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DEUTSCHE FORSCHUNGEN
ABTEILUNG KLASSISCHE PHILOLOGIE

IN VERBINDUNG M IT

LUDWIG DEUBNER, GÜNTHER JACHMANN,


CHRISTIAN JENSEN, JOHANNES STROUX,
WILLY THEILER

HERAUSGEGEBEN VON

HELLFRIED DAHLMANN UND KARL DEICHGRÄBER

B A N D io

JUNKER U N D D Ü N N H A U P T VERLAG / BERLIN


UNTERSUCHUNGEN ZU DEN
PSEUDOHIPPOKRATISCHEN
SCHRIFTEN
ΠΑΡΑΓΓΕΛΙΑ I, ΠΕΡΙ IH TPO Y UND ΠΕΡΙ ΕΥΣΧΗΜΟΣΥΝΗΣ

VON

ULRICH FLEISCHER

1939

JUNKER U ND D Ü N N H A U P T VERLAG / BERLIN


ALLE RECHTE VORBEHALTEN
COPYRIGHT 1939 BY JUNKER UND DÜNNHAUPT VERLAG, BERLIN
PRINTED IN GERMANY
D4

DRUCK: DIETSCH & BRÜCKNER GMBH., WEIMAR


VORWORT

Vorliegende A rbeit ist die hier und da v erän d erte F assung einer
D issertatio n , die der M arburger Philosophischen F a k u ltä t im Ju li
1937 vorgelegt w urde. Sie n ah m ihren Ausgang von einer A n­
regung m eines L ehrers K. D eichgräber, der m ich a u f die im Corpus
H ippocraticum überlieferten Παραγγελίαι hinwies. E ine erste U n te r­
suchung w urde von ihm im B erliner Philologischen Sem inar be­
sprochen u n d m ach te aus philosophischen u n d sprachlichen G rün­
d en die D atieru n g der Παραγγελίαι in späthellenistische Z eit w a h r­
scheinlich. N achdem D eichgräber die H ipp o k ratesim itatio n in d en
Παραγγελίαι erk an n t und d a rau fh in ihre D atierung in das 2. J a h r ­
h u n d e rt n. Chr. Geb. ausgesprochen h a tte , forderte die P roblem ­
lage eine U ntersuchung der S chriften Περί εύσχημοσύνης und
Περ'ι ίητροϋ, die seit Bensel m eistens m it den Παραγγελίαι verbunden
g ed ach t w urden. A uch der T e x t der beiden ebenso interessanten
wie schwierigen S chriften Παραγγελίαι und Περί εύσχημοσύνης
fo rd erte zu E rk läru ngsversuchen auf. Das Ergebnis dieser U n te r­
suchungen lege ich nu n m eh r vor u n d hoife, auch wo eine abschlie­
ßen d e A n tw o rt n ic h t m öglich w ar, der F orschung am Corpus
H ip p o craticu m zu dienen.
Mein besonderer D ank gilt an dieser Stelle m einem L ehrer
K . D eichgräber, der m ich du rch rege A nteilnahm e im m er wieder
zu r F o rtfü h ru n g der A rbeit erm u tig t h a t, die oft u n te r schwierigen
äußeren U m ständen zu leiden h a tte . Ih m bin ich auch fü r die
Ü berw achung des D ruckes zu D an k verpflichtet. F ü r treu e Hilfe
bei der K o rrek tu r des D ruckes m öchte ich auch an dieser Stelle
m einem Studienfreunde K . Schubring danken.

H arten sd o rf, P o st B eeskow /M ark, im A pril 1939.

U lric h F le is c h e r
INHALT
Seite
• Die S p ätd atieru n g der Schrift Παράγγελίαι . . . . ...................... 9
Die P arallele P arang. 30,13 ff. = E p ik u r, B rief an H erodot § 75 11
Sprachliche B etrac h tu n g der S c h r i f t ............................................ 18
B eiträge zu r T ex tk ritik ................................................................... 29

D arstellung der Problem lage n ach d er S p ätd atieru n g der


P a ra n g e lie n .................................................................................................44
Die Schrift Περί ϊητρρϋ. . ................................................................51
Die S chrift Περί ευσχημοσύνης . .......... 58
Sprachliche U n te r s u c h u n g ................................................................59
I n te r p r e ta tio n .....................................................................................67
D er „stoische“ C harakter der S c h r if t..........................................101
Das V erhältnis von Περί εύσχημοαννης u n d Π αραγγελίαι. . 105
Z ur Überlieferungsgeschichte ............................i,..........................108
D I E S P Ä T D A T I E R U N G D E R S C H R I F T Π Α Ρ Α Γ Γ Ε Λ ΙΑ Ι

D as Corpus H ip pocraticum ist kein einheitliches Ganzes. Um


den großen N am en des H ip p o k rates u n d einen G rundstock alter
S chriften haben sich im L aufe einer langen geschichtlichen E n t­
w icklung ionische Schriften m edizinischen In h a lts gesam m elt, und
schon im A ltertu m e n tsta n d das B edürfnis, „ech te“ und „un ech te“
zu scheiden. Von diesen Sam m lungen „hip p o k ratisch er“ S chriften
ist n u r ein b ed eu ten d er R e p rä se n ta n t a u f uns gekom m en. F ü r die
B eurteilung der uns erhaltenen Sam m lung b e d a rf es der K enntnis,
w ann sie abgeschlossen w urde, welchem J a h rh u n d e rt die jü n g sten
in ih r en th alten en Stücke zuzurechnen sind. Die gram m atische
Forschung, welche die hippokratischen S chriften als F undgrube
ionischen S prachm aterials au sb e u te t, k an n an den D atieru n g s­
fragen n ich t vorübergehen, w enn sie n ich t pseudoionische Schriften
sp äterer Z eit versehentlich als Belege des lebendigen ionischen
S prachgebrauchs verw erten will. D as Gleiche gilt, w enn m an die
hip p o k ratisch en S chriften als w ertvolle Zeugnisse hellenischen
Geistes b e tra c h te t. B esonders diejenigen von ihnen, die allgem ei­
n eren In h a lts sind, eine B eziehung zur Philosophie h aben, über
ethische F ragen oder die W issenschaftsgesinnung Zeugnis geben,
verm ögen auch dem etw as zu sagen, dem die speziellere Geschichte
der an tik en Medizin frem d ist. D as m öchte ich auch von den beiden
S chriften b eh au p ten , die im M itte lp u n k t nieiner vorliegenden
U n tersu ch u n g en stehen, Παραγγελίαι u n d Περί ενσχημοσύνης. Es
k ö n n te genügen, aus ihnen n u r die W örter φιλαν&ρωπίη und φιλό­
σοφος1) herauszuheben, u m fü r die F rage, w ann diese Schriften
en tstan d e n sind, Interesse zu erwecken.
E ine besonders auffällige Beziehung zur Philosophie h a t die
S ch rift Παραγγελίαι , N ich t n u r die durch das W o rt φιλαν&ρωπίη
bezeichnete E th ik , sondern vor allem das m it philosophischen B e­
griffen aufgebaute erste K a p itel d er S chrift stellt dringlich die
F rag e n ach der E n tsteh u n g szeit. Es ist h eu te n ich t m ehr schwer,
die sp äte E n tsteh u n g der S chrift u n d das N achw irken hellenistischer
Philosophie in ih r zu beweisen.
J) Vgl. z. B. Wilamowitz, Platon 1 2, Berlin 1920, 108 Anm. 1.
10 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

E n tsch eid en d scheint m ir n ic h t n u r das V orhandensein solcher


Begriffe zu sein, die der hellenistischen Philosophie eigentüm lich
sind, sondern auch vor allem die A rt ih rer V erw endung in der
S chrift. D er B egriff περίπτωσις z. B. t r i t t 30, 9 *2) so selbstverständ­
lich auf, d aß m an erkennt, er w ar n ic h t n u r dem A utor selbst ge­
läufig, sondern dieser konnte seine K enntnis auch bei dem Leser
voraussetzen. Ä hnlich ste h t es m it λογισμός πν&ανός — τριβή μετά
λόγον — εφαντασιώϋη έναργέως — εναργής έφοδος. Ohne die V oraus­
setzung der hellenistischen Term inologie ist die ganze erk en n tn is­
th eoretische P a rtie des E ingangskapitels n ich t zu verstehen. Schon
die T atsach e, d aß E rk en n tn isth eo rie getrieben w ird, ist bezeich­
nend . M an kö n n te n u n den V ersuch m achen, das V orkom m en
dieser hellenistischen Begriffe in den P arangelien a u f seinen U r­
sprung zu un tersu ch en. A ber eine genaue Festlegung des Begriffs­
u n d G edankenm aterials, m it dem der A utor der S chrift arb eitet,
ist n ic h t m öglich. Stoiker u n d E pikureer u n d die m edizinische
Schule der E m p irik er stim m en in bestim m ten G rundbegriffen u n d
einzelnen T erm ini der E rk en n tn isth eo rie im w esentlichen überein.
M an vergleiche etw a Stoic. v e tt.f r . 2 p. 2 9 ,1 1 ; 2 p. 29, 22; 29, 26
A rn. zu περίπτωσις. ■— φαντασία u n d φαντασιόομαι ist bei den
S toikern geläufig, vgl. z. B. 2 22, 36. — Zu μνήμη ξυν&ετική vgl.
σνν&ετική φαντασία 2 43, 20; 74, 7. — D er B egriff μνήμη kom m t
selb stverstän d lich häufig v o r; 2 23, 20 w ird μνήμη als ϋηο αερισμός
φαντασιών charak terisiert, w om it zusam m enklingt P aran g . 30, 8
ταντα τηρήσασα και ές έωυτήν κατανεμένη εμνημόνενσεν. Diese wenigen
A ndeutungen m ögen genügen, u m zu zeigen, daß Parallelen zwischen
Term inologie u n d G edanken der P arangelien u n d denen der stoi­
schen E rk en n tn isleh re festgestellt w erden kö n n ten . V ergleicht m an
ebenso die entsprechenden Begriffe der epikureischen Schule, so
w ird m an dieselbe P a ra lle litä t feststellen können. Ic h gebe n u r
einige B eispiele: αϊσίλησις, περίπτωσις, σΰν&εσις, λογισμός w erden
E picurea 36 p. 105, 23 Us. in dem selben Sinne verbunden wie
λογισμός, περίπτωσις, φαινόμενα 30, 9 u n d λόγοιίΆ, μνήμη ξνν&ετική
30, 5 der P arangelien. — μνήμη spielt n atü rlich auch in der epi­
kureischen E rk en ntnislehre eine Bolle, z. B. E pic. 255 p. 188, 4 Us.
— εναργής u n d ένάργεια ist in den E picurea häufig. A uf die ü b er­
einstim m ende B ew ertung der T yche in P aran g . 32, 16 u n d E pic.
sen t. 16 Us. k ö n n te m an ebenfalls hinw eisen. —
2) Ich zitiere nach der Ausgabe von Heiberg, CMG I, 1, S. 30 ff. Leipzig 1927.
2a) VgL die Interpretation S. 30.
Parang. 30, 13 fi. = Epikur, Brief an Herodot § 75 11

Die w ichtigste Ü bereinstim m ung zwischen den P arangelien und


E p ik u r findet sich in der oft besprochenen Parallele P arang. 30,13 flf.
= Epic. epist. ad H ero d o t cap. 75 (23, 1 ff. v. d. M ühll).3)
P aran g . 30, 13: ύ π ο λ η π τ έ ο ν ούν τ ή ν φ ύ σ ιν v n ò των π ο λ λώ ν
κ α ί π α ν το ίω ν π ρ η γ μ ά τ ω ν κινηύήναί τε καί δ ιδ α χ ύ ή ν α ι β ίη ς
ύ π ε ο ύ σ η ς . ή δε διά νο ια παρ’ αυτής λ α β ο ν σ α , ώς π ρ ο ε ιπ ο ν ,
ύ σ τε ρ ο ν ε ις ά λ η ϋ ε ίη ν ή γ α γ ε ν .
Epie, epist. I 75 (23 von der Mühll) αλλά μην ύ π ο λ η π τ έ ο ν και
τ η ν φ ύ σ ιν π ο λ λ ά και π α ν τ ο ία υπό αυτών τών π ρ α γ μ ά τ ω ν
δ ιδ α χ ύ ή ν α ί τ ε κ α ί ά ν α γ κ α σ ύ ,η ν α ΐ' τον δε λ ο γ ισ μ ό ν τα υπό
ταύτης π α ρ ε γ γ υ η ύ έ ν τ α ύ σ τε ρ ο ν έ π α κ ρ ιβ ο ϋ ν κ α ί π ρ ο σ ε ξ ε υ -
ρ ία κ ε ιν εν μέν τισι ϋάττον, εν δέ τισι βραδύτερον κτλ.
Diese genaue P arallele erm öglicht erst eine E ntscheidung d a r­
ü b er, w elcher der hellenistischen Schulen wir das B egriffsm aterial,
m it dem der Verfasser der P arangelien arb e ite t, zuschreiben dürfen.
Ohne eine genaue P arallele m ü ß ten w ir uns bei der allgem einen
E rk en n tn is beruhigen, d aß hellenistisches G edankengut vorliegt;
den n die an g efü hrten Beispiele zeigten, d aß w ir ebensogut an
S to ik er wie an E pikureer denken können. F ü r die B eurteilung der
P arangelien is t also eind eingehende B esprechung der P arallele
notw endig. Die P ara lle lität h a t schon L ittr é 45) in seiner A usgabe
(9, 252, 5) angem erkt. E r sa g t: Le passage de n o tre a u te u r e t celui
d ’E picure so n t copiés l ’un sur l ’a u tre . Le βίης ύπεούσης des Pré-
ceptes est l’éq u ivalent de Γάναγκασίίήναι d ’E picure. ·— E r h ä tte
hoch hinzufügen können, d aß n ach dem Z usam m enhang der
P aran g . äuch E p ik u rs λογισμός m it διάνοια der P arangelien zu­
sam m enfällt (3 0 , 12 δ λογισμός εν διανοίης δυνάμει υπάρχων εύρίσκεται).
D en Z usam m enhang m it den vorhergehenden Sätzen zur E rk läru n g
heranzuziehen, w ird m an sogar du rch den A u tor selbst v e ra n la ß t
(ώς προειπον 15). Die P ara lle litä t ist also eine vollständige. W ie sie
zu bew erten ist, soll ausführlich gezeigt w erden.
Z un äch st is t zu beachten, d aß die E pikurstelle, die n ac h A rt
dieses eine E pitom e aus der P h y s ik 6) darstellenden Briefes m it
άλλά μην an fän g t, v o r der D arstellung der sprachphilosophischen

3) W. A. Heidel, Hippocratea 1, Harvard Studies in Classical Philology


Voi. 25, 1914, 202 j J. E. Bensel, Philologus 78, 1921, 88ff. Am glücklichsten:
M. Pohlenz, Aus Platos Werdezeit, Berlin 1913, 134fi.; Ders., Hermes 53, 1918,
412f. Zuletzt: K. Deichgräber, Herrn. 70, 1935, 108.
4) E. Littró, Oeuvres complètes d’Hippoorate . . . Tome IX. Paris 1861.
5) S. 3, 4 von der Mühll: επιτομήν τής όλης πραγματείας . .... παρεακεύασω
12 Die Spätdatierung der Schrift Παοαγγελίαι

T heo rie E p ik u rs ste h t, die — wie w ir durch Lukrez wissen — einen


T eil der epikureischén K ulturphilosophie bildete, die ihrerseits
w ieder zur φυσιολογία gehörte. Die speziell sprachphilosophische
P a rtie w ird m it δ&εν καί (23, 7 von der Mühll) als B eispiel fü r die
allgem eine kulturphilosophische Lehre eingeführt (καί b e to n t den
B eispielcharakter), daß „die Physis (der Menschen) von den Dingen
selb st b e le h rt“ w ird ; daß sie ab er n ich t n u r als beliebig gew ähltes
B eispiel fü r diesen allgem einen Satz gem eint ist, sondern in der
k ultu rp hilosophischen S pekulation E pikurs ihren festen P la tz h a t,
zeigt ein Vergleich m it L ukrez, der im 5. B uche die E n tsteh u n g
der Sprache in einen naturgeschichtlichen E ntw icklungsprozeß ein­
o rd n e t, der von der E n tsteh u n g der W elt u n d der ersten Lebewesen
a u f der E rd e ü b er die ersten p rim itiv en M enschenwesen bis zur
h öh eren K u ltu r m it ihren V orzügen u n d S chattenseiten h in fü h rt.
A uch in der Stelle des E pikurbriefes is t d er E ntw icklungsgedanke
e n th a lte n , da S tufen der S prachentw icklung unterschieden w erden,
eine von der P hysis b estim m te individuelle (εξ αρχής —- μή ϋέσει
γενέσϋαι — lòia πάϋη — lòia φαντάσματα — ιδίως τον αέρα εκπέμπειν)
u n d eine sp ätere, in der die Thesis, die K onvention der G em ein­
sch aft, zu ihrem R ech t k o m m t (ύστερον δε κοινώς . . . τά Ιδια
τε&ήναί). D aß d er historische G esichtspunkt auch in dem von den
P aran g elien b e n u tz te n Satzteile w irksam w ar, zeigt der Schluß
desselben (έν μέν τισι &άττον, εν δε τισι βραδύτερον και εν μέν τισι
περιόδοις καί χρόνοις <κατά μείζονς επιδόσεις> εν δέ τ ισ ι . . . ) . — Die
B etrac h tu n g der E pik urstelle e rg ib t also, daß diese entw icklungs­
geschichtlich gem eint ist. A nders ist es m it der gleichlautenden
Stelle der P aran g . D o rt is t der gleiche Gedanke erk en n tn isth eo ­
retisch an g ew an d t. D a die sprachphilosophische S pekulation der
G riechen seit altersh er auch ü b e r das V erhältnis von W ort u n d
G eg enstand n ac h g ed ac h t h a t, is t diese erkenntnistheoretische
W endung an sich n ic h t auffällig. A ber fü r die B eurteilung des V er­
h ältn isses beider Stellen zueinander scheint doch w ichtig zu sein,
d aß der Z usam m enhang hei E p ik u r der w eitere u n d allgem einere
ist u n d d aß er, w enn auch erst bei genauerer In te rp re ta tio n , in der
spezielleren D arstellung der P arangelien nachw eisbar ist. W ir
wissen, d aß E p ik u r die erk en n tn isth eo retisch en F ragen der N a tu r­
philosophie u n tero rd n ete (fr. 242 Us.). W ichtig ist in unserm Z u­
sam m enhänge Cic. de fin. 1, 19, 63: ea scientia (scii, physicis) e t
v e r b o r u m v i s e t n a t u r a o r a t i o n i s e t consequentium repug-
n a n tiu m v e ra tio p o te st percipi. M an sieht, daß die Sprachphilo-
Parang. 30, 13 ff. = Epikur, Brief an Herodot § 75 13

sophie in der epikureischen E rk en n tn isleh re eine besondere Rolle


spielte u n d zur P h y sik gerechnet w urde. So ist es zu erklären, daß
der naturgeschichtliche Z usam m enhang des Briefes eine Stelle e n t­
h ä lt, welche auch erk enntnistheoretisch ged eu tet w erden k an n .
Die isolierende A nw endung dieser Stelle a u f eine spezielle D a r­
stellung der E rk en n tn isth eo rie w ar n atü rlic h leich t zu m achen,
w enn sie n ich t schon in der Vorlage der B riefstelle 6) form uliert w ar.
E s lä ß t sich n u n zeigen, d aß die P arangelien aus dem E p ik u rb rie f
selbst oder, wie D eichgräber (H errn. 70, 1935, 108) fü r m öglich
h ä lt, aus der Vorlage desselben geschöpft haben. Da der E p ik u r­
b rief sich selbst als E pitom e zu erkennen g ibt, is t die letztere V er­
m u tu n g n ic h t u n b eg rü n d et. Sie lä ß t sich aber n ic h t au sw erten ;
d en n n ach einer eingehenden V ergleichung beider Stellen w erden
w ir feststellen können, daß die P arangelien so deutlich m it dem
T e x t des E pikurbriefes übereinstim m en, d aß es zur E rk läru n g dieser
T atsach e n u r zw ei M öglichkeiten g ib t: die P arangelien h ab en den
B rief selbst b e n u tz t oder E p ik u r h a t in der B riefstelle sein größeres
W erk w ö r t l i c h ausgeschrieben, was bei der lockeren A neinander­
reihung der L ehren in denk Briefe schon a n sich n ah e liegt.
A u f einen B ew eisgrund d afü r, daß die P arangelienstelle die a b ­
geleitete ist, h a t schon M. Pohlenz (Aus P lato s W erdezeit S. 137)
hingewiesen : In den P arangelien t r i t t der B egriff P hysis u n m o tiv iert
auf, im E p ik u rb rie f ist er verstän d lich , d a b ald d a ra u f von den
φύσεις των ανθρώπων die R ede ist. D aß im E p ik u rb rie f der B egriff

e) Diese Vorlage war doch wohl Epikurs περί φύσεως. Der Einleitungssatz des
Briefes ist doppelsinnig: εκαστα των περί φύσεως άναγεγραμμένων . . . τάς μείζους
των συντεταγμένων βίβλους ■— επιτομήν της δλης πραγματείας . . . παρεοκεύααα
scheint auf die Ausnutzung des L e h rb u c h e s {σύνταξις, πραγματεία) hinzuweisen,
kann aber ebensogut auch den L e h rg e g e n s ta n d περί φύσεως bezeichnen,
so daß wir aus diesem Satze nicht entnehmen können, ob Epikur nur sein Haupt­
werk περί φύσεως oder neben ihm auch andere Schriften ausgeschrieben hat.
Aber die von Diogenes Laertius angeführten Verweisungen und der an ver­
schiedenen Stellen mögliche Vergleich mit Lukrez weisen auf περί φύσεως hin.
Der in der vorangehenden, stark verstümmelten Partie 1, 74 erkennbare Fragen­
komplex kann ohne Schwierigkeit auf die kosmológische Anfangspartie der im
5. Buch des Lukrez enthaltenen Entwicklungsgeschichte bezogen werden. Die
einzelnen kosmologischen Lehren, die Lukrez dort vorträgt, sind ohne Zweifel
schon in der Epitome auf das Notwendigste beschränkt gewesen, so daß die
Verstümmelung nicht allein dem Diogenes und der Überlieferung zur Last fällt.
Eine d u rch g e h en d e Parallelisierung des Briefes an Herodot mit dem Werke
des Lukrez läßt sich nicht herstellen, aber es wird kein Zufall sein, daß § 74 und
§ 75 des Briefes sich auf die Darstellung bei Lukrez beziehen lassen.
14 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

ebenfalls u n v erm u te t eingeführt w ird, k an n gegen diese F e st­


stellung n ich t geltend gem acht w erden, denn hier ist es durch den
C h arak ter des Briefes als E pitom e u n d durch αλλά μην auch
stilistisch b eg rü n d et. A uch das καί in νποληπτέον καϊ την φύσιν
k a n n als Beweis d afü r gelten, d aß die E rw ähnung der φύσις aus
einem größeren Z usam m enhang gerissen ist. Dieses καί h a t der
A u to r der P arangelien n atü rlich weglassen m üssen, da es in seinem
Z usam m enhänge g estö rt h ä tte . U nd gerade dadurch, daß der
größere Z usam m enhang, den w ir für die B riefstelle bzw. deren
Quelle, die P rag m atie, annehm en m üssen, in der B riefstelle noch
zum Teil, in der P arangelienstelle aber erst durch genaue In te r­
p re ta tio n zu erkennen ist, können wir etw as ü b er die Quelle der
P arangelien v erm u ten : Die Stelle der P arangelien setzt ein m it dem
B egriff der φύσις. Von dieser ist in den P arangelien vorher n ich t die
R ede. In der entw icklungsgeschichtlichen E rö rteru n g des E p ik u r
m u ß te er der Sache entsprechend vorher schon g enannt sein. D aß
er im Briefe ohne E rk läru n g ste h t, b e ru h t au f dem exzerptartigen
C h arak ter des Schriftstückes. D aß er aber auch in den P arangelien
in der gleichen W eise a u ftritt, lä ß t sich am besten verstehen, w enn
m an an n im m t, d aß dies auch in der Vorlage der F all gewesen ist.
Die P arangelienstelle ist also n ic h t n u r als die abgeleitete zu er­
kennen, sondern m an sieht auch, d aß ihre Vorlage, genau wie die
Stelle des E pikurbriefes, m it νποληπτέον . . την φύσιν begann.
F ü r die F eststellung, d aß die P arangelien die abgeleitete Fassung
en th a lte n , lä ß t sich noch einiges anführen. Man vergleiche die w ö rt­
liche Ü bereinstim m ung sowie die A bw eichung von υπό των πολλών
καί παντοίων πρηγμάτων κινηϋηναί τε καί διδαχ&ήναι βίης νπεούσης u n d
d er E p ik u rstelle πολλά καί παντοϊα υπό αυτών των πραγμάτων διδαχ-
’& ηναίτε καί άναγκασ&ήναι. Es w erden die gleichen W örter gebraucht,
die K o n stru k tio n m it υπό u n d sogar die V erbindung re καί ist
beid en Stellen gem einsam . A ber die E ntsprechung zwischen dem
schlichten διδαχ&ηναί τε καί άναγκασ&ήναι bei E p ik u r und dem
voller klingenden κινη&ήναί τε καί διδαχ&ήναι βίης■ νπεούσης zeigt
bei aller Ü bereinstim m ung eine leichte V erschiedenheit n ic h t n u r
des Tones, sondern auch des Sinnes. D as p räg n an te H endiadyoin
διδαχή — ανάγκη bei E p ik u r w ird in den P arangelien d u rch den
G enitivus absolutus aufgelöst, a n Stelle der gram m atischen P a r­
a lle litä t beider Begriffe t r i t t die In k o n z in n ität. Die V erbindung
τε καί is t wohl w örtlich dieselbe, aber ih r sy n tak tisch er Sinn ist
v e rä n d e rt ; denn κινη&ήναί τε καί διδαχ&ήναι ist n ich t als H endiadyoin
Parang. 30, 13 β. = Epikur, Brief an Herodot § 75 15

zu denken, die verklam m ernde F u n k tio n des rs καί m ach t der


lediglich anreihenden P la tz. So än d e rt sich zugleich auch der
philosophische Sinn des A usdrucks. F ü r den kulturphilosophischen
bzw. sprachphilosophischen G edankengang E pikurs w ar zweifels­
ohne der G edanke der άνάγκη als der kausalen N otw endigkeit b e ­
sonders eng m it dem διδαχ&ήναι v erbunden, w ar die belehrende
N a t u r n o t w e n d i g k e i t polem isch gegen die L ehre vom göttlichen
oder heroischen L e h r m e i s t e r der Sprache gestellt. D as W o rt
διδαχ’&ήναι e rh ält du rch diesen Hinweis e rst seinen vollen Sinn.
Diese enge V erbindung ist in der erkenntnistheoretischen D a r­
stellung der P arangelien gelockert, einm al sy n tak tisch u n d dann
du rch die E infüh ru ng des κίνησις-BegiìSs. V ielleicht sollte κινη&ήναι
die physikalisch-m echanistische E rk läru n g des A pperzeptions­
vorgangs als einer Bewegung bezeichnen, vielleicht ist es ohne
diesen N ebengedanken lediglich als allgem einster B egriff gesetzt.
Die Abweichung der P arangelien von dem E pikurbrief, die zunächst
infolge der n ic h t w egzuleugnenden Ü bereinstim m ung n u r eine
F rage der A usdrucksweise zu sein scheint, erw eist sich jedenfalls
bei n äh erer B etrach tu n g 'a u c h als eine A bw eichung von dem u r ­
sprünglichen philosophischen Sinn der E pikurstelle. Man könnte
diesen sachlichen U nterschied zw ar zum Teil a u f die verschiedene,
hier erk enntnistheoretische, d o rt sprachphilosophische Tendenz der
beiden S tücke zurückführen. W ahrscheinlich h a n d e lt es sich aber
in erster Linie u m eine stilistische U m arbeitung, welche die sach­
liche A bw eichung zur Folge h a t. D enn das gleiche V erhältnis von
Ü bereinstim m ung u n d Abweichung zeigt in noch viel stärkerem
M aße die H ereinnahm e des πολλά καί παντοία E pikurs in die K on­
stru k tio n m it υπό, w odurch n ich t n u r das auch in dem erk en n tn is­
theoretisch en Z usam m enhänge n ic h t unw ichtige αυτών E pikurs
wegfallen m u ß te, sondern auch eine gewisse U nstim m igkeit e n t­
steh t. Im sprachphilosophischen G edankengange des E p ik u r­
briefes, der a u f die M annigfaltigkeit der W örter großen W e rt legen
m u ß te — wie auch L ukrez 5, 1028 v a r i o s linguae sonitus, vgl.
1044, 1058, 1060 usw. — h a t πολλά καί παντοια seinen Sinn, in den
P arangelien erscheint es als Füllsel, da, hier von der E rw ähnung
der A nzahl u n d M annigfaltigkeit der Dinge gar kein G ebrauch ge­
m ach t w ird. Schon daß von der M annigfaltigkeit der Dinge s ta tt
von der M annigfaltigkeit der von den D ingen bew irkten E indrücke
gesprochen w ird, erscheint als V ergröberung. Bei E p ik u r ist also,
wie w ir es fü r diesen Philosophen u n d glänzenden Schriftsteller
16 Die Spätdatierung der Schrift ΠαραγγελΙαι

au ch sonst charakteristisch finden, der A usdruck schlichter, der


logische Zusam m enhang klarer. Ä hnlich ste h t es m it είς άλη&είην
ήγαγεν 30, 16. D er A usdruck ist d eu tlich als p erip h rastisch zu e r­
k en n e n .7) H ier b rin g t ab er die U m schreibung eine term inologische
U nsicherheit m it sich: fü r E p ik u r sind die W ahrnehm ungen als
solche w ah r u n d b rau ch en n ic h t e rst „z u r W a h rh eit geb rach t“ zu
w erden. D as im E p ik u rb rie f stehende έπακριβοΰν καί προσεξευρίσκειν
is t also term inologisch besser. N im m t m an hinzu, daß διάνοια s ta tt
des epikurischen λογισμός ste h t, die Id e n titä t m it diesem aber v o r­
h er au sdrücklich festg estellt w urde, so w ird m an n u n auch in
βίης ύπεούσης eine bloße U m schreibung des άναγκασ&ηναι v erm u ten .
D er V erfasser der P arangelien, d er auch sonst eine gewisse Vorliebe
fü r p erip h rastisch en A usdruck zeigt, h a t auch bei seinen eigenen
A usdrücken eine V eränderung philosophischer T erm ini in tönende
P erip h rasen vorgenom m en; denn sachlich ist z. B. των μ ετ' αίσ&ή-
σεως ληφ&έντων 30, 5 u n d των φαινομένων 30, 10 etw a dasselbe, u n d
das Gleiche gilt fü r εκ των έναργέως έπιτελεομένων 30, 11 — ε |
εναργέος εφόδου 30, 16 u n d λογισμός πιΰανός 30, 4 — πι&ανή άνά-
πλασις λόγου 30, 16. Die stilistische F orm ung w ar ihm also w ichtig,
w ichtiger m anchm al, wie gezeigt w urde, als die philosophische
K larh eit. Die besprochene inhaltliche A bw eichung von E p ik u r
k a n n a u f G rund dieser E rk e n n tn is als sekundär gelten. D a gezeigt
w erden k o n n te, d aß sie ebenso wie die stilistische U m arbeitung zu
einem V erfehlen des bei E p ik u r überlieferten philosophischen Sinnes
fü h rt, is t die A bhängigkeit der P arangelien von E p ik u r bewiesen.
Die Kopie is t also, entgegen L ittré s A nsicht, aus inhaltlichen u n d
stilistischen G ründen als solche zu erkennen. D as O riginal erw eist
sich, n ach der ang estellten V ergleichung, du rch seine sch rift­
stellerische u n d philosophische K larh eit als ech ter E p ik u r.
Es is t also n ic h t so, wie H eidel b e h a u p te t, d aß in den P a ra n ­
gelien noch n ich t die voll entw ickelte epikureische Philosophie v o r­
liegt, die d an n bei E p ik u r ex a k te r a u f t r i t t 8), sondern gerade um -

7) Vgl. über den umschreibenden Gebrauch von αγειν bei Epikur selbst
H. Widmann, Beiträge zur Syntax Epikurs, Tübinger Beitr. zur Altertumsw.
Heft 24, 1935, 68. — Mit dieser Auffassung des Ausdrucks als einer bloßen Um­
schreibung entfällt die Notwendigkeit, für den Autor der Parang. einen speziellen
Wahrheitsbegriff anzunehmen.
8) Hippocrateä 1, 203. I t is plain, however, th at we do not have in our
treatise the fully developed terminology of Epicurus and we are perhaps not
justifiod in dating it quite so late . . .
Parang. 30, 13 fi. = Epikur, Brief an Herodot § 75 17

g ek e h rt: die epikureische Philosophie ist vorausgesetzt, aus ih r


heraus w erden die w ichtigsten G edanken der E rkenntnislehre ge­
geben, aber in einer um schreibenden D arstellung, u n te r V erm eidung
einer sich völlig gleichbleibenden ex a k te n Term inologie. E s lieg t
also schon eine popularisierende B ehandlung der a b stra k te n Ge­
dan k en vor.
F ü r die Quellenfrage b e d e u te t die F eststellung der genauen
E n tsp rech u n g zw ischen der Stelle der P arangelien u n d derjenigen
des E pikurbriefes, d aß w ir, wie schon an g ed eu tet, n u n auch das
R ech t h ab en , das übrige philosophische G edankenm aterial der
S ch rift der gleichen Quelle zuzuschreiben, also als epikureisch zu
d eu ten .9)
D arau s e rg ib t sich fü r die D atieru n g , d aß w ir — ganz gleich,
ob der E p ik u rb rie f oder das größere W erk des E p ik u r, aus dem die
B riefstelle sta m m t, die V orlage is t — die P aran g elien in n ac h ­
epikureische Z eit ansetzen m üssen.
D aß dieser Schluß n ic h t schon län g st gezogen w urde, liegt
d aran , d aß L ittre zugleich m it der E p ik u rp arallele das von D arem ­
berg 10) aus dem U rbinas Gi\ 68 saec. X IV publizierte Galenscholion
zum A nfang der P arangelien — in dem gesagt w ird, „C hrysipp der
S toiker“ h abe καιρός am A nfang der S chrift e rk lä rt — einer w ei­
te re n Ö ffentlichkeit zugänglich gem acht h a t. N achdem W . B räu ­
tig a m 11) u n d H . D iller12) die U nech th eit dieses Scholions n ac h ­
gewiesen h a tte n — es gehört d anach vielleicht einem Jatro so p h isten
des 6. oder 7. Ja h rh u n d e rts, k a n n aber auch jü n g er sein 13) — fiel
dieser E in w an d gegen die S p ätd atieru n g der P arangelien fo rt.
H a tte m an sich v o rh e r vergeblich b em ü h t, die unleugbare Paralleli-

9) Wie dieser epikureische Charakter zu verstehen ist, soll im folgenden


noch kurz besprochen werden (S. 26 fi.).
10) Notices et extraits des manuscrits médieaux grecs, latins et fran?ais
des principales bibliothèques de l’Europe, Paris 1853, 200f.
11) De Hippocratis Epidemiarum libri sexti commentatoribus. Diss. Königs­
berg 1908, 54ff. (über das Verhältnis dieses Scholions zu Galens Kommentar
zum ersten Aphorismus 17 B 346 ff. K.).
12) Die sogen. 2. Fassung dos 19. Hippokratesbriefes, Qu. u. Stud. z. Gesch.
d. Naturw. u. d. Medizin Bd. 3 Heft 4, 1933, 4Sf. - Zur Hippokratesauffassung
dos Galen, Hermes 68, 1933, 175: Das Scholion ist „ein Autoschediasma aus
den Parangelien“.
13) H. Diller, Hermes 68, 1933, 176: „wahrscheinlich als Stilübung eines
humanistischen Schreibers nicht vor dem 15. Jh d t. in den Urb. 68 einge­
schwärzt.“
2
18 Die Spätdatierung der Schrift ΠαραγγελΙαι

t ä t der E pikurstelle du rch den bloßen Hinweis a u f den Dem o-


k ritee r N ausiphanes zu erk lä re n , der als L ehrer der E p ik u r u n d
als Physiologe die gem einsam e Quelle fü r E p ik u r u n d u nseren
M ediziner darstellen so llte1415), so ko n n te n u n der B lick unbefangener
a u f d as Z eugnis der S chrift selbst achten. Dieses sp rich t aber
d eu tlich genug fü r den S p ätan satz . Es ist näm lich n ic h t n u r die
Philosophie des ersten K apitels, welche die S p ätd atieru n g verlangt,
sondern auch eine sorgsam e B ew ertung des sprachlichen C h arak ters
der Schrift m uß zu dem gleichen Ergebnis gelangen.

Sprachliche B e tra c h tu n g der P arangelien.


Auffällig ist an der S chrift vor allem der W ortschatz. Eine ein­
gehendere U ntersuchung desselben m ag in E inzelheiten noch so
unbefriedigend se in 16), sie zeigt aber, was jed er aufm erksam e Leser
sofort em pfindet, ob die S chrift ihrem sprachlichen C harakter n ach
in eine bestim m te E ntw icklungszeit der griechischen Sprache und
L ite ra tu r hineing estellt w erden d a rf oder n ich t. E ine besondere
Schw ierigkeit lag bei den P arangelien u n d ebenso bei der im
Folgenden zu beh andelnden S chrift Περί ενσχημοσύνής darin, daß
diese S chriften ionisch geschrieben sind oder doch als ionisch gelten
wollen. Es is t b ek a n n t, daß ionische u n d „p o etisch e“ S pracheigen­
tü m lich k eiten in die hellenistische Prosa, besonders deren W o rt­
schatz, eingegangen sind.16) I s t also ein einzelnes W o rt einer

14) W. A. Heidel, Hippocratea 1, Harvard Studies Class. Philol. 25, 1914,


202; Gossen R. E. Bd. 8, 2 Sp. 1813; J. F. Bensel, Philologus 78, 1921, 98f. ;
M. Pohlenz, Hermes 53, 1918, 412.
15) Wie leicht z. B. aus rein technischen Gründen dem Beobachter ein Beleg
für eine vereinzelte Spracherscheinung entgehen kann, weiß jeder, der sich
solcher Arbeit widmet. Dazu kommt natürlich die fragmentarische Erhaltung
eines großen Teiles der griechischen Literatur, welche ein gewisses Unsicherheits­
moment in die Datierung nach sprachlichen Gesichtspunkten hineinträgt. Es ist
also zuzugeben, daß die sprachliche Untersuchung aus den verschiedenen Grün­
den mit einigen Mängeln behaftet sein kann. Wo ihre Notwendigkeit aber fest­
steht, sollte man sich der Mühe nicht entziehen, und man wird für Datierungs­
fragen zwar kein allein entscheidendes unfehlbares Argument gewinnen, aber
doch einen Hinweis oder eine willkommene Bestätigung für eine Zeitschätzung
erarbeiten können.
1β) A. Thumb, Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus,
Straßburg 1901, 209, 216ίϊ. ; E. Mayser, Gramm, d. gr. Pap. a. d. Ptol’zt. Bd. 1,
Neue Ausgabe, Berlin und Leipzig 1923, 20ff., über poetische Wörter und
Redensarten 24 ff. ; E. Schwyzer, Griech. Gramm. 1. Bd., Handb. der Alter-
tumswiss. II 1, I München 1939, 128.
Sprachliche Betrachtung der Schrift 19

ionischen S chrift als hellenistisch verdächtig, so w ird m an sich


zun ächst n ich t ganz leicht dazu entschließen, es auch fü r helle­
nistisch zu erk lären ; denn es k ö n n te ja ebensogut genuin ionisch
sein u n d d an n auch in die spätere P ro sa eingedrungen sein, ohne
d aß wir einen Beleg in alten ionischen Schriften haben. E in Beispiel
m ag diese Schwierigkeit erlä u te rn : E . M ayser, G ram m , d. griech.
P a p y ri aus der P tolem äerzeit Bd. 1, 1923, 23 w ird κοινολογία u n te r
denjenigen W ö rtern genannt, die aus dem Ionischen in den W o rt­
sch atz d er Koinè gelangt sind, wobei a u f H ippokr. verw iesen wird.
D as W o rt ko m m t, soviel ich sehe, im ganzen Corpus H ippocraticum
n u r in den P arangelien (33, 7) vor. Die von M ayser angeführten
P apyrusbelege stam m en aus dem 2. Ja h rh u n d e rt v. C. Je nach
d er D atierun g dieser S chrift k a n n m an n u n das W o rt als ionisch­
hellenistisch oder hellenistisch bezeichnen. Aus diesem G runde e n t­
s te h t leicht fü r die B ew ertung des sprachlichen C harakters solcher
S chriften ein Gefühl der U nsicherheit, welches dazu fü h ren k an n ,
d aß m an aus sprachlichen G ründen allein ein U rteil über D a tie ­
ru ng sfrag en n ic h t zu fällen w agt. So e rk lä rt sich die T atsache,
d aß m an cher F orscher diese ionisierenden S chriften fü r ionisch
h ielt, wozu m an u m so leichter v e ra n la ß t w erden ko n n te, solange
m an an n ah m , d aß das Corpus H ip p o craticu m in hellenistischer
Z eit bereits fertig abgeschlossen vorlag.
F ü r die B ew ertung der Sprache der P arangelien gelten vor allem
zwei G esich tspu nk te: In erster Linie sind es die N eubildungen im
W o rtsch atz, welche n ic h t vor dem H ellenism us anzusetzen sind.
A u ßerdem bew eist die Fülle der W ö rter sp äten C harakters, d aß
hier kèin zufälliges u n d gelegentliches Z usam m entreffen ionischer
u n d h ellenistischer S prache, sondern ein durchgehender sp äter
C h arak ter der Sprache angenom m en w erden m uß. A nm erkungen
zur S y n ta x b estätig en dieses U rteil.
W ertv oll fü r die sprachliche U ntersuchung ist auch die jü n g st
von H . D iller ausgesprochene S p ätd atieru n g der S chrift Περί
τροφής.17) Solange m an diese S chrift fü r a lt hielt, w urde das Gefühl
der U nsicherheit gegenüber hellenistischen W ö rtern in ionischen
S chriften d ad u rch v e rs tä rk t, daß diese „ a lte “ S chrift ebenfalls
M erkm ale hellenistischer Sprache im W ortschatz e n th ä lt. N ach

17) H. Diller, Eine stoisch-pneumatische Schrift im Corpus Hippocraticum,


Sudhoffs Archiv f. Gesoh. d. Mediz. u. d. Naturw. Bd. 29, 1936, 178fi. Dazu
jetzt M. Pohlenz, Hippokratesstudien N. G. G., N. E. 2, 4, 1937, 99 Anm. 1
und Diller, Archiv f. Geschichte der Medizin 31, 1938, 204.
20 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

der S p ätd atieru n g w ird m an hellenistische W ö rter in dieser Schrift


n ic h t m ehr als ionisch aufzufassen u n d d a m it w egzuinterpretieren
brauchen. U nd das b e d e u te t ganz allgem ein, d aß m an m it dem
W e rtu rteil „hellenistisch“ n ic h t m ehr so ängstlich zu sein b ra u c h t,
wie m an sein m u ßte, solange eine ionische S chrift, welche deutliche
K ennzeichen hellenistischer S prache zeigt, u n b e stritte n als a lt galt.
Solche W ö rter kom m en in περί τροφής n ic h t wenige v o r: έπιπροσ&ε-
τέω, επεισκρίνομαι, έκβλαστάνω, εξαμαυρόω, κατάχρισμα, γυμνότης,
λίπασμα, ενδοτάτω, εύανάσφαλτος, δυσανάσφαλτος, ρίζωσις, έθισμός,
πλεονασμός, βλαπτικός, αμετάβλητος, ευμετάβλητος, δυσεξανάλωτος,
εύπρόσθετος, ενεξανάλωτος, δύστηκτος, δνσμετάβλητος, δυσέκτηκτος
(vgl. den In d e x des CMG I 1). Ih n e n stelle ich einige gegenüber,
die n ic h t n u r hellenistisch, sondern auch ionisch sind : πάρεξ (May-
ser, 1, 23), ταχύτερος, όχημα, εντοσθίδια, θερμασίη, νγρασίη, δηγμός,
καυλός, εφηλις, ούλομελίη, ρήξις, γενσις, άραιότης, νοσηλός, ’έ κπτωσις,
die m eisten von ihnen kom m en auch sonst in hippokratischen
S chriften vor.
N ach diesen allgem einen A usführungen zur sprachlichen U n te r­
suchung — die ich vor allem deswegen so ausführlich gehalten habe,
weil ich bei der B esprechung der S chrift Περί ενσχημοσύνης von den
gleichen E rw ägungen ausgehen m uß — gebe ich n u n m öglichst
k u rz das w ichtigste M aterial zur D atieru n g d er P arangelien.
N euscböpfungen des A utors, d. h . W örter, welche in der grie­
chischen L ite ra tu r, soviel ich sehe, n u r h ier Vorkom m en, sind die
folgenden :
A b stra k te S u b sta n tiv a a u f — της: άτρεμιότης, ήρεμαιότης,
— σις: προσκύρησις, καταύδησις, ίσχνρισις (vgl. δασχύριαις E p ik u r.
de n a t. 28, ρ. 18, 8 Vogl.), — ίη: ξυγχωρίη, ετοιμοκοπίη. Die m it
έτοιμο- gebildeten A djektive finden sich n ach den A ngaben der
Lexika vorzugsweise in der K aiserzeit. D as älteste W o rt dieser A rt
is t anscheinend das bei S trabo X V 1,59 vorkom m ende ετοιμοθάνατος.
H ellenistisch ist diese W ortbildung ohne Zweifel. D as S u b stan tiv
is t n atü rlich noch auffälliger. Die In te rp re ta tio n w ird zeigen, daß
es n ic h t n ö tig ist, das W o rt anzuzweifeln.
D as n u r hier belegte έπικράτιδες is t w ohl d er A lltagssprache
en tn o m m en ; bei H esych s. v. επικρατίδιον finden w ir das D em inutiv
in gleicher B ed eu tung.
B ezeichnend sind die V erba, die durch K om position einfacher
V erben m it P räp ositionen gebildet sin d : διαζηλεύομαι, διαντλίζομαι,
κατασιλλαίνω, έπιδιανοέομαι.
Sprachliche Betrachtung der Schrift 21

Die K om posita m it ém-δια- sind fa st alle ionisch oder sp ä t. Aus


älte re r Z eit g ib t es bei H e ro d o t: έπιδιαβαίνω (auch T hukyd. u.
X e n o p h o n )18), επιδιαγιγνώσκω, επιδιαιρέομαι; bei P la to n : επιδια-
κρίνω; επιδιανέμω, επιδιατρίβω zuerst A ristoteles, die m eisten noch
jü n g er, besonders in der K aiserzeit. E s scheint, d aß die Vorliebe
der K oinè fü r S y n tb e ta u n d P a ra sy n tb e ta ebenfalls ionisches
E rb g u t ist.
A d jek tivbildungen sin d : εϋπταιστος , φιλ-αλυστής ; άλυώδης,
φ&εγγώδης. Die B ildungen a u f -ώδης finden sich in alter P rosa
besonders bei T hukydides, P la to n u n d im Corp. H ippocr., z. B.
im P ro gnostikon.19) In d er P to lem äerzeit scheinen keine N eu­
bildungen der A rt vorzukom m en, d a E . M aysers G ram m atik auch
in der N euauflage (Bd. 1 L au t- u n d W ortlehre, 3. Teil S tam m ­
bild u n g, 2. um gearb. A uflage 1935) keine au ffü h rt. H äufig w erden
diese B ildungen w ieder in der K aiserzeit, vgl. W . Schm id, D er
A tticism u s in seinen H a u p tv e rtre te rn 4, 698, Beispiele aus ein­
zelnen A utoren 3, 277, 4, 435. E rw ähnen m öchte ich noch V ettius
V alens, der aus sachlichen G ründen A djektive a u f -ώδης häufig h a t,
d a ru n te r ganz singuläre wiè ’&εατρώδης, ϋ·ρησκώδης, μοχ&ώδης.
Diese N euschöpfungen allein charakterisieren die Sprache der
S ch rift als sp ät. Eine kurze A usw ahl an d erer W ö rter der Schrift
soll diesen E in d ru ck noch verstärk en .
Z u n äch st fü h re ich als Beispiele fü r sprachgeschichtlich b e­
dingtes Z usam m entreffen ionischer und hellenistischer Sprache die
folgenden an.
άλεωρή H om er, H esiod, H erodot, A ristoph. —4 A ristot., Joseph.
u. a. sp.20) Zu άλεωρήν παρέχειν 32, 26 vgl. Diod. Sic.
3, 34, 2 άλεωράν ποιεΐν.
ευκταίος Tragödie, P la t o — E p ik u r, P lu ta rc h , L ukian (P lat. Leg.
3, 687 e ist ευκταίος V arian te zu ευκτέος , das B urn. im
T e x t b e lä ß t; Leg. 10, 906b is t ευκταίος allein überl.,
das W o rt h a t aber ganz an d eren Sinn als in P aran g .
34, 10), p o et. u. hell., vgl. E . M ayser, G ram m , d . griech.
P ap . a. d. P tolem äerzeit 1 (1923) 31. — W . Schm id,
D er A tticism us Bd. 1, 330. — A uch
18) Zu έπιδιαβαίνω vgl. Kühner-Blaß 2, 321, 1.
ie) Auf die sachliche Notwendigkeit des Gebrauches dieser Wortbildung
in prognostischem Zusammenhang weist neuerdings W. Jaeger, Diokles von
Karystos, Berlin 1938, 20 hin.
20) Fundstellen im einzelnen bei Liddell-Scott.
22 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

εύμαρής das in a ttisch er P rosa selten ist (P lato n in gehobener


Sprache), ist ein poet. W o rt in der K oinè. Im Einzelfall
ist n atü rlich n ic h t leicht zu entscheiden, ob ein W ort
ionisch ist oder der ionisch g efärbten poetischen Sprache
angehört. — E . M ayser 1, 31.
κακοτροπίη T h u k y d . — Dio Cass. u . a. sp.
ξενοπρεπής H ippocr. de fra c t., (A retaios)— Dion. H ai., also ion. u.
sp. Das W o rt ist von dem V erfasser der P arang. ebenso
wie von A retaios w ahrscheinlich aus der hippokratischen
Sprache e n tle h n t u n d zw ar aus de fract. 46, 17 K w .
^ όδμή die ion. F orm s t a t t οσμή in der Koinè seit T heophrast.

D aß es sich aber n ic h t n u r u m ein solches Z usam m entreffen ioni­


scher u n d sp äter Sprache h an d elt, zeigen die folgenden W örter,
zu denen ich jew eils den ältesten Beleg verzeichne.21)

άνοδία P olyb. ü b erall w örtlich; in ü b tr. B dtg. Philo Alex.


1, 262, 19 (Cohn).
ανοσία P o llux 3, 107.
άπαν&ρωπία i. d. B dtg. M enschenscheu H ippocr. Coac. p raen. 472
(5, 690 L ittré) al μετά σιγής άϋνμίαι καί άπαν&ρωπίαι,
i. d. B dtg. U nm enschlichkeit Philo Alex. 4, 7 8 ,1 3 (Cohn)
neben ώμότης. Vgl. das A d jek tiv bei Aeschyl. P rom . 20.
άπόληξις Soran CMG IV 104, 7; M. A nton. 8, 20.
άτεραμνία ü b tr. B dtg. des S ub stan tiv s n u r hier, vgl. ü b tr. B dtg.
von άτέραμνος P olyb. 4, 21, 4 το τής ψυχής άτέραμνον,
Aeschyl. P rom . 190 άτέραμνον οργήν,
επαγγελία P olyb. 1, 72, 6 u. δ.
έπινέμησις E p ik u r epist. 2, 93.

21) Das Material verdanke ich natürlich vor allem Liddell-Scott. Verglichen
wurden vorsichtshalber die Nachträge bei L.-Sc. selbst und die von W. Schmid
in Philologische Wochenschr. 1926ff. Bei Benutzung von Speziallexica und
Indices stellte sich oft genug heraus, daß diese bereits genügend von L.-Sc. aus­
geschöpft sind. Stellen, an denen ich über L.-Sc. hinauskam, sind ganz selten
und bestätigen so das Vertrauen, das man zu diesem Werke haben darf. Benutzt
wurden außerdem Thes. Gr. L. und die Lexica von Sophocles, Herweerden,
Preisigke-Kießling, W. Bauer, jedoch ohne wesentliche Förderung im einzelnen,
da es mir hier nur auf den ä lte s te n Beleg eines Wortes ankam. Wieviel ich
E. Mayser und W. Schmid Atticism. verdanke, geht aus den Stellenangaben
hervor.
Sprachliche Betrachtung der Schrift 23

εύαρμοστέω Philo Byz. 53, 29.


ευδοκία S ep tu ag inta, Philod. de piet. 25, 5.
ευχαριστία geh ö rt ebenfalls der Koinè an. Stellen beiC . B. W elles,
R o y al Correspondence in th e H ellenistic P eriod, New
H av en 1934, 338. — Die B dtg. ist 32, 7 u n d 34, 2 v er­
schieden (vgl. die In te rp re ta tio n u n te n S. 38 u. 41).
καταχλιδέω s t a t t -deo, vgl. άπαυδέω s t a t t -άω 33, 22. -άω Posidon.
ap. A then. 5, 212 c.
κατήχησις D as W o rt is t w ohl e rst in der stoischen Schule geprägt
w orden. Stoic. v e t. fr. 3, 55 , 2 A rn., D ion. H ai. D in. 7,
A th en , ap. O ribas. 4, 139, 17 (CMG. V I 2, 2).
κοινολογία P olyb. 2, 8, 7 u. ö., E . M ayser 1, 3 (2. Aufl.) 35, 6 P ap .
d. 3. J h d ts . v. C. vgl. oben S. 19.
μισοπονηρία P olyb. h a t n u r das zugrundeliegende μισοπονηρέω
9, 39, 6. D as S u b sta n tiv zu erst in P a p y ri d. 2. J h d ts .
v. C., E . M ayser 1, 3 (2. Aufl.) 33, 37. V ielleicht m uß in
μισοπονία g eän d ert w erden, vgl. die In te rp re ta tio n u n te n
S. 40. A uch μισοπονία ist hellenistisch.
περίπτωσις is t nacharistotelisch.
προορισμός sp., bes. R h e tt.
προστασία H ippocr. de m edico, P olyb., vgl. L aqueur H erm es 54,
1919, 296f. In an d erer B dtg. älter, z. B. T h u k y d .
E . M ayser 1, 3 (2. Aufl.) 35, 16 w eist n u r die beiden
B edeutungen V orsteherschaft u . Pflege, F ürsorge n ach
'(P a p . 2. J h d t. v. C.). j
χορηγία P o lyb., P a p y ri d. 3.— 1. J h d ts . v. C. bei E . M ayser
1, 3 (2. Aufl.) 35, 4. Vgl. auch W . Schm id A tticism .
1, 164.
D as E rgebnis dieser Ü bersicht lä ß t sich so form ulieren: Alle au s­
gew ählten W ö rter sind als hellenistisch k enntlich. Einige sind
m indestens n acharistotelisch. Als typischer Schriftsteller der K oinè
t r i t t Polybios u n te r den ersten Belegen auf. A ndere W örter können
e rst bei S chriftstellern noch sp äterer Z eit nachgewifesen w erden.
M an d a rf diese T atsache zusam m en m it den fü r die K aiserzeit
bezeichnenden N eubildungen als einen Hinweis d a ra u f ansehen,
d aß w ir die E n tste h u n g der S chrift n ic h t in den A nfängen des
H ellenism us zu suchen haben, sondern sie etw a dem 1. J a h rh u n d e rt
n . Chr. Geb. n äh ern dürfen.
24 Die Spätdatierung der Sohrift Παραγγελίαι

A u f einen w ichtigen u n d schließlich entscheidenden G esichts­


p u n k t fü r die B eurteilung u n d D atieru n g der S chrift h a t seinerzeit
D eichgräber in seiner B esprechung m einer A rb eit im Sem inar u n d
d a n n ausführlicher im H erm es 70, 1935, 106 ff. hingewiesen. D as
N ebeneinander von sp äten , sogar neugebildeten W ö rte rn u n d a lte r­
tü m lichen g u t ionischen, die auch sonst in hippokratischen Schriften
Vorkom m en, zeigt schon im W o rtsch atz eine „eigentüm liche U n­
ausgeglichenheit“ (a. a. 0 . 107), die ü b e rh a u p t fü r den Stil der
S ch rift ch a rak teristisch ist. Diese T atsache w ird erst e rk lä rt durch
die von D eichgräber an einer A usw ahl von Stellen aufgezeigte
A bhängigkeit der P arangelien v o n h ippokratischen Schriften. F ü r
die D atieru n g h a tte D eichgräber hingewiesen a u f die H ippokrates-
renaissance in der K aiserzeit, die allgem eine m oralische H a ltu n g
der S chrift u n d die archaistische E rneuerung des ionischen
D ialek ts, die z. B. u n te r den M edizinern einen A retaios h erv o r­
g eb rach t h a t. W ir können n u n auch a u f G rund der sprachlichen
U ntersu ch u n g ·— die sich allerdings z u n ä c h st a u f den W o rtsch atz
b e s c h rä n k te 22) ■
— die D atieru n g der S chrift in das 1. bis 2. J a h r ­
h u n d e rt n . Chr. Geb. als gesichert annehm en.
Zu der eigentüm lichen W eise d er P arangelien, hippokratische
F loskeln zu verw enden, g ib t es k au m eine P arallele u n te r den
pseudohippokratischen S chriften. Die Briefe v erw erten hier u n d
d a G edanken oder Sätze (in F o rm von Z itaten ) aus hippokratischen
S chriften. In form aler H in sich t h a t die seinerzeit von H . D iels23)
aus dem U rbinas 68 veröffentlichte sogenannte 2. F assung des
19. H ippokratesbriefes eine gewisse Ä hnlichkeit.24*) Es ist derselbe
Geist, der zu verschiedenen Z eiten derartig e S tilk u n ststü ck e hervor­
b rin g t.
Die T endenz der H ip p o k ra te sim itatio n lä ß t sich am besten aus
der Z eit der H ipp okratesrenaissance verstehen. D aß eine F älschung
a u f den N am en des H ip p o k rates beab sich tig t w ar, erscheint m ir
deswegen als unw ahrscheinlich, weil der A utor ganz m oderne Ge­
d an k en seiner Z eit, wie die w issenschaftstheoretische E rö rte ru n g
am A nfang v o rträ g t. E ine an d ere E rk läru n g leg t der In h a lt der
S ch rift n ah e. M an w ird als G rundzug der ganzen S chrift das

22) Anmerkungen zur Syntax, die ebenfalls diese Datierung beweisen,


lassen sich am besten bei der Besprechung des Textes geben S. 29fl.
2S) Hippokratische Forschungen ö, Hermes 53, 1918, 57.
24) Zur Datierung dieses Machwerks vgl. H. Diller, Qu. u. Studd. z. Gesch.
d. Naturw. u. d. Med. Bd. 3, Ή. 4, 1933.
Sprachliche Betrachtung der Sohrift 25

M oralisieren ansehen können. Sogar das erkenntnistheoretische


E in g an g sk ap itel schließt m it einem solchen Satze. D aß es sich u m
P a r ä n e s e h a n d e lt, zeigt das 31, 16 vorkom m ende W o rt au sd rü ck ­
lich. W enn eine solche paränetische S chrift im Stil hippokratisch
sein will, so e rk lä rt sich das einm al aus der archaisierenden Tendenz
der Z eitrich tu n g . W ir können aber auch das S treben erkennen, das
vom V erfasser als verbindlich E m pfundene in der erhabenen
Sprache des großen V orbilds auszudrücken. D er A utor w ollte offen­
b a r die m oralische B elehrung, die er an einigen Stellen m it einem
P ath o s v o rträ g t, das a n den D i a t r i b e n s t i l e rin n e rt (die rh e ­
to risch en F rag en 30, 18 u n d 31, 28, an der le tz te n Stelle sogar m it
A nrufung des Zeus, das fa st vulgäre προμύσσειν 31, 2 5 ,'d a s ü b e r­
treib en d e εν βυ&ω δ.τεχνίης 32, 14) n ic h t in m odernem Gewände
geben, sondern in eine feierlichere F orm kleiden.
Die b e to n t sittliche H a ltu n g d er S chrift, die em phatisch fü r
S tandesehre e in tritt, das W ohl des P a tie n te n allein m aßgebend
sein lä ß t u n d b ei aller A nerkennung, die w ir ih r zuteil w erden
lassen, fü r u n ser Gefühl doch von einem unerfreulichen M oralisieren
n ic h t allzuw eit e n tfe rn t ist, w ird aus der S p ätd atieru n g erst re c h t
v erstän d lich . Die P h ila n th ro p ie als M otiv des H andelns gehört
einer S p ätzeit an .25) D as W o rt φιλάν&ρωπος ist zw ar a n sich älter,
w ird ab er zusam m en m it dem S u b sta n tiv e rst im 4. Ja h rh u n d e rt
v. Chr. G eb u rt ganz üblich u n d ist besonders durch die stoische
Philosophie v e rb re ite t w orden.26) So ru n d e t sich das B ild, das w ir
von den P arangelien erh alten , zu einem geschlossenen Ganzen,
w enn w ir erst einm al, durch die S p ätd atieru n g , den re ch ten B lick­
p u n k t gew onnen haben.
D urch den C h arak ter der S chrift als H ip p o k ratesim itatio n lä ß t
sich auch das wegen seines abw eichenden Stiles fü r u n ech t gehal­
ten e (z. B. von L ittré 9, 248) S chlußkapitel erklären. A phorism en
ähnlicher A rt, die n u r lose am Schluß angefügt sind, finden sich
z. B. am Schluß des zw eiten E pidem ienbuches, gegen Schluß von
Περί τροφής u . ö. Ä hnliches, meine ich, k ö n n te dem Verfasser der
P arangelien v or A ugen gewesen sein, als er noch einige spezielle
m edizinische A phorism en anfügte, besonders w enn m an b ed en k t,
d aß die A phorism en als ty p isch h ip p o k ratisch galten. D er n ahezu

26) Vgl. K. Deichgräber, Die ärztliche Standesethik des hippokrat. Eides,


Quell, u. Studd. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Med. Bd. 3 H. 2. 1932, 36 u. die dort
angeführten antiken Zeugnisse.
26) Vgl. den Artikel Humanitas von J. Heinemann in RE. Suppi. V4. Sp. 298f.
26 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαν

u n v erstän d liche notizenartige S til w ürde also n ic h t etw a aus Ü ber­


lieferungsgründen — z. B. d aß der A utor oder ein Leser die stich­
w o rtartig en N otizen angefügt habe, um sie n ich t verloren gehen zu
lassen, oder daß ein Leser einen ursprünglich vorhanden gewesenen
speziell m edizinische F ragen behandeln den S chlußteil (vgl. den
zw eiten Teil v on de dee. hab.) exzerpierend v erk ü rzt habe -— son­
d ern kö n n te noch besser aus stilistischen G ründen e rk lä rt w erden.
N ach g eah m t w ürde im S chlußteil der A phorism enstil, als dessen
K ennzeichen der A u to r w ohl n u r das A neinanderreihen unzusam ­
m enhängender Sätze em pfunden u n d dargestellt h a t, da es sich um
ech ten A phorism enton n ic h t handelt.
Z um Schluß dieser allgem einen B etrach tu n g der P arangelien
m öchte ich noch k u rz eine F rage behandeln, die m it der oben an-
gestellten B etrac h tu n g der philosophischen G rundlagen der Schrift
zusam m enhängt. N achdem d o rt der epikureisierende C harakter d er­
selben festg estellt w urde, e rh e b t sich die F rage, wie diese A b­
hän g ig k eit von E p ik u r zu versteh en ist.
A u f d en ersten B lick scheint es sich u m eine S chrift aus der
E m pirikerschule zu handeln. D enn a u f diese Schule haben
epikureische G edanken ein g ew irk t27), u n d wenn w ir die erk en n tn is­
theo retisch en G rundsätze der E m piriker m it den G edanken der
S chrift vergleichen, können wir die gleiche Ü bereinstim m ung fe st­
stellen, die w ir fü r Stoiker u n d E pikureer annehm en konnten. D aß
περίπτωσις n ic h t n u r stoisch u n d epikureisch, sondern auch em piri­
scher B egriff ist, b eto n te schon M. P o h le n z28), der die S chrift, da
sie „eine V ersöhnung des ra tio n alen u n d des em pirischen E lem ents“
em pfiehlt, a n die „Schw elle der Zeit, wo sich der scharfe G egensatz
der em pirischen u n d dogm atischen Medizin b ild ete“ , ansetzen
w ollte, τηρεϊν u n d τήρηαις w ird häufig von E m pirikern m it 'υπό­
μνησές, μνήμη , εμπειρία v erb u n d en u n d wie παρατήρησις zur B e­
zeichnung ih rer p ositivistischen E instellung verw andt. Zum B e­
griffe τριβή vgl. E m pirikerschule S. 48, 22 την γάρ εν τοΐς εργοις
ασκησιν τής εμπειρίας τριβήν λέγονσιν. Die H ochschätzung der τριβή
im G egensatz zum λογισμός w ürde in der pragm atistischen H a ltu n g
der E m piriker ihre E ntsprechung finden. D er H erophileer H egetor
(bei Apollonios von K ition, D eichgräber, Em pirikerschule S. 207,11)
n e n n t die E m piriker tad eln d oi μόνον αντή τή τριβή προσχρώμενοι.

27) Κ. Deichgräber, Die griechische Empirikerschule, Berlin 1930, 324 u. ö.


2S) Hermes 53, 1918, 413 Anm.
Sprachliche Betrachtung der Schrift 27

u n d Apollonios w endet denselben A usdruck zusam m en m it ot


Tfj παρατηρήσει σνγχρώμενοι zur B ezeichnung der E m piriker an.
A ber a u f das „allein“ brau ch en w ir keinen großen W e rt zu legen.
Die E m p irik er e rk an n ten z. B. auch die Ιστορία u n te r gewissen B e­
dingungen an. E ine gewisse R ichtung u n te r ihnen, H erakleides
von T a re n t u n d andere, n ah m n ach Gal. subf. em p. 12 (D eich­
gräber, E m pirikerschule S. 87) neben αϊσ&ησις εναργής u n d μνήμη
eine κριτική δνναμις (87, l l f . ) an oder einen επιλογισμός (M enodotos
87, 23 ff.). So b ed e u te t es keine große A bw eichung von der em piri­
schen Lehre, w enn der V erfasser der P arangelien τριβή μετά λόγου
em pfiehlt.2930) — Sein B egriff des λόγος ist außerdem der skeptische
(30, 5 d γάρ λόγος — so s ta tt des überlieferten λογισμός20) — μνή­
μη τις εστι ξνν&ετική των μετ’ αίσϋ-ήσιος ληφϋέντων vgl. Diog. L aert.
9, 78 ίΐστιν ούν ό Πνρρώνειος λόγος μ ν ή μ η τ ις των φαινομένων). Diese
G edanken können also sehr w ohl a u f einen E m piriker als Verfasser
hinw eisen. Die gleiche V erm utung finde ich b ereits in der B iblio­
th eca G raeca des Jo h an n e s A lbertus F abricius ausgesprochen.31)
D och g ib t es einen E inw and gegen diese A uffassung. D er V er­
fasser der P arangelien le h n t 32, 14 m it N achdruck die τύχη ab .
Diese spielt ab e r gerade Bèi den E m pirikern theoretisch eine große
Rolle. Die skeptische E instellung der Schule fü h rte den F o rtsc h ritt
d er m edizinischen W issenschaft a u f den Zufall z u rü c k 32), u n d der
Z ufall h a t in der Theorie der E m piriker als περιπτωτική πείρα —
vgl. fr. 44 (G alen) ■ — sogar einen system logischen P la tz erh alten .
W enn w ir der abw eichenden B ew ertung des Zufalls in den P aran g .
also W e rt beim essen wollen, w erden wir annehm en, d aß der A u to r
m it der em pirischen Theorie n ich t völlig üb erein stim m t, u n d das
h eiß t doch wohl, d aß er kein E m piriker ist oder w enigstens der
Schule in einer individuellen, fü r diese späte Z eit durchaus n ich t
ungew öhnlichen e k l e k t i s c h e n H a ltu n g gegenübersteht. A uch die
philosophische G esam thaltung der S chrift g eht n ich t vollkom m en

29) Der extreme eristisclie Skeptizismus eines Sextus Empiricus definiert


freilich S. 612, 18 Bokk: αύτή γάρ ή εμπειρία τριβή τις εστι και εργατ'ις άτεχνος
τε και άλογος εν ψιλή παρατηρήσει κείμενη. /
30) Κ. Deichgräber, Hermes 70, 1935, 107. Besprechung der Stelle unten
S. 30.
31) Fd· 4a curante Gottlieb Christophoro Harles, Hamburg! 1791, Voi. 2
p. 592: Empiricae sectae medicum autorem habuerunt adeoque recentiorem
Hippocrate.
32) Empirikerschule Frgm. 42 u. 101; S. 149, 25; 150, 12; 153, 21.
28 Die Spätdatierung der Schrift Παοαγγελίαι

m it der em pirischen überein. D eichgräber h a t in seiner D arstellung


der E m pirikerschule die Theorie derselben m it der epikureischen
verglichen u n d d a ra u f aufm erksam gem acht, daß der U nterschied
zw ischen dem em pirischen E pilogism us u n d dem epikureischen,
der vom sinnlich Gegebenen aus a u f die E igenschaften der tran sz en ­
d en ten Dinge schließt, in der positivistischen G rundhaltung der
E m p irik er b e ste h t.33) G erade in diesem P u n k te stehen die P aran -
gelien a u f der Seite der E pikureer. W ichtig ist n atü rlich schon die
Ü bernahm e der E pikurstelle aus dem Briefe an H ero d o t. D enn an
dieser Stelle w ird ausdrücklich gesagt, daß die K ongruenz von
E rk e n n tn is u n d E rk enntnisgegenstand a u f die zw ingende W irkung
der Dinge selbst (das αυτών des E p ik u r h a t der A utor, wie oben
hervorgehoben w urde, allerdings weggelassen), d. h. a u f einen
K ausalzusam m enhang zwischen Ding u n d D ingvorstellung, zurück­
geht. A uch der B egriff der In d u k tio n 34) w iderspricht ebenso wie
der des υποκείμενον einer positivistischen G rundhaltung. W ir sehen
also, daß die P arangelien in den P u n k te n von der em pirischen L ehre
abw eichen, in denen sie m it der epikureischen Zusam m engehen.
H inzufügen kön nte m an noch die G leichheit der E instellung zur
τύχη in E p icur. sent. 16 Us. Diese E rw ägung zeigt, daß wir n ich t
ohne w eiteres b erech tig t sind, den V erfasser der P arangelien als
E m p irik er anzusprechen, u n d w ir w erden ihm , wie gesagt, eher eine
eklektische H a ltu n g zuschreiben. Die w enigen in der Schrift e n t­
h alten en speziell m edizinischen L ehren erschw eren ebenfalls die
Z uordnung des Verfassers zu einer b estim m ten m edizinischen
Schule. Die A nschauung von der ευεξία 33, 25 ff. k ö n n te vielleicht
a u f pneu m atische G edanken bezogen w erden.
M it der von D eichgräber zuerst ausgesprochenen S pätd atieru n g
der P aran g elien w ar n u n das V orurteil, als w enn das Corpus
H ip p o craticu m keine so sp äten S chriften e n th a lte n könnte —
n u r fü r den B riefrom an h a tte m an die E n tsteh u n g zu Beginn der
ch ristlichen Zeitrechnung angenom m en ■ — gebrochen, u n d die
neue R ich tu n g der F orschung zeigt sich auch in der schon erw ähnten
S p ätd atieru n g der Schrift Περί τροφής. E inen B eitrag zu diesen
F orschungen soll die vorliegende A rb eit liefern, die aus den m it
den P arangelien zusam m enhängenden P roblem en erw achsen ist.

S3) Empirikerschule S. 307.


34) εναργής έφοδος ist zu vergleichen mit Arist. Top. 1, p. 106a 13 : έπαγωγή
δε ή άπό των καϋ·' έκαστον επί τά κα&όλου έφοδος.
Beiträge zur Textkritik 29

B evor ich die d u rch die S p ätd atieru n g der P arangelien e n t­


stan d en en F rag en behandle, m öchte ich noch einige K o n jek tu ren
u n d A nm erkungen zum T e x t der P arangelien anfügen.

B eiträge zur T e x tk ritik der Parangelien.


Bei den P arangelien ist die H erstellung eines lesbaren T extes,
obwohl sie im Corpus M edicorum G raecorum ediert sind, durchaus
noch n ich t abgeschlossen. Es m uß zugegeben w erden, daß die A uf­
gabe n ich t leich t i s t 35), vor allem deswegen, weil die S chrift n u r
d u rch die sogen, m arcianische Sam m lung, deren R e p rä se n ta n t der
cod. M arcianus 269 saec. X I ist, ü b erliefert ist. D aß bereits der
Schreiber des M arcianus einen schlecht überlieferten T ex t-v o r sich
h a tte , zeigen die K reuze, die er gelegentlich zur B ezeichnung der
K o rru p tel a n den R an d setzte. Diese# T e x tz u sta n d ist n ich t v er­
w underlich. D enn da die S chrift erst in d er K aiserzeit e n tsta n d e n
ist, h a t sie w ahrscheinlich n ic h t die W o h lta t einer te x tk ritisc h e n
A usgabe erfahren. D azu k o m m t, d aß ih r sonderbarer Stil das E in ­
dringen vo n V erderbnissen begünstigen m u ß te. W enn der V ersuch,
aus dem M arcianus, als 'der einzigen H a n d sc h rift m it Ü berliefe­
ru n g sw ert, m öglichst Viel herauszuholen, n ic h t von vornherein
illusorisch ist, so v erd an k en w ir das dem Schreiber der H andschrift,
der den T ex t auch da, wo er ih n n ic h t v e rsta n d , getreu w iedergab.
D er Schreiber des V aticanus Gr. 277 saec. X IV (R) dagegen h a t
a n m eh reren Stellen den T e x t zu bessern gesucht u n d so gelegent­
lich einen g la tte n T e x t v o rg etäu sch t. D em gegenüber versuche ich
ü b erall, m it den L esarten des M arcianus auszuköm m en. E ine zweite
Schw ierigkeit der T e x tk ritik liegt d arin b eg rü n d et, d aß die S chrift
die einzige eines u n b ek a n n te n A utors ist, bei ih rer K ürze also fü r
stilistische u n d gram m atische E igenheiten das V ergleichsm aterial
feh lt. D as is t besonders w ichtig, weil w ir in dieser Z eit m it A b­
w eichungen vo n dem k ö rrek ten (attischen) S prachgebrauch rechnen
m üssen. Die folgenden tex tk ritisc h en A nm erkungen sollen an
einigen B eispielen zeigen, welche F olgerungen fü r die T ex tg e sta l­
tu n g aus der S p ätd atieru n g gezogen w erden können. D abei w erden
auch solche U nregelm äßigkeiten zur Sprache kom m en. B ei der
B esprechung einiger Stellen ergeben sich A nm erkungen zur S yntax,
welche die zun äch st n u r aus dem W o rtsch atz hergeleitete S p ä t­
d atieru n g stü tz e n sollen.
35) Littré 9, 246f., tan t par la manière à ’ócrire de l’auteur que par la faute
des copistes, ce traité est le plus difficile à comprendre de toute la Collection etc.
30 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

30, 3 εστι δε ήνίκα καί καιρω cod. : D er B rachylogie des G nom en­
stils en tspräche besser e. δ. ήνίκα [καί] καιρω (D eichgr.).36)
30, 5 λογισμός cod.: λόγος D eichgr. H errn. 70, 1935, 107. Da
n ach h er von der A nerkennung des λογισμός gesprochen wird u n te r
der B edingung, daß er „v o n der "W ahrnehmung au sgeht“ u n d den
„Ü b erg an g “ vo n den Sinnesem pfindungen „m ethodisch vollzieht“ ,
k a n n n ich t schon hier, im Zusam m enhang m it der A blehnung des­
selben, gesagt sein, d aß er eine „gedächtnism äßige Synthese“ der
W ah rn eh m u n g en d ar stellt. Die E rw ähnung der B edingung w ürde
d an n überflüssig sein. D er A utor b espricht also n ic h t, wie m an
vielleicht erw a rte t, in der gleichen Reihenfolge e rst den λογισμός,
d an n die τριβή μετά λόγον , sondern beg innt m it dem zw eiten
S tück. D er zu nächst abgelehnte λογισμός w ird e rst sp äter bespro­
chen, u n d zw ar w ird die W iederaufnahm e des zu nächst fallen­
gelassenen Begriffs du rch μεν ούν (30, 9) ausdrücklich bezeichnet.
ξνγκαταινέω μέν ούν (vgl. u n te n S. 31) schließt die berichtigende
A usführung des V origen an. F ü r die D efinition des λόγος gibt der
A u to r eine psychologisch-genetische E rk läru n g des E rk e n n tn is­
prozesses. D aß es sich Um die D arstellung eines im m er w iederhol­
b aren Prozesses h an d e lt, w ird du rch den gnom ischen (em pirischen)
A orist bezeichnet.
30, 6 τε (del. L ittré , H eiberg) b ra u c h t n ich t g etilgt zu w erden,
es folgt δέ vgl. 33,22 έωντούς τε μεταλλάσαονσι τής ζωής, δ δ^εγκε-
χειρισμένος (K ü h n er-G erth §530, 3 A nm ., vgl. § 520 S. 244 Anm . 3).
30, 7 άναπομπός εοΰσα ist deutlich als U m schreibung eines ein­
fach en A usdrucks zu erkennen. Solche E rsetzu n g des einfachen
V erbum s d u rch nom inale P eriphrase ist in der hellenistischen
P ro sa allgem ein üblich.37) In den P arangelien findet sich noch:
την αρχήν ποιεΐσ&αι 30, 10; υπάρχων εύρίσκεται 30, 12; εις άληϋείην
αγειν 3 0 ,1 6 ; εφαίνετο έοϋσα 30, 20; ώφελίην περιποιήσει 31, 5; παρέχει
μεγάλην άλεωρήν 32, 26.
E s scheint aber so, als w enn der A utor neben der sprachge-
schichtlich bedin gten noch eine individuelle Vorliebe fü r peri-
p h rastisch en A usdruck h a t (vgl. oben S. 16).
3δ) Schwierige Fragen der Textkritik habe ich vor der Drucklegung mündlich
und brieflich mit Herrn Prof. Deichgräber erörtert, wodurch das ursprüngliche
Manuskript an einigen Stellen geändert wurde. loh betrachte es als Pflicht der
Dankbarkeit, die so übermittelten Vorschläge und Konjekturen zu bezeichnen.
37) H. Widmann, Beiträge zur Syntax Epikurs, Tübinger Beitr. z. Alter-
tumsw. 24, 1935, 67ff., wo auch weitere Literatur angegeben ist. S. 82 wird auf
das „Papierene“ dieses Stils treffend hingewiesen.
Beiträge zur Textkritik 31

30, 7 D er G enitiv των υποκειμένων k a n n n ic h t g u t m it διάνοια,


bei dem er ste h t, v erb unden w erden ; m an m uß ihn als gen. obiect.
zu άναπομπός auffassen.
30, 7 ή <5s παραδεξαμένη. Das dem onstrative ή bezieht sich a u f
διάνοια. Es w ird von ih r gesagt, d aß sie die W ahrnehm ungen, die
sie w iederholt angenom m en, nach den K ategorien des D adurch,
W an n u n d W ie b e a rb e ite t38) u n d in sich aufgenom m en h a t, im
G edächtnis b ew ah rt. — Man kö n n te deswegen, besonders wegen
κατατίάεσϋαι u n d τηρεΐν auch denken, daß m it ή die μνήμη gem eint
ist. D aß μνήμη m it κατατίϋεσϋαι u n d τηρεΐν sachliph zusam m enpaßt,
zeigt z. B. Galen Comm. ad H ippocr. κατ’ Ιητρεϊον (18 B 659 K.)
αισέλησίν τε και νουν και μνήμην, άλλα την μεν μ ν ή μ η ν ά π ο τ ί ϋ ε σ ϋ α ί
τ ε καί φ ν λ ά τ τ ε ι ν εν αυτή τά γνωσ&έντα δι αίαϋήσεως και νοϋ
ταμιεϊόν τι των ενρημένων αντοΐς ούσαν . . . A ber die w ahrschein­
lichste A uffassung ist ή — διάνοια. D er B egriff διάνοια t r i t t noch
zweimal auf. E in m al w ird gesagt, daß der λογισμός, w enn er n ich t
bloß „w ahrscheinlich“ ist, sondern sich au f W ahrnehm ung stü tz t,
m it der διάνοια gleichw ertig oder identisch ist. Das was sich a u f
W ahrnehm ungen s tü tz t, sie,'in sich au fn im m t u n d im G edächtnis
h ä lt, w ird gerade m it ή bezeichnet. Zweitens h a t die Gleichsetzung
von διάνοια u n d λογισμός dazu geführt, daß in der E pikurstelle für
das bei E p ik u r stehende λογισμός das W o rt διάνοια eingesetzt
w erden k o n n te. U nd gerade an dieser Stelle w ird m it ώς προεϊπον
a u f die psychologische D arstellung des E rkenntnisvorgangs v er­
wiesen. N im m t m an diese Verweisung ern st, so m uß m an auch in
παρ’ αυτής λαβοΰσα eine W iederaufnahm e des παραδεξαμένη sehen
u n d ^ gleich διάνοια verstehen. D ie'entscheidende B egründung für
diese A uffassung b e ru h t a u f dem philosophischen S inn des Satzes.
D er m it εφαντασιώ'&η beginnende Satz soll den E rkenntnisvorgang
schildern. N achdem gesagt ist, w o h i n das W ahrnehm ungsver­
m ögen die S innesdaten schickt ( εις διάνοιαν), m uß gesagt w erden,
wie der P rozeß d o r t w eiter verläuft.
30, 9 ξυγκαταινέωμεν ovv cod., H eiberg (wo ξυγκαταινέωμεν ούν
v erd ru ck t scheint): ist zu lesen ξνγκαταινέω μεν ovv. D er coni,
h o rta t, k o m m t sonst in der S chrift n ic h t vor. D er A utor spricht
in der 1. Pers. sing. z. B. 31, 7; 32, 5; 34, 16. Zum Sinn vgl.
oben S. 30.
3β) Daß πολλάκις zu παραδεξαμένη gekört (vgl. 31, 9 περνπτώσει τη ώς επί
το πονλν) ist klar. Dagegen ist nickt leickt zu entsekeiden, ob man die Kategorien
ebenfalls darauf beziehen soll. Es kommt darauf an, wie man ταντα versteht.
32 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

30,13 H in te r παραδεχόμενες ist w ohl καί zu ergänzen (Deiehgr.).


30, 16 ei δε μη εξ (έν')αργέος εφόδου seil. Ιητρεύει δ Ιητρός. D aß
Ιητρός zu ergänzen ist, zeigt das folgende οϋτοι, wo allerdings der
S prung von έπήνεγκε in den P lu ral auffällig ist. Mit diesem Satze
v e rlä ß t der A u tor den erk en n tn isth eo retiich en E x k u rs, der durch
die D efinition der Begriffe nötig w ar, u n d zieht die F olgerungen
fü r die P rax is. E r greift also w ieder a u f den A nfang zurück, wo
schon vom ίητρενειν die R ede w ar. W ir dürfen deswegen auch
Ιητρεύει im Sinne haben. E rgänzen soll m an es n ic h t, denn solche
E llipsen kom m en ö fter in der S chrift vor, sie gehören zum „ S til“
des V erfassers u n d erschw eren a n m anchen Stellen das V erständnis.
Ich versuche daher, durch A ndeutung der etw a einzusetzenden
Begriffe die In te rp re ta tio n zu fördern.
30, 17 πιΰανή άνάπλασις λόγου k a n n als abschätziger A usdruck
fü r das nahezu term inologische πιθανός λόγος gelten. (S oran CMG. IV
65, 6 πιϋανω γάρ λόγω σοφίσασ&αι την ενάργειαν ϋ-έλουσιν, gegen
E m p iriker, vgl. D eichgräber E m pirikerschule S.,172). D as W o rt
άνάπλασις als solches ist a lt, in der hier vor kom m enden V erw endung
sp ät, vgl. S ext. E m pir. A dv. m a th 8, 354 άναπλάσματα τής διά­
νοιας.39)
30, 17 βαρείην καί ανιαρήν διάϋεσιν έπήνεγκε scii, τοις νοσοϋσι
vgl. 30, 20 f.
30, 18 ή τα έπιχείρια cod.: επιχείρια is t leich t richtigzustellen.
Aus ή k o n jiziert R ήν. A ber ήν m it dem In d ik a tiv ist h a rt. Die
K o n stru k tio n von ήν schw ankt zw ar bei A re taio s40) zwischen K on­
ju n k tiv u n d O p tativ , aber ήν m it In d ik a tiv lä ß t sich in dieser Z eit
n ic h t feststellen. Diese K o n stru k tio n ist b yzantinisch. Also schließen
w ir uns der L esart von M 2 an, die offensichtlich erst n ach der
A bschrift von R in M geschrieben w u rd e : εΐ τά επίχειρα (L ittre).
N ur so e n ts te h t das hyp o th etisch e Satzgefüge m it irrealem Sinn,
der dem A uto r anscheinend vorschw ebte, εΐ τά επίχειρα ist auch in
dem Z ita t der Stelle bei P s. Galen de d iaeta H ipp, in m orb. ac.
CMG V 9, 1 S. 378, 17 überliefert (allerdings εϊτα επιχρεία codd.).
D er Sinn des Satzes is t ironisch zu versteh en (L ittré), zu έπίχειρα

39) Deiehgr. Empirikersehule S. 277f., wo die Theorie der Parangelien


philosophisch gewertet wird, άναπλ. r. δ. Hexameterschluß aus Timon? Vgl.
Timon frg. 19; 60,2 D. Xenophanes B 1,22 DK.
40) Ich ziehe Aretaios heran, weil er ebenfalls ionisch schreibt und die Schrift
wahrscheinlich in die gleiche Zeit gehört. Vgl. hier und an den anderen Stellen die
übersichtliche Darstellung der Sprache des Aretaios bei C. Hude, CMG II, VHIff.
Beiträge zur Textkritik 33

vgl. z. B. Aischyl. P rom . 318f. τοιαντα μέντοι τής άγαν ύψηγόρου


γλώσσης τάπίχειρα·, P olyb. 4, 63, 1. In dem Z ita t der P arangelien-
stelle bei Pseudogalen ist zur Y erdeutlicbung επίχειρα της άμα&ίης
gegeben. Das Z ita t is t auch sonst ungenau : τα της τέχνης κακώς s ta tt
τα τής Ιητρικής έργα κακώς·, τοϊσιν ονδεν αΐτίοισι {αίτιοί είσιν ν . 1.)
s ta tt τοϊσιν άναιτίοισιν εονσιν; οίς s ta tt όκόσοισιν; λύπη s ta tt βίη.
30, 19 νυν δέ . . . als A usdruck des G egensatzes zu dem Irrealis,
vgl. K ü h n er-G ertb 2, 470. Die stark e Ellipse (etw a έστι κακόν o. ä.)
bzw. das F esth alten der K o n stru k tio n ü b er die stark e In te rp u n k tio n
hinau s is t auffällig.
30, 22 των δ,ώς λόγου μοϋνον cod. : των δ'ώς λόγον μοννου Μ 2,
H eib., {μόνον) R , των <3’ έως λόγου μούνου D eichgr., H errn. 70, 1935,
108. ·— D aß έως richtig ist, zeigt schon έως έργον u n d sp äter (32, 25)
έως τέλονς. μοννον b ra u c h t ab er w ohl n ic h t g eän d ert zu w erden.
•— έως als P räpo sitio n m it dem G enitiv in hellenistischer Zeit
häufig (K ü h n er-G erth 1, 346, 2, E . M ayser 2, 2, 522, wo auch
w eitere L ite ra tu r angegeben w ird), in älterer Z eit vereinzelt bei
H erodot, im Corp. H ippocr. z. B. de gland. 11 (8, 564 L .).; bei
D em osth. 18, 106 u n d Aischin. 1, 16 in eingeschobenen U rkunden,
also n ich t fü r das Attisch'ÉPin A nspruch zu nehm en. D ann bei
A ristoteles, Polybios u. a. sp., m an w ird dah er diesen G ebrauch
als ion.-hell. ansehen.
31, 1 D er sy n tak tisch auffällige A usdruck μ η εϊη έπαύρασ&αι
w urde von D eichgr., H errn. 70, 1933, 108 durch die H erübernahm e
aus 'Όρκος 8 {εϊη επαύρασϋαΐ) e rk lä rt. M an k an n noch d a ra u f hin-
weisen, d aß A retaios gelegentlich μή m it dem O p ta tiv in im p e ra ti­
vischem Sinn bzw. als E rsa tz für den Im p erativ verw endet (CMG I I
116, 18, vgl. S. X V III).
31, 2 ίσχνρισις „B eh a u p tu n g “ , 31, 13 iaχόριαις „B ew eis“ , der
A u to r w echselt also in der B edeutung des von ihm w ahrscheinlich
neugebildeten W ortes.
31, 3 Die A dverbbildung ελαχίστως ist selten, vgl. K ühner-
B laß 1, 577 A nm . 2, wo ähnliche S uperlativbildungen aus H ippokr.
S chriften an g e fü h rt w erden.
31, 4 ήν μέλλη έξειν scii. 6 ίητρός bzw. τις.
31, 5 περιποιήσει scii, αϋτη ή έξις, gnom isches F u tu r wie 34, 9,
vgl. K üh ner-G erth 1, 171, 3. — E s ist w ohl τοϊσί τε νοσέονσι καί
s ta tt τοισί γε νοσέονσι καί zu lesen.
31, 7 ήν τι δοκοίη ist überliefert, es b ra u c h t n ic h t g eändert zu
w erden, w enn m an das Schw anken des Sprachgebrauchs bei
3
34 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

A retaios b ed en k t, der neben ήν c. coni, auch rjv c. op t. verw endet.


D a 32, 7 u n d 33, 7 die gleiche K o n stru k tio n überliefert ist, w erden
w ir b erech tig t sein, diesen Sprachgebrauch auch fü r unsern A utor
anzunehm en, ην c. opt. vor A ristöt. höchstens in oratio obliqua;
K ü h n er-G erth 2, 549, 4 w ird dieser G ebrauch ü b erh a u p t b e stritte n ;
n ach A ristot. w ird diese V erbindung allm ählich häufiger.
31, 8 Ü berliefert ist διά το εξ έκάστου τον τέλους τηρηϋήναι :
έξ έκαστον n im m t verallgem einernd παρά ίδιωτέων auf, also ist m it
R 2, E rm erins, Meidel το τέλος gegen die Ü berlieferung zu schreiben.
Is t der ganze A usdruck in διά του (Deichgr.) έξ έκάστου το τέλος
τηρη&ήναι zu ändern ? ·— D er G ebrauch des su b stan tiv ierten I n ­
finitivs (vgl. 33, 7, auch 33, 19) k an n zu den K ennzeichen sp äter
Sprache hinzugerechnet w erden. E r ist zw ar n ich t spezifisch
hellenistisch — der einfache artik u lierte Infinitiv ist alt — sein
erw eiterter u n d oft schon k ü h n er G ebrauch beginnt in der attischen
Prosa (K ü h ner-G erth § 478,4). D er a b stra k te u n d kom plizierte Stil
hellenistischer S chriftsteller, der S ubstantivierung lieb t u n d sogar
bei ganzen N ebensätzen anw endet, sichert dem erw eiterten Infinitiv
m it dem A rtik el eine ausgedehntere V erw endung. D as anfangs noch
als k ü h n em pfundene rhetorische K u n stm ittel der Periodisierung
w ird, ebenso wie diese selbst, zum gew öhnlichen A usdrucksm ittel.
31, 10 D as alleinstehende τε, das L ittré g etilgt, H eiberg im
T ex t belassen h a t, e rk lä rt sich w ohl durch A nakoluth, da die
korrespondierenden Begriffe in sy n tak tisch er U nterordnung folgen.
31, 12 ποικίλος w örtlich v erstan d en scheint im Gegensatz zu
μόνον zu stehen. E s k an n sich u m eine bew u ß t form ulierte P aradoxie
han d eln , w obei μόνον durch eine (F ehl-)W iederaufnahm e im folgen­
den Satze m it μονή v e rstä rk t w ürde u n d dem ποικίλος etw a πάντα
u n d πολλάς entsprechen w ürde (Deichgr.). Ä hnlich L ittré, der
u m sch re ib t: la m édication est varieé parce que les m aladies,
à cause de beaucoup d ’accidents e t de changem ents, s’a tta c h e n t
avec une sorte de constance. Vgl. 32, 27 ούκ έ&έλονσι (die P atien ­
ten) την αυτήν χρήσιν atei προσδέχεσϋαι, όμοιοϋντες Ιητροϋ ποικιλίη.
(Auch R 2, der bei μονή ein καί μόνω an den R an d schrieb, h a t
a u f seine Weise die K orrespondenz von μονή u n d μόνον h erzu ­
stellen gesucht.) — Ich m öchte ποικίλος in ü b ertragener B edeutung
als „geschickt“ , „k lu g “ o. ä. verstehen, vgl. Dem. 9, 37 ούδεν ποί­
κιλαν ουδέ σοφόν; so öfter bei sp äten A utoren.
31, 17 τω μεν άλγέοντι: μέν ste h t allein, die konzessive B edeu­
tu n g g eh t in die konfirm ative über. D er unausgesprochene Gegen-
Beiträge zur Textkritik 35

satz ist, d aß ein G esunder a u f solche G edanken n ich t kom m en


w ürde. Vgl. K ü h n er-G erth § 503, 2.
31, 18 τοιαΰτην διανόησιν εμποιήσεις την δτι . . . πορεύση κτλ.
Die eigentüm liche K o n stru k tio n eines su b stan tiv ie rten Satzes m it
fem ininem A rtikel w ird durch den Hinweis a u f Diog. Oen. fr. 63
col. 2, 7 W ill, την αυτήν . . . έχουσι δύναμιν . . . τ ή δτε . ... νφειστή-
κεσαν e rk lä rt. Schon d aß ein Satz su b sta n tiv ie rt w ird, ist au f­
fällig. (Belege aus älteren A utoren bei K . W . K rüger, Griech.
S p rach leh re5 § 50, 6 A nm . 10.) Beispiele für su b stan tiv ierte N èben-
sätze bei E p ik u r gib t H . W idm ann, B eitr. z. S y n ta x E ’s, 42. D o rt
n ic h t a n g e fü h rt: Epic. epist. 1, 81 την ϊσην . . . ταραχήν . . . τφ εΐ
και εδόξαζον ταντα. Ä hnlich Diog. Oen. fr. 18 col. 3, 2 W ill, το ίσον
γενηται τφ καν παρών . . . ώμολόγεις. Die A nlehnung des A rtikels an
das Genus des vorangegangenen W ortes ist eine w eitere Stufe der
E ntw icklung. M an b each te, d aß sie d o rt a u ftritt, wo ein W ort
wie αυτός oder h ier τοιαύτη eine E ntsprechung in einem Satze fo r­
d ert. Aus der A nerkennung dieser K o n stru k tio n ergibt sich, daß
wir n ic h t, wie H eiberg ta t, zwischen την u n d δτι interpungieren
sollten.
31, 19 ύποϋήση τινά vgl. 32, 2 ύποϋέσϋαι τινά ξυμψέροντα ές
ϋεραπηίην.
31, 20 επιμελεισ&αι ούν δει: L ittrés Vorschlag έπιμελεϊσδαι ούν
<ού> δει ist erw ägensw ert, da im folgenden gesagt w ird, w arum m an
die Frage der B ezahlung in den H in terg ru n d tre te n lassen soll.
Oder m an m uß επιμελεϊσδαι ganz allgem ein verstehen, im Sinne
von „einer Sache die nötige A ufm erksam keit schenken“ . D as ü b e r­
lieferte ουν scheint als Hinweis a u f et γάρ αρξαιο περί μισδαρίων
notw endig zu sein, m an w ird es also n ic h t in ein ov ändern.
31, 26 h a t D eichgr., H errn. 70, 1935, 109 das überlieferte το
ενδηλον gegen H eiberg v erte id ig t u n te r Hinweis a u f die Stelle περί
άγμων 46, 17 K w . Es kan n aber n ich t so, wie es überliefert ist,
gehalten w erden u n d w ird in του ενδήλου g eändert w erden m üssen
(Deichgr.) : rd ξενοπρεπές . . . τον ενδήλου προκρίνονται.
31, 27 προκρίνοντες còd. : προκρίνονται D èichgr., H errn. 70 ebd.
ist rich tig . D enn wegen καί ist ein neues V erb nötig. D as Geläufige
ist das A k tiv . M an k a n n aber d a ra u f hinw eisen, daß seit hellenisti­
scher Z eit M edium u n d A k tiv verm ischt w erden, oft sogar solö-
zistisch. Bei den A ttizisten g alt das M edium als eleganter
(W . Schm id, A tticism . 4, 616), so d aß sich bei ihnen auffallend
viele A bw eichungen der A rt finden.
9 *
36 Die Spätdatierung der Schrift Παράγγελίαι

31,27 D as zw eite προκρίνοντες ist als D ittographie zu streichen.


A uch der folgende T eil des Satzes b e d a rf der N achhilfe, πονηρενο-
μένοισιν is t von τοιουτέοισιν, zu dem es doch gehört, so w eit e n t­
fe rn t, daß ich ein Bindeglied verm ute, .tim es logisch anzuschließen.
Als solches w ürde sich ώς n ach εικότως anbieten. ·— επί σάλου ist
έπισάλου zu schreiben. D as W o rt k o m m t erst zu Beginn der K aiser­
zeit vor. Ic h kenne aus dieser Z eit n u r die bei L iddell-S cott ange­
fü h rte n Belege, deren ältester vielleicht noch dem 1. Ja h rh u n d e rt
v. Chr. an g eh ört. D o rt ist έπίσαλος im m er w örtlich gebraucht. D en
m etaphorischen G ebrauch bew eist Suidas 2, 377 Adi. έπίσαλος *
αβέβαιος, εύμετόπτωτος a u f G rund einer Stelle aus Theophyl.
S im o catta 6, 5, 5 de B oor . — πονηρεύεσαι h eiß t im Corpus H ippocr.
im m er „ k ra n k sein“ , z. B. Coac. praen . 194 (5, 626 L.). Sonst w ird
es in m oralischem Sinne g ebraucht. D er G enitiv is t analog άλγείν
τίνος u. ä. v erständlich. (A rist. R h et. I I I 8, 1411 a 17 ist wegen der
M etapher w ohl n ic h t vergleichbar.)
31, 28f. τις γάρ . . . Ιητρενοι; c o d .: τις γάρ <dv> . . . ίητρεύοι;
H eib. ·— αν beim O p ta tiv ist sonst in der Schrift häufig. W ir m üssen
aber auch m it A usdrucksw eisen rechnen, die gram m atisch n ich t
k o rrek t sind, vgl. C. H ude, A retaios X V III, X , besonders 155, 25 τις
ών ίητρός παραλλάξαι της φύσιος. M an kö n n te also die Ü berlieferung
gelten lassen. Gleichw ertig ist eine K o n jek tu r, die n ich t äv einsetzt,
sondern den K o n ju n k tiv h erstellt. So bei E p ik te t in F ragesätzen
o ft, z. B. 1, 9, 6 <5ίά τ ί μη εϊπη τις αυτόν κόσμων {τις, das Schenkl
m it W ilam ow itz streich t, e rk lä rt sich w ohl durch A nakoluth),
auch 1, 13, 3 — 2, 2, 23 — 3, 7, 19 u . ö. H ier v erm iß t m an, wie
oben an g ed eu tet, V ergleichsm aterial des gleichen A utors, da die
kleine S chrift zu wenig hergibt.
32, 1 S ta tt des überlieferten η ist καί zu lesen, eine ganz ge­
w öhnliche V erschreibung, καί em pfiehlt sich, d am it die b e i d e n
S u b stan tiv e a ls E i n h e i t dativisch m it ήδελφισμένως verbunden
g edacht w erden können. U m eine A usw ahl {ή) h an d e lt es sich n ich t.
Die rhetorische F rage w eist a u f den W iderspruch hin, d er darin
liegt, d aß der A rzt z u g l e i c h πιστός u n d άτέραμνος sein m üßte,
der erst n ach dem Leiden au sfrag t u n d dan n n ich t etw as zur
H eilung v ersch reib t (weil er κόλασις fü r rich tig h ält). S ta tt des
ü b erlieferten άνακρινέοντας ist m it L ittré άνακρίνοντα oder besser
m it E rm erins άνακρίναντα zu schreiben, μ η ουχ ste h t im Sinne einer
einfachen V erneinung n ach ώστε wegen der in der F rageform ge­
d ach ten N egation, vgl. K ü h n er-G erth § 514, 5 (S. 211 u. 216i).
Beiträge zur Textkritik 37

D er W iderspruch, daß d er A rzt erst die B ehandlung übernim m t


u n d dan n das N ötige absichtlich n ic h t anw endet, w ird noch v er­
s tä rk t ausgesprochen durch άπο&εραπενσαί τε τον νοσέοντa καί μη.
D am it k ö n n te dieser Satz schließen, παριδεΐν w äre dan n überflüssig.
W ill m an es neben άποϋεραπεϋσαι h alten , so is t μη zu streichen.
Ich m öchte es ähnlich wie E rm erins m it dem folgenden της δ’ επικαρ-
πίης verbinden. D o rt feh lt ein V erb, der G enitiv ste h t ohne sy n ta k ­
tische V erbindung. L ittrés E rk läru n g (q u a n t au salaire, vgl.
K ü h n er-G erth 1, 363, 11) ist n ich t m ehr als ein N otbehelf, denn
d an n m uß zu μ η ανευ . . . ein im perativischer A usdruck gedacht
w erden. M an k ö n n te ein V erb einfügen, von dem der G enitiv a b ­
hängig w äre oder επιϋνμίης in έπιϋνμοίης ändern (vgl. oben zu
31, 1), w obei m an ein S u b sta n tiv ergänzen m ü ß te wie έπιζεικείης
επι'}ϋνμοίης, aber am b esten ist es doch wohl, fü r den sy n tak tisch en
A nschluß des Genitive das n ach der oben dargelegten A uffassung
des T extes überflüssige παριδεΐν zu verw erten. Allerdings h a t E r­
m erins, weil er παριδεΐν h alten w ollte, den G enitiv in den A kkusativ
än d ern m üssen. D as ist n ich t nötig, w enn m an ein K om positum
setzt, das den G enitiv zuläßt, also προιδεϊν oder περαδεΐν (Verschrei­
bu n g παρά s t a t t des evident richtigen περί in M 33, 4). περιοραν
c. gen. zu erst bei S chriftstellern des 1. bis 2. Ja h rh u n d e rts n. Chr.
(Polem o Sophista Cyneg. 20, P lu ta rc h Mor. 764 d). D aß <3’ an d ritte r
Stelle ste h t, b ra u c h t n ich t zu stören u n d e rk lä rt höchstens die
K o rru p tel du rch falsche S atzabteilung. A bnorm e Stellung von <5s
belegt E . M ayser 2, 3 125 zweimal aus P ap . d. 1. Ja h rh u n d e rts
v . C hr., vgl. auch J . D. D enniston, T he G reek P articles, Oxford
1934, 187f. N ach diesem rein gram m atischen Hinweis g ib t es
zwei M öglichkeiten: D er Satz la u te t m it περαδεΐν: m an soll über
den E rtra g hinw egsehen m it dem ern sth a ften W unsche zu lernen.
D aß der A rz t sich um das H o n o rar n ic h t kü m m ern soll, ist in § 4
bereits gesagt w orden. Es sei besser, u m den L ohn betrogen zu
w erden, als Leidende zu erpressen. An den G edanken, daß m anche
M enschen die hu m ane B ehandlung n ic h t verdienen, schließt sich
§ 5 an , w o rau f n ach dieser Einlage die F rage der Besoldung in
§ 6 noch einm al besprochen w ird. E rg ä n z t w ird noch, daß d er A rzt,
w enn er sich u m die B ezahlung n ic h t k ü m m ert, dabei an seine
W eiterbildung denk en soll. — Die L esart m it προιδεϊν w ürde b e­
d eu ten , d aß d er A rz t bei der Sorge u m seinen Lohn den G edanken
a n seine W eiterbildung beach ten soll. Es w ird d an n noch w eiter
au sg eführt,, w orin die V ernachlässigung des „ E rtra g e s“ b e ste h t:
38 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαν

der A rzt soll „berücksichtigen, was die L eute h ab e n und was sie
ü b rig h ab en “ .
32, 6 ore δε προίκα seil, Ιητρεύειν. ·— άναφέρων in άναφέροντα zu
ändern, is t w ohl n ic h t an g e b rac h t. Vgl. auch P la t. R esp. 6 ,484 c.
32, 7 παρεοϋσαν ευδοκίην „augenblickliche G efälligkeit“ , im
G egensatz zu μνήμην προτέρης εύχαριστίης ; so wohl s ta tt μνήμην
προτέρην ευχ. zu lesen.41) Die B edeutung von εύχαριστίη ist hier
u n d 34, 2 völlig verschieden.
32, 9 „W o M enschenliebe vo rh an d en ist, d a ist auch Liebe zur
K u n st v o rh an d en .“ Als S u b jek t zu φιλοτεχνίη d e n k t m an sofort
d en A rzt, der φιλάνθρωπος ist, u n d φιλοτεχνίη w ird, ebenso wie
φιλοτεχνέω, gewöhnlich von dem V e rtreter der Techne gesagt. A uch
der Z usam m enhang, der von dem G edanken der Lernbegierde
ausging, w eist a u f diese A uffassung von φιλοτεχνίη hin. D ann d a rf
m an aber γάρ in dem anschließenden S atze n ich t als begründend,
sondern lediglich als w eiterführend ansehen. D enn dieser Satz
h an d e lt vo n den K ranken, die „zu d er R ücksichtnahm e des A rztes
V ertrau en h ab e n “ , w odurch m an v erle ite t w ird, zu d enken: w enn
der A rzt M enschenfreund ist, sind die M enschen F reunde seiner
K u n st. D er b erü h m te Satz, der noch oft als hip p o k ratisch zitiert
w ird, bezeichnet die P hilan th ro p ie als M otiv ärztlichen H andelns.
D azu oben S. 25.
32, 1Ö καί is t „a u c h “ , „sogar“ . L ittré v ersta n d es anscheinend
als „ u n d “ , denn e r än d erte das verb. finit, in das P artizip u n d
μεταλλάσσοντες in das ungew öhnliche M edium μεταλλάσσονται.
32,11 ευδοκιμέονσι cod.: V ersteh t m an das Verb in der gew öhn­
lichen B edeutung in g utem R ufe stehen o. ä„ so w ird m an es
m it Μ 2 ενδοκονσι, L ittré εύδοκέοντες, besser E rm erins ευδοκέοναι
än dern m üssen.
32, 13 ενεκεν ενσχημοσύνης doch w ohl gleich ενεκεν ενεξίης
(Deichgr.). Vgl. Gal. CMG V 4 ,2 S. 18, 25.
32, 14 Z u dem m etaphorischen εν βυθφ άτεχνίης verglich B ensel
(PhUologus 78, 1923, 92) D em okritos 68 B 117 D iels-K ranz εν
βυθφ ή άλήθεια. B esser ist, a u f P la t. P arm . 130 d εις τινα βυθόν
φλυαρίας έμπεσών zu verw eisen. Ä hnlich ste h t P lu ta rc h Mor. 757 b
βυθός άθεότητος.

4l) Danach ist meine Deutung in: Die ärztliche Standesethik des hippo­
kratischen Eides, Qu. u. Studd. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Mediz. Bd. 3 H. 2,
1932, 35 zu korrigieren. K. Deichgräber.
Beiträge zur Textkritik 39

32, 15 έλεγχοι cod. : έλεγκτοί ? D er ganze Satz ist schwer zu


übersehen u n d sicherlich n ich t in O rdnung. Ic h versuche daher n u r:
32, 16 δέ μιν cod.: γε μην L ittré , H eiberg. E in γε ist wegen
des Gegensatzes zu εκ not5ος ύψεύμενοι wohl am P latze.
32, 17 έκάτεροι: näm lich έπί τεύχεσιν εύδοκιμέοντες u n d δια-
πίπτοντες επί το χείρον.
32, 19 ομότεχνος καλεόμενος vielleicht eine Rem iniszenz an
Περί άρχαίης Ιητρ. CMG I 1 40, 12 (H eidel S. 203).
32, 20 f. τουτέων g eht a u f τά τής τέχνης άνυπεύ&υνα, „w as sich
n ic h t zu v eran tw o rten b ra u c h t“ , in άναμαρτήτονς klingt άνυπεύϋυνα
w ieder an. „D er gute A rzt d ü rfte wohl, im G egensatz (δέ) zu den
g en annten P rah lern (καταχλιδενσί) nichts von dem verfehlen.“ Es
folgt in der H sr. das unverständliche ό παντι σπάνει τον δύνασ&αι.
H eibergs ου πάντη (L ittré) σπάνει τον δννασΰαι scheint den Sinn zu
verfehlen. Die F o rm der vorsichtigen B ehauptung , ausgedrückt durch
den P o ten tialis m it äv, zeigt, daß der A u to r sehr wohl dam it
rech n et, ein g u ter A rzt k ö n n te auch F ehler m achen. F ü r diese
zu rü ck h alten d e, fa st skeptische E instellung des Verfassers vgl.
z. B. 33, 16 πάση γάρ εύπορίη άπορίη ένεστι. A ber ihm k o m m t es
hierbei, wie das folgende^.« γάρ άπιστός έστιν bew eist, au f die m o ­
r a l i s c h e H a ltu n g des A rztes an, w ährend δύνασ&αι — als Gegen­
satz zu βούλεσ&αι — von äußeren U m ständen ab h ä n g t. Man sieht
also, d aß ein ον πάντη n ich t in diesen Satz gehört, vielm ehr ist eine
E in schränkung des ου&έν äv τουτέων παραβαίη zu erw arte n : <^>
δτι äv τή σπάνει τον δύναα&αι scii, παραβαίη ; ή n ach kom parativisch
v erstan d en em ονϋ-έν vgl. K ü h n er-G erth 2, 304 A nm . 4. „D er gute
A rzt d ü rfte n ich ts von dem verfehlen, als was er etw a aus m angelnder
M acht (wenn die U m stände m ächtiger sind) v erfeh lt.“
32, 21 ώς εν άδικίη cod.: ώς <ot> εν άδικίη; Von diesen w ird im
Folgenden gesprochen. W enn m an den A nschluß an das Folgende
so n ich t h erstellt, m uß m an den ganzen A b sch n itt über die guten
A rzte, von ό δε τάς άκέσιάς bis εν άδικίη als in P arenthese gesagt
denken, d am it προς γάρ ϋεραπηίην ου γίνονται an καταμεμεληκότες
τά τής τέχνης άνυπεύ&υνα κτλ. anschließen k an n . Zu οι εν άδικίη
vgl. de dee. h ab . 26, 8 oi εν τέχναισι, eine in der K oinè übliche
A usdrucksw eise. · / ’
32, 22 προς ϋεραπηίην ον γίνονται vgl. γίγνεσθαι προς το Ιασϋαι
P ia t. R esp. X , 604 d.
32, 22 ψ&εγγώδης is t singulär u n d schw er verständlich. Von
V erben abgeleitete A djektive a u f -ώδης sind verhältnism äßig selten
40 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

(K ü b n er-B laß 2, 291, 9). In w elchem Sinne das zugrunde liegende


φϋ'έγγεσ&αι g ed ach t w urde, lä ß t sich n u r ra te n . Das lateinische
fam osus en tsp ric h t der B ildung u n d vielleicht auch B edeutung n ach.
32, 23 D er Sinn des Satzes e rla u b t n ic h t, in dem W orte μισό·
πονηριά den B egriff πονηριά als O bjekt zu μισεϊν aufzufassen, wie
bei allen ähnlichen B ildungen notw endig ist. D aher m öchte m an
μισοπονία lesen. Vgl. aber bei L iddel-S cott s. v. 2.
32, 24 Die B eziehung des u n b estim m ten εκατέρη μοχϋηρίη zu
den im Z usam m enhang g en annten Begriffen ist schwer zu klären.
V ielleicht ist die εκατέρη μοχϋηρίη d arin zu sehen, daß, wie der
A u to r sagt, die P atien ten sich entw eder n ic h t bis zum E nde der K ur
dem A rzte a n v e rtrau e n , sondern heim N achlassen der Beschw erden
die K u r aufgeben, oder die B ehandlung geändert sehen wollen 32,
27. — Zu dem m etaphorischen ψήχονται vgl. έπίσαλος 31, 28.
32, 27 δεόμενοι την υγιεινήν διάϋ·εσιν cod.: s ta tt des auffälligen
A kkusativs w ollte M 2 den gram m atisch k o rrek ten G enitiv herstellen.
E s is t w ohl besser, den in drei W ö rtern ü berlieferten A kkusativ u n ­
an g e ta ste t zu lassen ; vgl. den A k k u sativ bei καταμεμεληκότες 32,18.
32, 29 ff. D er Satz e n th ä lt einige Schw ierigkeiten, die schwer zu
beheben sind. Z ur E rk läru n g lä ß t sich etw a Folgendes sagen:
πολυτελείης άπορέουσι „die P a tie n te n verm issen den L uxus“ . ·—
προσκυνέω b e i späten S chriftstellern m it dem D a tiv s ta tt des sonst
üblichen A kkusativs (K ühner-G erth 1, 294 A nm . 1). So gew öhnlich
im N. T . z. B . M atth. 2, 2 u. ö. — Die eigentliche Schw ierigkeit
liegt in ξυντνχεΐν, das w ahrscheinlich v e rd e rb t ist (ξυνεχείη ? vgl.
έως τέλους 32, 25, την αυτήν χρήσιν αεί 32, 27). — δυνατοί έόντες εύπο-
ρέειν „obw ohl siegesund sein k ö n n ten “ . ·— D as singuläre διαντλίζον-
ται k a n n w ohl als N eubildung neben διαντλέω v ersta n d en w erden. —
περί αντεων λαμβάνειν ist k o rru p t, m an e rw a rte t zu λαμ,βάνειν ein
O bjekt.
33, 7 ετέρους seil, ίητρούς. — κοινολογία ist die kollegiale K on­
su ltatio n . Vgl. Gal. V II I 151 K.
33, 13 Ιητροϋ λογισμός cod.: zu lesen ίητρός λόγιμος. λόγιμος —
ελλόγιμος io n .-hell., vgl. E . M ayser 1, 1923, 23.
33, 16 ου ψευδέως κατανενόηται bezieht sich a u f έκκλίνουσι τω
παρέοντι u n d die H inzuziehung an d erer Ä rzte (Deichgr.).
33, 17 Ü berliefert is t: μέγα αν τεκμήριον φανείη μεγα ξνν τή
συσίη . . . : ξύν ist an der Stelle, wo es ste h t, n ich t am P latze (H eib.,
D eichgr. H errn. 70, 1935, 108). W egen μετά τοντέων δε πάντων w ird
m an es n ic h t gern streichen. N un s tö rt a n dieser Stelle n ic h t ξύν
Beiträge zur Textkritik 41

allein. Die D u b lette von μέγα scheint m ir eine b estim m te E rk läru n g


der K o rru p tel nahezulegen; danach w ürde μέγα ξνν zusam m en­
gehören u n d als a n falscher Stelle in den T e x t gesetzte R a n d ­
verbesserung aufzufassen sein, die das ausgefallene ξυν ergänzen
sollte. D a ein sp äterer A bschreiber diese au ch sonst übliche A rt
der V erbesserung m iß v erstan d , w äre das ganze Glossem, auch m it
dem bloß hinw eisenden μέγα an unpassender Stelle eingefügt w or­
den. μέγα ξυν w äre d an n an der durch μέγα bezeichneten Stelle ein­
zu setzen ; es e n tstän d e also μέγα ξνντεκμήριον, eine N eubildung zu
τεκμήριον oder συντεκμαίρεσϋαι. D aß äv dann an dieser Stelle fehlen
m uß, is t klar. Es steck t in φανείη, das in [cp]äv εϊη zu ändern w äre.
F ü r das W o rt συντεκμήριον habe ich keinen Beleg gefunden, aber
a u f seine E xistenz in sp äter Z eit scheint das m erkw ürdige Verb
σνντεκμηριόομαι bei E u n ap . V. S. p. 6 ed. Boiss. hinzuw eisen. (Der
A nklang an die Stelle aus περί τέχνης 11, 25 καί τοϋτό γε τεκμήριον
μέγα τη ονσίη τής τέχνης sp rich t fü r μέγα αν τεκμήριον φανείη [μέγα
ξυν] τή ονσίη τής τέχνης, D eichgr.)
33, 22 άπανδέοντες ist n ich t m it έωυτονς zu verbinden. D as Verb
k o m m t tra n s itiv u n d in tra n sitiv vor. D as v erbindende τε zeigt aber,
d aß έωυτούς zum Folgenden, gehört. Vgl. zu 30, 6.
33, 24 σώζων ούκ άλλοιών φύσιν ? (Deichgr.) Oder άλλοϊος
euphem istisch, im Sinne von „schlim m “ o. ä.
33, 26 άλλα . . . τε im N achsatz, gew öhnlich n ach konditionalem
V ordersatz. Oder άλλα . . γε zu lesen ?
33, 28 δεδημιουργημένη cod. : zu κατεργασίη gehörig, dah er n ich t
zu ändern (D eichgr.), H eiberg bezog es a u f φναιξ.
33, 29 ή cfdi' co d .: ήν δε R , L ittré , H e ib .; zu schreiben ή ò'av.
D urch die K o n jek tu r von R is t ein gutes V erständnis hergestellt,
u n d e rst der Vergleich m it M zeigt, d aß der g la tte T e x t trü g t. N ach
γένηταί τι ist zum besseren V erständnis ein K om m a zu setzen.
εξίτηλου έόντος „solange es (noch) vergänglich is t“ .
33, 30 τή υποκείμενη seil, φύσει.
33, 32 ist wohl zu lesen: φευκτέη δε και ’&ρύψις (τρΐψις cod.)
έπικρατίδων . . . / ,
34, 2 Zu der B edeutung von ευχαριστίη an dieser Stelle vgl.
Bensel, Philologus 78, 1923, 93.
34, 5/6 αλαλκέως έπιϋυμίης cod.: άγακλέως επιϋνμέεις R , H ei­
berg. Die K o n jek tu r von R , die H eiberg aufgenom m en h a t, e n t­
fe rn t sich von dem in M überlieferten S chriftbild u n d erg ib t n ich t
einm al einen befriedigenden S inn; denn w as soll hier άγακλέως.
42 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι

das m an doch wohl in seiner üblichen B edeutung „ b e rü h m t“ o. ä.


nehm en m ü ß te ? Bei engem A nschluß an die überlieferten B uch­
stab en erg ib t sich als w ahrscheinlich άναλκέως. Zu vergleichen ist
E ro tia n 16, 15 N achm , άναλκές· έν ιο ι μεν το άνανδρον καί αδύνατον,
βέλτιον δέ τό άβοή&ητον usw. (zu de aer. àq. loc. 16 CMG I 1 70, 20),
vgl. H esych άναλκές· αδύναμον, άσϋενές und άναλκής' άνανδρος,
άσϋενης. Die H ip p o k ratesim itatio n des Verfassers sp rich t vielleicht
d afü r, d aß er auch hier das hippokratische W o rt in einem durch
ein L exikon oder einen K om m entar b e h a u p te te n Sinne b e n u tz t h a t.
D er A u to r le h n t also öffentliche V orträge n ic h t ab, m ach t n u r die
E in sch rän k un g, d aß m an sich dabei n ic h t a u f D ich terzitate stü tzen
soll. D enn das zeigt, daß m an n ich t in seiner Techne arbeiten kann.
V ielleicht d a rf m an auch bei έπιϋνμίης sich enger an das ü b er­
lieferte S chriftbild h alten u n d επιϋνμοίης lesen, obwohl diese L esart
noch äv erfordern w ürde, das m an vor άναλκέως einsetzen könnte. —
M an k a n n hierzu d a ra u f hinw eisen, d aß die P arangelien in der
P aränese re c h t oft den P o ten tialis als A usdruck d er subjektiven
M einung des Verfassers e n th a lte n ; neben den du rch K o n jek tu r
h erg estellten Stellen 33, 17 u n d hier noch 31, 16 — 31, 28 — 32, 14
— 19 — 20 — 33, 14 zw eim al — 34, 16.
34, 8 <5(ò εν μούνη έωντή κτλ. g ib t so, wie es überliefert ist,
keinen Satz. L ittrés V orschlag, έχονσαν s ta tt εονσαν zu lesen, ist
w ohl noch das B este ; d an n m öchte m an aber διό streichen.
34, 9 έτοιμοκοπίη ist singulär, κόπτω in der B edeutung „ e r­
m üden“ u . ä. liegt zugrunde. M an k an n a u f H esych κοπίαΐ' ήσνχίαι
hinw eisen. Die B edeutung des neugebildeten W ortes ist im Z u­
sam m enhang m it dem Vergleich d er D rohne etw a zu um schreiben
als „G en eig th eit zur B equem lichkeit“ . Diese A uffassung ist jed en ­
falls besser als die von L iddell-S cott gegebene Ü bersetzung offi-
ciousness, die von κόπτω τινά jm d . lästig fallen hergeleitet ist. Die
sprichw örtliche V ergleichung der D rohne en tsp ric h t im A ltertu m
ganz der unseren, vgl. P aroem iogr. G raeci 2, 179 L eutsch u n d die
d o rt an g efüh rten Beispiele. Zu ih r p a ß t μετά παραπομπής n ich t.
D enn das te rtiu m com parationis ist, d aß die D rohne sich v o n a n ­
d e r e n die N ahrung h e r b e i s c h a f f e n lä ß t. Ich v erm u te also ein
singuläres μεταπαραπομπή. W eder das W o rt selbst noch ein Verb
μεταπαραπέμπομαι is t sonst nachzuwei&en. Man w ird es aber in
Analogie zu dem n u r bei sp äten A utoren (1. J h d t. v. C.) vorkom ­
m enden μετα-παραλαμβάνω u n d μετα-παραδίδωμι annehm en dürfen.
W egen μετά παραπομπής das überlieferte έτοιμοκοπίη in ματαιοκοπίη
Beiträge zur Textkritik 43

zu än d ern u n te r B erufung a u f ein unsicheres Scholion (L ittré),


scheint m ir n ic h t an g eb rach t zu sein, weil gerade έτοιμοκοπίη einen
g u ten Sinn gibt.
34, 17 επί θεραπηίης ξνλλόγου ist wohl m it 33, 7 κοινολογίη zu
vergleichen. — d i w ird von L ittré , H eiberg getilgt, scheint aber n o t­
w endig zu sein. D enn der A u to r em pfiehlt in diesem Z usam m en­
hänge (34, 19) die τριβή im G egensatz zur Ιστορία. Allerdings m üßte
d an n neben αΐτήσαιμι noch ein Verb ergänzt w erden.
34, 18 διεσπαρμένη — „verg eu d et“ , L ittrés Ä nderung in διεφθαρ­
μένη ist also n ic h t nötig.
34, 22 άτρεμιότητι cod.: besser άτρεμίοτητα (Deichgr.),

D am it schließe ich die A nm erkungen zur T e x tk ritik der P aran-


gelien. Stellen, denen ich n ic h t helfen kann, habe ich n ich t ange­
r ü h r t; andere h abe ich n ic h t besprochen, weil H eibergs T e x t v e r­
stän d lich oder ev id en t rich tig zu sein scheint. An einigen Stellen
h ielt ich eine aporetische D arstellung u n te r vorsichtiger B erück­
sichtigung verschiedener M öglichkeiten fü r angem essen.
D A RSTELLUNG DER PRO BLEM LA GE NACH DER
SPÄTDATIERUNG DER PARANGELIEN

Die le tz te eingehendere B ehandlung der P arangelien, von


J . F . B ensel, H ip pocratis qui fe rtu r de m edico libellus ad codicum
fidem recensitus, Philologus 78, 1923, 88ff., h a tte die S chrift in
eine enge B eziehung zu Περί ίηχρον u n d Περί ενσχημοσύνης stellen
wollen. B ensel g laubte, a u f G rund stilistischer und inhaltlicher Ä hn­
lich k eiten dieser drei S chriften u n tere in an d er ihre E n tsteh u n g zu
etw a derselben Z eit, 2. H älfte des 4. J a h rh u n d e rts v. C hr., a n ­
neh m en zu dürfen. N achdem n u n die isolierende B etrach tu n g der
P aran g elien fü r diese S chrift eine ganz andere D atierung ergab,
b e s te h t das dringende B edürfnis, die B ew eisführung Bensels n ach­
zuprüfen u n d , w enn m öglich, neue A nh altsp u n k te fü r die D atierung
der beiden an deren S chriften zu finden. A uch die von Bensel fe st­
g estellten Ä hnlichkeiten sind u n te r einem anderen G esichtspunkt
zu b e tra c h te n . D adurch h ä n g t m eine ausführliche B ehandlung der
P aran g elien , deren D atieru n g schon ausgesprochen w orden w ar,
m it m einem besonderen T hem a, der U ntersuchung der S chrift
Περί ενσχημοσύνης zusam m en. D enn noch Diller h a tte in der an ­
g efü h rten U ntersuchung von Περί τροφής (S. 190 A nm . 2) Bensels
A bhandlung zitiert, w enn er auch bezüglich der V erbindung von
περί ίητροΰ m it den beiden anderen S chriften einen Zweifel an d eu tet,
Bensels A rgu m en tatio n also auch von dieser Seite ersch ü tte rt.
Die s t i l i s t i s c h e n G esichtspunkte, welche Bensel fü r die
These der G leichartigkeit der drei S chriften an fü h rt, sind die
folgenden: V erm eidung der P eriodenbildung, Vorliebe fü r p a ra ­
ta k tisc h e n S atzanschluß — Vorliebe fü r elliptischen A usdruck —
Vorliebe fü r p erip hrastischen A usdruck — die rhetorischen Figuren
(A ntithesen, P arisa, Isokola, Chiasm us).
E s is t d eutlich, daß m an aus d erartig allgem einen stilistischen
B eobachtungen allein keine gültigen Schlüsse fü r die Zusam m en­
gehörigkeit u n d D atieru n g einer S chrift ziehen darf. F ü r die
rh eto risch en F iguren z. B . h a t E . N orden in seinem B uche ü b er die
an tik e K u n stp ro sa eingehend gezeigt, d aß die Schm uckform en der
R ede sich d as ganze A ltertu m hindurch lebendig erh alten haben.
Problemlage naoh Spätdatierung der Parangelien 45

N u r auffällige B esonderheiten w ürden uns also berechtigen, aus


der A nw endung dieses Schm uckes a u f die G leichartigkeit oder gar
G leichzeitigkeit der drei S chriften zu schließen. B ensel g ib t aber
selbst zu (S. 91 u . 92), d aß in der A nw endung dieser S tilm itte l die
d rei S chriften n ic h t völlig übereinstim m en. — E tw as anders ste h t
es m it der Vorliebe fü r p eriphrastischen A usdruck. H ier b ra u c h t
es sich n ic h t n u r u m Schm uck der R ede zu handeln, sondern es
k an n auch ein H inw eis fü r die D atieru n g d arin liegen, d a die
hellenistische P rosa häufig zu solchen U m schreibungen greift,
u m den sonst zu abgegriffenen A usdruck p rä g n a n te r zu m achen,
u n d a u f diese W eise der periphrastische A usdruck im m er m ehr
v erb laß t. — Ä hnlich m uß auch die Vorliebe fü r p a ra ta k tisc h e n A n­
schluß einfach g eb a u te r Sätze b e u rte ilt w erden. D ieser is t das
U rsprüngliche, also archaisch, u n d , als die R h eto rik die Periode
k u ltiv ierte, in kunstlo ser Sprache im m er lebendig geblieben. In
hellenistischer Z eit findet er sich auch in d er L ite ra tu r, wo n ich t
die rhetorische B ildung an der Periode fe sth a lte n ließ.42) D enn die
Schulung der R h eto rik fö rd ert d en P eriodenstil, bis in der R h eto rik
selbst der S tre it der M einungen u m Periode u n d P a ra ta x e an h e b t,
d er d an n u n te r den P arteih a m e n K lassizism us u n d A sianism us ge­
fü h rt w ird. Diese kurze A ndeutung b ek a n n te r T atsach en zeigt,
daß Bensel zw ar richtig b eo b a ch tet und m it seinem Hinw eis a u f
das Schlagw ort A sianism us43) auch einen richtigen Schluß gezogen
h a t. Jed o ch d a rf m an aus dieser B eobachtung n ic h t folgern, daß
die drei S chriften deswegen in annähernd gleicher Z eit en tstan d e n
sein m ü ß ten , zum al Bensel (S. 89) auch hier zugeben m uß, d aß die
drei S chriften in dieser H insicht n ich t völlig übereinstim m en. A uch
was Bensel aus dem V orkom m en von E llipsen zu schließen sucht,
b e d a rf einer gleichen K o rrek tu r.44) Man sieht also, daß die von
B ensel zur D atieru n g herangezogenen stilistischen B eobachtungen
eine E n tste h u n g der S chriften zu gleicher Z eit n ich t bew eisen
können u n d , sow eit sie ü b e rh a u p t zur D atieru n g herangezogen

42) Nebenordnung statt Unterordnung in der Koinè A. Thumb, Die grie­


chische Sprache im Zeitalter dos Hellenismus, Straßburg 1901, 129; L. Bader­
macher, Besonderheiten der Koine-Syntax, Wiener Stud. 31, 1909, 5f., 8ff.;
K. Dürr, Sprachl. Unters, z. d. Dialexeis des Maximus von Tyrus, Philologus
Suppi. Bd. 8, 1900, 61 f.
43) p. 101 immo vero in his libris iam vestigia generis dicendi quod Asianum
vocatur exstare puto.
44) Über die Anwendung der Ellipse Dürr, Philol. Suppi. 8, 1900, 68.
46 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien

■werden d ürfen, eher fü r eine andere als die von Bensel ausgespro­
chene D a tieru n g sprechen w ürden.
Die i n h a l t l i c h e Ü bereinstim m ung zwischen den drei S chriften
b e ste h t im ganzen darin , daß sie allgem eine R atschläge fü r das
V erh alten des A rztes seinen P a tie n te n gegenüber, die K leidung,
das A u ftreten usw. geben. Aus dieser Ü bereinstim m ung d a rf k au m
a u f eine enge zeitliche Zusam m engehörigkeit der drei Schriften
geschlossen w erden. D agegen k an n m an w ohl daraus entnehm en,
was m an auch ohne dies weiß, daß sie n ich t zu den ältesten B estan d ­
teilen des Corpus H ippocraticum gehören. Die ältesten m edizini­
schen S chriften en th alten n u r vereinzelt allgem eine R atschläge der
an g ed eu teten A rt, z. B. E pidem . 6, 4, 7 (5, 308 L) είσοδοι, σχήμα,
λόγοι, εσϋ'ής . . . κονρή, όνυχες, όδμαί. S tichw ortartig w ird angedeutet,
w o rau f der A rz t zu ach ten hahe, ohne daß eine ausführliche D a r­
legung von E inzelheiten, wie sie G alen u n d sp ätere w ortreiche
K om m entare geben, geboten w ird. W enn der „ E id “ ein ideales Bild
des A rztes zeichnet u n d dabei einige E inzelvorschriften gibt, so ge­
schieht das n ic h t in theoretischer D arstellung, sondern in einem
verpflichtenden Appell der G em einschaft a n ihren Genossen, dem
der E id d er G enossenschaft als R ich tsch n u r fü r sein H an d eln vor
A ugen sein sollte. Die schriftliche A ufzeichnung in einem Buche
erscheint dem gegenüber als sekundär.
D a der Νόμος inhaltliche B eziehungen zu den Παραγγελίαι u n d
an einer Stelle auch zu Περί ενσχημοσύνης zu h aben scheint, will ich
k u rz a u f ih n eingehen. Die w ahrscheinlich von einem sp äteren
Sam m ler h ip pok ratischer S chriften so genannte „ S c h rift“ e n th ä lt
keine speziell m edizinischen E inzelvorschriften. Sie ste h t durch
ihre vielfältigen B eziehungen zu sophistischen u n d dem okriteischen
G edanken m itte n in der pädagogischen D iskussion ih re r Z eit u n d
su ch t deren Ergebnisse fü r die Medizin fru c h tb a r zu m achen. D a
diese G edanken in das B ildungsgut der A ntike eingegangen sin d 46),
lassen sie sich fü r die D atierung n ic h t verw erten. ( Νόμος 7, 13
πρώτον μεν οΰν πάντων δει φύσιος ~ Π . ενσχ. 26, 7 ήγεμονικώτατον
μεν ονν τουτέων απάντων των προειρημένων ή ψύσις. — Die A nklänge
der Παραγγ. a n den Νόμος erklären sich d u rc h bew ußte A nlehnung.)
E inen an deren C harakter, der dem von Περί ίητροϋ schon n äh e r
k o m m t, h a t Κατ'1 Ιητρεΐον. Die S chrift, die in aphoristischem Stil

46) Vgl. z. B. W. Jaeger, Paideia 1, Berlin u. Leipzig 1934, 3940. über


Plutarch.
Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien 47

einige V orschriften fü r den A rzt gibt, ehe sie das eigentliche Them a,
die K linik, b eh an d elt, ist von D eichgräber46) als „K ollegheft“
ch arak terisiert w orden. H ier erklären sich die E inzelvorschriften
aus dem leh rh a ften Zweck. D as Gleiche ist bei Περί ίητροϋ der F all,
einer S chrift, die sich ausgesprochenerm aßen an A nfänger ric h te t.
A ber der Vergleich zw ischen Περί ίητροϋ u n d K ar * ίητρεϊον zeigt n ich t
n u r die Ä hnlichkeit, sondern auch die V erschiedenheit, u n d gerade
diese ist fü r die D atierung w ichtig. G em einsam ist beiden Schriften
das T hem a. G em einsam ist auch die V oranstellung einiger Einzel­
vo rschriften fü r den A rzt. A ber was in Περί ίητρον in einem b e­
sonderen u n d in sich geschlossenen K apitel, geradezu u n te r der
Ü berschrift ίητροϋ προατασίη beh an d elt w ird, b esteh t in Κατ'
ίητρεϊον in lose eingefügten A phorism en, die m ehr an d eu ten als
beschreiben u n d n u r durch das stilistisch u n d „m nem otechnisch“
w ichtige A u sd rucksm ittel des A phorism us zusam m engehalten w er­
den. Man sieht, daß h ie r ein u n d dasselbe B edürfnis der W issen­
schaft a u f verschiedene W eise befriedigt w ird. Es lo h n t sich n ich t,
a u f w eitere hippo kratische S chriften m it ähnlichen D arstellungen
einzugehen. E n tsch eid e n d fist vielm ehr die F rage, ob w irklich die
inhaltliche Ü bereinstim m ung zwischen Περί ίητρον, Παραγγελίαι,
Περί εύσχημοσννης so groß ist, d aß m an daraus w eiterführende
Schlüsse ziehen darf. M an d a rf sich offensichtlich n ic h t dabei be­
ruhigen, festzustellen, daß hier u n d d o rt von der K leidung, der
S auberkeit, G erüchen, dem R uhm e usw. die R ede ist. Von diesen
D ingen k an n u n d m uß zu allen Zeiten gesprochen w erden, solange
das Leben d azu die V oraussetzungen b ietet. W ichtig ist n u r,
wie a u f diese gleichbleibenden Bedürfnisse des Lebens g eantw ortet
w ird. U nd in Περί ίητροϋ geschieht das offenbar anders als in
Παραγγελίαι u n d Περί εύσχημοσννης. Auch Παραγγελίαι u n d Περί
εύσχημοσννης wollen belehren, aber in einem anderen Sinne als
Περί ίητροϋ. D as soll noch gezeigt w erden. D enn den belehrenden
C h arak ter h ab en die S chriften, besonders Περί ίητρον, wie Bensel
S. 102 h erv o rh eb t, m it der sogen, isagogischen L ite ra tu r gemein.
Zeigen die drei S chriften also eine gewisse inhaltliche V erw andt­
sch aft m it dem Genos der Isagoge, so m uß ih r V erhältnis zu dieser
L ite ra tu rg a ttu n g noch n ä h e r besprochen w erden. H ier sei n u r
Folgendes festgestellt. Das praktische B edürfnis h a t, wie die Schrift

4β) K. Deichgräber, Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum, Abh.


d. Preuß. Akad. Jahrg. 1933, Berlin 1933, 80 ff.
48 Problemlage nach Spätdaticrung der Parangelien

Κ ατ’ ίητρεϊον zeigt, schon in älterer Zeit F orm en der Belehrung,


auch speziell fü r A nfänger, erzeugt. A ber das typische isagogische
S ch rifttu m k o n n te doch e rst in re la tiv sp ä te r Z eit entstehen, als
jed e Techne, wie auch die Philosophie, einen stren g system atischen
A u fb au a n stre b te u n d daher die „E in leitu n g “ von der speziellen
Lehre ab so n d erte. Jen e W issenschaftsgesinnung aber, die unser
W o rt „ S y ste m “ allererst p räg en konnte, ist erst n ac h A ristoteles b e­
h errschend gew orden. E s ist bezeichnend, d aß auch der T erm inus
Eisagoge in der Philosophie zu erst bei C hrysipp a u ftritt, zu einer
Z elt also u n d au ch in einer Philosophie, die a n dem sy stem a der
T heorien besonders in teressiert war. In einer technischen Schrift
kom m t er zu erst bei dem M echaniker Philo von B yzanz v o r.47)
A llm ählich b ild et sich d an n eine A usw ahl v o n G esichtspunkten
heraus, w elche bei der E inleitung in jede T echne v erw an d t w erden
können, es e n ts te h t die fü r die ausgebildete Isagoge ch a ra k te risti­
sche A nw endung b estim m ter Topoi. E rste V ersuche zu einer solchen
T opik finden sich bei P la to n (P haidr. 237 b) u n d A ristoteles (Nikom.
E th . I 2,1095a 12).
F ü r die D atieru n g der S chriften Περί ίητρον. Παραγγελίας Περί
εύσχημοσννης erg ib t sich aus diesen allgem einen E rw ägungen, daß
w ir, falls die Schriften w irklich eine V erw andtschaft m it dem
Genos der Isagoge zeigen, a u f nacharistotelische Z eit gewiesen
w erden, w enn w ir ü b e rh a u p t ein inhaltliches M om ent fü r D atie­
rungsfragen b en u tzen wollen. D aß sie no ch n äher zusam m en­
gehören, etw a in dem selben J a h rh u n d e rt en tstan d e n seien, lä ß t
sich aus diesem von Bensel b en u tzte n inhaltlichen A rgum ent
b estim m t n ic h t folgern.
E in anderes inhaltliches A rgum ent fü r die Zusam m engehörig­
k eit der beiden Schriften Παραγγελίαι und Περί εύσχημοσννης glaubte
Bensel in der gem einsam en e p i k u r e i s i e r e n d e n T e n d e n z beider
S chriften zu finden. Ich will in diesem Z usam m enhänge n ic h t der
In te rp re ta tio n der Schrift Περί εύσχημοσννης vorgreifen, sondern
m öchte n u r so viel hervorheben als zur B esprechung der These
nötig ist.
Bensel h a tte (S. 96ff.) G edanken der Schrift Περί εύσχημοσννης.
m it epikureischen Sätzen verglichen. D er A nfang der S chrift, der
n u r solche σοφίαι als nützlich bezeichnet, die sich im „L eben“

47) Bclop. 56, 12 κα&ότι δεδηλώκαμεν εν τφ 7ΐερί της ε ισ α γ ω γ ή ς βίβλο),


πρώ τφ δέ ύπάρχοντι της μηχανικής συντάξεω ς.
Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien 49

verw irklichen, ist bezeichnend fü r die hellenistische Philosophie


ü b erh au p t, is t also n ic h t n u r a u f E p ik u r, sondern ebensogut a u f
die S toa zu beziehen, vgl. Stoic. v e tt. fr. 1, 21, 5 — 2, 30, 28 A rn.
u. ö. A uch die von B ensel angeführte A blehnung der οϊησις lä ß t
sich n ic h t als spezifisch epikureisch bezeichnen (E picur. fr. 224
p. 170, 8 Us. = fiorii. Monac 195: d αότός (seil. Επίκουρος) την
οϊησιν ίεράν νόσον ελεγεν, vgl. fiorii. Monac. 199: 'Ηράκλειτος εφη’
οϊησις [προκοπής] εγκοπή προκοπής = M axim i serm ones p. 624 'Ηρά­
κλειτος d φυσικός (!) οϊησιν ελεγεν εγκοπήν προκοπής είναι (134 Byw.).
H ierzu H erakleitos 22 Β 46 D iels-K r. u n d S to ic .v e tt.f r. 1 71, Zeno.
D er Begriff οϊησις g eh ö rt deutlich in die hellenistische M oral­
philosophie, is t also n ich t für E p ik u r bezeichnend.48) D as Gleiche
gilt fü r die B ezeichnung des Ιητρός φιλόσοφος als Ισόϋεος u n d den
A usdruck ύπεροχή ΰεία. Dieser G edanke e n tsp ric h t der H och­
schätzung des W eisen in beiden Schulen. U nd schließlich d a rf m an
auch aus dem Satze ήγεμονικώτατον . . . ή φνσις keine Beziehung
zur epikureischen Philosophie allein folgern. M an sieht also, daß
die von B ensel verglichenen G edanken der S chrift Περί ευσχημο-
σΰνης eine Beziehung derselben zur epikureischen Schule n ic h t b e­
weisen. So w ar die A rgum entation von Bensel anscheinend auch
n ic h t gem eint. D enn d a er ausgeht von der A nnahm e, daß die drei
S chriften Περί ίητροϋ, Παραγγελίαι, Περί ευσχημοσννης in h altlic h u n d
stilistisch eng zusam m engehören, haben die von ih m angeführten
Stellen n u r den W e rt einer S tütze für die These, d aß ih r (gem ein­
sam er) G ru n d ch arak ter V erw andtschaft m it E p ik u r bew eist u n d
d ah er a u f den L ehrer des E p ik u r, den D em ok riteer N ausiphanes,
zurü ck g efü h rt w erden dürfte. D a die V erw andtschaft m it epikurei­
schen G edanken fü r die P arangelien bewiesen w ar, ergab sich fü r ih n
die Schlußfolgerung, d aß auch die Stellen hellenistischer Philosophie
in Περί εύσχημοσόνης epikureisch, oder besser, da sie n ich t völlig
m it E p ik u r ü b ereinstim m en (S. 98), nausiphanisch sein m üßten.
Die richtige E rk en n tn is, die der These von B ensel zugrunde
liegt, is t also, daß auch die S chrift Περί εύσχημοσόνης ohne den
Hinweis a u f G edanken der hellenistischen Philosophie n ic h t zu
versteh en ist. E ine auffallende Ü bereinstim m ung in der epiku-
reisierenden T endenz, die noch D iller im A nschluß a n B ensel be-
48) Daß er dem Ephesier Heraklit nicht zugeschrieben werden durfte, hat
schon Wilamowitz, Herrn. 40, 1905, 134 angemerkt. Die Überlieferung beruht
auf einer Verwechselung durch Namensgleichheit. Vgl. Deichgräber Philologus
93, 1938, 26f.
4
50 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien

h a u p te t40), k an n ich jedenfalls n ich t feststellen. U nd zu einer


Stelle (§ 3) h a tte sogar Bensel (S. 104 A nm . 6) a u f stoische Ü ber­
lieferung hingew iesen.
Das E rgebnis dieser B etrac h tu n g ist, d aß auch die philoso­
phischen G edanken der S chriften Παραγγελίαi und Περί ενσχημο­
σννης einen engeren Z usam m enhang beider S chriften n ic h t b e ­
weisen, w ir also die T atsach e einer Z usam m engehörigkeit derselben
n ich t zur G rundlage der D atierung m achen können.

D ie sprachliche Verwandtschaft der drei Schriften.


N ach der ausführlichen, w enn auch von einigen E inzelheiten
absehenden K ritik der These von Bensel h ab e n w ir keinen G rund,
die S chriften Περί Ιητρον, Παραγγελίας Περί ενσχημοσννης von v o rn ­
herein als gleichzeitig anzusehen oder in der D atierung der einen
S chrift einen A n h a ltsp u n k t fü r die der anderen zu sehen. So w e rt­
voll es w ar, diese S chriften einm al zusam m enzustellen, sind wir
doch gezw ungen, die von Bensel a u f G rund einer ta tsä c h lic h v o r­
handenen Ä h nlichkeit m iteinander verbu ndenen S chriften isoliert
zu un tersu ch en. D as R ichtige, was Bensel gefühlt h a tte , aber durch
die A rt seiner B ew eisführung v erd u n k elt h a t, ist, daß die drei
n ich t zu den alten S chriften des Corpus gehören, sondern in einer
sp äteren Zeit, m indestens der hellenistischen en tstan d e n sind.
D a rau f w eist auch der sprachliche C h arak ter der drei Schriften
hin. So voreilig es w ar, a u f G rund der erw äh n ten stilistischen und
in h altlichen G esichtspunkte eine zeitliche Z usam m engehörigkeit
der S chriften zu erschließen, so b erech tig t w äre es gewesen, ihre
Sprache in ih rem gem einsam en hellenistisch gefärbten oder helle­
nistischen C h arak ter einer U ntersuchung zu unterw erfen. Auch
hierb ei h ä tte n sich neben G em einsam keiten einige V erschieden­
heiten zeigen lassen. M an sieht sofort, daß die P arangelien viel
enger m it Περί ενσχημοσννης zusam m engehören als m it Περί Ιητρον,
daß Περί Ιητρον ü b erh au p t n ic h t m it d en beiden anderen Schriften
als gleichzeitig an gesetzt w erden darf, wie D iller gelegentlich a n ­
m erk t.
Von einer vergleichenden C harakteristik der Sprache der drei
Schriften m öchte ich absehen, da ich die Sprache der P aran g . 4

4S) H. Diller, Eine stoisch-pneumatische Schrift im Corpus Hippoer.


Sudhofis Archiv f. Gesch. d. Mediz. u. d. Naturwissenschaften Bd. 29, Heft 3,
1936, 190 Anm. 2.
Die Schrift Περί Ιητρον 51

b ereits b eh an d elt h abe u n d für Περί εύσχημοσύνης eine gesonderte


B etrac h tu n g d er Sprache gegeben w erden soll. F ü r die S chrift
Περί Ιητρον h a t Bensel selbst eine kurze sprachliche C h arak teristik
v ersu ch t, die ab er n ic h t au sreich t, weil sie die M erkm ale helle­
nistisch er Sprache beiseite läß t.
D a der ganzen Problem lage n ach m eine U ntersuchung sich
zu n äch st im R ah m en einer K ritik der A bhandlung von Bensel
h a lte n m uß, m öchte ich der V ollständigkeit h alber noch in einem
kurzen A b sch n itt a u f die Schrift Περί Ιητρον eingehen, bevor ich
m ich der d ritte n vo n Bensel b ehandelten S chrift, Περί εύσχημοσύνης,
m it einer eigenen U ntersuchung w idm e.

D ie S c h r i f t Π ε ρ ί ι η τρ ο ν .
Bensel h a tte Seine von m ir k ritisie rte A bhandlung in erster
Linie der S chrift Περί ιητρον gew idm et u n d die beiden anderen
S chriften n u r zur C harakterisierung u n d D atieru n g herangezogen.
D ah er is t von vornherein festzustellen, daß seine Ergebnisse ü b er
diese Schrift im ganzen nocjj heute an n eh m b ar sein w erden, sofern
sie sich au f eine U ntersuchung der S chrift Περί Ιητρον allein berufen.
Die A u s g a b e d e r S c h r i f t , die Bensel gegeben h a t, is t in
m anchen E inzelheiten w ertvoll gewesen. D aß w ir h eu te über sie
u n d sogar ü b er die von H eiberg (CMG I 1, 20 ff.) hinausgehen
k ö n n ten , v erd an k en w ir einer E rk e n n tn is von H . Diller. Dieser
h a t näm lich feststellen können, d aß der cod. P arisin. Gr. 2255
(E), dessen Stellung zu unserer H a u p th a n d sch rift, dem V ätican.
Gr. 276 saec. 12, n ic h t ganz durchsichtig w ar, bereits a u f einem
der älteren D rucke, der editio F robeniana B asii. 1538, fu ß t. So
erü b rig t es sich also, diese H sr. einerseits als dem V aticanus v er­
w a n d t, andererseits als w ertvolle handschriftliche Ü berlieferung
neben ihm anzusehen u n d dem gem äß eine gem einsam e Quelle
b eid er anzunehm en ((Ilberg P rol. in ed. K ühlew . X X I II) — eine
A nschauung, die en tsteh en m u ß te, weil der P arisinus E neben
den L esarten des V aticanus viele w ertvolle 'S onderlesarten u n d
andere auffällige A bw eichungen (P araphrasen) e n th ä lt.50) F ü r die
B eurteilung des P arisin. E verweise ich a u f die Nachweise von
D iller (Philologus S uppl.-B d. 23 H e ft 3, 1932, 12 ff. u n d G nom on
1936, 369L). Aus den A rgum enten von Diller erg ib t sich, d aß der

s0) Paraphrasen : 20,5 νπάρχουσαν αΰτω V, αύτφ οϋααν E 20,20 total νοσονσιν
V, τοίσιν άρρωατέουσιν Ε 21, 3 λυπέει V, πράγματα παρέχει Ε. Vgl. auch 22, 21.
4.*
52 Problemlago nach Spätdatierung der Parangelien

codex E ü b e rh a u p t n ich t als Quelle für die Ü berlieferung der


Schrift Περί Ιητρον in F rage kom m t. D as zeigt auch, abgesehen von
den reinen Ü berlieferungsfragen, eine B etrac h tu n g des Textes der
Schrift.
F ü r den W e rt des cod. P arisin. 2255 schienen seine g uten Les­
a rte n zu sprechen. M an m uß sie als K o n jek tu re n erklären. Ohne
große Schw ierigkeiten scheint das m öglich zu sein an den Stellen
21, 6. 19. 23 22, 13. 14. 23 23, 28. 31 24, 5. 14. An drei Stellen
m üssen größere Eingriffe in den T e x t angenom m en w erden. Diese
will ich besprechen, um zu zeigen, d aß auch eine konservativere
E instellung zur Ü berlieferung, als sie der V erfasser der K onjek­
tu re n g eh ab t h a t, zum Ziele führen kön n te.
20, 13 fü g t der Schreiber von E και επιεικέα ein. Ü ber diese
E infügung is t noch in anderem Zusam m enhänge zu sprechen.
D er folgende ydp-Satz g eht a u f σεμνόν, das also n ic h t m it E
g etilg t w erden darf.
21, 3 ff. H ier h a t E (in Ü bereinstim m ung m it C ornarius) durch
U m stellen v on μέν τοίς und Einfügen von ονχ ομοίως einen guten
Sinn hergestellt. E g ib t: „L ich t, das von ferne kom m t, ist den
b eh andelnden Ä rzten n ich t lästig, w ohl aber m anchm al den P a ­
tien ten “ . V gibt, w enn m an die kleine Ä nderung νπάρχειν s ta tt
υπάρχει v o rn im m t: „ L ic h t m uß fü r den behandelnden A rz t von
ferne kom m en, d a rf aber den P a tie n te n n ic h t belästigen“ . (Man
d a rf wohl τηλαυγές einfach m it „hell“ übersetzen.) D er Infinitiv
νπάρχειν en th ielte, wie a n anderen Stellen, das im perativische
M om ent der V orschrift.
21, 5 f. E h a t, w iederum m it C ornarius, φενκτέον eingefügt und
s ta tt des überlieferten διό ein <5t’ ην konjiziert. M an b leib t näher
an der Ü berlieferung, d. h. b ra u c h t φενκτέον n ic h t einzusetzen, wenn
m an διό = q u ia v e rste h t oder in διότι ä n d e rt („A uf jeden F all m uß
das L ich t so beschaffen sein — wie geschildert, näm lich τηλαυγές
u n d αλυπον — weil es v o rkom m t, daß die A ugen leiden“ ). A uf
den ersten B lick kö n n te d a n n noch der alleinstehende A kkusativ
stören, er g eh ö rt aber zum Stil der S chrift, zu ergänzen ist είναι
oder das vorangegangene νπάρχειν, vgl. auch 20, 14 σκοπόν δέ έπΐ
της έξονσίης scii, είναι.
Diese k urze B esprechung der am m eisten von V abw eichenden
L esarten ch a rak terisie rt die H sr. E : E ine ähnliche B eherrschung
des T extes, wie sie sich in den „ P a ra p h ra se n “ äu ß e rt, erkennen
wir in der A rt, wie hier die Ü berlieferung gem eistert w ird.
Die Schrift Περί Ιητρσΰ 53

F ü r den T e x t in seiner G esam theit ist es n u r eine F rage der


A kribie, daß m an die w irklich w ertvollen L esarten von E n u n als
K o n jek tu ren — z. T. des C ornarius —- ansehen m uß.51) Die P a ra ­
p hrasen der Y aticanusüberlieferung, welche in E auch bei anderen
Schriften, z.B . Περί σαρκών51a) so deutlich h erv o rtreten , d aß sie
geradezu als ch arak teristisch fü r diese H sr. gelten können, brauchen
den Leser n ic h t m eh r zu verw irren, w enn m an einm al die H sr. E
ganz aus dem kritischen A p p a ra t en tfern t. Von den trefflichen
K o n jek tu ren w ird genug, w enn auch u n te r einem an d eren Sigel,
in T e x t u n d A p p a ra t erh alten bleiben.
Die D a t i e r u n g d e r S c h r i f t Π ε ρ ί Ιη τρ ο ν grü n d ete Bensel —
abgesehen von der A nnahm e ih rer Zugehörigkeit zu Περί εύσχημο-
σύνης un d Παραγγελίαι a u f eine B etrach tu n g des W ortschatzes und
ihres literarischen C harakters als „p aran etisch e“ S chrift. M it diesen
A rgum enten w erde ich m ich also noch zu beschäftigen haben. D a
ab er die A nerkennung der H i p p o k r . a t e s i m i t a t i o n d e r P a r a n -
g e l i e n auch eine neue B etrac h tu n g des V erhältnisses der P ar. zu
Περί Ιητρον nötig erscheinen lä ß t, m uß ich noch ku rz die E inzelheiten
erw ähnen, a u f G rund dergrf B ensel eine B eziehung zwischen Περί
Ιητρον u n d Παραγγελίαι feststellen w ollte. Die Stellen, die er dafür
an fü h rt, sind n ic h t zahlreich. Zu de m ed. 1: ιητρον προστασίη vgl.
P ara n g . 10 ίητρική προστασίη. Die G leichheit des A usdrucks erla u b t
keinen Schluß a u f die B enutzung von Περί Ιητρον durch den V er­
fasser der P arangelien. D enn προστασίη ste h t hier in dem helle­
nistischen S prachgebrauch, wie bereits für die P arangelien in der
B esprechung des W ortschatzes (oben S. 23) an g e d eu tet w urde.
D o rt m u ß te ich de m ed. 1 u n te r den ersten B elegstellen fü r den
hellenistischen G ebrauch des W ortes anführen. E rgänzen m öchte
ich noch einige Stellen aus Polybios, bei dem sich die ersten Belege
fü r die B edeutung des W ortes als „A nsehen, äußere E rscheinung“
u . ä. finden. Ich erw ähne n u r 4, 2, 6 ον μόνον προστασία βασιλική
αλλά και δύναμις, wo d u rch den G egensatz deutlich ist, d aß n ich t
m eh r die alte bei T h ukydides (6, 89; 2, 65; .2, 80) geltende B e­
deu tu n g „F ü hrerS tellung, M acht“ vorliegt. — M it d er Stelle de

01) Die Abweichungen der Hsr. E von V sind natürlich nur dann Kon­
jekturen des Cornarius, wenn sie zuerst in der Basii, stehen, sonst stammen
sie, wie z. B. die „Paraphrasen“ , von dem Schreiber von E. Einiges steht sogar
schon in der Aldina, so 22, 14 φλέβες, 22, 23 <5εΐ, 24, 5 άρμόζου.
61a) K. Deichgräber, Hippokrates, Über Entstehung und Aufbau des menschl.
Körpers (περί σαρκών) Leipzig u. Berlin 1935, Xf.
54 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien

m ed. 1 lä ß t sich am b esten vergleichen P olyb. 22, 17, 10 κατά την


έσθήτα καί την Άλλην προστασίαν λιτός. P olyb. 12, 28, 6 ή τον
σνγγραφέως προστασία e n tsp rich t unserem Ιητροϋ προστασίη. Das
W o rt is t also in Περί ιητροϋ u n d Παραγγελίαι dem speziell hellenisti­
schen S prachgebrauch entsprechend angew andt. W ir dürfen daher
n ic h t annehm en, daß d er V erfasser d er P arangelien in seiner
archaisierenden H ip p o k ratesim itatio n dieses W o rt aus περί ιητροϋ
übernom m en h ab e, sondern w erden im Gegenteil es als K enn­
zeichen d er den beiden S chriften gem einsam en hellenistischen
F ärb u n g d er Sprache zu d eu ten haben. ■ — Aus der E m pfehlung
m äßigen G ebrauchs von W ohlgerüchen de m ed. 1 und P aran g . 10
d a rf m an ebenfalls keine V erbindung zwischen beiden Schriften
erschließen, zum al es sich n ic h t u m eine Ü bereinstim m ung im
W o rtla u t h an d e lt. D aß όδμαί zu verschiedenen Zeiten von Ä rzten
b erü ck sich tig t w urden, leg t E pid. 6 ,4 , 7 (5, 308 L ittré) nahe. E ben­
so d a rf m an au s der E rw ähnung des R uhm es de m ed. 1 und P ar. 4
n ic h t zu viel schließen. E ine w eitere Ü bereinstim m ung stellte
Bensel fest fü r de m ed. 1 φιλάνθρωπον . . . και έπιεικέα u n d P ar. 6
. . . φιλανθρωπίη . . . επιεικείη . . . D a hier die selben Begriffe und
in gleicher R eihenfolge angew andt w erden, kö n n te m an die P a r­
allelität feststellen. A ber es ist zu bedenken, daß καί έπιεικέα
n u r in E ü b erliefert ist, der H sr. also, die keinen besonderen Ü ber­
lieferungsw ert neben dem V aticanus h a t. Besonders die P a ra ­
p h rasen m uß m an als S ondergut dieser H sr. ansehen. Zu ihnen
ist auch die E infügung des και έπιεικέα zu stellen. W ir haben also
eher m it dem um gekehrten Falle zu rechnen, daß der Schreiber von E
die P aran g . verglichen habe, als d am it, d aß die P arangelien in ihrer
H ip p o k ra te sim itatio n auch die S chrift Περί Ιητροϋ b e n u tz t haben.
W eitere A nklänge der Παραγγελίαι an Περί Ιητροϋ finden sich n ich t.
Zusam m enfassend lä ß t sich also sagen, daß die feststellbaren Ü ber­
einstim m ungen zwischen beiden S chriften w eder eine enge zeit­
liche Z usam m engehörigkeit noch eine B enutzung der S chrift Περ'ι
ιητροϋ durch den V erfasser der P arangelien annehm en lassen.
D ennoch v erla n g t die festgestellte Ü bereinstim m ung nach
einer E rk läru n g . W enn m an bedenkt, d aß die ang efü h rten Stellen
aus Περί Ιητροϋ säm tlich in dem 1. K ap. d er S chrift e n th a lte n sind,
welches den idealen A rzt schildert, so w ird m an die Ü bereinstim ­
m ung wohl am besten (wie oben S. 46f . angedeutet) aus dem ge­
m einsam en paränetisch-isagogischen C h arakter beider S chriften
erklären.
Die Schrift Περί Ιητροϋ 55

A u f diesen C h arak ter der S chrift Περ'ι ιητροϋ h a t n u n Bensel


(S. 102ff.) m it R ech t nachdrücklich hingewiesen. Besonders die
Vergleichung m it der pseudisokratischen D em onikosparänese ließ
sich fü r die D atieru n g verw erten. Ü ber Bensels ungefähre B estim ­
m ung des literarisch en Genos d er Schrift hinaus — das er als
p arän etisch -p ro trep tisch bezeichnet u n d im A nschluß an E . N orden,
H errn. 40, 1905, 522 als V orstufe der isagogischen L ite ra tu r au f­
fa ß t (S. 102) — glaube icb, sogar b eh à u p te n zu dürfen, d aß wir
in Περί Ιητροϋ eine w irklich isagogische S chrift vor uns haben.
Sie e n th ä lt einen allgem einen Teil, der ü b er ιητροϋ προστασίη
h an d e lt. D a rau f folgen εις την ιατρικήν τέχνην παραγγέλματα. Diese
besch rän k en sich a u f das fü r den A nfänger N otw endigste u n d w ei­
sen an m ehreren Stellen (23, 28. 35; 24, 2. 11. 26) a u f ausführliche
B elehrung in an d eren S chriften hin. 20, 26; 23, 18 u n d 24, 12 ist
außerdem ausdrücklich gesagt, d aß die S chrift sich an A nfänger
ric h te t. W ir h ab en also eine isagogische S chrift vor uns, die in dem
ersten K a p itel den Topos de artifice beh an d elt. — M an vergleiche
d am it etw a Sorans G ynaecia, wo im A nfang die isagogische Topik
erk e n n b a r is t; d o rt w ird «auch ü b er die A nforderungen, die an
K örper un d G eist der H ebam m e zu stellen sind, gesprochen, u n d
es t r i t t der Topos τις άρίστη μαία auf. N ach diesen allgem einen A us­
fü hrungen w ird d an n , wie in Περί ιητροϋ, der eigentliche fach-
w issenschaftliche In h a lt der S chrift gegeben. Auffällig ist n atü rlich ,
daß Περί Ιητροϋ aus der reichhaltigeren isagogischen T opik n u r einen
Topos en th ä lt. Dies w ar es w ohl auch, was Bensel v e ra n la ß t h a t,
von der B ezeichnung der S chrift als Isagoge abzusehen u n d sie
parän etisch bzw . p ro tre p tisc h zu nennen. U m diesen U m stan d zu
erk lären , w ird m an ab er d a ra u f hinw eisen dürfen, d aß eine Topik
nie ganz s ta rr ist, sondern im m er eine gewisse! A usw ahl der Ge­
sich tsp u n k te zu läß t, wie auch die von E . N orden, H errn. 40, 1905,
508 fF. an g efü h rten Beispiele zeigen, und ebd. 516 d eu tlich au s­
gesprochen w ird. A ußerdem ließe sich w enigstens verm u ten , daß
die S chrift, d a sie ohne E in leitu n g m it Ιητροϋ μεν είναι προστασίην
sofort in die A ufzählung der E igenschaften des guten A rztes e in tritt,
u m ein ursp rü n g lich vo rh an d en gewesenes einleitendes K ap itel
v erk ü rzt ist, d as den T opos de a rte e n th a lte n h ab en w ürde. D aß der
T itel, der anscheinend erst sp äter m it der Schrift v erbunden w urde52),62

62) Er trifft eigentlich nur auf das erste Kapitel der Schrift zu. Oder sollte
er περί Ιητρείον heißen? Auch das scheint nicht zu passen.
56 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien

d en ü b erlieferten Z u stan d bereits vorau ssetzt, b ra u c h t kein E in ­


w and gegen diese V erm utung zu sein.
F ü r die D atieru n g d er S chrift Περ'ι ’ιητρον w ürde die Auffassung
derselben als isagoge^bed eu ten , d aß m an sie n ic h t fü r den Aus­
gang des 4. Ja h rh u n d e rts v. Chr., sonderh eher etw as jü n g er a n ­
setzen d arf, besonders w enn andere A nzeichen ebenfalls dafür
sprechen.
D a die S chrift, wie bereits an g e d eu tet, einige M erkm ale hel­
lenistischer S prache zeigt, b e d a rf es n u n , u m die D atierungsfrage
auch von diesem G esichtspunkt aus zu erledigen, einer B esprechung
des W ortsch atzes der Schrift.
Ich b eschränke m ich a u f eine A ufzählung derjenigen W örter,
welche als hellenistisch verd äch tig sind, u n d füge jeweils den
ältesten Beleg hinzu.

διαίρεσις als m ediz. 1 .t.= O p e ra tio n Philod. περί παρρησίας col. 17,5.
δυσϋ-εράπευτος po et. u . sp., Sophocl. Ai. 609 (lyr), Philo Al. I I 140.
εξομαλίζω D iod. Sic. 2, 10, 5.
έπιπροσΜω T h eophr. de v en t. 32.
εύήρης p o et. u. sp., bei H om er n u r vom R uder, ενήρεα τεύχη
O rae. ap . P au san . 4, 12, 4, späte D ich ter wie Nonnos.
ϋεητρικός Die vom S u b sta n tiv hergeleitete A djektivbildung zuerst
A risto t. Pol. 1342 a 18 θεατρική μουσική. In ü b tr. B e­
d eu tu n g A ntyll. ap. Orib. CMG V I 1 , 2 : 6 6 ,1 4 θεα­
τρικόν μεν . . . άνίατρον δε, wo die A ntithese bedeutsam ist.
^κατάντλησις A ntyll. ap. Orib. CMG V I 1, 2: 24, 29. Galen 10, 237.
καταντλέω ist n ach Moeris (s.> v. atoväv) hellenistisch.
Stellen bei A ristoph. Vesp. 483, P ia t. R esp. 1, 344d
u . a. zeigen, daß Moeris h ier n ic h t völlig R ech t h a t. Es
w ird der A lltagssprache geläufig gewesen sein. D aß es
in d er K oinè lebendig w ar,’zeigt E . M ayser 1, 3 (2.Aufl.)
225, 20, wo Belege aus P ap . d. 2. J h d t.s v . Chr. gegeben
w erden. Bei diesen technischen W ö rte rn k a n n das Vor­
kom m en des ersten Belegs in sp äter Z eit durch die
lü ck enh afte Ü berlieferung b ed in g t sein.
όδοντάγρα A risto t. M echan. 21, 854a 17f.
πανομοίως D as A d jek tiv P hilod. R h et. 1, 179 Sudh.
> περικά&αρσις T heophr. Caus. P la n t. 5, 9, 11 (allerdings in anderem
G ebrauch: περικα&άραεις των ριζών).
Die Schrift Περί Ιητρον 57

προσενοχλέω P hilod. περί ποιημάτων 3, 9 H ausr. (πρ. την άκοήν).


χ'προστεισίη vgl. oben S. 23 u . 53 f.
σκεπαστικός A risto t. M etaph. V II 2, 1043 a 16 u . ö. vgl. E .M ay ser
1, 3 (2. A.) 111, 30.
σταφνλάγρα D as W o rt finde ich n u r bei P aul. Aeg. CMG IX 2:
68, 20 vgl. A etius 8, 44. A ber σταφυλή in d er hier n o t­
w endigen B edtg. findet sich bereits bei A risto t. bist,
anim . 493 a 3.
Die Ü bersicht zeigt, d aß im W ortschatz ta tsä c h lic h einiges
hellenistisch ist. W ir w erden die Sprache d er S chrift also als helle­
nistisch ansehen können. Sie w eist etw a a u f das 3. J a h rh u n d e rt
v. Chr. Die S chrift k ö n n te neben die ältesten D enkm äler helle­
nistischer Sprache g estellt w erden u n d dan n a n n ä h ern d m it dem
M echaniker Philo gleichzeitig sein, der, soviel ich sehe, der älteste
V e rtreter ty p isch er K oinè ist u n d gegen E nde des 3. Ja h rh u n d e rts
schrieb. Jü n g er als E nd e des 3. J a h rh u n d e rts ist sie w ahrscheinlich
n ic h t, d a sie keine N eubildungen k e n n t, wie sie fü r die spätere Z eit
ch arak teristisch sind. A u f djese D atierung w eist auch ih r C harakter
als isagogische S chrift u ndV ièlleicht auch die von B ensel angestellte
Vergleichung m it d er D em onikosparänese, a u f die ich hier n ich t
n äh er eingehen kan n .
D IE S C H R IF T ΠΕΡΙ E Y% ΧΗΜΟΣΥΝΗΣ

N ach der S p ätd atieru n g der P arangelien, zu d er ich in dieser


A rb eit einige E rgänzungen gegeben habe, erh eb t sich die Frage,
wie wir die S chrift Περί ενσχημοσννης zu beurteilen haben.
Die K ritik der A bhandlung von Bensel h a t zw ar gezeigt, daß
die V erw an d tschaft zwischen den S chriften Περί ίητρον, Παραγγελίαι
u n d Περί ενσχημοσννης durchaus n ic h t so eindeutig ist, daß w ir die
von Bensel daraus gezogenen Schlüsse fü r rich tig h alten können.
A ber es w urde schon d a ra u f hingewiesen, d aß eine auffallende
Ä hnlichkeit in dem sprachlichen C harakter der Schriften Παραγγε-
λίαι u n d Περί ενσχημοσννης b esteh t, eine T atsache, die schon der
aufm erksam en L ektüre n ic h t entgehen k an n . Es ist also notw endig,
diese T atsache zum A usgangspunkt einer U ntersuchung der S chrift
zu m achen.
Ic h versuche d ah e r Zunächst eine ungefähre D a t i e r u n g der
S chrift n ach ihrem sprachlichen C harakter. Die d a ra u f folgende
I n t e r p r e t a t i o n w ird die S chrift in ih ren einzelnen Sätzen und
in ihrem G e sam tch arak ter zu erfassen suchen u n d aus dem In h a lt
der Schrift noch eine B estätigung für die D atieru n g geben können.
Eine A usgabe der S chrift beabsichtige ich hier n ich t zu geben,
sondern werde in der In te rp re ta tio n aus der D atierung u n d dem
V erständnis des T extes auch zu tex tk ritisc h en F ragen Stellung
nehm en. — D er Z ustand des T extes ist in dieser S chrift der gleiche
wie in den P arangelien. A uch hier h a t die E dition des Corpus
M edicorum G raecorum noch keinen lesbaren u n d abschließenden
T ex t h erg estellt. A ber die diplom atische K ritik ist durch diese
A usgabe b een d et. Aus der Recensio erg ib t sich, d aß der cod.
M arcianus 269 saec. X I die einzige Ü berlieferungsquelle fü r diese
Schrift, wie fü r die P arangelien, d arste llt. Es gilt also, aus dieser
einzigen H a n d sc h rift m öglichst viel herauszuholen u n d den sta rk
v erd erb t üb erlieferten T ex t durch b l o ß e K o n j e k t u r a l k r i t i k
zu bessern. — Dieser schwierigen A ufgabe will ich m ich n ic h t e n t­
ziehen. A ber bei der geschilderten Sachlage ließe sich eine neue
A usgabe w ohl n u r rech tfertig en , w enn ich n ic h t n u r gelegentliche
V erbesserungen gegenüber der A usgabe von H eiberg im CMG 1 1,
Sprachliche Untersuchung 59

sondern durchgehend einen verständlichen T e x t geben k ö n n te.


D a ab e r die T e x tk ritik a n vielen Stellen zu keinem befriedigenden
E rgebnis gelangt u n d ich m ich wie Ileiberg a n solchen Stellen
m it der W iedergabe des T extes der H s. begnügen m üßte, b e ­
schränke ich m ich hier a u f die bescheidenere A ufgabe, B eiträge zur
T e x tk ritik zu geben, die einer sp äter folgenden A usgabe den Weg
bah n en m öchten. D aß eine solche nötig ist, obwohl die S chrift —
wie auch Παραγγελίαι u n d Περί ίητροϋ ·— im CMG ediert ist, ergibt
sich aus den tex tk ritisc h en A nm erkungen in dieser A rbeit von
selbst.

Sprachliche Untersuchung der Schrift


Περί ενσχημοσύνης
(
A uszugehen ist auch h ier vom W ortschatz, d a e r die auffällig­
sten M erkmale sp äter Sprache en th ä lt. A uf die Schw ierigkeiten und
Mängel einer je d e n solchen U ntersuchung is t bereits hingewiesen
w orden. A uch hier h a n d e lt es sich aber, wie bei den P arangelien,
um einen durchgehenden sp äten C h arak ter des W ortschatzes,
den ich in einer Ü bersicht des W o rtm aterials der S chrift d a r­
stellen m öchte. U m diesi; Ü bersicht re c h t eindringlich zu m achen,
w ähle ich eine zeitliche A nordnung, die zw ar schem atisch ist und
d er lebendigen E ntw icklung der Sprache n ic h t ganz gerecht w ird,
aber den V orteil b ie te t, daß sich der Schluß a u f die D a tie ru n g fast
vo n selbst ergibt. ,
D er erste A b sch n itt e n th ä lt W örter, die als ion.-hell. oder
poet.-hell. fü r sich allein noch keinen Schluß: a u f die D atierung
erlaub en w ürden. E s folgen solche W örter, die zuerst bei A utoren
des 3. u n d 2. Ja h rh u n d e rts v. Chr. belegt sind u n d daher den
hellenistischen C harakter des W ortschatzes feststellen. Dieser E in ­
d ru c k w ird noch v e rs tä rk t durch diejenigen W ö rter, die zuerst
bei S chriftstellern des 1. J a h rh u n d e rts v. Chr. nachw eisbar sind.
D aß m an fü r die D atieru n g sogar in die K aiserzeit hinaufgehen
d arf, zeigen die W ö rter, welche zuerst im 1. J a h rh u n d e rt n. Chr.
g eb rauch t sind. D a ran schließen sich W örter, die w ir als N eu­
schöpfungen des Verfassers ansehen m üssen, w eil sie in anderer
L ite ra tu r n ic h t nachw eisbar sind. Diese sind zahlreich, u n d selbst
w enn w ir einige von ihnen, die un v erstän d lich sind, der schlechten
Ü berlieferung d er S chrift zuschreiben u n d dem gem äß tilgen w erden
(ghost-w ords), so b leib t doch genug übrig, was die so gewonnene
D atieru ng der S chrift in die Z e i t d e r a r c h a i s i e r e n d e n E r -
60 Di© Schrift Περί εύαχημοαννης

n e u e r u n g d e s i o n i s c h e n D i a l e k t s in d e r K a i s e r z e i t be­
stätig en k a n n . — Diese D atierung b ie te t freilich n u r einen N ähe­
ru n g sw ert, wie es bei sprachlichen U ntersuchungen n ic h t anders
sein k an n . D a ab er keine genaueren Hinweise fü r die D atieru n g in
der S chrift selbst e n th a lte n sind, m üssen ;'wir uns d a m it begnügen.
A nm erkungen zur S y n ta x gehe ich in der B esprechung des T extes.
D a die n u n folgende Ü bersicht lediglich den Zweck h a t, einen
H inw eis fü r die D atierung zu gehen, e n th ä lt sie n ic h t das gesam te
W o rtm a te rial der S chrift, sondern n u r eine A usw ahl, die u n ter
dem G esich tsp un kt der größeren B ew eiskraft gem acht w urde.
H ellenistische W ö rter ionischen u n d poetischen C harakters.63)

άνυστός ώς άνυατόν u n d ähnliche A usdrücke : P arm enides B 2 ,7


D iels-K ranz, Melissos B 2, usw. D an n H ip p , de n a t.
p u er. 29, X enoph. A n. 1, 8, 11, E u rip . H erakl. 961. —
A risto t. u . a.
cmάντησις Sophocl. F ragm . 828 P ears. εις άπάντησιν σπενδων.
F alls das F rag m en t n ic h t ech t ist, w ird m an das W ort
n u r als hell, bezeichnen m üssen. E . M ayser 1 (1923) 437
vgl. 1, 3 (2. Aufl.) 67, 30 n e n n t P a p . d. 2. bis 1. J h d t.s
v . C. S onst A risto t. P olyb. u . d. Sp.
απαρτίζω H ip p . E pid. 2, 3, 17 (5, 118) της οκταμήνου άπαρτι-
ζούόης. D as W o rt findet sich au ß er an einigen Stellen
des Corp. H ippocr. n u r in der Z eit seit A ristoteles.
E . M ayser 1, 20 bezeichnet es als ionisches E lem ent
des K oine-W ortschatzes. N ach den A ttizisten-L exica
is t es hellenistisch: Moeris p . 82, P h ry n . p . 447 Lobeck,
wo Lob. Beispiele aus H ippokr., A ristot. u . Sp. an m erk t,
vgl. T he New P h ry n ich . R u th erfo rd p. 502, Thom .
M ag. p . 104.
δυναστεύω H ip po cr. de prisc. m ed. 16 (CMG I 1 ,4 7 ,1 3 ) u . ö fter im
Corp. H ip p ., E . M ayser 1, 463 (P ap . d. 3. J h d t.s v. C.).
δυσπρόσιτος E u rip . I. A. 345 in der Π . εύσχημ 27, 25 vorliegenden
B edtg. D as W o rt k o m m t sonst n u r bei hellenistischen
A u to ren v o r u. zw. in d. B d tg . „schw er an g reifb ar“
u . ä. bei D ion. H ai., Dio Cass., Poll. u . a. 6

6S) Ich führe auch Xenophon für ion. Sprachgebrauch an, vgl. Lobeck,
Phrynichus, p. 89, A. Thumb, Hellenism. 215. — Unter den hell. Beispielen tritt
oft schon Aristoteles auf, vgl. A. Thumb, Hellenism. 205.
Sprachliche Untersuchung 61

εντροπή Sophocl. 0 . C. 299 τον τνφλοΰ εντροπήν ίξειν, vgl.


W . Schm id, A tticism . 1, 151. Sonst n u r in hell. Z eit:
Polyhios, Or. Gr. Inscr. D itt. 323, 8 (P ergam . 2. J h d t.
v. C.), bei den A ttizisten also w ohl n ic h t als W ieder­
au fnahm e attisch en G ebrauchs zu w erten. D as zu ­
grunde liegende V erb εντρέπομαι is t ebenfalls poet.-
hell., vgl. A. T hum b, H ellenism . 218, E . M ayser 1, 33.
εύδιεινός H ip p . A ph. 3,12, X enoph. Cyn. 5, 9, P la t. Leg. X I, 919a
u . sp. seit A ristoteles.
είχ&ετος H ip p , de fra c t. 4 (2, 53, 2 Kw.), d o rt auch das A dverb 2,
80, 3 u n d hell, seit P olyb., in Poesie Aisch. P hineus
(fr. 259.)
καλλονή ion. H ero d t. u . H erodas, poet. E u rip . u . P la t. Sym p.
206 d, hell, seit T h eo p h rast.
οδεύω H om . Ilias, H ippon. (D iehl A. L. 3, 2), A nacreont. 38, 2.
— X enoph. A n. 7, 8, 8. hell, seit A ristot. (fr. 41 in
ü b tr. B d tg . εξ υγείας εις νόσον δδ.)
4 1
οϊμος p o et. H o m ^ t|| H esiod, P in d ar, T ragödie, K allim . Aus
A ischylos’ Telephos (frg. 239) n im m t es P la t. P haed. 108 a,
d an n P la t. R esp. IV 4 2 0 h : τον αυτόν οίμον . . . πορευόμενοι
εύρήσομεν. D as W o rt ist der attisch en P rosa n ich t
frem d, jedoch n ich t so gew öhnlich wie δδός. Dasselbe
gilt fü r die hellenistische Prosa. In Περί ενσχημοσύνης
soll es w ahrscheinlich feierlich w irken ; daneben kom m t'
au ch (27, 19) δδός vor. F ü r den älteren G ebrauch vgl.
O. B ecker, D as Bild des Weges u n d verw andte V or­
stellungen im frühgriechischen D enken, H erm es, E inzel­
schriften H e ft 4, S. 36 u . sonst.
παράγγελμα ion.-hell., bei T hukyd, Lys., P olyb. in d. B d tg . „m ilit.
B efehl“ , i. d. B dtg. m oralische (oder technische) P arä -
nese D em okr. B 208. X enoph. Cyn. 13, 9. — sp. seit
A risto t., Ps.-Isocr. ad Demònio., H ippocr. de m edico.
πάτημα H ippocr. de aff. 18 (6, 226 L ittré j u. hell, wie E rasist.
ap. Gal. 11, 200, S ep tu ag in ta u . a.
προετοιμάζω H ero d o t — A en. T act. 18, 6 (ed. R . Schoene), der in
seinem W o rtsch atz vielfach m it der K oinè zusam m en­
g eh t u n d daher in dem gleichen Sinne wie A ristoteles,
T h eo p h rast, M enander u n te r den ersten Belegen fü r
62 Die Schrift Περί εύαχημοσννης

hellenistische N eubildungen g en an n t w erden darf. —■


S p äter h ei Philo A lex., Joseph., P lu t.
συνάντησις E u rip . Jo n 535 u n d hell. ygl. E . M ayser 1, 3 (2. Aufl.)
69, 23. A uch das Verb συναντάω ist poet. ; es kom m t in
P rosa vor bei X enoph. An. 1, 8, 15 u n d D em osth. 18,
157 (B riefeinlage!), sonst Polybios u . später. Ygl.
E . M ayser 1 (1923) 34, wo P ap . d. 3. J h d t.s v. Chr.
an g e fü h rt w erden.
τεγβέν ετέχΰη Die F orm von τίκτω ist ionisch, sie findet sich z. B.
Iiip p o cr. de superfoet. 18 (8, 486 L ittré), vgl. K ühner-
B laß 2, 552. In der Koinè findet sie sich m ehrm als.

W ö rter, die zu erst bei A utoren des 3. u. 2. J h d t.s v. Chr. nachw eis­
b a r sind.54)
άβλεπτέω P olyb. 30, 6, 4 άβλεπτονντας το πρέπον. Bei P olyb. auch
das S u b sta n tiv αβλέπτημα F r. 90. D as V erb sonst n u r
Anon. ap. Suid. ol δε άβλεπτονντες και αίδονμενοι άντοφ-
ϋ-αλμείν προς τον Φίλιππον έβοήϋουν (w ahrscheinlich
P olyb. gehörend) u n d b ei anderen L exikographen.
αδιάπτωτος P olyb. 5, 98, 10, der auch an vielen Stellen das A dverb
h a t. «. φράσις Diog. B ab. Stoic. (3,214,13 A rn). d . προφορά
Dion. T h r. 629, 12. D as W o rt is t n ach den Belegen zu
u rteilen in das 2. J h d t. v . Chr. zu datieren. A diectiva
p riv a tiv a m it Y erbaladjektiven gebildet w eist E . M ay­
ser 1, 479f. in großer Z ahl in P ap . d. 2. J h d t.s v. Chr.
n ach , einige N eubildungen der A rt g ib t es auch in
P a p . d. 3. J h d t.s v . Chr. Es h an d e lt sich u m eine F orm
der A djek tivbildung, die in der K oinè beliebt w ar. Das
Gleiche gilt fü r die N eubildung von V erbaladjektiven
(M ayser 1, 455). Ä hnlich wie αδιάπτωτος ist άδιάχντος,
απαρηγόρητος u n d άστατος zu beurteilen.
άδιάχντος άδιάχντος k o m m t vor bei T heophr. Caus. P la n t. 4, 12,
2 u . S päteren, an allen Stellen, die m ir erreichbar w aren,
übrigens in an d erer B edeutung als Π. εύσχ 25, 24.
άπαρηγόρητος M enan, frg . 798 u. später.

54) Ich rechne hier als obere Grenze nicht schematisch das 3. Jhdt., sondern
führe für Neubildungen auch solche Autoren an, die zwar der Lebenszeit nach
älter sind, aber in ihrem Wortschatz schon den Übergang zur Koinè darstellen.
Sprachliche Untersuchung 63

άστατος A risto t. M etaph. X I I 8, 1073 a 31, dann bei Polybios


u n d anderen.
δεικτικός 54a) Das W o rt w ird zuerst als T erm inus der Logik, G ram ­
m atik , R h eto rik v erw a n d t: A ristot. A nal. p r. I 29,
45 a 24 u. ö., im G egensätze zu ελεγκτικός A ristot. R b et.
I I 22, 1396b 24: δεικτικόν ενθύμημα. G ram m , bei
C hrysipp Stoic. fr. 2, 65 A rn., D ion. T b r. 636, 12.
A djektivbildungen a u f -ικός sind in P ap . d. 3. u .
2. J b d t.s v. Cbr. ü b erau s zahlreich, vgl. E . M ayser 1,
451ff. u n d die A nm erkung ebd. 455.
δειξις zuerst A ristot. R b et. I I I 7, 1408a 26.
δοξαστός in der B edeutung „ b e rü h m t“ zuerst S eptuag. D euter.
26, 19.
δνναμις in der B d tg. „A rznei“ zuerst T im ostr. Comic. (CAF 3,
357). D as W ort g alt als hell., das F rag m . sta m m t aus
dem von B ekker Anecd. (I 91, 1 : δ. τα των Ιατρών
φάρμακα) veröffentlichten A n tiattic ista . Es findet sich
sp äter z. B . D iod, Sic. 1, 97, 7.
εϊδησις zuerst A ristot.jjjg an . 1 2 ,402 a 1. Vgl. aber συνείδησις, das
εϊδηαις vorauszusetzen scheint, bei D em okrit B 297.55)
ένϋνμηματικός zuerst A ristoteles an m ehreren Stellen z. B. R h e t.
1 2, 1356b 21.
έτοιμασίη Aen. T a c t. 21, 1, S ep tu ag in ta, Josepbu s, N. T.
καταπλεονεκτέω finde ich n u r noch in einer In sch rift bei C. B. Welles,
R oyal Correspondence in tb e H ellenistic Period, New
\ H aven 1934 S. 343 (2. J b d t. v. Chr.).
καταστολή A risteas 284, S ep tu ag in ta Js. 61, 3. In§cr. P rien. 109,
186 (2. J b d t. v. Chr.) καταστολή και εύσχημοσύνη. Ü ber
die verschiedenen B edeutungsnuancen vgl. d. In te rp re t.
μάλαγμα zu erst T b eo p h r. de odor. 59; in anderer B dtg. (P olster,
Scbutzdecke) bei Philo Byz. Belop. 91, 7 ; 95, 47.
ομιλητικός P la t. Def. 415e έξις ομιλητική προς ηδονήν. P s.-Isocr. ad
Dem on. 30 προς τους πλησιάζοντας ομιλητικός άλλα μή
σεμνός.

64a) Im Register des CMG I 1 ist fälschlich δεκτικός angeführt.


55) Vgl. Bruno Snell, Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der
vorplatonischen Philosophie, Philolog. Unters. 29. Heft, Berlin 1924, 29ff. Die
Ergebnisse dieser Untersuchung müssen, soweit sie die jetzt als spät erkannten
Schriften des Corpus Hippocraticum betreffen, revidiert werden.
64 Die Schrift Περί ενβχημοσννης

παλαίωσις S ep tuag inta, A ndronic. R hod. (F ragm . P hil. I I I G r. p . 572


Mull.) μήνις όργή εις παλαίωσιν άποτι&εμένη. S trabo 5,
4, 3 vom W ein.
περιεργίη P s.-P la t. Sisyph. 387 d, T heop hr. Ghar. 13. D as W ort
h a t n atü rlic h je n ac h dem Z usam m enhang eine m ehr
oder w eniger spezielle B edeutung. Bei A utoren der
K aiserzeit ist es anscheinend beliebt. Ygl. auch
W . Schm id, A tticism . 3, 251.
περιστολή A risteas 284, S ep tu ag in ta u . sp.
προδιαστέλλομαι E . M ayser 1, 500 P ap . d. 2. J h d t.s v. C hr., sonst
n u r Belege aus dem 1. J h d t. n . C hr. (Josephus, P hilo
Alex. u . a.).
προκαταρτίζω Philo B yz. B elop. 95, 40 u . sp.
σνννους A risto t. P olit. I I 7, 1267 a 36. P s.-Isocr. ad D em on. 15 :
ε&ιζε σαντόν είναι μ ή σκυ&ρωπόν άλλά συν νουν.
ύπομενητικός P ia t. Def. 412b u . 416, die F orm νπομενετικός bei
A risto t. E th . Nie. I I I 9, 1115a 25.

W ö rter, die zu erst im 1. J h d t. v . Chr. nachw eisbar sind.


αδίδαχτος D as W o rt selbst findet sich in an d erer B edeutung vor
dem 1. J h d t. v . Chr. n u r bei D em osth. 21, 17 (v. Chor).
Im 1. J h d t. bei P hilod. R h et. 2, 93 S udh. u . a., dan n
is t es häufig. Ü ber verschiedene B edeutungsfärbungen
vgl. W . Schm id, A tticism . 1, 390 (L ukian) u. 4, 389
(P h ilo strat). — H ippocr. de alim . 39 (CMG I 1, 82,
28) : φύσιες πάντων αδίδαχτοι d a rf n ic h t m eh r als Zeugnis
fü r alten G ebrauch des W ortes gelten.
άπερίεργος D as A dverb k o m m t bei Dion. H ai. D em . 9 vor. D as
A d jek tiv ist sonst häufig bei A utoren des 1. J h d t.s
n . Chr.
άφιλαργυρίη D iod. Sic. 9, 12, 2, vgl. das A d jek tiv ebd. 9, 11, 2. —
D as A d jek tiv k o m m t zuerst v o r Inscr. P rien. 137, 5
(2. J h d t. v. Chr.), das S u b sta n tiv ist dem entsprechend
sp ä te r. — Die P riv a tiv a von m it φίλο- gebildeten N o­
m ina gehören alle der K oinè an . D as älteste S u b sta n tiv
der A rt is t das bei A ristoteles vorkom m ende άφιλο-
τίμια (1125b 22) oder άφιλοσοφία [P lat.] Def. 415e.
Sprachliche Untersuchung 65

εύστα&ίη in der B edeutung „R u h e, G elassenheit“ o. ä. zuerst bei


P hilod. de m us. I I I 28 p. 33 K em ke. D as W o rt kom m t
zuerst bei E p ik u r vor (p. 283, 27 Us.). Vgl. A. T hum b,
H ellen ism . 209, Loheck zu P h ry n . p. 282, C .B .W elles,
R o yal C orrespondence in th e H ellenistic Period, New
H av en 1934, 338.
περιβολή in der B edeutung „K leid u n g “ findet sich zuerst bei
Philod. de vitiis p. 36 J e n s .: καί διά των λόγων . . . καί
τω σχήματι τον προσώπου και των όμμάτων καί περί­
βολέ και κινήσει. Ebenso bei E p ik te t (3, 1, 1). ήρμοσ-
μένου την κόμην καί τ )ν άλλην περιβολήν κατακοσμονντος.
Vgl. aucb P lu t. Perici. 5: προσώπου σνστασις α&ρνπτος
εις γέλωτα και πρμότης πορείας και καταστολή περιβολής.
τίλμα H eracl. T aren t, a p . Gal. 12, 957 ( = frg. 204 D eich­
g räb er).

W örter, die zuerst im 1. J h d t. n . C hr. nachw eisbar sind.

άντίλεξις in der gleichen B d tg . wie 77. ενσχημ. 28, 25 bei Jo sep h .


A n tiq. 18, 12 Niese ονδ'επ'άντιλέξει. D as W o rt kom m t
n u r in der K aiserzeit vor.
άπεμπόλησις D er älteste Beleg is t P ollux 6, 191, wo auch schon
ü b tr. B dtg. vorliegt wie 77. εύσχημ. 27, 7. Das Verb
άπεμπολάω(-έώ) ist ion.-po et.-hell. j
!

δεικτικός im term inologischen G ebrauch schon vor dem 1. J h d t.


n . Chr. vgl. oben S. 63. Die allgem eine V erw endung
\ wie 77. ενσχημ. 26, 20 findet sich erst sp äter. Als ersten
Beleg fan d ich Clem. Alex. S trom . 1, 28 (2 109, 16
S tählin), wo es ebenfalls m it dem G enitiv k o n stru iert
w ird.
έντασις in d. B dtg. „ S p a n n u n g “ o. ä. schon a lt, im Corp. H ipp.
öfter, z. B. de aer. aq. loc. 4 (CMG I 1 58, 18): τον
σώματος ή έντασις. A ndere B dtgn. wie „A nstrengung,
Strenge, E rn s t“ finden sich erst in der K aiserzeit. P lu t.
Mor. 948b, L ucian. Conv. 28: ή τον προσώπου έντασις,
P o rp h y r, de ab st. 1, 54: έντασις γίγνεται περί έκάστον.
επακολον&ησις P lu t. Mor. 1015 c, Μ. A nton. 6, 44. D as W o rt kom m t
vor allem in stoischer Sphäre vor. Vgl. [Gal.] 19, 382:
ευεξία . . . ή κατ' έπακολού&ησιν τής ύγιείας σννισταμένη.
5
66 Die Schrift Περί εύσχημοσννης

έρυϋρίησις finde ich n u r noch bei H esych s. v. λατραπία ' λαμνρία


μετά ερυ&ριάσεως.
δφ&αλμικός Diosc. 1, 12: προς τάς δφ&αλμικάς φλεγμονάς.
χρειώδης zu erst in der K aiserzeit. P lu t. Mor. 1118b το άναγκαΐον
καί χρειώδες, d o rt auch m it dem D a tiv 724e; Lucian.
quom . h ist, conscr. 13, P ollux 5, 136.

N eubildungen, d. h. W örter, die ich bei keinem anderen A utor


feststellen konnte.
άδειοιδαιμονίη das A dverb άδεισιδαιμόνως zuerst im 1. J h d t. v . Chr.
(Diod. Sic.).
άναιτίη m öchte ich durch K o n jek tu r tilgen, vgl. S. 73.
άνακνρίωσις is t anscheinend k o rru p t u n d besser άνακνρωσις zu
lesen.
άποσίγησις D as W o rt lä ß t sich fü r die D atieru n g verw erten, wenn
m an b erücksichtigt, daß das in Analogie zu dem
älteren αποσιωπάω gebildete άποσιγάω sich zuerst in
der K aiserzeit findet, u. zw. bei P s.-D em etr. de eloc. 149
u n d P s.-P lu t. V it. H om . 213. A uch άποσιώπησις findet
sich P s.-D em etr. de eloc. 103. 264 u n d sonst bei A utoren
dieser Zeit.
άταρακτοποιησίη v erm u tete L . D indorf in T h GL s. v. als falsche
Schreibung fü r άταρακτοποιίη, das ebenfalls sonst n ich t
v o rkom m t. Die B ildungen a u f -ποιία stam m en von der
älteren A djektivbildung a u f -ποιος, die allerdings in
einigen neuen Zusam m ensetzungen auch hellenistisch
ist. (A lt ist das schon bei P in d a r vorkom m ende κακο­
ποιός·, άψοποιός H erodt, P la t., X en. δψοποιία bei P la t.,
X en. ist w ohl das älteste S u b sta n tiv der A rt, κακο-
ποιία ist schon hellenistisch, zuerst w ohl Ps. Isocr. ad
D em on. 26.) Die F orm άταρακτοποιησίη h ä n g t m it der
heilenist. A djektivbildung a u f -ποιητικός (vgl. Thom .
Mag. p. 668) zusam m en, die von dem Verb abgeleitet
zu denken ist ( δψοποιέομαι X en., in der K oinè auch das
A k tiv , also ion.-hell., κακοποιέω Aeschyd., A ristoph.,
X en., also wohl poet.-ion.). M it dem n ich t nachw eis­
b aren Verb άταρακτοποιέω w äre das hellenistische
καλοποιέω (NT) zu vergleichen. W enn in den H srn. die
A djektivform a u f -ποιος gegen die a u f -ποιητικός ver-
Interpretation 67

ta u sc h t w ird, so m ach t sich darin der Sprachgebrauch


der Schreiber geltend, άταρακτοποιησίη sp rich t also
noch d eutlicher für die S p ätd atieru n g als die F orm
a u f -ποιία.
έγκατάντλησις vgl. κατάντλησις H ippocr. de m ed. 21, 24.
έντροπίη das L iddell-S cott u n te r Hinweis a u f diese Stelle au f­
fü h rt, ist schw erlich richtig, εντροπή ist legitim e B il­
dung v on εντρέπομαι ; έντροπίη ließe sich n u r verstehen,
w enn m an eine von εντροπή gebildete F orm , etw a
έντροπέω o. ä. als Zwischenstufe annehm en darf. Eine
solche k a n n ich n ich t nach weisen.
ενμεταποίητος A d jektivbildungen in der F orm des adi. verb. m it
ευ-μετα- sind fa st alle hellenistisch u n d besonders in
der K aiserzeit häufig.
λημματικός σιγητικός Die N eubildungen a u f -ικός verm ehren sich
sta rk in der Koinè u n d erh alten sich lange lebendig.

Als G esam tergebnis k a n n m an feststellen, d aß der W ortschatz


der S chrift m ehr H inw eisjpauf sp äte E n tsteh u n g e n th ä lt als d er­
jenige der P arangelien.

In terp retatio n
Die B etrach tu n g des W ortschatzes h a t einen Hinweis fü r die
D atieru n g der S chrift in die Zeit der archaisierenden E rneuerung
des ionischen D ialekts in der K aiserzeit gegeben. Von dieser F e s t­
stellung k an n die In te rp re ta tio n ausgehen. Die Séhrift w ird durch
diese D atieru n g erst in m anchen E inzelheiten u n d als ganzes voll
verstän d lich . D ad u rch k a n n die In te rp re ta tio n auch fü r die D a­
tieru n g eine B estätigung liefern. D aß w ir es m it G edanken zu tu n
h ab en , die sich n u r aus dem D enken des H ellenism us verstehen
lassen, ist schon festgestellt w orden.
D er Verfasser b eg in n t m it dem Hinweis a u f eine von anderen
v ertreten e M einung. E r schließt sich m it ονκ άλόγως seil, προ­
βάλλονται der A nsicht derjenigen an , welche „die These v e rtre te n “ ,
d aß die „W eisheit“ in vieler H insicht n ü tzlich ist. Das M edium
προβάλλεσϋ·αι k o m m t häufiger in anderen B edeutungen vor, hier
ste h t es der des A ktivs nahe, welches in der Zeit der sogen, zw eiten
S ophistik n ich t n u r „ein P roblem stellen“ , sondern speziell „dem
R edner ein T hem a (für die Stegreifrede) stellen“ b ed eu tet. E in
K*
68 Die Schrift Περί ενσχημοσννης

Beleg, der in unserem Zusam m enhänge auch sachlich bedeutsam


ist, findet sich bei G alen 11, 194 K : συνέβη γάρ πως εν εκείνα) τω
χρόνω καίΓεκάστην 'ημέραν ε ίς τ α π ρ ο β α λ λ ό μ εν α λ έ γ ε ιν έν πληγεί,
π ρ ο ε β λ ή ϋ η μεν οϋν υπό τ ίν ο ς , εΐ δεόντως Έρασίστρατος ου κέχρηται
φλεβοτομία, διήλ&ον δε ώς έδοξε τοίς τότε άκονσασιν ώφελιμώτατον
π ρ ό β λ η μ α . D aß w ir hier an diese B edeutung des W ortes zu denken
haben, erg ib t sich aus der nachfolgenden E rw äh n u n g von Dialexeis
(25, 9), u n d es p a ß t g u t zu der ausgesprochenen D atierung der
S chrift. Als einzigen literarischen Beleg fü r den du rch den Zu­
sam m enhang geforderten Sinn des M ediums finde ich P h ilo str.
V. S. I 24 ,4 προβαλονμαι καί μελετήσομαι „ich werde m ir das Them a
stellen u n d die R ede darü b er h a lte n “ . D as M edium in der B edeu­
tu n g des A ktivs h a t auch H esych : προβαλον * έρώτηοον.
D er B egriff σοφίη ist w ichtig, weil der V erfasser von ih m au s­
geht u n d ih n d u rch die ganze Schrift hin d u rch verw endet. Am
A nfang der S chrift ist noch n ic h t ganz k lar, welche B edeutung er
h a t. 25, 9 w ird ih m die T echne gegenübergestellt, ebenso 26, 10;
25, 2 scheint er geradezu m it T echne synonym zu sein. Im S chluß­
ab sch n itt w ird 29, 30 abschließend σοφίη, ίητρική u n d „an d ere“
τέχναι nebeneinander gestellt, d o rt ist also σοφίη ebenfalls synonym
m it τέχνη. I n § 5 w ird eine enge V erbindung von σοφίη u n d Ιητρική
em pfohlen. D o rt h a t das W o rt aber einen ethischen K lang und
ste h t dem philosophischen B egriff des σοφός nahe, wie die B espre­
chung der Stelle noch genauer zeigen k an n . D ad u rch w ird klar,
d aß der V erfasser den B egriff σοφίη als „W eisheit“ im philosophi­
schen Sinne v e rste h t, etw a der σοφία des stoischen σοφός e n t­
sprechend, daneben ab e r ·— und sicher m it A bsicht ■ — das W ort
synonym m it τέχνη gebraucht. L ittré h a t zur E rk läru n g dieses
auffälligen W ortgebrauchs re ch t glücklich a u f den A nfang der
S chrift des P h ilo strato s Περί γυμναστικής verw iesen: σοφίαν ηγού­
μενα καί τά τοιαντα μεν olov φιλοσοφήσαι και είπείν συν τέχνη,
ποιητικής τε αψασϋαι καί μουσικής και γεωμετρίας και νή AC αστρο­
νομίας, όπόση μ η περιττή, σοφία δε και το κοσμήσαι στρατιάν καί ’έ τι
τά τοιαντα.· Ιατρική πάσα και . . . (es folgt M alerei, B ildhauerkunst
usw.) . . . περί δε γυμναστικής, σοφίαν λέγομεν ουδεμιας έλάττω
τέχνης. D er Sophist, der als Them a seiner R ede die G ym nastik
w ählte, suchte seinen G egenstand d ad u rch zu heben, daß er ihn
geradezu als σοφία bezeichnete. Das geht n atü rlic h n u r, w enn m an
den B egriff σοφία b ew u ß t so w eit fa ß t, wie er es t u t (zu beachten
is t ήγώμεύα u n d καί τά τοιαντα), so daß alle m öglichen τέχναι u n ter
Interpretation 69

ih n subsum iert w erden können. Diese E rw eiterung des Begriffs, die


übrigens dem ä lte ste n G ebrauch des W ortes w ieder n ah e kom m t,
ist ohne die N achw irkung stoischer G edanken n ic h t zu verstehen.
N achdem die stoische L ehre das a b stra k te Id eal des „T ü ch tig en “
u n d des „W eisen“ aufgestellt h a tte , zog sie darau s die K onsequenz,
d aß „ n u r“ der W eise, wie es in stereotyper Form el h eiß t, auch in
allen D ingen des täg lichen Lebens u n d in allen τέχναι tü c h tig sei.
D as fü h rte leicht zu einer A bschw ächung des Begriffs σοφία, wie
sie bei P h ilo stra t v orliegt u n d in ähnlicher W eise auch fü r die
S chrift Περί ενσχημοσννης gilt. Bei dem Verfasser von Περί
ευσχημοσύνης w erden w ir a u c h d a s g l e i c h e M o t i v fü r seine
G leichsetzung von σοφία u n d Ιατρική v erm u te n dürfen wie bei
P h ilo stra t fü r die G leichsetzung von σοφία u n d γυμναστική. D aß
diese Auffassung des Begriffs σοφία, u n d d am it auch der ganzen
S chrift, die angem essenste ist, w ird die In te rp re ta tio n im einzelnen
noch erweisen können. D abei w ird sich auch zeigen, wie oi προβαλλό­
μενοι gem eint ist. v
25, 3 ταύτην δέ cod.: H eiberg h a t sich der K o n jek tu r von R
ταύτην δή angeschlossen. D aß das überlieferte δέ zu h a lte n ist, geht
aus dem V orkom m en der "gleichen K o n stru k tio n 25, 10 τέχνην δέ
h erv o r (oder m an m üßte auch d o rt τέχνην δή schreiben). M it <5ε
w ird eine genauere E rk läru n g des vorher n u r b en a n n te n Begriffs
angeschlossen; diese ist eigentlich die H auptsache. M an k an n die
K o n stru k tio n als eine m it δέ angeschlossene A pposition u n te r
W iederaufnahm e des zu erklärenden W ortes bezeichnen, vgl. auch
das appositioneile λέγω δέ 25, 4. ■ — W enn h ier die σοφία der P raxis
des Lebens u n terg e o rd n et w ird, so stim m t das m it G edanken der
hellenistischen Philosophie überein (vgl. oben S. 40 f.). A uch in
§ 5 w ird ε’ίδησις των προς βίον χρηστών als gem einsam es K ennzeichen
der σοφίη u n d der ίητρική angegeben, gerade an der Stelle also, wo
σοφίη, wie an gedeu tet, der Philosophie n äh e r ist. ·— Die E in sch rä n ­
ku n g der σοφία a u f das Leben w ird in dem m it γάρ anschließenden
Satze begrü nd et wie 25, 11 τέχνην δέ . . . καλαί γάρ . . . (überliefert
πάσαι γάρ).
25, 3 al γάρ πολλαί : hier ist wegen des P lu rals σοφίη synonym
m it τέχνη. D a σοφίη in dieser S chrift von sich aus keinen schlechten
N ebensinn h a t, b ed u rfte es einer B egründung, w arum die große
M ehrzahl der σοφίαι überflüssig zu sein scheint, u n d diese B egrün­
dung w ird w ieder in einer A rt A pposition gegeben. E benso wie hier
von der περίεργεη m ancher σοφίαι gesprochen w ird, e n th ä lt in der
70 Die Schrift Περί ενσχημοσύνης

an g efü h rten Stelle aus P h ilo stra t die N ennung der „A stronom ie“
einen einschränkenden Z usatz όπόση μη περιττή. D as gehörte also
zur üblichen D iskussion.
25, 4 U ber λέγω m it W iederholung des vorangegangenen K asus
an Stelle einer erklärenden A ppositioüfvgl. K ü h n er-G erth 1, 283
A. 4. — Ob m an am ai αί μηδέν χρέος (scii, έχονσαι) oder m it einem
R elativ satz αύται, αϊ μηδέν χρέος (scii, έχουσιν) v erste h t, ist an sich
belanglos, d a die Ü berlieferung n ichts d arü b er besagt, der Sinn
der gleiche w äre u n d der A usdruck jedenfalls elliptisch ist. — Zu
der K o n stru k tio n των προς ä διαλέγονται vgl. E p ik u r, B rief an
H erodot 39 (S. 5, 5 v . d. Μ.) ούκ δντων των εις 5 διελνετο (των tilg te
U sener): es liegt ein su b sta n tiv ie rte r R elativ satz vor, der ein
K ennzeichen sp äter Sprache ist. M an setzt d ah e r am b esten kein
K om m a zwischen των u n d πρός. — χρέος ist ein Lieblingsw ort des
A utors (26, 9; 27, 31; 29, 23 ; χρειώδες 25, 20). 27, 31 u n d 29, 23
ste h t το χρέος von einem b estim m ten N utzen, der n u r n ich t genannt
ist ; hier u n d 25, 9 ist es ohne A rtikel allgem ein gleich „p rak tisch er
N u tzen “ ; 26, 9 ste h t das W o rt in etw as anderem Z usam m enhang.
25, 5 ληφϋ·είη <Väv τουτέων μέρεα ες εκείνα cod. : τουτέων geht
a u f πολλαί. Von ihnen können „T eile“ zu „jen e n “ , d. h. den n ü tz ­
lichen σοφίαι, genom m en w erden; m an m uß also έκείνας s ta tt
εκείνα schreiben, denn das N eu tru m w äre zu u n b estim m t, u n d es
h an d e lt sich u m die beiden A rten der σοφία. — ή δτι ούκ άργίη ist
u n v erstän d lich . D er Sinn des Satzes ist k lar, ληφίλείη δ'αν gibt den
p o ten tialen H a u p tsa tz , das V erb ist m it B etonung an den A nfang
gestellt, u n d auch δέ fü g t sich g u t zur B etonung des G egensatzes
zu der eben ausgesprochenen V erw erfung von u n n ü tzen K ünsten.
D er N achsatz m it ή δτι k a n n n u r eine E in sch rän k u n g der A n­
erkennung von „T eilen“ derselben e n th alten . D ieser Sinn könnte
etw a du rch δηλονότι ούκ άργίη hergestellt w erden.
25, 6 ουδέ μην κακίη eine beabsichtigte V erstärkung, die durch
die m it γάρ anschließenden E rk läru n g der engen V erbindung
zwischen άργίη (d. h. περιεργίη) u n d κακίη beg rü n d et w ird : „erst
— το γάρ αχολάζον καί απρηκτον: D er A utor lieb t
re c h t n ic h t“ . ■
derartige D op pelausdrücke; gleich im selben Satze ζητέει καί
άφέλκεταί — έγρηγορός καί εντετακός, auch die folgenden Sätze
geben Beispiele. Diese Vorliebe fü r D oppelausdrücke finden sich
durchgehend in gehobener hellenistischer P rosa. P lu ta rch s M anier,
zwei W ö rter s ta tt eines zu gebrauchen, ist bezeichnend, schon bei
Polybios findet sich Ähnliches. — A uch das su b stan tiv ie rte akti-
Interpretation 71

vis che P artizip im N eu tru m ist bem erkensw ert ; das passivische
P a rtiz ip des P erfek ts m it n eu tra lem A rtikel is t häufiger, das a k ti­
vische erst in der hellenistischen Prosa allgem ein üblich, vgl.
H . W id m an n , B eitr. zu r S y n ta x E pikurs 33. Als individuelles S til­
m erk m al findet sich diese A usdrucksw eise bei T hukydides (Bei­
spiele bei K ü h n er-G erth 1, 267). — άφέλκεται ist w ohl passivisch
zu v erstehen u n d d an n m it ες κακίην zu verbinden, schwerlich
ab so lu t zu nehm en, im Sinne von „zugrunde gehen“ . — ζητέει εις
k a n n ich n ich t belegen, es m uß gem eint sein wie τείνει εις, έπείγει εις.
25, 7 Zum A usdruck vgl. Philod. de m us. 4 p. 76f. K em ke ώς
ε π ε γ ε ιρ ό ν τω ν τινών μελών κ α ι τ η ν δ ιά νο ια ν ε ν τ ειν ό ν τω ν προς
την ομιλίαν.
25, 8 D er gnom ische A orist ste h t neben dem ebenfalls gnom isch
ged ach ten P räsens, vgl. K ü h n er-G erth 1, 159. D er gnom ische
A orist k o m m t in der S chrift noch vor 26, 11 (neben dem P e rfe k t!);
26, 19 /2 0 ; 26, 25. 27. 28. Diese H äufung von gnom ischen A oristen
k ö n n te ein individuelles S tilm ittel des A utors sein, das m it dem
offenbar von ih m g e s u c h t e n G n o m e n s t i l zusam m enhinge;
rü h m t er doch seihst (27f 6) die γνωμολογίη als E igenschaft des
ίητρός φιλόσοφος. A ber etfdst ebenso w ahrscheinlich, d aß wir in der
häufigen A nw endung des gnom ischen Aoristes bei ihm ein allge­
m eines M erkm al des sp äten P rosastils anzuerkennen h aben. Bei
A retaios ist der gnom ische A orist häufig, vgl. C. H ude X V I 1. Das
gleiche gilt fü r die A ttizisten , vgl. W . Schm id, A tticism . 4, 617.
A uch die V erbindung von gnom . A or. u n d P erfek t oder P räsens
ist fü r sp äte A utoren bezeichnend, vgl. K . D ü rr, Sprachliche
U nters, z. d. D ialex. d. M axim us von T y ru s,; P hilol. S uppl. 8.
1900, 36. — εωντοΰ τοντέων cod. : εώ δε [τον] τορτέων L ittré. N ach
έωυτον ist in Μ in terp u n g iert, u n d es beg in n t m it τοντέων ein neuer
A b sch n itt. Die G liederung der A bschnitte ist in M im allgem einen
sinngem äß. A uch hier k ö n n ten wir uns besser der A bteilung der
H sr. anschließen, die n u r du rch die D itto g rap h ie des του gestört
w orden ist, indem w ir m it εώ δε τοντέων einen neuen A bschnitt
beginnen lassen. Aus der G liederung tro tz der K o rru p tel ergibt
sich, d aß die K ap iteleinteilung älter ist als M u n d in einer älteren
H sr., von der M a b sta m m t, durch an den R an d gesetzte P ara g ra-
phos bezeichnet w a r. D er erste A bschnitt h a tte die These, von der
die Schrift ausgeht, k u rz b eh a n d elt. D er Verfasser will aber n ich t
w eiter d a ra u f eingehen, denn das w ürde ja bedeuten, daß er das
vielbehandelte T hem a n u n seinerseits vortragen m üßte. Im zw eiten
72 Die Schrift Περί εναχημοσύνης

A b sch n itt gibt er daher sein eigenes T hem a an. E r will n ich t über
die σοφίη sondern über die τέχνη sprechen. Die A blehnung eines
V ortrages ü b er die σοφίη beg rü n d et er d am it, d aß solche Dialexeis
keinen N u tzen h ab en . — Bei τουτέων is t n ic h t sofort deutlich,
w o ra u f es sich bezieht, ot προβαλλόμενοι ist schon etw as e n tfe rn t;
es w ird also allgem ein zu fassen sein, „die L eute, die sich m it über*
flüssigem u n d n utzlosem Zeug abgeben“ . — διάλεξις ist die A bhand­
lu n g (Diog. Oen. fr. 18 col. 2, 14 p . 24 W ill.) oder der öffentliche
V ortrag, die Sophistenrede (P hilostr. V. S. 1, 24, 2 u . a.). Ü ber
den B egriff der D ialexis vgl. W . Schm id A tticism . 4, 346ff. u n d
K . D ü rr, P hilol. S uppl. 8, 1900, 5 ff., wo auch die S tilm ittel der
D ialexis ch a rak terisie rt w erden.
29, 5 D er A u sd ru ck ες χρέος πίπτειν ist bezeichnend fü r späte
Sprache, weil er abgeschlififèn ist. In älterer Z eit w ird πίπτειν n u r
vo n U nfreiwilligem oder U nangenehm em gesagt. Die gleiche V er­
w endung wie hier findet sich Diosc. 5, 19 (3, 19, 19 W ellm .): είσΐ
δε αυτών ένιοι ήττον περίεργοι καί πίπτοντες εις την χρήσιν. — χαριεστέρη
γάρ . . .: D am it bezeichnet der A utor seine eigenen A usführungen
als eine D i a l e x i s , die er als „feiner“ em pfiehlt. Seine Dialexis
is t eine a u f die T echne, u n d zw ar au f die zu A nsehen u n d R uhm
führende. D aß hier die τέχνη ιατρική , von der doch die R ede ist,
n ich t au sdrücklich g en an n t w ird, ist beachtensw ert.
25, 10 και προς έτερον μέν τι <ι)> H e ib .; τι zeigt, d aß έτερον
N eu tru m ist, „ a u f etw as anderes“ steh t im G egensatz zu dem im
E in leitungssatze an g ed eu teten T hem a. D as u nbestim m te έτερον
w ird d u rch eine A pposition e rlä u te rt ; ähnlich w ird 28, 5 u n bestim m ­
tes έτέρη durch A pposition e rk lä rt. N im m t m an die schon b e­
sprochenen appositioneilen A usdrücke hinzu, so k an n m an sagen,
d aß der A u to r sie reichlich verw endet. Sie sind also fü r den Stil
der S chrift bezeichnend u n d v erstä rk en den auch sonst b estätig ten
E in d ru ck , d aß der A utor anstelle der periodischen Satzfügung die
A neinanderreihung lieb t : K om plizierte P erioden fehlen, P arti-
zip ialk o n struktio nen u n d K ondizionalsätze, daneben einige R e­
la tiv sätze b estim m en den P eriodenstil der S chrift, tre te n aber
h in te r der A nreihung zurück. Bezeichnend ist, daß k au m ein Satz
asyndetisch angeréiht ist. Dieser Stil sieht archaisch aus, lä ß t sich
aber als rh etorische A bsicht auffassen. — πρός w ird durch ες wieder
aufgenom m en, vgl. K ü h n er-G erth 1, 548 (§ 450). D er A rtikel ή
fe h lt un d is t ein zusetzen; es ist aber w ohl besser, ih n n ic h t, wie
H eiberg, n ach τι, sondern an die Stelle des καί zu setzen (L ittré).
Interpretation 73

W en n καί e rh alten b leibt, erw a rte t m an s ta tt προς έτερον . . . einen


dem χαριεστέρη entsp rechenden A usdruck, etw a ein A d jek tiv im
K o m p arativ oder ein P artizip . — D a δέ n ic h t die F u n k tio n der
K orrespondenz zu μέν, sondern des Satzanschlusses h a t, w ar m an
geneigt, μέν zu e n tfe rn en und μέντοι s ta tt μέν τι zu schreiben, wie
Foesius in seinen A d n o t. an g ib t. A ber m an w ird ein n ic h t k o rre­
spondierendes μέν zulassen, zum al d a 26, 10 πρόσ&ε μεν ή ein
solches ebenfalls überliefert ist (das d o rt überlieferte δέ s te h t n ich t
in K orrespondenz zu μέν, sondern ist entw eder zu streichen oder
anders zu erklären).
25, 11 ff. άλλ’εϊ γε μ ή m ach t einen scharfen E in sch n itt, es ste h t
elliptisch, wie εΐ δε μ ή überall in der S chrift. G egenüber dem er­
sta rrte n εί δε μ ή b ed e u te t à lV εϊ γε μ ή eine stark e B etonung des
„A ndernfalls“ . D er N achsatz ist also προς άναιτίην (cod.) δημενταί.
D a προς άναιτίην m . E . keinen befriedigenden Sinn ergibt, m öchte
ich ein advérbiell zu verstehendes προς ανάγκην herstellen. (Oder
πρός εναντίην u n te r B erücksichtigung von 25, 20 την δέ εναντίην
D eichgr.) G ram m atisch rich tig w äre n u r δημευτέαι. D enn das V er­
b a la d je k tiv a u f -τός Ledeiftet im streng verbalen Sinne die Möglich­
k e it; im hellenistischeri;wS prachgebrauch als reines A d jek tiv au f­
g efaß t h a t es m eist passivischen Sinn, vgl. hierüber E . M ayser 1,
455 u n d 2, 1 357. Die N otw endigkeit k a n n gram m atisch k o rrek t
n u r du rch das V e rb a la d je k tiv a u f -τέος ausgedrückt w erden. T ro tz­
dem m öchte ich n ic h t fü r die Ä nderung der Ü berlieferung ein treten ,
d a m an n ach der D atierung der S chrift etw a in das 2. J h d t. n . Chr.
au ch m it U nregelm äßigkeiten zu rechnen h a t. A uf die Verwechslung
d e r\Y erb alad jek tiv e m ach t W . Schm id A tticism . 4, 620 au fm erk ­
sam . — δημεύειν h a t h ier n ich t den üblichen Sinn, sondern b ed e u te t
allgem ein die V ertreibung aus der S ta d t ( άναίρεσιν εκ των πόλεων).
D aß solche V ertreibung erw äh n t w ird, scheint zu n äch st w ichtig
zu sein u n d h a t z. B. B ensel, Philol. 78, 1923, 101 dazu v eran laß t,
von einem b estim m ten geschichtlichen V organg aus einen A n h a lts­
p u n k t fü r die D atieru ng der S chrift zu suchen. A ber die A usfüh­
ru n g en des A utors sind zu allgem ein, u m einen historischen H in ­
weis zu geben. Die S chrift stellt eine Rede a u f die T echne dar.
Von der τέχνη ιατρική w ird e rst 26, 21 gesprochen. E s lä ß t sich also
aus der Stelle n ich t en tnehm en, ob der V erfasser a u f die V ertreibung
von Philosophen, wie B ensel an n ah m , R hetoren, Sophisten oder
Ä rzten anspielt. G alen 14, 602 K . b eric h tet von einem K ollegen,
den dieses Schicksal tra f : έκβληϋ·ε'ις δέ τής πόλεως ώς άναιρών τούς
74 Die Schrift Περί εύαχημοσννης

νοσοϋντας. D er A usdruck νομοϋεσίην τίθενται lä ß t freilich weniger


an einen Einzelvorgang als ein allgem eines Gesetz denken. E in
b estim m tes E reignis w ird der R edner, ebenso wie seine H örer, vor
A ugen g eh a b t haben.
Z um T e x t 25, 11 ff. : D er N achsatz i s t m it άλλ’εϊ γε μη, προς
ανάγκην δημευταί vollständig u n d verständlich. Im V ordersatz fe h lt
das P rä d ik a t, κάκείνοισι is t n ic h t in der überlieferten K o n stru k tio n
u n terzu b rin g en u n d d aher von L ittré u. a. als Sitz der K o rru p tel
angesehen w orden. L ittré w ollte daraus als P rä d ik a t καλαί h er­
steilen u n d d a ra n einen R elativ satz anschließen : καλαί, fìat, ähnlich
E rm erin s: καλαί, εν fa i. Dieser R elativsatz sollte die B edingung
en th alten , u n te r der die Techne „ g u t“ ist. E ine solche B edingung
ste h t aber schon im H a u p tsa tz : μη μετ' αίσχροκερδείης και άσχη-
μοσννης, w äre also hier n ic h t unbed in g t nötig. A ußerdem ist n ich t
anzunehm en, d aß der A utor, der eben noch u n n ü tze u n d fü r das
Leben b rau ch b are K ünste unterschied, hier a l l e n ein Lob spenden
will, welche eine M ethode befolgen ■ — sofern sie n u r von schnöder
G ew innsucht frei sind — ; πασαι ist also sinnstörend und m uß dem
als P rä d ik a t notw endigen καλαί w eichen (D eichgr.), w odurch κάκεί-
νοισι g erettet w ird : „ g u t sind die K ünste, die von schnöder G ewinn­
su ch t frei sind, u n d sie befolgen auch eine w irklich (εονσα b e to n t
den Begriff) w issenschaftliche M ethode“ . So e n ts te h t der v erstä n d ­
liche u n d auch sonst nachw eisbare G edanke, d aß die m oralischen
Q u alitäten eines M annes seine T üchtigkeit im B eru f beeinflussen.
25, 13 S ta tt αντέοισιν wollte H eidel m it E rm erins lieber αντησιν
herstellen, um eine sy n tak tisch e B eziehung zu hab en. D as ist n ich t
n ö tig. D er A utor sch a lte t auch sonst ziem lich frei m it dem P rono­
m en, das daher o ft den E in d ru ck der U nbestim m th eit m ach t, vgl.
2 6 ,1 6 ovror, 27, 16 οντοι ; 27, 19 αντέοισιν έκείνοισι, n achdem vorher
n u r allgem ein von σοφίη oder ίητρικη gesprochen w urde. W ir w erden
au ch hier annehm en können, d aß die G edanken des A utors von
den ab stra k te n T echnai zu den Personen, die sie repräsentieren,
übergehen.
25, 14 Das überlieferte έντροπίην ist zu verbessern, vgl. oben
S. 67.
25, 15 Die U m schreibung m it τίϋ'εαϋαι, die fü r die hellenistische
Sprache bezeichnend ist, fä llt hier besonders auf, d a der verbale
U rsprung von νομο&εσίη ganz vergessen zu sein scheint. A uch
25, 14 ιδρώτας τίθενται ist so zu beurteilen, d o rt is t auch der P lu ral
zu b each ten , der n ic h t g eändert w erden darf. A ndere um schrei-
Interpretation 75

bende A usdrücke sin d : 25, 9 ές χρέος πίπτειν; 26, 10 αρχήν λαβεϊν ;


26, 20 δεικτικόν εγενή&η; 27, 14 εύρίσκεται εντίμως κείμενη·, 29, 21
νπονργίην ποιεϊν. — U ber den A usdruck άγορήν εργαζόμενοι vgl.
A. W ilhelm , Z um griecb. W ortschatz, G lo tta 14,1925, 74. D er A k k u ­
sa tiv bezeichnet den B ereich, innerhalb dessen das G eschäft ausgeübt
w ird. Alle Ä nderungsversuche (Heidel u .a .) sind also überflüssig.
25 ,16 άνακνκλέοντες : das A k tiv ste h t hier in tra n sitiv wie A ristot.
M ete. I 2 339b 29 τάς αντάς δόξας άνακυκλειν . . . εν τοις άν&ρώποις.
— καί γάρ k o m m t in der S chrift häufig v o r: 26, 8. 12. 23; 27, 4.
13. 16. 19; καί γάρ ήν 26, 23; κήν γάρ 25, 18; ähnlich ste h t τε γάρ
25, 13 u. 25, 21. Vgl. E . M ayser 2, 3 122, K ü h n er-G erth 2, 337
A nm . 1. — N ach 27, 19 setzen die kurzen P aränesen ein, in denen
και γάρ feh lt.
25, 17 ο'δτοι. . . οί αυτοί scii, είσιν. K ü h n er-G erth 1, 593 A nm . 5.
— ϊδοι δέ τις <ch'> gram m atisch richtig in R ergänzt (K ü h n er-G erth 1,
225, 1. 2), besser n atü rlich ϊδοι δ'αν τις. Ob m an ein R ech t
h a t, äv einzusetzen, k a n n w ohl n ich t entschieden w erden. Bei
A retaios ist der O p tat, p o ten t, ohne äv n ic h t völlig sicher, vgl.
C. H ude X V I I I 10 : vier Beispiele, von denen m an zwei leich t ändern
k an n . Vgl. oben zu P aran g . 31, 28f. In den P arangelien ist der opt.
p o t. m it äv ganz sicher bis a u f zwei Stellen, wo er du rch K o n jek tu r
h ergestellt ist, u n d die genannte Stelle 31, 28. D as is t besonders
w ichtig, weil der P o ten tialis in den P arangelien häufiger v o rk o m m t;
in Περί εύσχημοσννης ste h t er n u r noch 25, 5 u n d vielleicht auch
29, 27, wo der T e x t n ic h t in O rdnung ist. M ah d a rf darau s a u f
einen gewissen U n t e r s c h i e d i n d e r g e i s t i g e n H a l t u n g d e r
b e i d e n V e r f a s s e r schließen. D er V erfasser der P arangelien,
w elcher der em pirischen Lehre n ich t fernzustehen schien, kleidet
seine P aränese sehr häufig in die F orm vorsichtiger B eh au p tu n g ,
die S u b je k tiv ität seiner M einung betonend, ganz im G egensatz zu
dem A u tor von Περί εύσχημοσννης, der den a u to rita tiv e n gnom i-
schen Stil vorzieht. In den P arangelien ist z. B. auch der gnom ische
A orist n ic h t so häufig wie in Περί εύσχημοσννης. W enigstens den
U n t e r s c h i e d i m S t i l d e r b e i d e n S c h r i f t e n k a n n m an an e r­
kennen, u n d m an w ird sie daher n ic h t dem selben V erfasser zu­
schreiben, wie H eidel, H a rv a rd S tud. in Class. Philol. 25, 1914,
199 u. 203 als w ahrscheinlich annahm . Sprache u n d S til der beiden
S chriften sind tro tz vieler zeitbedingter Ä hnlichkeiten individuell
verschieden. Vgl. hierzu noch das K apitel ü b er das V erhältnis
b eider S chriften (un ten S. 105) — επ' εσϋητος καί εν τβσιν άλλησι
76 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

περιγραφήσιν : Die B edeutung von περιγραφή ist hier n ic h t ganz


klar. D as W o rt h a t in hell. Z eit verschiedene B edeutungsnuancen,
die sich a u f den G rundbegriff „U m riß “ zurückführen lassen. D a­
n eb e n findet sich bis in byzantinische Z eit die erst in der Koinè
au ftreten d e B edeu tung „B etru g , T äuschung“ , vgl. E . A. Sophocles
G reek Lexicon of th e ro m an an d b yzantine Periode, New Y ork
1900, Preisigke-K ießling W ö rte rb u ch der griech. P ap y ru su rk u n d e n
s. v. περιγραφή, vgl. auch Corp. Gloss. L at. 2, 73, 27 fraudibus
περιγραφαΐς u n d 2, 402, 23. ·— E ntscheidend fü r das V erständnis
an dieser Stelle ist άλλησι. W ill m an die K leidung u n te r den „ b e ­
trü g erischen M achenschaften“ m itbegreifen, so w ird m an diese
B edeutung v e rtre te n können. Ic h m öchte eine andere E rklärung
versuchen. D a die B edeutung περιγραφή — fraus vor allem im Z u­
sam m enhang m it dem G erichtsw esen vorkom m t, scheint es ange­
m essener zu sein, eine B edeutung ähnlich der bei L iddell-S cott fü r
diese Stelle v erm u te te n (general appearance) anzunehm en. Vgl.
M. A nton. 12, 30 μία ψυχή καν φνσεσι διείργηται μυρίαις και ίδίαις
περιγραφαίς „es gib t n u r e i n e Seele, w enn sie auch durch viele
W esen u n d individuelle E r s c h e i n u n g s f o r m e n v e rte ilt ist“ . Man
w ird also περιγραφή etw a als „C h arakterzug“ o. ä. erklären können,
vgl. auch P la t. Leg. 9, 876e, wo es m it τύποι synonym a u ftritt.
25, 19 φενκτέον και μισητέον vgl. 26, 17 καλόν γάρ : Ü ber das
(gnomische) N eu tru m im P rä d ik a t s ta tt der sy n tak tisch en S tru k tu r
vgl. K ü h n er-G erth 1, 58 (§ 360), K . D ürr, Philol. Suppl. 8, 1899,
57. Diese A usdrucksw eise ist ebenfalls den P arangelien frem d.
25, 20 χρειώδες ist n ic h t zu ändern, wie L ittré wollte. D em A utor
lieg t d aran , den G edanken des N utzens zu b etonen, nachdem er
gegen Dialexeis u n d σοφίαι polem isiert h a tte , die u n n ü tz sind. Das
W o rt selbst is t n ic h t m ehr verdächtig, nachdem die S pätd atieru n g
ausgesprochen ist. ·— διδακτή κατασκευή ste h t im G egensatz zur
w irklichen παιδεία.
25, 21 ff. D as ganze K ap itel b e ste h t in der H s. aus einer ein­
zigen Periode, die zw eigeteilt is t: εκ τε γάρ περιβολής — πορείην u n d
οι τε έκάστω σχήματι ■— Schluß. Zum ersten T eil ist ein P rä d ik a t
zu ergänzen, etw a εστι σκοπέειν nach πορείην, w obei das K om m a
n ach ενδοξίην zu streichen ist : „au s der περιβολή k a n n m an er­
sehen . . .“ . H ier w ird die äußere E rscheinung geschildert, περιβολή
is t entsprechend den in der W o rtübersicht ang efü h rten Beleg­
stellen als „K leid u n g “ zu verstehen, wobei m an auch an das ge­
pflegte Ä ußere im ganzen denken m uß. A uch die ebenfalls in der
Interpretation 77

S chrift vorkom m enden W ö rter καταστολή, περιστολή b ed e u te n


n ic h t die K leidung allein, sondern haben in ähnlicher W eise die
B ed eu tu n g „A n sta n d “ , „ W ü rd e “ u. ä. — Die in der W o rtü b ersich t
w iedergegebene Stelle aus P lu ta rc h Perikies 5 (154 c), vgl. oben
S. 65, welche ebenfalls eine C h arak teristik (des Perikies) gibt,
e n th ä lt auch das W o rt πορεία u n d kan n zu r E rk läru n g unserer
Stelle herangezogen w erden. Die C haraktereigenschaften, die d o rt
dem Perikies zugeschrieben w erden, tre te n auch in dieser Schilde­
ru n g des tü ch tig en M annes auf. D o rt ist καταστολή περιβολής ge­
n a n n t, was der E rw ähnung von ενσχημοσννη u n d άφέλεια usw . hier
en tsp rich t. D em προσώπου σνστασις α&ρυπτος εις γέλωτα e n tsp rich t
σύννουν u n d nachh er άδιάχυτος, das von διάχνσις h er v erstan d en
w erden m uß. Zu cίϋ·ρυπτος vgl. z. B. P lu t. Lyc. 21: λέξις αφελής
και α·&ρυπτος. πορεία ist hier w ahrscheinlich wie a n der Stelle aus
P lu ta rc h der Gang, ebenfalls ein M erkm al äußerer C harakteristik.
Als G egensatz zu προς την πορείαν könnte προς έωυτονς etw a
b ed eu ten „sie v erh alten sich an sich u n d in ih rem A u ftreten
w ürdevoll, b eh errsch t“ . V ergleichbar ist 26, 28 ευσταϋίης τής εν
έαυτφ. A uf die Schilderung der äußeren K ennzeichen des tü c h ­
tig en M annes folgt in einem zw eiten Teile die seiner geistigen
H a ltu n g : M it ol τε έκάστω σχήματι τοιοϋτοι (S ubjekt) b eg in n t ein
Satz, der n u r in einer A ufzählung von P räd ik ativ en b este h t, wozu
d an n είσίν zu denken ist. Die H äufung ist u n te r B eachtung einer
gewissen A bwechselung in A nordnung u n d R h y th m u s gegeben.
Eine gleiche H äufung, n u r von S ubstan tiv en , e n th ä lt § 5. A uf die
A bwechslung in R h y th m u s u n d A ufbau h a t schon Bensel, Philol. 78,
1923, 91 aufm erksam gem acht, der die Periode in K ola a b te ilt und
dad u rch auch die H o m oioteleuta h e rv o rtreten lä ß t. Die stilistische
E n tsp rech u n g u n d G liederung u n te r den A usdrücken, die von
b ew u ß ter K u n stfertig k eit zeugt, k an n an einigen Stellen fü r das
V erständnis des T extes fru c h tb a r gem acht w erden, άδιάχυτοι
άπερίεργοι b ild et aus zwei stilistisch gleichen A usdrücken ein Kolon.
D an n folgen A n tith esen : πικροί ■ — εϋ'δετοι, wo die Glieder durch
die genaue stilistische E n tsp rech u n g zusam m engehalten w erden,
u n d χαλεποί ·— εύστοχοι καί ομιλητικοί (m it explikativem καί), wo
der Chiasm us die K lam m er b ildet. ~4- Die B edeutung von άντί-
πτωσις is t von άντιπίπτειν „w idersprechen“ herzuleiten, den Ge­
gensatz b ild et όμοιοτης. — D as Bisherige zusam m enfassend folgt
ενκρητοι προς απαντας. D an n w ieder in an tith etisch er F orm u n d
gleichem B au : σιγητικοί — έν&υμηματικοί, n u r daß hier w ieder der
78 Die Schrift ΙΙερΙ εύσχημοαννης

zw eite Teil zweigliedrig ist. D er an tith etisch e A u fb au zeigt, daß


ενθυμηματικοί G egensatz zu σιγητικοί ist, es bezeichnet den treff­
sicheren Sprecher, der Sentenzen fo rm t (vgl. 27, 6 γνωμολογίη).
B ei den folgenden G liedern fe h lt die A n tith etik , die G leichartigkeit
ist eine n u r noch stilistische, n ich t m ehr gedankliche. In εύθετοι
και λημματικοί u n d εύχρηστοι και αντάρκεες g ib t e rst das zweite
W o rt den vollen Sinn, das verbindende καί ist w ieder explikativ
zu v erstehen. Z u νπομενητικοί προς υπομονήν ist προς καιρόν w a h r­
scheinlich adverbiell gesetzt oder es ist zu schreiben : νπομενητικοί
προς καιρόν, <εύκαιροι> προς υπομονήν (Deichgr.), vgl. P olyb. 4, 38, 1
ευκαιρότατον . . . τόπον . . . πρός und die im folgenden aus Stobaeus
zitierte C h arak teristik des Stoikers. D aß die „W ohlredenheit“
(ενεπίη) als K ennzeichen des tü ch tig en M annes g en a n n t w ird, ist
fü r den A u to r bezeichnend. D er Schluß ist zu lesen: ες άληθείην
[προς] το νποδειχθεν (etw a gleich άποδειχθέν) άποτερματιζόμενοι
( άποτελματισθήναι cod. ; άποτερματιζόμενοι K oraes ad. P lu t. Rom .
p. 369). ·— Z u den m oralischen Begriffen in § 3 h a tte Bensel
(Philol. 78, 1923, 104 A nm . 6) verglichen Stoikerfragm . 3, 160, 40
A rn. = Stob. ecl. 2, 108, 5 W .: τον δε σπουδαϊον ο μ ιλ η τικ ό ν δντα
καί επιδέξιον καί προτρεπτικόν καί θηρευτικόν διά τής ομιλίας εις
έννοιαν καί φιλίαν . . . ετι δέ αίμύλον καί ε ϋ σ τ ο χ ο ν καί εύ κ α ιρ ο ν καί
άγχίνονν καί α φ ελ ή καί ά π ε ρ ίε ρ γ ο ν καί άπλοϋν καί απλαστον. W ir
h ab en hier einige der Begriffe, die in § 3 Vorkom m en u n d auch die
gleiche A rt, eine A ufzählung von E igenschaften zu geben. Die bei
Stobaeus erh alten e Stelle schildert die E igenschaften des σπου­
δαίος ; auch in Περί ενσχημοσύνης w ird ein ähnlicher T ugendkatalog
V orbild gewesen sein.
N achdem in § 3 die äußere E rscheinung u n d die geistige H altu n g
des tü ch tig en M annes im allgem einen beschrieben sind, w ird in § 4
spezieller a u f die T echne eingegangen. Das W ichtigste bei allen
gen an n ten E igenschaften ist die Anlage, B egabung; daß φύσις so
zu v ersteh en ist, geht aus dem folgenden άδίδακτον γάρ hervor.
W enn diese ·— τοντο e rk lä rt schon R 2 durch το τής φύσεως ■ —
ih nen v o rh an d en ist, „gelangen sie durch all das vorher G esagte“ .
μεν ovv lä ß t an eine R ek ap itu latio n denken. In der T a t ist φνσις
schon an g ed eu tet w orden durch ου διδακτή κατασκευή. D er G enitiv
τουτέων απάντων των προειρημένων ist hier n ic h t viel m ehr als ein
fo rm elhafter A usdruck, der die K o n zin n ität d er Gedankenfolge
darstellen m öchte. A uch an den anderen Stellen, wo eine ähnliche
F orm el a u ftritt, h a t sie fa st n u r die F u n k tio n des Anschlusses.
Interpretation 79

26, 8 οι εν τέχναισι : Die U m schreibung, die s t a t t des direk ten


A usdrucks die durch eine P räposition dargestellte B eziehung setzt,
is t stilistisch u n d gram m atisch als K ennzeichen der hellenistischen
Sprache zu bew erten. Die S ubstantivierung eines präpositionalen
A usdrucks is t in der K oinè beliebt. Sie findet sich, vor allem in
b estim m ten W endungen, zw ar schon frü h er (K ü h n er-G erth 1,
2 6 9 d), b re ite t sich ab er in der K oinè sta rk aus (E. M ayser 2, 1 16).
In 17. ευσχ. findet sich n o ch : τα προς φνσιν 26, 15; τα προς σοφίην
27, 4 ; των προς φιλίην; τά προς τέκνα , προς χρήματα 27, 10; τα εν
ύγροισι 28, 32, vgl. auch Η . W idm ann, B eiträge zur S y n ta x E p i­
kurs, T üb. B eitr. 24, 1935, 32. — ήν προσήν ist ü berliefert. W ir
m üssen den K o n ju n k tiv hersteilen, vgl. die A nm erkung zu P aran g .
30, 18 oben S. 32.
26, 9 πεπόρευνται vgl. 26, 16 παραπλησίην οϊμον πεπορευμένοι;
27, 21 διά πάσης αυτής πεπόρενται ; 26, 27 ες την παραπλησίην οϊμον
έμπίπτονσι ; 29, 33 <V αντέων όδεύσαντες. D er Vergleich des Weges
is t also bei dem V erfasser beliebt. D as P erfek t ste h t in präsenti-
schem Sinn, vgl. W . Schm id, A tticism . 4, 617. So ist es noch öfter
in der Schrift zu v e r s te h e ^ .— άδίδακτον γά ρ τό χρέος : D er G edanke
g eh t wegen des γάρ a u f die B edeutung der B egabung; χρέος ist
etw as U nlernbares, d. h. A ngeborenes, denn ehe es gelernt w ird,
„ s tü rz t sich die N atu ranlage a u f das E rgreifen des A nfangs“ . Das
k an n n u r b ed e u te n , d aß die natürliche Anlage, noch ehe eine
theoretische U nterw eisung erfolgt ist, zur nützlichen B etätigung
d rän g t, χρέος ste h t hier in einem allgem eineren Zusam m enhänge
u n d in allgem einerer B edeutung als im ersten A b sch n itt. D ieser
Z usam m enhang ist etw a als anthropologisch zü bezeichnen. V er­
gleichen k an n m an vielleicht den stoischen B egriff der πρώτη
όρμή : wie die Lebewesen ü b e rh a u p t einen n atü rlich en angeborenen
T rieb zur A nw endung ih rer K rä fte haben, liegt auch der nützlichen
B etätig u n g der M enschen ein n atü rlich e r Trieb zugrunde, der als
T rieb άδίδακτον is t u n d zur φύσις des M enschen gehört. D aher w ird
n ach h er (26, 15) der B egriff χρέος durch τά προς φύσιν um schrieben.
26,10 ist wohl εν τε (πff) σοφίη oder èv τή σοφίη s t a t t des ü b e r­
lieferten Sv τε σοφίη herzustellen.
26, 11 ή <5έ φύσις . . .: N ach den R egeln des klassischen S prach­
gebrauchs w ird m an δέ m it L ittré tilgen. Die S p ätd atieru n g der
S chrift lä ß t die M öglichkeit offen, es im T e x t zu h alten . In der
K oinè w ird dieser im A ttisch en n u r gelegentlich au ftreten d e Ge­
b rau ch häufiger. Ü ber <5£im N achsatze vgl. K üh n er-G erth 2, 275 ff.,
80 Die Schrift Περί εύβηχμοσύνης

L. R aderm acher, B esonderheiten der K oine-S yntax, W iener S tu ­


dien S l, 1909, 6. D as gleiche gilt fü r 28, 19, wo L ittré ebenfalls
δέ g etilgt h a t, w ährend H eiberg es schon im T e x t b eh ä lt. — Die
P ara lle lität des überlieferten ες τό είδήσαι neben ες το άρχήν λαβεϊν
leg t n ahe, auch ή φύσις u n d ή δέ σοφίη parallel zu setzen, denn der
D a tiv τή δε σοφίη w ürde in der L uft hängen, ή δε σοφίη schrieb
schon E rm erins. A ber diese L esart befriedigt n ic h t; κατερρύη καί
κέχυται k an n n ic h t auch von der nach träg lich w irksam en F u n k tio n
der σοφίη gesagt sein, wie es doch der F all sein m ü ß te, w enn m an
η δε σοφίη neben η φύσις stellt. D enn ές το είδήσαι m ü ß te von
κατερρύη καί κέχυται abhängig sein. D aher m uß m an ες το είδήσαι
als k o rru p t ansehen u n d hier die Ä nderung versuchen. E s liegt
n ahe, τή δέ σοφίη als ü b erliefert zu h alten u n d ες το in έστιν zu
än d ern (W , A. Heidel, H a rv . S tud. in Class. Philol. 25, 1914, 198:
τή δέ σοφίη έστιν είδήσαι). Die V erschreibung eines έστιν in ες τό
lä ß t sich u n te r dem E influß von ες το αρχήν λαβεϊν begreifen, τή
δέ σοφίη έστιν είδήσαι τα απ’ αντέης τής φύσιος ποιεύμενα fa ß t das
E rgebnis zusam m en u n d e rk lä rt, w arum die φύσις als ήγεμονικώ-
τατον g ilt: τουτέων απάντων των προειρημένων e n tsp ric h t σοφίη,
ήγεμονικώτατον wird m it ές τό α ρ χή ν λαβεϊν κ α τ ε ρ ρ ύ η einerseits
u n d απ’ αντέης τής φύσιος ποιεύμενα andererseits beg rü n d et. D aß
die σοφία in der E rk e n n tn is der φύσις b esteh t, ist besonders ein­
dringlich von den S toikern b e h a u p te t w orden. — φύσις ist hier
n u r noch dem W orte n ach dasselbe wie im ersten S atz des K apitels.
Die D arstellung k e h rt in chiastischem Ge danken au f b au ü b er den
B egriff der διδαχή zu dem der φύσις zurück, wobei sich, unm erklich
fa st, der B egriff φύσις zum (stoischen) N a tu rb eg riff verschiebt.
W enn dad u rch fü r unser V erständnis eine leichte U n k larh eit e n t­
ste h t, so k a n n m an a u f das gleiche V erhältnis bei dem Begriff
σοφίη verw eisen: der V erfasser b e n u tz t dasselbe W o rt bald im all­
gem einen, .bald im speziell philosophischen Sinne, was zweifellos
m it der popularphilosophischen Tendenz der D ialexis zusam m en­
h än g t.
26, 12 ff. άμφοτέροισι h a t H eiberg m it H eidel gestrichen u n d so
den das ganze K ap itel beherrschenden G egensatz λόγος ■ — έργον
auch in diesen Satz hineinbringen w ollen: έν τ ο ΐσ ι λ ό γ ο ισ ι πολλοί
κρατυν&έντες w ären die V e rtreter der bloßen T heorie wie in dem
sp äteren Satze ήν έωυτούς έν λ ό γ ο ισ ι πείσαντες οίηϋ·ώσιν είδέναι
26, 23. D er G egensatz ist aber, wie gesagt, λόγος — έργον (vgl. 26,
18/19), wegen des P lurals λόγοισι („G esichtspunkte“ , „H in sich ten “
Interpretation 81

o. ä.) is t άμφοτέροισι zu h a lte n , zum al das Folgende m it σνναμφοτέ-


ροισι τόίσι πρήγμασι (πρήγματα hier ebenso allgem ein u n d n ahezu
gleichbedeutend wie λόγοι) a u f άμφοτέροισι zurückw eist. Die beiden
λόγοι, u m die es sich h an d e lt, k önnen n u r die eben g en annten φύσις
u n d σοφίη sein. N eben diesem läuft; das B egriffspaar λόγος -— ’έργον
einher, ohne ausdrücklich m it ih m v erbunden zu w erden, obw ohl
der Verfasser eine G leichung σοφίη = λόγος, φύσις — έργον n a h e ­
zulögen scheint : G enau so wie hier gesagt w ird, daß die σοφίη „d a s
vo n der N a tu r selbst B ew irkte“ erk en n t, h eiß t es sp ä te r καλόν γάρ
εκ τον δειχϋεντος έργου λόγος (δειδαχίλεντός Μ, διδαχ&έντος H eiberg
u . a., d er A b sch n itt h a n d e lt von der δεϊξις). W ir k önnen also
συναμφοτέροισι πρήγμασι u n d άμφοτέροισι λόγοισι a u f φύσις u n d
σοφίη des vorangegangenen Satzes beziehen, m üssen aber fe st­
stellen, d aß dem V erfasser a n dem F esth alten einer b estim m ten
Term inologie u n d ü b e rh a u p t a n einer begrifflich fixierten, a b s tra k ­
te n D arstellung philosophischer L ehren ü b er das V erhältnis von
N atu ran lag e u n d A usbildung, T heorie und P rax is, N a tu r u n d E r­
k en n tn is gar n ic h t gelegen w ar, d aß er vielm ehr m it allgem einen
A n d eu tu n g en diè Problem é n u r bezeichnet. Seine M einung, die er
zugleich als M ahnung v o tträ g l, ist, daß die bloße Theorie schädlich
ist, w ährend T heorie u n d P rax is, E rk en n tn is u n d N a tu r v erein t
den tü ch tig en F ach m an n ausm achen. H ier scheint also eher ein
F ach m an n selbst als ein philosophischer R edner zu sprechen. —-
E s sei g e sta tte t, hier innezu h alten u n d die F rage aufzuw erfen, was
die eben gem achte F eststellung ü b er die im G runde unphilosophi­
sche A b sicht des Verfassers fü r unser V erständnis der S chrift b e­
d eu tet. Man bedenke, d aß es sich, n ach der Aussage des Verfassers
seihst, u m eine D i a l e x i s h a n d e lt. D as W o rt, richtig verstanden,
e rk lä rt im G runde alles. W ir h aben eine popülarphilosophische
R ede v o r uns, die vom H örer so viel V e rtra u th e it m it philo­
sophischer Term inologie ■ — u n d zw ar, wie schon an g ed eu tet, der
stoischen — erw arte t, daß er sich bei der bloßen N ennung der
W ö rte r σοφίη, φύσις u . a. etw as m ehr denken k an n , als der alltä g ­
liche S prachgebrauch v erlan g t. N ur so k an n er ja dem H a n tieren
m it diesen Begriffen, ih rer V erschiebung aus der A lltagssphäre ins
Philosophische, der A nw endung philosophischer G edanken a u f den
A lltag m it V erständnis folgen, w ährend w ir u nbefriedigt sind,
keine ex a k te Schulphilosophie, sondern „ u n k lare“ R h eto rik v o r­
getragen zu bekom m en. Die S p ätd atieru n g der S chrift w ird also
auch durch eine in die geistige H altu n g derselben eindringende
82 Die Schrift Hegt εύσχημοσννης

In te rp re ta tio n bewiesen. ·— D er H a u p tte il des K apitels beschäftigt


sieb m it dem G edanken der δεϊξις (26, 14), der durch εξετάζεα&αι
των εν ρήσει τι&εμένων e rk lä rt, durch δεικτικόν έγενή&η (26,20) w ieder
aufgenom m en w ird u n d schließlich in dem S prichw ort von der
Feuerprobe des Goldes (vgl. z. B. P ll t . S ta a t 3, 413e) u n d in
άπέδειξε (26, 25) nochm als anklingt. Das W o rt δεϊξις ist in der
W o rtü b ersich t als hellenistisch bezeichnet w orden. H ier m öchte
ich noch a u f eine B edeutung aufm erksam m achen, die vielleicht
von dem A u to r m itg ed ach t ist. δεϊξις h eiß t z. B . bei G alen 14, 627
der V o rtrag m it p rak tisch en V orführungen. D em gegenüber ist
καλόν γάρ εκ τον δειχϋ'έντος έργου λόγος besonders g u t zu verstehen.
26, 14 εξετάζηται ist m it R gegen die Ü berlieferung zu schreiben,
ja es k an n wegen ε — ai als überliefert gelten. — Zu χωρήσει vgl.
29, 26 το με&οδεν&εν χωρήσει.
2 6 ,1 6 οΰτοι sind die πολλοί, εκείνοισι k a n n sich w ohl n u r au f
die in § 2 gen an n ten V e rtreter der schlechten T echne beziehen,
w enn es n ic h t ganz allgem ein gesagt ist.
26, 17 „W en n m an sie (ihrer schönen W orte) entkleidet, kom m t
ihre ganze Schlechtigkeit u n d E hrlosigkeit zum V orschein.“
26, 20 δεικτικόν έγενή’&η: D er periphrastische A usdruck u n d
auch das W o rt δεικτικός selbst in der hier vorliegenden V erw endung
is t fü r die späte Sprache bezeichnend, in der gleichen W eise m it
dem G enitiv k o n stru ie rt finde ich es bei Clem. Alex. S trom . 1, 28
(2, 109, 16 S tählin). — D er gleiche G edanke wie in το δέ ρηϋ'εν . . .
w ird n achdrücklich noch einm al ausgesprochen: fü r δεικτικόν ste h t
σήμεΐον, s ta tt μεϋόδου άτέχνου ste h t άμαϋίη καί άτεχνίη. D er Begriff
οϊεσϋαι, w ird d an n du rch οϊήσις aufgenom m en. Diese durch stete
W iederaufnahm e eben gen an n ter Begriffe besonders eindringlich
w irkende G edankenfolge k a n n m it dem stilistischen K om positions­
prinzip der A nreihung zusam m engestellt w erden. A uch sie sieht
fa st archaisch aus.
26, 21 καί μάλιστα εν Ιητρική ist die erste Stelle, wo die Ιατρική
τέχνη g en an n t ist, u n d zw ar w ird sie hier wie beiläufig genannt,
so aber, d aß m an erk en n t, der H örer dieser R ede a u f die Techne
oder Sophia w u ßte sofort, d aß es sich um die τέχνη ιατρική h an d elt.
E in Leser k an n das n ic h t von, vornherein erw arten, es sei denn,
daß die S chrift m it anderen zusam m ensteht, die sich a u f die
A rzneikunst beziehen. W enn m an b edenkt, daß der V erfasser in der
F orm ulierung seines T hem as verspricht, ü ber die T echne zu handeln,
ist die A llgem einheit seiner A usführungen n ich t verw underlich.
Interpretation 83

E h er befrem det es, n u n plötzlich vor einer ganz bestim m ten Techne
zu hören. E rg ib t sich som it aus der, In te rp re ta tio n der S chrift,
d aß die H örer wissen m u ß ten , von w elcher Techne die R ede ist,
so w erden w ir leich t die R ede als vor Ä rzten gehalten uns vorstellen
können, u n d diesen gegenüber ist die 25, 10 gegebene R ezeichnung
ih re r T echne eine Schm eichelei. E rs t je tz t verstehen w ir also,
w aru m der V erfasser d o rt die T echne, von der e r sprechen will,
n ic h t geradezu m it d ü rren W orten n e n n t, sondern die U m schrei­
bung anw endet, welche diese Techne von vornherein m it ενσχη-
μοσύνη un d δόξα in V erbindung b rin g t. So w ird auch die am A n­
fang angestellte V ergleichung der Schrift m it P h ilo stra ts Rede a u f
den S port verstän d lich er. D er V erfasser geht absichtlich von der
σοφόη u n d allgem einen G edanken ü b er die T echne aus, um seine
H örer allm ählich n äh e r an das Spezielle heranzufü hren, bis er zu
E inzelvorschriften fü r den A rz t k om m t, die im R ahm en eines
V ortrags ü b er die T echne n ic h t zu erklären sind, w enn n ich t der
R edner u n d seine H ö rer gleich am A nfang an die τέχνη ιατρική
g ed ach t hab en . D aß der V erfasser allgem einere G edanken ü b er
σοφία bzw. ü b er das V erhältnis zwischen τέχνη u n d σοφία seinem
Spezialinteresse a n g e p aß t h a t, erg ib t sich aus vielen Stellen der
Schrift. H ier m ach t z. B. der Z usatz καί μάλιστα w ahrscheinlich,
d aß der A u to r eine viel allgem einere A blehnung der οϊησις im
Sinne h a t u n d a u f sie anspielt. „E in b ild u n g “ w ird sowohl in der
epikureischen wie stoischen Philosophie an vielen Stellen verw orfen.
Von dem tad eln d en Sinne, den das W o rt in sp äterer Zeit fa st au s­
schließlich h a t, findet sich jedenfalls bei P lato n noch n ichts. D er
m oralische Sinn, der bei Stoa u n d E p ik u r m it οϊησις im G egensatz
zur w irklichen σοφία v erb u n d en w ird, ist hier allerdings n ic h t zu
spüren ; hier h an d e lt es sich u m οϊεσϋαι als G egensatz des πρήσσειν.
E h er können wir annehm en, d aß der A utor auch hier m it der
M ehrsinnigkeit eines Begriffes spielt, der in der Philosophie eine
speziellere B edeutung gew onnen h a t, daneben aber n atü rlich im
A lltagsgebrauch lebendig w ar. Ä hnliches konnten wir bereits fü r
seine V erw endung des Begriffs σοφίη feststellen.
26, 22 κεχρημένοισιν is t in M unsicher überliefert. Die R edupli­
kationssilbe is t ü b er χρημένοισιν geschrieben, η steh t in einer R asur
und zw ar von zw eiter H an d eingefügt, da es einen anderen S chrift­
d u k tu s h a t. H in te r dem in der R asu r stehenden η is t ein freier
Fleck, in dem ich — in der von H errn P rof. D eichgräber aus dem
Besitze der A kadem ie freundlichst zur V erfügung gestellten P hoto-
84 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

graphie — die Spuren eines OO zu erkennen glaube, so daß die


A ngabe H eibergs, d aß die R asu r drei B u ch stab en ergriff, zu k o rri­
gieren ist. U rsprünglich h a t also in M an beiden Stellen χρεωμένοισιν
gestanden. Diese L e sa rt ist n atü rlich unm öglich, u n d es lag nahe,
die Ä nderung m it M 2 an dem ersten von beiden vorzunehm en. A ber
κεχρημένοισιν is t n ic h t leich t als G egensatz zu χρεωμένοισιν zu v er­
steh en , K oraes u n d E rm erins schrieben deswegen κεκτημένοισιν;
d er G egensatz w äre derselbe wie am A nfang von Περί φυσων
CMG I 1, 91 εϊσί τινες των τεχνέων, αϊ τοίσι μεν κεκτημένοις είσι
επίπονοι, τοϊσι δε χρεομένοις όνήιστοι. D aß m an κεχρημένοισιν als
ü b erliefert ansehen u n d deswegen h a lte n m ü ß te, ist d u rch die
genauere P rü fu ng der Ü berlieferung ausgeschlossen. M an b ra u c h t
ab e r auch n ich t bei dem H eilungsversuch von ih m auszugehen,
u n d das is t fü r die folgende Ü berlegung w ichtig : W enn χρεωμένοισιν
ursprünglich a n zwei aufeinanderfolgenden Stellen ü b erliefert ist
u n d dieser T e x t keinen Sinn ergibt, fra g t es sich, an w elcher von
beiden Stellen m an es än d ern soll. N un p a ß t χρεωμένοισιν an der
zw eiten Stelle n ich t, denn es w äre d o rt eine E rgänzung nötig, wie
sie der Scholiast in R gibt. E r h a t, wie E . N achm anson, E ro tian -
studien, U ppsala u n d Leipzig 1917, 186 feststellte, aus eigenem
V erständnis des T extes den G egensatz von κεχρημένος u n d χρεωμένος
zu erfassen gesucht. D aß er von der zurechtgem achten Ü berliefe­
ru n g ausgeht, ist k lar, u n d d er geschilderte Z ustan d der H a n d sch rift
b e s tä tig t N achm ansons N achw eis, daß dieses Scholion keinen Ü ber­
lieferungsw ert h a t. D er S choliast e rk lä rt κεχρημένος du rch κεκτη-
μένος u n d erg än zt zu χρεωμένοισι im Scholion ein τούτο) ώς ίατρφ.
Solche E rg än zun g ist n ö tig ; denn ο’ίησις k a n n n ic h t zu κεκτη-
μένοισιν u n d χρεωμένοισιν gehören, V erderben b rin g t οϊησις n ich t
dem behandelnden A rzte, sondern dem P atien ten , der einen solchen
A rz t k o n su ltiert. I s t also k lar, daß es sich hier u m den G egensatz
A rz t — P a tie n t h an d e lt, so w ird m an das an der ersten Stelle u r ­
sprünglich überlieferte χρεωμένοισιν wieder herstellen u n d das
zweite χρεωμένοισι ändern, u n d zwar am besten in ein χειριζο-
μένοισιν. „S ch u ld trifft den A rzt, der a u f G rund einer (bloß th e o re ti­
schen) M einung h an d e lt, V erderben den, der b eh a n d elt w ird.“
26, 23 ff. D er gnom ische A orist n ach einem N ebensatze m it εάν
findet sich zw ar schon in klassischer Sprache (K ühner- G erth 1,
160), scheint ab er fü r die hellenistische Sprache bezeichnender zu
sein, vgl. z. B. N. T . Jo h . 15, 6 εάν μ η τις μένη εν εμοί, εβλήϋη έξω
ώς το κλήμα και εξηράνϋη.
Interpretation 85

26, 24 τοιούτους wegwerfend gesagt oder geradezu gleich


φαύλους, vgl. H erodot 1, 120, 6. D er m it καίτοι γε τοι a m η (so
die H s.) beginnende S atz ist u n v erständlich u n d _ gram m atisch
u ndu rch sich tig . Die B etrac h tu n g der Stelle g eht zw eckm äßiger­
weise von dem N achsatz aus. d χρόνος καί την τέχνην . . . g ib t einen
v erstän d lich en Sinn, wobei m an n u r das unsinnige εύαδέα in εύοδέα
zu än d ern h a t (L ittré). Diese naheliegende u n d leichte Ä nderung
zeigt, daß im N achsatz von dem F o rtsc h ritt dér W issenschaft die
R ede ist. άφορμαί h e iß t hier soviel wie „A nw eisungen“ , vgl. Ps.
G alen de d iaet. H ipp, in m orb. acu t. CMG V 9, 1 380, 11 έσιιστά-
μενος δ' ώς ου τον τυχόντος Ιατρού από της πρώτης εισβολής των
νοσημάτων είδέναι τίνα μεν ταχέως τίνα δε βραδέως ακμάζει, πολλάς
έδωκε τάς εις τούτο ά φ ο ρμ ά ς διά πασών μεν των συντάξεων. N ur
των <5’ vor ο χρόνος ist ohne B eziehung u n d u n v erständlich. D er
V ordersatz m uß wegen καίτοι γε τοί einen G egensatz zu der F e st­
stellung, daß das a u f der M einung beruhende H andeln ü b er W e rt
oder U nw ert des A rztes entscheidet, e n th alten . E r kö n n te etw a
sagen, dennoch k an n auch der tü ch tig e A rz t einm al irren. E inen
w eiteren Hinweis fü r das V erständnis des Zusam m enhanges sah
schon L ittré in dem G egensatz von ευ&ύ u n d χρόνος. Von diesen
Begriffen aus versuche ich die in dem V ordersatz en th alten en W ö r­
te r, die alle n ic h t sofort v erständlich sind, zu begreifen: πρόρρησις
k a n n die Prognose heißen, ομογενείς die V erw andten, τό πέρας das
E nde, im Z usam m enhang m it άπαρηγόρητον (untröstlich ?) vielleicht
euphem istisch fü r „ T o d “ . D er V ordersatz hieße also: dennoch h a t
die Prognose o ft (gnom. A or.) etw as U ntröstliches fü r die V er­
w a n d te n (εις s ta tt des A kkusativs der B eziehung in der K oinè),
näm lich daß das E nde nahe sei, angezeigt. D aß auch andere u n d
ganz abw eichende E rk läru n g en den k b ar sind, zeigen die bei L ittré
(9, 232) an g efü h rten Ü bersetzungen älterer In te rp re te n , a u f die ich
n ic h t eingehe, weil sie ebenso wie m eine D eutu ng v o n einigen
w enigen festen G edanken aus den R est zu e rraten suchen, ohne
völlig überzeugen zu können.
27, 1 διό δει zu lesen m it L ittré, denn μετάγειν als im p era t.
In fin it, zu verstehen, em pfiehlt sich deswegen n ich t, weil die im pe­
ra tiv isch en Infinitive sonst a u f den zw eiten T eil m it seinen eig en t­
lichen P arän esen b esc h rän k t sind. — τουτέων των προειρημένων
έκαστα w eist d a ra u f hin, d aß der V erfasser seine B esprechung der
Techne m it der n u n folgenden B ehandlung des V erhältnisses von
σοφίη u n d ίητρική eng v erbinden m öchte. Die anfangs ausgespro-
86 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

chene A blehnung einer Dialexis über die σοφίη w ar also n u r ein


rhetorischer Ü bergang zu der dann folgenden B ehandlung der
T echne. In W irklichkeit will der A utor n ic h t etw a n u r ü b er die
Techne allein sprechen, sondern über das V erhältnis von Ιητρική
u n d σοφίη. D er V erfasser k e h rt also das vielbehandelte T hem a u m :
andere w ählen sich zum T hem a den N utzen der σοφίη, er dagegen
geht n ich t von der σοφία sondern von d er τέχνη aus, u m d an n aber
doch zur B esprechung der σοφίη zu kom m en.
27, 3 D a vorher u n d n ach h er im m er von der σοφίη neben der
τέχνη u n d nahezu synonym m it ihr gesprochen w ird, will m an n ich t
gern φιλόσοφος als „philosophisch“ verstehen. U nd doch m uß der
A u to r diesen Sinn im Auge gehabt haben, denn aus diesem A b­
sc h n itt g eh t h ervor, d aß σοφίη für ihn einen ethischen K lang h a t,
u n d im folgenden w ird das W issen über die G ö tter dazu gerechnet,
was vo n jeh er zu den F ragen der Philosophie g eh ö rt h a t. — Der
V erfasser der K o n je k tu r des „Codex Serveti“ h a t διάφορή, wie es
naheliegt, als „U nterschied, Zw iespalt“ v erstan d en u n d deswegen
<οΰ> πολλή geschrieben. W ir w erden die andere B edeutung des
W ortes annehm en m üssen: διαφορά ist ή διαφέρουσι των άλλων, also
auch der U nterschied im lobenden Sinne, der Vorzug.
27, 4 D enn auch in der A rzneikunst ist die volle V erw irklichung
der W eisheit m öglich. Die W eisheit gilt dem A u to r als das H öhere.
E s ist eine E m pfehlung fü r die ärztliche K u n st, daß sie n ich t im
H andw erklichen unterzugehen b ra u ch t, sondern τα προς σοφίην in
ih r möglich ist. D ieser G edanke ist im Z usam m enhang m it dem
T hem a der Schrift w ichtig. Die Philosophen h ab en w ohl öfter die
Philosophie als das H öhere bezeichnet u n d von diesem aus d an n
eine B eziehung zum alltäglichen Leben gesucht, aber besonders
d eutlich is t diese Lehre von den Stoikern ausgesprochen w orden.
So lehren sie, daß der P hilosoph, der „W eise“ , n ic h t n u r alle T u ­
genden h a t, sondern auch in allen anderen Lebensgebieten u n d so
auch in den τέχναι der Überlegene ist, ja sie b eh a u p te n sogar, daß
„ n u r der W eise“ , wie es in stereo ty p er Form el h eiß t, sie richtig
ausüben k an n . Die Belege fü r diese stoische Lehre sind zahlreich,
ich werde d ah er n u r einige anführen, die zu spezielleren G edanken
von Περ'ι εύσχημοσννης Beziehung haben. H ier liegt eine U m keh­
ru n g der stoischen L ehre v o r: es gilt n ich t zu zeigen, d aß der
W eise auch in der ärztlichen K unst tü ch tig ist, solidem um gekehrt,
d aß der gute A rzt σοφός ist. Von diesem G esichtspunkt aus w ird
auch der T u gendkatalog in § 3 erst völlig v erständlich. In § 5
Interpretation 87

w erden n u n ebenfalls E igenschaften des W eisen u n d des A rztes


g en an n t. An dieser Stelle erkennen w ir auch, welchen Sinn es h a tte ,
d a ß der A u to r n ich t von dem N utzen der σοφίη, sondern von der
τέχνη ausging: d ad u rch w urde diese U m kehrung des V erhältnisses
b eid er e rst erm öglicht. W enn Galen in der Rede δτι ό αριστος
Ιατρός και φιλόσοφος (Gal. scr. m in. 2 1 ff. Müller) au sfü h rt, w aru m
„d e r beste A rzt auch P hilosoph“ ist, so liegt die gleiche Idee zu­
grunde. Ebenso wie bei G alen das m it Zügen des H ippokratesbildes
a u sg e sta tte te Id ealbild des A rztes sich „u n v e rk en n b a r zum Bilde
des stoischen W eisen versch ieb t“ 56), ohne d aß doch das Stoische
beherrschend w ird, können wir auch hier erkennen, d aß zwar n ich t
die a b stra k te L ehre der stoischen Schule vorgetragen w ird, aber
ihre E inw irkung a u f die geistige E instellung der K aiserzeit sp ü rb a r
ist. Bei Galen ist außerdem die φιλοσοφία, die er em pfiehlt, w irklich
philosophische A llgem einbildung, Schulung in Logik, P h y sik usw.
27, 4 Die A ufzählung dessen, w as der V erfasser zur σοφίη
rech n et, b ed a rf einer eingehenderen B etrach tu n g , weil verschiedene
Begriffe offenbar eine besondere B edeutungsnuance oder ü b e rh a u p t
eine vo n der gew öhnlichen Abweichende B edeutung haben.57) Auch
sachlich sind diese K ennzeichen des W eisen in teressan t. Zu φιλό­
σοφος ισόθεος d a rf die N otiz des Diogenes L aertius 7,119 ( = frg. 3,
606 A m .) ü b er den stoischen W eisen herangezogen w erden: ϋείους
τε είναι (sc. τους σπουδαίους)' εχειν γάρ εν έαυτοΐς οίονεί ϋ-εόν u n d dazu
Cic. De divin. 2, 129 (== frg. 3,,607 A ra.) Stoici a u tem tu i n eg a n t
qu em q u am nisi sapientem divinum esse. Dasselbe sag t υπέροχη
ϋεία „g ö ttlich e M acht“ 27, 7. — 27, 7 άδεισιδαιμονίη ist ein Begriff,
der erst in hellenistischer Z eit au fk am . Noch A ristoteles geb rau ch t
δεισιδαιμονία in dem Sinne von ευσέβεια. Der; sp äter geläufige
tad eln d e Sinn lag also zu seiner Z eit noch n ich t darin. D aß άδειαi-
δαιμονίη als T ugend em pfunden u n d zur σοφία gerechnet w ird, ist
n atü rlic h am besten zu verstehen aus dem D enken einer Zeit, die
in Dämonologie un d D eisidäm onie ausschw eifend gew orden w ar,
also Zeit des H ellenism us u n d die sp äteren Ja h rh u n d e rte . Gegen
die D eisidäm onie, aber n ic h t n u r gegen sie als A uswuchs der R eli­
gion, sondern gegen die populäre G ötterlehre ü b erh au p t, w an d te

6β) E. Wenkebach, Der hippokratische Arzt als das Ideal Galens (Well-
mann-Eestschrift der) Qu. u. Stud. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Mediz. 3, 4, 1933,
167 und die dort 166 Anm. 2 angegebenen Stellen.
i7) Vgl. auch die Übersetzung dieses Satzes und des Anfangs von § 6 bei
Herzog, Philol. Suppl. 22, 3, 1931, 160, von der ich in einigen Punkten abweiche.
88 Die Schrift Περί ενσχημοσύνης

sich m it besonderer L eidenschaftlichkeit die epikureische Schule.


D aß w ir aber deswegen n ic h t an einen epikureischen V erfasser der
S chrift zu denken h aben, erg ib t sich aus der S chrift an anderer
Stelle. ·— In Sorans G ynaecia 1 (CMG IV) w ird in K a p . 2 (S. 5f.)
der isagogische Topos τις άρίστη μαία beh an d elt u n d von ih r v er­
la n g t, daß sie άδεισιδαίμων u n d άφιλάργυρος sein m uß. Beide Begriffe
gehörten also n ic h t n u r zu r C harakteristik des W eisen, sondern
k o n n ten von ih m her auch a u f den vollkom m enen V e rtreter einer
jed en Techne ü b ertrag en w erden, άφιλαργνρία w ird dem Sinne nach
au ch von Galen in dem erw äh n ten T ra k ta t δτι ό αριστος Ιατρός
καί φιλόσοφος gefordert (6, 4), u n d dieser Topos w ird sogar re ch t
ausführlich besprochen. ·— εντροπή u n d έρυϋρίησις gehören wohl
zusam m en und b ed eu ten S cham haftigkeit, R ücksichtnahm e, Z ucht
u . ä. — καταστολή h eiß t sowohl die K leidung selbst (z. B. N. T .
1. T im . 2, 9: γνναϊκας εν καταστολή κοσμίφ μετά αΐδοϋς καί σωφρο­
σύνης κοσμεϊν εαυτός) wie die W ürde u n d A nständigkeit (vgl. die
oben S. 65 ang eführte Stelle aus P lu t. Perikies 5 καταστολή περι-
βολής) n ich t n u r der K leidung allein, sondern des ganzen A uftretens,
welche B ed eu tu ng h ier vorliegt. — δόξα ist leicht verständlich als
„ R u h m “ (H erzog: „M einungsbildung“ ), κρίσις „U rte il“ (Herzog).
D a es sich n u r u m eine A ufzählung h an d elt, kan n m an n ic h t jedes
W o rt einw andfrei übersetzen, denn e rst der Zusam m enhang in
einem Satze w ürde diesen W ö rte rn F arbe verleihen, die hier ganz
allgem ein stehen u n d a b s tra k t w irken. — ήσνχίη ließe sich m it der
A tarax ie des W eisen vergleichen. — άπάντησις ist wohl gleich
εύαπαντησία, die P lu t. de v irt. m oral. 2 p. 4 41b ( = frg. 3, 255 A rn.)
als Tugend bezeichnet w ird. E b en d o rt w ird auch die 27, 25 em pfoh­
lene ευτραπελία erw äh n t. D aß καϋαριότης als T ugend gilt, sehen
w ir aus F r. 276 A rn, wo sie m it der αφέλεια zusam m en a u f tr itt,
die 25, 22 g en a n n t w urde. In te re ssa n t is t γνωμολογίη, das R eden
in Sentenzen. D er A u tor b em ü h t sich selbst u m gnom ische A us­
drucksw eise, besonders deutlich in § 4 m it seinen ku rzen S ätzen.
Die Gnom en gelten ihm als Zeichen der W eisheit. D as ist sicher
n ic h t a u f eine bestim m te Zeitepoche b esc h rän k t, lä ß t sich aber am
besten v erstehen aus einer Zeit, wo allerlei S entenzensam m lungen
en tsta n d e n (vgl. au ch E . N orden A ntike K unstprosa 1, 408 A nm . 1).
— εϊδησις των προς βίον χρηστών καί αναγκαίων ist als Ziel der
hellenistischen Philosophie b e k a n n t. E p ik u r h a tte die B eschränkung
der Philosophie a u f das zur rech ten Lebensführung N otw endige
besonders scharf ausgesprochen u n d daher jede παιδεία abgelehnt.
Interpretation 89

die n ich t zu diesem Ziel in B eziehung ste h t. N ach dem A nfang


der S chrift zu u rteilen scheint der Verfasser von Περί εύσχημο·
σννης ähnlich zu denken, denn d o rt h a tte er die m eisten σοφίαι als
u n n ü tz bezeichnet. H ier w ird n u n das „W issen u m das zur rech ten
L ebensführung N otw endige“ n ic h t als das entscheidende, sondern
als ein einzelnes S tück von dem bezeichnet, was zur W eisheit
g eh ö rt. — E ine besondere Schw ierigkeit e n th ä lt fü r das V er­
stän d n is καϋαρσίης άπεμπόλησις (so die H s.). E in S u b sta n tiv
καϋαρσίη k ö n n te m an höchstens als N euschöpfung des A utors
gelten lassen. D as V erständnis des A usdrucks h ä n g t an άπεμπόλησις.
Dies W o rt als ab stra k te s S u b sta n tiv zu απεμπολάω h eiß t „d a s V er­
k au fen “ , un d so w ird das W o rt auch bei einigen A utoren gebraucht,
vgl. T h. G. L.67a) Diese B edeutung kom m t hier wohl kau m in F rage,
d a es sich in der A ufzählung u m m oralische E igenschaften han d elt,
die fü r den W eisen u n d d en A rz t bezeichnend sein sollen. E ine
üb ertrag en e B ed eu tu ng des W ortes finde ich bei P ollux 6, 190f.,
wo es u n te r Synonym en fü r „B estechlichkeit“ steh t. D azu p a ß t
H esychs άπεμπολήσαί' το επί κέρδος άποδόσϋαι τι. Es ist zw ar au f­
fällig, d aß hier noch besonders von der G ew innsucht die R ede sein
sollte, nachdem άφιλαργνρίη- bereits g en an n t ist, aber vielleicht
schien dem V erfasser diese F orm derselben besonders w ichtig zu
sein. W enn w ir also die du rch P ollux bezeugte B edeutung annehm en
w ollen, m üssen w ir καϋαρσίη so erklären, daß das W ort die F reiheit,
R ein h eit von etw as b ed e u te t, u n d außerdem m uß άπεμπόλησις in
den G enitiv g esetzt w erden. L ittré h a t u m g ek eh rt καϋαρσίης v e r­
än d e rt, άπεμπόλησις nach H esych άπεμπολη’ απαλλαγή e rk lä rt u n d
άκαϋαρσίης άπεμπόλησις als ,,re je t de l ’im p u reté“ ü b ersetzt, wobei
allerdings die gleiche Schw ierigkeit en tste h t, d aß καϋαριότης schon
g en a n n t w ar. D aß m an zu k einer völligen S icherheit gelangen
k an n , liegt d aran , daß eine bloße A ufzählung gegeben w ird, ge­
rad ezu ein Beispiel fü r den stoischen „S chw arm von T ugenden“ ,
u n d n ic h t einm al ein G esichtspunkt der A nordnung erk en n b ar ist,
ein Schem a etw a, wie es den verschiedentlich überlieferten T ugend­
katalo g en zugrundeliegt. Im ganzen lä ß t sich feststellen, d aß der
V erfasser die Begriffe, die ihm als K ennzeichen der W eisheit gelten,
ganz so verwendet,; als w enn er a n die B eziehung der W eisheit zur
H e ilk u n st gar n ich t m ehr d en k t. Jedes dieser S tücke gilt in erster
Linie von dem W eisen, u n d e rst w enn m an den tü ch tig en A rzt als
weise ansieht, auch von diesem . D araus erg ib t sich, daß der A utor
67a) Siehe unten Hesychs Erklärung von άπεμπολή.
90 Die Schrift Περί εύσχημοσύρης

ein b estim m tes u n d v or ihm geform tes Bild des W eisen, näm lich
das stoische, v o r A ugen h a t. Die Stoiker h a tte n das Id eal des
W eisen u n d des tü ch tig en M annes aufgestellt u n d im m er w ieder
e rö rte rt. Sie h a tte n , wie E . N orden, H erm es 40, 1905, 508 ff. gezeigt
h a t, auch die Isagoge u n d deren T opik beem fiußt. U nd schließlich
h a t Diogenes von B abylon, u n d sicher n ich t er allein, in seinen
S chriften, die uns du rch Philodem s Polem ik kenntlich sind, auch
fü r die Musik u n d die R h eto rik b eh a u p te t, was in ähnlicher W eise
der Verfasser unserer S chrift von seiner Techne an n im m t, daß sie zu
allen K ü n sten (vgl. 29, 30 εν τήσι ίίλλησι τέχνησι), zur Philosophie,
Religion, M oral usw. in B eziehung steh t. D a m it habe ich im groben
den H in terg ru n d bezeichnet, von dem aus die S chrift Περ'ι ευσχη-
μοσύνης allem Anschein n ach b e u rte ilt w erden m uß. F ü r das V er­
stän d n is des E inleitungssatzes e rg ib t sich aus dieser G esam tauf­
fassung der S chrift, daß m it ol προβαλλόμενοι solche L eute gem eint
sind, die im A nschluß an die stoische Lehre b eh au p ten , „d a ß die
W eisheit fü r vieles n ü tzlich sei“ , etw a d aß der W eise auch der
b este D ichter, R h eto r, M usiker usw. ist.
27, 7 εχονσι γάρ, ά εχονσι, προς άκολασίην . . . es folgt eine A uf­
zählung von U ntugenden, auch das eine E igentüm lichkeit der
stoischen M oralphilosophie, den T ugenden die L aster gegenüber­
zustellen. A ber auch hier ist die A ufzählung ganz unscholastisch.
D a πρός bei dem farblosen εχονσι steh t, weiß m an n ic h t sofort,
d aß es im Sinne von „gegen“ gem eint ist.
27, 9 ενιδειν ist n ic h t zu verstehen u n d als D ittographie zu
άναιδείην erk lärb ar. ·— αντη n im m t w eder σοφίη noch Ιητρική auf,
sondern e rk lä rt sich durch A ttra k tio n des Pronom ens (K ühner-
G erth 1, 74), es k ö n n te τούτο γάρ γνώσις stehen, vgl. 28, 11 αϋτη
γάρ αρχή καί μέσα καί τέλος. — ή ist zu streichen, weil γνώσις p rä d i­
k a tiv stehen m uß. ·— γνώσις τών προσιόντων „ K e n n tn is der E in ­
k ü n fte “ , d. h. w irtschaftliche F ähigkeit, gehört auch, n ach stoischer
Lehre, zu den K ennzeichen des W eisen, vgl. S tob. ecl. 2 95, 9 W .
( = F rg. 3, 623 A rn.) οικονομικόν <3’ είναι μόνον λέγονσι τον σπουδαΐον
καί άγα&όν οίκονόμον, έτι δε καί χρηματιστικόν. Ebenso ist zu χρήσις
τών πρός φιλίην zu vergleichen Stob. ecl. 2 108, 5 W . (== F rg. 630
A rn.) εν μόνοις τε τοις σοφοϊς άπολείπονσι φιλίαν . . . φασί δε καί τό
άγαπαν και τό άαπάζεσ&αι καί τό φιλείν μόνων είναι σπουδαίων. S tili­
stisch ist zu bem erken, d aß die A usdrücke chiastisch gestellt sind:
γνώσις τών προσιόντων, χρήσις τών πρός φιλίην — τα πρός τέκνα ,
πρός χρήματα.
Interpretation 91

27, 11 N achdem der V erfasser so seinen B egriff der σοφία d a r1


gelegt h a t, n im m t er m it ταύτη μέν ovv den fa st vergessenen B egriff
d er ιητρική w ieder anf. ,,Z u ih r also gehört auch eine gewisse W eis­
h eit, weil auch dieses oder das m eiste davon der A rzt h a t.“ δτι
καί ταντα . . . e n th ä lt die B egründung dafür, daß der A u to r die
σοφία in die Ιητρική hin überführen will u n d die V erw irklichung d er­
selben auch in der Ιητρική fü r möglich h ält. Ilbergs Auffassung als
K apitelü b ersch rift, R an dnotiz, ü b ersieht die N otw endigkeit einer
B egründung. S ta tt και τα πλεϊστα ist wohl besser ή τα πλεϊστα zu
schreiben, denn τά πλειστα ist ein Teil von einem G anzen, das durch
ταντα bezeichnet ist. ταντα <πάντα > ή τά πλεϊστα ? D eichgr.
27, 13 Das W issen ü b er die G ö tter gehört n atü rlich in erster
Linie zur Philosophie oder σοφία u n d erst, w enn m an σοφία u n d
Ιατρική v erb in d et, zu letzterer. H ier ist ganz deutlich, d aß σοφία
in § 5 n ahe m it d er φιλοσοφία v erw an d t ist. W arum W issen von den
G ö ttern auch zur ärztlichen K u n st gehört, m u ß te allerdings noch
b eg rü n d et w erden : „D ie ärztliche K u n st w ird m eistenteils von den
G ö ttern g eeh rt.“ — σύμπτωμα in der B edeutung „ K ra n k h e it“ ist
hellenistisch u n d findet sieh z u e rst in dem pseudoplatonischen
Axiochos 364 c, den m an i®?on wegen seiner G edanken in ep ik u ­
reische Z eit an setzt. H ier ste h t das W o rt bei εν τοϊσιν ctλλοισι
πάϋ·εσι, w ird also als eine besondere A rt von „an d eren “ K ra n k ­
h eiten unterschieden. ·— M. Pohlenz, H ippokrates u n d die B e­
grün d u n g d. wiss. M edizin, B erlin 1938, A nm . 4 zu S. 86 tilg t εν
vor συμπτώμασιν, v e rste h t also σύμπτωμα einfach gleich πά&ος, dem
geschilderten S prachgebrauch entsprechend. Ich meine aber, d an n
m ü ß te auch ctλλοισι wegbleiben. ·— Ü berdies ist diè H ereinziehung
der G ö tter in die ärztliche K u n st n u r zu denken, Wo m enschliche
K u n st v ersagt, die „Ä rzte den G ö ttern w eichen“ , σύμπτωμα m uß
also hier eine besondere gefährliche A rt von πάϋος, etw a das Z u­
fällige u n d U n erw artete bezeichnen, ein W ortgebrauch, den ich
sonst n ich t nachw eisen k an n . H erzog v erste h t σύμπτωμα als „ U n ­
fall“ . Bei Galen h a t σύμπτωμα , soviel ich sehe, n u r den Sinn, den w ir
m it dem F rem d w o rt verbinden. A uch in der pneum atischen P a th o ­
logie is t σύμπτωμα n ich t die K ra n k h eit selbst u n d w ird vor allem n ich t
als eine A rt πάϋος neben andere πάϋη gestellt ; denn d o rt v erh alten
sich πά'&ος u n d σύμπτωμα etw a wie U rsache u n d Folge (M. W ell­
m an n , Die pneum atische Schule, Philol. U nters. 14, 1895, 161).
27, 15 Das P erfek t παρακεχωρήκασιν m u ß m an w ohl auch hier
als präsentisch verstehen. W arum die Ä rzte d en G öttern w eichen,
92 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

sa g t der näch ste Satz : ου γάρ ένι περιττών εν αύτέη το δυναστενον.


E s is t n ic h t nötig, das überlieferte περιττών m it R in περιττόν zu
änd ern (H eiberg), denn der G enitiv abhängig von δυναστεύω ist
hellenistisch u n d gib t einen v erständlichen Sinn : Die H eilk u n st ist
d em „A ußergew öhnlichen“ n ic h t gew achsén. περιττά ist ohne
Zweifel dasselbe wie συμπτώματα . (δυναστεύω c. gen. bei D iod.
Sic. 4, 31, 1, in ü b tr. B dtg. P hilo Alex. 1, 27, 12 Cohn al άλογοι
ήδοναι της ψυχής δυναστεύσωσι). ·— „D en n vieles behandeln die
A rzte ( ούτοι), ■ — μεταχειρέομαι ist eine seltenere N ebenform von
μεταχειρίζομαι — vieles w ird auch durch sich selbst, aus eigener
K ra ft, b ew ältig t.“
D aß die G ö tter in den K ran k h eiten die ärztliche K u n st ehren,
k a n n in dem Z usam m enhänge n u r so v ersta n d en w erden, daß sie
in den K ra n k h eitsv erlau f a k tiv eingreifen, dem A rzte zum Erfolg
verhelfen (H erzog). Dieser G edanke w iderspricht dem ersten H a u p t­
stü c k des epikureischen K atechism us (κύριαι δόξαι 1), w ir können
also den V erfasser n ic h t als E p ik u reer ansprechen. D er N utzen,
den die M enschen n ach epikureischer Lehre von den G ö ttern
— deren E x isten z ja n ic h t geleugnet w ird — haben, b e ru h t a u f
einem bloß psychologischen V organg, n ic h t a u f einem tä tig e n E in ­
greifen der G ö tter in sublunarische V erhältnisse, vgl. E p ik u r
F rg . 385 Us. Bei der E rw ähnung der G ötter k a n n m an w ohl auch
an den B etrieb in d en A sklepieien denken, vgl. H erzog, W u n d er­
heilungen von E p id au ro s, Philologus Suppi. 22, 3, 1931, 149 ff.,
wo auch eine ganze A n zah l von Ä ußerungen hippokratischer
S chriften zusam m engestellt sind, in denen „d a s W under in der
H eilk u n d e“ , το ϋ'εΐον, eine Rolle spielt.
27, 18 H eiberg h a t das K om m a h in te r Ιητρική gesetzt. D ann
is t der G egensatz zwischen dem F u tu ru m παρέξει u n d vvv n ich t zu
versteh en . D ieser G egensatz k a n n sich n u r au f den F o rtsc h ritt der
H eilkunde beziehen. Zu in terp u n g ieren ist d an n vor ή Ιητρική·,
καταπλεονεκτεί is t in tra n sitiv zu verstehen, u n d ή ιητρική ist S ub­
je k t n u r zu παρέζειι „W as je tz t noch stä rk e r is t — noch n ic h t b e ­
w ä ltig t ist, κεκράτηται ·— w ird die ärztliche K u n st dan n , in Zu­
k u n ft, gew ähren.“ παρέξει w ürde m an gern im Sinne des M ediums
= zustan d e b ringen o. ä. v ersteh en oder durch παρέξεται ersetzen.
— τής εν σοφίη scii. Ιητρικής. Die ganze Stelle ist v erw irrt.
27, 21 f. Chirurgie, M edikam ente, D iä t sind die üb erall gew öhn­
lich angenom m enen H eilm ethoden des griechischen A rztes, μ ε­
τα σ χη μ α τίζει u n d μεταποιεϊν ist dieser D reiteilung ü b erg eo rd n e t:
Interpretation 93

μετα σχη μα τίζει is t Sache der C hirurgie, μεταποίεΐν der D iä t u n d


A rznei. .
27, 23 H ier sag t der V erfasser ausdrücklich, d aß seine A b­
h an d lu n g ü b er die Techne u n d ü b er das V erhältnis von τέχνη u n d
σοφίη n u r eine A usw ahl von G esichtspunkten besprochen h a t.
M it § 6 schließen die allgem einen E rö rteru n g en , u n d es b e ­
ginnen m it § 7 spezielle V orschriften fü r das V erhalten des A rztes.
D er gen it, absol. b ed e u te t n u r eine ungeschickte K lam m er, welche
die beiden sachlich m iteinander k au m in V erbindung stehenden
Teile w enigstens äußerlich verb in d en soll.
27, 25 Die A blehnung des αυστηρόν ist in diesem Z usam m en­
hänge v erständlich, in stoischer Sphäre gilt es o ft als Tugend u n d
K ennzeichen des W eisen: Stoic. v e tt. fr. 3, 66, 38 (als T ugend),
3, 162, 20 αύστηροί πάντες οί σπουδαίοι.
27, 27 φαίνονται cod.: φαίνωνται R , φαίνοντα L ittré richtig, denn
das P artizip is t wegen der sy n tak tisch en P a ra lle litä t zu λέσχη-
μονενόμενον nötig, λεσχημονενεσϋαι ist singulär, das Gewöhnliche
is t λεσχηνεύειν. Ä ndern w ird m an es n ic h t gern.
27, 28 νομίζει c. inf. = solet. 27, 29 ποιέειν im p erat. In fin itiv ,
der von je tz t ab öfter v o fjä sü n m t.— αυτέων h a t keine B eziehung
zu einem vorangegangenen W orte, m an m uß es als ganz allgem einen
A usdruck fü r die V errichtungen des A rztes ansehen. E benso ste h t
ταντα πάντα. D er A utor begnügt sich öfter m it einem P ronom en,
wo ein Nom en uns das V erständnis erleichtern w ürde.
27, 30 μετά φαντασίης „ m it Z ur-S chau-S tellung“ . — H ier ste h t
zum ersten Male die in der P aränese übliche A nrede, die von je tz t
ab den Stil der S chrift b estim m t. D er Im p e ra tiv des passivischen
P erfek ts is t in den E inzelvorschriften m ehrm als gebraucht. E r ist
in dieser Z eit anscheinend beliebt, vgl. W . Schm id, A tticism . 4, 619.
D er Im p e ra tiv des P erfekts n im m t ü b e rh a u p t in der K oinè zu,
vgl. E . M ayser 2, 1 185.
27, 32 δει is t leich t als D itto g rap h ie zu erklären u n d m it Hei-
berg zu streichen.
27, 33 Ü ber verschiedene B edeutungen des m ehrsinnigen κα­
ταστολή vgl. oben S. 77. H ier m uß m an eine noch w eiter abgeleitete
B ed eu tu n g annehm en μετά καταστολής etw a = „ e rn sth a ft, ge­
w issen h aft“ .
27, 34 προς την εύρν&μίην των χειρέων fä llt aus dem A ufzählungs­
schem a m it περί h eraus, auch der A rtikel ist auffällig, der sonst
in dieser A ufzählung fehlt. D aher d a rf m an es n ic h t in die Auf-
94 Die Schrift Περί εύαχημοσννης

zählung hineinziehen. Es u n te rb ric h t den G ang d er A ufzählung


u n d gliedert sie in zwei Teile. Zu interpungieren ist d aru m n ic h t wie
bei H eiberg vor, sondern n u r h in te r προς την εύρπ&μίην των χειρέων.
D er erste Teil n e n n t M assage, Salbung, W aschung, hei der der A rzt
a u f äußerliche Schönheit seiner T ätig k eit fach ten soll, offenbar
derselbe G edanke wie in κατ' Ιητρεϊον 2, 34, 2 Kw. εργαζόμενον
μεν ταχέως άπόνως ενπόρως ενρν&μως . . . ενρυϋμίη δέ όρ&σΰαι
ηδέως. Galens K o m m en tar zu der Stelle (18 B 720, 6 u. 722, 13 K.)
zeigt, wie w ichtig m an das n ah m . — D er zw eite Teil der A ufzählung
n e n n t H ilfsm ittel der chirurgischen B ehandlung. Die eigentliche
V orschrift w ird wie 27, 30 in einem F in alsatz gegeben, der die
p arän etisch e A nrede e n th ä lt. — τα εκ καταστάσιος „d as was zum
B ereich des E inrichten s geh ö rt“ , m eint H ilfsm ittel zum E in rich ten
von V errenkungen u n d B rüchen, κατάστασις in dieser B edeutung
findet sich Περί άγμών 2, 46, 3. 95, 5 Kw. Es ist denkbar, daß der
A utor den A usdruck aus den hippokratischen Schriften en tn im m t,
ebenso wie die E rw ähnung der E u rh y th m ie bei der B ehandlung
w ahrscheinlich eine A nspielung a u f H ippokrates bed eu tet.
28, 4 D a es sich hier u m ganz allgem ein gehaltene A ndeutungen
h an d elt, w ird m an ό έξης n ic h t speziell a u f σίδηρος beziehen oder in
όξνς ändern, sondern L ittrés Ä nderung καί τά έξης zustim m en. ·—
D er F in alsatz, der die A ufzählung abschließt, gibt n ic h t etw a n u r
den G esichtspunkt an, den m an bei den aufgezählten D ingen
b each ten m uß, sondern fü g t eine neue A ufzählung hinzu. D as ist
eine unlogische Gedankenfolge, die wir aber dem A utor wohl Z u ­
tra u e n dürfen.
28, 5 D as u n bestim m te έτέρη παρέξοδος w ird durch eine A ppo­
sition e rlä u te rt. —; επιδημία „A u fe n th a lt an einem O rte“ p a ß t
w eniger g u t in den Z usam m enhang als αποδημία·, an „E p id em ien “
lä ß t sich in dem Z usam m enhänge n atü rlich n ich t denken. D er
A rzt, der ü b er L and geht, m uß sich, da er kein ιητρεϊον h a t, m it
„einfacheren“ H ilfsm itteln oder ü b e rh a u p t ohne In stru m en te „zu
behelfen suchen“ . Das scheint m ir der Sinn von παρέξοδος zu sein.
D aß m an an ein einfacheres B esteck fü r R eisen d en k t (Liddell-
S co tt), is t doch w ohl v e rk eh rt, weil ή διά χειρέων dabeisteht. D as
In stru m e n ta riu m w urde in sp äterer Z eit im m er reicher, so daß es
einer besonderen E m pfehlung bedarf, sich fü r den N otfall w enig­
stens ohne In stru m e n te einzurichten. U nser A utor, der diesen R a t
gib t, b ek en n t, d aß „am beq u em sten “ die „m ethodische“ B eh an d ­
lung ist, „w eil der A rzt n ic h t alles au srich ten k an n “ .
Interpretation 95

§ 9 h an d e lt von der th eo retisch en K enntnis der φάρμακα. N a ­


tü rlich (εϊπερ αρα) m uß der A rzt vorher schon die L ehre über
H eilung von K ran k h eiten u n d die A rten der K ran k h eiten im
K opfe hab en . H ier erh alten wir einen E inblick in die ärztliche A us­
bildung. Sie b estan d dem nach im A usw endiglernen zu erst der
K ran k h eiten u n d danach der H eilm ittel. Alles m uß fest im G ed äch t­
nis sitzen (εύμνημόνευτα , εν νόω).
28, 10 εκάστων k an n m an als N e u tru m u n d als A d jek tiv zu
νούσων deu ten . W egen όσαχως m uß m an den S atzteil a u f die φάρμακα
beziehen. B eachtensw ert ist das R elativpronom en in in d irek ter
F rag e wie 29, 26. H ierzu K ü h n e r-G e rth 2, 439, wo dieser Ge­
b rau ch fü r die klassische Sprache geleugnet w ird ; in der K oinè
fin d et sich Ä hnliches häufiger. — D en φάρμακα als dem ü b e r­
geordneten B egriff w erden die δυνάμεις άπλαϊ u n d άναγεγραμμέναι
hinzugefügt u n d der B egriff d am it spezialisiert, δύναμις = A rznei
vgl. die W o rtü b ersich t S. 63.
28, 13 ποτήματα τέμνειν δυνάμενα is t sy n tak tisch fehlerhaft.
ποτήματα τέμνειν i s t ein b ek a n n te r A usdruck u n d m uß auch hier
zusam m engehören (vgl. z. B . P la to n , Gesetze 11, 919h τούτων
οϋν χρη φάρμακον τέμνειν *Wv νομο&έτην, ähnlich ebd. 8, 836b).
δυνάμενα m ü ß te zu ποτήματα gehören, ist aber unlogisch, denn
ποτήματα als handelndes S u b jek t des aktivischen τέμνειν ist u n ­
den k b ar. M an w ürde wegen δυνάμενα das P assiv τέμνεσϋτu setzen
m üssen. A ußerdem ste h t der ganze A usdruck ποτήματα . . . τα
γένεα ohne V erbindung m itte n im S atze. Die Ü berlieferung ist also
in zw ei P u n k te n anstößig. D a die besondere Schw ierigkeit in
δυνάμενα liegt, v erm u te ich hier die K o rru p tel. Dié heilende K o n ­
je k tu r m uß beide A nstöße beseitigen u n d w ird w öhl in δυναμένω
bestehen. D as n e u tr. p lu r. ist a u f keinen F all zu h alten . E h er w ürde
ich noch in D uldung einer nachlässigen, aber fü r die E n tsteh u n g s­
zeit d er S chrift w ohl an n eh m b aren Ausdrucksw eise δυνάμενον
zulassen, vgl. L. R aderm acher, B esonderheiten der K oinè-S y n tax ,
W iener S tudien 31, 1909, 7 (A kkusativ des P artizip s a u f einen
an d eren K asus bezogen, 2. J a h rh u n d e rt n. C hr.). Die E n tste h u n g
der K o rru p tel is t leich t durch den E influß von ποτήματα zu b e ­
greifen. (Vgl. jedoch A isch. H ik. 268 ακη τομαια καί Χυτήρια Deichgr.)
§ 9 h a tte die th eoretische K enntnis der H eilm ittel erw äh n t,
§ 1 0 g eh t a u f ihre H erstellung, die ebenfalls Sache des A rztes w ar.
Die V orschriften können n atü rlic h n u r ganz allgem ein sein, setzen
in ih re r A llgem einheit auch voraus, d aß der Leser oder H örer
96 Die Sohrift Περί ενσχημοσνρης

schon du rch die bloßen A ndeutungen genügend u n te rric h te t w ar.


V ielleicht w ird a u f die E inteilung der φάρμακα in solche κατά γένη
u n d κατά τόπους (vgl. Galen) angespielt.
§ 11 h an d e lt vom A u ftreten beim K rankenbesuch, έπήν δ'έσίης
is t gleichsam als Ü berschrift vorangestellt. D er A b sch n itt d eu tet
allgem ein an, d aß der A rzt sich b ereith alte n soll, vor dem E in ­
tre te n in die K ran k en stu b e den F all überlegt haben soll, tim schnell
helfen zu können, auch a u f G rund seiner E rfah ru n g den V erlauf
der K ra n k h eit v orherbestim m en soll. § 12 g eht dann a u f E inzel­
h eiten ein, die der A rzt u m seines Ansehens u n d seiner A u to ritä t
w illen beim Besuche selbst zu b ea ch ten habe.
28, 19 ϊσϋ·η cod.: ϊσ&ι, vgl. K ü h n er-G erth 1, 38 A nm . 3. Ic h
m öchte ϊϋι vorziehen: D er A rzt soll „ a u f dem W ege“ überlegen,
was zu tu n sein wird. L ittré h a t δέ getilgt, weil ih n δέ im H a u p t­
satz n ach einem k onditionalen V ordersatz stö rte. M an k an n es
zulassen, vgl. oben S. 79 zu 26, 11 u n d zu der d o rt ang efü h rten
L ite ra tu r noch J . D. D enniston T he G reek P articles, O xford 1934,
-181; W . Schm id, A tticism . 1, 183; 3, 333. — ποιησόμενον die m e­
diale F u tu rfo rm in passiver F u n k tio n ist fü r die sp äte S prache b e ­
zeichnend. In den P a p y ri der P tolem äerzeit k o m m t sie k au m
v or, auch bei Polybios noch n ich t, vgl. E . M ayser 2, 1 122,
häufiger bei den A ttizisten , vgl. W . Schm id, A tticism . 1, 239; 2,
50; 4, 617.
28, 21 προδιαστέλλεσϋαι s t a t t des üb erlieferten προσδιαατέλ-
λεσϋαι ist sicher richtig. ·— οΰν h a t hier n u r die F u n k tio n des A n­
schlusses, denn an eine enge logische V erbindung m it dem V oran­
gegangenen ist n ic h t zu denken.
28, 23 είσοδος — K rankenbesuch, H ipp. E pid. 6, 4, 7 ; Galen
16, 523 K . — καϋ·έδρη καί καταστολή geht a u f die G em essenheit der
B ewegungen. Suidas e rk lä rt καϋέδρα als έπίσχεσις u n d m it σχολή
v erb in d e t es P lu t. Camill. 28, 2. — περιστολή is t gleichbedeutend
m it καταστολή u n d περιβολή, es b ed e u te t die K leidung, dan n auch
Schm uck derselben, A nstand, W ürde.
28, 24 άνακυρίωσις is t w ohl άνακνρωσις zu lesen (vgl. oben
S. 66) u n d als v erstä rk tes κύρωσις zu verstehen, προσεδρίη „ G e ­
w issenhaftigkeit, F leiß“ , eine B edeutung, die vor allem der K oinè
eigentüm lich ist, vgl. L iddell-S cott.
28, 26 ευστάϋ-εια, εύστα&ής u . ä., ein Begriif, der auch sonst in
stoischer Sphäre vorkom m t, z. B. häufig bei E p ik te t. Ü ber das
W o rt als solches vgl. P h ry n ich . ed. Lobeck p . 282.
Interpretation 97

28, 27f. M eyer-Steineg in L ietzm anns K l. T ex t. f. Yorl. u. Ü bgn.


120, B onn 1913, 22 e rk lä rt die Stelle so: „B ei seinen M aßnahm en
soll der A rzt die von ihm z u e r s t g e t r o f f e n e V e r o r d n u n g im
G edächtnis hab en. H a t e r d i e s a b e r n i c h t m e h r , so soll er doch
b e i d e m Ü b r i g e n , was er v o r s c h r i f t s m ä ß i g zur H ü l f e -
l e i s t u n g an o rd n et, u n e r s c h ü t t e r l i c h sein.“ Die von m ir herau s­
gehobenen W ö rter u n d Begriffe sind fü r das V erständnis der Stelle
entscheidend. Sie lassen alle auch eine andere D eutung zu. So
b leib t vieles unsicher. R ichtig scheint jedenfalls zu sein, d aß m an
τα κατ’ άλλα als A k k usativ der B eziehung v ersteh t.
28, 30 „M ache häufig V isite.“ D er folgende Satz ist w ohl zu
lesen: επισκέπτεο επιμελέατερον τοισιν άπαντωμένοισι κατά τάς
μεταβολάς απάντων, άπατωμένοισι ist ü berliefert u n d w ird von
H eiberg im T ex t belassen. Es is t aber n ic h t re ch t verständlich,
wie in diesem Z usam m enhang von Täuschung die Rede sein soll.
Besser p a ß t άπαντω μένοισ ι „w as sich ereignet“ , also die F o rt­
sch ritte der K ra n k h eit oder Genesung. D as M edium in dieser
B edeutung is t allerdings ungew öhnlich, m an w ird es in der E n t­
stehungszeit der S chrift aber zulassen, vgl. oben S. 35 zu 31, 27. —
μεταβολαί sind Teile άοΦ§βπαντώμενα, λ vas fü r die genannte K o n ­
je k tu r spricht. ·— απάντων ist überliefert, sow eit m an hier von
Ü berlieferungscharakter sprechen kan n . E s h a t im Zusam m enhang
der K o n jek tu r g uten S inn: m an m uß das F o rtsch re ite n der B e­
h an d lu n g im H inblick a u f die V eränderungen a l l e r Sym ptom e
b eo bachten. I
28, 31 „D enn du w irst leichter E rfahrungen m achen u n d zu­
gleich die B ehandlung leichter durchführen können.“ F ü r diese
B eh au p tu n g folgt eine m edizinische B egründung. „D enn u n b e­
stän d ig ist τά έν νγροϊσι u n d deswegen auch durch N a tu r u n d Zufall
leich t dem W echsel ausgesetzt. W enn m an dies in dem A ugenblick,
der fü r das Eingreifen des A rztes günstig ist, vernachlässigt, n im m t
es u n v e rm u te t zu u n d fü h r t zum Tode, weil keine Hilfe d a w ar.
D enn es g ib t vieles zugleich, was eine V erschlim m erung herbei­
fü h ren k an n . D as einzelne sekundäre S ym ptom ist leichter in
O rdnung zu bringen u n d leichter zu erkennen.“ το καϋ' εν scheint
G egensatz zu πολλά άμα, κατ’’ επακολούϋησιν G egensatz zu τά
ποιέοντά τι χαλεπόν zu sein. — „καϋ·' εν scheint m ir nichts w eiter zu
sein als „v erb esserte“ D ittographie zu κατ’ έπακ.; το κατ' επακο-
λούϋησιν ste h t im G egensatz zu τά ποιέοντά τι χαλεπόν. Mir scheint
stoischer E influß auch hier g reifb ar.“ D eichgräber. — Dieser In h a lt
7
98 Die Schrift Περί εύσχημοιιννης

des A b sch n itts b e stä tig t die L esart άπαντωμένοισι. A ußerdem er­
k e n n t m an, daß m it τα εν ύγροΐσι offenbar eine bestim m te K o n ­
stitu tio n des P a tie n te n gem eint ist, etw a die, der viel υγρόν oder
P hlegm a eigen ist, die ly m p h atisch e K o n stitu tio n . M an kö n n te
vielleicht auch an den βίος υγρός, das durch L uxus v erzärtelte
Leben denken. E rst in § 14 w ird von den F ehlern der K ran k en
u n d der T äuschung gesprochen. Solche F ehler w erden z. B. H ipp,
p ro rrh . II , 3 (9, 10 L.) u. 4 (9, 14 L.) erw äh n t.
29, 3 Die E rgänzung von πολλοί (L ittré nach R ) em pfiehlt
sich, u m ein S u b jek t des Satzes zu erhalten, u n b ed in g t n ö tig ist
sie n ich t.
29, 4 έπειτα m it H eiberg gegen die Ü berlieferung επί τά zu
lesen, oder auch έπεί [τά], — διεψενσαντο : das M edium im Sinne
des A ktivs, w enn n ic h t auch eine A rt S elbsttäuschung gem eint ist.
29, 8 τά περί άνακλίσεων = τάς άνακλίσεις, die B eziehung ste h t
s ta tt des d irek ten A usdrucks, wie es für die späte Sprache bezeich­
nend ist. — ä μεν αύτέων geht a u f die B etten , öl μεν αντέων a u f die
K ran k en , die n ic h t g enannt w erden. A uch hier ersetzt das Pronom en
ein Nom en, welches n ich t g enannt w ar, vgl. oben S. 93 zu 27, 29.
29, 9 προς τά γενεά m uß sich a u f die A rten der K ran k h eiten
beziehen, w enn es auch n ic h t ausdrücklich gesagt w ird. D er F a c h ­
m ann k o n n te diese bloße A ndeutung n ic h t m ißverstehen u n d
γένεα etw a a u f die A rt des K rankenlagers beziehen. In der Διάγνωσις
περί των οξέων καί χρονίων νοσημάτων R hein. Mus. 58, 1903 w erden
fa st zu jeder A rt der K ra n k h e it V orschriften über den O rt des
K rankenlagers gegeben, z. B. 71, 10 τους δε φρενετικονς πρώτον
μεν κατακλιτέον έν τάπα) φωτεινφ; 74, 19 τους δε ληταργικονς κατα-
κλιτέον èv τόπω εύμεγεϋει μήτε λαμπρφ μήτε ζοψώδει usw. — πόνους
ist u n v erstän d lich . D a der G egensatz καταγείονς και σκεπινούς ist,
au ß erd em in den ang efü h rten V orschriften fü r den R aum des
K rankenlagers die F rage der B eleuchtung eine Rolle spielt, ist es
leicht, πολιονς = hell herzustellen.
29, 10 D as überlieferte σκεπινούς b ra u c h t n ic h t m it R , L ittré
in σκοτεινούς g eänd ert zu w erden, vgl. Archigenes bei O ribas. 46, 25
(CMG V I 2, 1: 235, 27) κατάκλιαις δέ και θεραπεία εν σκεπινφ τόπω,
άκάπνω, άνόσμω, wo R aeder σκεπηνφ in den T e x t setzt, obw ohl U =
L au ren t. 7 4 ,7 saec. IX /X σκεπινφ h a t, genau wie hier der M arcianus.
M an h a t die A usw ahl zwischen drei F o rm en : σκεπινός, k o m m t n u r
in der handschriftlichen Ü berlieferung der T exte vor. σκεπεινός
b ei H esych ενδιον δν ήμείς σκεπεινόν τόπον u n d Suidas σκεπεινός
Interpretation 99

τόπος. Bei H esych findet sich außerdem υπήνεμους' σκεπηνούς,


E ty m . M. s. v. άμφίδνμοι bezeugt die F orm m it et. Gesprochen
w urden alle F orm en gleich, u n d es is t d aher fraglich, ob von einem
w irklichen Ü berlieferungsw ert in orthographischer H in sich t die
R ede sein k an n . Ic h w ürde d ah er die überlieferte F orm im T e x t
b eh alten , da sie an der zitierten Stelle des O ribasius ebenfalls
in einer alten H s. ste h t u n d aus rein gram m atischen G ründen ihre
E x isten z n ic h t b e stritte n w erden kan n . — Zu καταγείονς vgl.
A ntyllos bei O ribas. 9, 13 (CMG V I 1, 2: 14, 21) τοΐς μεν όξέως
νοσονσιν oi κατάγειοι των οϊκων επιτήδειοι.
29, 11 χειριατοτέρη cod. : χειρότερη R , H eiberg, vgl. K ühner-
B laß 1, 566, wo A nm . 3 diese Stelle z itie rt u n d die K o n jek tu r
χειριστή em pfohlen w ird. E s ist n ic h t nötig, den S uperlativ, den
m an vielleicht erw arte t, einzusetzen, vgl. K ü h n er-G erth 1, 22, 3.
A uch die vom S uperlativ gebildete K o m p arativ fo rm w ird m an a n ­
erkennen m üssen, vgl. K ühner-B laß 1, 573,4. D erartige dem A tti­
schen gegenüber anom alische K om parationsform en scheinen ioni­
sches E rb g u t zu sein (vgl. auch oben S. 33 zu ελαχίστως 31, 3).
29, 15 D as Μβάίη^Αοποτρεπόμενον m uß als G egensatz zu
παρακελενοντα ak tiv isch v ersta n d en w erden. D as M edium s t a t t des
A k tivs fan d sich schon m ehrm als in der S chrift. — σφέτερα als
possessives A d jek tiv ist im Zusam m enhang n ic h t zu verstehen,
m an w ird ετερα schreiben m üssen. Oder εφ” ετερα ? — Man m öchte
m it R άμα μεν . . . &(μα) δε . . . oder besser durch ein <2[/ia] μεν . . .
ä Sé die P a ra lle litä t der korrespondierenden Glieder herstellen.
Die chiastische Stellung der einander entsprechenden Begriffe
παράκελεύειν . . . άποτρέπεσϋαι ·— επιπλήσσειν . . . πάραμυ&έεσ'&αι zeigt,
d aß παρακελενοντα . . . άποτρεπόμενον durch ein „einerseits — an d e rer­
seits“ w iederaufgenom m en w ird, was fü r ä μεν . . . ä δε sp rich t.
29, 16 μετ' εντάσεων: Ü ber den P lu ral von A b stra k te n vgl.
K ü h n er-G erth 1, 17. In der Koinè n im m t der G ebrauch zu, vgl.
K . D ü rr, Sprachl. U nters, z. z. D ialexeis d. M axim us v. T y ru s,
P hilol. Suppl. 8, 1900, 16.
29, 17 τά έπεσόμενα ή ενεστώτα bezeichnet den schlim m en A us­
gang, von ihm soll der A rzt n ic h t sprechen. In § 11 w ar em pfohlen
w orden, zu sagen, „w as ein tre te n w ird“ , dies e rfä h rt n u n die
notw endige E in sc h rä n k u n g .
29, 18 εφ’ ετερα άπεοοσ&ησαν k a n n n u r b edeuten, d a ß die K ra n ­
k en sich einem anderen A rzte oder einer anderen B ehandlungs­
weise zuw enden, weil sie zu dem alten A rzte kein V ertrauen h ab en .
■7 *
100 Die Schrift Περί ενσχημοσννης

29, 20 Die U m schreibung des Im p erativ s durch έστω m it


P artizip schien h ier wohl wegen der S eltenheit einer F orm έφε-
στάτω geboten. Auffällig ist der A rtikel im P rä d ik a t. ·— „E in e r
v o n den L ehrlingen soll der A ufseher sein, d am it der K ranke die
V erordnungen n ic h t ungern anw endet {χ^ήσηται seil, d νόσων)
u n d die vorgeschriebene B ehandlung ihre W irkung tu n k a n n .“
D ieser Schüler, der als K ran k en w ä rter dient, soll schon in die
K u n st eingew eiht sein; ihm soll (an H eilm itteln) m itgegeben w er­
den von dem , was gerade n ü tzlich ist u n d (s ta tt η ist w ohl besser
καί oder τά zu lesen) ohne G efahr eingegeben w erden kan n , „ d a m it
in den Zw ischenzeiten (wo der A rzt n ic h t anw esend sein kann)
n ich ts ohne dein W issen geschieht“ .
29, 24 διδούς k ö n n te n u r als Zeichen nachlässiger A usdrucks­
weise e rk lä rt w erden. M an ä n d e rt lieber in διδως (H eiberg zweifelnd)
oder δίδον.
29, 25 Ü ber εί δε μ η n ach negativem Satz s ta tt eines logisch
rich tig en εί δέ vgl. K ü h n e r-G e rth 2, 486, 6; B laß-D ehrunner G,
1931, 280. ·— εί δε μ η k o m m t in der ganzen S chrift n u r elliptisch
v o r u n d is t ganz zur P a rtik e l e rs ta rrt. — τον ‘ψόγου w ird in h altlich
noch in den Satz το κακώς πρηχ&εν εϊς σε χωρήσει gehören, obwohl
ich keine einleuchtende sy n tak tisch e E rk läru n g d afü r habe. Das
Folgende ist von H eiberg als k o rru p t bezeichnet. Ic h versuche
n u r: εαν <δέ> — εξ ών (das R elativ u m in in d irek ter F rage wie
28, 10).
29, 26 καί in nachlässiger Sprache vor den H a u p tsa tz eingefügt,
w odurch der E in d ru ck anakoluthischer Satzfügung e n tste h t, vgl.
L. R aderm acher, B esonderheiten d er K oinè-S yntax, W iener S tu ­
dien 31, 1910, 10 — περιάψειεν <dv> seil, ό νόσων oder ό έφεστώς,
w enn es n ich t ganz allgem ein gesagt ist. Ü ber die E infügung des
äv vgl. oben S. 75 zu 25, 17. ·— M it diesen E rk läru n g en u n d
Ä nderungen lä ß t sich der S atz vielleicht verstehen, w enn m an auch
zugeben w ird, daß er n ic h t ganz k o rre k t ist. „W enn er aber n ic h t
im Zweifel ist, w oher die B ehandlung gelingen w ird, d ü rfte er dir
n ic h t den T adel anhängen, sondern es w ird dem F all entsprechend
gem acht sein“ , προς τό γένος bezeichnet w ahrscheinlich den all­
gem einen B efund, individuelle B esonderheiten erfordern n atü rlich
persönliche A nw esenheit des A rztes. D er Schüler m uß w enigstens
ü b er die allgem einen P rinzipien der B ehandlung Bescheid wissen.
D ieser Sinn w ird von dem folgenden Satze vorausgesetzt, der m it
ο'δν folgernd anschließt.
Der „stoische“ Charakter der Schrift 101

29, 28 οϊς το έπεγνώσ&αι πρόκειται bezeichnet die A ufseher, sie


sollen „b ei dem was getan w ird“ — der A rzt w ird n atü rlic h die
ersten V erordnungen selbst d u rchführen — ü b er den Sinn der B e­
h an d lu n g u n te rric h te t w erden. D en Laien soll ja n ichts überlassen
w erden (29, 24). επεγνώσ'&αι m uß dan n w iederum M edium im
ak tiv isch en Sinn sein.
In dem kurzen S chlußabsatz w erden w ieder ίητρική u n d σοφίη
nebeneinandergestellt. D am it ist deutlich, daß die ganze S chrift
tro tz der inh altlichen u n d auch stilistischen U nterschiede des
allgem einen u n d speziellen Teiles als E in h eit gedacht ist. Die E r ­
w ähn un g der „ a n d ere n “ T echnai an dieser Stelle ist m erkw ürdig,
da ein großer Teil der ausgesprochenen G edanken n u r au f die H eil­
k u n st zu trifft. M an k an n auch darau s entnehm en, daß der A utor
von irgendeiner A bhandlung ü b er andere T echnai ausgeht.
29, 32 έτέρην k a n n wohl n u r σοφίη u n d Ιητρική bezeichnen.
29, 34 δοξαστοί προς γονέων καί τέκνων erin n e rt an die S chluß­
form el des H ipp ok ratischen Eides (L ittré 1, 414). — πάντα s ta tt
des überlieferten πολλά w äre verständlicher.
*■ >
Jk
D e r „ s to is c h e i“ C h a r a k t e r d e r S c h r i f t

In der In te rp re ta tio n ergab sich m it einiger Sicherheit, daß der


A u to r von stoischen G edankengängen ausgeht. · Die F rage, ob
stoisches oder epikureisches G edankengut vorliegt, ist, wie oben
hervorgehoben w urde, streng zu entscheideii n u r bei genauen
P arallelstellen. Schon die S chulhäupter n ä h e rte n sich vielfach in
E inzelheiten. Noch m ehr m uß das der F all sein; w enn ein S ch rift­
steller keine w issenschaftliche A bhandlung schreibt, sondern in
bew u ß tem E klektizism us oder unb ew u ß ter A nlehnung an eine A rt
P opularphilosophie die U nterschiede der a b stra k te n Schultheorie
z u rü ck treten lä ß t. So e rk lä rt es sich, daß m an die S chrift Περί
εύσχημοσύνης auch als epikureisch zu deuten versuchte. ■ — W ie ist
dem nach die A nnahm e einer „stoischen“ H a ltu n g des Verfassers
b eg rü n d et ?
W ichtig ist, d aß in § 5 d er G edanke, daß der W eise in allen
L ebenslagen der Überlegene ist, als G rundlage der A rgum entation
erk en n b ar ist. Die W eisheit, die dem ίητρός φιλόσοφος zugeschrieben
w ird, is t ganz offehsichtlich n ic h t von dem Begriffe des tü ch tig en
A rztes hergenom m en, sondern e rst a u f ihn ü b ertragen. W enn der
A u to r tro tzd em n ich t von dem B egriff des W eisen ausgeht, sondern
102 Die Schrift Περί εύσχημοαύνης

Von der Techne, so liegt d arin eine U m kehrung des von d er P h ilo ­
sophie form ulierten G edankens, die aber in der In te rp re ta tio n
als vom A utor b eab sichtigt e rk a n n t w urde u n d auch sonst n ac h ­
gewiesen Werden kan n. H ier m uß n u n der in der In te rp re ta tio n
(S. 90) n u r an d eu ten d gegebene Hinweis a u f B iogenes von B abylon
k u rz beg rü n d et w erden.
Von den G edanken, die aus P hilodem in Arnim s Sam m lung der
S toikerfragm ente fü r Diogenes in A nspruch genom m en w erden,
lassen sich die folgenden m it Περί εύσχημοαύνης vergleichen.
fr, 88 {Περί μουσικής) ον μ α κ ρ ά ν ά π η ρ τ η μ έ ν η ν τ ή ς φ ιλ ο ­
σ ο φ ία ς τω πρός πλεϊστα ε π ί τ ο ϋ β ίο υ χ ρ η σ ιμ ε ύ ε ιν την μουσικήν
καί την περί αυτήν φιλοτεχνίαν οίκείως διατιθέναι προς πλείονς ά ρ ε τά ς ,
μάλλον δε πρός π ά σ α ς.
H ier t r i t t der G edanke des χρήσιμον auf, es w ird a u f die B e­
ziehung zwischen μουσική u n d φιλοσοφία hingewiesen, u n d es w erden
schließlich die T ugenden erw äh n t, die du rch die φιλοτεχνία gefördert
w erden.
fr. 86 ü b er das V erhältnis von Musik u n d G ötter V erehrung ist
n atü rlich viel spezieller als περί -θειον ειδησις in Περί εύσχημοαύνης ,
denn hier m u ß te Diogenes von der religiösen T o n k u n st sprechen.
A ber der G edanke, daß eine Techne auch zum θειον B eziehungen
h a t, is t beiden gem einsam , u n d in Περί εύσχημοαύνης w ar deutlich,
d aß diese B eziéhung zur G ötterlehre w ahrscheinlich n ic h t aus
G edanken der ärztlichen K u n st stam m t. Es m uß also angenom m en
w erden, d aß der Verfasser von Περί εύσχημοαύνης sich a n eine ge­
gebene T opik angeschlossen h a t, die wir auch in der S chrift des
Diogenes v erm u ten können. M an vergleiche noch fr. 82: έχειν δέ
τ ι καί π ρ ό ς φ ιλ ία ν οίκείον, πρός έρωτα κτλ. m it Π . εύσχ. 27, 10.
A uch d o rt w ird τα πρός φιλίην als zur W eisheit des ίητρός φιλόσοφος
gehörend g en an n t, und die In te rp re ta tio n wies zur V erdeutlichung
a u f den bei Stobaeus erh alten en A briß der stoischen E th ik hin.
N ach diesen H inweisen a u f die S chrift Περί μουσικής gebe ich
noch einige Stellen aus Περί ρητορικής des Diogenes.
fr. 95 αμα μεν επαγγέλλονται πολιτικούς ποιήσειν καί χρησίμους
τή πόλει καί τοϊς φίλοις, αμα δέ απολογούνται περί τής τέχνης ως
ούκ ούσης φαύλης άλλα των χρωμένων αυτή φαύλως . . .
D er G egensatz zwischen g ü ten u n d schlechten V e rtretern einer
T echne spielt n atü rlich in allen E rö rteru n g en über T echne eine
Rolle. Ic h brau che n u r den H ippokratischen Nomos oder Περί
άρχαίης ίητρικής (CMG I I 36, 9 ff. 41, 25 ff.) zu nennen. E ine spe-
Der „stoische“ Charakter der Schrift 103

ziellere Ü bereinstim m ung zwischen Diogenes lind Περί εναχημο-


σύνης liegt in dem Vorw urf, daß durch die schlechten V e rtreter
die Ju g en d v erfü h rt werde. F ü r die M usik e n th ä lt fr. 76 des D io ­
genes diesen G edanken: ονδε τούς νέους τοϊς μέλεσι διαφ&είροντας
παρέδειξεν . . . άλλα τοϊς διανοήμασιν. Auch dies w ar also eine A rt
T opos bei der B esprechung einer Techne.
fr. 99 e n th ä lt den schon erw ähnten G edanken, daß der W eise
allein der beste V ertreter einer Techne ist, w elcher fü r das V er­
ständnis von § 5 herangezogen w urde: ρήτορα καί μόνον είναι
τον σοφόν.
fr. Ι 97 erw äh n t die οικεία φύσις als B edingung eines gu ten
R hetors, was m it der E rw ähnung der φύσις u n d des άδίδακτόν
in Περί εύσχημοσύνης verglichen w erden kann.
W eitere Beispiele habe ich aus den F ragm en ten des Diogenes ’
n ic h t herausgezogen. D er fragm entarische C h arakter dieser Ü ber­
lieferung w ürde auch keine w eiteren Schlüsse erlauben. U nd au f
die Person des Diogenes lege ich in diesem Zusam m enhänge keinen
W ert. W as ich zeigen wollte, ist, daß ein Stoiker fü r zwei ihm
besonders naheliegende τέχναι ih r V erhältnis zur φιλοσοφία u n d zum
σοφός d arg estellt h a t. Mehr k o n n ten wir auch fü r Περί εύσχημοσύνης
n ic h t feststellen. A ußerdem w urde deutlich, daß bei derartigen
A bhandlungen ü b er eine Techne offenbar eine bestim m te Topik
g alt, die jeweils den speziellen F ragen der betreffenden Techne
an g ep aß t w erden kon nte. — D er größere Zusam m enhang, dem wir
die S chrift Περί εύσχημοσύνης einordnen können, ist also eine
stoische Popularphilosophie, welche von dem, a b stra k te n Id eal
des σοφός ausgebt u n d seine V erw irklichung in ko nkreten V e rh ält­
nissen des Lebens als ρήτωρ, μουσικός, ιατρός usw. b e tra c h te t.
Besonders in teressan t ist in diesem Z usam m enhang, d aß fr. 88
des Diogenes von der gleichen U m kehrung des V erhältnisses von
φιλοσοφία un d τέχνη ausgeht, die wir in Περί εύσχημοσύνης finden.
Die a b stra k te n G rundgedanken der alten S toa lieferten den S p ä­
tere n die A usgangspunkte, von denen aus sie das konkrete Leben
zu durchdringen suchten. D am it h ä n g t zusam m en, daß die Stoa
auch die isagogische L ite ra tu r beeinflußt h a t, wie E . N orden
(H erm es 40, 1905, 515) aus der T opik der Isagoge erschlossen h a tte .
Die beiden S chriften des Diogenes gehören sicher n ich t zur isa-
gogischen L itera tu r, verw erten aber solche G edanken, die auch
in der Isagoge Vorkommen (vgl. noch fr. 90 ü b er die E n tsteh u n g
der M usik).
104 Die Schrift Περί εΰαχημοσύνης

D as E rgebnis dieser B esprechung m öchte ich so zusam m en­


fassen. Selbst w enn w ir dem V erfasser der S chrift Περί ενσχημο-
σύνης keine A nlehnung an eine philosophische Schultheorie Z u ­
tra u e n , so h ab en wir doch das R echt, seine von der Philosophie
b eeinflußten G edanken a u f stoischen U rsprung zurückzuführen.
D aß w ir ihn n ic h t gu t als A nhänger der epikureischen Schule v o r­
stellen können, w urde in der In te rp re ta tio n hervorgehoben.
E rw äh n en m öchte ich noch, d aß der stoische C harakter der
S ch rift schon frü h er b e h a u p te t w orden ist. Aus dem Briefwechsel
von J . J . R eiske is t in der von seiner G a ttin herausgegehenen
L ebensbeschreihung68) ein B rief von B ernard ahgedruckt, der
diese V erm utung aussp richt.69) B ern ard b eg rü n d et seine V erm utung
durch den Hinweis a u f die Begriffe άδίδακτον, οϊησις, εϊδησις των
προς βίον χρηστών καί αναγκαίων u . a., die aber alle eigentlich n ic h t
fü r sich allein bew eisend sind, sondern n u r den Einfluß der helle­
n istischen Philosophie a u f die G edanken des A utors bezeugen.
A uf die von m ir in den V ordergrund gerückten Stellen ist er sonder­
barerw eise n ic h t eingegangen. Seine Schlußfolgerung is t: Suspicor
huius lib ri au cto rem esse philosophum Stoicum a u t m edicum
Stoicorum dogm atibus probe im b u tu m , ein Satz, der in älterer
L ite ra tu r noch einige Male zitiert w ird 5960) u n d dann in Vergessen­
h e it gerät, offenbar, weil die A rgum ente B ernards n ich t ausreichend
zu sein schienen.
F ü r die D atieru ng der S chrift g ib t die ausgesprochene A uf­
fassung ih rer allgem einen G edanken n u r einen un b estim m ten H in ­
weis. W ir können der In te rp re ta tio n eine B estätigung der S p ä t­
d atieru n g entnehm en, ohne doch eine B egrenzung derselben a u f ein
bestim m tes J a h rh u n d e rt b estim m t bew eisen zu können. Man m ag
d a ra u f hinweisen, daß in der pneum atischen Schule stoische Ge­
dan k en lebendig w aren. D er Hinweis a u f Galens Skizze zeigt aber
auch, d aß der G edanke, der beste A rzt m ü ßte Philosoph sein,

59) D. Joh. Ja. Reiskens von ihm selbst aufgesetzte Lebensbeschreibung,


Leipzig 1783, 263f.
69) Reiskes Antwort in Joh. Jak. Reiskes Briefe hrsg. v. Rieh. Foerster,
16. Bd. d. Abh. d. Königl. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch., Leipzig 1897, 217 :
Librum περί εύσχημοσύνης numquam, legi. Coniecturae tamen Tuae doctae et
ingeniosae de auctore eius Stoico homine, argumentisque a Te prolatis libenter
subscribo.
60) Jo. Alb. Fabricius Bibliotheca Graeca, ed. 4 a curante G. C. Harles,
Voi. 2, Hamburg! 1791 p. 592. — Hippocratis Coi Opera ed. J. F. Pierei’, Alten-
burgi 1806 tom. 1 p. 49. — Littré I 414.
Περί εύσχημοσννης und Παραγγελίαι 105

au ch ohne einen d irekten S chulzusam m enhang m it der stoischen


L ehre gefaßt w erden kon n te, w enn uuch bei seiner näh eren A us­
fü h ru n g u n b eab sich tig t stoische G edanken sich eindrängten. Z u­
gleich geht aus der kleinen S chrift Galene hervor, daß er die Schrift
Περί εύσχημοσννης n ich t als hip p o k ratisch e S chrift g ek an n t h a t.
D enn er w ürde sie sonst zweifellos g en an n t haben, da sie m it
einigen seiner B ehau ptungen g u t in E inklang gebracht w erden
k o n n te. Ebensow enig ließ sich bew eisen, d aß der V erfasser von
Περί εύσχημοσννης Galen g ek a n n t h ab e .

D as V e rh ä ltn is v o n Περί εύσχημοσννης u n d Π α ρα γγ ελί αι .

D aß der Verfasser der P arangelien die S chrift 77. εύσχημοσννης


in seiner H ip p o k ratesim itatio n b e n u tz t h abe, w äre schon durch
die S p ätd atieru n g von Περί εύσχημοσννης unw ahrscheinlich. A ber
auch die von Bensel in der Vergleichung beider S chriften fe s t­
gestellten Ä hnlichkeiten sind so allgem ein, daß sie n ich ts beweisen,
am w enigsten eine A bhängigkeit der P arangelien von Περί εύσχη­
μοσννης. Sie sind überdies a n Z ahl noch geringer als die „Ü b erein ­
stim m ungen“ zw ischeneh g ay y sA tai und Περί ίητρον. Ü ber die A n­
nahm e einer epikureisierenden T endenz in 77. εύσχημοσννης ist
schon gesprochen w orden. A uch die an sich naheliegende V erm u­
tu n g , daß Παραγγελίαι u n d 77. εύσχημοσννης von dem selben V er­
fasser stam m en, ist schon zurückgew iesen w orden. Zu den in der
In te rp re ta tio n h ierfür gegebenen Hinw eisen lä ß t sich noch fol­
gendes ergänzen. Die P arangelien zeigen an einigen Stellen d e u t­
lich, daß ih r V erfasser sich in W ortschatz u n d Form ulierung an
hippokratische Schriften anschließt. E in gleichartiges V erw enden
h ip p o kratischer Floskeln lä ß t sich fü r 77. εύσχ. n ic h t feststellen.
D aß ih r Verfasser das große V orbild vor Augen h a tte , w äre schon
an sich selbstverständlich, k an n aber auch daraus geschlossen
w erden, daß er im S chlußsatz a u f den E id anspielt, (άτεχνίης σημεϊόν
εστιν 26, 21 kö n nte an Νόμος 8,13 σημαίνει u n d άτεχνίην erinnern,
das gleiche k an n bei der B etonung der φύσις 26, 7 der F all sein,
vgl. hierzu aber oben S. 46.) Jedenfalls ist die H altu n g der Schrift
77. εύσχ. eine andere als die der Παραγγ. — Z ur B estätigung der aus
d er H äufigkeit des P otentialis erschlossenen subjektiven H a ltu n g
des Verfassers der P arangelien noch eine kleine A nm erkung : D er
A usdruck der N otw endigkeit findet sich in den P arangelien 5 m al
m it δει ausgedrückt, in Περί εύσχημοσννης ste h t 9 m al χρή, das in
106 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

Παραγγελ. gar n ic h t vorkom m t, u n d 4 m al δει (davon lm a l in


K o n jek tu r 27, 1). Die isagogische Schrift Περί ίητρον e n th ä lt 16m al
δέί u n d l i m a i χρή. D er Vergleich der drei S chriften ist deswegen
e rla u b t, weil sie parän etisch en C h arak ter h ab en u n d gleich lang
sind. — Obwohl es nach dem G esägten als überflüssig erscheinen
k ö n n te, gebe ich noch einiges statistisches M aterial, u m eindeutig
festzustellen, daß Π. εύσχημοσύνης u n d Παραγγελίαι n ich t von
dem gleichen V erfasser stam m en. Es ist b ek a n n t, daß der P a r­
tikelgebrauch, der sich dem B ew ußtsein u n d d am it der S ti­
lisierung leich ter en tzieh t, zu solchen B eobachtungen besonders
geeignet ist.
δτι — daß P aran g . 4 m al — de dee. h ab . n ic h t (ή δτι 25,5k o rru p t)
διό ,, 5 m al — „ n ich t
γέ ,, 5 m al — ,, 2 m al
καί γάρ ,, 1 m al ·— ,, neben dem ähnlichen re
γάρ häufig, vgl. oben zu
25, 15.

M an erk e n n t schon a n diesen wenigen Beispielen den U nterschied,


u n d m an w ird beide S chriften n ich t dem selben A utor zuschreiben.
D a in dieser U n tersuchung öfter von dem parän etisch en C ha­
ra k te r der S chriften Π . εύσχ. u n d Παραγγ. gesprochen w ürde, a u f
den B ensel aufm erksam gem acht h a t, will ich noch ih r V erhältnis
zu r isagogischen L ite ra tu r besprechen. G em einsam ist beiden
S chriften, daß sie allgem eine F ragen der Techne m it E inzel­
v o rsch riften verbinden. Diese E inzelvorschriften sind in Περί
εύσχημοσύνης der F ach ausbildung n äh e r als in Παραγγελίαι. Sie
e n th a lte n allerdings n u r allgem eine Hinweise u n d verw eisen ge­
rad ezu a u f ausführliche K en n tn is der E inzelheiten. 28, 3 τα προς
τα γένεα, 10 περί έκαστων , 12 προς τ.άς έκαστων χρήσιας, 13 προς
τά γένεα, 15 από τόπων των καθηκόντων, § 15 im ganzen. A uch in
Περί ίητρον folgt a u f die allgem eine Schilderung des idealen A rztes
die E rö rteru n g der F achausbildung u n te r m ehrfacher Verweisung
a u f Spezialschriften. A ußerdem e n th ä lt Περί εύσχημοσύνης einige
G edanken, die der isagogischen T opik nahestehen (W ert u n d U n­
w e rt der Techne, g u ter u n d schlechter A rzt, der ideale A rzt, V er­
h ältn is vo n N atu ran lag e u n d A usbildung, V erhältnis der ärztlichen
K u n st zur Philosophie u n d zu anderen L ebensgebieten). In den
P arangelien findet sich von einer V erw an d tsch aft m it dieser Topik
so g u t wie nichts. Ih r p a rä n e tisc h e r C harakter is t auch in dieser
Περί εναχημοσύνης und Παραγγέλίαι 107

H insicht su b jek tiv u n d individuell. A ber auch Π. ενσχημοσύνης


w erden wir n ic h t als Isagoge bezeichnen können, w enn w ir auch
ih re V erw an dtsch aft m it dieser L ite ra tu r zur C harakterisierung
heranziehen ko n n ten . — Die E inzelvorschriften im zw eiten Teil
sind so allgem ein, daß sie w irklicher B elehrung n ich t dienen
k o n n ten , vielm ehr setzen sie genauere K enntnis von E inzelheiten
schon voraus. W ie ist dann aber das V orkom m en isagogischer
T opoi zu erklären ?
Die Schrift gib t sich am A nfang als D ialexis zu erkennen.
Dieses Selbstzeugnis w erden w ir e rn st nehm en können, u n d es
e rk lä rt auch die Topik. W er ü b er eine Techne einen V ortrag h a lte n
w ollte, hielt sich am besten an solche Topoi, wie sie in der ausge­
b re ite te n isagogischen L ite ra tu r Vorlagen. Als Beispiel m öchte ich
eine Sophistenrede anführen, die ebenfalls die isagogische Topik
v erw ertet. E . N orden h a t in der m ehrm als angeführten A b h an d ­
lung ü b er Die Com position u n d L ite ra tu rg a ttu n g der horazischen
E p istu la ad Pisones, H erm es 40, 1905, 514 f., auch L ukians Περί
όρχήσεως u n te r den Belegen fü r isagogische Topik an g e fü h rt
(S. 541). Die Schrift, die eine Apologie der O rchestik e n th ä lt, ist
n atü rlich keine Isa g o g eflen th ält aber deutlich isagogische Topoi.
Die E rkläru ng liegt nahe, daß L ukian bei der B ehandlung dieser
T echne in einer epideiktischen Rede eine isagogische S chrift als
Vorlage h a tte , der er das R o h m aterial der G edanken en tn ah m . Sein
E ig en tu m ist die Stilisierung. M it diesem Hinweis k an n ich die
In te rp re ta tio n der Schrift Π. ενσχημοαύνης abschließen u n d das
E rgebnis kurz zusam m enfassen. j
Die S chrift is t eine Rede a u f die ärztliche K unst. W egen m a n ­
cher in der In te rp re ta tio n herausgestellten U nebenheiten der D a r­
stellung d a rf m an vielleicht noch b estim m ter Von einem K onzept
■zu einer Rede sprechen. Einige in der In te rp re ta tio n erw ähnten
E inzelheiten zeigen, daß der V erfasser G edanken, die er bereits
vorfand, seinem speziellen T hem a an g ep aß t h a t. Diese G edanken
gehen le tz te n E ndes a u f stoischen U rsprung zurück. Aus einer
ähnlichen A npassung an bereits geform te G edanken e rk lä rt sich
die V erw andtschaft der S chrift m it der isagogischen L ite ra tu r. —-
W egen der E inzelvorschriften u n d der an Fachgenossen gerichteteü
Im p erativ e in ihnen w ird m an sie n ic h t als eine vor einem L aien­
pu blik um gehaltene R ede auffassen wollen. Die In te rp re ta tio n
stellte fest, daß die H örer offenbar auch ohne N ennung derselben
w u ßten, daß es sich um die Ιητρική τέχνη h an d e lt. Das lä ß t sich am
108 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

leich testen verstehen, w enn m an annim m t, daß die Rede vor


Ä rzten gehalten w urde. Das Ganze ist ein K u n ststü ck , h ei dem es
vor allem a u f die ionische Stilisierung ankam . W ir w erden auch
einen A rzt als Verfasser annehm en können. In den P arangelien
34, 5 w erden R eden von Ä rzten als selbstverständlich angesehen.
Z um A nfang der S chrift erw äh n te ich als Beispiel eine R ede des
Galen, die v or Fachgenossen gehalten w ar. Diese A uffassung der
S ch rift e rk lä rt w ohl alle in der In te rp re ta tio n verzeichneten B e­
sonderheiten, v or allem n atü rlich den u n v erk en n b aren rhetorischen
E inschlag, die allgem einen E inzelvorschriften u n d die A nrede an
den Fachgenossen. Schließlich sei noch erw äh n t, daß n ach Lucian.
quom . h ist, conscr. c. 16 Ä rzte dam als m it Vorliebe ionisch schrieben.
W ir m üssen die T atsache anerkennen, daß die Rede eines u n ­
b ek a n n te n A rztes der ersten Ja h rh u n d e rte der K aiserzeit in das
Corpus H ip p o craticum gelangt ist. Geschehen konnte das wohl
n u r wegen ih re r ionischen Stilisierung. Eine F älschung a u f den
N am en des H ip p o k rates anzunehm en, w ird durch keinen Hinweis
in der S ch rift seihst erm öglicht. D aß m an sie in einer Zeit, die au f
d erartig e m oralisierenden S chriften ein besonderes G ewicht legte,
eines H ip p o k rates n ich t fü r unw ürdig hielt, ist v erständlich.
F raglich is t noch, zu w elcher Z eit die Schriften Παραγγελίαι u n d
Περί εύσχημοσύνης in diejenige Sam m lung hippokratischer S chriften
aufgenom m en w urden, die uns zufällig als einzige aus dem A ltertu m
erh alten geblieben ist.

Zur Überlieferungsgeschichte von Παραγγελίαι und


Περί εύσχημοσύνης.
E n tsta n d e n ist Περί εύσχημοσύνης — wie die P aran g e­
lien ·— w ahrscheinlich im 1./2. J a h rh u n d e rt n . Chr. So e rk lä rt es
sich, d aß alte T estim onia fehlen. Die P aran gelien sind zitie rt in
der pseudogalenischen S chrift D e d iaeta H ippocratis in m orbis
acu tis (CMG V 9, 1. 378, 17), die n ach H . Diller, H erm es 68, 1933,
175 v or dem 12. oder 13. J a h rh u n d e rt u n d zu einer Z eit en tstan d e n
ist, in der G alen schon kanonisch w ar. Von den P arangelien w ird
bei Diels, H an d sch riften der an tik en Ä rzte, Abh. d. P reuß. A kad.,
B erlin 1905, 35 eine arabische Ü bersetzung u n b ek a n n te r D atierung
nachgew iesen. A uf m einen W unsch h a t Prof. D eichgräber die d o rt
angegebenen Seiten des cod. arah icu s der H agia Sophia durch
D r. Pfaff-B erlin nach prüfen lassen, w ofür ich beiden H erren zu
Zur Überlieforungsgesckichte 109

danken habe. Die A ngabe b e i Diels m uß danach a u f einem


V ersehen b eru h en . — Das oben (S, 17) erw ähnte unechte Galen-
scholion zum A nfang der P arangelien lä ß t sich als T estim onium
n ic h t verw erten, da es n ic h t genau d atierb ar ist. Es w ird n ic h t
viel älter sein als unsere handschriftliche Ü berlieferung, bzw. w ird
höchstens dem 6. oder 7. J a h rh u n d e rt zuzuschreiben sein (vgl. die
oben S. 17 A nm , 11,12 und 13 angeführte L itera tu r). Ebenso w ertlos
ist das Scholion zu Π. εύσχημοσύνης 26, 22, vgl. oben S. 84.
E rh a lte n ist Περί εύσχημοσύνης u n d Παραγγελίαι n u r du rch den
cod. M arc. 269 saec. X I, der aus dem N achlaß des B essarion in die
M arciana gekom m en ist (H eiberg, CMG I 1 V f .) 61) u n d wohl
b yzantinischer H erk u n ft ist. Von der m arcianischen Sam m lung h a t
Ilberg (bei K ühlew ein I S. X X V II) v erm u te t, d aß sie von Suidas
gem eint ist, der in dem S chriftenverzeichnis s. v . 'Ιπποκράτης von
der πολυθρύλητος καί πολν&ανμαστός ' Εξηκοντάβιβλος sp rich t. Der
In d e x des M arcianus e n th ä lt in der T a t 60 N um m ern. A ber im
P in a x des V aticanus Gr. 276, der viel m ehr S chriften als der
M arcianus n e n n t, ist d u rc h andere Zählung der m ehrteiligen
S chriften die Z ahl 62 hergestellt. Ich m öchte also eher v erm uten,
d aß die Z ahl 60 als kahonis ch oder „sprichw örtlich“ b e k a n n t w ar
u n d die H ersteller der V erzeichnisse sich ih r zu n ä h e rn suchten.
Die A ufzählung bei Suidas, die als erste Stücke "Ορκος, Προγνώ­
σεις, Άφορισμοί n ennt, p a ß t n ic h t a u f den M arcianus, dagegen
vielleicht a u f den V aticanus. Ilberg, S tudia P seudippocratea Diss.
Lips. 1883, 31 w ollte die N ennung dieser drei S chriften am Anfang
n ic h t als einen Hinweis d a ra u f gelten lassen, daß Suidas die durch
den P in a x V aticanus bezeugte Sam m lung gem eint haben könnte,
anscheinend, weil er a u f die von Suidas genannte Z ahl 60 -mehr
W ert legte u n d daher in der Stellung der S chriften am A nfang
kein entscheidendes A rgum ent sah. D aher wies er d a ra u f hin , daß
der "Ορκος ja auch im P in a x Bruxellensis (R hein. Mus. 58, 1903,
58 ff.) an erster Stelle ste h t. D o rt w ird das P rognostikon a n vierter
und die A phorism en an ach ter Stelle aufgezählt. Ic h glaube, daß
m an die Reihenfolge w ohl b ea ch ten d arf, u n d m öchte eine V e r ­
m u t u n g aussprechen, n ach w elcher die Suidasstelle sich m it noch
größerer W ahrscheinlichkeit a u f die durch den P in ax V aticanus
bezeugte Sam m lung beziehen lä ß t. Suidas n e n n t näm lich die
εξηκοντάβιβλος erst an v ierte r Stelle. W enn er n u n die m it τά εν

β1) Th. Gomperz, Apologie der Heilkunst2 Leipzig 1910, 60.


110 Die Schrift Περί εύαχημοσννης

πρώτοις u n d als erste, zw eite, d ritte S chrift zitierten drei Schriften


n ic h t u n b ew u ß t von der Z ahl 60 s u b tra h ie rt h a t, d. h . w enn wir
sein τ ε τ ά ρ τ η ν τ ά ξ ι ν ε χ έ τ ω η πολυθρύλητος καί πολυθαύμαστός
εξηκοντάβιβλος e rn st nehm en dürfen, so m üssen wir die zuerst
gen an n ten 3 S chriften zu den 60 addieren ü n d erh alten 63. Das
w ürde bed eu ten , daß m an einen T eil der hippokratischen Sam m lung
als εξηκοντάβιβλος bezeichnete u n d die b erühm testen h ip p o k rati­
schen Schriften, deren Ü berlieferung auch fü r uns die reichste ist,
besonders m it ih ren klassischen T iteln n an n te. —- N un z ä h lt der
P in a x V aticanus 62 S tücke. D a aber im cod. V aticanus die S chrift
περί διαίτης οξέων erh alten is t, im P in a x V aticanus aber n ich t
g en a n n t is t — sicher versehentlich, denn der cod. V at. stim m t bis
a u f diese eine Abweichung in den ersten 23 Stücken m it dem
P in a x überein, erst der R est is t du rch eine S törung der Ü b er­
lieferung ausgefallen u n d in abw eichender Reihenfolge (aus anderer
Quelle ?) hinzugefügt w orden — m üssen w ir dieses S tück noch zu
den im P in a x aufgefü hrten 62 N um m ern hinzurechnen, erh alten
also g e r a d e d i e v o n S u i d a s b e z e u g t e Z a h l 63. Die Ü berein­
stim m ung zwischen Suidas u n d dem P in a x V aticanus w äre also
n ic h t n u r, wie Ilberg m einte, eine der R eihenfolge, sondern auch
eine der Zahl. Ic h m öchte den P in a x V aticanus daher als Zeugnis
der bei Suidas gem einten großen H ippokratesausgabe ansehen.
D as du rch den P in a x V aticanus bezeugte Corpus H ippocraticum ,
das b e stim m t älter ist als der V aticanus selbst (vgl. auch Ilberg
bei K ühlew ein L X III), w äre also älter als Suidas oder seine Quelle.
D a Παραγγελίαι u n d Περί εύαχημοσννης im P in a x V aticanus verzeich­
n e t sind, haben wir d am it ein Z eugnis fü r diese Schriften, welches
älte r als der M arcianus ist. D er ebenfalls ältere P in a x B ruxellen-
sis (Schoene, R hein. Mus. 58, 1903, 5 6 ff.), der von unserer h a n d ­
schriftlichen Ü berlieferung u nabhängig ist, n e n n t beide S chriften
n ic h t.62)
A uch unab h än gig von der gegebenen In te rp re ta tio n der Suidas-
stelle wissen wir, d aß der P in a x V aticanus älter als der M arcianus
ist u n d daher als T estim onium fü r Παραγγελίαι u n d Π ερί εύσχη-
μοσύνης gelten d arf. Die du rch den P in ax V aticanus bezeugte
S am m lung h ip p o k ratischer S chriften ist, wie Ilberg bei K ü h le­
wein S. L V I ausgesprochen h a t, die einzige, die uns hippokratische

e2) Dagegen nennt Ibn abi Useibia in einem Verzeichnis der dem Hippo-
krates zngeschriebenen Bücher auch das „Buch der Vorschriften“ .
Zur Überlieferungsgeschichte 111

S chriften aus dem A ltertu m überliefert h a t. A uch der M arcianus


g eh t a u f diese Sam m lung zurück. Ey, e n th ä lt n u r solche Schriften,
die im P in a x V aticanus g en a n n t sind. Die w enigen Schriften, die
der P in a x n ic h t n e n n t, sind höchstw ahrscheinlich u n te r anderen
T iteln m itbezeichnet. Περί διαίτης -f- Περί ενυπνίων = Περί διαιτη­
τικών, Περί εγκατατομής εμβρύου allein in Μ, Περί νονσων z ä h lt der
P in a x n u r drei B ücher, der M arcianus vier. In h a ltlich stim m en
also beide Sam m lungen so überein, d aß der M arcianus eine A usw ahl
aus den im P in a x V aticanus bezeugten S chriften e n th a lte n könnte.
F ü r das „M ehr“ des M arcianus g ib t es eine einleuchtende E r­
k läru n g .
Die R eihenfolge in P in. V at. u n d M arcianus ist verschieden.
D er M arcianus will offensichtlich, m it dem P in. V at. verglichen,
eine rationellere A nordnung geben, indem er z. B. die S chriften
allgem eineren In h a lts zusam m en a n den A nfang der Sam m lung
rü c k t. Wo eine befriedigende sachliche Reihenfolge bereits im P in.
V at. vorliegt, wie bei d en gynäkologischen S chriften, stim m t die
Reihenfolge in M arc, u n d P in. V at. überein. Ebenso ste h t es m it
ΓΙερΙ νονσων. Περί nafta| | | Περί των εντός παύλών. A uch einige andere
Schriften, die sachlich5‘litiger zusam m engehören, stehen im Marc,
zusam m en, w enn sie schon im P in. V at. zusam m enstehen. N a tü r­
lich is t es bei der V erschiedenartigkeit der hipp o k ratisch en Schrif­
te n n ic h t ü b erall m öglich, eine sachlich logische A nordnung zu
erzielen. So ste llt der M arc. z. B. Περί τροφής zw ischen Περί χυμών
un d Περί ελκών. Iva. U r-V aticanus — so m öchte ich die Sam m lung
des P in . V at. nennen — sta n d Περί τροφής zw ischen Περί υγρών
χρήσιος u n d Περί διαιτητικών. Die A bw eichung des Marc, e rk lä rt
sich einfach darau s, d aß er Περί υγρών χρήσιος au släß t u n d d ad u rch
an scheinend in V erlegenheit kam . W as er W egläßt, sind zum
größeren Teil solche Schriften, die wegen ihres U m fangs oder ihres
In h a lts als w eniger w ichtig erscheinen ko n n ten . D er G esichtspunkt,
n ach dem er au sw ählte, w ar anscheinend ebenso wie der seiner
A nordnung ein sachlicher. W ir können also einen gelehrten A rzt
als den U rheber dieser Sam m lung ansehen. Auffällig ist, d aß er
die b erü h m te Z ahl 60 in seinem S chriftenverzeichnis e n th ä lt,
obw ohl er w eniger S chriften h a t, als der P in. V at. an g ib t. Sie e n t­
s te h t d ad urch, d aß er z. B. s t a t t drei B ücher Περί νούσων des Ur-
v atican u s deren vier zäh lt, u n d zw ar jedes einzeln u n d n ic h t, wie
im U rv atican u s alle d o rt g en annten drei u n te r einer Ziffer. Περί
διαιτητικών ste h t im P in. V at. u n te r einer Ziffer, der M arcianus da-
112 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης

gegen z ä h lt drei B ücher Περί διαίτης, jedes einzeln, u n d außerdem


das als Περί διαίτης δ' b ek a n n te Περί ενυπνίων. So is t also das M ehr
des M arcianus zu beurteilen. Ic h glaube daher, d aß die Z ahl 60,
die n ach dem Zeugnis des Suidas kanonisch w ar, hier einen gewissen
Zw ang au sg eü b t h a t.
D er M arcianus is t also, wie Ilberg auch a u f G rund der T a t­
sache, d aß der P in . V at. die reich h altig ste S am m lung e n th ä lt,
an n ah m , aus der Sam m lung des U rv atican u s abgeleitet. G eschehen
is t dies zu einer Z eit, wo die Z ahl 60, die der H ersteller der m arci-
anischen Sam m lung m it allen M itteln zu erreichen sucht, schon
k an o n isch w ar.
Die Ü berlieferungsgeschichte der S chriften Παραγγελίαι u n d
Περί εύσχημοσύνης verzeichnet als w ichtigsten T a tb e sta n d deren
A ufnahm e in die Sam m lung des U rv atican u s. Die genaue D atierung
dieser Sam m lung b leib t, abgesehen von bloßen V erm utungen,
fraglich. W enn die oben versuchte G leichsetzung des U rvaticanus
m it dem b e i S uidas gem einten Corpus H ip p o craticu m zu R ech t
b e ste h t, u n d w enn au ßerdem n ic h t n u r die H ip p o k ra te sv ita bei
Suidas sondern auch die d o rt überlieferte B andzählung der S chriften
a u f Soran zurü ck geh t, kö n n te m an unsere Sam m lung in die Z eit
des S òran setzen. D as w ürde b edeuten, d aß Παραγγελίαι u n d Περί
εύσχημοσύνης b ald n ach ih rer E n tsteh u n g in eine hippokratische
Sam m lung aufgenom m en w urden. D aß in dieser Z eit des A rchais­
m us, die zudem den H ippokrates in ganz besonderem Maße als
A u to ritä t v ereh rte, G esam tausgaben u n d Sam m lungen „ h ip p o ­
k ra tisch e r“ S chriften v e ra n sta lte t w urden, ist anzunehm en 63), selbst
w enn wir n u r wenig d arü b er wissen. Eine einzige derartige Sam m ­
lung is t u n s erh alten geblieben. N ach der neugew onnenen D atierung
von Παραγγελίαι u n d Περί εύσχημοσύνης ste h t fest, daß sie n ich t
v o r dem 2. J a h rh u n d e rt n. Chr. e n tsta n d e n sein kan n . Die D a tie­
ru n g dieser S chriften b ed e u te t also schließlich einen n ich t unw esent­
lichen B eitrag zu einer Geschichte des Corpus H ippocraticum , die
no ch geschrieben w erden m uß.

63) L. Edelstein, Περί αέρων und die Sammlung d. Hippokr. Schriften,


Problemata 4, 1931, 150ff.

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