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DEUTSCHE FORSCHUNGEN
ABTEILUNG KLASSISCHE PHILOLOGIE
IN VERBINDUNG M IT
HERAUSGEGEBEN VON
B A N D io
VON
ULRICH FLEISCHER
1939
Vorliegende A rbeit ist die hier und da v erän d erte F assung einer
D issertatio n , die der M arburger Philosophischen F a k u ltä t im Ju li
1937 vorgelegt w urde. Sie n ah m ihren Ausgang von einer A n
regung m eines L ehrers K. D eichgräber, der m ich a u f die im Corpus
H ippocraticum überlieferten Παραγγελίαι hinwies. E ine erste U n te r
suchung w urde von ihm im B erliner Philologischen Sem inar be
sprochen u n d m ach te aus philosophischen u n d sprachlichen G rün
d en die D atieru n g der Παραγγελίαι in späthellenistische Z eit w a h r
scheinlich. N achdem D eichgräber die H ipp o k ratesim itatio n in d en
Παραγγελίαι erk an n t und d a rau fh in ihre D atierung in das 2. J a h r
h u n d e rt n. Chr. Geb. ausgesprochen h a tte , forderte die P roblem
lage eine U ntersuchung der S chriften Περί εύσχημοσύνης und
Περ'ι ίητροϋ, die seit Bensel m eistens m it den Παραγγελίαι verbunden
g ed ach t w urden. A uch der T e x t der beiden ebenso interessanten
wie schwierigen S chriften Παραγγελίαι und Περί εύσχημοσύνης
fo rd erte zu E rk läru ngsversuchen auf. Das Ergebnis dieser U n te r
suchungen lege ich nu n m eh r vor u n d hoife, auch wo eine abschlie
ßen d e A n tw o rt n ic h t m öglich w ar, der F orschung am Corpus
H ip p o craticu m zu dienen.
Mein besonderer D ank gilt an dieser Stelle m einem L ehrer
K . D eichgräber, der m ich du rch rege A nteilnahm e im m er wieder
zu r F o rtfü h ru n g der A rbeit erm u tig t h a t, die oft u n te r schwierigen
äußeren U m ständen zu leiden h a tte . Ih m bin ich auch fü r die
Ü berw achung des D ruckes zu D an k verpflichtet. F ü r treu e Hilfe
bei der K o rrek tu r des D ruckes m öchte ich auch an dieser Stelle
m einem Studienfreunde K . Schubring danken.
U lric h F le is c h e r
INHALT
Seite
• Die S p ätd atieru n g der Schrift Παράγγελίαι . . . . ...................... 9
Die P arallele P arang. 30,13 ff. = E p ik u r, B rief an H erodot § 75 11
Sprachliche B etrac h tu n g der S c h r i f t ............................................ 18
B eiträge zu r T ex tk ritik ................................................................... 29
e) Diese Vorlage war doch wohl Epikurs περί φύσεως. Der Einleitungssatz des
Briefes ist doppelsinnig: εκαστα των περί φύσεως άναγεγραμμένων . . . τάς μείζους
των συντεταγμένων βίβλους ■— επιτομήν της δλης πραγματείας . . . παρεοκεύααα
scheint auf die Ausnutzung des L e h rb u c h e s {σύνταξις, πραγματεία) hinzuweisen,
kann aber ebensogut auch den L e h rg e g e n s ta n d περί φύσεως bezeichnen,
so daß wir aus diesem Satze nicht entnehmen können, ob Epikur nur sein Haupt
werk περί φύσεως oder neben ihm auch andere Schriften ausgeschrieben hat.
Aber die von Diogenes Laertius angeführten Verweisungen und der an ver
schiedenen Stellen mögliche Vergleich mit Lukrez weisen auf περί φύσεως hin.
Der in der vorangehenden, stark verstümmelten Partie 1, 74 erkennbare Fragen
komplex kann ohne Schwierigkeit auf die kosmológische Anfangspartie der im
5. Buch des Lukrez enthaltenen Entwicklungsgeschichte bezogen werden. Die
einzelnen kosmologischen Lehren, die Lukrez dort vorträgt, sind ohne Zweifel
schon in der Epitome auf das Notwendigste beschränkt gewesen, so daß die
Verstümmelung nicht allein dem Diogenes und der Überlieferung zur Last fällt.
Eine d u rch g e h en d e Parallelisierung des Briefes an Herodot mit dem Werke
des Lukrez läßt sich nicht herstellen, aber es wird kein Zufall sein, daß § 74 und
§ 75 des Briefes sich auf die Darstellung bei Lukrez beziehen lassen.
14 Die Spätdatierung der Schrift Παραγγελίαι
7) Vgl. über den umschreibenden Gebrauch von αγειν bei Epikur selbst
H. Widmann, Beiträge zur Syntax Epikurs, Tübinger Beitr. zur Altertumsw.
Heft 24, 1935, 68. — Mit dieser Auffassung des Ausdrucks als einer bloßen Um
schreibung entfällt die Notwendigkeit, für den Autor der Parang. einen speziellen
Wahrheitsbegriff anzunehmen.
8) Hippocrateä 1, 203. I t is plain, however, th at we do not have in our
treatise the fully developed terminology of Epicurus and we are perhaps not
justifiod in dating it quite so late . . .
Parang. 30, 13 fi. = Epikur, Brief an Herodot § 75 17
21) Das Material verdanke ich natürlich vor allem Liddell-Scott. Verglichen
wurden vorsichtshalber die Nachträge bei L.-Sc. selbst und die von W. Schmid
in Philologische Wochenschr. 1926ff. Bei Benutzung von Speziallexica und
Indices stellte sich oft genug heraus, daß diese bereits genügend von L.-Sc. aus
geschöpft sind. Stellen, an denen ich über L.-Sc. hinauskam, sind ganz selten
und bestätigen so das Vertrauen, das man zu diesem Werke haben darf. Benutzt
wurden außerdem Thes. Gr. L. und die Lexica von Sophocles, Herweerden,
Preisigke-Kießling, W. Bauer, jedoch ohne wesentliche Förderung im einzelnen,
da es mir hier nur auf den ä lte s te n Beleg eines Wortes ankam. Wieviel ich
E. Mayser und W. Schmid Atticism. verdanke, geht aus den Stellenangaben
hervor.
Sprachliche Betrachtung der Schrift 23
30, 3 εστι δε ήνίκα καί καιρω cod. : D er B rachylogie des G nom en
stils en tspräche besser e. δ. ήνίκα [καί] καιρω (D eichgr.).36)
30, 5 λογισμός cod.: λόγος D eichgr. H errn. 70, 1935, 107. Da
n ach h er von der A nerkennung des λογισμός gesprochen wird u n te r
der B edingung, daß er „v o n der "W ahrnehmung au sgeht“ u n d den
„Ü b erg an g “ vo n den Sinnesem pfindungen „m ethodisch vollzieht“ ,
k a n n n ich t schon hier, im Zusam m enhang m it der A blehnung des
selben, gesagt sein, d aß er eine „gedächtnism äßige Synthese“ der
W ah rn eh m u n g en d ar stellt. Die E rw ähnung der B edingung w ürde
d an n überflüssig sein. D er A utor b espricht also n ic h t, wie m an
vielleicht erw a rte t, in der gleichen Reihenfolge e rst den λογισμός,
d an n die τριβή μετά λόγον , sondern beg innt m it dem zw eiten
S tück. D er zu nächst abgelehnte λογισμός w ird e rst sp äter bespro
chen, u n d zw ar w ird die W iederaufnahm e des zu nächst fallen
gelassenen Begriffs du rch μεν ούν (30, 9) ausdrücklich bezeichnet.
ξνγκαταινέω μέν ούν (vgl. u n te n S. 31) schließt die berichtigende
A usführung des V origen an. F ü r die D efinition des λόγος gibt der
A u to r eine psychologisch-genetische E rk läru n g des E rk e n n tn is
prozesses. D aß es sich Um die D arstellung eines im m er w iederhol
b aren Prozesses h an d e lt, w ird du rch den gnom ischen (em pirischen)
A orist bezeichnet.
30, 6 τε (del. L ittré , H eiberg) b ra u c h t n ich t g etilgt zu w erden,
es folgt δέ vgl. 33,22 έωντούς τε μεταλλάσαονσι τής ζωής, δ δ^εγκε-
χειρισμένος (K ü h n er-G erth §530, 3 A nm ., vgl. § 520 S. 244 Anm . 3).
30, 7 άναπομπός εοΰσα ist deutlich als U m schreibung eines ein
fach en A usdrucks zu erkennen. Solche E rsetzu n g des einfachen
V erbum s d u rch nom inale P eriphrase ist in der hellenistischen
P ro sa allgem ein üblich.37) In den P arangelien findet sich noch:
την αρχήν ποιεΐσ&αι 30, 10; υπάρχων εύρίσκεται 30, 12; εις άληϋείην
αγειν 3 0 ,1 6 ; εφαίνετο έοϋσα 30, 20; ώφελίην περιποιήσει 31, 5; παρέχει
μεγάλην άλεωρήν 32, 26.
E s scheint aber so, als w enn der A utor neben der sprachge-
schichtlich bedin gten noch eine individuelle Vorliebe fü r peri-
p h rastisch en A usdruck h a t (vgl. oben S. 16).
3δ) Schwierige Fragen der Textkritik habe ich vor der Drucklegung mündlich
und brieflich mit Herrn Prof. Deichgräber erörtert, wodurch das ursprüngliche
Manuskript an einigen Stellen geändert wurde. loh betrachte es als Pflicht der
Dankbarkeit, die so übermittelten Vorschläge und Konjekturen zu bezeichnen.
37) H. Widmann, Beiträge zur Syntax Epikurs, Tübinger Beitr. z. Alter-
tumsw. 24, 1935, 67ff., wo auch weitere Literatur angegeben ist. S. 82 wird auf
das „Papierene“ dieses Stils treffend hingewiesen.
Beiträge zur Textkritik 31
der A rzt soll „berücksichtigen, was die L eute h ab e n und was sie
ü b rig h ab en “ .
32, 6 ore δε προίκα seil, Ιητρεύειν. ·— άναφέρων in άναφέροντα zu
ändern, is t w ohl n ic h t an g e b rac h t. Vgl. auch P la t. R esp. 6 ,484 c.
32, 7 παρεοϋσαν ευδοκίην „augenblickliche G efälligkeit“ , im
G egensatz zu μνήμην προτέρης εύχαριστίης ; so wohl s ta tt μνήμην
προτέρην ευχ. zu lesen.41) Die B edeutung von εύχαριστίη ist hier
u n d 34, 2 völlig verschieden.
32, 9 „W o M enschenliebe vo rh an d en ist, d a ist auch Liebe zur
K u n st v o rh an d en .“ Als S u b jek t zu φιλοτεχνίη d e n k t m an sofort
d en A rzt, der φιλάνθρωπος ist, u n d φιλοτεχνίη w ird, ebenso wie
φιλοτεχνέω, gewöhnlich von dem V e rtreter der Techne gesagt. A uch
der Z usam m enhang, der von dem G edanken der Lernbegierde
ausging, w eist a u f diese A uffassung von φιλοτεχνίη hin. D ann d a rf
m an aber γάρ in dem anschließenden S atze n ich t als begründend,
sondern lediglich als w eiterführend ansehen. D enn dieser Satz
h an d e lt vo n den K ranken, die „zu d er R ücksichtnahm e des A rztes
V ertrau en h ab e n “ , w odurch m an v erle ite t w ird, zu d enken: w enn
der A rzt M enschenfreund ist, sind die M enschen F reunde seiner
K u n st. D er b erü h m te Satz, der noch oft als hip p o k ratisch zitiert
w ird, bezeichnet die P hilan th ro p ie als M otiv ärztlichen H andelns.
D azu oben S. 25.
32, 1Ö καί is t „a u c h “ , „sogar“ . L ittré v ersta n d es anscheinend
als „ u n d “ , denn e r än d erte das verb. finit, in das P artizip u n d
μεταλλάσσοντες in das ungew öhnliche M edium μεταλλάσσονται.
32,11 ευδοκιμέονσι cod.: V ersteh t m an das Verb in der gew öhn
lichen B edeutung in g utem R ufe stehen o. ä„ so w ird m an es
m it Μ 2 ενδοκονσι, L ittré εύδοκέοντες, besser E rm erins ευδοκέοναι
än dern m üssen.
32, 13 ενεκεν ενσχημοσύνης doch w ohl gleich ενεκεν ενεξίης
(Deichgr.). Vgl. Gal. CMG V 4 ,2 S. 18, 25.
32, 14 Z u dem m etaphorischen εν βυθφ άτεχνίης verglich B ensel
(PhUologus 78, 1923, 92) D em okritos 68 B 117 D iels-K ranz εν
βυθφ ή άλήθεια. B esser ist, a u f P la t. P arm . 130 d εις τινα βυθόν
φλυαρίας έμπεσών zu verw eisen. Ä hnlich ste h t P lu ta rc h Mor. 757 b
βυθός άθεότητος.
4l) Danach ist meine Deutung in: Die ärztliche Standesethik des hippo
kratischen Eides, Qu. u. Studd. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Mediz. Bd. 3 H. 2,
1932, 35 zu korrigieren. K. Deichgräber.
Beiträge zur Textkritik 39
■werden d ürfen, eher fü r eine andere als die von Bensel ausgespro
chene D a tieru n g sprechen w ürden.
Die i n h a l t l i c h e Ü bereinstim m ung zwischen den drei S chriften
b e ste h t im ganzen darin , daß sie allgem eine R atschläge fü r das
V erh alten des A rztes seinen P a tie n te n gegenüber, die K leidung,
das A u ftreten usw. geben. Aus dieser Ü bereinstim m ung d a rf k au m
a u f eine enge zeitliche Zusam m engehörigkeit der drei Schriften
geschlossen w erden. D agegen k an n m an w ohl daraus entnehm en,
was m an auch ohne dies weiß, daß sie n ich t zu den ältesten B estan d
teilen des Corpus H ippocraticum gehören. Die ältesten m edizini
schen S chriften en th alten n u r vereinzelt allgem eine R atschläge der
an g ed eu teten A rt, z. B. E pidem . 6, 4, 7 (5, 308 L) είσοδοι, σχήμα,
λόγοι, εσϋ'ής . . . κονρή, όνυχες, όδμαί. S tichw ortartig w ird angedeutet,
w o rau f der A rz t zu ach ten hahe, ohne daß eine ausführliche D a r
legung von E inzelheiten, wie sie G alen u n d sp ätere w ortreiche
K om m entare geben, geboten w ird. W enn der „ E id “ ein ideales Bild
des A rztes zeichnet u n d dabei einige E inzelvorschriften gibt, so ge
schieht das n ic h t in theoretischer D arstellung, sondern in einem
verpflichtenden Appell der G em einschaft a n ihren Genossen, dem
der E id d er G enossenschaft als R ich tsch n u r fü r sein H an d eln vor
A ugen sein sollte. Die schriftliche A ufzeichnung in einem Buche
erscheint dem gegenüber als sekundär.
D a der Νόμος inhaltliche B eziehungen zu den Παραγγελίαι u n d
an einer Stelle auch zu Περί ενσχημοσύνης zu h aben scheint, will ich
k u rz a u f ih n eingehen. Die w ahrscheinlich von einem sp äteren
Sam m ler h ip pok ratischer S chriften so genannte „ S c h rift“ e n th ä lt
keine speziell m edizinischen E inzelvorschriften. Sie ste h t durch
ihre vielfältigen B eziehungen zu sophistischen u n d dem okriteischen
G edanken m itte n in der pädagogischen D iskussion ih re r Z eit u n d
su ch t deren Ergebnisse fü r die Medizin fru c h tb a r zu m achen. D a
diese G edanken in das B ildungsgut der A ntike eingegangen sin d 46),
lassen sie sich fü r die D atierung n ic h t verw erten. ( Νόμος 7, 13
πρώτον μεν οΰν πάντων δει φύσιος ~ Π . ενσχ. 26, 7 ήγεμονικώτατον
μεν ονν τουτέων απάντων των προειρημένων ή ψύσις. — Die A nklänge
der Παραγγ. a n den Νόμος erklären sich d u rc h bew ußte A nlehnung.)
E inen an deren C harakter, der dem von Περί ίητροϋ schon n äh e r
k o m m t, h a t Κατ'1 Ιητρεΐον. Die S chrift, die in aphoristischem Stil
einige V orschriften fü r den A rzt gibt, ehe sie das eigentliche Them a,
die K linik, b eh an d elt, ist von D eichgräber46) als „K ollegheft“
ch arak terisiert w orden. H ier erklären sich die E inzelvorschriften
aus dem leh rh a ften Zweck. D as Gleiche ist bei Περί ίητροϋ der F all,
einer S chrift, die sich ausgesprochenerm aßen an A nfänger ric h te t.
A ber der Vergleich zw ischen Περί ίητροϋ u n d K ar * ίητρεϊον zeigt n ich t
n u r die Ä hnlichkeit, sondern auch die V erschiedenheit, u n d gerade
diese ist fü r die D atierung w ichtig. G em einsam ist beiden Schriften
das T hem a. G em einsam ist auch die V oranstellung einiger Einzel
vo rschriften fü r den A rzt. A ber was in Περί ίητρον in einem b e
sonderen u n d in sich geschlossenen K apitel, geradezu u n te r der
Ü berschrift ίητροϋ προατασίη beh an d elt w ird, b esteh t in Κατ'
ίητρεϊον in lose eingefügten A phorism en, die m ehr an d eu ten als
beschreiben u n d n u r durch das stilistisch u n d „m nem otechnisch“
w ichtige A u sd rucksm ittel des A phorism us zusam m engehalten w er
den. Man sieht, daß h ie r ein u n d dasselbe B edürfnis der W issen
schaft a u f verschiedene W eise befriedigt w ird. Es lo h n t sich n ich t,
a u f w eitere hippo kratische S chriften m it ähnlichen D arstellungen
einzugehen. E n tsch eid e n d fist vielm ehr die F rage, ob w irklich die
inhaltliche Ü bereinstim m ung zwischen Περί ίητρον, Παραγγελίαι,
Περί εύσχημοσννης so groß ist, d aß m an daraus w eiterführende
Schlüsse ziehen darf. M an d a rf sich offensichtlich n ic h t dabei be
ruhigen, festzustellen, daß hier u n d d o rt von der K leidung, der
S auberkeit, G erüchen, dem R uhm e usw. die R ede ist. Von diesen
D ingen k an n u n d m uß zu allen Zeiten gesprochen w erden, solange
das Leben d azu die V oraussetzungen b ietet. W ichtig ist n u r,
wie a u f diese gleichbleibenden Bedürfnisse des Lebens g eantw ortet
w ird. U nd in Περί ίητροϋ geschieht das offenbar anders als in
Παραγγελίαι u n d Περί εύσχημοσννης. Auch Παραγγελίαι u n d Περί
εύσχημοσννης wollen belehren, aber in einem anderen Sinne als
Περί ίητροϋ. D as soll noch gezeigt w erden. D enn den belehrenden
C h arak ter h ab en die S chriften, besonders Περί ίητρον, wie Bensel
S. 102 h erv o rh eb t, m it der sogen, isagogischen L ite ra tu r gemein.
Zeigen die drei S chriften also eine gewisse inhaltliche V erw andt
sch aft m it dem Genos der Isagoge, so m uß ih r V erhältnis zu dieser
L ite ra tu rg a ttu n g noch n ä h e r besprochen w erden. H ier sei n u r
Folgendes festgestellt. Das praktische B edürfnis h a t, wie die Schrift
D ie S c h r i f t Π ε ρ ί ι η τρ ο ν .
Bensel h a tte Seine von m ir k ritisie rte A bhandlung in erster
Linie der S chrift Περί ιητρον gew idm et u n d die beiden anderen
S chriften n u r zur C harakterisierung u n d D atieru n g herangezogen.
D ah er is t von vornherein festzustellen, daß seine Ergebnisse ü b er
diese Schrift im ganzen nocjj heute an n eh m b ar sein w erden, sofern
sie sich au f eine U ntersuchung der S chrift Περί Ιητρον allein berufen.
Die A u s g a b e d e r S c h r i f t , die Bensel gegeben h a t, is t in
m anchen E inzelheiten w ertvoll gewesen. D aß w ir h eu te über sie
u n d sogar ü b er die von H eiberg (CMG I 1, 20 ff.) hinausgehen
k ö n n ten , v erd an k en w ir einer E rk e n n tn is von H . Diller. Dieser
h a t näm lich feststellen können, d aß der cod. P arisin. Gr. 2255
(E), dessen Stellung zu unserer H a u p th a n d sch rift, dem V ätican.
Gr. 276 saec. 12, n ic h t ganz durchsichtig w ar, bereits a u f einem
der älteren D rucke, der editio F robeniana B asii. 1538, fu ß t. So
erü b rig t es sich also, diese H sr. einerseits als dem V aticanus v er
w a n d t, andererseits als w ertvolle handschriftliche Ü berlieferung
neben ihm anzusehen u n d dem gem äß eine gem einsam e Quelle
b eid er anzunehm en ((Ilberg P rol. in ed. K ühlew . X X I II) — eine
A nschauung, die en tsteh en m u ß te, weil der P arisinus E neben
den L esarten des V aticanus viele w ertvolle 'S onderlesarten u n d
andere auffällige A bw eichungen (P araphrasen) e n th ä lt.50) F ü r die
B eurteilung des P arisin. E verweise ich a u f die Nachweise von
D iller (Philologus S uppl.-B d. 23 H e ft 3, 1932, 12 ff. u n d G nom on
1936, 369L). Aus den A rgum enten von Diller erg ib t sich, d aß der
s0) Paraphrasen : 20,5 νπάρχουσαν αΰτω V, αύτφ οϋααν E 20,20 total νοσονσιν
V, τοίσιν άρρωατέουσιν Ε 21, 3 λυπέει V, πράγματα παρέχει Ε. Vgl. auch 22, 21.
4.*
52 Problemlago nach Spätdatierung der Parangelien
01) Die Abweichungen der Hsr. E von V sind natürlich nur dann Kon
jekturen des Cornarius, wenn sie zuerst in der Basii, stehen, sonst stammen
sie, wie z. B. die „Paraphrasen“ , von dem Schreiber von E. Einiges steht sogar
schon in der Aldina, so 22, 14 φλέβες, 22, 23 <5εΐ, 24, 5 άρμόζου.
61a) K. Deichgräber, Hippokrates, Über Entstehung und Aufbau des menschl.
Körpers (περί σαρκών) Leipzig u. Berlin 1935, Xf.
54 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien
62) Er trifft eigentlich nur auf das erste Kapitel der Schrift zu. Oder sollte
er περί Ιητρείον heißen? Auch das scheint nicht zu passen.
56 Problemlage nach Spätdatierung der Parangelien
διαίρεσις als m ediz. 1 .t.= O p e ra tio n Philod. περί παρρησίας col. 17,5.
δυσϋ-εράπευτος po et. u . sp., Sophocl. Ai. 609 (lyr), Philo Al. I I 140.
εξομαλίζω D iod. Sic. 2, 10, 5.
έπιπροσΜω T h eophr. de v en t. 32.
εύήρης p o et. u. sp., bei H om er n u r vom R uder, ενήρεα τεύχη
O rae. ap . P au san . 4, 12, 4, späte D ich ter wie Nonnos.
ϋεητρικός Die vom S u b sta n tiv hergeleitete A djektivbildung zuerst
A risto t. Pol. 1342 a 18 θεατρική μουσική. In ü b tr. B e
d eu tu n g A ntyll. ap. Orib. CMG V I 1 , 2 : 6 6 ,1 4 θεα
τρικόν μεν . . . άνίατρον δε, wo die A ntithese bedeutsam ist.
^κατάντλησις A ntyll. ap. Orib. CMG V I 1, 2: 24, 29. Galen 10, 237.
καταντλέω ist n ach Moeris (s.> v. atoväv) hellenistisch.
Stellen bei A ristoph. Vesp. 483, P ia t. R esp. 1, 344d
u . a. zeigen, daß Moeris h ier n ic h t völlig R ech t h a t. Es
w ird der A lltagssprache geläufig gewesen sein. D aß es
in d er K oinè lebendig w ar,’zeigt E . M ayser 1, 3 (2.Aufl.)
225, 20, wo Belege aus P ap . d. 2. J h d t.s v . Chr. gegeben
w erden. Bei diesen technischen W ö rte rn k a n n das Vor
kom m en des ersten Belegs in sp äter Z eit durch die
lü ck enh afte Ü berlieferung b ed in g t sein.
όδοντάγρα A risto t. M echan. 21, 854a 17f.
πανομοίως D as A d jek tiv P hilod. R h et. 1, 179 Sudh.
> περικά&αρσις T heophr. Caus. P la n t. 5, 9, 11 (allerdings in anderem
G ebrauch: περικα&άραεις των ριζών).
Die Schrift Περί Ιητρον 57
n e u e r u n g d e s i o n i s c h e n D i a l e k t s in d e r K a i s e r z e i t be
stätig en k a n n . — Diese D atierung b ie te t freilich n u r einen N ähe
ru n g sw ert, wie es bei sprachlichen U ntersuchungen n ic h t anders
sein k an n . D a ab er keine genaueren Hinweise fü r die D atieru n g in
der S chrift selbst e n th a lte n sind, m üssen ;'wir uns d a m it begnügen.
A nm erkungen zur S y n ta x gehe ich in der B esprechung des T extes.
D a die n u n folgende Ü bersicht lediglich den Zweck h a t, einen
H inw eis fü r die D atierung zu gehen, e n th ä lt sie n ic h t das gesam te
W o rtm a te rial der S chrift, sondern n u r eine A usw ahl, die u n ter
dem G esich tsp un kt der größeren B ew eiskraft gem acht w urde.
H ellenistische W ö rter ionischen u n d poetischen C harakters.63)
6S) Ich führe auch Xenophon für ion. Sprachgebrauch an, vgl. Lobeck,
Phrynichus, p. 89, A. Thumb, Hellenism. 215. — Unter den hell. Beispielen tritt
oft schon Aristoteles auf, vgl. A. Thumb, Hellenism. 205.
Sprachliche Untersuchung 61
W ö rter, die zu erst bei A utoren des 3. u. 2. J h d t.s v. Chr. nachw eis
b a r sind.54)
άβλεπτέω P olyb. 30, 6, 4 άβλεπτονντας το πρέπον. Bei P olyb. auch
das S u b sta n tiv αβλέπτημα F r. 90. D as V erb sonst n u r
Anon. ap. Suid. ol δε άβλεπτονντες και αίδονμενοι άντοφ-
ϋ-αλμείν προς τον Φίλιππον έβοήϋουν (w ahrscheinlich
P olyb. gehörend) u n d b ei anderen L exikographen.
αδιάπτωτος P olyb. 5, 98, 10, der auch an vielen Stellen das A dverb
h a t. «. φράσις Diog. B ab. Stoic. (3,214,13 A rn). d . προφορά
Dion. T h r. 629, 12. D as W o rt is t n ach den Belegen zu
u rteilen in das 2. J h d t. v . Chr. zu datieren. A diectiva
p riv a tiv a m it Y erbaladjektiven gebildet w eist E . M ay
ser 1, 479f. in großer Z ahl in P ap . d. 2. J h d t.s v. Chr.
n ach , einige N eubildungen der A rt g ib t es auch in
P a p . d. 3. J h d t.s v . Chr. Es h an d e lt sich u m eine F orm
der A djek tivbildung, die in der K oinè beliebt w ar. Das
Gleiche gilt fü r die N eubildung von V erbaladjektiven
(M ayser 1, 455). Ä hnlich wie αδιάπτωτος ist άδιάχντος,
απαρηγόρητος u n d άστατος zu beurteilen.
άδιάχντος άδιάχντος k o m m t vor bei T heophr. Caus. P la n t. 4, 12,
2 u . S päteren, an allen Stellen, die m ir erreichbar w aren,
übrigens in an d erer B edeutung als Π. εύσχ 25, 24.
άπαρηγόρητος M enan, frg . 798 u. später.
54) Ich rechne hier als obere Grenze nicht schematisch das 3. Jhdt., sondern
führe für Neubildungen auch solche Autoren an, die zwar der Lebenszeit nach
älter sind, aber in ihrem Wortschatz schon den Übergang zur Koinè darstellen.
Sprachliche Untersuchung 63
In terp retatio n
Die B etrach tu n g des W ortschatzes h a t einen Hinweis fü r die
D atieru n g der S chrift in die Zeit der archaisierenden E rneuerung
des ionischen D ialekts in der K aiserzeit gegeben. Von dieser F e s t
stellung k an n die In te rp re ta tio n ausgehen. Die Séhrift w ird durch
diese D atieru n g erst in m anchen E inzelheiten u n d als ganzes voll
verstän d lich . D ad u rch k a n n die In te rp re ta tio n auch fü r die D a
tieru n g eine B estätigung liefern. D aß w ir es m it G edanken zu tu n
h ab en , die sich n u r aus dem D enken des H ellenism us verstehen
lassen, ist schon festgestellt w orden.
D er Verfasser b eg in n t m it dem Hinweis a u f eine von anderen
v ertreten e M einung. E r schließt sich m it ονκ άλόγως seil, προ
βάλλονται der A nsicht derjenigen an , welche „die These v e rtre te n “ ,
d aß die „W eisheit“ in vieler H insicht n ü tzlich ist. Das M edium
προβάλλεσϋ·αι k o m m t häufiger in anderen B edeutungen vor, hier
ste h t es der des A ktivs nahe, welches in der Zeit der sogen, zw eiten
S ophistik n ich t n u r „ein P roblem stellen“ , sondern speziell „dem
R edner ein T hem a (für die Stegreifrede) stellen“ b ed eu tet. E in
K*
68 Die Schrift Περί ενσχημοσννης
an g efü h rten Stelle aus P h ilo stra t die N ennung der „A stronom ie“
einen einschränkenden Z usatz όπόση μη περιττή. D as gehörte also
zur üblichen D iskussion.
25, 4 U ber λέγω m it W iederholung des vorangegangenen K asus
an Stelle einer erklärenden A ppositioüfvgl. K ü h n er-G erth 1, 283
A. 4. — Ob m an am ai αί μηδέν χρέος (scii, έχονσαι) oder m it einem
R elativ satz αύται, αϊ μηδέν χρέος (scii, έχουσιν) v erste h t, ist an sich
belanglos, d a die Ü berlieferung n ichts d arü b er besagt, der Sinn
der gleiche w äre u n d der A usdruck jedenfalls elliptisch ist. — Zu
der K o n stru k tio n των προς ä διαλέγονται vgl. E p ik u r, B rief an
H erodot 39 (S. 5, 5 v . d. Μ.) ούκ δντων των εις 5 διελνετο (των tilg te
U sener): es liegt ein su b sta n tiv ie rte r R elativ satz vor, der ein
K ennzeichen sp äter Sprache ist. M an setzt d ah e r am b esten kein
K om m a zwischen των u n d πρός. — χρέος ist ein Lieblingsw ort des
A utors (26, 9; 27, 31; 29, 23 ; χρειώδες 25, 20). 27, 31 u n d 29, 23
ste h t το χρέος von einem b estim m ten N utzen, der n u r n ich t genannt
ist ; hier u n d 25, 9 ist es ohne A rtikel allgem ein gleich „p rak tisch er
N u tzen “ ; 26, 9 ste h t das W o rt in etw as anderem Z usam m enhang.
25, 5 ληφϋ·είη <Väv τουτέων μέρεα ες εκείνα cod. : τουτέων geht
a u f πολλαί. Von ihnen können „T eile“ zu „jen e n “ , d. h. den n ü tz
lichen σοφίαι, genom m en w erden; m an m uß also έκείνας s ta tt
εκείνα schreiben, denn das N eu tru m w äre zu u n b estim m t, u n d es
h an d e lt sich u m die beiden A rten der σοφία. — ή δτι ούκ άργίη ist
u n v erstän d lich . D er Sinn des Satzes ist k lar, ληφίλείη δ'αν gibt den
p o ten tialen H a u p tsa tz , das V erb ist m it B etonung an den A nfang
gestellt, u n d auch δέ fü g t sich g u t zur B etonung des G egensatzes
zu der eben ausgesprochenen V erw erfung von u n n ü tzen K ünsten.
D er N achsatz m it ή δτι k a n n n u r eine E in sch rän k u n g der A n
erkennung von „T eilen“ derselben e n th alten . D ieser Sinn könnte
etw a du rch δηλονότι ούκ άργίη hergestellt w erden.
25, 6 ουδέ μην κακίη eine beabsichtigte V erstärkung, die durch
die m it γάρ anschließenden E rk läru n g der engen V erbindung
zwischen άργίη (d. h. περιεργίη) u n d κακίη beg rü n d et w ird : „erst
— το γάρ αχολάζον καί απρηκτον: D er A utor lieb t
re c h t n ic h t“ . ■
derartige D op pelausdrücke; gleich im selben Satze ζητέει καί
άφέλκεταί — έγρηγορός καί εντετακός, auch die folgenden Sätze
geben Beispiele. Diese Vorliebe fü r D oppelausdrücke finden sich
durchgehend in gehobener hellenistischer P rosa. P lu ta rch s M anier,
zwei W ö rter s ta tt eines zu gebrauchen, ist bezeichnend, schon bei
Polybios findet sich Ähnliches. — A uch das su b stan tiv ie rte akti-
Interpretation 71
vis che P artizip im N eu tru m ist bem erkensw ert ; das passivische
P a rtiz ip des P erfek ts m it n eu tra lem A rtikel is t häufiger, das a k ti
vische erst in der hellenistischen Prosa allgem ein üblich, vgl.
H . W id m an n , B eitr. zu r S y n ta x E pikurs 33. Als individuelles S til
m erk m al findet sich diese A usdrucksw eise bei T hukydides (Bei
spiele bei K ü h n er-G erth 1, 267). — άφέλκεται ist w ohl passivisch
zu v erstehen u n d d an n m it ες κακίην zu verbinden, schwerlich
ab so lu t zu nehm en, im Sinne von „zugrunde gehen“ . — ζητέει εις
k a n n ich n ich t belegen, es m uß gem eint sein wie τείνει εις, έπείγει εις.
25, 7 Zum A usdruck vgl. Philod. de m us. 4 p. 76f. K em ke ώς
ε π ε γ ε ιρ ό ν τω ν τινών μελών κ α ι τ η ν δ ιά νο ια ν ε ν τ ειν ό ν τω ν προς
την ομιλίαν.
25, 8 D er gnom ische A orist ste h t neben dem ebenfalls gnom isch
ged ach ten P räsens, vgl. K ü h n er-G erth 1, 159. D er gnom ische
A orist k o m m t in der S chrift noch vor 26, 11 (neben dem P e rfe k t!);
26, 19 /2 0 ; 26, 25. 27. 28. Diese H äufung von gnom ischen A oristen
k ö n n te ein individuelles S tilm ittel des A utors sein, das m it dem
offenbar von ih m g e s u c h t e n G n o m e n s t i l zusam m enhinge;
rü h m t er doch seihst (27f 6) die γνωμολογίη als E igenschaft des
ίητρός φιλόσοφος. A ber etfdst ebenso w ahrscheinlich, d aß wir in der
häufigen A nw endung des gnom ischen Aoristes bei ihm ein allge
m eines M erkm al des sp äten P rosastils anzuerkennen h aben. Bei
A retaios ist der gnom ische A orist häufig, vgl. C. H ude X V I 1. Das
gleiche gilt fü r die A ttizisten , vgl. W . Schm id, A tticism . 4, 617.
A uch die V erbindung von gnom . A or. u n d P erfek t oder P räsens
ist fü r sp äte A utoren bezeichnend, vgl. K . D ü rr, Sprachliche
U nters, z. d. D ialex. d. M axim us von T y ru s,; P hilol. S uppl. 8.
1900, 36. — εωντοΰ τοντέων cod. : εώ δε [τον] τορτέων L ittré. N ach
έωυτον ist in Μ in terp u n g iert, u n d es beg in n t m it τοντέων ein neuer
A b sch n itt. Die G liederung der A bschnitte ist in M im allgem einen
sinngem äß. A uch hier k ö n n ten wir uns besser der A bteilung der
H sr. anschließen, die n u r du rch die D itto g rap h ie des του gestört
w orden ist, indem w ir m it εώ δε τοντέων einen neuen A bschnitt
beginnen lassen. Aus der G liederung tro tz der K o rru p tel ergibt
sich, d aß die K ap iteleinteilung älter ist als M u n d in einer älteren
H sr., von der M a b sta m m t, durch an den R an d gesetzte P ara g ra-
phos bezeichnet w a r. D er erste A bschnitt h a tte die These, von der
die Schrift ausgeht, k u rz b eh a n d elt. D er Verfasser will aber n ich t
w eiter d a ra u f eingehen, denn das w ürde ja bedeuten, daß er das
vielbehandelte T hem a n u n seinerseits vortragen m üßte. Im zw eiten
72 Die Schrift Περί εναχημοσύνης
A b sch n itt gibt er daher sein eigenes T hem a an. E r will n ich t über
die σοφίη sondern über die τέχνη sprechen. Die A blehnung eines
V ortrages ü b er die σοφίη beg rü n d et er d am it, d aß solche Dialexeis
keinen N u tzen h ab en . — Bei τουτέων is t n ic h t sofort deutlich,
w o ra u f es sich bezieht, ot προβαλλόμενοι ist schon etw as e n tfe rn t;
es w ird also allgem ein zu fassen sein, „die L eute, die sich m it über*
flüssigem u n d n utzlosem Zeug abgeben“ . — διάλεξις ist die A bhand
lu n g (Diog. Oen. fr. 18 col. 2, 14 p . 24 W ill.) oder der öffentliche
V ortrag, die Sophistenrede (P hilostr. V. S. 1, 24, 2 u . a.). Ü ber
den B egriff der D ialexis vgl. W . Schm id A tticism . 4, 346ff. u n d
K . D ü rr, P hilol. S uppl. 8, 1900, 5 ff., wo auch die S tilm ittel der
D ialexis ch a rak terisie rt w erden.
29, 5 D er A u sd ru ck ες χρέος πίπτειν ist bezeichnend fü r späte
Sprache, weil er abgeschlififèn ist. In älterer Z eit w ird πίπτειν n u r
vo n U nfreiwilligem oder U nangenehm em gesagt. Die gleiche V er
w endung wie hier findet sich Diosc. 5, 19 (3, 19, 19 W ellm .): είσΐ
δε αυτών ένιοι ήττον περίεργοι καί πίπτοντες εις την χρήσιν. — χαριεστέρη
γάρ . . .: D am it bezeichnet der A utor seine eigenen A usführungen
als eine D i a l e x i s , die er als „feiner“ em pfiehlt. Seine Dialexis
is t eine a u f die T echne, u n d zw ar au f die zu A nsehen u n d R uhm
führende. D aß hier die τέχνη ιατρική , von der doch die R ede ist,
n ich t au sdrücklich g en an n t w ird, ist beachtensw ert.
25, 10 και προς έτερον μέν τι <ι)> H e ib .; τι zeigt, d aß έτερον
N eu tru m ist, „ a u f etw as anderes“ steh t im G egensatz zu dem im
E in leitungssatze an g ed eu teten T hem a. D as u nbestim m te έτερον
w ird d u rch eine A pposition e rlä u te rt ; ähnlich w ird 28, 5 u n bestim m
tes έτέρη durch A pposition e rk lä rt. N im m t m an die schon b e
sprochenen appositioneilen A usdrücke hinzu, so k an n m an sagen,
d aß der A u to r sie reichlich verw endet. Sie sind also fü r den Stil
der S chrift bezeichnend u n d v erstä rk en den auch sonst b estätig ten
E in d ru ck , d aß der A utor anstelle der periodischen Satzfügung die
A neinanderreihung lieb t : K om plizierte P erioden fehlen, P arti-
zip ialk o n struktio nen u n d K ondizionalsätze, daneben einige R e
la tiv sätze b estim m en den P eriodenstil der S chrift, tre te n aber
h in te r der A nreihung zurück. Bezeichnend ist, daß k au m ein Satz
asyndetisch angeréiht ist. Dieser Stil sieht archaisch aus, lä ß t sich
aber als rh etorische A bsicht auffassen. — πρός w ird durch ες wieder
aufgenom m en, vgl. K ü h n er-G erth 1, 548 (§ 450). D er A rtikel ή
fe h lt un d is t ein zusetzen; es ist aber w ohl besser, ih n n ic h t, wie
H eiberg, n ach τι, sondern an die Stelle des καί zu setzen (L ittré).
Interpretation 73
E h er befrem det es, n u n plötzlich vor einer ganz bestim m ten Techne
zu hören. E rg ib t sich som it aus der, In te rp re ta tio n der S chrift,
d aß die H örer wissen m u ß ten , von w elcher Techne die R ede ist,
so w erden w ir leich t die R ede als vor Ä rzten gehalten uns vorstellen
können, u n d diesen gegenüber ist die 25, 10 gegebene R ezeichnung
ih re r T echne eine Schm eichelei. E rs t je tz t verstehen w ir also,
w aru m der V erfasser d o rt die T echne, von der e r sprechen will,
n ic h t geradezu m it d ü rren W orten n e n n t, sondern die U m schrei
bung anw endet, welche diese Techne von vornherein m it ενσχη-
μοσύνη un d δόξα in V erbindung b rin g t. So w ird auch die am A n
fang angestellte V ergleichung der Schrift m it P h ilo stra ts Rede a u f
den S port verstän d lich er. D er V erfasser geht absichtlich von der
σοφόη u n d allgem einen G edanken ü b er die T echne aus, um seine
H örer allm ählich n äh e r an das Spezielle heranzufü hren, bis er zu
E inzelvorschriften fü r den A rz t k om m t, die im R ahm en eines
V ortrags ü b er die T echne n ic h t zu erklären sind, w enn n ich t der
R edner u n d seine H ö rer gleich am A nfang an die τέχνη ιατρική
g ed ach t hab en . D aß der V erfasser allgem einere G edanken ü b er
σοφία bzw. ü b er das V erhältnis zwischen τέχνη u n d σοφία seinem
Spezialinteresse a n g e p aß t h a t, erg ib t sich aus vielen Stellen der
Schrift. H ier m ach t z. B. der Z usatz καί μάλιστα w ahrscheinlich,
d aß der A u to r eine viel allgem einere A blehnung der οϊησις im
Sinne h a t u n d a u f sie anspielt. „E in b ild u n g “ w ird sowohl in der
epikureischen wie stoischen Philosophie an vielen Stellen verw orfen.
Von dem tad eln d en Sinne, den das W o rt in sp äterer Zeit fa st au s
schließlich h a t, findet sich jedenfalls bei P lato n noch n ichts. D er
m oralische Sinn, der bei Stoa u n d E p ik u r m it οϊησις im G egensatz
zur w irklichen σοφία v erb u n d en w ird, ist hier allerdings n ic h t zu
spüren ; hier h an d e lt es sich u m οϊεσϋαι als G egensatz des πρήσσειν.
E h er können wir annehm en, d aß der A utor auch hier m it der
M ehrsinnigkeit eines Begriffes spielt, der in der Philosophie eine
speziellere B edeutung gew onnen h a t, daneben aber n atü rlich im
A lltagsgebrauch lebendig w ar. Ä hnliches konnten wir bereits fü r
seine V erw endung des Begriffs σοφίη feststellen.
26, 22 κεχρημένοισιν is t in M unsicher überliefert. Die R edupli
kationssilbe is t ü b er χρημένοισιν geschrieben, η steh t in einer R asur
und zw ar von zw eiter H an d eingefügt, da es einen anderen S chrift
d u k tu s h a t. H in te r dem in der R asu r stehenden η is t ein freier
Fleck, in dem ich — in der von H errn P rof. D eichgräber aus dem
Besitze der A kadem ie freundlichst zur V erfügung gestellten P hoto-
84 Die Schrift Περί εύσχημοσύνης
6β) E. Wenkebach, Der hippokratische Arzt als das Ideal Galens (Well-
mann-Eestschrift der) Qu. u. Stud. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Mediz. 3, 4, 1933,
167 und die dort 166 Anm. 2 angegebenen Stellen.
i7) Vgl. auch die Übersetzung dieses Satzes und des Anfangs von § 6 bei
Herzog, Philol. Suppl. 22, 3, 1931, 160, von der ich in einigen Punkten abweiche.
88 Die Schrift Περί ενσχημοσύνης
ein b estim m tes u n d v or ihm geform tes Bild des W eisen, näm lich
das stoische, v o r A ugen h a t. Die Stoiker h a tte n das Id eal des
W eisen u n d des tü ch tig en M annes aufgestellt u n d im m er w ieder
e rö rte rt. Sie h a tte n , wie E . N orden, H erm es 40, 1905, 508 ff. gezeigt
h a t, auch die Isagoge u n d deren T opik beem fiußt. U nd schließlich
h a t Diogenes von B abylon, u n d sicher n ich t er allein, in seinen
S chriften, die uns du rch Philodem s Polem ik kenntlich sind, auch
fü r die Musik u n d die R h eto rik b eh a u p te t, was in ähnlicher W eise
der Verfasser unserer S chrift von seiner Techne an n im m t, daß sie zu
allen K ü n sten (vgl. 29, 30 εν τήσι ίίλλησι τέχνησι), zur Philosophie,
Religion, M oral usw. in B eziehung steh t. D a m it habe ich im groben
den H in terg ru n d bezeichnet, von dem aus die S chrift Περ'ι ευσχη-
μοσύνης allem Anschein n ach b e u rte ilt w erden m uß. F ü r das V er
stän d n is des E inleitungssatzes e rg ib t sich aus dieser G esam tauf
fassung der S chrift, daß m it ol προβαλλόμενοι solche L eute gem eint
sind, die im A nschluß an die stoische Lehre b eh au p ten , „d a ß die
W eisheit fü r vieles n ü tzlich sei“ , etw a d aß der W eise auch der
b este D ichter, R h eto r, M usiker usw. ist.
27, 7 εχονσι γάρ, ά εχονσι, προς άκολασίην . . . es folgt eine A uf
zählung von U ntugenden, auch das eine E igentüm lichkeit der
stoischen M oralphilosophie, den T ugenden die L aster gegenüber
zustellen. A ber auch hier ist die A ufzählung ganz unscholastisch.
D a πρός bei dem farblosen εχονσι steh t, weiß m an n ic h t sofort,
d aß es im Sinne von „gegen“ gem eint ist.
27, 9 ενιδειν ist n ic h t zu verstehen u n d als D ittographie zu
άναιδείην erk lärb ar. ·— αντη n im m t w eder σοφίη noch Ιητρική auf,
sondern e rk lä rt sich durch A ttra k tio n des Pronom ens (K ühner-
G erth 1, 74), es k ö n n te τούτο γάρ γνώσις stehen, vgl. 28, 11 αϋτη
γάρ αρχή καί μέσα καί τέλος. — ή ist zu streichen, weil γνώσις p rä d i
k a tiv stehen m uß. ·— γνώσις τών προσιόντων „ K e n n tn is der E in
k ü n fte “ , d. h. w irtschaftliche F ähigkeit, gehört auch, n ach stoischer
Lehre, zu den K ennzeichen des W eisen, vgl. S tob. ecl. 2 95, 9 W .
( = F rg. 3, 623 A rn.) οικονομικόν <3’ είναι μόνον λέγονσι τον σπουδαΐον
καί άγα&όν οίκονόμον, έτι δε καί χρηματιστικόν. Ebenso ist zu χρήσις
τών πρός φιλίην zu vergleichen Stob. ecl. 2 108, 5 W . (== F rg. 630
A rn.) εν μόνοις τε τοις σοφοϊς άπολείπονσι φιλίαν . . . φασί δε καί τό
άγαπαν και τό άαπάζεσ&αι καί τό φιλείν μόνων είναι σπουδαίων. S tili
stisch ist zu bem erken, d aß die A usdrücke chiastisch gestellt sind:
γνώσις τών προσιόντων, χρήσις τών πρός φιλίην — τα πρός τέκνα ,
πρός χρήματα.
Interpretation 91
des A b sch n itts b e stä tig t die L esart άπαντωμένοισι. A ußerdem er
k e n n t m an, daß m it τα εν ύγροΐσι offenbar eine bestim m te K o n
stitu tio n des P a tie n te n gem eint ist, etw a die, der viel υγρόν oder
P hlegm a eigen ist, die ly m p h atisch e K o n stitu tio n . M an kö n n te
vielleicht auch an den βίος υγρός, das durch L uxus v erzärtelte
Leben denken. E rst in § 14 w ird von den F ehlern der K ran k en
u n d der T äuschung gesprochen. Solche F ehler w erden z. B. H ipp,
p ro rrh . II , 3 (9, 10 L.) u. 4 (9, 14 L.) erw äh n t.
29, 3 Die E rgänzung von πολλοί (L ittré nach R ) em pfiehlt
sich, u m ein S u b jek t des Satzes zu erhalten, u n b ed in g t n ö tig ist
sie n ich t.
29, 4 έπειτα m it H eiberg gegen die Ü berlieferung επί τά zu
lesen, oder auch έπεί [τά], — διεψενσαντο : das M edium im Sinne
des A ktivs, w enn n ic h t auch eine A rt S elbsttäuschung gem eint ist.
29, 8 τά περί άνακλίσεων = τάς άνακλίσεις, die B eziehung ste h t
s ta tt des d irek ten A usdrucks, wie es für die späte Sprache bezeich
nend ist. — ä μεν αύτέων geht a u f die B etten , öl μεν αντέων a u f die
K ran k en , die n ic h t g enannt w erden. A uch hier ersetzt das Pronom en
ein Nom en, welches n ich t g enannt w ar, vgl. oben S. 93 zu 27, 29.
29, 9 προς τά γενεά m uß sich a u f die A rten der K ran k h eiten
beziehen, w enn es auch n ic h t ausdrücklich gesagt w ird. D er F a c h
m ann k o n n te diese bloße A ndeutung n ic h t m ißverstehen u n d
γένεα etw a a u f die A rt des K rankenlagers beziehen. In der Διάγνωσις
περί των οξέων καί χρονίων νοσημάτων R hein. Mus. 58, 1903 w erden
fa st zu jeder A rt der K ra n k h e it V orschriften über den O rt des
K rankenlagers gegeben, z. B. 71, 10 τους δε φρενετικονς πρώτον
μεν κατακλιτέον έν τάπα) φωτεινφ; 74, 19 τους δε ληταργικονς κατα-
κλιτέον èv τόπω εύμεγεϋει μήτε λαμπρφ μήτε ζοψώδει usw. — πόνους
ist u n v erstän d lich . D a der G egensatz καταγείονς και σκεπινούς ist,
au ß erd em in den ang efü h rten V orschriften fü r den R aum des
K rankenlagers die F rage der B eleuchtung eine Rolle spielt, ist es
leicht, πολιονς = hell herzustellen.
29, 10 D as überlieferte σκεπινούς b ra u c h t n ic h t m it R , L ittré
in σκοτεινούς g eänd ert zu w erden, vgl. Archigenes bei O ribas. 46, 25
(CMG V I 2, 1: 235, 27) κατάκλιαις δέ και θεραπεία εν σκεπινφ τόπω,
άκάπνω, άνόσμω, wo R aeder σκεπηνφ in den T e x t setzt, obw ohl U =
L au ren t. 7 4 ,7 saec. IX /X σκεπινφ h a t, genau wie hier der M arcianus.
M an h a t die A usw ahl zwischen drei F o rm en : σκεπινός, k o m m t n u r
in der handschriftlichen Ü berlieferung der T exte vor. σκεπεινός
b ei H esych ενδιον δν ήμείς σκεπεινόν τόπον u n d Suidas σκεπεινός
Interpretation 99
Von der Techne, so liegt d arin eine U m kehrung des von d er P h ilo
sophie form ulierten G edankens, die aber in der In te rp re ta tio n
als vom A utor b eab sichtigt e rk a n n t w urde u n d auch sonst n ac h
gewiesen Werden kan n. H ier m uß n u n der in der In te rp re ta tio n
(S. 90) n u r an d eu ten d gegebene Hinweis a u f B iogenes von B abylon
k u rz beg rü n d et w erden.
Von den G edanken, die aus P hilodem in Arnim s Sam m lung der
S toikerfragm ente fü r Diogenes in A nspruch genom m en w erden,
lassen sich die folgenden m it Περί εύσχημοαύνης vergleichen.
fr, 88 {Περί μουσικής) ον μ α κ ρ ά ν ά π η ρ τ η μ έ ν η ν τ ή ς φ ιλ ο
σ ο φ ία ς τω πρός πλεϊστα ε π ί τ ο ϋ β ίο υ χ ρ η σ ιμ ε ύ ε ιν την μουσικήν
καί την περί αυτήν φιλοτεχνίαν οίκείως διατιθέναι προς πλείονς ά ρ ε τά ς ,
μάλλον δε πρός π ά σ α ς.
H ier t r i t t der G edanke des χρήσιμον auf, es w ird a u f die B e
ziehung zwischen μουσική u n d φιλοσοφία hingewiesen, u n d es w erden
schließlich die T ugenden erw äh n t, die du rch die φιλοτεχνία gefördert
w erden.
fr. 86 ü b er das V erhältnis von Musik u n d G ötter V erehrung ist
n atü rlich viel spezieller als περί -θειον ειδησις in Περί εύσχημοαύνης ,
denn hier m u ß te Diogenes von der religiösen T o n k u n st sprechen.
A ber der G edanke, daß eine Techne auch zum θειον B eziehungen
h a t, is t beiden gem einsam , u n d in Περί εύσχημοαύνης w ar deutlich,
d aß diese B eziéhung zur G ötterlehre w ahrscheinlich n ic h t aus
G edanken der ärztlichen K u n st stam m t. Es m uß also angenom m en
w erden, d aß der Verfasser von Περί εύσχημοαύνης sich a n eine ge
gebene T opik angeschlossen h a t, die wir auch in der S chrift des
Diogenes v erm u ten können. M an vergleiche noch fr. 82: έχειν δέ
τ ι καί π ρ ό ς φ ιλ ία ν οίκείον, πρός έρωτα κτλ. m it Π . εύσχ. 27, 10.
A uch d o rt w ird τα πρός φιλίην als zur W eisheit des ίητρός φιλόσοφος
gehörend g en an n t, und die In te rp re ta tio n wies zur V erdeutlichung
a u f den bei Stobaeus erh alten en A briß der stoischen E th ik hin.
N ach diesen H inweisen a u f die S chrift Περί μουσικής gebe ich
noch einige Stellen aus Περί ρητορικής des Diogenes.
fr. 95 αμα μεν επαγγέλλονται πολιτικούς ποιήσειν καί χρησίμους
τή πόλει καί τοϊς φίλοις, αμα δέ απολογούνται περί τής τέχνης ως
ούκ ούσης φαύλης άλλα των χρωμένων αυτή φαύλως . . .
D er G egensatz zwischen g ü ten u n d schlechten V e rtretern einer
T echne spielt n atü rlich in allen E rö rteru n g en über T echne eine
Rolle. Ic h brau che n u r den H ippokratischen Nomos oder Περί
άρχαίης ίητρικής (CMG I I 36, 9 ff. 41, 25 ff.) zu nennen. E ine spe-
Der „stoische“ Charakter der Schrift 103
e2) Dagegen nennt Ibn abi Useibia in einem Verzeichnis der dem Hippo-
krates zngeschriebenen Bücher auch das „Buch der Vorschriften“ .
Zur Überlieferungsgeschichte 111