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Autonomie der Kunst

WiSe 2020/21
Dozent: Thomas Loer
Protokollant: Timo Niehoff
4. Sitzung am 11.11.2020

Dr. Loer eröffnet die Sitzung und fragt, ob es Ideen gibt, wie man bezüglich der Exkursionen
fortfahren kann. Herr Schimrigk schlägt vor, sich Fotos von Jimmy Nelson anzuschauen, einem
Fotografen, der indigene Völker portraitiert hat. Frau Werner äußert Interesse an konkreter
Fotografie.

Daran anschließend wird das Protokoll von Herrn Schmidt besprochen. Es wird auf den Absatz der
drei Ebenen der Objektiven Hermeneutik eingegangen. Der Satz „Diese besagt, dass Handeln das
„geregelte Auswählen aus regeleröffnenden Optionen“ ist.“ muss durch regeleröffneten Optionen
ersetzt werden, was uns zu dem Regelbegriff1 bringt.
Dr. Loer erklärt, dass man zwischen zwei groben Arten der Regeln unterscheidet. Zum einen gibt es
die methodischen Regeln, zum anderen die in der Wirklichkeit wirkende Regeln. Bei Letzteren wird
erneut zwischen Regeln, die den Gegenstand konstituieren (konstitutive Regeln) und Regeln, die das
Handeln regulieren (regulative Regeln) unterschieden. Diese Unterscheidung geht auf Searl zurück.
Als Beispiel für die Konstitutiven Regeln werden Spielregeln genannt. Regeln, die die Praxis
„kreieren“, ohne die die Praxis also eine andere wäre, sind konstitutiv. Regulative Regeln dagegen
regulieren schon vorhandene Praxis. Als Beispiel dafür werden die Straßenverkehrsregeln genannt.
Straßenverkehr passiert ohnehin, ob mit oder ohne Regeln. Die regulativen Regeln regulieren diesen
lediglich.

Im Folgenden wurde das Thema der Farbwahrnehmung noch einmal besprochen. Hierzu bringt Dr.
Loer einen Ausschnitt von Pierce’s „On a new list of categories“ an. Pierce beschreibt, dass ein
elementares Konzept immer aus einer Impression entsteht. Wenn man sich dieses Konzept gebildet
hat, gibt es nach Pierce keinen Grund, die ursprüngliche Impression nicht abzustoßen. Das Konzept
lenkt also häufig von den neuen, aktuellen Impressionen ab.2

Im Weiteren wurde die Frage, wann ein Werk, beispielsweise die Skizze eines Bauwerks, zum Werk
wird, behandelt. Die Frage wurde anhand des Beispiels des Opernhauses in Sydney bearbeitet.
Wenn niemand Opern in dem Opernhaus aufführen würde, würde das Gebäude seinen Zweck

1
Regelbegriff – (1) in der Wirklichkeit wirkende Regeln: (a) Regeln die den Gegenstand konstituieren
(konstitutive Regeln nach Searle), (b) Regeln, die das Handeln regeln (regulative Regeln nach Searle); (2) Regeln
des wissenschaftlichen Vorgehens (methodische Regeln, Regeln der Kunstlehre)
2
S. hierzu: „Elementary conceptions only arise upon the occasion of experience; that is, they are produced for
the first time according to a general law, the condition of which is the existence of certain impressions. Now if
a conception does not reduce the impressions upon which it follows to unity, it is a mere arbitrary addition to
these latter; and elementary conceptions do not arise thus arbitrarily. But if the impressions could be definitely
comprehended without the conception, this latter would not reduce them to unity. Hence, the impressions (or
more immediate conceptions) cannot be definitely conceived or attended to, to the neglect of an elementary
conception which reduces them to unity. On the other hand, when such a conception has once been obtained,
there is, in general, no reason why the premises which have occasioned it should not be neglected, and
therefore the explaining conception may frequently be prescinded from the more immediate ones and from
the impressions.“ (Peirce, Charles S. (1868/1931): On a New List of Categories. In: ders., Principles of
Philosophy, Cambridge: Harvard University Press, 545-559 [Collected Papers, Bd. 1]; hier: 549)
verlieren. Daraus abgeleitet kam die Frage auf, ob Kunst nur Kunst ist, wenn sie autonom ist und ob
es so etwas wie praktische Kunst gibt. Autonome Kunst muss etwas sein, was aus sich heraus, ohne
bestimmten Zweck, bestand hat. Davon abgeleitet müsste es so etwas wie angewandte Kunst geben.
Es wurde angemerkt, dass es auch Kunst gibt, die sowohl Zweck als auch Autonomie in sich trägt. An
dieser Stelle wird Ulrich Oevermann zu Rate gezogen, der in „Die Methode der Fallrekonstruktion in
der Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen Praxis” sagt, dass es sich bei
Bauplänen, Grundrissen, etc., um Protokolle handelt, denen man nicht ansieht, ob sie vergangene
Ereignisse oder zukünftige Gestaltung darstellen. Sie beinhalten sowohl eine Anweisung für die
zukünftige Praxis als auch praktische Vergangenheit.
Daraus resultierend wird noch einmal die Frage, ob eine Partitur bereits Kunst ist, behandelt und von
Dr. Loer mit einem Ausschnitt von Adorno’s „Fragment über Musik und Sprache“ beantwortet. Für
Adorno geht es nicht bloß um konsumierbare Wirkungen, sondern um innere Zusammenhänge, die
eine verbindliche Verdeutlichung fordern. Erst dadurch bekommen die Zusammenhänge ihren
konkreten Sinn.3

Zuletzt haben wir uns mit der Ausdrucksgestalt und dem Material beschäftigt. Der Begriff der
Ausdrucksgestalt meint, dass in einer Gestalt eine bestimmte Bedeutung zum Ausdruck kommt.
Diese Gestalt muss etwas Wahrnehmbares sein, was nur funktioniert, wenn es in einem der zur
Verfügung stehenden Ausdrucksmaterialien zum Ausdruck kommt. Diese wären zum Beispiel
Sprache, Klang, Farben, etc. Aus dieser Perspektive kann sich beispielsweise eine Partitur nicht
ausdrücken, da sie nicht hörbar ist. Der Einwand, dass Klang auch imaginativ realisiert werden kann,
wurde genannt. Die Überlegung wurde aufgestellt, ob ein gestalteter Raum nicht das primäre
Material eines Architekten sei.

Für die nächste Sitzung wird festgehalten, dass die Strukturformel noch behandelt werden soll.

Dr. Loer beendet die Sitzung.

3
S. hierzu: „dass das nicht eindeutig Festlegbare eines Werkes ein Ergebnis seiner bestimmbaren
Zuseammenhänge darstellt […]. Es geht also nicht bloß um irrationale, nicht weiter hinterfragbare und so
beliebig konsumierbare Wirkungen, sondern um flüchtige Spuren oder Signale innerer Zusammenhänge, die
eine verbindliche Artikulation bzw. Verdeutlichung erlauben, ja fordern. Erst dadurch gewinnen auch die
bestimmbaren Zusammenhänge ihren konkreten Sinn.“ (Zehentreiter, Ferdinand (2017): Musikästhetik. Ein
Konstruktionsprozess. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft: 297; kursiv i. Orig.) Und: „Sprache interpretieren
heißt: Sprache verstehen; Musik interpretieren: Musik machen.“ (Adorno, Theodor W. (1990): Fragment über
Musik uns Sprache. In: ders., Musikalische Schriften I-III. Klangfiguren (I). Quasi una fantasia (II). Musikalische
Schriften (III), Frankfurt/M.: Suhrkamp, 251-256 [Gesammelte Schriften, Bd. 16]; hier: 253)

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