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Studienkolleg (M-Kurs) – Chemie –

(BS) Physikalische Chemie – Kernchemie und Elementarteilchen

2.2 Stabilität der Nuklide, Kernchemie und Radioaktivität

2.2.1 Massendefekt und Kernbindekraft

Massendefekt
Berechnet man die Masse eines Helium-Nuklides aus den ermittelten Massen der Elementarteilchen,
so ergibt sich:
𝑚( 42He)𝑡ℎ𝑒𝑜𝑟𝑒𝑡𝑖𝑠𝑐ℎ = 2 ∙ 𝑚( 11𝑝) + 2 ∙ 𝑚( 10𝑛)

Proton: 𝑚( 11𝑝) = 1,00727 𝑢 Neutron: 𝑚( 10𝑛) = 1,00866 𝑢

𝑚( 42He)𝑡ℎ𝑒𝑜𝑟𝑒𝑡𝑖𝑠𝑐ℎ = 2 ∙ 1,0073 𝑢 + 2 ∙ 1,0087 𝑢

𝑚( 42He)𝑡ℎ𝑒𝑜𝑟𝑒𝑡𝑖𝑠𝑐ℎ = 4,0320 𝑢

Vergleicht man diese Masse mit empirisch ermittelten Werten, so stellt man fest, dass die tatsächlich
gemessene Masse aber geringer ist:
𝑚( 42He)𝑒𝑚𝑝𝑖𝑟𝑖𝑠𝑐ℎ = 4,0015 𝑢 < 𝑚( 42He)𝑡ℎ𝑒𝑜𝑟𝑒𝑡𝑖𝑠𝑐ℎ = 4,0320 𝑢

Es scheint Masse verloren gegangen zu sein, man spricht von einem Massendefekt ∆𝒎. Der
Massendefekt entspricht also der Differenz zwischen theoretischer und empirischer Masse des
Nuklids [meist in der Einheit u]:
∆𝑚 = 𝑚𝑡ℎ𝑒𝑜𝑟𝑒𝑡𝑖𝑠𝑐ℎ − 𝑚𝑒𝑚𝑝𝑖𝑟𝑖𝑠𝑐ℎ [𝑢]

Am Beispiel des Helium-Nuklides ergibt sich also:


∆𝑚( 42He) = 4,0320 𝑢 − 4,0015 𝑢 = 0,0305 𝑢

Kernbindungsenergie
Nach der klassischen Physik kann Masse und Energie nie verloren gehen, beim Massendefekt scheint
dies aber für die Masse der Fall zu sein. Doch mit Hilfe der Einstein-Gleichung lässt sich ein
Zusammenhang zwischen Masse und Energie herstellen:
𝐸 = 𝑚 ∙ 𝑐2

Wenn Masse verloren geht, muss diese demnach in Energie umgewandelt worden sein. Diese
Energie entspricht dann der Kernbindeenergie innerhalb des Nuklids. Anders ausgedrückt, wenn bei
der Bindung der Nukleonen dieser Energiebetrag frei wird, so müsste mindestens diese Energie auch
wieder aufgewendet werden, um die einzelnen Nukleonen im Kern (Protonen, Neutronen) wieder zu
trennen. Wir können die Energiedifferenz (ΔE) zwischen den einzelnen Nukleonen und der Bildung zu
einem Nuklid also auch direkt als Kernbindeenergie (EB) bezeichnen. Für die Kernbindeenergie aus
dem Massendefekt gilt daher:
𝑘𝑔 ∙ 𝑚2
∆𝐸 = 𝐸𝐵 = ∆𝑚 ∙ 𝑐 2 [ ]=𝐽
𝑠2

1𝑢 = 1,660540 · 10−27 𝑘𝑔; 𝑐 = 2,997925 · 108 𝑚/𝑠 [Lichtgeschwindigkeit]

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Umformung zur leichteren Berechnung


Bezieht man die Formel auf die Bindungsenergie EB pro u [J/u] so ergibt sich nach Einsetzen der
Konstanten:

∆𝐸 = (1,660540 · 10−27 𝑘𝑔/𝑢) ∙ (2,997925 · 108 𝑚/𝑠)2 = 1,49242 · 10−10 𝐽/𝑢

Somit lässt sich die Kernbindungsenergie in Joule mit dem Einsetzen des Massendefektes (in u)
folgendermaßen bestimmen:

∆𝐸 = 𝐸𝐵 = ∆𝑚 · 1,49242 · 10−10 𝐽/𝑢

Meist werden Energiebeträge in der Kernchemie aber nicht in Joule [J], sondern in Elektronenvolt
[eV] angegeben. Für die Umrechnung gilt:

1 𝑒𝑉 = 1,60218 · 10−19 𝐽

Für eine einfachere Berechnung kann also direkt folgende Form verwendet werden:

1,49242 · 10−10 𝐽/𝑢


∆𝐸 = ∆𝑚 ∙
1,60218 · 10−19 𝐽/𝑒𝑉

⟹ ∆𝐸 = ∆𝑚 ∙ 931,494 · 106 𝑒𝑉/𝑢

⟹ ∆𝐸 = ∆𝑚 ∙ 931,494 𝑀𝑒𝑉/𝑢

Umgekehrt lässt sich natürlich auch die Massenänderung aus der Bindungsenergie bestimmen:

∆𝐸
∆𝑚 =
931,494 𝑀𝑒𝑉/𝑢

Für das Helium-Nuklid gilt also:

∆𝑚( 42He) = 4,0320 𝑢 − 4,0015 𝑢 = 0,0305 𝑢

𝑀𝑒𝑉
𝐸𝐵 = ∆𝑚 ∙ 931,494
𝑢

⟹ 𝐸𝐵 = 0,0305 𝑢 ∙ 931,494 𝑀𝑒𝑉/𝑢 = 𝟐𝟖, 𝟒𝟏𝟎𝟔 𝑴𝒆𝑽

Oder in Joule:

𝐸𝐵 = 0,0305 𝑢 ∙ 1,49242 · 10−10 𝐽/𝑢 = 𝟒, 𝟓𝟓𝟏𝟗 𝑱

Bindungsenergie pro Nukleon


Will man wissen, wieviel Energie jedes einzelne Nukleon zur Kernbindung beiträgt, bzw. wie stark
jedes einzelne Nukleon gebunden ist, so muss die Kernbindungsenergie noch durch die Anzahl der
Nukelonen (Massenzahl A) dividiert werden.:

𝐸𝐵
[𝐴 = 𝑀𝑎𝑠𝑠𝑒𝑛𝑧𝑎ℎ𝑙]
𝐴

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Im Helium-Nuklid 42He sind vier Nukleonen (jeweils 2 Protonen und Neutronen), demnach gilt hier
eine Bindungsenergie pro Nukleon von:

𝐸𝐵 28,4106 𝑀𝑒𝑉
= = 7,1027 𝑀𝑒𝑉/𝑁𝑢𝑘𝑙𝑒𝑜𝑛
𝐴 4

Diese Angabe gibt direkte Hinweise auf die Stabilität eines gesamten Nuklids, denn hiermit kann
eben angegeben werden wie stark ein Nukleon gebunden ist oder anders formuliert, wie leicht kann
ein Nukleon aus dem Kern entfernt werden

Abb. 22. 1 Mittlere Kernbindungsenergie pro Nukleon: Betrachtet man die Kernbindungsenergien aller
Nuklide, so zeigt sich ein Stabilitätsmaximum um Eisen (Fe).

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2.2.2 Natürliche Radioaktivität

Stabilität der Nuklide


Die Stabilität eines Nuklids ist im Wesentlichen von zwei Kräften abhängig:

• Kernkraft/ Starke Wechselwirkung: sehr starke anziehende Kraft (unter Beteiligung von
Quarks und Gluonen) zwischen nahen Nukleonen. Ihre Stärke ist erst ab etwa 0,4 fm
anziehend, hat ein Maximum bei etwa 1,3 fm und nimmt aber bei Reichweiten >2 fm sehr
schnell ab (0,4 bis 2,5 fm). [1 fm =10-15m]. Bei geringeren Abständen als 0,4 fm überwiegt
sogar eine starke Abstoßung (Hard-Core-Kraft verhindert den Kollaps von Nukliden)
Die Kernkraft ist ladungsunabhängig, d.h. sie ist bei einer Neutron-Neutron-, Neutron-
Proton- oder Proton-Proton-Wechselwirkung gleich. Bei der Proton-Proton-Wechselwirkung
spielt noch zusätzlich die Coulomb-Abstoßung eine Rolle.

• Coulomb-Abstoßung: Die Coulomb-Kraft wirkt aufgrund der positiven Ladungen abstoßend


zwischen den Protonen. Sie ist schwächer als die starke Wechselwirkung, aber ihre Stärke
nimmt über die Entfernung deutlich langsamer ab.

Abb. 22. 2 Wirkende Kräfte im Nuklid: (A) Vergleich der Eigenschaften der Coulomb-Abstoßung zwischen den Protonen
sowie der anziehend wirkenden Kernkraft. Trägt man beide Kräfte gemeinsam auf (B), so lässt sich ihre gegenseitige
Wirkung gut im Bezug auf die Abstände zwischen den Nukleonen und der Stabilität im Gesamtnuklid einschätzen.

Direkt benachbart sollten demnach keine Protonen liegen, sie würden durch die abstoßende Wirkung
der Coulomb-Kraft eher schwach binden und möglicherweise auseinanderfliegen. Somit bedarf es zu
höherer Stabilität neben den Protonen noch Neutronen um die Ladung „abzufedern“.

Bezogen auf die Protonen im Kern überwiegt bei größerer Entfernung als 2,5 fm aber immer die
Coulomb-Abstoßung. Hieraus folgt, dass Kerne in ihrer maximalen Größe bzw. ihrer Protonenzahl
limitiert sind. Größere Kerne als Z=82 (Pb; Blei) sind daher nicht mehr stabil.

Demnach spielt aber auch das Verhältnis von Protonen und Neutronen im Nuklid eine entscheidende
Rolle. Nuklide mit einem zu hohen Protonenanteil sollten z.B. durch die Coulomb-Abstoßung
zunehmend instabiler werden. Bei Neutronen tritt diese Abstoßung nicht auf, daher nimmt die
Anzahl der Neutronen stärker zu als die Zahl der Protonen. Bei den sehr leichten Elementen besteht
zunächst ein 1:1-Verhältnis der Protonen und Neutronen, so besitzt das Helium-Nuklid z.B. je 2
Protonen und zwei Neutronen, dies zieht sich auch bei weiteren Kernen durch, beispielsweise sechs
Protonen und 6 Neutronen im 12C (Kohlenstoff) oder acht Protonen und acht Neutronen im 16O
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(Sauerstoff). Trägt man jedoch alle natürlichen (stabilen) Nuklide nach ihrer Protonenzahl gegen ihre
Neutronenzahl in einen Graphen ein (siehe Abb. 22.3), so ergibt sich eine deutliche Abweichung von
dem Gleichverhältnis hin zu einem Proton/ Neutron-Verhältnis bis zu etwa 1:1,5 (also zugunsten der
Neutronen).

Abb. 22. 3 Stabilitätszone der natürlichen Isotope: Das Verhältnis der Protonen zu Neutronen weicht deutlich
von zunächst einer 1:1-Verteilung (eingezeichnete gerade) ab. Stabile Nuklide gibt es nur bis zum Blei (Z=82).

Diese Nuklide bilden damit die Stabilitätszone der Nuklide. Nuklide die entweder in ihrer Größe (und
somit Masse) oder ihrem Proton/ Neutron-Verhältnis abweichen, sind somit als eher unstabile
Systeme zu bezeichnen, die danach streben einen energetisch günstigeren Zustand zu erreichen. Die
möglichen Prozesse würden aber zu einer Nuklidveränderung führen und somit sogar zu einer
Umwandlung von Elementen. Hierbei sind verschiedene solcher Kernreaktionen möglich, die alle als
Radioaktiver Zerfall zusammengefasst werden können. Auch Kernspaltungen und Kernfusionen sind
Kernreaktionen, die die Nuklide und die Stabilität der Nuklide verändern können.

Radioaktive Zerfallsprozesse
Man unterscheidet im Wesentlichen vier verschiedene Zerfallstypen. Da in jedem Falle aber bei
derartigen Kernprozessen irgendeine Strahlung (Materie- oder Elektromagnetische Strahlung)
freigesetzt wird, werden alle dieser Zerfälle als Radioaktiver Zerfall eines Nuklides bezeichnet (Radius
= der Strahl; Radioaktiv = aktive Abgabe von Strahlung). Die vier Zerfallsarten sind:

Zerfallsprozesse im Überblick
Beim α-Zerfall emittiert ein Atomkern einen Helium-Nuklid ( 42HE ) und sein Kern vermindert sich
somit um zwei Protonen und zwei Neutronen. Es entsteht also ein neues Element mit einer um zwei
reduzierte Ordnungszahlen Z und um vier reduzierter Massenzahl A.
𝐴 𝐴−4
𝑍X 𝑍−2𝑋 + 42HE [+ γ]
Bsp.:
226 222
88Ra 86Rn + 42HE [+ γ]
Radium Radon + α-Teilchen
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α-Strahlung: Zerfall des Kerns und Emittierung eines Helium-Nuklide ( 42HE 2+) = 2-fache
Elementarladung, 4-fache Masse eines Protons, tritt meist bei Nukliden mit Z > 82 auf.
(Materiestrahlung mit geringer Durchschlagskraft)

Beim β--Zerfall wandelt sich ein Neutron im Atomkern in ein Proton und ein Elektron um. Das
Elektron wird als β-Strahlung emittiert. Folglich erhöht sich die Kernladungszahl Z um ein Proton, bei
gleicher Massenzahl A, es entsteht also ein Isotop des nächst höherem Element.
𝐴 𝐴
𝑍X 𝑍+1𝑋 + −10e [+ γ]
Bsp.:
137 137
55Cs 56Ba + −10e [+ Neutrinos]
Caesium Barium
β -Strahlung: Elektronen-Strahlung (Materiestrahlung), negative Elementarladung (aus dem Zerfall
-

eines Neutrons in ein Proton und ein Elektron).

Beim β+-Zerfall hingegen wandelt sich ein Proton im Atomkern in ein Positron und ein Neutron um.
Das Positron wird emittiert, die Kernladungszahl erniedrigt sich um ein Proton, bei gleicher
Massenzahl, es entsteht also ein neues Element mit nächst niedrigerer Kernladungszahl.
𝐴 𝐴
𝑍X 𝑍−1𝑋 + +10e
Bsp.:
22 22
11Na 10Ne + +10e [+ Antineutrinos]
Natrium Neon
β -Strahlung: Positronen-Strahlung (Materiestrahlung), positive Elementarladung (aus dem Zerfall
+

eines Protons zu einem Neutron und einem Positron).

Beim ε-Zerfall oder auch K-Einfang/ Elektroneneinfang hingegen stürzt ein Elektron meist vom
innersten Energieniveau (der K-Schale) in den Kern und reagiert mit einem Proton im Atomkern zu
einem Neutron. Hierbei wird demnach keine Materiestrahlung emittiert (nur γ-Strahlung). Durch
Umwandlung des Protons in ein Neutron erniedrigt sich die Kernladungszahl Z um eins, bei gleicher
Massenzahl A, es entsteht also ein neues Element mit nächst niedrigerer Kernladungszahl.
𝐴
𝑍X + −10e 𝐴
𝑍−1𝑋
Bsp.:
205 205
82Pb 81Tl
[+ Elektroneutrinos]
205-Blei 205-Thallium
Der γ-Zerfall oder besser γ-Übergang ist eine unmittelbare Folge von anderen radioaktiven Zerfalls-
prozessen oder Kernreaktionen. Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine Umlagerung der
Nukleonen im Kern zu einem stabileren Zustand (Restwirkung der Kernkräfte). Man spricht von
einem angeregten Zustand höherer Energie, der in einen Grundzustand zurückfällt, hierbei wird die
Energie in Form von einzelnen Quanten Röntgenstrahlung abgegeben. Diese Elektromagnetische
Strahlung wird als γ-Strahlung bezeichnet.

γ-Strahlung: hochenergetische (sehr kurzwellige) elektromagnetische Strahlung,


die emittiert wird, wenn angeregte Kerne überschüssige Energie
abgeben.

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Abb. 22. 4 Übersicht über die Zerfallsarten mit Verhalten der


Nuklide in der Nuklidkarte.

Abb. 22. 5 Nuklidkarte mit Zerfallstypen bekannter Nuklide.

Die Emission von α-, β-, und γ-Strahlung beruht auf dem Zerfall von Atomkernen. α-Strahlen
bestehen aus Helium-Kernen, β-Strahlen aus Elektronen und γ-Strahlung ist eine hochenergetische
elektromagnetische Strahlung überschüssiger Energie im Kern.

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Zerfallsreihen
Durch α-, β- oder ε-Zerfall eines instabilen Atomkernes entstehen somit neue stabilere Nuklide.
Solche Zerfallsprozesse setzen sich fort, bis ein endgültig stabiles Nuklid entsteht. Man kann solche
Prozesse als Zerfallsreihen angeben.

Zerfallsreihen der schweren Radionuklide (Z > 82; α-Strahler)


Die schweren Kerne ab Z > 82 sind typische α-Strahler, das heißt, sie zeigen hauptsächlich α-Zerfall
mit gelegentlichem β-Zerfall. Da ja beim α-Zerfall jeweils sich die Massenzahl A um vier reduziert,
beim β-Zerfall hingegen gleichbleibt, ergibt sich für Nuklide einer Zerfallsreihe bei Division der
Massenzahl A durch 4 stets der gleiche Rest r (0, 1, 2 oder 3). Dementsprechend gibt es vier
Zerfallsreihen für deren Massenzahlen A gilt:

𝐴 = 4𝑛 + 𝑟

𝐴 𝑟
⇒ =𝑛+
4 4

𝑛∈ℕ 𝑟 = {0; 1; 2; 3}

Das r charakterisiert somit die Zerfallsreihe, und das n verringert sich bei jedem Alphazerfall in der
Zerfallsreihe um 1.

226 𝐴 𝑟 226 2
Bsp.: 88Ra 𝐴 = 226 mit 4 = 𝑛 + 4 ergibt sich: 4
= 56 + 4

Thorium-Reihe (4n-Reihe):
• Das Namensgebende Mutternuklid ist 232Th (Thorium). (diese Reihe eigentlich schon bei der
Vorstufe 244Pu).
• Endnuklid der Reihe ist das stabile 208Pb (Blei).

Neptunium-Reihe (4n+1-Reihe):
• Das Mutternuklid ist hier 237Np (Neptunium).
• das Endnuklid ist das stabile 205Tl (Thallium).

Hierbei handelt es sich eigentlich um eine prähistorische Reihe, da das 237Np auf der Erde schon
komplett zerfallen ist. Die Nuklide dieser Zerfallsreihe können jedoch künstlich erzeugt werden.

Uran-Radium-Reihe (4n+2-Reihe):
• Das Mutternuklid ist hier 238U (Uran).
• das Endnuklid ist das stabile 206Pb (Blei).

Uran-Actinium-Reihe (4n+3-Reihe):
• Das Mutternuklid ist hier 235U (Uran).
• das Endnuklid ist das stabile 207Pb (Blei).

Die Reihe kann aber auch bei der künstlichen Vorstufe von Uran, beim Nuklid 239Pu, (Plutonium)
starten.

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2.2.3 Kernspaltung und Kernfusion


Kernspaltung und nukleare Kettenreaktion

Durch Beschuss mit langsamen Neutronen können diese in das Nuklid eindringen. Bei sehr schweren
Kernen (wie etwa Uran) kann dies zu einer spontanen Spaltung des Kerns in jeweils zwei kleinere
Kerne führen, man spricht daher von Kernspaltung. Meist werden bei diesem Prozess wiederum
weitere Neutronen abgestrahlt, die ihrerseits weitere Kernspaltungen auslösen, es kommt zu einer
nuklearen Kettenreaktion.
Voraussetzung ist jedoch ein hinreichend starkes Abbremsen der Neutronen, da sie sonst zu schnell
das Material verlassen würden, um noch eine Reaktion auszulösen. Dies kann z.B. durch eine große
Masse des spaltbaren Materials erreicht werden. Die jeweilige Masse, ab der es zu einer
Kettenreaktion kommt, wird kritische Masse genannt. Geringere, also unterkritische Massen führen
somit nicht zu einer Kettenreaktion.
Bei einer Kernspaltung wird in der Regel sehr viel Energie frei, da die Kernbindeenergie EB der jeweils
entstehenden kleineren Nuklide deutlich höher ist. Es wird demnach viel Gamma-Strahlung
freigesetzt.

Beispiele von Kernspaltungen des 235Uran durch langsamen Neutronenbeschuss

235
92U + 10n 90
36Kr + 143 1
56Ba + 3 0n

235
92U + 10n 121
47Ag + 112 1
45Rh + 3 0n

235 138
92𝑈 + 10𝑛 55𝐶𝑠
95
+ 37𝑅ℎ + 3 10𝑛

235 139 96
92𝑈 + 10𝑛 57𝐿𝑎 + 35𝐵𝑟 + 3 10𝑛

Bei Kernspaltungen können keine kleineren Elemente bzw. Nuklide als Eisen (Fe) entstehen.

Kernfusion und Entstehung schwerer Nuklide

Unter Kernfusion versteht man eine Kernreaktion, in der zwei leichtere Kerne zu einem neuen und
größeren Kern verschmelzen (fusionieren). Ein Beispiel für Kernfusionsprozesse in der Natur sind die
Sterne, also Sonnen.
Bei ausreichend hoher Energie können aufeinanderprallende Nuklide fusionieren, wenn sie die
Coulomb-Abstoßung der Protonen überwinden und ab einer Entfernung im Femtometer-Bereich
durch die nun überwiegende starke Wechselwirkung angezogen werden.
Die Kernbindungsenergie EB nimmt zu, wenn sehr kleine Kerne zu größeren Kernen fusionieren. Die
Masse nimmt also gemäß dem größeren Massendefekt ab.
Somit treten Fusionsreaktionen nur bei der Verschmelzung leichter Nuklide auf, und es entstehen
Elemente (bzw. Nuklide) bis maximal dem Element Eisen (Isotop 58Fe).

Beispiele von Kernfusionsprozessen (2H) mit Deuterium oder Tritium (3H)


2
1H + 21H 3
1H + 11p

2
1H + 21H 3
2He + 10n

2
1H + 31H 4
2𝐻𝑒 + 10𝑛

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2.2.4 Natürlicher Zerfall, Halbwertzeit und das Zeitgesetz


Jedes Radionuklid zerfällt nach einer gewissen Zeit zu stabileren Nukliden. Wie schnell ein solcher
Zerfall abläuft ist nicht bestimmbar, doch statistisch lässt sich eine typische Zerfallsgeschwindigkeit
für jedes Nuklid ermitteln. Betrachtet man eine Ausgangsmenge N0 an Radionukliden über die Zeit,
so nimmt N0 durch Zerfallsprozesse ab. Zum Zeitpunkt t ist somit auch nur noch eine geringere
Teilchenmenge Nt vorhanden. Die Differenz zwischen N0 und Nt ist somit die Menge der zerfallenen
Nuklide. Da die Menge N stets abnimmt, sollte die Änderungsrate negativ sein, es gilt:
−∆𝑵 = 𝑁0 − 𝑁𝑡

Bezieht man die Zeit mit ein, so ergibt sich die Anzahl der Zerfälle über diese Zeit. Dies ist die
Aktivität A (in Bequerel, Bq) des Stoffes über den Zeitraum t0 – t.

Δ𝑁
− =𝐴
Δ𝑡

𝐴[𝐵𝑞] = 1𝐵𝑒𝑞𝑢𝑒𝑟𝑒𝑙 = 1𝑠 −1

Da die statistische Zerfallswahrscheinlichkeit eines Nuklides direkt von dessen Stabilität abhängt, ist
die statistische Geschwindigkeit des Zerfalls einer Teilchenmenge N eines Nuklides immer eine
Konstante für alle Nuklide genau dieses Typs. Diese Konstante wird demnach als
Geschwindigkeitskonstante k (bei Zerfällen manchmal auch als Zerfallskonstante λ bezeichnet)
bezeichnet. Somit gilt:
Δ𝑁
− ~𝑁
Δ𝑡
Δ𝑁
⇒− = 𝑘𝑁
Δ𝑡

Die Anzahl der Zerfallsprozesse pro Sekunde wird als die Aktivität (A) eines Stoffes bezeichnet. Somit
entspricht die Zerfallsgeschwindigkeit auch der Aktivität. Es gilt daher für die Aktivität, dass sie sich
ebenfalls proportional zur Teilchenmenge (N) der Radionuklide multipliziert mit der
Geschwindigkeitskonstante (k) verhält. Somit gilt insgesamt:

Δ𝑁
− = 𝑘𝑁 = 𝐴
Δ𝑡

𝐴 = 𝑍𝑒𝑟𝑓ä𝑙𝑙𝑒 𝑝𝑟𝑜 𝑍𝑒𝑖𝑡 | 𝐸𝑖𝑛ℎ𝑒𝑖𝑡 𝑖𝑛 𝐵𝑒𝑞𝑢𝑒𝑟𝑒𝑙 [𝐵𝑞]: 1 𝐵𝑞 = 1𝑠 −1

Herleitung des Zerfallsgesetzes


Aus dem gegebenen Term lässt sich nun das statistische Zeitgesetz oder Zerfallsgesetz herleiten:

Δ𝑁 Δ𝑁
− = 𝑘𝑁 ⇒ − = 𝑘Δ𝑡
Δ𝑡 𝑁

Differntialform
d𝑁
⇒− = 𝑘 ∙ d𝑡
𝑁
d𝑁
⇒ = −𝑘 ∙ d𝑡
𝑁

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Integriet
⇒ ln 𝑁𝑡 − ln 𝑁0 = −𝑘𝑡
𝑁0
⇒ ln = 𝑘𝑡
𝑁𝑡
Formen des Zeitgesetzes:
𝑁0
ln = 𝑘𝑡
𝑁𝑡

ln 𝑁𝑡 − ln 𝑁0 = −𝑘𝑡

𝑁𝑡
ln = −𝑘𝑡
𝑁0

Zieht man den Logarithmus so ergibt sich auch folgende Form:

𝑁𝑡
= 𝑒 −𝑘𝑡
𝑁0

Aus allen diesen Formulierungen des Zeitgesetzes lassen sich für die Bestimmung der Einzelnen
Parameter formulieren:

Aufgelöst nach Nt: ⟹ 𝑵𝒕 = 𝑵𝟎 ∙ 𝒆−𝒌𝒕


𝑁𝑡 𝑁0
Aufgelöst nach N0: 𝑁0
= 𝑒 −𝑘𝑡 ⇒ 𝑁𝑡
= 𝑒 𝑘𝑡

⟹ 𝑵𝟎 = 𝑵𝒕 ∙ 𝒆𝒌𝒕
Aufgelöst nach k: ln 𝑁𝑡 − ln 𝑁0 = −𝑘𝑡

𝑁0
ln = 𝑘𝑡
𝑁𝑡
𝑵
𝐥𝐧 𝟎
𝑵𝒕
⟹ 𝒌=
𝒕

𝑁
Aufgelöst nach t: ln 𝑁0 = 𝑘𝑡
𝑡

𝑵
𝐥𝐧 𝟎
𝑵𝒕
⟹ 𝒕=
𝒌

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Halbwertzeit (𝑻𝟏⁄ )
𝟐
Um exakte Vorhersagen zu machen lässt sich allgemein besser mit Halbmaximalwerten arbeiten,
daher ist auch beim Zerfall die Halbwertzeit ein wichtiger Wert zur Beschreibung vieler
Zerfallsprozesse. Die Halbwertszeit 𝑇1⁄ ist der Zeitraum t, zu dem exakt die Hälfte einer Stoffmenge
2
zerfallen ist, wenn also gilt:

1
𝑁𝑡 = 𝑁0
2

Durch das Zeitgesetz ergibt sich:

𝑁0 𝑵𝟎 ln 2 0,693
ln = 𝑘𝑡 ⟹ 𝐥𝐧 = 𝒌𝑻𝟏⁄ ⟹ ln 2 = 𝑘𝑇1⁄ ⟹ = 𝑇1⁄ ≈
𝑁𝑡 𝟏 𝟐 2 𝑘 2 𝑘
𝑵
𝟐 𝟎
1
Manchmal wird auch 𝜏 = 𝑘 [Tau] verwendet, dann gilt entsprechend:

𝑇1⁄ = ln 2 ∙ 𝜏 = 0,693 ∙ 𝜏
2

Kennt man die Zerfallskonstante k (bzw. λ), so lässt sich die Halbwertszeit direkt bestimmen. Kennt
man hingegen die Halbwertszeit 𝑇1⁄ so lässt sich hieraus die Zerfallskonstante bestimmen:
2

0,693
𝑘=
𝑇1⁄
2

Bsp. C14-Methode

Durch kosmische Strahlung entsteht in der Erdatmosphäre stets eine relativ konstante Menge des
Natürlichen Radioisotops 14C. Als instabiles Radioisotop zerfällt dieses Kohlenstoffnuklid aber wieder,
somit entsteht und zerfällt 14C entsprechend dem folgenden Schema:

14
7N + 10n 14
6C + 11p (Entstehung des 14C aus Stickstoff)

14 14
6C 7N + −10e (β--Zerfall des 14C zu Stickstoff)

Durch Aufnahme von Kohlenstoff durch Lebewesen, gelangt demnach bis zum Tode des Lebewesens
stets auch 14C in konstanter Konzentration in den Körper. Nach dem Tod jedoch kommt es
ausschließlich zum Zerfall. Vergleicht man also eine Referenzprobe mit einer Probe unbekannten
Alters, so lässt sich über den Unterschied im 14C-Gehalt (bzw. dem Unterschied in der Aktivität der
Proben) und Auflösen des Zeitgesetzes nach t ein relativ exaktes Alter der Probe bestimmen. Die
Halbwertszeit des 14C liegt bei 3730 Jahren.

Da die Aktivität A direkt von N abhängt, gilt hierfür dasselbe Verhältnis wie für 𝑁0 und 𝑁𝑡 . Daher lässt
sich auch direkt aus den unterschiedlichen Aktivitäten der Proben (und dem Zeitgesetz) das Alter
bestimmen, denn gilt:
𝑁0 𝐴0
=
𝑁𝑡 𝐴𝑡

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