schöpferischer Vorgang angesehen.
Sekundenstil
Durch die Auffassung, dass es notwendig sei, einen Menschen in seinem Milieu durch
jedes noch so winzige Detail darzustellen, hat sich der Sekundenstil entwickelt. Die
Naturalisten gingen davon aus, dass es bei der Beschreibung nichts Nebensächliches
gäbe, denn auf den Menschen würde Alles bestimmend einwirken und müsste mit
wissenschaftlicher Objektivität wiederzugeben sein. Der Sekundenstil ist eine Technik,
die die Wirklichkeit kopiert. Die kleinsten Gesten oder Bewegungen wurden
punktgenau aufgezeichnet; auch die Sprache. Die individuellen Eigenschaften der
Figuren wurden notiert wie bei einer Tonbandaufnahme. Auch der Dialekt und die
Redensart, ein Ausruf, ein Stammeln und Stöhnen oder ein Satzabbruch wurde
aufgeschrieben. Damit erzeugten die Naturalisten eine sehr große Nähe zum
tatsächlichen Sprachverhalten der Menschen.
Politische Implikation
Doch nicht nur der Kaiser sondern auch das Bürgertum war von den Naturalisten
geschockt. Die Sozialdemokraten, die anfänglich noch mit den Naturalisten
sympathisiert hatten, kehrten ihnen, nachdem sie 1890 zu einer staatstragenden Partei
geworden waren, den Rücken zu. Sozusagen lehnte die gesamte gebildete Gesellschaft
Thematik der naturalistischen Literatur ab.
3. Formen
Drama
Das Drama hat den wichtigsten Stellenwert im Naturalismus. Zur damaligen Zeit war
es nicht anerkannt, weil epische und dramatische Aspekte vermischt wurden. Im
Zentrum stand die charakterliche Darstellung der Protagonisten. Die Handlung des
Stücks wurde weniger wichtig. Vielmehr legte man das Augenmerk auf bestimmte
Objekte. Das sollte die Echtheit der Darstellung unterstreichen und die soziale
Komponente hervorheben.
Prosa
Die Naturalisten verwendeten häufig kleine epische Formate wie die Kurzerzählung,
die Novelle oder die Skizze. Sie entwickelten eine neue Erzähltechnik: den
Sekundenstil. Damit wurde es ihnen möglich, die Realität im Detail zu schildern. Ein
weiteres stilistisches Mittel, das häufig Anwendung fand, ist der innere Monolog.
Lyrik
Die Lyrik des Naturalismus ist eine soziale Lyrik, die sich den Problemen des
Großstadtlebens widmet. Thematisiert werden die hässlichen Aspekte einer Stadt, das
dortige Elend und der Schmutz. Die naturalistischen Gedichte haben keine Metrik und
keine Reimform. Ein weiteres Merkmal ist die Mittelachsenzentrierung. Dies bedeutet,
dass Verszeilen zentriert gedruckt wurden. Dadurch entstand der Eindruck, sie würden
links und rechts flattern.
Bahnwärter Thiel ist ein ruhiger und gewissenhafter Mann, der seit zehn Jahren
zuverlässig seiner Arbeit nachgeht. Mit seiner Frau Minna hat er einen gemeinsamen
Sohn, Tobias. Als Minna stirbt, ist das ein schwerer Schicksalsschlag für Thiel.
Etwa ein Jahr später heiratet Thiel die dicke, herrschsüchtige Magd Lene. Es ist eine
Vernunftehe, denn Thiel will nicht, dass Tobias ohne Mutter aufwächst. Lene wird
schwanger und bringt Thiels zweites Kind zur Welt. In der Folge wird Tobias von Lene
immer mehr vernachlässigt.
Bald wird Lene zum neuen Oberhaupt der Familie. Thiel kann sich ihr nicht
widersetzen. Er ist sexuell und psychisch von Lene abhängig. Selbst als er
mitbekommt, dass Tobias von Lene regelrecht misshandelt wird, ist er nicht im Stande
etwas zu unternehmen. Dabei wird er innerlich von der Schuld gegenüber seiner
verstorbenen Frau zerfressen. Er hatte ihr nämlich versprochen hatte, gut auf Tobias
aufzupassen.
Thiel flüchtet sich, von seinem Gewissen geplagt, immer mehr in eine Art
Phantasiewelt, in der er auch Visionen von seiner verstorbenen Frau hat. In dem
kleinen Wärterhäuschen an der Eisenbahnstrecke zwischen Berlin und Frankfurt an der
Oder gibt er sich diesen Visionen von Minna hin. Sein Verhalten wird zunehmend
krankhaft.
Eines Tages wird Thiel am Bahnwärterhäuschen etwas Land überlassen, welches sofort
von Lene zum Kartoffelpflanzen übernommen wird. Thiel ist nicht damit
einverstanden, dass Lene auch in seinen Arbeitsbereich eindringt. Doch er fügt sich. In
der Folge macht sich die gesamte Familie zu dem Wärterhäuschen auf. Dort
unternimmt Thiel einen Spaziergang allein mit Tobias. Dieser ist von der Arbeit seines
Vaters begeistert. Er möchte später selbst einmal Bahnmeister werden. Thiel ist von
Stolz erfüllt. Als Thiel am Nachmittag seinen Dienst antritt, bittet er Lene, auf Tobias
aufzupassen.
Ein Schnellzug kommt angerast. Plötzlich fängt er an zu bremsen und Notsignale zu
geben. Thiel rennt sofort zur Unglücksstelle. Er findet Tobias schwer verletzt. Der
Junge ist von dem Zug erfasst worden. Noch atmend, jedoch mit schweren
Verletzungen, wird Tobias zur nächsten Krankenstation gebracht.
Thiel geht zurück an seine Arbeit; er ist wie betäubt und flüchtet sich erneut in
Visionen: Er verspricht seiner Frau Minna Rache. Seiner Meinung nach trägt Lene die
Schuld an dem Unfall. Sie hatte anscheinend nicht auf Tobias aufgepasst. Sein Hass
gegen Lene wird immer größer. Plötzlich fängt der Säugling an zu weinen. Rasend vor
Wut, beginnt Thiel das Baby zu würgen.
Erst das Warnsignal des Zuges, der seinen Sohn zurückbringt, reißt ihn zurück in die
Wirklichkeit. Vom letzen Wagen wird Tobias‘ Leichnam getragen. Nach ihm steigt
Lene aus. Thiel bricht beim Anblick seines toten Sohnes bewusstlos zusammen. Er
wird von Arbeitern nach Hause getragen. Den Leichnam will man später holen. Zu
Hause kümmert sich Lene aufopferungsvoll um Thiel. Völlig erschöpft schläft sie
anschließend ein.
Einige Stunden später wird Tobias‘ Leichnam von den Arbeitern nach Hause gebracht.
Dabei entdecken sie Lene und ihr Kind: Lene wurde erschlagen, dem Baby die Kehle
durchschnitten. Thiel wird später an der Stelle gefunden, an der der Zug seinen Sohn
erfasst hat. Er sitzt auf den Gleisen und streichelt Tobias‘ Mütze. Thiel wird in die
Irrenanstalt der Charité eingeliefert.
»Bahnwärter Thiel« ist ein Klassiker der deutschen Literatur. Die Novelle schildert die
psychische Abhängigkeit eines Menschen von anderen, und die damit verbundene
Unfähigkeit sein eigenes Leben zu leben. Thiel ist sowohl von Minna abhängig, so dass
er sich immer wieder in eine Art Phantasiewelt flüchtet, als auch von Lene, der er sich
nicht widersetzen kann. Das stille und unauffällige Leben Thiels wird – symbolisch
– von einem Schnellzug erfasst. Getrieben von Schuld gegenüber seiner verstorbenen
Frau, und ausgelöst durch den Tod seines Sohnes, wird aus dem frommen, ruhigen
Mann ein Frauen- und Kindermörder.
Nachkriegsliteratur
1. Überblick über die Epoche
Die deutsche Literaturepoche der Trümmerliteratur beginnt 1945 mit dem Ende des
Zweiten Weltkriegs und endet mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Anfang der
1950er Jahre. Sie wird auch als Heimkehrerliteratur oder "Literatur der Stunde Null"
bezeichnet und bezieht sich auf das, was die Menschen nach Ende des Krieges in den
Städten vorfanden: Trümmer. Die Trümmerliteratur ist vorallem in Deutschland eine
wichtige Strömung der Literaturgeschichte. In anderen Ländern spielt sie kaum oder
gar keine Rolle. Sie ist nicht mit der Epoche der Nachkriegsliteratur gleichzusetzen,
sondern ist eine eigene Strömung in der deutschen Literatur nach 1945.
Neben der direkten Sprache zeigt das Gedicht, was für die Lyrik der Trümmerliteratur
sonst noch typisch ist: Es gibt kein Reimschema und kein Metrum. Durch den
bewussten Verzicht auf diese an sich typisch lyrischen Merkmale wandten sich die
Verfasser der Heimkehrerliteratur gezielt gegen die Tradition des Dichtens.
Heinrich Böll (1917–1985): "Der Mann mit den Messern", "Wo warst du,
Adam?" oder "Bekenntnis zur Trümmerliteratur"
9. "Gruppe 47"
Tragend für das literarische Schaffen dieser Zeit war die Gruppe 47. Bei diesem
Schriftsteller treffen, zu dem Hans Werner Richter von 1947 bis 1967 einlud, hatten
Autoren und Autorinnen die Möglichkeit, sich ihre Texte gegenseitig vorzulesen und
Kritik zu üben. Außerdem wurden junge, unbekannte Autoren und Autorinnen
gefördert. Ab 1950 wurde zudem der "Preis der Gruppe 47" vergeben. Er ermöglicht es
einen Preisträgern, zu denen etwa Heinrich Böll, Günter Grass und Ingeborg
Bachmann gehörten, eine steile Karriere. In der Anfangszeit war die Gruppe 47 aber
vorallem eine Plattform zur Erneuerung der deutschen Literatur nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Das Brot
Das Brot – Wolfgang Borchert (1947)
Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war.
Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der
Küche. Es war still. Es war zu still, und als sie mit der Hand über das Bett neben sich
fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte; sein Atem
fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche
trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen.
Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der
Küche. Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot
abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. und auf der Decke lagen
Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber.
Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie
fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem
Teller weg. "Ich dachte, hier wäre was", sagte er und sah in der Küche umher. "Ich
habe auch was gehört", antwortete sie, und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd
doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er
manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch
ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das
nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt. "Du hättest Schuhe
anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fließen. Du erkältest dich noch." Sie sah ihn
nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie
neununddreißig Jahre verheiratet waren - "Ich dachte, hier wäre was", sagte er noch
einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, "ich hörte hier was. Da
dachte ich, hier wäre was." "Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts." Sie
stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke. "Nein, es war
wohl nichts", echote er unsicher. Sie kam ihm zu Hilfe: "Komm man. Das war wohl
draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fließen." Er sah
zum Fenster hin. "Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier."
Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss
ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen.
"Komm man", sagte sie und machte das Licht aus, "das war wohl draußen. Die
Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei
Wind klappert sie immer." Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum
Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden. "Wind ist ja", meinte
er. "Wind war schon die ganze Nacht." Als sie im Bett lagen, sagte sie: "Ja, Wind war
schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne." "Ja, ich dachte, es wäre in der
Küche. Es war wohl die Dachrinne." Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log. "Es ist kalt", sagte sie
und gähnte leise, "ich krieche unter die Decke. Gute Nacht." "Nacht", antwortete er
noch: "ja, kalt ist es schon ganz schön." Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte
sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig,
damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so
regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief. Als er am nächsten Abend nach Hause
kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
"Du kannst ruhig vier essen", sagte sie und ging von der Lampe weg. "Ich kann dieses
Brot nicht so recht vertragen. Iss doch man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut." Sie
sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat
er ihr leid. "Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen", sagte er auf seinem Teller.
"Doch, abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man." Erst nach einer Weile
setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.