Sie sind auf Seite 1von 63

91. Jahrgang   Nr. 5 / 2018 Fr. 12.

Die Volkswirtschaft
Plattform für Wirtschaftspolitik

INTERVIEW ARBEITSVERMITTLUNG ARBEITSORGANISATION DOSSIER


Swisscom-Chef Urs Schaeppi RAV steigern Wirkung Sozialpartnerschaft Die Zukunft der Medien
über die Vorgaben des Bundes 37 in Gefahr? 45
30 40

FOKUS
Staatsbetriebe
im Wettbewerb
mit Privaten

Wichtiger HINWEIS !
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden!
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
www. cdbund.admin.ch
Jetzt im App Store
kostenlos herunterladen
EDITORIAL

Was tun mit Swisscom


und Post?
Wann haben Sie zuletzt einen Brief verschickt? Haben Sie noch einen Festnetz­
anschluss zu Hause? Wie wir am eigenen Verhalten merken, bricht bei bundesnahen
Betrieben das Geschäft in der Grundversorgung weg. Es erstaunt deshalb nicht, dass
die Staatsunternehmen aus der politisch definierten Grundversorgung ausbrechen
und im Wettbewerb neue Geschäftsmodelle suchen.
Im Bericht zu Unternehmen in Staatsbesitz kommt der
Bundesrat zum Schluss: Wettbewerbsverzerrungen lassen
sich nicht gänzlich vermeiden. Der Seco-Ökonom Simon
Jäggi zeigt in seinem Beitrag auf, wie diese durch Swisscom,
Post und SBB verursachten Verzerrungen aussehen. Die
Juristen der Eidgenössischen Finanzverwaltung Jacqueline
Cortesi und Jonas Vetter erklären wiederum, wie der Staat
sicherstellt, dass der Wettbewerb möglichst wenig ver-
fälscht wird.
Die Postauto-Affäre verleiht dem Fokus zusätzliche Aktuali-
tät. Swisscom-Chef Urs Schaeppi betont im Interview mit
der «Volkswirtschaft», Post und Swisscom könne man über-
haupt nicht miteinander vergleichen: «Wir bekommen keine
Subventionen – auch nicht in Teilbereichen.»
Mit dieser Ausgabe wird das Magazin gestalterisch überarbeitet: Wir begrüssen die
neue Cover-Illustratorin Claudine Etter aus Bern. Sie löst Alina Günter, Zürich, nach
dreijähriger Tätigkeit ab. Wir bedanken uns bei Alina Günter ganz herzlich für Ihre
hervorragende Arbeit.

Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.


Nicole Tesar
Co-Chefredaktorin «Die Volkswirtschaft»
INHALT

4 8

FOKUS

Staatsbetriebe im Wettbewerb mit Privaten


4 Leitplanken für öffentliche 8 Staatsbetriebe verzerren
­Unternehmen den Wettbewerb
Andreas Lienhard Simon Jäggi
Universität Bern Staatssekretariat für Wirtschaft

12 Zunehmende Staatswirtschaft 16 Corporate Governance


jenseits von Service public für bundesnahe Unternehmen
Stephan Vaterlaus, Patrick Zenhäusern Jonas Vetter, Jacqueline Cortesi
Polynomics Eidgenössische Finanzverwaltung

19 Heikle Garantien für 22 Staatsbetriebe


Kantonalbanken als globale Player
Peter V. Kunz Sara Sultan
Universität Bern OECD

30 INTERVIEW

26 Die fehlende Disziplinierung


«Post und Swisscom
staatlicher Beihilfen in der haben einzig den Haupt-
Schweiz aktionär gemeinsam»
Matthias Oesch, Nina Burghartz
Universität Zürich Im Gespräch mit Urs Schaeppi, Chef der Swisscom

59 WIRTSCHAFTSZAHLEN  61 VORSCHAU   61 IMPRESSUM


INHALT

42 56 10

THEMEN

Grüne Wirtschaft, RAV und mehr


35 AUFGEGRIFFEN 37 ARBEITSVERMITTLUNG 40 ARBEITSORGANISATION
New Public Bureaucracy? Regionale Arbeits­ Sozialpartnerschaft in Gefahr?
Eric Scheidegger vermittlungszentren steigern Adrian Bless, Boris Zürcher
Staatssekretariat für Wirtschaft Wirkung Staatssekretariat für Wirtschaft

Boris Kaiser, Michael Morlok


B,S,S.

42 ENERGIE UND UMWELT 60 INFOGRAFIK


UNO-Nachhaltigkeitsziele 100 Jahre bis zur
profitieren von grüner Chancengleichheit
Wirtschaft
Ronal Gainza
Unep

DOSSIER

Die Zukunft der Medien


46 Schwierige Voraussetzungen 49 Mehr Service public im 52 Die Medienbranche
für innovative Journalismus- Medienmarkt erwünscht bietet auch in Zukunft
Start-ups Markus Spillmann wirtschaftliches Potenzial
Spillmann Publizistik Strategie Management
Juliane A. Lischka Bjørn von Rimscha
Universität Zürich Johannes Gutenberg-Universität Mainz

54 Der Einfluss der Medien auf 56 Ein digitaler Marktplatz für


die parlamentarische Agenda mehr inhaltlichen Wettbewerb
Pascal Sciarini Hansi Voigt
Universität Genf Wepublish
Anke Tresch
Universität Lausanne
STAATSBETRIEBE

Leitplanken für öffentliche


­Unternehmen
Öffentliche Unternehmen befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Staat und
Markt. Verfassungsrecht, Gesetze und Governance-Richtlinien liefern die nötigen Spiel-
regeln.  Andreas Lienhard

Abstract  Öffentliche Unternehmen stellen in einer grundsätzlich privat- einer grundsätzlich privatwirtschaftlichen Wirt-
wirtschaftlichen Verfassungsordnung eine besondere Herausforderung schaftsordnung gewisse rechtsstaatliche Korrek-
dar. Während die Politik von öffentlichen Unternehmen erfolgreiches tive.4 Erforderlich ist zunächst eine kompetenz-
Agieren auf dem Markt erwartet, sieht sich die Privatwirtschaft dadurch konforme Rechtsgrundlage, welche die staatliche
oft unfair konkurrenziert. Vor diesem Hintergrund bedarf es rechtlicher
Wirtschaftstätigkeit erlaubt und demokratisch
und konzeptioneller Korrektive. Solche ergeben sich insbesondere aus
dem Wirtschaftsverfassungsrecht, dem Wettbewerbsrecht und dem Or-
legitimiert. Bei den öffentlichen Unternehmen
ganisationsrecht sowie aus den Grundlagen der Public Corporate Gover- (beispielsweise SBB, Post und Swisscom) sind
nance. In der Diskussion um die öffentlichen Unternehmen sind dabei nicht dazu entsprechende Spezialgesetze erlassen
nur Wettbewerbsvorteile, sondern auch Wettbewerbsnachteile zu berück- worden. Ein wichtiger Bestandteil davon sind die
sichtigen. gesetzlichen Leistungsaufträge. Diese umschrei-
ben die öffentliche Aufgabe – also den Grundver-

D  ie Politik erwartet von den öffentlichen


Unternehmen, dass sie erfolgreich am
Markt operieren: Sie sollen neue Märkte er-
sorgungsauftrag sowie darüber hinausgehende
im Monopol oder im Wettbewerb zu erfüllen-
de Aufträge. Zudem wird in diesen gesetzlichen
schliessen, das investierte Kapital verzinsen und Leistungsvorgaben festgelegt, ob privatwirt-
Steuererträge generieren. Gleichzeitig sollen sie schaftliche Tätigkeiten in weiteren Geschäftsfel-
sich nachhaltig entwickeln und auch bei gekürz- dern erlaubt sind. Grundsätzlich gilt: Wirtschaft-
ten oder wegfallenden Abgeltungen einen quali- liche Tätigkeiten sind verfassungsrechtlich nur
tativ hochstehenden Service public bieten.1 erlaubt, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen
In Debatten um die staatliche Wirtschafts- und verhältnismässig sind. Unzulässig sind ins-
tätigkeit wird oft das sogenannte New Public besondere rein fiskalische Interessen.
Management (NPM), das in der Schweiz für die Ob eine staatliche Wirtschaftstätigkeit –
Ämter der Zentralverwaltung umgesetzt wird etwa bei Marktversagen – tatsächlich notwen-
und dort vor allem klare Leistungsvorgaben und dig ist, bedarf demzufolge nicht nur aus ord-
einen haushälterischen Umgang mit öffentli- nungspolitischen Gründen der Überprüfung.
chen Mitteln bezweckt, als Treiber ausgemacht. Vielmehr hat der Staat auch aus staatsrechtli-
Dem ist nicht so: Vielmehr ist die verstärkte chen Überlegungen zu erwägen, sich in diesem
staatliche Wirtschaftstätigkeit insbesondere Bereich auf eine Regulatoren- und Aufsichts-
im Zusammenhang mit (Teil-)Liberalisierungen rolle zu beschränken. Die Leistungsverantwor-
und Deregulierungen zu sehen, welche öffentli- tung (staatliche Eigenerstellung) wird diesfalls
che Unternehmen zwingen, sich dem Wettbe- in eine Gewährleistungsverantwortung (Leis-
werb zu stellen und sich darin zu behaupten.2 tungserbringung durch die Privatwirtschaft)
transferiert. Die Vergabe von Leistungsaufträ-
Verfassungsrechtliche Grundlagen gen oder Konzessionen an Dritte in wettbewerb-
1 Siehe auch Lienhard lichen Verfahren ist dabei eine mögliche Lö-
(2017).
2 Lienhard (2007). Weil die staatliche Wirtschaftstätigkeit die Pri- sung. Dass diese rechtliche Beurteilung mit der
3 Hettich et al. (2017). vatwirtschaft konkurrenziert und dabei den realpolitischen Machbarkeit kollidieren kann,
4 Art. 5 BV;  Biaggini et al.
(2016), S. 37 ff. Wettbewerb verfälschen kann3, braucht es in liegt indessen auf der Hand.

4  Die Volkswirtschaft  5 / 2018
FOKUS

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  5
STAATSBETRIEBE

In Anbetracht von Monopolrenten und an- Zusätzlich zu diesen wirtschaftsrechtlichen


deren potenziellen staatlichen Wettbewerbs- Vorgaben bestehen verschiedene dynamische
vorteilen wie rechtlichen bzw. faktischen Steuerungsinstrumente und organisations-
Staatsgarantien, Steuer- oder Finanzierungs- rechtliche Aufsichtsmechanismen, die für einen
vorteilen sowie Informationsvorsprüngen sind Ausgleich zwischen politischen und wirtschaft-
weitere verfassungsrechtliche Leitplanken zu lichen Interessen betreffend öffentliche Unter-
beachten. Zwar schützt die Wirtschaftsfrei- nehmen sorgen sollen: Im Vordergrund stehen
heit gemäss der bundesgerichtlichen Recht- eignerstrategische Ziele, Subventionsverträ-
sprechung die Privatwirtschaft grundsätzlich ge oder die Möglichkeiten der Einflussnahme
nicht vor staatlicher Konkurrenz.5 über (allenfalls mandatierte) Verwaltungsrats-
mitglieder oder (insbesondere bei Mehrheits-
Gleich lange Spiesse für beteiligungen) an Generalversammlungen. Bei
privatrechtlichen Gesellschaften sind dabei die
­Privatwirtschaft
zwingenden Bestimmungen des Obligationen-
Doch verlangt die im Zusammenhang mit der rechts zu beachten.9
Wirtschaftsfreiheit stehende Wettbewerbsneu-
tralität6 ein faires Verhalten öffentlicher Unter- Regierung und Parlament gefordert
nehmen auf dem Markt und verbietet regulato-
rische Wettbewerbsverzerrungen. So darf ein Gefordert sind mithin sowohl die Exekuti-
Staatsbetrieb beispielsweise aus dem Aufgaben- ven in ihrer Rolle als Eigner und Besteller wie
bereich generierte Daten nicht für privatwirt- auch die Parlamente im Rahmen der Oberauf-
schaftliche Tätigkeiten verwenden, ohne diese sicht. Aufsicht und Oberaufsicht können und
nicht auch Konkurrenzunternehmen zu glei- sollen dabei nicht nur durch departementale
chen Konditionen anzubieten. Einheiten (wie Finanzverwaltungen, Fachäm-
Ein weiteres Korrektiv ergibt sich aus dem ter und Generalsekretariate), besondere Regu-
Wettbewerbsrecht:7 Unternehmen unterste- lierungsbehörden (wie die Postcom) bzw. Auf-
hen ungeachtet ihrer öffentlich- oder privat- sichtskommissionen und Parlamentsdienste,
rechtlichen Organisationsform grundsätzlich sondern auch durch die Finanzkontrollorgane
dem Kartellgesetz. Als unzulässig gelten da- wirksam unterstützt werden.10
bei insbesondere bestimmte Verhaltenswei- Die konzeptionellen Grundlagen für die
sen marktbeherrschender Unternehmen, wie Organisation und die Steuerung von öffent-
etwa die Erzwingung unangemessener Prei- lichen Unternehmen im Spannungsfeld zwi-
se oder sonstiger unangemessener Geschäfts- schen Staat und Markt sowie für den Umgang
bedingungen. Kartellrechtlich abgesichert mit dem potenziellen Rollenkonflikt des Staa-
ist insofern auch das Verbot von sogenann- tes als Gesetzgeber, Regulierer, Gewährleister,
ten Quersubventionierungen – im Sinne von Eigner, Besteller und Kunde sind vorhanden:
systematisch vergünstigten Preisen für pri- Die OECD hat bereits 2005 Leitlinien zur Pub-
vatwirtschaftliche Tätigkeiten durch Erträ- lic Corporate Governance (PCG) publiziert und
ge aus dem Aufgabenbereich –, falls sich das diese 2015 in einer aktualisierten Fassung ver-
Quersubventionierungsverbot nicht bereits öffentlicht.11 Auf Bundesebene hat der Bundes-
aus einem Spezialgesetz ergibt.8 Getrennte rat 2006 mit dem Corporate-Governance-Be-
Kostenrechnungen oder besondere Organi- richt ebenfalls wichtige Grundlagen in diesem
5 Art. 27 BV; BGE 138 I 378,
sationseinheiten können diesbezügliche Lö- Bereich geschaffen, und in einem Ende 2017 ver-
Glarnersach. sungen sein. Überdies gelten das Preisüber- abschiedeten Bericht zeigt der Bundesrat Aus-
6 Art. 94 BV.
7 Heinemann (2015). wachungsgesetz und das Bundesgesetz gegen wirkungen staatlich beherrschter Unterneh-
8 Siehe beispielsweise
Art. 19 des Postge-
den unlauteren Wettbewerb auch für öffentli- men auf die sogenannten Wettbewerbsmärkte
setzes. che Unternehmen. Diese Erlasse gelangen bei- auf.12 Auch in Kantonen wie beispielsweise Aar-
9 Gutzwiller (2017).
10 Lienhard (2009). spielsweise bei missbräuchlichen Preisen bzw. gau, Basel-Stadt und Zürich sowie in Städten
11 OECD (2005/2015). bei besonders aggressiven Verkaufsmethoden wie Biel, Liestal und Baden bestehen Kodizes
12 Bundesrat (2006) und
Bundesrat (2017). zur Anwendung. zu Ausgestaltung und Handhabung von öffent-

6  Die Volkswirtschaft  5 / 2018
FOKUS

lichen Unternehmen. Solche Leitlinien gilt es strukturen oder die Zusammensetzung von
konsequent umzusetzen und gezielt weiterzu- Verwaltungsräten den unternehmerischen
entwickeln.13 Handlungsspielraum einengen. Überdies be-
stehen besondere, aufwendige Rechenschafts-
Wettbewerbsnachteile pflichten gegenüber Exekutive und Parlament.
Und nicht selten sollen aus privatwirtschaft-
nicht vergessen
lichen Tätigkeiten erwirtschaftete Erträge
Gesamthaft gesehen zeigt sich ferner, dass öf- einen – finanzpolitisch an sich erwünschten –
fentliche Unternehmen nicht nur über gewis- Kostendeckungsbeitrag für die Aufgaben-
se Wettbewerbsvorteile verfügen, sondern erfüllung liefern. Solche Wettbewerbsnach-
auch mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen teile gilt es ebenso zu berücksichtigen, wenn
konfrontiert sind. So verlangen beispielsweise im Spannungsfeld zwischen Staat und Markt
13 Lienhard/Wichtermann
Leistungsvorgaben, regionalpolitische Aspek- nach Fairness gerufen wird. (2015).
te besonders zu berücksichtigen, oder sehen
Eignerstrategien Beschränkungen hinsicht-
lich Auslandengagements vor. Ferner sind
nach weitverbreiteter Auffassung öffentliche
Unternehmen, soweit sie öffentliche Aufgaben
erfüllen, an die Grundrechte (beispielswei-
se die Rechtsgleichheit) gebunden – und zwar
selbst dann, wenn diese Aufgaben im Wettbe-
werb erbracht werden. Selber dürfen sie sich
Andreas Lienhard
jedoch nicht auf die Grundrechte (beispiels- Professor für Staats- und Verwaltungsrecht am Kompe-
weise die Wirtschaftsfreiheit) berufen. Im tenzzentrum für Public Management und am Institut für
öffentliches Recht der Universität Bern
Weiteren können Vorschriften über Gehalts-

Literatur
Biaggini, Giovanni, Andreas Lien- Heinemann, Andreas (2015). Das Lienhard, Andreas (2007). Deregu- Lienhard, Andreas (2017). Zwi-
hard, Markus Schott und Felix Kartell- und Regulierungsrecht lierung von Marktregulierungen schen Staat und Markt, NZZ vom
Uhlmann (2016). Wirtschafts- der Netzindustrien aus Schwei- im schweizerischen Bundesver- 26. September 2017.
verwaltungsrecht des Bundes, zer Perspektive, in: Bien, Florian waltungsrecht, in: Koller, Hein- Lienhard, Andreas und Jürg
6. Aufl., Basel. und Markus Ludwigs (Hrsg.), Das rich et al. (Hrsg.), Schweizeri- Wichtermann (2016). Public
Bundesrat (2006). Bericht zur Aus- europäische Kartell- und Regu- sches Bundesverwaltungsrecht, Corporate Governance, in: Berg-
lagerung und Steuerung von lierungsrecht der Netzindust- Aussenwirtschafts- und Binnen- mann, Andreas et al. (Hrsg.), Pra-
Bundesaufgaben (Corporate-­ rien: eine inter- und intradiszi- marktrecht, 2. Auflage, Basel/ xishandbuch Public Manage-
Governance-Bericht), 13. Sep- plinäre Disziplin, Baden-Baden, Frankfurt a. M., S. 335–397. ment, Zürich, S. 823 ff.
tember 2006, BBl 2006 8233 ff. S. 205–239. Lienhard, Andreas (2009). Grund- OECD (2005). Guidelines on Cor-
Bundesrat (2017). Staat und Wett- Hettich, Peter, Martin Kolmar, Ma- lagen der Public Corporate Go- porate Governance of State-
bewerb, Auswirkungen staatlich gnus Hoffmann, Jannick Koller vernance, in: Schweizerische Owned Enterprises, Paris (2015
beherrschter Unternehmen auf und Lukas Mathis (2017). Wett- Vereinigung für Verwaltungsor- Edition).
die Wettbewerbsmärkte, 8. De- bewerbsverzerrungen durch ganisationsrecht SVVOR (Hrsg.),
zember 2017. öffentliche Unternehmen, Ange- Verwaltungsorganisations-
Gutzwiller, Roman S. (2017). Die wendet auf den Schweizer Tele- recht – Staatshaftungsrecht – öf-
Einflussmöglichkeiten des Staa- kommunikationsmarkt, Zürich/ fentliches Dienstrecht, Jahrbuch
tes auf die Strategie einer Ak- St. Gallen. 2008, Bern, S. 43 ff.
tiengesellschaft mit staatlicher
Beteiligung, Zürich/St. Gallen.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  7
STAATSBETRIEBE

Staatsbetriebe verzerren
den Wettbewerb
Unternehmen in Staatsbesitz verfügen gegenüber privaten Firmen oft über Wettbe-
werbsvorteile. Mit zielgerichteten Massnahmen können die Vorteile zwar reduziert, aber
nicht beseitigt werden.  Simon Jäggi

Abstract    Wenn Staatsbetriebe in Wettbewerbsmärkten tätig sind, kön- derts, verbunden mit dem technologischen Fort-
nen sie dank ihres Eigners von Vorteilen wie Staatsgarantien profitieren. schritt in der Telekommunikation, schrittweise
Dadurch werden die Märkte oft zum Nachteil der privaten Unternehmen in der PTT aufging. Zuerst als Verwaltungsein-
verzerrt. Abhilfe könnten verschiedene Lösungen – beispielsweise die Pri- heit geführt, erlangte die PTT in den Siebziger-
vatisierung oder eine starke Beschränkung des Betätigungsfeldes – schaf-
jahren eine stärkere Autonomie und einen Ver-
fen. Diese Ansätze sind jedoch derzeit nicht ohne Weiteres realisierbar. Der
Bundesrat hat sich deshalb für einen pragmatischen Weg entschieden und
waltungsrat.
versucht die Wettbewerbsverzerrungen, die seine Unternehmen verursa- Ende 1997 wurde die PTT in Swisscom und
chen, mit zielgerichteten Massnahmen wie einem Verbot von Quersub- Post aufgetrennt, und diese wurden fortan als
ventionierungen mit Gewinnen aus dem Monopolbereich zu reduzieren. autonome Unternehmen im Staatsbesitz ge-
Gleichzeitig ist dabei in Kauf zu nehmen, dass gewisse Verzerrungen be- führt. Während der Gesetzgeber den Fernmel-
stehen bleiben und nicht beseitigt werden können. demarkt weitgehend liberalisierte, öffnete er
den Postmarkt nur eingeschränkt. Die Leine des
Staates wurde wieder länger, und den Betrieben

D  ie Schweizerische Post, einer der bekann-


testen Staatsbetriebe, hat eine, zumindest
aus ökonomischer Sicht, bewegte Geschichte
wurde mehr unternehmerischer Spielraum zu-
gestanden. Zudem mussten sie sich in den geöff-
neten Bereichen dem Wettbewerb stellen. Bei-
hinter sich. Der Rückblick zeigt exemplarisch de Unternehmen wussten in der Folge diesen
die wandelnden Herausforderungen beim Er- Spielraum zu nutzen und den Staub der Amts-
bringen des Service public. Die Post war näm- stuben abzuklopfen. Sie wurden nicht nur effi-
lich nicht ständig im Staatsbesitz. Im 17. Jahr- zienter, innovativer und kundenfreundlicher,
hundert nahm die Nachfrage nach Botengängen sondern sie sind auch in neuen Märkten ge-
und Personentransporten zu. Der Staat oder die wachsen. Mittlerweile erzielen beide Unterneh-
Obrigkeit war jedoch nicht in der Lage, genü- men die Mehrheit ihres Umsatzes mit Geschäf-
gend Verwaltungspersonal für diese Dienstleis- ten ausserhalb des Grundversorgungsbereichs.2
tung bereitzustellen. Der Kanton Bern beispiels-
weise entschied sich damals, nach deutschem Nebenwirkungen von staatlichen
Vorbild den Zugang zum Postmarkt mit einem
Eingriffen
Regal – also einem Monopol – zu regeln und die-
ses dann an Private zu verpachten. Der Kauf- Die Geschichte der PTT illustriert eine Ten-
mann Beat Fischer, welcher den Zuschlag er- denz, die in den letzten Jahren bei vielen staats-
hielt, begründete danach eine fast 100-jährige nahen Betrieben feststellbar war: Oft lässt der
Episode einer wirtschaftlich erfolgreichen pri- technologische Fortschritt die Nachfrage nach
vaten Post.1 etablierten Grundversorgungsleistungen wie
Erst 1832 wurde das Regal aufgehoben und beispielsweise Briefpost oder Festnetztelefo-
1 Kronig und Klöti (1991). die Post im Kanton Bern wieder verstaatlicht. nie sinken. Trotzdem blieben die politischen
2 Bundesrat (2017).
3 Vgl. Moody’s Investors Nach Gründung des Bundesstaates wurde An- Erwartungen an einen umfangreichen Service
Service (2017) sowie
Standard and Poor’s
fang 1849 schliesslich die Eidgenössische Post public hoch. Dies zeigt nur schon die sehr emo-
(2017). geschaffen, welche zu Beginn des 20. Jahrhun- tional geführte Debatte über die Schliessung

8  Die Volkswirtschaft  5 / 2018
FOKUS

der Poststellen. Die technologischen Entwick- prämie und damit Finanzierungskonditionen,


lungen führen aber in der Regel nicht zu einer die besser sind als die ihrer privaten Konkur-
eigentlich angezeigten Grundsatzdebatte über renz. Beispielsweise erhält die Swisscom, wel-
den staatlichen Eigner. Vielmehr führt der Wan- che notabene über keine explizite Staatsga-
del zu einer Verlagerung der Tätigkeiten des rantie verfügt, aufgrund der Mehrheitsanteile
Staatsunternehmens hin in weitere Märkte, um des Bundes eine verbesserte Beurteilung ihrer
neue Ertragsquellen zu erschliessen. Dies auch, Bonität.3
um den vermeintlich nicht rentablen Service Der Gesetzgeber hat die Staatsunternehmen
public weiterhin zu erbringen. bei der Regulierung von Märkten teilweise ab-
In den neuen Märkten sind jedoch oft schon sichtlich bevorzugt. So kann sich zum Beispiel
private Unternehmen tätig, welche durch die die Post beim Briefversand noch auf einen ge-
staatliche Konkurrenz herausgefordert werden. schützten Monopolmarkt berufen, sofern die
Auf den ersten Blick erscheint dies positiv. Wirk- Briefe leichter als 50 Gramm sind. Es ist davon
samer Wettbewerb führt aus volkswirtschaftli- auszugehen, dass ihr dies Vorteile auf dem libe-
cher Sicht zu optimalen Marktergebnissen: Der ralisierten Teil des Briefmarktes bietet.
Markteintritt eines neuen Unternehmens ist zu Aus wettbewerblicher Sicht problematisch
begrüssen. sind zudem Quersubventionierungen. Wenn
Leider lässt sich dies bezüglich der erwei- Einnahmen aus einem geschützten Monopol
terten Aktivitäten der Staatsbetriebe nicht vor- in einen Wettbewerbsbereich transferiert wer-
behaltlos sagen. So gehen die Marktteilnehmer den, wird es heikel: Denkbar ist beispielsweise,
in der Regel davon aus, dass Unternehmen im dass staatliche Unternehmen die abgeschöpfte
Staatsbesitz über eine implizite oder sogar ex- Monopolrente dazu verwenden, die private Kon-
plizite Garantie im Falle von Solvenzproblemen kurrenz in anderen Märkten mit (zu) tiefen Prei- Was heisst Grundver-
sorgung? Ein Arbeiter
verfügen. Diese Markterwartung beschert den sen zu konkurrenzieren oder die Kosten, welche montiert Glasfaser-
staatlichen Unternehmen eine tiefere Risiko­ eigentlich im Wettbewerbsbereich anfallen, in kabel der Swisscom in
Bellinzona.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  9
STAATSBETRIEBE

subventionierte Märkte mit Gewinnverbot zu private Unternehmen aus dem Markt gedrängt
verschieben. Dies illustriert unter anderem der werden. Der Wettbewerb würde geschwächt
aktuell kontrovers diskutierte «Postauto-Fall». oder sogar verschwinden.
Schliesslich erhalten staatsnahe Betriebe Bei ausgeprägten expliziten oder implizi-
gerade in geschützten Monopolmärkten mög- ten Staatsgarantien besteht schliesslich auch
licherweise breiten Zugriff auf Daten und In- die Gefahr, dass die so bevorteilten Unterneh-
formationen, die ihren Mitbewerbern nicht zur men im Wettbewerbsmarkt übermässige Risi-
Verfügung stehen und die sie in anderen wett- ken eingehen. Aufgrund ihrer Staatsgarantie
bewerblichen Märkten nutzen können. So ken- sind sie auch im Fall eines Konkurses geschützt,
nen die Monopolisten die Erwartungen der Kon- beziehungsweise die Risiken werden schluss-
sumenten an eine Dienstleistung oft besser als endlich von den Steuerzahlern getragen. Dass
die private Konkurrenz, weil sie exklusive In- dies nicht nur Theorie ist, führt ein Blick auf
formationen aus dem Nutzerverhalten im re- die Neunzigerjahre vor Augen: Im Anschluss an
gulierten Bereich erhalten. Aber auch Eigner- die damalige Immobilienkrise mussten mehre-
oder Staatsvertreter in den Steuerungsorganen re Kantone ihre zu risikoreich im Hypothekar-
der Unternehmen können ihre Kenntnisse und geschäft involvierten Kantonalbanken finan-
Informationen – etwa über geplante Regulie- ziell unterstützen, damit diese nicht in Konkurs
rungsvorhaben – in die strategische Steuerung gingen. So wendete beispielsweise der Kanton
zum Vorteil des Unternehmens einfliessen las- Bern 1,5 Milliarden Franken auf, um einen Teil
sen. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn der des Gesamtverlusts von 2,6 Milliarden Franken
Betrieb als Verwaltungseinheit geführt wird. der Berner Kantonalbank zu decken, woraufhin
die Staatsgarantie zuerst reduziert wurde, be-
Allgemeinheit trägt Risiko vor sie 2012 völlig aufgehoben wurde. Auch die
Kantone Genf und Solothurn mussten 2,1 Mil-
Die Folgen der Wettbewerbsverzerrung für die liarden Franken beziehungsweise 363 Millionen
Volkswirtschaft zeigen sich oft nicht unmittel- Franken für die Rettung ihrer Kantonalbanken
bar, sondern schleichend. Es lässt sich vorder- ausgeben.4
gründig zwar einwenden, dass auch im Wettbe-
werb zwischen Privaten nie gleich lange Spiesse Was tun?
vorherrschen, da Unternehmen nie über diesel-
ben Mitarbeiter, Produktionstechnologien oder Die konsequenteste Lösung, um die Wettbe-
Vertriebskanäle verfügen. Allerdings liegt gerade werbsverzerrungen zwischen staatsnahen
in diesem Wettkampf um die möglichst optimale Unter­nehmen und Privaten abzuschaffen, läge
Bereitstellung von Produkten und Dienstleistun- in der Privatisierung der Staatsbetriebe. Denn:
gen das wohlfahrtsbringende Wesen einer wett- Private Unternehmen, verfügen sie über das
bewerbsorientierten Marktwirtschaft. gleiche regulatorische Umfeld wie ihre Konkur-
Dem stehen selektive staatliche Eingrif- renten, verzerren den Wettbewerb in der Regel
fe oder Vorteile gegenüber, die in letzter Kon- nicht. Damit verbunden wäre jedoch eine Dis-
sequenz den Wettbewerb schwächen können. kussion über den Umfang und den Wandel in der
Wenn ein staatsnahes Unternehmen aus den vermeintlich nicht rentablen Grundversorgung.
oben genannten Gründen einen Wettbewerbs- Wie erfolgreiche Beispiele im Ausland zeigen,
vorteil besitzt, könnte es seine Produkte und kann man das Problem zum Beispiel dadurch lö-
Dienstleistungen beispielsweise günstiger an- sen, dass man Konzessionen ausschreibt. Hin-
bieten als ähnlich effiziente oder sogar effi­ gegen sind Fragen bezüglich der nationalen Si-
zientere private Konkurrenten. Dies aber nicht, cherheit, wenn es sich beispielsweise um private
weil das Staatsunternehmen eine bessere Pro- Eigentümerschaft an kritischer Infrastruktur
duktionsmethode gefunden hätte, sondern weil handelt, schwieriger zu beantworten.
die Allgemeinheit einen Teil des unternehme- Ebenfalls diskutiert wurden in der Vergan-
4 Für eine Übersicht siehe
rischen Risikos übernimmt. In der langen Frist genheit Ansätze, welche die in den sogenann-
Avenir Suisse (2016). könnten als Folge eigentlich gut wirtschaftende ten Netzwerkindustrien tätigen Unternehmen,

10  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

beispielsweise in den Bereichen Strom oder Quer­subventionierungen vom Monopol in den


Nachrichtenübermittlung, in eine staatliche Wettbewerbsbereich, beispielsweise im Postge-
Netz- sowie eine private Betreibergesellschaft setz, untersagt. Schliesslich werden die promi-
aufspalten wollen. Damit wäre zwar eine deut- nentesten Staatsunternehmen auf Bundesebene
liche Reduktion der Wettbewerbsverzerrun- mit einer transparenten Corporate Governance
gen erreicht, hingegen würde man die oft vor- sowie durch strategische Ziele gesteuert, was bei-
handenen und volkswirtschaftlich sinnvollen spielsweise sicherstellt, dass der Eigner das Ta-
Verbund- und Netzwerkeffekte, welche die ge- gesgeschäft nicht zu stark beeinflusst. Im Falle
samten Produktionskosten senken können, ver- der Swisscom wurde zudem die Disziplinierung
ringern. Zudem ist eine gute Regulierung des durch den Markt gestärkt, indem das Unterneh-
Netzzugangs in der politökonomischen Praxis men teilweise privatisiert wurde: 49 Prozent des
alles andere als trivial, da oft zwischen Konsu- Aktienkapitals befinden sich in privaten Händen.
mentennutzen und Innovationsanreizen abge- Auch auf explizite Staatsgarantien, welche die Fi-
wogen werden muss. nanzierungskosten zusätzlich reduzieren kön-
Schliesslich wollen gewisse Kreise das Rad nen, wurde weitgehend verzichtet.
der Zeit wieder zurückdrehen, indem sie for- Klar ist letztlich aber auch für den Bundes-
dern, Staatsunternehmen sollten sich auf ihren rat, wie er im Bericht über staatsnahe Unterneh-
reinen Grundversorgungsauftrag konzentrie- men im Wettbewerb ausführlich erläutert, dass
ren und auf ergänzende Tätigkeiten verzichten. gewisse Wettbewerbsverzerrungen untrennbar
Dies würde jedoch einige kaum zu lösende Her- mit der staatlichen Unternehmenstätigkeit ver-
ausforderungen mit sich bringen. Beispielswei- bunden sind.
se bliebe zu beantworten, ob die Swisscom in
diesem Falle überhaupt schnellere Internetver-
bindungen anbieten dürfte als in der Grundver-
sorgung definiert und wie die privaten Aktionä-
re in einem solchen Fall entschädigt würden.
Ein pragmatischer Weg, welcher auf Ebe-
ne Bund eingeschlagen wurde, ist die Reduk-
tion der Wettbewerbsverzerrungen durch ge-
Simon Jäggi
zielte Massnahmen. So strebt der Bundesrat auf Dr. rer. oec., Leiter Ressort Wachstum und Wettbe-
Wettbewerbsmärkten in der Regel eine regula- werbspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco),
Bern
torische Gleichbehandlung an. Zudem werden

Literatur
Avenir Suisse (2016). Das Märchen vom Tafel- Karl Kronig und Thomas Klöti (1991). Bevor die Standard and Poor’s (2017). Swisscom AG, Ra-
silber: Eine Privatisierungsagenda für die Post verstaatlicht wurde. Die Post der Fischer tingsDirect, New York: Standard and Poor’s,
Schweiz, Zürich, Avenir Suisse. 1675–1832, PTT Zeitschrift 8/91. 18. Mai.
Bundesrat (2017). Staat und Wettbewerb. Aus- Moody’s Investors Service (2017). Credit Opi-
wirkungen staatlich beherrschter Unterneh- nion: Swisscom AG, Global Credit Research,
men auf die Wettbewerbsmärkte, Bericht vom New York: Moody’s Corporation, 7. April.
8. Dezember 2017 in Erfüllung der Postulate
12.4172 FDP-Liberale Fraktion vom 13.12.2012
und 15.3880 Schilliger vom 22. September
2015.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  11
STAATSBETRIEBE

Zunehmende Staatswirtschaft
jenseits von Service public
Kommunale und kantonale Firmen bewegen sich mit ihren zahlreichen unternehmeri-
schen Aktivitäten in einer wettbewerblichen Grauzone. Das Nachsehen haben private
Anbieter.  Stephan Vaterlaus, Patrick Zenhäusern

Abstract  Oft stehen öffentliche Marktaktivitäten nicht in Verbindung mit Bundesverfassung die Wirtschaftsfreiheit im
Service public oder kritischen Infrastrukturen und verzerren somit un- Grundsatz nur für Private gilt – als Unterneh-
nötig den Wettbewerb. Inzwischen haben die Kantone rund 800 Beteili- mer aktiv ist. Das umfassende Portfolio der
gungen an 500 Unternehmen. Ein Überblick zu den Gemeinden fehlt. Im Kantone von etwa 800 Beteiligungen an über
Energie- und im Verkehrssektor, im Gesundheitswesen und in der Finanz-
500 Unternehmen zeigt, dass die Abweichung
branche zeigt ein Vergleich zwischen normativ geforderter (Soll) und ge-
lebter Praxis (Ist) ein äusserst unbefriedigendes Bild. Der steigende Be-
vom First-best-Grundsatz häufig oder vielmehr
schäftigungsanteil in den staatsnahen Branchen lässt zudem vermuten, gar die Regel sein dürfte.2
dass der Einfluss der öffentlichen Hand in jüngster Zeit noch zugenommen Das Forschungsunternehmen Polynomics
hat. Es ist überfällig, Beteiligungen und wettbewerbliche Engagements hat im Auftrag des Staatssekretariats für
des Staats transparent auszuweisen. Parlamente auf allen föderalen Ebe- Wirtschaft (Seco) die Situation in den Kanto-
nen müssen dafür sorgen, dass diese Aktivitäten wettbewerbsneutraler nen und Gemeinden für den Energie- und den
wirken und dass Leistungsaufträge neu verhandelt, ausgeschrieben und Verkehrssektor sowie für das Gesundheitswe-
die Staatswirtschaft abgebaut wird.
sen und die Finanzbranche untersucht.3 Hin-
tergrund ist ein Postulat des Luzerner FDP-

M  it dem Service public stellt der Staat Nationalrats Peter Schilliger mit dem Titel
Leistungen zur Verfügung, die zu einem «Konkurrenziert der Staat die Wirtschaft?
guten Teil auch im Wettbewerb bereitgestellt Übersicht tut not». 4
würden. Der Staat fungiert dabei als Sicher- Gegenstand der Analyse waren institu-
heitsscharnier: Er garantiert, dass diese Leis- tionelle und wettbewerbliche Kriterien, wel-
tungen den Bürgern zur Verfügung stehen. che im Kern auf Leitlinien der Organisation
«First best» ist aus ökonomischer Sicht, wenn für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
1 Demsetz (1988). der Staat private Unternehmen im Rahmen wicklung (OECD)5 sowie auf kantonalen Public-
2 Steiner et al. (2015).
3 Polynomics (2017). einer Ausschreibung zum Angebot von Service-­ Corporate-­G overnance-Richtlinien basieren.
4 Postulat 15.3880 vom
22. September 2015. public-Leistungen veranlasst.1 «­Second best» Dabei gilt: Je besser die Kriterien erfüllt sind,
5 OECD (2012); OECD ist, wenn er diese Leistungen selbst anbie- desto wettbewerbsneutraler wirken die staatli-
(2015a) und OECD
(2015b). tet, also nur ausnahmsweise – weil gemäss chen Aktivitäten (siehe Kästen).

Institutionelle Kriterien zur Analyse öffentlicher bzw. öffentlich beherrschter Unternehmen


–– Die Unternehmen haben die Gesell- –– Die Eignerstrategie ist öffentlich zu- –– Innerhalb der Verwaltung übernimmt das
schaftsform der Aktiengesellschaft. gänglich. Finanzdepartement die Eignerrolle.
–– Private Minderheitsbeteiligungen sind –– Die Trennung von Regulierung, Ausfüh- –– Legislative und Exekutive haben kein
möglich. rung und Kontrolle ist gegeben: Die Legis- politisches Mandat im Aufsichtsgremium
–– Es existiert ein Grundversorgungsauf- lative definiert den gesetzlichen Rahmen des Unternehmens: Um die Umsetzung
trag bzw. eine Leistungsvereinbarung. und hat die Oberaufsicht über das Unter- der Eignerstrategie und des Leistungs-
–– Die Leistungsvereinbarung mit dem nehmen. Die Exekutive gibt die Eigner- auftrags sicherzustellen, bestimmt die
Grundversorgungsauftrag ist öffentlich strategie und den Leistungsauftrag vor; Exekutive das Aufsichtsgremium.
zugänglich. sie beaufsichtigt das Aufsichtsgremium –– Das Aufsichtsgremium des Unterneh-
–– Es erfolgt eine periodische Prüfung der des Unternehmens. Die operative Autono- mens wird auf der Grundlage sachlich-­
Leistungsvereinbarung. mie des Unternehmens ist gewährleistet. relevanter Kriterien bestellt.
–– Es existiert eine Eignerstrategie mit –– Innerhalb der Verwaltung übernimmt ein
Fokus auf den Leistungsauftrag. Fachdepartement die Gewährleisterrolle.

12  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

KEYSTONE
Staatliche Energie-
unternehmen expan-
Staatliche Unternehmen im E
­ nergie-­ Basierend auf Ergebnissen der Onlineumfrage dieren vermehrt in
und im Verkehrssektor (siehe Abbildung 1), ist im Energiesektor ersicht- neue Geschäftsfelder.
lich, dass private Minderheitsaktionäre kaum zu- BKW-Chefin ­Suzanne
Thoma an einer
Die Untersuchung des Themenfelds Staat und gelassen sind. In den Aufsichtsräten der meisten
Medien­konferenz.
Wettbewerb in den Sektoren Energie und Verkehr dieser Unternehmen sitzen auch politische Man-
basiert auf den Daten zu 115 kantonalen und städti- datsträger. Mit der Expansion in neue wettbe-
schen Unternehmen, zu denen Polynomics im Rah- werbliche Geschäftsfelder wie Gebäudetechnik
men einer Onlineumfrage Auskunft erhalten hat. und Elektromobilität gehen auch Quersubventio-
Teilgenommen haben alle Kantone mit Ausnah- nen einher. Dadurch steigt das finanzielle Risiko
me von Genf sowie die Städte Basel, Bern, Biel, Lau- für den Eigentümer und somit für die öffentliche
sanne, Lugano, Luzern, St. Gallen, Thun und Zürich. Hand. Moral-Hazard-­Verhalten könnte mit einem

Wettbewerbliche Kriterien zur Analyse öffentlicher bzw. öffentlich beherrschter Unternehmen


–– Die Notwendigkeit des Grundversor- durch Spezialbewilligungen und/oder Unternehmen involviert ist, erfolgen zu
gungsauftrags wird periodisch eva- asymmetrische Regulierungen). Marktbedingungen.
luiert. –– Im Unternehmen werden wettbewerb- –– Es gibt keine jährliche Defizitgarantie.
–– Für eine Neuvergabe wird der Grund- liche Aktivitäten nicht quersubventio- –– Es gibt keine explizite Staatsgarantie.
versorgungsauftrag öffentlich ausge- niert. –– Bei Vorliegen einer Staatsgarantie: Die
schrieben. –– Werden zusätzliche staatliche Aufträge, Staatsgarantie wird nach marktbezoge-
–– Das Unternehmen steht ausserhalb sei- die nicht zum Grundversorgungsauf- nen Kriterien abgegolten.
nes Grundversorgungsangebots mit trag gehören, öffentlich vergeben, fin-
keinen Aktivitäten im Wettbewerb mit det keine Bevorzugung von öffentlichen
privaten Unternehmen. bzw. öffentlich beherrschten Unterneh-
–– Der Marktzugang für private Wettbe- men statt.
werber wird nicht durch den staatlichen –– Transaktionen, bei denen ein öffentli-
Auftrag gehemmt oder gefördert (bspw. ches bzw. ein öffentlich beherrschtes

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  13
STAATSBETRIEBE

privaten Minderheits­aktionariat und abnehmen- Abb. 1: Energiesektor: Erfüllungsgrad von ausgewählten Referenz-
dem politischem Einfluss im Aufsichtsrat ent- kriterien (2017)

RÜCKMELDUNGEN DER ONLINEUMFRAGE, DATENAUFBEREITUNG DURCH POLYNOMICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


gegengewirkt werden. Über das Steuerungsinst-
rument der Eignerstrategie könnte sichergestellt Aktiengesellschaft
werden, dass Risiken jenseits des Service-public-
Möglichkeit privater Minderheits­
Angebots vermieden werden. beteiligungen
Die Umfrage (siehe  Abbildung 2) informiert
Grundversorgungsauftrag
auch über institutionelle und wettbewerbliche
Aspekte öffentlicher Verkehrsunternehmen. So
Eigentümerstrategie
sitzen in den meisten Aufsichtsräten ebenfalls
politische Mandatsträger. Diese Firmen bieten Politische Unabhängigkeit
des Verwaltungsrates
oft Dienstleistungen im Wettbewerb mit priva-
ten Dritten an, wobei es eher um eine Randnut- Trennung von Regulierung und Betrieb
zung von Infrastrukturen geht: Ein öffentlicher
Verkehrsbetrieb stellt beispielsweise einen Bus Keine Konkurrenzierung Dritter

für Privatfahrten zur Verfügung und begibt sich


damit in Konkurrenz zu Logistikunternehmen Keine Staatsgarantie

oder Reiseanbietern. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100


In %
Werden hingegen erhebliche Mittel in solche
  Kantone            Städte
Geschäftsfelder investiert, brauchte es einen öf-
fentlichen Auftrag mit gesetzlicher Grundlage. Ein Wert von 100 Prozent bedeutet, dass der normative Referenzfall erreicht ist.
In Gemeinden, in denen Gesetze in dieser Ab- Lesebeispiel: 76 Prozent der kantonalen Energieunternehmen sind als Aktienge-
sicht verabschiedet wurden, werden die Tätig- sellschaft formiert. Zu beachten ist, dass die Antworten jeweils Einschätzungen
von kantonalen und städtischen Exponenten Mitte 2017 widerspiegeln.
keitsbereiche weit gefasst – auch mit Blick auf
den geografischen Raum. Damit gehen vermehrt
unternehmerische Risiken einher. Ein geziel-
Abb. 2: Verkehrssektor: Erfüllungsgrad von ausgewählten Referenz-
ter Einsatz der Eignerstrategie könnte hier dazu kriterien (2017)

RÜCKMELDUNGEN DER ONLINEUMFRAGE, DATENAUFBEREITUNG DURCH POLYNOMICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


beitragen, die Risikowahrnehmung zu schär-
fen, sodass es vermehrt zu Ausschreibungen Aktiengesellschaft
von Grundversorgungsdienstleistungen käme.
Damit einhergehend, würden indirekt auch die Möglichkeit privater Minderheits­
beteiligungen
Aktivitäten der Kantone und Städte im Wettbe-
werb mit Dritten beschränkt. Grundversorgungsauftrag

Eigentümerstrategie
Fallbeispiele: Öffentliche Spitäler
und Kantonalbanken Politische Unabhängigkeit
des Verwaltungsrates

Im Gesundheitswesen wurden die institutio- Trennung von Regulierung und Betrieb


nellen und wettbewerblichen Kriterien anhand
zweier Fallbeispiele – der Genfer Universitäts- Keine Konkurrenzierung Dritter
spitäler (HUG) und der Zürcher Stadtspitäler –
untersucht. Bei beiden öffentlichen Spitälern Keine Staatsgarantie
entsprechen einige normative Kriterien for- 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
mell den Vorgaben moderner Public Corporate In %
­Governance. Hingegen ist die Interessenentflech-   Kantone            Städte
tung nicht umgesetzt. Der politische Einfluss ist
meist direkt in den Aufsichtsgremien verankert. Ein Wert von 100 Prozent bedeutet, dass der normative Referenzfall erreicht ist.
Lesebeispiel: 82 Prozent der städtischen Verkehrsunternehmen lassen die Mög-
Darüber hinaus machen die Fallbeispiele sicht- lichkeit privater Minderheitsbeteiligungen zu etc. Zu beachten ist, dass die Ant-
bar, dass die Marktaktivitäten der öffentlichen worten jeweils Einschätzungen von kantonalen und städtischen Exponenten
Spitäler zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Mitte 2017 widerspiegeln.

14  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

Auch in der Finanzbranche ist der Staat mit Im Jahr 2012 befasste sich auch das Bundes-
Beteiligungen an Kantonalbanken präsent. Die- gericht mit der Thematik. In einem Urteil zur
se agieren heute als Universalbanken. Obwohl kantonalen Sachversicherung Glarus, die in
dadurch der öffentliche Auftrag in den Hin- Konkurrenz zu privaten Anbietern stand, legi-
tergrund geraten ist, kommen sie im Regelfall timierten die Richter deren wettbewerbliche
trotzdem in den Genuss einer Staatsgarantie. Aktivitäten, untersagten aber eine «systemati-
Als Fallbeispiele wurden die Basler Kantonal- sche Quersubventionierung».6 Doch systema-
bank und die Glarner Kantonalbank untersucht. tisch lassen sich Quersubventionierungen nur
Das Engagement der Kantone im Bankensek- ausschliessen, wenn der gesamte Verbundvor-
tor ist kritisch zu beurteilen, da der Banken­bereich teil dem Monopolbereich zugerechnet wird.7
mit seiner Intermediärfunktion insbesondere Ansonsten können produktivere Unternehmen
aufgrund der technologischen Entwicklungen im- vom Markt verdrängt werden. Wettbewerbs-
mer risikobehafteter wird. Institutionelle Krite- neutralität heisst letztlich, dass sich öffentliche
rien wie politische Mandate im Aufsichtsgremium Unternehmen mit einem Teilmonopol gar nicht
und ordnungspolitische Aspekte wie die Staats- in Wettbewerbsbereichen betätigen dürften.
garantie können bewirken, dass sich Risiken (er- Der Ball liegt nun bei der Legislative auf
neut) zulasten des Steuerzahlers materialisieren. allen föderalen Ebenen, Anreize zu schaf-
fen, damit wettbewerbliche Aktivitäten öf-
Wettbewerbsverzerrungen und fentlicher Unternehmen grundsätzlich ab-
gebaut und – solange derartige Engagements
Staatswirtschaft abbauen
noch vorliegen – mindestens die Kriterien der
Die Branchenanalysen zeigen, dass sich die Wettbewerbsneutralität besser erfüllt wer-
Praxis weder im Rahmen des «first best» (Aus- den. Zweifelsfrei ist im Themenfeld Staat und
6 Entscheid des Bundes-
schreibung) noch des «second best» (aus- Wettbewerb mehr Transparenz erforderlich, gerichts betreffend
nahmsweise öffentliche unternehmerische um den notwendigen demokratischen Diskurs Glarnersach (BGE 138
I 378).
Aktivität für das Angebot des Service public) darüber zu initiieren. 7 Faulhaber (1975).
bewegt. Vielfach wird im Kontext des Service
public selbstredend jeweils eine «Entreprise
publique» mitgedacht. Ein solches Staatsunter-
nehmen bietet mitunter auch Dienste im Wett-
bewerb mit privaten Dritten an, die wenig oder
keinen Bezug zum Service public aufweisen.
Entsprechend resultieren Wettbewerbsverzer-
rungen. Diese sind nicht vermeidbar, solange
das öffentliche Unternehmen seinen Grund- Stephan Vaterlaus Patrick Zenhäusern
versorgungsauftrag auf der Grundlage eines Dr. rer. pol., Geschäfts­ Bereichsleiter, Polynomics,
führer Polynomics, Olten Olten
Monopols wahrnimmt.

Literatur
Demsetz, H. (1988). Why Regulate Utilities?, in: OECD (2015a). OECD Guidelines on Corpo- Steiner, R., Raess Brenner, K., und Saxenhofer,
Chicago Studies in Political Economy. Univer- rate Governance of State-Owned Enterpri- A. (2015). Verbreitung und Effekte von Public-
sity of Chicago Press, Chicago, 267–278. ses, Paris. Corporate-Governance-Richtlinien am Bei-
Faulhaber, G. F. (1975). Cross Subsidization: Pri- OECD (2015b). G20/OECD Corporate spiel der Schweizer Kantone, in: Verwaltung
cing in Public Enterprises, in: American Econo- Governance-­Principles, Paris. und Management, 2/2015, 59–64.
mic Review, 65/5, 966–977. Polynomics (2017). Staat und Wettbewerb. Ins-
OECD (2012). Competitive Neutrality. Maintai- titutionelle und wettbewerbliche Aspekte bei
ning a Level Playing Field Between Public and kantonalen und kommunalen Unternehmen,
Private Business, Paris. Studie im Auftrag des Seco, Bern.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  15
STAATSBETRIEBE

Corporate Governance
für bundesnahe Unternehmen
Der Bundesrat hat in den vergangenen zehn Jahren eine Corporate-Governance-­Strategie
für bundesnahe Unternehmen entwickelt. Ein zentrales Element sind strategische Ziel-
vorgaben.  Jonas Vetter, Jacqueline Cortesi

Abstract  Der Bericht des Bundesrates zur Corporate Governance des Bun- Aus diesen verschiedenen Funktionen des
des aus dem Jahre 2006 ist auf grosses öffentliches Interesse gestossen. Bundes ergibt sich eine Rollenvielfalt. Damit ist
Die Thematik wurde seither vermehrt in anderen Gemeinwesen angegan- eine Vielfalt von Interessen verbunden, die in
gen und durch die Wissenschaft bearbeitet. Das Ziel des Bundes besteht in potenziellen Konflikten zueinander stehen kön-
der Gewährleistung einer kohärenten, regelbasierten sowie transparenten
nen. Derartige Spannungsfelder sind kaum ver-
Eignerpolitik. Die dazu entwickelten Instrumente haben sich als hilfreich
erwiesen – sowohl hinsichtlich der Steuerung bestehender Einheiten als
meidbar – und eine gute «Public Corporate Go-
auch anlässlich von neuen Auslagerungen. Die Vorgaben sind inzwischen vernance» geht darauf ein. Unter dem Begriff
wie geplant umgesetzt worden. Ein wichtiger Bestandteil des Control- sind unter anderem Grundsätze zur Organisa-
lings bildet die Berichterstattung der Organisationseinheiten über die Um- tion und Steuerung von staatsnahen Unterneh-
setzung ihrer strategischen Ziele an Bundesrat und Parlament. Zur Wei- men zu verstehen.2
terentwicklung der Public Corporate Governance wurden unter anderem Eine wichtige Aufgabe der Public Corporate
verschiedene Mustervorlagen und Musterbestimmungen erarbeitet. Die Governance ist es, potenzielle Ziel- und Inter-
Optimierung bleibt dabei eine Daueraufgabe.
essenkonflikte zu erkennen und transparent
darzustellen.3 Dies hilft dem Bund, Entschei-

D  er Bund erfüllt nicht sämtliche Aufga-


ben selbst, die ihm zugewiesen sind. Zwar
steht beispielsweise in der Bundesverfassung,
de in Kenntnis der verschiedenen Interessen-
lagen und unter bewusster Prioritätensetzung
zu treffen. Eine zentrale Voraussetzung ist die
der Bund müsse «eine ausreichende und preis- konsequente Rollentrennung innerhalb der
werte Grundversorgung mit Post- und Fern- Bundesverwaltung. 4 Ein weiteres wichtiges
meldediensten in allen Landesgegenden» Ziel guter Public Corporate Governance ist es,
gewährleisten. Trotzdem betreibt er keine Mo- Beeinträchtigungen der Wettbewerbsmärkte
bilfunknetze und verteilt auch keine Briefe. durch bundesnahe Unternehmen so weit wie
Aufgaben wie diese wurden aus der Bundeszen- möglich zu reduzieren.
tralverwaltung an rechtlich verselbstständigte
Aktiengesellschaften wie Schweizerische Post, Steuerung als Kernelement
Swisscom, SBB, Ruag, Skyguide und den Swiss
Investment Fund for Emerging Markets (Sifem) Kernstück der Public Corporate Governance bil-
ausgelagert.1 det die Steuerung. Sie findet auf Bundesebene
Als Mehrheits- oder Alleinaktionär die- grundsätzlich auf drei Stufen mit lang-, mittel-
1 Art. 178 Abs. 3 BV; vgl. ser bundesnahen Unternehmen trägt der Bund und kurzfristiger Ausrichtung statt.5 Grundle-
Rütsche (2013).
2 Für genaue Definition
eine mehrfache Verantwortung. So muss er die gende Elemente legt der Bund langfristig in Ge-
siehe Lienhard (2002). Grundversorgung gewährleisten und gleichzei- setzen und Ausführungsbestimmungen fest.
3 Hettich et al. (2017).
4 Bundesrat (2009a), tig dafür sorgen, dass die Betriebe ihre unter- Beispiele für solche Steuerungselemente sind
OECD Guidelines (2015); nehmerische Leistungsfähigkeit erhalten. Wei- der Zweck beziehungsweise der Versorgungs-
Corporate-Governan-
ce-Grundlagen unter ter muss er sicherstellen, dass die Aufgaben auftrag einer Unternehmung, die Wahl der
www.efv.admin.ch ab-
rufbar; vgl. auch Gut- fachlich korrekt erfüllt werden. Und schliess- Rechtsform, die Struktur der Gesellschaftsorga-
zwiller (2017).
5 Bundesrat (2006); EFV
lich tritt er als Besteller von Leistungen oder als ne, die dynamische Steuerung (strategische Zie-
(2006). Marktregulator auf. le), die Haftung, die finanzielle Struktur sowie

16  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

die Kontrollmechanismen des Bundesrates als Verwaltungsräten nach Möglichkeit angemes-


Eigner. Für die erwähnten Aktiengesellschaften sen vertreten sein.
finden sich zudem wesentliche Grundsätze im Im Rahmen des Bundesgesetzes über die Mit-
Obligationenrecht. wirkung der Bundesversammlung bei der Steue-
In seiner Funktion als Eigner nutzt der Bun- rung der verselbstständigten
desrat die strategischen Ziele als dynamisches Einheiten (2010) hat das Par-
und mittelfristiges Steuerungselement. Diese lament den Kreis der Organi- Interessenbindungen
in der Regel für vier Jahre definierten Ziele be- sationen festgelegt, die über
inhalten Vorgaben zur betrieblichen Entwick- strategische Ziele gesteuert
der Verwaltungsrats­
lung der Unternehmung (unternehmensbezo- werden. Das Parlament hat mitglieder müssen pub-
gene Ziele) und zur Erfüllung der übertragenen einerseits ein Informations- liziert werden.
Aufgaben (aufgabenseitige Ziele).6 Die gesetz- recht (auf eine Berichterstat-
lichen Grundlagen – insbesondere die Zweck- tung des Bundesrates). An-
und Aufgabenbestimmungen – geben dabei dererseits kann es dem Bundesrat Aufträge zur
den Rahmen vor. Darüber hinaus können kei- Änderung der strategischen Ziele erteilen.10
ne Vorgaben gemacht werden: Die operative Der Bundesrat wählt die Verwaltungsräte
Steuerung ist nicht Aufgabe des Eigners. der bundesnahen Unternehmen aufgrund von
Über die Erfüllung der Ziele rapportieren Anforderungsprofilen. Diese Gremien sollen so
die bundesnahen Unternehmen jährlich an den besetzt werden, dass sie zu einer eigenständi-
Bundesrat, der seinerseits das Parlament infor- gen sowie sach- und fachgerechten Willensbil-
miert. Die Berichterstattung knüpft an die stra- dung fähig sind.11 Ein von der Eidgenössischen
tegischen Ziele an und ermöglicht so einen Soll- Finanzverwaltung (EFV) im Jahr 2010 entwi-
Ist-Vergleich. ckeltes Musteranforderungsprofil konkretisiert
Ein dynamisches und kurzfristiges Steue- die Anforderungen an das Kollegium, an die ein-
rungselement sind Eignergespräche. Der Bundes- zelnen Mitglieder und an das Präsidium. Zudem
rat führt solche institutionalisierte Gespräche müssen die Interessenbindungen der Verwal-
regelmässig mit der Leitung der bundesnahen tungsratsmitglieder und die Mandate der Mit-
Unternehmen. Dabei wird eine Standortbestim- glieder der Konzernleitung in den Geschäftsbe-
mung zur Zielerreichung vorgenommen, ausser- richten der Unternehmen publiziert werden.
dem werden aktuelle Fragen und Herausforde- Im Jahr 2009 begann der Bundesrat, die
rungen diskutiert.7 Corporate-Governance-Grundsätze in den be-
reits bestehenden Unternehmen und Organi-
Eignerpolitik als stetiger Prozess sationen in Staatsbesitz plangemäss umzuset-
zen.12 So wurden diverse Organisationserlasse
Im Jahr 2006 hielt der Bundesrat seine Cor- entsprechend angepasst. Beispielsweise wurde
porate-Governance-Politik erstmals in einem die Schweizerische Post per 1. Januar 2013 von
Bericht fest.8 Seither hat er seine Eignerpoli- einer Anstalt in eine spezialgesetzliche Aktien-
tik weiterentwickelt. 2009 beantwortete er in gesellschaft umgewandelt – mit dem Bund als
einem Zusatzbericht Fragen des Parlaments Alleinaktionär: Die Post ist weiterhin mit der
zur Entsendung instruierbarer Bundesvertre- Sicherstellung der Grundversorgung in den
ter.9 Gemäss diesem Bericht vertritt der Bun- Bereichen Postdienste, Zahlungsverkehr und
desrat bei Interessenkonflikten beispielsweise Personenbeförderung im Postbereich beauf-
den Grundsatz, dass das Gesellschaftsinteres- tragt,  operiert aber gemäss der neuen Postge-
se gegenüber den Interessen des Eigners Vor- setzgebung auf der Grundlage einer Konzern-
6 Vgl. Gutzwiller (2017);
rang hat. Konfliktsituationen sollen allerdings struktur. Freudiger (2016).
vermieden werden, indem der statutarische Bei der Eidgenössischen Alkoholverwaltung 7 8 Vgl. Gutzwiller (2017).
Bundesrat (2006).
Gesellschaftszweck das öffentliche Interesse (EAV) schlug der Bundesrat einen anderen Weg 9 Bundesrat (2009a).
10 Art. 28 Parlaments-
reflektiert. Im Zusatzbericht ergänzte der Bun- ein: Den für die Erfüllung der Kernaufgaben des gesetz.
desrat auch die Leitsätze: Zum Beispiel müs- Bundes erforderlichen Teil holte er Ende 2017 11 Bundesrat
5. Leitsatz.
(2006),

sen die Geschlechter und Amtssprachen in den in die Bundeszentral- bzw. Zollverwaltung zu- 12 Bundesrat (2009b).

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  17
STAATSBETRIEBE

rück. Für das ehemalige Profitcenter der EAV tragen, und die Nebenleistungen dürfen nicht
(Alco­suisse) hat er Ende Januar 2018 im Hinblick mehr als 10 Prozent ausmachen.14 Die Statuten-
auf die Liberalisierung des Ethanolmarktes den änderungen sind an den ordentlichen General-
Verkaufszuschlag erteilt. versammlungen 2018 zu beantragen. Gleichzei-
tig sind die Obergrenzen der Gesamtbeträge für
Kaderlöhne im Fokus das Honorar, die Entlöhnung und die Nebenleis-
tungen für das Jahr 2019 zur Genehmigung vor-
Als jüngste Massnahme beschloss der Bundesrat, zulegen.
die Vergütungen des obersten Kaders bundesna- Im internationalen Vergleich steht die
her Unternehmen und Anstalten stärker zu steu- Schweiz gut da. Die OECD-Guidelines zu Corpo-
ern. Im Juni 2017 hat er zu diesem Zweck für die rate Governance in staatseigenen Unternehmen
bundesnahen Unternehmen Post, Ruag, SBB, sind weitgehend erfüllt. Corporate Governance 13 Bundesrat (2017).
14 Die Regelung betref-
Sifem, Skyguide sowie Identitas (eine Tierver- ist und bleibt jedoch – gleich wie im Privatbe- fend Nebenleistungen
kehrsdatenbank) statutarische Musterbestim- reich – auch bei staatseigenen Unternehmen ein gilt auch bei Anstalten
und Stiftungen des
mungen beschlossen.13 Die börsenkotierte Swiss- stetiger Prozess. Bundes.
com ist davon nicht betroffen; sie untersteht der
Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei
börsenkotierten Aktiengesellschaften.
Die Generalversammlungen der sechs bun-
desnahen Unternehmen müssen demnach jähr-
lich im Voraus eine Obergrenze für die Honora-
re des obersten Leitungsorgans, dessen Vorsitz
sowie für die Entlöhnung der Geschäftsleitung
Jonas Vetter Jacqueline Cortesi
festlegen. Die Boni und Nebenleistungen der Rechtsanwalt, Rechts- Fürsprecherin, Rechts-
einzelnen Geschäftsleitungsmitglieder werden dienst, Eidgenössische dienst, Eidgenössische
im Verhältnis zum Fixlohn begrenzt: Der va- Finanzverwaltung (EFV), Finanzverwaltung (EFV),
Bern Bern
riable Lohnanteil darf höchstens 50 Prozent be-

Literatur
Bundesrat (2006). Bericht zur Auslagerung und Bundesrat (2017). Musterbestimmungen zur Hettich, Peter, Martin Kolmar, Magnus Hoff-
Steuerung von Bundesaufgaben (Corporate-­ Steuerung der Vergütungen des obersten Ka- mann, Jannick Koller und Mathis Lukas (2017).
Governance-Bericht) vom 13. September ders in den bundesnahen Unternehmen und Wettbewerbsverzerrungen durch öffentliche
2006. Anstalten. Unternehmen, Angewendet auf den Schwei-
Bundesrat (2009a). Zusatzbericht zum Eidgenössische Finanzverwaltung (2006). Er- zer Telekommunikationsmarkt.
Corporate-­Governance-Bericht – Umsetzung läuternder Bericht zum Corporate-Governan- Lienhard Andreas (2002). Organisation und
der Beratungsergebnisse des Nationalrates ce-Bericht des Bundesrates vom 13. Septem- Steuerung der ausgelagerten Aufgaben­
vom 25. März 2009. ber 2006. erfüllung; in: AJP 10/2002, S. 1163 ff.
Bundesrat (2009b). Umsetzungsplanung zum Freudiger, Patrick (2016). Anstalt oder Aktien- Rütsche, Bernhard (2013). Was sind öffentliche
Corporate-Governance-Bericht des Bundes­ gesellschaft, Zur Bedeutung der Rechtsform Aufgaben?, in: Recht 4/13, S. 153 ff.
rates, 25. März 2009. bei Ausgliederungen.
Gutzwiller, Roman S. (2017). Die Einflussmög-
lichkeiten des Staates auf die Strategie einer
Aktiengesellschaft mit staatlicher Beteiligung.

18  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

Heikle Garantien für Kantonalbanken


Staatsgarantien für Kantonalbanken sind ein Auslaufmodell: Sie bergen finanzielle Risi-
ken, verzerren den Wettbewerb und sind nicht mit dem EU-Recht vereinbar.  
Peter V. Kunz

Abstract  Die Staatsgarantien der Kantonalbanken sind eng mit den Themen Relikte aus dem 19. Jahrhundert
«Staatsbetrieb» und «Wettbewerb» verbunden. Die im Laufe des 19. Jahr-
hunderts entstandenen Kantonalbanken gleichen heute Universalbanken – Die Geschichte der Kantonalbanken beginnt
mit entsprechenden Risiken für die Kantone. Laut Bundesverfassung ist eine im 19. Jahrhundert: Die ersten Kantonalban-
Staatsgarantie nicht zwingend. Das Kantonalrecht entscheidet, ob eine Ga- ken wurden 1816 in Genf und 1834 in Bern ge-
rantie besteht und wie diese allenfalls ausgestaltet ist. Der Beitrag kommt gründet.3 Dabei gab und gibt es keine Pflicht,
zum Schluss: Aufgrund wettbewerbsrechtlicher Prinzipien sind Staatshilfen dass die Kantone überhaupt eine – oder aber
nicht zulässig. Zudem sind sie mit dem Beihilferecht der EU unvereinbar. Da-
nur eine einzige – Kantonalbank haben. Ehe-
her ist davon auszugehen, dass die Staatsgarantien keine langfristige Zukunft
haben werden. mals waren total 29 KB tätig, denn in den Kan-
tonen Bern, Waadt und Genf gab es jeweils
zwei KB. Während die KB ursprünglich primär

S  taatliche Wirtschaftsaktivitäten sind in


der Rechtswissenschaft ein zentrales The-
ma. Damit der Staat auf dem Markt aktiv wer-
den lokalen Bedürfnissen dienten, nähern sie
sich heute oft eigentlichen Universalbanken
an.
den kann, braucht es ein öffentliches Interesse. Die Kantonalbanken, meist stark engagiert
Dies gilt insbesondere, wenn er mit «Staats- auf dem Hypothekarmarkt, waren immer wie-
unternehmen» in Konkurrenz zu privaten Fir- der in schweizerische Immobilienkrisen in-
men tritt. Beispiele sind gemischtwirtschaftli- volviert. Dies führte auf der einen Seite dazu,
che Unternehmen wie Skyguide (im Besitz des dass in den Kantonen Solothurn und Appen-
Bundes) und die BLS (im Besitz des Kantons zell Ausserrhoden die Kantonalbanken unter-
Bern). Post, Swisscom, SBB und die Schweizeri- gingen. Auf der anderen Seite wurden bei drei
sche Nationalbank (SNB) wiederum sind recht- Instituten die Staatsgarantien aufgehoben –
lich spezialgesetzliche Gesellschaften. Durch nämlich in Bern, Genf und in der Waadt. Die
die Beteiligungen des Staates wird sicherge- Geschichte der Kantonalbanken spiegelt somit
stellt, dass ein Unternehmen nicht untergeht, die Geschichte von Finanzkrisen und insbe-
womit im Ergebnis eine implizite Staatsgaran- sondere von Immobilienkrisen.
tie verbunden ist.
Momentan gibt es in der Schweiz rund 260
Bankinstitute. Diverse Banken verfügen über «Too big to fail»
staatliche Garantien. Einerseits haben die fünf Im Zusammenhang mit der Finanz- und Bankenkrise von
grössten Bankkonzerne, die als systemrelevant 2007/2008 und mit der damaligen «Rettung» der UBS
wurde nicht allein der Politik, sondern dem schweizeri-
gelten, eine materielle Staatsgarantie, (siehe
schen Publikum wohl erstmals bewusst, dass Grossban-
Kasten), andererseits hat die Mehrheit der Kan- ken als systemrelevante Bankkonzerne («too big to fail»)
tonalbanken (KB) eine formelle Staatsgarantie über eine faktische Staatsgarantie des Bundes verfügen.
der Trägerkantone.1 Die Kantonalbanken befin- Im Bankgesetz wurde deshalb eine Regelung eingeführt,
die verhindern soll, dass solche Bankkonzerne durch den
den sich seit Langem in einer Legitimationskri- Staat «gerettet» werden müssen (Art. 7 ff. BankG). Die
se. Doch während es anfänglich um deren Tä- Massnahmen basieren auf den drei Säulen Prävention,
tigkeit als solche, dann um deren Privatisierung ­Sanierung und Abwicklung. In Koordination mit der Finanz-
1 D etails: Kunz (2016), marktaufsicht Finma hat die Schweizerische Nationalbank
Rz. 16 ff. und schliesslich um die politische Aufsicht ging,
(SNB) fünf Bankgruppen für «too big to fail» erklärt: UBS,
2 Vogel (2000), 223 ff. steht heute die kantonale Staatsgarantie im Vor-
3 Zur Historie: Kunz Credit Suisse, Zürcher Kantonalbank, Raiffeisen und Post-
(2014), 101 f. dergrund.2 finance.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  19
STAATSBETRIEBE

KEYSTONE
Wie die meisten
­Kantonalbanken ver-
Staatsgarantie ist nicht zwingend fügt auch die Banca Von den heute 24 Kantonalbanken verfügen
dello Stato del Can- 21 über eine kantonalrechtliche Staatsgarantie.
Die Bundesverfassung sieht vor, dass das Bank- tone Ticino über eine Im Wesentlichen kann dabei zwischen zwei Ga-
Staatsgarantie.
recht der «besonderen Aufgabe und Stellung der rantietypen unterschieden werden: Bei der Insti-
Kantonalbank Rechnung» tragen soll; doch all- tutsgarantie hat der Kanton für den andauernden
fällige kantonale Staatsgarantien bleiben un- Bestand der KB zu sorgen, beispielsweise durch
erwähnt.4 Im Bankengesetz sind einleitend die eine Versorgung mit Eigenmitteln; den Insol-
organisatorischen Voraussetzungen der KB be- venzfall gilt es somit a priori möglichst zu verhin-
schrieben, und im Hinblick auf ihre Schulden dern. Bei der Direktgarantie geht es hingegen um
folgt der Hinweis: Der Kanton «kann für deren eine Ausfallhaftung des Kantons gegenüber den
Verbindlichkeiten die vollumfängliche oder teil- Gläubigern, das heisst, er muss die gegenüber der
weise Haftung übernehmen».5 Mit der Formulie- KB uneinbringlichen Forderungen befriedigen.
rung «kann» wird klargestellt, dass eine Staats- Mit den Staatsgarantien der KB sind diverse
garantie der Kantone freiwillig erfolgt. ökonomische Probleme verbunden – und zwar so-
Bis zur Revision des Bankengesetzes im Jahr wohl für die Kantone als auch für private Banken,
1999 war die Staatsgarantie zwingend, seither die mit den KB in Konkurrenz stehen. Einen für
handelt es sich um ein Thema der kantonalen die Kantone heiklen Aspekt spricht der Bundes­
Autonomie. Das Kantonalrecht entscheidet, ob rat im Jahr 2017 in einem Bericht an: «Staatsgaran-
eine Staatsgarantie besteht und wie diese aus- tien [könnten] für bestimmte Banken dazu führen,
gestaltet ist. Ob die KB für ihre Staatsgarantien dass diese Banken höhere Risiken eingehen als
ein finanzielles Entgelt bezahlen, wird ebenfalls ohne eine solche Garantie.»8 In der Ökonomie ist
durch kantonales Recht festgelegt. Von 21 Kan- das Problem als Moral Hazard bekannt. Als – für
tonalbanken mit Staatsgarantie gelten 18 ihre die Konkurrenz heiklen – Aspekt wird im Bericht
Garantien ab.6 Die Kantonalbanken sind wirt- das höhere Kreditrating (und damit die tieferen Fi-
4 S R 101; Art. 98 Abs. 1 BV.
schaftlich bedeutsam: Im Jahr 2016 schütte- 5 SR 952.0; Art. 3a BankG.
nanzierungskosten) der KB erwähnt.
ten sie Gelder an die Kantone in der Höhe von 6 Lengwiler und Kilchoer Tritt der Worst Case ein, sind die Kantone
(2018), 569 ff.
1,4 Milliarden Franken aus, davon entfielen 7 Finanz und Wirtschaft mit erheblichen finanziellen Problemen kon-
140 Millionen Franken auf Abgeltungen für die (2017).
8 Bundesrat (2017), 8 f./58
frontiert. Einige KB dürften sich dabei als «too
Staatsgarantien.7 sowie 10 f./58. big to be rescued» für ihre Kantone erweisen.

20  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

Mit anderen Worten: Sie können faktisch nicht da es um eine staatspolitische Frage von zent-
gerettet werden, weil dies den Kanton finanziell raler Bedeutung geht: das Verhältnis von Bund
ruinieren würde. und Kantonen und damit um den ausgeprägten
Abgesehen davon haben die KB mit Staats­ Föderalismus helvetischer Provenienz. Nicht
garantien auf dem Markt – insbesondere bei der zuletzt dürften die betroffenen Kantone höchst
Finanzierung ihrer Tätigkeiten, aber auch bei ungern auf die Abgeltungszahlungen für ihre
den Bankkunden – einen ökonomisch nicht ge- Staatsgarantien verzichten.
rechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber Die Staatsgarantie für KB hat zwar nicht
der privaten Konkurrenz. Dass entsprechende nur, aber immerhin eine etwas mythische Be-
Wettbewerbsverzerrungen bestehen, ist nicht zu deutung, doch diese kantonalen Rechtsinstitu-
bestreiten. te dürften keine langfristige Zukunft haben.10
Bundesrechtlich erweist sie sich schon heute
Unvereinbar mit EU-Recht als nicht (mehr) zwingend. Im Hinblick auf Ver-
handlungen mit der EU über ein institutionel-
Die europapolitische Debatte kreist momen- les Rahmenabkommen sowie über ein Finanz-
tan um das aktuelle und künftige Verhältnis dienstleistungsabkommen dürften die heutigen
der Schweiz zur Europäischen Union (EU) so- Staatsgarantien der KB ein «Verhandlungs-
wie um die Zukunft des staatsvertraglichen «Bi- pfand» darstellen, das von der Politik und von
lateralismus». Im Vordergrund steht primär ein der Diplomatie schliesslich aufgegeben wird.
institutionelles Rahmenabkommen, aber eben- Wer die Kantonalbanken nicht grundsätzlich
falls – insbesondere im Hinblick auf den Ban- infrage stellen will, was ebenfalls möglich wäre,
kenplatz – ein allfälliges Finanzdienstleistungs- sollte zumindest auf deren Staatsgarantien ver-
abkommen. Es ist davon auszugehen, dass die zichten. Denn diese sind ökonomisch schlicht
Schweiz in beiden Abkommen das Beihilferecht falsch: Staatsgarantien bringen für den Staat bzw.
der EU übernehmen müsste. die 21 betroffenen Kantone (und die Kantonsbe-
Dies würde bedeuten, dass das Verbot staat- völkerungen) ernsthafte finanzielle Risiken mit
licher Beihilfen der EU in der Schweiz wirksam sich und führen zu Wettbewerbsverzerrungen
wäre. Mit diesen EU-Regelungen stehen aller- zulasten privater Banken. Meines Erachtens soll-
dings u. a. die Staatsgarantien der Kantonal- ten die Staatsgarantien von Kantonalbanken in 9 V ögeli (2009), 226 ff.
banken im Widerspruch.9 Diese Problematik der Zukunft aufgehoben werden, sie haben in der und Hirsbrunner (2017),
65 f.
ist seit Jahren bekannt, doch nunmehr geht es Schweiz keine berechtigte Zukunft mehr. 10 Vgl. Kunz (2013).
in die entscheidende Phase. Im Ergebnis dürfte
feststehen: Weder ein institutionelles Rahmen-
abkommen noch ein Finanzdienstleistungsab-
kommen mit der EU scheinen realistisch, wenn
die Schweiz und die Kantone auf der Staats­
garantie der KB beharren sollten.
Wie bereits der Kabarettist Karl Valentin
festgehalten hat: «Prognosen sind schwierig, Peter V. Kunz
besonders wenn sie die Zukunft betreffen.» Im Geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirt-
Hinblick auf die mögliche Zukunft der Staatsga- schaftsrecht, Dekan der Rechtswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Bern
rantien von KB werden sie zusätzlich erschwert,

Literatur
Bundesrat (2017). Staat und Wettbewerb – Aus- Kunz, Peter V. (2013). (V-)Erklärungen zu Lengwiler, Christoph und Kilchoer, Cyrill (2018).
wirkungen staatliche beherrschter Unterneh- Kantonal­banken, Aargauer Zeitung vom Kantonalbanken und die Staatsgarantie, in:
men auf die Wettbewerbsmärkte, Bericht vom 21. Juni 2013 (Kolumne). Krisenfeste Schweizer Banken?, Zürich.
8. Dezember 2017. Kunz, Peter V. (2014). Kreuzfahrt durch’s Vogel, Stefan (2000). Der Staat als Marktteil-
Finanz und Wirtschaft (2017). Too big to fail in schweizerische Finanzmarktrecht, Bern. nehmer (Diss.), Zürich.
den Kantonen, Artikel vom 18. März 2017. Kunz, Peter V. (2016). Too Big to Fail (TBTF): Vögeli, Andreas (2017). Staatsgarantie und
Hirsbrunner, Simon (2017). Könnte die Schweiz Konzept der Gefahrenabwehr sowie der Ret- Leistungsauftrag bei Kantonalbanken (Diss.),
ein Verbot staatlicher Beihilfen verkraften?, in: tung von systemrelevanten Finanzinstituten, Zürich.
Zeitschrift für Europarecht, 2017/3. in: Jusletter 21. November 2016.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  21
STAATSBETRIEBE

Staatsbetriebe als globale Player


Staatsunternehmen sind zusehends weltweit tätig. Um die Transparenz zu erhöhen, braucht
es klare Regeln.  Sara Sultan

Abstract  In zahlreichen Volkswirtschaften nehmen staatliche Unterneh- bereich tätig (siehe Abbildung 1). Diese Sektoren
men eine Vorrangstellung ein. Gleichzeitig sind sie auf dem Weltmarkt sind für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes
immer aktiver. Zurzeit entsprechen 22 der 100 grössten Unternehmen entscheidend. So spielen die in diesen Sektoren
weltweit der Definition eines staatlichen Unternehmens. Sind diese Unter- tätigen staatlichen Unternehmen eine wichtige
nehmen «faire» Mitbewerber? Aufgrund ihrer Nähe zu politischen Ent-
Rolle in den vor- und nachgelagerten Bereichen
scheidungsträgern werden vor allem Zweifel an der Transparenz und der
Unabhängigkeit staatlicher Unternehmen laut. Geniessen diese Unter- der internationalen Produktionsketten. Zudem
nehmen durch die staatliche Eigentümerschaft eine Vorzugsbehandlung? ist der Anteil grenzüberschreitender Geschäf-
Ein systematischer Missbrauch ihrer Marktstellung ist zwar nicht nachge- te und Investitionen in den meisten dieser Sek-
wiesen – trotzdem könnten strenge Transparenz- und Offenlegungsstan- toren hoch. Und schliesslich verfügen in Netz-
dards, nach dem Vorbild der international anerkannten OECD-Prinzipien, werkindustrien tätige Staatsbetriebe über eine
dazu beitragen, die Bedenken zu zerstreuen und Protektionismus zu ver- potenzielle Monopolstellung in einigen Teilen
meiden. ihrer Wertschöpfungsketten. So verhindern sie
bei gewissen Geschäftstätigkeiten womöglich

S  taatliche Unternehmen machen weltweit


einen bedeutenden – und bestimmten Be-
rechnungen zufolge auch einen stetig wachsen-
den freien Marktzugang.

Trend zur weltweiten Expansion


den – Teil der Wirtschaft aus.1 Gestützt auf die
Daten von 39 «OECD plus»-Staaten (siehe Kas- Staatliche Unternehmen sind immer häu-
ten  1) und je nach Grad der staatlichen Kont- figer auch auf den Weltmärkten aktiv. Zur-
rolle (vollständig oder mehrheitlich in staatli- zeit werden 22 der 100  grössten multinationa-
chem Besitz) umfasst der Bereich der staatlichen len Unternehmen vom Staat kontrolliert.3 Dies
Unternehmen knapp 2500 kommerziell tätige ist ein Rekordwert seit Jahrzehnten. Wesent-
Betriebe. Ihr Gesamtwert wird innerhalb dieser lich zur Internationalisierung beigetragen ha-
Staatengruppe auf über 2,4 Billionen Dollar ge- ben grenzüberschreitende Fusionen und Über-
schätzt, und sie beschäftigen mehr als 9,2 Mil- nahmen: Die staatlichen Unternehmen sind
lionen Mitarbeitende. Nimmt man die Zahlen seit 2005 rasch gewachsen und klettern in der
aus China dazu, steigt die Gesamtzahl auf rund Wertschöpfungskette immer weiter nach oben.
53 000 Unternehmen mit einem Gesamtwert Die Fusionen und Übernahmen hatten während
von 31,6 Billionen Dollar und rund 30 Millionen der Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jah-
Beschäftigten.
Der Anteil staatlicher Unternehmen an
der Wirtschaftstätigkeit (gemessen am BIP, Kasten 1: Ländergruppe «OECD plus»
Als «OECD plus» wird eine Gruppe von 39 Ländern bezeichnet,
an der Beschäftigung oder den Investitionen)
die die Mehrheit der OECD-Mitglieder umfasst sowie einige
schwankt von einem Land zum anderen. Wäh- Volkswirtschaften, die nicht zur OECD gehören, wie Argenti-
1 Die hier geäusserten
rend er in einigen Schwellenländern zwischen nien, Brasilien, Costa Rica, Indien, Kolumbien, Litauen und Saudi-
Meinungen und vor- 10 und 30  Prozent liegt, ist er in den meisten Arabien. Die Daten für diese Gruppe sind repräsentativ für die
gebrachten Argumente staatlichen Unternehmen auf Regierungsebene, unabhängig
entsprechen der Sicht OECD-Mitgliedsstaaten mit 0,5 bis 2  Prozent davon, ob es sich um zentralistische oder föderalistische Re-
der Autorin und stim-
men nicht zwingend
wesentlich tiefer.2 Unabhängig von ihrer Grösse gierungen handelt. Gewisse Länder sind in den aggregierten
mit der offiziellen Sicht- und ihrer Bedeutung sind staatliche Unterneh- Daten aufgrund fehlender Informationen nur teilweise vertre-
weise der OECD oder ten oder wurden teils bewusst weggelassen. Die Datenreihe
der OECD-Mitglieds- men in den meisten Volkswirtschaften wichtige
endet mit dem Jahr 2015 und betrifft nur kommerziell ausge-
staaten überein.
2 OECD (2017).
Akteure. Sie sind vorwiegend im Transportwe- richtete staatliche Unternehmen, wobei sich die Daten gröss-
3 OECD (2016). sen, im Dienstleistungssektor und im Finanz- tenteils auf deren eigene Angaben stützen.

22  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

ren 2008 und 2009 einen Höhepunkt erreicht, Unternehmen Ängste vor möglichen Wettbe-
bevor sie zu einem regelmässigeren Wachs- werbsverzerrungen. Da Landesgrenzen für die
tum zurückfanden und seit 2016 wieder anzie- Märkte je länger, je weniger ein Hindernis dar-
hen (siehe Abbildung 2). Da von einem robusten stellen, besteht das Risiko, dass nationale Poli-
Wachstum der Schwellenländer auszugehen ist, tiken negative Auswirkungen im Ausland nach
die über einen grossen öffentlichen Sektor ver- sich ziehen. So sind beispielsweise die Überka-
fügen, dürfte die Bedeutung der Staatsbetriebe pazitäten in der Stahlproduktion das Ergebnis
auf den Weltmärkten tendenziell weiterhin zu- politischer Entscheide – was die Kapitalflüsse
nehmen. hin zu wenig effizienten Aktivitäten lenkt.
Nebst diesen Ängsten gibt es Bedenken in
Grund zur Sorge? Bezug auf die Transparenz und die Unabhän-
gigkeit von Unternehmen, die den politischen
Durch die Vertiefung der Handelsbeziehungen Entscheidungsträgern nahestehen. Ein weiterer
und die zunehmende Internationalisierung der Kritikpunkt ist die vermutete Vorzugsbehand-
Wertschöpfungsketten sind zahlreiche neue Expansion über die lung dieser Unternehmen. Einige Beobachter
Geschäftsmöglichkeiten entstanden – gleich- Landes­grenzen: hinterfragen zudem die politischen Motive, die
zeitig haben sich aber auch die damit verbunde- Windpark des zu gewissen Firmenübernahmen durch staatli-
­schwedischen
nen Herausforderungen vervielfacht. Nament- Energie­konzerns
che Unternehmen geführt haben. Gleichzeitig
lich schürt die weltweite Expansion staatlicher ­Vattenfall vor der äussern sie sich besorgt über Staatsgarantien.
englischen Küste.

ALAMY

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  23
STAATSBETRIEBE

Abb. 1. Sektorielle Aufteilung der staatlichen Unternehmen in den Diese Sorgen gelten aber nicht nur für staatliche
«OECD plus»-Staaten (2015) Unternehmen, sondern bestehen teilweise auch
in Bezug auf die Vorzugsbehandlung der «na-
Nach Wert Nach Beschäftigung
tionalen Champions» eines Landes oder bezüg-
lich der Rolle öffentlicher Finanzinstitutionen
bei der Gewährung von Darlehen zu Vorzugs-
konditionen. Zwar deutet aktuell nichts darauf
hin, dass staatliche Unternehmen ihre Macht

OECD (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


systematisch missbrauchen. Die genannten Be-
fürchtungen nicht ernst zu nehmen, würde aber
dazu führen, dass weiterhin das Gefühl vor-
herrscht, es werde mit ungleich langen Spiessen
gekämpft. Die politischen Entscheidungsträger
  Primärsektor        Produktion        Finanzen        Telekom        Elektrizität und Gas     wiederum könnten ein Nichtstun als Aufforde-
  Transportwesen        Weitere Dienstleistungen        Immobilien        Übrige Aktivitäten rung zum Protektionismus auffassen. An den
entsprechenden Folgen würden vor allem der
Handel und die Investitionen leiden, insbeson-
DEALOGIC M&A ANALYTICS DATABASE, BERECHNUNGEN VON MICHAEL GESTRIN

Abb. 2. Grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen durch


dere da an einigen der grössten Fusionen und
staatliche Unternehmen
Übernahmen Staatsbetriebe oder staatlich kon-
160     In Mrd. Dollar In %     24 trollierte Unternehmen beteiligt waren.

120 18
Transparenz vermehrt im Fokus
80 12 Die Politik ist nicht untätig geblieben. Bisher
(OECD) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

lag das Augenmerk auf einer stärkeren Kont-


40 6
rolle von Investitionen und auf dem Monitoring
der staatlichen Unternehmen. Obwohl stren-
0 0
ge WTO-Regeln zu Subventionen an staatli-
che Unternehmen existieren, lassen sich diese
13

14

15

16

17
09

10

11
12
0
01
02

03

04

05

06

07

08
0

20

20

20
20
20

20

20
20
20

20

20
20
20

20
20

20

20
20

nicht wirklich auf «moderne» Staatsunterneh-


  Grenzüberschreitende Übernahmen durch staatliche Unternehmen (in Mrd. Dollar)          Anteil der
staatlichen Unternehmen an allen grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen (rechte Achse)
men anwenden. Aus diesem Grund enthalten
die neusten präferenziellen Handelsabkommen,
Als staatliche Unternehmen gelten hier Betriebe, die vollständig in Staatsbesitz wie etwa das Transpazifische Partnerschafts-
und nicht an der Börse kotiert sind. Staatsfonds sind mit eingeschlossen, sofern
abkommen (TPP), eigene Bestimmungen zu den
sie dieser Definition entsprechen.
Staatsbetrieben. Sie sehen beispielsweise zu-
sätzliche Verpflichtungen für Handelstransak-
Kasten 2: OECD-Leitsätze zu Staatsunternehmen tionen vor, an denen gegebenenfalls staatliche
Die OECD-Leitsätze zur Corporate Gover- ren Sinne, in welchem die staatlichen Unter-
Unternehmen beteiligt sind.
nance für staatseigene Unternehmen helfen nehmen tätig sind. Sie lassen sich vor allem Der Fokus sollte deshalb in Zukunft ver-
dem Staat, seinen Pflichten als Eigentümer auf staatliche Unternehmen anwenden, die mehrt auf striktere und klarere Regeln für
professioneller nachzukommen. Sie zielen wirtschaftliche Aktivitäten ausüben – ent-
staatliche Unternehmen gelegt werden. Die
darauf ab, dass staatliche Unternehmen zum weder ausschliesslich oder in Kombination
einen ihre Tätigkeiten nach den gleichen mit der Verfolgung öffentlicher Politikzie- Vorschriften müssen stärker an die Trans-
Regeln der Effizienz, der Transparenz und le oder der Ausübung staatlicher Hoheits- parenz- und Rechenschaftspflichten der
der Rechenschaftspflicht ausüben wie gut gewalt oder von Aufgaben zur Vertretung OECD-Leitsätze zu Corporate Governance in
geführte Privatunternehmen. Zum andern der Regierung. Die Leitsätze richten sich an
sollen für staatliche und private Unterneh- jene Verwaltungseinheiten, die für staat-
staatseigenen Unternehmen (siehe Kasten 2)
men im Wettbewerb die gleichen Voraus- liche Unternehmensbeteiligungen zustän- angeglichen werden. 4 Erstens muss sicher-
setzungen gelten. Die Leitsätze behandeln dig sind, und stellen zudem eine nützliche gestellt werden, dass inländische wie auch
die Good Governance auf Ebene der einzel- Orientierungshilfe für die in staatlichen
ausländische Unternehmen von der Gesetz-
nen staatlichen Unternehmen, aber auch die Unternehmen für die Unternehmensführung
staatliche Eigentumspraxis sowie das regu- zuständigen Organe dar – darunter Verwal- gebung und der Wettbewerbspolitik auf na-
latorische und gesetzliche Umfeld im weite- tungsrat und Geschäftsleitung. tionaler Ebene gleichbehandelt werden. Zwei-

24  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

Grossbanken in
Staatsbesitz: Indus-
trial and ­Commercial
Bank of China und
Bank of China in
Hongkong.

KEYSTONE
tens gilt es, neutrale Rahmenbedingungen politischen Entscheidungsträger in ihren Bemü-
für den Wettbewerb sowie Regeln für staatli- hungen unterstützen, die Märkte für den grenz-
che Hilfen und Subventionen zu schaffen. Da- überschreitenden Handel und die grenzüber-
durch wird gewährleistet, dass die politischen schreitenden Investitionen offen zu halten. Das
Richtlinien der einen oder anderen Jurisdik- Ziel lautet: gleich lange Spiesse für alle. 4 OECD (2015).
tion nicht gewollt oder ungewollt die gesamte
Wettbewerbssituation beeinflussen. Drittens
sind strenge Governance-, Offenlegungs-, Re-
chenschafts- und Transparenzstandards für
staatliche Unternehmen zu fördern. Dies ga-
rantiert die Einhaltung von marktwirtschaft-
lichen Prinzipien.
Die künftigen Arbeiten der OECD konzent-
rieren sich auf eine Harmonisierung der Trans- Sara Sultan
Politikanalystin, Abteilung Unternehmensfragen
parenz- und Offenlegungsregeln für staatli- der ­Direktion Finanz- und Unternehmensfragen,
che Unternehmen unter Berücksichtigung der ­Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD), Paris
internationalen Best Practices. Sie sollen die

Literatur
OECD (2015). OECD-Leitsätze zu Corporate OECD (2016). State-Owned Enterprises as Glo- The E15 Initiative (2016). Governments as Com-
Governance in staatseigenen Unternehmen, bal Competitors: A Challenge or an Opportu- petitors in the Global Marketplace: Options
Paris. nity?, Paris. for Ensuring a Level Playing Field, Genf.
OECD (2017). The Size and Sectoral Distribution
of State-Owned Enterprises, Paris.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  25
STAATSBETRIEBE

Die fehlende Disziplinierung staatlicher


Beihilfen in der Schweiz
In der Schweiz fehlt es an griffigen Leitplanken für die Gewährung von Beihilfen. Auch
dominiert die Intransparenz. Der Einfluss völkerrechtlicher Beihilfevorgaben auf die
Praxis in der Schweiz wird tendenziell zunehmen.  Matthias Oesch, Nina Burghartz

Abstract    Staatliche Beihilfen gehören zum Standardrepertoire staatli- Teilordnungen» sind eng verklammert. Gleich-
cher Politikgestaltung. Gleichzeitig stehen sie mit dem Gebot staatlicher wohl präsentieren sich die gewählten Lösungen
Wettbewerbsneutralität in Konflikt. So entsteht ein Spannungsfeld. Beihil- unterschiedlich.
ferechtliche Vorgaben finden sich im Völker- und Landesrecht. Das WTO-
Recht enthält für den Warenhandel umfassende Regeln. Das Freihandels-
abkommen und das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der WTO-Recht
EU lehnen sich an das EU-Beihilfeverbot an. Dies dürfte auch für zukünftige
Marktzugangsabkommen mit der EU gelten, womit das EU-Beihilferecht Völkerrechtlich sind insbesondere die Vorgaben
in der Schweiz bedeutsamer werden dürfte. Demgegenüber enthält das der Welthandelsorganisation (WTO) bedeut-
schweizerische Recht kaum griffige Vorgaben. Immerhin setzt der Grund- sam. Das WTO-Abkommen über Subventionen
satz der staatlichen Wettbewerbsneutralität gewisse Schranken. Zudem und Ausgleichsmassnahmen enthält detaillier-
existieren Vorschriften gegen ungerechtfertigte Steuererleichterungen. te Vorschriften über die Gewährung von Sub-
Es scheint prüfenswert, die Gewährung von Beihilfen auch in der Schweiz ventionen. Es beruht auf einem Ampelansatz:
stärker zu disziplinieren.
Ausfuhr- und Importsubstitutionssubventio-
nen sind per se verboten (rotes Licht). Spezifi-

S   taatliche Beihilfen bewegen sich in einem


Spannungsfeld. Auf der einen Seite gehö-
ren sie zum Standardrepertoire staatlicher Poli-
sche Subventionen, welche sich nachteilig auf
die Interessen eines WTO-Mitglieds auswirken,
sind anfechtbar (gelbes Licht). Bis 1999 enthielt
tikgestaltung. Staatliche Behörden gewähren das Abkommen zudem eine Liste von Subven-
einzelnen Unternehmen nicht rückzahlbare tionen, welche als nicht anfechtbar galten (grü-
Zuschüsse, zinslose Darlehen, Steuererleichte- nes Licht). Dazu gehörten Subventionen für For-
rungen oder die verbilligte Nutzung staatlicher schungstätigkeiten, für benachteiligte Regionen
Liegenschaften, um die private Erwerbstätigkeit und für die Anpassung bestehender Einrich-
im öffentlichen Interesse zu beeinflussen. Auf tungen an neue Umweltvorschriften. Seit 2000
diese Weise werden Arbeitsplätze erhalten, die gelten auch diese Subventionstypen als an-
Entwicklung neuer Technologien wird unter- fechtbar. Das ist problematisch. Die WTO wird
1 Die Begriffe «staatliche stützt, und benachteiligte Regionen werden ge- nicht darum herumkommen, Subventionstat-
Beihilfe» (als spezifisch
europarechtlicher Be- fördert. Auf der anderen Seite stehen staatliche bestände zu definieren, welche zulässig sind –
griff) und «Subven-
tion» werden in diesem
Beihilfen mit dem Gebot staatlicher Wettbe- wenngleich ein Konsens darüber nicht absehbar
Beitrag synonym ver- werbsneutralität in Konflikt: Ausgewählte pri- ist. Dieser Zustand reflektiert den funktionalen
wendet. Der Bundesrat
stützt sich in seinem vate und öffentliche Unternehmen profitieren Charakter der Welthandelsordnung, die zumin-
periodisch veröffent-
lichten Subventions-
von Vorteilen, welche ihnen unter normalen dest in diesem Bereich keine verfassungsrecht-
bericht hingegen auf Marktbedingungen nicht gewährt werden. liche Ausprägung im Sinne positiver Integration
einen weiteren Subven-
tionsbegriff, der sowohl Das Recht steht vor der Herausforderung, erfahren hat.
Finanzhilfen als auch diese gegenläufigen Interessen einem ange-
Abgeltungen sowie ge-
WTO-Mitglieder können die Einsetzung
wisse Beiträge an inter- messenen Ausgleich zuzuführen. Sowohl das eines Streitschlichtungspanels verlangen, um die
nationale Organisatio-
nen umfasst. Völkerrecht als auch das Landesrecht machen Rechtmässigkeit einer Subventionspraxis eines
2 Heute Art. 107 AEUV. Vorgaben zur Gewährung von staatlichen Bei- anderen WTO-Mitglieds überprüfen zu lassen.
3 Cottier et al. (2014), 
Rz. 737–742. hilfen.1 Diese vertikal angeordneten «Beihilfen- Sofern die beklagte Partei eine ver­botene oder

26  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

angreifbare Subvention nicht einstellt, wird die lichen Beihilfeverbot nachgebildet2 – mit der
klägerische Partei ermächtigt, Gegenmassnah- merkwürdigen Ausnahme, dass das Abkommen
men zu ergreifen. Ergänzend dazu sind WTO- keine zulässigen Beihilfetatbestände definiert.
Mitglieder berechtigt, unilateral Ausgleichszölle Die Vertragsparteien legen das Beihilfeverbot
auf Produkte zu erheben, die von verpönten Sub- im Rahmen der völkerrechtlichen Auslegungs-
ventionen profitieren. regeln nach ihrem eigenen Gusto aus. Dies führt
Die Schweiz war noch nie aktiv an einem leichthin zu divergierenden Resultaten, wie sich
WTO-Streitbeilegungsverfahren beteiligt, in in der als «Steuerstreit» bekannten Auseinan-
dem die Rechtmässigkeit einer Subvention zur dersetzung um kantonale Steuerprivilegien für
Debatte stand. Ebenso verzichtet die Schweiz im Ausland tätige Unternehmen anschaulich
traditionell darauf, unilateral Ausgleichszölle gezeigt hat.3
auf subventionierte Produkte zu erheben. Es ist Von den weiteren bilateralen Abkommen
bezeichnend, dass die Schweiz – im Gegensatz zwischen der Schweiz und der EU enthält auch
zu den meisten WTO-Mitgliedern – die Vorga- das Luftverkehrsabkommen von 1999 eine Bei-
ben zum Erlass von Ausgleichsmassnahmen hilferegelung. Diese spezifisch auf den Luft-
nicht ins nationale Recht übergeführt hat. verkehr anwendbare Vorschrift entspricht dem
EU-rechtlichen Beihilfeverbot. Das Abkommen
Bilaterale Abkommen Schweiz-EU verpflichtet die Vertragsparteien zur ­Schaffung
von Verfahren, mit denen die Einhaltung des Bei Verhandlungen
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU Beihilfeverbots überwacht wird. In der EU zwischen der Schweiz
und der Schweiz von 1972 verbietet staatliche kommt diese Aufgabe der Europäischen Kom- und der EU sind staat-
Beihilfen, die den Warenverkehr zwischen den mission zu. In der Schweiz übernimmt die Wett- liche Beihilfen ein
zentraler Punkt. Bun-
Vertragsparteien beeinträchtigen. Diese Be- bewerbskommission (Weko) diese Funktion: Sie desrat Ueli Maurer (l.)
stimmung ist praktisch wörtlich dem EU-recht- gibt nicht bindende Stellungnahmen ab. Dies ist mit EU-Kommissar
Pierre Moscovici.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  27
STAATSBETRIEBE

ein bemerkenswertes Novum in einem Land, Das Binnenmarktgesetz von 1995 (BGBM)
das kein Sensorium für die nötige Disziplinie- verzichtet darauf, die Gewährung von kanto-
rung staatlicher Beihilfen hat. nalen Subventionen zu disziplinieren. Das ist
In Zukunft wird die Schweiz bei neuen merkwürdig. Mit Blick auf den Regelungszweck
Marktzugangsabkommen mit der EU – etwa im des BGBM, auswärtigen Wirtschaftsteilneh-
Bereich der Energie und der (Finanz-)Dienstleis- mern «freien und gleichberechtigten Zugang
tungen – kaum darum herumkommen, das EU- zum Markt»9 zu ermöglichen, scheint es zwin-
Beihilferecht als Benchmark zu akzeptieren. gend, die Binnenmarktfreiheit vor Verfälschun-
gen zu schützen. Das Regelungspotenzial des
Schweizerisches Recht BGBM liegt diesbezüglich brach.

Das schweizerische Recht enthält – abgesehen Steuerharmonisierung


vom Subventionsgesetz von 1990, das allgemei- Das Konkordat über den Ausschluss von Steuer-
ne Vorgaben auf Bundesebene statuiert – keine abkommen von 1948 und das Steuerharmonisie-
griffigen subventionsrechtlichen Vorschriften. rungsgesetz von 1990 erlauben den Kantonen,
Vor allem die Kantone bleiben in der gezielten neu angesiedelten Unternehmen Steuererleich-
Förderung der heimischen Wirtschaft weitge- terungen zu gewähren. Die Maximaldauer be-
hend frei. Immerhin blinken zwei Warnlampen, trägt zehn Jahre.
die zu berücksichtigen sind. Die Durchsetzung dieser materiellen Steuer-
harmonisierung weist allerdings erhebliche
Wirtschaftsfreiheit Defizite auf. Zum einen ist es für eine Über-
Die Bundesverfassung (BV) verpflichtet alle prüfung umstrittener Privilegierungen selbst-
staatlichen Behörden, den Grundsatz der Wirt- redend notwendig, dass Steuererleichterungen
schaftsfreiheit zu beachten.4 Dieser Grundsatz überhaupt publik gemacht werden – was selten
gilt auch bei der Gewährung von Subventionen.5 passiert. Zum anderen sind Bestrebungen zur
Abweichungen sind nur zulässig, sofern sie in effizienteren Durchsetzung der Steuerharmo-
der BV vorgesehen oder durch kantonale Regal- nisierung bis heute regelmässig gescheitert. So
rechte begründet sind. Im Zentrum steht dabei schlug 2004 und 2008 je eine Expertenkommis-
die Beurteilung, ob es sich um grundsatzkon- sion die Schaffung einer unabhängigen Kont-
forme Massnahmen handelt, welche – sofern rollkommission vor, deren Hauptaufgabe darin
sie zusätzlich die allgemeinen Anforderungen bestanden hätte, unzulässige Praktiken anzu-
an Grundrechtsbeschränkungen6 erfüllen – er- fechten. Obwohl der Bundesrat und eine Mehr-
laubt sind, oder aber um grundsatzwidrige Ein- heit der Kantone für eine griffigere Durchset-
griffe in das Spiel von Angebot und Nachfrage, zung votierten, sprachen sich insbesondere
welche unzulässig sind. Existenzsichernde Bei- Wirtschaftsverbände und die bürgerlichen Par-
hilfen sind vermutungsweise grundsatzwidri- teien gegen die Schaffung einer solchen Kont-
ge Massnahmen.7 Umgekehrt dürften Beihilfen, rollkommission aus.10
welche wettbewerbsneutral ausgestaltet sind
und den Wettbewerb nicht (spürbar) verzerren, Paradoxe Situation in der Schweiz
in aller Regel grundsatzkonform sein.
Der grundrechtliche Anspruch auf Gleichbe- Die Würdigung der beihilferechtlichen Vor-
handlung der Konkurrenten konkretisiert den gaben im Völker- und Landesrecht ergibt ein
Grundsatz der Wettbewerbsneutralität.8 Privi- durchmischtes Bild. Abschliessend lassen sich
4 Art. 94 BV. legierungen zugunsten einzelner Wirtschafts- folgende Thesen formulieren:
5 Botschaft über eine
neue Bundesverfassung teilnehmer können durch gewichtige öffentliche –– Griffige Beihilferegeln sind ein integrales
vom 20. November
1996, BBl 1997 I 1, 308.
Interessen gerechtfertigt werden. Problematisch Element staatlicher Wettbewerbsneutrali-
6 Art. 36 BV. ist, dass es gemäss (weitum kritisierter) bundes- tät. Sie schützen legitime Erwartungen und
7 Reich, Rz. 875.
8 Art. 27 i. V. m. Art. 94 gerichtlicher Praxis nur direkten Konkurrenten gewährleisten «level playing fields». Dies gilt
BV.
9 Art. 1 BGBM.
möglich ist, sich auf den Grundsatz der Gleichbe- insbesondere mit Blick auf die Absicherung
10 Cavelti, passim. handlung der Konkurrenten zu berufen. von Marktzugangsrechten. Das WTO-Recht

28  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

enthält restriktive Vorschriften für die Ge- –– Der Einfluss völkerrechtlicher Beihilfevorga-
währung von Subventionen, und einzelne ben auf die Praxis in der Schweiz wird ten-
bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz denziell zunehmen. Dies gilt insbesondere
und der EU lehnen sich an das EU-Beihil- für den Fall, dass die Schweiz neue Markt-
feverbot an. Demgegenüber enthält das zugangsabkommen mit der EU abschliesst
schweizerische Recht keine griffigen Vorga- und dabei das EU-Beihilferecht übernimmt.
ben. Die Kantone bleiben in der Förderung Dabei dürfte es sich als anspruchsvoll er-
der heimischen Wirtschaft weitgehend frei. weisen, die Anwendung des Beihilferechts
Hier besteht ein Paradox. «sklavisch» nur auf den von einem Abkom-
–– In der Schweiz dominiert die Intransparenz. men erfassten Politikbereich zu beschrän-
Das tatsächliche Ausmass von Fördermass- ken. Es ist zu vermuten, dass entsprechende
nahmen zumindest auf kantonaler Ebene ist Beihilfevorgaben auch in andere Rechtsge-
nicht bekannt. Vorstösse zur Schaffung von biete «mäandern» und Fördermassnahmen 11 Postulat 15.3387 «Für
einen funktionierenden
Meldepflichten sind im Parlament regelmäs- tangieren, die prima vista nicht dem von Wettbewerb. Gegen
sig gescheitert – bis der Nationalrat im März einem Abkommen erfassten Politikbereich wettbewerbsverzerren-
de staatliche Beihilfen»
2017 ein Postulat der FDP-Liberale-Fraktion zuzuordnen sind. vom 4. Mai 2015.
angenommen hat.11 Darin wird der Bundes-
rat aufgefordert, Formen und Umfang staat-
licher Beihilfen sowie allfällige Handlungs-
optionen aufzuzeigen.
–– Es ist prüfenswert, die Gewährung von Bei-
hilfen auch in der Schweiz stärker zu diszi-
plinieren. Dabei ist es fraglich, ob die Wirt-
schaftsfreiheit strukturell in der Lage ist,
das Fehlen spezifischer Vorgaben allein qua Matthias Oesch Nina Burghartz
Professor für Öffentliches Wissenschaftliche Assis-
rechtsschöpferischer Grundrechtsverwirkli- Recht, Europarecht und tentin, Universität Zürich
chung auszugleichen. Praxis und Lehre tun Wirtschaftsvölkerrecht,
sich schwer, der Wirtschaftsfreiheit ausser- Universität Zürich

halb der klassischen Eingriffsverwaltung


(also da, wo die öffentliche Verwaltung mit
Literatur
hoheitlichen Anordnungen in Freiheit und Cavelti, Ulrich (2008). Die Schliessung der Durchsetzungslücke des
Eigentum der Bürger und der Unternehmen Steuerharmonisierungsgesetzes, in: IFF Forum für Steuerrecht,
287–296.
eingreift) Konturen zu verleihen – geschwei- Cottier, Thomas et al. (2014). Die Rechtsbeziehungen der Schweiz und
ge denn gestützt auf die Wirtschaftsfreiheit der Europäischen Union, Bern.
Oesch, Matthias (2012). Staatliche Subventionen und auswärtige Wirt-
ein stimmiges Beihilferegime zu entwickeln. schaftsteilnehmer, in: ZSR, 255–284.
Oesch, Matthias (2013). Die (fehlende) Disziplinierung staatlicher Bei-
Es läge somit am Verfassungs- und Gesetz- hilfen durch die Kantone, in: AJP, 1337–1348.
geber, griffige Leitplanken und einen Durch- Reich, Johannes (2011). Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit, Zürich und
St. Gallen.
setzungsmechanismus aufzustellen. Rhinow, René et al. (2011). Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., Basel.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  29
«Als CEO bin ich nicht nur dem Bund,
sondern allen unseren rund 70 000
­Investoren verpflichtet.» Swisscom-
Chef Urs Schaeppi in der ehemaligen
Bollwerkpost in Bern.

MARLEN VON WEISSENFLUH / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


FOKUS

«Post und Swisscom haben einzig


den Hauptaktionär gemeinsam»
Im Gegensatz zur Post erhält die Swisscom keine staatlichen Gelder. «Wir möchten kei-
ne Subventionen», sagt Swisscom-Chef Urs Schaeppi im Interview. Im Gegenzug erwar-
te er aber vom Bund, dass dieser die Swisscom als eigenständige Firma behandle.  
Nicole Tesar

Herr Schaeppi, woran und wie oft merken Sie, telefonie und den Beginn des Mobilfunks. Die
dass Sie Chef eines Unternehmens mit Mehr- Infrastruktur und das Angebot haben sich seit-
heitsbeteiligung des Bundes sind? her stark verändert. Die Swisscom gehört heute
Im laufenden Geschäft spüren wir den Einfluss zu den grössten IT-Unternehmen der Schweiz.
des Bundes wenig, wir sind autonom – das ist in Schnelles Internet, Fernsehen, IT-Services und
einem liberalisierten Markt wichtig für uns. Der der Mobilfunk haben massiv an Bedeutung ge-
Bund ist ein guter und langfristig orientierter wonnen, die Festnetztelefonie ist stark rück-
Aktionär. Er gibt uns strategische Ziele vor und läufig.
hat einen Vertreter im Verwaltungsrat.
Sie machen rund 80 Prozent des Umsatzes mit
Er macht auch Vorgaben über Auslandsaktivi- Produkten, die in den vergangenen zehn Jahren
täten. Sie dürfen beispielsweise nicht in Firmen entwickelt wurden. Stimmt das?
investieren, die einen Grundversorgungsauf- Ja, das ist so. Das zeigt, wie schnell sich unser
trag haben. Geschäft und die Swisscom verändern. Wir sind
So wie sich der Telekommunikationsmarkt ent- beispielsweise auch im Cloud-Geschäft tätig.
wickelt hat, schränkt uns das nicht ein. Ein Eine weitere Erfolgsgeschichte ist Swisscom TV:
Konkurrent muss in dieser Branche eine gewis- Von null Prozent Marktanteil sind wir Markt-
se Grösse aufgebaut haben. Folglich ist der In- leader im digitalen Fernsehgeschäft geworden.
vestitionsbedarf riesig. Wir investieren in der Im jüngsten Innovationsranking des St. Galler
Schweiz jährlich rund 20 Prozent des Umsatzes Marketingberaters HTP sind wir unter den Top
in die Infrastruktur. Die Swisscom ist zu klein 3. All das zeigt: Die Swisscom hat vieles richtig
für solche Projekte im Ausland. gemacht, sonst hätten wir nicht diese Markt-
stellung. Während die Konkurrenz teils ledig-
Ihre italienische Tochter Fastweb wächst. lich die Preise drückte, setzten wir konsequent
In Italien, wo der Markt stark schwankt, ist das auf Innovation und Qualität.
Risiko grösser als bei uns. Dafür gibt es dort
mehr Wachstum – erst die Hälfte der Haushalte
hat einen Internetanschluss.
Zur Person
In den Kerngeschäften Festnetz, Mobil und Seit 2013 ist Urs Schaeppi Chef der Swisscom, die zu 51 Pro-
Breitband übertreffen Sie in der Schweiz bei zent im Besitz des Bundes ist. Seit 2006 ist der 58-jährige Ber-
ner Mitglied der Konzernleitung. In die Swisscom eingetreten
den Marktanteilen die Konkurrenten. Der Vor- ist er kurz nach der Liberalisierung des Schweizer Telekom-
teil eines Ex-Monopolisten? marktes im Jahr 1998, als die PTT in die Post und die Swisscom
Unser Erfolg basiert nicht auf einer Erbschaft. aufgeteilt wurde. Schaeppi begann seine Swisscom-Karriere
in der Mobilfunksparte. Zuvor war er unter anderem als Be-
Sie blenden die Realität des Marktes aus. Als
triebsleiter der Papierfabrik Biberist SO tätig. Der studierte
die Swisscom vor zwanzig Jahren in den freien Maschinenbauingenieur absolvierte später ein Betriebswirt-
Markt entlassen wurde, gab es nur die Festnetz- schaftsstudium an der Universität St. Gallen.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  31
STAATSBETRIEBE

Sie konnten beim TV-Markteintritt von In den strategischen Vorgaben steht, der
Kunden­bindungen und der vorhandenen ­Aktienkurs müsse mit vergleichbaren
­Netz­infrastruktur profitieren. ­Unternehmen in Europa Schritt halten.
Unsere Netze waren schmalbandig. Wir muss- Das heisst nichts anderes als: Die finanziellen
ten sie zuerst ausbauen. Die Konkurrenz hin- Kennzahlen und die Aktienkursentwicklung
gegen verfügte bereits über breitbandige Netze müssen sich nahe den Vergleichswerten befinden.
und hatte 100 Prozent Marktanteil im Festnetz-
TV. Wir haben durch Innova- Wie beeinflussen Sie als Swisscom-Chef den
tion neue Produkte geschaf- Aktienkurs?
«Unser Erfolg basiert fen. Als Herausforderer im Das geschieht indirekt. Als CEO treffe ich re-
nicht auf einer Erb- freien Wettbewerb punkte- gelmässig institutionelle Investoren und ver-
ten wir mit zeitversetztem suche das Vertrauen der Anleger zu gewinnen
schaft.»
Fernsehen und dem Spei- und zu bestätigen. Relevant für die langfristige
chern von Filmen in der Kursentwicklung sind dabei unsere Leistungen
Cloud. Ein Erfolgsrezept war auch das Kombipa- – unter anderem die Entwicklung der Finanz-
ket für Telefonie, Fernsehen und Internet: Das kennzahlen und unsere Marktposition.
Angebot inOne ist unser erfolgreichstes je lan-
ciertes Produkt in Bezug auf die Kundenzahlen. Seit der Marktöffnung ist die Grundversor-
gungskonzession bei der Swisscom. Was be-
Die Marktanteile der Swisscom bei den Tele­ inhaltet diese?
komprodukten sind deutlich höher als bei Die Grundversorgung wird regelmässig ausge-
­E x-Monopolisten in anderen Ländern. Warum? schrieben. Vereinfacht gesagt, geht es um die
Erstens haben wir stark in die Infrastruktur in- flächendeckende Festnetztelefonie und den
vestiert – und uns damit einen Vorteil mit sehr Internetanschluss mit mindestens 3 Megabit
leistungsfähigen Netzen verschafft. Zweitens pro Sekunde. Da kann sich jeder bewerben. Wir
ersetzen wir ältere Produkte rasch durch neue. leisten auch den Zugang zu den Notrufnum-
Dadurch waren wir in den Technologiezyklen mern und bieten spezielle Dienste für Behinder-
früh dabei. Und drittens haben wir immer gros- te. Dass wir regelmässig die einzigen Bewerber
sen Wert auf guten Kundenservice gelegt. sind, zeigt: Die Grundversorgung ist ein Verlust-
geschäft. Einen abgelegenen Ort zu erschlies-
Der Post wird vorgeworfen, unrechtmässige sen, kann sehr viel kosten.
Gewinne mit subventionierten Postauto-Linien
erzielt zu haben. Wie erleben Sie als staats­ Warum machen Sie das?
nahes Unternehmen diese Debatte? Die Grundversorgung gehört gewissermassen
Ich kenne die Details nicht. Persönlich finde zu unserer DNA – das wird von uns erwartet.
ich, dass zuerst die Fakten auf den Tisch müs-
sen, bevor geurteilt wird. Darüber hinaus gilt: Sie könnten vom Bund eine Abgeltung für die
Post und Swisscom kann man überhaupt nicht Grundversorgung fordern. Warum tun Sie dies
miteinander vergleichen. Wir bekommen keine nicht?
Subventionen – auch nicht in Teilbereichen. Wir Solange diese Grundversorgung massvoll for-
befinden uns in einem voll liberalisierten Markt. muliert ist, verlangen wir keine Abgeltung.
Das Einzige, was wir gemeinsam haben, ist der Wir möchten keine Subventionen. Im Gegen-
Bund als Aktionär. Als CEO bin ich nicht nur zug erwarten wir, dass man uns als eigenstän-
dem Bund, sondern allen unseren rund 70 000 dige Firma behandelt. Wenn wir jedoch plötz-
Investoren verpflichtet. lich Glasfaserleitungen in alle Haushalte ziehen
müssten, wäre das anders.
Im Gegensatz zu den anderen Investoren schreibt
Ihnen der Bundesrat aber Gewinnziele vor. Sie sagen, die Grundversorgung gehöre zu Ihrer
Das stimmt nicht. Wir haben kein quantitatives DNA. Fühlen Sie sich immer noch als eine Art
Ziel vom Bundesrat erhalten. PTT?

32  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


FOKUS

Unsere Firma heisst Swisscom und nicht PTT. Swisscom TV. Diese Angebote liegen nahe beim
Auch als börsenkotiertes und flächendeckend Kerngeschäft.
präsentes Unternehmen fühlen wir uns der
Schweiz verpflichtet. Und das dritte Feld?
Dieses ist stärker mit Risiken behaftet und liegt
Dem Steuerzahler? ausserhalb des aktuellen Kerngeschäfts: Hier
Nein, den Schweizer Kunden. Wir wollen ihnen arbeiten wir mit Partnern zusammen. Mit der
eine gute Leistung bieten. Das hat natürlich auch Verzeichnis- und KMU-Werbeplattform Local-
mit der Marke Swisscom und dem Image zu tun. search beispielsweise wollen wir die Möglichkei-
ten nutzen, die die Digitalisierung bietet. Diese
Der Wachstumsmotor steckt ausserhalb des Internetgeschäftsmodelle bieten eine Schnitt-
Kerngeschäfts. Wo wächst die Swisscom? stelle zum Kunden. Der Zugang zum Kunden
Die wenigsten wissen, dass die Umsätze der ge- über Web-Plattformen wird immer wichtiger,
samten Telekommunikationsbranche schrump- wie das Beispiel Amazon zeigt –  als ursprüngli-
fen. Nicht wegen der Angebote und der Volumen, cher Buchverkäufer ist Amazon heute der gröss-
die teils sehr stark wachsen, sondern wegen des te Cloud-Anbieter.
enormen Preiszerfalls. Deshalb ist es wichtig,
dass wir in neue Geschäftsfelder expandieren. Wo liegen die inhaltlichen Grenzen Ihrer Expan-
Wir haben drei Wachstumsbereiche. Erstens sionsstrategie?
im eigentlichen Kerngeschäft – hier können wir Das Wort Expansionsstrategie gefällt mir nicht.
dank neuen Technologien wie dem Internet der Wir verbreitern unsere Wertschöpfungskette.
Dinge wachsen: Indem Gegenstände vernetzt Telefon, Informatik und Entertainment konver-
werden, gibt es mehr Verbindungen. Das zweite gieren: Ein Smartphone ist ein Telefon, ein Com-
Feld sind IT-Lösungen wie Cloud-­Angebote oder puter und ein Fernsehgerät.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  33
STAATSBETRIEBE

Was haben Eventmanagement, Werbevermark- Kaufen Sie KMU auch auf?


tung und Onlinehandel mit dem ursprünglichen Vereinzelt machen wir das, vor allem im IT-­
Hauptgeschäft zu tun? Bereich. Da gehen wir aber sehr selektiv vor.
Telekommunikation und IT sind die Basis unse-
rer Aktivitäten. Das ist der rote Faden. Aller- Mit der geplanten Revision des Fernmeldege-
dings öffnet sich das Feld stetig: Ein wichtiges setzes könnten Sie gezwungen sein, Ihre Netze
IT-Thema ist die künstliche Intelligenz. Sie hilft, für andere Anbieter zu öffnen. Warum wehren
Produkte zu vereinfachen und Prozesse zu auto- Sie sich dagegen?
matisieren. Nehmen Sie die Blockchain-Techno- Die meisten Punkte der Revision unterstützen
logie. Diese Technologie ist auch ausserhalb der wir, oder sie werden von der Branche bereits vor-
Telekombranche möglich. Das heisst, wenn wir weggenommen. Wichtig ist: Die Konkurrenten
Banken IT-Lösungen anbieten, sind wir trotz- haben bereits heute Zugang
dem noch keine Bank. auf unsere Netze. Wir wehren
uns gegen eine Regulierung «Die Grundversorgung
Gilt das auch für selbstfahrende Autos? Im Jahr dieses Zugangs. Konkurren- ist ein Verlustgeschäft.»
2015 finanzierten Sie entsprechende Tests auf ten dürften unter diesem neu-
den Strassen. en Regime bei der Swisscom zu kostenorientier-
Wir waren die Ersten, die ein selbstfahrendes ten Preisen – was auch immer das heisst – auf die
Auto in die Schweiz gebracht haben. Aus einem Netze. Das birgt extreme Rechtsunsicherheit. Die
einzigen Grund: Wir wollten wissen, was die Glasfasernetze sind im Wettbewerb verschiede-
Anforderungen an die Infrastruktur der Zu- ner Akteure entstanden, und der Markt spielt.
kunft sind. Unsere Rolle ist es, die dazu nötige
Infrastruktur wie die 5G-Technologie zur Ver- Bisher war nur das Kupfernetz der Swisscom re-
fügung zu stellen. guliert. Warum stört Sie diese Regulierung nicht?
Beim Kupfernetz machte die Regulierung Sinn,
Der Ständerat kam Ihnen im März nicht ent- weil dieses Netz zu Zeiten der PTT entstanden
gegen. Er wollte die Strahlengrenzwerte für 5G ist. Das aktuelle Fernmeldegesetz ist eine Erfolgs-
nicht lockern. geschichte, da es Anreize für die Branche bietet
Wir bedauern das sehr. Das ist ein negativer zu investieren: Der Wettbewerb spielt auf allen
Entscheid für den Wirtschaftsstandort. Da ver- Ebenen. So wie das Gesetz revidiert werden soll,
gibt die Schweiz eine Chance, bei 5G eine Vor- ist es gegen die Swisscom gerichtet. Der Bundes-
reiterin zu werden. Wir versuchen nun das Beste rat wollte bei der letzten Gesetzesrevision 2007
daraus zu machen. Es ist für uns keine Option, bewusst die neuen Netze wie Glasfaser im Wett-
den Ausbau von 5G zu stoppen. bewerb entstehen lassen. Und jetzt will er wäh-
rend des Spiels die Spielregeln ändern.
Kleine Firmen beklagen, dass die Swisscom
durch ihre Marktmacht die Kleinen verdränge. Empfinden Sie das als Wortbruch des Bundes-
Ist die Kritik berechtigt? rates?
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Nein, das ist ein hartes Wort. Es ist ein Paradigma­
Wir sind einer der grössten Partner für KMU. wechsel.
Beim Netzausbau arbeiten wir beispielsweise
mit lokalen Elektroinstallateuren zusammen – Interview: Nicole Tesar,
dadurch schaffen wir Tausende Arbeitsplätze. Co-Chefredaktorin «Die Volkswirtschaft»

34  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


AUFGEGRIFFEN VON ERIC SCHEIDEGGER

New Public Bureaucracy?


Die Einführung von New Public Management (NPM) vor knapp 30 Jahren
schien wie eine Offenbarung. Politologen und Ökonomen sagten eine deutlich
höhere Effizienz der staatlichen Aufgabenerfüllung voraus: In der «alten»
Welt der Verwaltungsführung hatten Beamte selten ein Interesse, ihre Arbeit
möglichst bürgernahe und im Einklang mit den politischen Versprechen aus­
zurichten. Die Politik ihrerseits erachtete das Konzept als willkommene
Alternative zur unbequemen Debatte über die Privatisierung öffentlicher
­Aufgaben. Jedenfalls schien es logisch, betriebswirtschaftliche Führungs­
grundlagen und wettbewerbliche Elemente in die Verwaltungstätigkeit des
Staates einzuführen.
Wiederholt melden sich heute Stimmen, welche im NPM eher eine NPB – eine
«New Public Bureaucracy» – sehen. So kritisiert das Medizinalpersonal in
öffentlichen Spitälern seit Längerem die zeitlich hohe Beanspruchung durch
das Erfassen und Verarbeiten von Daten und Kennzahlen. Die Bewertung
von Leistungen setzt eben voraus, dass der Leistungsumfang gemessen
werden kann – quantitativ und qualitativ. Wo keine solchen Datengrundlagen
­bestehen, müssen sie geschaffen und gepflegt werden. Eine effiziente Ver-
waltungsführung ist nicht ohne Zusatzaufwand zu haben. Dieser Zielkonflikt
gehört zum Wesen des NPM.
Nun könnte man einwenden, dass auch private Unternehmen nicht ohne
interne Leistungsmessung und ohne Benchmarking auskommen; schliess-
lich wollen sie besser sein als die Konkurrenz. Und ja, auch Unternehmen sind
der schleichenden Bürokratisierung ausgesetzt: Gerade auch bei grösseren
Firmen suchen Verantwortliche – dem menschlichen Naturell folgend – nach
einer Ausweitung ihrer Tätigkeit und ihres Einflussgebietes. Der entscheidende
Unterschied zur Verwaltung ist aber, dass private Firmen der disziplinierenden
Kontrolle der Güter- und Kapitalmärkte unterstehen: Wer über längere
Zeit seine Dienstleistungen nicht zur Kundenzufriedenheit erbringt oder
das Potenzial zur Produktivitätssteigerung nicht ausschöpft, verliert an
Konkurrenzfähigkeit und an Glaubwürdigkeit bei den Kapitalgebern.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  35
AUFGEGRIFFEN

In extremis scheidet ein schwach geführtes Unternehmen aus dem Markt aus.
Öffentliche Organisationen müssen dieses disziplinierende Konkursrisiko
nicht fürchten. Deshalb ist in staatlichen Wirtschaftsbereichen das Büro-
kratisierungsrisiko grundsätzlich grösser. Und aus diesem Grund sind mit
Augenmass entwickelte NPM-Ansätze insbesondere in Bereichen der hoheit-
lichen, nicht privatisierbaren Zentralverwaltung unentbehrlich.

Zielkonflikt zwischen Fünferli und Weggli


Spannungsfelder ergeben sich auch bei Staatsunternehmen, welche in Wett-
bewerbsmärkten tätig sind. Dazu gehören nicht nur Spitäler, sondern auch
Transport-, Logistik-, Telekommunikations- oder Energieunternehmen. Einer-
seits müssen sie eine Grundversorgung («Service public») gewährleisten.
Andererseits wird von ihnen erwartet, dass sie sich – trotz fehlendem Konkurs-
risiko – wie private Wettbewerber verhalten: leistungsorientiert, innovativ und
kompetitiv.
In solchen Konstellationen liegen andersartige Formen von Zielkonflikten
vor. Staatsnahe Unternehmen unterliegen im Vergleich zur Privatwirtschaft
oft stärkeren Rechenschaftspflichten; und zwar nicht nur gegenüber Organen
wie dem Verwaltungsrat oder der Revisionsstelle, sondern auch gegenüber
zuständigen Ämtern, Regierungen und Parlamenten. Deshalb können staat-
liche Eigner die Expansion zum Beispiel in ausländische Märkte (oder andere
Kantone) einschränken, auch wenn es die betriebswirtschaftliche Logik
­eigentlich gebieten würde. Dies wiederum verleitet die Unternehmen, sich
stärker auf die nationalen respektive regionalen Teilmärkte auszurichten, was
das inhärente Risiko von Wettbewerbsverzerrungen zulasten von privaten
Unternehmen verschärft. Und wenn es einmal bei auf Leistungsfähigkeit
­getrimmten öffentlich-rechtlichen Unternehmen zu Fehlleistungen kommt,
ertönt alsbald der Ruf nach noch schärferer politischer Kontrolle. Dies ist
der Fluch des Fünferli und Weggli von Staatsunternehmen in Wettbewerbs-
märkten.

Eric Scheidegger ist Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik


des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern.
eric.scheidegger@seco.admin.ch

36  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


ARBEITSVERMITTLUNG

Regionale Arbeitsvermittlungszentren
steigern Wirkung
Die Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung hat sich zwischen 2003 und 2016 ver-
bessert. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Langzeitarbeitslosigkeit.  Boris Kaiser,
Michael Morlok

Abstract    Inwieweit konnte die öffentliche Arbeitsvermittlung ihre Wirkung in den Wirkungsindikatoren bei
letzten Jahren steigern? Dieser Frage widmet sich eine Studie von B,S,S. Volkswirt- ­Wiedereingliederung
schaftliche Beratung im Auftrag der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds
der Arbeitslosenversicherung. Konkret wurde untersucht, inwiefern die Regionalen Einerseits verwendet die Analyse die vier be-
Arbeitsvermittlungszentren (RAV) die Stellensuchenden heute rascher und dauer- stehenden Wirkungsindikatoren des Staats-
hafter in den Arbeitsmarkt wiedereingliedern können, als dies vor 15 Jahren der Fall sekretariats für Wirtschaft (Seco): Taggeld-
war. Die Analyse mehrerer Wirkungsindikatoren zeigt: Im Zeitraum 2003 bis 2016 bezugsdauer, Langzeitarbeitslosigkeit, Aus-
wurde die Gesamtwirkung um 4 Prozent erhöht. Eine Steigerung kann insbesondere steuerungen und Wiederanmeldungen bei
bei der Vermeidung der Langzeitarbeitslosigkeit beobachtet werden. Die Fortschritte den RAV. Während die ersten drei Indikatoren
fallen allerdings kleiner aus als noch zu Anfangszeiten der RAV. messen, wie rasch die Wiedereingliederung
der Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt er-
folgt, bilden die «Wiederanmeldungen beim

D  ie öffentliche Arbeitsvermittlung trägt


mit ihren Tätigkeiten dazu bei, Stellen-
suchende rasch und dauerhaft wieder in den
öffentlichen Arbeitsvermittlung in den letz-
ten zehn Jahren entwickelt hat, gab es bis-
lang jedoch keine Evidenz.
RAV» die Nachhaltigkeit der Reintegration ab.
Andererseits kamen in der Analyse auch
vier neue Indikatoren zur Anwendung: Sie
Arbeitsmarkt einzugliedern und dadurch die Um diese Informationslücke zu schlies- beschreiben den Erwerbsverlauf nach Ab-
Arbeitslosigkeit in der Schweiz zu reduzie- sen, hat das Basler Forschungs- und Bera- meldung beim RAV und wurden anhand von
ren. Diese Tätigkeiten umfassen unter an- tungsunternehmen B,S,S. im Auftrag der Daten zu den Stellensuchperioden sowie zu
derem Beratungsdienstleistungen, die Ver- Aufsichtskommission für den Ausgleichs- den monatlichen Erwerbseinkommen aus den
mittlung von offenen Stellen, den Einsatz fonds der Arbeitslosenversicherung unter- AHV-Registern konstruiert. Die Indikatoren
von Qualifizierungs- und Beschäftigungs- sucht, wie sich die Gesamtwirkung der öf- umfassen die Dauer der effektiven Beschäf-
angeboten sowie Kontrolltätigkeiten. Seit fentlichen Arbeitsvermittlung zwischen tigungslosigkeit, die Erwerbsstabilität (Anteil
Einführung der Regionalen Arbeitsvermitt- 2003 und 2016 entwickelt hat.2 Im Zentrum Monate mit Erwerb in den ersten zwei Jahren
lungszentren (RAV) im Jahr 1996 wurden die der Analyse standen nicht einzelne Mass- nach der RAV-Abmeldung), die Anzahl Arbeit-
Instrumente und Prozesse stetig weiterent- nahmen der RAV, sondern es ging um die geber in den ersten zwei Jahren nach der RAV-
wickelt. Mehrere Studien aus dem Zeitraum Gesamtwirkung, die durch alle Tätigkeiten Abmeldung sowie die Veränderung des Ein-
2000 bis 2008 kamen zum Ergebnis, dass der öffentlichen Arbeitsvermittlung erzielt kommens vor und nach der Arbeitslosigkeit.
die Vermittlungseffizienz in der Anfangs- wurde. Eine Schwierigkeit in der Analyse ergab
phase der RAV deutlich gesteigert wurde.1 sich zunächst dadurch, dass der Taggeldan-
Zur Frage, wie sich die Gesamtwirkung der spruch für verschiedene Gruppen von Stel-
2 Kaiser, Boris, David Liechti und Michael Morlok (2018): lensuchenden zwei Mal (2003 und 2011)
Entwicklung der Wirkung der öffentlichen Arbeitsver-
1 Siehe z. B. Sheldon, G. (2008): Entwicklung der Per- mittlung in der Schweiz im Zeitraum 2003–2016, Studie durch Revisionen des Arbeitslosenversiche-
formance der öffentlichen Stellenvermittlung der im Auftrag der Aufsichtskommission für den Aus- rungsgesetzes (Avig) angepasst wurde. Die-
Schweiz im Zeitraum 1998–2007, Studie im Auftrag der gleichsfonds der Arbeitslosenversicherung. Die Studie
Aufsichtskommission des Ausgleichsfonds der Arbeits- wurde von den Professoren Rafael Lalive, Patrick Arni
se Regelanpassungen erschweren die Wir-
losenversicherung. und Gerard van den Berg wissenschaftlich begleitet. kungsmessung im Zeitverlauf, sodass zwei

Zweistufiges ökonometrisches Verfahren


Unsere Analyse basiert auf einem kontrafaktischen So konnten wir Veränderungen in der Struktur der das die Zusammenhänge zwischen den Wirkungs-
Untersuchungsrahmen, so wie er auch in der Stellensuchenden – beispielsweise einen steigenden indikatoren und den erklärenden Variablen zur
Evaluationsforschung zur Schätzung von «Treat- Anteil Stellensuchender mit Tertiärausbildung Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage beschreibt. Mit
ment-Effekten» verwendet wird. In einem ersten oder Stellensuchender mit Herkunft im EU/Efta- diesem Modell schätzten wir einen kontrafaktischen
Schritt haben wir die Wirkungsindikatoren für jede Raum – herausrechnen. In einem zweiten Schritt Verlauf der Wirkungsindikatoren, der unterstellt,
«MS-Region» (gemäss Bundesamt für Statistik) berücksichtigten wir Einflüsse der Wirtschafts- dass die Wirkung der öffentlichen Arbeitsver-
unter dem Szenario berechnet, dass die Struktur der und Arbeitsmarktlage auf regionaler Ebene. Dazu mittlung seit Beginn des Zeitraums konstant blieb.
Stellensuchenden bezüglich sozioökonomischer wurden Daten zu Neuanmeldungen bei den RAV, Aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen
Merkmale (Alter, Ausbildung, Branche usw.) über Beschäftigungs- und Bevölkerungsdynamik, Grenz- und dem kontrafaktischen Verlauf identifizierten
die Zeit konstant bleibt. Hierfür verwendeten wir gängern, Bauinvestitionen, Personalverleih und Ex- wir schliesslich die Wirkungsveränderung der
einerseits einen Regressionsansatz und anderer- porten mit einbezogen. Auf Basis der MS-Regionen öffentlichen Arbeitsvermittlung.
seits eine sogenannte Propensity-Score-Gewichtung. spezifizierten wir ein gepooltes Paneldatenmodell,

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  37
ARBEITSVERMITTLUNG

KEYSTONE
Die Massnahmen der Regionalen Arbeits­
vermittlungszentren (RAV) bringen insbesondere
für Personen mit einer mittleren Arbeitslosig- einflusst werden (siehe Abbildung). Im Zeit- sich hingegen nur langfristig in den Wir-
keitsdauer eine Verbesserung. RAV-Schalter in raum 2005 bis 2008 sanken sie aufgrund der kungsindikatoren nieder. Vergleicht man zum
Genf. guten Arbeitsmarktlage, während sie im Zuge Beispiel die Durchschnitte der ersten und
der «Grossen Rezession» der Jahre 2009 und letzten drei Jahre im Untersuchungszeitraum
Einschränkungen am Studiendesign notwen- 2010 deutlich anstiegen. 2003 bis 2016, zeigt sich, dass die Taggeldbe-
dig waren: Erstens wurde nur der Zeitraum ab Demgegenüber sind die vier neuen Wir- zugsdauer und die Langzeitarbeitslosigkeit
2003 betrachtet, und zweitens beschränkt kungsindikatoren (nicht dargestellt) teilweise im Niveau eher gesunken sind. Demgegen-
sich die Analyse auf die über 25-jährigen Stel- etwas weniger konjunktursensitiv: Kurzfris- über liegen die Quoten der Aussteuerungen
lensuchenden mit langen Beitragszeiten, weil tige Bewegungen widerspiegeln hier primär und der Wiederanmeldungen ähnlich hoch
deren Taggeldanspruch vor und nach 2011 Veränderungen der Wirtschafts- und Arbeits- oder nur leicht höher.
unverändert blieb. Diese Gruppe entspricht marktlage. Eine Steigerung der Effektivität Die ökonometrische Wirkungsmessung
zwar nur rund der Hälfte aller Stellensuchen- der öffentlichen Arbeitsvermittlung schlägt zeigt: Die Weiterentwicklung der öffentlichen
den; es zeigt sich jedoch, dass sie bezüglich
verschiedener Merkmale wie Geschlecht,
Nationalität, Ausbildungsniveau und Wirt- Taggeldbezugsdauer, Langzeitarbeitslosigkeit, Aussteuerungen und Wieder-
AVAM/ASAL, SECO; BERECHNUNG KAISER, LIECHTI UND MORLOK (2018) / DIE

schaftsbranche gut mit der Grundgesamtheit anmeldungen (2003 bis 2016)


aller Stellensuchenden vergleichbar ist. 200     Anzahl Tage Quoten, in %     60
Um die Wirkungsveränderung der öffent-
lichen Arbeitsvermittlung anhand der Indika-
150 45
toren abschätzen zu können, müssen mög-
lichst viele externe Umwelteinflüsse ausge-
klammert werden. Dazu kam ein zweistufiges 100 30
ökonometrisches Verfahren zur Anwendung
(siehe Kasten).
VOLKSWIRTSCHAFT

50 15

Wirtschaftslage beeinflusst 0 0
­Indikatoren 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Die deskriptive Analyse zeigt, dass die be-   Taggeldbezugsdauer (linke Achse)        Langzeitarbeitslosigkeit (rechte Achse)        Aussteuerungen (rechte Achse)     
  Wiederanmeldungen (rechte Achse)
stehenden vier Wirkungsindikatoren deut-
lich von konjunkturellen Schwankungen be- Die Daten berücksichtigen Stellensuchperioden von Juli 2003 bis 2016.

38  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


ARBEITSVERMITTLUNG

Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung im Untersuchungszeitraum Effekte sind moderat, aber


ökonomisch relevant

AVAM/ASAL, SECO; INDIVIDUELLE KONTEN DER AHV; BERECHNUNGEN KAISER, LIECHTI UND
Bestehende Wirkungsindikatoren absolut in %

Taggeldbezugsdauer (Anzahl Tage) –7,9 –4,5 Abschliessend lässt sich festhalten, dass
die Anpassungen an den Prozessen und
Langzeitarbeitslosigkeit (%) –3,3 –10,9
Instrumenten der öffentlichen Arbeitsver-
Aussteuerungen (%) +0,5 +2,6 mittlung in ihrer Gesamtheit zu einer Ver-
Wiederanmeldungen (%) –0,1 –0,3 besserung der Wiedereingliederung der
Gesamtwirkung der obigen Indikatoren (gewichtet) – –3,9
Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt bei-
getragen haben. Vor allem Stellensuchende
Neue Wirkungsindikatoren
mit «mittleren Arbeitsmarktchancen» ha-
Beschäftigungslosigkeit (Monate) –0,2 –2,6 ben von den Entwicklungen profitiert; bei
Erwerbsstabilität (%) +0,2 +0,3 dieser Gruppe ist der Einfluss der RAV am
stärksten.
Anzahl Arbeitgeber –0,1 –6,3

MORLOK (2018)
Auf den ersten Blick scheint das Ausmass
Veränderung Einkommen (%) +2,7 – der Wirkungssteigerung eher moderat. Es
ist aber zu beachten, dass auch geringe Ver-
Die Effekte der bestehenden Wirkungsindikatoren beziehen sich auf den Zeitraum 2003 bis 2016 und jene der änderungen beachtliche wirtschaftliche
neuen Wirkungsindikatoren auf den Zeitraum 2003 bis 2013. Der relative Effekt für die Veränderung des Ein- und soziale Folgen mit sich tragen und die
kommens wird nicht ausgewiesen, weil der Wirkungsindikator selber eine Veränderungsrate darstellt. Arbeitslosenversicherung finanziell entlas-
ten. Weiter sollte es nicht überraschen, dass
Arbeitsvermittlung trug dazu bei, dass die die öffentliche Arbeitsvermittlung im Zeit- die Fortschritte deutlich kleiner ausfallen als
mittlere Taggeldbezugsdauer über den Zeit- verlauf effektiver wurde. Beispielsweise ging zu Anfangszeiten der RAV in den Neunzi-
raum 2003 bis 2016 um rund 8 Tage zurück- die Beschäftigungslosigkeit im Zeitverlauf um gerjahren: Die grössten Lerneffekte entste-
ging (siehe Tabelle). Dies entspricht einer re- 0,2 Monate zurück. Bei der Erwerbsstabilität hen typischerweise zu Beginn und reduzie-
lativen Reduktion von rund 4,5 Prozent. Glei- liegt der Effekt nahe bei null. Hingegen zeigt ren sich mit einer zunehmenden Etablierung
chermassen führte die Wirkungssteigerung sich recht deutlich, dass die Anzahl unter- der Prozesse.
dazu, dass die Quote der Langzeitarbeitslo- schiedlicher Arbeitgeber gesenkt und der
sigkeit um rund 3,3 Prozentpunkte abnahm. Einkommensverlust, der nach der Arbeitslo-
Bezüglich der Aussteuerungen und der Wie- sigkeit entsteht, über die Zeit reduziert wer-
deranmeldungen liegen die geschätzten Ef- den konnte.
fekte hingegen nahe bei null – die Aussteue- Zusammengenommen deuten diese Er-
rungen haben sogar leicht zugenommen. gebnisse in die Richtung einer verbesserten
Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, Qualität der Arbeitsvermittlung – etwa durch
dass die Wirkung der Arbeitsvermittlung vor bessere Qualifizierungsmassnahmen, Bera-
allem bei Personen mit Arbeitslosigkeitsdau- tung und Vermittlung. Insbesondere müssen
er im mittleren Bereich (ca. 12 Monate) und die Stellensuchenden weniger oft die Stelle Boris Kaiser
Dr. rer. oec., Ökonometriker, B,S,S. Volks-
damit mittleren Arbeitsmarktchancen gestei- wechseln bzw. finden eine passendere Stelle wirtschaftliche Beratung, Basel
gert werden konnte. Bei Personen mit tiefen mit besserer Entlohnung.
Arbeitsmarktchancen, die typischerweise bis Die dargestellten Ergebnisse sind statis-
zur Aussteuerung arbeitslos bleiben, hat sich tisch «robust». Beispielsweise wurden meh-
die Wirkung über die Zeit hingegen nicht er- rere Methoden miteinander verglichen, und
höht. Wenn man die Effekte gemäss dem An- die Auswahl der Erklärungsfaktoren wurde
satz des Seco gewichtet, liegt die Steigerung variiert. Die Schwierigkeit bleibt jedoch be-
der Gesamtwirkung über den betrachteten stehen, dass gewisse unbeobachtete Trends
Zeitraum bei 4 Prozent.3 in der Analyse nicht berücksichtigt werden
Die Ergebnisse zu den neuen Wirkungsin- konnten. Hierzu gehören beispielsweise Ver-
dikatoren deuten ebenfalls darauf hin, dass änderungen des Suchverhaltens aufgrund
von Online-Plattformen oder Veränderun- Michael Morlok
3 Seco-Gewichtung: Taggeldbezugsdauer: 50%; Lang- Dr. oec. publ., Projektleiter, B,S,S. Volks-
zeitarbeitslosigkeit: 20%; Aussteuerungen: 20%;
gen im Rekrutierungsverhalten seitens der
wirtschaftliche Beratung, Basel.
Wiederanmeldungen: 10%. Arbeitgeber.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  39
INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

Sozialpartnerschaft in Gefahr?
Im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung verlieren die Gewerkschaften weltweit an
Mitgliedern – gleichzeitig bewegen sich die Interessen auf Arbeitgeberseite immer stärker
auseinander. In diesem herausfordernden Kontext hat die Internationale Arbeitsorganisation
eine Initiative zur Zukunft der Arbeit lanciert.  Adrian Bless, Boris Zürcher

Abstract  Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) steuert auf ihr hundertjähriges und letzten Endes der nachhaltigen Siche-
Bestehen zu und wappnet sich für die Umwälzungen in der Arbeitswelt im Kontext rung unseres Wohlstandes, geht es in der In-
der rasch voranschreitenden technischen Entwicklungen. Im Jubiläumsjahr steht die itiative auch um die Frage, wie sich die So-
Zukunft der Arbeit im Fokus – indirekt geht es aber auch um die Zukunft der Sozial- zialpartnerschaft angesichts der absehba-
partnerschaft. Denn diese ist womöglich durch die Zunahme von neuen Arbeits- ren technologischen Veränderungen und der
formen, einen Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften und eine Aufsplitterung fortschreitenden Tertiarisierung der Wirt-
der Arbeitgeberinteressen bedroht. Die Schweiz nimmt sich des Themas an und schaft weiterhin als relevante und gestalten-
engagiert sich auch multilateral dafür. Es geht um nichts weniger als um die Förderung de Kraft behaupten kann.
des sozialen Zusammenhalts und die Wahrung des Wohlstands. Als kleine und offene Volkswirtschaft
macht sich die Schweiz stark für die Initiati-
ve. Das Engagement erfolgt nicht nur auf der

D  ie in Genf beheimatete Internationale


Arbeitsorganisation (ILO) feiert nächs-
tes Jahr ihr hundertjähriges Bestehen. Damit
nen, was der ILO eine hohe Legitimität ver-
schafft.
Basis der gemeinsamen Werte, welche die
Schweiz mit der ILO teilt, sondern auch aus
dem Willen zum gemeinsamen Handeln her-
ist sie die älteste Organisation innerhalb des ILO im digitalen Zeitalter aus, um das Vertrauen in die Arbeitswelt von
UNO-Systems. Die ILO, die 187 Mitglieds- morgen zu stärken. Deshalb kandidiert die
staaten zählt, will in erster Linie auf der Basis Entstanden ist die ILO nach dem Ersten Welt- Schweiz für die Präsidentschaft der interna-
von internationalen Normen und Standards krieg in der Hoffnung, soziale Spannungen in tionalen Arbeitskonferenz im Jubiläumsjahr.
die soziale Gerechtigkeit in der Arbeits- Zukunft zu vermeiden, indem die Staaten- Dies ist das höchste Organ der Organisation.
welt fördern: Über 180 solcher rechtlichen gemeinschaft die Arbeitnehmenden durch
Instrumente geben die Spielregeln für die internationale Regelungen besser schützt. Raison d’Être der ILO bedroht?
Arbeitsbedingungen in einer zunehmend Sie durchlebte in der Folge zahlreiche his-
globalisierten und sich rasch verändernden torische Phasen, die bezüglich der politi- Bisher hat es die Schweiz bestens verstan-
Wirtschaft vor. schen Herausforderungen, der konjunkturel- den, den steten strukturellen Wandel zu ihren
Gleich lange Spiesse und Mindeststan- len Entwicklung, grundsätzlicher sozialpoli- Gunsten zu nutzen. Es ist auch gegenwärtig
dards für alle Beteiligten im globalen Wett- tischer Problemlösungsphilosophien, aber davon auszugehen, dass die Digitalisierung,
bewerb lautet das Credo. Dazu tragen na- auch gesellschaftlicher Wertorientierungen gleich dem bisherigen technologischen Fort-
mentlich die acht Kernübereinkommen zur starken Veränderungen unterworfen waren. schritt, zu einem gesamtwirtschaftlichen Be-
Abschaffung der Kinderarbeit, zur Beseiti- Die Grundsätze des sozialen Friedens und schäftigungsanstieg führen wird und dank
gung der Diskriminierung in Beschäftigung der Solidarität sind aber auch hundert Jahre der Spezialisierung auf hochwertige Tätigkei-
und Beruf, zur Beseitigung der Zwangs- später nach wie vor gültig – wenngleich sich ten sowohl den Werkplatz Schweiz stärkt als
arbeit, zur Vereinigungsfreiheit und zum die Arbeitswelt verändert hat. Bestehen- auch den Beschäftigten mehr Wohlstand be-
Recht auf Kollektiv­verhandlungen bei. de Wertschöpfungssysteme werden durch schert.
Die Schweiz hat diejenigen 60 Überein- die Globalisierung und das in einem bis dato Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine
kommen ratifiziert, welche für eine ent- noch nicht da gewesenen Ausmass an Infor- starke Sozialpartnerschaft, welche den Wan-
wickelte Wirtschaft relevant sind. Ihre Se- mations- und Kommunikationstechnologien del in einem offenen und konstruktiven Dia-
riosität in Bezug auf die Umsetzung der durchdrungen. Die sogenannte vierte indus- log mitgestaltet. Damit sollen auch in Zu-
Kernübereinkommen wird international an- trielle Revolution mischt Wissen, Produk- kunft dank unternehmerischer Initiativen und
erkannt. Sie setzt sich dafür ein, dass das te, Dienstleistungen, Wertschöpfungsketten, Innovationsfreudigkeit neue Arbeitsplätze
rechtliche Regelwerk aktualisiert und den Jobs und Branchen auf. geschaffen werden, wenn anderswo Arbeits-
heutigen Bedingungen angepasst wird. Da­ Diese Herausforderungen greift die ILO plätze verschwinden. Im Hinblick auf das ILO-
rüber hinaus kommt der Schweiz als Sitz- in einer «Initiative zur Zukunft der Arbeit in Jubiläum begleitet das Departement für Wirt-
staat eine besondere Verantwortung zu. unserem Leben und unserer Gesellschaft» schaft, Bildung und Forschung (WBF) die
Die ILO unterscheidet sich von ande- auf, welche der ILO-Generaldirektor Guy Sozialpartner bei der Ausarbeitung einer ge-
ren UNO-Organisationen vor allem durch Ryder zum 100-Jahr-Jubiläum lanciert hat. meinsamen Erklärung zur Zukunft der Arbeit
ihre dreigliedrige Struktur aus Regierungs-, Neben den traditionellen Anliegen, wie etwa und der Sozialpartnerschaft. Dadurch soll die
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern. der Förderung des Rechts auf Arbeit, der vertrauensvolle Zusammenarbeit auch ange-
Dieser sogenannte tripartite Ansatz findet Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze, sichts einer globalisierten Wirtschaft und des
sich in allen Länderdelegationen und Orga- der Entwicklung sozialer Sicherungs­systeme technologischen Wandels weitergehen.

40  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


INTERNATIONALE ARBEITSORGANISATION

KEYSTONE
Der Trend zur Individualisierung bringt Gewerk­
schaften in Bedrängnis. Demonstranten in
Marseille. ches Problem hinsichtlich der Repräsen-
tanz der Sozialpartner und letztlich ihrer
Legitimität im Prozess der Interessenkoor-
Die ILO hat in der Vergangenheit ihre dination dar.
Anpassungsfähigkeit gegenüber globa- Die erwähnte ILO-Initiative richtet
len Veränderungen und neuen Technolo- sich daher nicht nur auf die Zukunft der
gien unter Beweis gestellt. Da angesichts Arbeit, sondern auch auf die Zukunft der
der digitalen Änderungen atypische Be- Sozialpartnerschaft. Nur eine effiziente
schäftigungsformen zunehmen könnten, und funktionierende sozialpartnerschaft- Adrian Bless
führt dies womöglich zu einem schleichen- liche Verständigung und Interessenko- Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort
Internationale Arbeitsfragen, Staats-
den Bedeutungsverlust der Sozialpartner- ordination – subsidiär vom Staat beglei- sekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
schaft. Dies wiederum gefährdet den tri- tet – trägt dazu bei, Lösungen auf Stufe
partiten Ansatz – die Raison d’Être der ILO. der Branchen und Unternehmen zu fin-
Die globalen Tendenzen widerspiegeln den, welche der Notwendigkeit der Wirt-
auch die Situation in der Schweiz. Auf der schaft entsprechen, die nötige Flexibili-
Arbeitnehmerseite bringen schwindende tät garantieren und einer Verrechtlichung
Mitgliederzahlen aufgrund gesellschaft- der Arbeitsbeziehungen vorbeugen. Die-
licher Individualisierungstendenzen die ser Ansatz schafft Sicherheit und sozialen
Gewerkschaften in Bedrängnis, während Zusammenhalt, die zur Förderung und zum
auf der Arbeitgeberseite eine zunehmen- Schutz von Investitionen, zur Schaffung
de Aufsplitterung der Interessenvertre- und zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Boris Zürcher
tung der Unternehmen festzustellen ist. schliesslich zur Wahrung des Wohlstands Dr. rer. pol., Leiter der Direktion für Arbeit,
Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
Diese Tendenzen stellen ein grundsätzli- unabdingbar sind.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  41
ENERGIE UND UMWELT

Die grüne Wirtschaft verhilft den UNO-


Nachhaltigkeitszielen zum Erfolg
Mithilfe der grünen Wirtschaft lassen sich mehrere Ziele für nachhaltige Entwicklung
realisieren. Dies geht aus 17 Länderberichten hervor, in denen die spezifischen Prioritäten der
jeweiligen Volkswirtschaften im Detail erläutert werden.  Ronal Gainza

Abstract  Von 2012 bis 2017 wurden im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten festgelegt wurden, stehen die Energie- und die
Nationen (Unep) 17 Länder dabei unterstützt, quantitative Studien zum Potenzial von Ernährungssicherheit, die bessere Verfügbar-
Investitionen in die grüne Wirtschaft durchzuführen. Eine Metaanalyse dieser Studien keit und die nachhaltige Bewirtschaftung von
hat ergeben, dass die grüne Wirtschaft dazu beiträgt, grosse Herausforderungen Wasser sowie die Entwicklung von Verkehrsin-
im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen. Die Öko- frastrukturen. In all diesen Bereichen besteht
logisierung der als vorrangig festgelegten Wirtschaftszweige erfordert auch einzel- ein direkter Zusammenhang mit mindestens
staatliche Anstrengungen, um mehrere Unterziele der UNO-Ziele für nachhaltige Ent- 8 der insgesamt 17 UNO-Ziele für nachhaltige
wicklung (SDG) zu erreichen. Absolute Priorität bei den grünen Investitionen hat die Entwicklung (SDG) (siehe Abbildung 1).
Reduktion der Treibhausgasemissionen. Für die Staaten ist die grüne Wirtschaft ein Investitionen in Energiedienstleistungen,
Instrument, um den Klimawandel zu bekämpfen und gleichzeitig Fortschritte bei der die auf erneuerbaren Energien beruhen, sind
nachhaltigen Entwicklung zu machen. Daher sollten die Aktivitäten der Akteure, die eines der am häufigsten genannten Ziele. Sol-
sich mit diesen beiden Fragen befassen, besser koordiniert werden. che Investitionen leisten einen direkten Bei-
trag zum Unterziel 2 des SDG 7, welches lautet:
«Den Anteil der erneuerbaren Energie am welt-

I  m Jahr 2008 erreichte die Wirtschafts-


und Finanzkrise ihren Höhepunkt. Als Re-
aktion darauf wurde im Zuge des Umwelt-
wicklung zu integrieren. Im Folgenden geht
es nun um die Frage, ob diese quantitativen
Analysen im Rahmen der Agenda 2030 für
weiten Energiemix deutlich steigern». Dassel-
be gilt für grüne Investitionen in die Agroforst-
wirtschaft und in die biologische Landwirt-
programms der Vereinten Nationen (Unep) die nachhaltige Entwicklung und des Klimaüber- schaft. Die Ökologisierung der Landwirtschaft
«Green Economy Initiative» (GEI) lanciert, über einkommens von Paris noch aktuell sind. in den untersuchten Ländern bezieht sich auf
die ein Hauptbericht1 verfasst wurde. Unter mehrere Unterziele des SDG 2. Auch das SDG 6
dem Begriff «Grüne Wirtschaft» versteht Grüne Investitionen nützen («Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
man darin eine Wirtschaft, die den Wohlstand gewährleisten»), das ebenfalls im Zentrum der
der Menschen steigert, zu mehr sozialer Ge-
der Wirtschaft Prioritäten steht, ist verbunden mit Aktivitä-
rechtigkeit führt und die Umweltrisiken sowie Für die Ökologisierung der Wirtschaft wer- ten und Programmen mit sauberem Wasser
den Rohstoffmangel deutlich verringert. den die fünf Sektoren Energie, Landwirtschaft, und der sanitären Grundversorgung.3
Der Bericht zieht zwei grundlegende Forstwirtschaft, Wasser und Verkehr als vor-
Schlussfolgerungen. Erstens werden mit der rangig erachtet. Im Zentrum der Prioritäten, 3 Einschliesslich der Wassergewinnung, der effizienten
Wassernutzung, der Entsalzung, der Abwasserreinigung, der
Ökologisierung der Wirtschaft die Erträge die in den staatlichen Entwicklungsstrategien Wiederaufbereitung und der Wiederverwendungstechniken.
aus den globalen Umweltgütern oder dem
natürlichen Kapital gesteigert, und das welt-
weite Wachstum des Bruttoinlandprodukts Abb. 2: Klimainvestitionen nach Art und Bereich
wird langfristig beschleunigt. Zweitens ist
Vorrangige Bereiche Anzahl Länder
die Beseitigung der Armut untrennbar mit der
Baugewerbe 1
besseren Pflege und Erhaltung der globalen
Abfallbewirtschaftung 2
Umweltgüter verbunden.
In Anlehnung an diesen Ansatz wur- Viehzucht 2

den zwischen 2012 und 2017 im Rahmen Gewerbe 2


BERECHNUNGEN DES AUTORS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

des Unep in 17 Ländern2 quantitative Stu- Bergbau 2


dien zum Potenzial und zu den Auswirkungen Tourismus 4
von grünen Investitionen durchgeführt. Das Verkehr 4
Hauptziel war es, die Strategien für eine grü- Landwirtschaft 5
ne Wirtschaft verlässlich zu formulieren und Wasserwirtschaft 5
diese in das Konzept der nachhaltigen Ent- 7
Forstwirtschaft
1 UNEP (2011). Towards a Green Economy: Pathways to Energieeffizienz 9
Sustainable Development and Poverty Eradication. 13
Energieerzeugung
2 Burkina Faso, China, Ghana, Indonesien, Kenia,
Mauritius, Mexiko, Mongolei, Montenegro, Mosambik, 0 2 4 6 8 10 12 14
Peru, Republik Moldau, Ruanda, Senegal, Serbien, Süd-
afrika und Uruguay.   Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel            Investitionen zur Abschwächung des Klimawandels

42  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


ENERGIE UND UMWELT

Abb. 1: Die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und die grüne Wirtschaft

* Den Hunger beenden,


Ein gesundes Leben
Ernährungssicherheit
Armut in allen ihren für alle Menschen
und eine bessere Er­
Formen und überall be­ jeden Alters gewähr­
nährung erreichen und
enden leisten und ihr Wohl­
eine nachhaltige Land­
ergehen fördern
wirtschaft fördern

Inklusive, gleich­
berechtigte und hoch­ Geschlechtergleich­ Verfügbarkeit und
wertige Bildung ge­ stellung erreichen * nachhaltige Bewirt­
währleisten und und alle Frauen und schaftung von Wasser
Möglichkeiten lebens­ Mädchen zur Selbst­ und Sanitärversorgung
langen Lernens für alle bestimmung befähigen für alle gewährleisten
fördern

Dauerhaftes, breiten­ Eine widerstands­


* wirksames und nach­ fähige Infrastruktur
Zugang zu bezahlbarer, aufbauen, breitenwirk­
verlässlicher, nach­ haltiges Wirtschafts­ *
wachstum, produktive same und nachhaltige
haltiger und moderner Industrialisierung
Energie für alle sichern Vollbeschäftigung und
menschenwürdige fördern und
Arbeit für alle fördern Innovationen unter­
stützen

Städte und Siedlungen Für nachhaltige

GENERALVERSAMMLUNG DER VEREINTEN NATIONEN / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


Ungleichheit innerhalb inklusiv, sicher, wider­ Konsum- und
von und zwischen standsfähig und nach­ * Produktionsmuster
Staaten verringern haltig machen sorgen

Umgehend Mass­ * Ozeane, Meere und * Landökosysteme


nahmen zur Be­
Meeresressourcen im schützen, wieder­
kämpfung des Klima­
Sinne nachhaltiger herstellen und ihre
wandels und seiner
Entwicklung erhalten nachhaltige Nutzung
Auswirkungen er­
und nachhaltig nutzen fördern
greifen

* von der grünen Wirtschaft betroffene Bereiche


Umsetzungsmittel
Friedliche und in­ * stärken und die Globale
klusive Gesellschaften Partnerschaft für nach­
für eine nachhaltige haltige Entwicklung
Entwicklung fördern mit neuem Leben er­
füllen

Gemäss den Studien wirken sich grüne menschenwürdigen Arbeitsplätzen, das Kampf gegen Klimawandel
Strategien und Investitionen nicht nur auf Unternehmertum und die Kreativität för-
die anvisierten Bereiche, sondern auch auf dern». Solche Strategien und Investitionen Auf das Klima ausgerichtete Investitionen
die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesell- hätten also selbst dann positive Auswirkun- stehen im Mittelpunkt der oben erwähnten
schaft aus. Für das Unterziel 1 des SDG 8 – gen, wenn die Wirtschaft weniger Rücksicht 17 Studien. Die grüne Wirtschaft ist für alle
«Ein Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum er- auf die Umwelt nehmen würde als heu- Staaten ein Instrument, um sich an den Kli-
halten, das an den nationalen Kontext an- te. Zudem können die betreffenden Länder mawandel anzupassen, ihn zu dämpfen und
gepasst ist» – kann die grüne Wirtschaft dank den festgelegten Prioritäten das Wirt- um gleichzeitig Fortschritte hin zu einer
nur von Vorteil sein. Dasselbe gilt für das schaftswachstum und die Umweltzerstö- nachhaltigen Entwicklung zu machen (sie-
Unterziel 3: «Auf die Entwicklung ausge- rung schrittweise entkoppeln (Unterziel 4) he Abbildung 2). Was die Abschwächung des
richtete Strategien unterstützen, die pro- und die «Armut in allen ihren Formen und Klimawandels angeht, zielen die meisten grü-
duktive Aktivitäten, die Schaffung von überall beenden» (SDG 1). nen und mit der Klimaveränderung zusam-

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  43
ENERGIE UND UMWELT

KEYSTONE
Investitionen in effiziente Bewässerungs-
systeme, wie hier in China, verbessern die
Ernährungssicherheit. ne Investitionen in die Landwirtschaft und über Klimaänderungen, kommen beispiels-
in die Wasserversorgung dazu beitragen, die weise innerhalb des zwischenstaatlichen Aus-
Klimaresistenz bis 2030 und darüber hinaus schusses für Klimaänderungen und im Grü-
menhängenden Investitionen darauf ab, den zu erhöhen. Die bewässerten Anbauflächen nen Klimafonds zusammen. Die Gemeinschaft,
Anteil der erneuerbaren Energien am Ener- würden beträchtlich zunehmen und die Pro- die sich mit der Wirtschaft und dem grünen
giemix zu erhöhen. Die Energieeffizienz soll in duktivität pro Hektare erhöhen. Das dadurch Wachstum befasst, versammelt sich im Um-
den Bereichen Verkehr, Tourismus und Indus- effizienter genutzte Wasser würde auch den feld der globalen Plattform für grünes Wachs-
trie sowie im Baugewerbe verbessert werden. Wasserarmutsindex verbessern. Kombiniert tum – einer Allianz zwischen dem Unep, der
An dritter Stelle stehen Investitionen in die mit umweltfreundlichen Konzepten für eine OECD, der Weltbank und dem Global Green
Forstwirtschaft. Diese gelten als Instrument, nachhaltige Bewirtschaftung der landwirt- Growth Institute. Darüber hinaus sind zusätz-
um Treibhausgase stärker zu absorbieren. schaftlichen Nutzfläche, wirken sich solche liche Anstrengungen erforderlich, um die ver-
Was die Anpassung an den Klimawandel Investitionen positiv auf die Landverödung schiedenen Programme in Einklang zu brin-
betrifft, muss mittels Klimainvestitionen die und den Kulturlandverlust aus. gen, die auf internationaler Ebene im Zusam-
Verfügbarkeit von Wasser für die Bevölke- menhang mit der grünen Wirtschaft und dem
rung und die Wirtschaft verbessert werden. Internationale Koordination Klimawandel bestehen. Eine solche Verbin-
Dabei muss man auch mit gravierenderen dung muss die Möglichkeit bieten, besser auf
Klimaszenarien wie etwa Wasserknappheit
­verbessern die Bedürfnisse jedes Landes einzugehen.
rechnen. Voraussichtlich wird die Mehrzahl Für die betroffenen Staaten ist die grüne Wirt-
der untersuchten Länder mit diesem Problem schaft ein Instrument, um sich an den Klima-
konfrontiert sein. Die Investitionen werden wandel anzupassen und ihn abzuschwächen.
daher für effizientere Bewässerungssysteme Zudem können sie auf diese Weise auch Fort-
und für eine Verbesserung der Infrastruktu- schritte in Richtung nachhaltiger Entwicklung
ren getätigt, die im Agrarsektor zur Wasser- machen. Auf internationaler Ebene bestehen
gewinnung dienen. hinsichtlich der Initiativen und Programme für
Eine nachhaltige Entwicklung hängt di- eine grüne Wirtschaft und bezüglich des Kli-
rekt mit der Ernährungssicherheit zusammen. mawandels verschiedene Diskussionsforen Ronal Gainza
Wassermangel und Bodenerosion sind dies- und Finanzierungsplattformen. Die wichtigs- Ökonom, Programmverantwortlicher im
bezüglich die grössten Bedrohungen. Durch ten Akteure im Bereich des Klimawandels, ins- Bereich Wirtschafts- und Steuerpolitik, Ab-
den Klimawandel könnte sich die Lage wei- besondere im Zusammenhang mit dem Rah- teilung Volkswirtschaft, Umweltprogramm
der Vereinten Nationen (Unep), Genf
ter verschärfen. Die Studien zeigen, dass grü- menübereinkommen der Vereinten Nationen

44  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

KEYSTONE

Die Zukunft der Medien


Fortschreitende Digitalisierung und sinkende Werbeeinnahmen: Die Tageszeitungen
stecken in der Krise. Lässt sich mit Medien in Zukunft noch Geld verdienen? Ohne eine
sachlich informierte Bevölkerung ist letztlich auch die Demokratie gefährdet. Muss
der Service public ausgebaut werden? Lesen Sie mehr dazu im Dossier.
MEDIEN

Schwierige Voraussetzungen für


innovative Journalismus-Start-ups
Die Digitalisierung ist für den Journalismus Fluch und Segen zugleich. Wegbrechende
Werbeeinnahmen machen traditionelle Erlösmodelle zu einem Auslaufmodell. Doch auch
viele Onlinemedien kämpfen um Einnahmen.  Juliane A. Lischka

Abstract    Unternehmensneugründungen im Journalismus sind ein Ergebnis er- Niederlanden existiert seit 2013 die News-
schwerter Rahmenbedingungen im Zeitalter der Digitalisierung. Denn in vielen Website «DeCorrespondent» erfolgreich. In
Ländern hat der Rückgang der Werbeerlöse für traditionelle Nachrichten- der Schweiz ist Anfang 2018 das teils durch
organisationen zu erheblichen Sparmassnahmen und Entlassungsrunden geführt. Crowdfunding finanzierte Magazin «Repub-
Dadurch ist eine Reihe von journalistischen Start-ups entstanden – und inzwischen lik» online gegangen.
oft wieder verschwunden. Dieser Artikel beschreibt die Besonderheiten und Heraus- Auch wenn diese Gründungen von einem
forderungen von unternehmerischem Journalismus, seine Innovationsleistung für traditionellen Journalismusverständnis ge-
die Branche sowie seinen gesellschaftlichen Wert. Ein kleiner Medienmarkt wie die prägt sind, unterscheiden sie sich doch deut-
Schweiz mit vergleichsweise geringem Publikumspotenzial erschwert die Situation lich von traditionellen Nachrichtenorganisa-
für Neugründungen jedoch zusätzlich. Es gibt bereits erste Initiativen, welche die tionen. Neugründungen sind schlank und ho-
Rahmenbedingungen für journalistische Neugründungen vereinfachen wollen. rizontal organisiert und haben kleine Teams.
Einem Mediensystem sollte daran gelegen sein, Neugründungen zu unterstützen und Die Gründungsmitglieder, die häufig einen
die Ursachen für ihr Scheitern zu reduzieren. journalistischen Hintergrund haben, über-
nehmen neben der Inhaltsentwicklung auch
eine Unternehmer- und Eigentümerrolle. Da-

S  oziotechnische und ökonomische


Veränderungen stellen den Journa-
lismus seit einiger Zeit vor erschwerte
«Mediapart« macht es vor
Unternehmerischer Journalismus versucht
mit ist die traditionelle Trennung zwischen
Redaktion und Management oft aufgeho-
ben und stellt eine erste Konfliktquelle für
Wettbewerbs- und Finanzierungsbedin- eine Antwort auf die finanziellen Proble- das journalistische Rollenverständnis dar. Zu-
gungen. Oft wird die Situation des Jour- me im traditionellen Journalismus zu ge- dem sind die journalistischen Jungunterneh-
nalismus als krisenhaft oder gar apoka- ben, dem ein funktionierendes Erlösmodell mer nun für alle Stufen der Wertschöpfungs-
lyptisch beschrieben. In ihr liegt jedoch fehlt. Experimente mit neuen Formen von kette und für alle Bereiche des Geschäfts-
auch eine schöpferische Energie. Denn Medienprodukten und Erlösmodellen gibt modells verantwortlich. Dazu braucht es
die prekäre Lage gilt als Beschleuniger für es schon seit einigen Jahren. Eine der ers- besondere Fähigkeiten wie Kreativität, In-
Neugründungen von sogenannten jour- ten erfolgreichen journalistischen Neugrün- novationsfähigkeit, Risikobereitschaft so-
nalistischen Pure Playern. Damit sind Me- dungen in Westeuropa war die Internetzei- wie betriebswirtschaftliche Kenntnisse und
dienprodukte gemeint, die nicht mehr tung «Mediapart» in Frankreich. Sie wurde Managementfähigkeiten. Wie eine Umfrage
gedruckt werden, sondern lediglich on- 2008 von Laurent Mauduit, einem ehemali- zeigt, wird insbesondere die Notwendigkeit
line erscheinen. gen Mitarbeiter der Tageszeitung «Le Mon- von Führungsfähigkeiten und betriebswirt-
Die Digitaltechnologie und eine brei- de», mitgegründet.1 Die Motivation dahin- schaftlichen Kenntnissen von Journalismus-
te Internetnutzung der Bevölkerung sind ter war es, investigativen Journalismus für studierenden – den potenziellen Gründungs-
dafür wichtige Voraussetzungen, da sie die Öffentlichkeit zu machen und sich nicht mitgliedern zukünftiger Start-ups – unter-
zunächst einmal Markteintrittsbarrieren nach Werbekunden zu richten, die eine be- schätzt.2
für Neugründungen im digitalen Journa- stimmte Zielgruppe vor Augen haben. «Me-
lismus senken. Gleichwohl ist ein Markt- diapart» verzichtet bewusst auf Einnahmen Gründe für das Scheitern
eintritt noch mit erheblichem Aufwand von Werbetreibenden und betont dies als
und versunkenen Kosten verbunden. So ihr Alleinstellungsmerkmal. Stattdessen sind Oft gilt es schon als Erfolg, wenn ein Jung-
kostet das Programmieren einer techni- Abonnements die Erlösquelle. Mit diesem unternehmen überhaupt einige Zeit über-
schen Infrastruktur für ein journalisti- Erlösmodell ist die Zeitung seit 2011 profita- leben kann, wie eine Untersuchung von
sches Online-Start-up ein beträchtliches bel – entgegen den damaligen Erwartungen ­journalistischen Unternehmensneugrün-
Budget, noch bevor das erste Wort pu- der Branche. Mittlerweile gibt es in mehre- dungen in Deutschland, Frankreich und
bliziert ist. Umso wichtiger sind da Ini- ren Ländern solche Onlineprodukte, die auf Italien erläutert.3 Eine Interviewstudie mit
tiativen wie Wepublish.media von Hansi Abonnements setzen, ganz auf Werbeein- journalistischen Jungunternehmern aus
Voigt, Olaf Kunz und François Rüf in der nahmen verzichten und ein ähnliches Ver- Deutschland weist auf diverse Ursachen hin,
Schweiz, die zum Ziel haben, solche Inf- ständnis von Journalismus haben. In den
rastrukturen open-source zu entwickeln 2 Casero-Ripollés et al. (2016).
und gratis zur Verfügung zu stellen. 1 Wagemans et al. (2016). 3 Bruno und Nielsen (2012).

46  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


Pressekonferenz des neuen
Onlinemagazins «Republik» vom
April 2017 in Bern.
KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  47
MEDIEN

­ eshalb Journalismus-Start-ups scheitern4:


w ihren etablierten Status im Medienmarkt. Nachrichten häufiger von Männern als von
Die Gründungsmitglieder unterschätzen Jungunternehmen müssen sich eine Reputa- Frauen verfasst.
die Vielseitigkeit ihres Tätigkeitsfelds, Rol- tion als legitime und glaubwürdige Chronis- Nicht zuletzt leisten journalistische Start-
lenkonflikte zwischen redaktionellen und ten erst erarbeiten, sich dabei aber gleichzei- ups einen Beitrag zu mehr Medienvielfalt, die
Managementaufgaben können nicht ge- tig von etablierten Medienmarken differen- in einer von Sparrunden geprägten Verlags-
löst werden, oder man orientiert sich zu we- zieren. landschaft wertvoll für eine Demokratie ist.
nig an den Usern. Schwierigkeiten können Zudem gestaltet sich die Suche nach Daher sollte einem Mediensystem daran ge-
auch auftreten, wenn die Gründungsteams einem langfristig funktionierenden Erlösmo- legen sein, die Gründung von Start-ups zu
zu homogen sind, zu wenige Beziehungen dell für reichweitenstarke Onlinemedien wie unterstützen und Rahmenbedingungen zu
und Kontakte haben oder wenn die Unter- «Mashable», «BuzzFeed» und «Vice» auch schaffen, welche die Ursachen für ihr Schei-
nehmung unterfinanziert ist. Jahre nach ihrer Gründung als schwierig.8 Die tern minimieren. Dazu gibt es mehrere Mög-
Start-ups sitzen neben diesen Herausfor- Werbeeinnahmen reichen für diese englisch- lichkeiten: etwa Räume für Aktivitäten in der
derungen zwischen mehreren Stühlen. Einer- sprachigen Gratisangebote nicht aus, um Kreativindustrie schaffen, in denen Innova-
seits sind sie kaum abhängig von bestehen- profitabel zu sein. Wie sollten ähnliche Vor- tionen entwickelt werden können10, oder Fi-
den Denkmustern in der Branche und kön- haben erst in der Schweiz mit einem viel klei- nanzierungsmöglichkeiten für Open-Source-
nen als Onlinemedien völlig unvorbelastet neren Marktpotenzial gelingen? Initiativen bereitstellen. Dennoch: Im ver-
von einer Printvergangenheit beginnen. Sie gleichsweise kleinen Medienmarkt Schweiz
können ihre Innovationsfähigkeit, ihre Ex- Start-ups fördern – werden die wenigsten Neugründungen letzt-
perimentierfreude und ihre Zukunftsorien- endlich rentabel arbeiten können. So wür-
tierung zu ihrem Vorteil nutzen. So entwi-
Medien­vielfalt erhalten de eine Medienförderung für journalistische
ckeln Start-ups ihr Geschäftsmodell und Journalistische Neugründungen sind sowohl Start-ups eine Bereicherung darstellen, da sie
ihren potenziellen Wettbewerbsvorteil oft für die Branche als auch das ganze Medien- die eine oder andere Neugründung vor einem
auf Grundlage ihrer technologischen Überle- system wichtig. Denn Start-ups sind Vorreiter zu frühen Aus bewahren könnte.
genheit, durch die ein Zusatznutzen für User und Agenten des Wandels in einer Branche. 10 Siehe etwa Hitters und Richards (2002) zum Kreativ-
entstehen soll.5 Im Gegensatz dazu stehen Sie setzen Innovationskräfte frei, die zum raum «Westerngasfabriek» in Amsterdam.
traditionelle Medienunternehmen mit Print- Wachstumsmotor in einer Branche werden
vergangenheit zunächst oft vor erheblichen können. Sie zeigen auf, welche neuen Erlös-
Herausforderungen beim organisationalen modelle möglich sind, wie Technologie ein-
Wandel.6 Inzwischen haben Experimentier- gesetzt werden kann und wo mögliche Ni-
freude und Innovationsprojekte auch bei vie- schen liegen. Sie könnten gar Strukturver-
len traditionellen Nachrichtenorganisatio- änderungen initiieren. Allerdings zeigt eine
nen Einzug gehalten, was diese aber teilwei- Studie zu den Geschlechterverhältnissen in

FOTO: JOHN FLURY


se von ihrer strategischen Weiterentwicklung spanischen Journalismus-Start-ups9, dass Lei-
ablenkt.7 Andererseits haben traditionelle tungsfunktionen von Start-ups ausschliess-
Nachrichtenorganisationen aber mindestens lich männlich besetzt sind und erst auf Ebene
Juliane A. Lischka
einen Vorteil gegenüber Neugründungen: der Ressortleitung häufiger Frauen als Män- Dr. phil., Postdoktorierende und DSI
ner anzutreffen sind. Zudem werden auch Fellow, Abteilung Media Economics &
4 Buschow (2018). ­Management, Institut für Kommunikations-
5 Calson und Usher (2015). wissenschaft und Medienforschung,
6 Z. B. Lischka (2018). 8 Bilton (2017). Universität Zürich
7 Küng (2017). 9 Martínez-García (2016).

Literatur
Bilton, Richard (2017). Bad News from Carlson, M. und N. Usher (2016). News Küng, L. (2017). Going Digital: A Roadmap Martínez-García, Luisa (2016). The
Mashable, BuzzFeed, and Vice Shows Startups as Agents of Innovation. In: for Organisational Transformation. Shortcomings of the Traditional Press, a
Times Are Rough for Ad-supported Digital Journalism 4(5), S. 563–581. DOI: Online verfügbar unter Reutersinstitute. Burden on eEntrepreneurial Journalism.
Digital Media. Nieman Lab, 17.11.2017. 10.1080/21670811.2015.1076344. politics.ox.ac.uk. In: Revista Latina de Comunicación Social
Bruno, Nicola und Rasmus Kleis Nielsen Casero-Ripollés, Andreu; Izquierdo- Lischka, Juliane A. (2018). Nachrichten- 71, S. 428–442. DOI: 10.4185/RLCS-2016-
(2012). Survival Is Success. Journalistic Castillo, Jessica und Hugo Doménech- organisation. Umbrüche durch 1103en.
Online Start-ups in Western Europe. Fabregat (2016). The Journalists of the Konvergenz, Crossmedialiät und Wagemans, Andrea; Witschge, Tamara
Oxford: Reuters Institute for the Study of Future Meet Entrepreneurial Journalism. Multikanal- und Innovationsfähigkeit. und Mark Deuze (2016). Ideology as
Journalism (RISJ challenges). In: Journalism Practice 10 (2), S. 286–303. In: Christian Nuernbergk und Christoph Resource in Entrepreneurial Journalism.
Buschow, Christopher (2018). Die DOI: 10.1080/17512786.2015.1123108. Neuberger (Hg.): Journalismus im In: Journalism Practice 10 (2), S. 160–177.
Neuordnung des Journalismus. Eine Hitters, Erik und Greg Richards (2002). The Internet: Profession – Partizipation – DOI: 10.1080/17512786.2015.1124732.
Studie zur Gründung neuer Medien- Creation and Management of Cultural Technisierung. 2. Aufl. Wiesbaden:
organisationen. Wiesbaden, Germany: Clusters. In: Creativity & Innovation Springer VS, 273–293.
Springer VS. Management 11 (4), S. 234–247. DOI:
10.1111/1467-8691.00255.

48  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

Mehr Service public im Medienmarkt


erwünscht
Ein Plädoyer für einen innovativeren medialen Service public der Zukunft: ohne SRG-
Monopol und mit mehr inhaltlichem Wettbewerb.  Markus Spillmann

Abstract  Die Diskussionen über den medialen Service public erschöpfen sich meist in mehr nur von Menschen, sondern auch von
der Frage der Finanzierung und der Grösse der SRG. Die deutliche Ablehnung der «No Algorithmen zusammengestellt.
Billag»-Initiative könnte nun dazu verleiten, den Status quo einfach weiterzuführen.
Doch das wäre fatal. Denn Nutzungsgewohnheiten und Konsumenteninteressen Bedrohung für den Journalismus
ändern sich fundamental, und gleichzeitig wird die Refinanzierung von werte-
geleiteter Publizistik im freien Markt immer schwieriger. Das bedroht die für den Einschneidend werden die Veränderungen
demokratischen Diskurs unabdingbare Informiertheit der Bevölkerung. Es braucht auch im Werbemarkt sein. Die Adressierung
also in Zukunft möglicherweise nicht weniger, sondern mehr Medienangebote, die des Einzelnen über digitale Endgeräte dürf-
durch die öffentliche Hand (mit)finanziert werden. Dieser Service public der Zukunft te zum Standard werden – ob auf dem Smart-
ist als System zu begreifen, das private Leistungserbringer gleichwertig einbezieht, phone, der Smartwatch oder dem Tablet; ob
technologie- und anbieterneutral ist und staatsfern betrieben wird. im Auto, im Tram oder auf digitalen Plakat-
säulen: Auf der Grundlage unserer Nutzungs-
profile werden wir in erster Linie noch das se-

D  ie Schlacht ist geschlagen, der Sieger


steht fest: Der öffentlich-rechtliche
Rundfunk darf in der Schweiz weitersenden.
bote genutzt, doch deren Refinanzierung
bleibt trotz der leicht steigenden Zahlungs-
bereitschaft ungenügend. Zumal auch bei
hen, was uns individuell oder als Zielgruppe
interessieren könnte. Entscheidend wird da-
bei nicht mehr nur sein, was wir als Medien-
Die deutliche Ablehnung der Initiative «No den meisten Online-Werbeformen die Wert- konsumenten nutzen, sondern auch, wo und
Billag» sollte aber nicht als Aufforderung schöpfung hinter den Erwartungen bleibt. wie.
zum «Weiter so!» verstanden werden.1 Ab- Zu dieser Strukturveränderung gesellt sich Solche und weitere Entwicklungen verän-
gestimmt wurde nur über die Finanzierung eine zweite Entwicklung, die befördert wird dern den Journalismus fundamental. In seiner
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und durch die Digitalisierung. Die Grenzen zwi- redaktionellen Organisation ist er bedrängt,
der konzessionierten privaten Sender. Nicht schen einer Publizistik, die der Öffentlichkeit weil er gemessen an seiner eigenen Wert-
äussern konnten wir uns über die Grenzen der verpflichtet ist, und der interessengeleiteten schöpfung inzwischen viel zu teuer produ-
öffentlich sichergestellten medialen Grund- Kommunikation verwischen immer mehr. Das ziert. Über die letzten gut 200 Jahre war das
versorgung oder darüber, ob eine solche muss für den Konsumenten zwar nicht zwin- kein Problem, weil die ungenügende Zah-
im digitalen Zeitalter noch sinnvoll ist. Und gend schlecht sein. Für die Sicherstellung von lungsbereitschaft der Endkonsumenten kom-
gerade bei Letzterem müsste eine zukunfts- politischer und gesellschaftlicher Teilhabe der pensiert werden konnte durch die Querfi-
gerichtete Diskussion über den Service public Bevölkerung ist eine solche Entwicklung je- nanzierung des Werbemarktes. Überspitzt
eigentlich ansetzen. doch problematisch. Denn bestmöglich unab- formuliert: Unsere Aufmerksamkeit für das
hängige, primär der Sache und der Sachlich- Inhaltliche wurde erkauft durch die Duldung
Auslaufmodell Tageszeitung keit verpflichtete und nach einschlägigen jour- von Inseraten und Werbeschaltungen. Diese
nalistischen und medienethischen Prinzipien Ära ist zu Ende – und sie wird nicht wieder-
Im Kern geht es dabei um die Frage, wie man hergestellte Information ist der Sauerstoff von kehren.
die in einer Demokratie unerlässliche Infor- Diskursen, von Partizipation, von Wissen, von
miertheit der Gesellschaft in Zukunft noch si- Meinungsbildung und Entscheidung. Feh- Ein sehr kleiner Markt
cherstellen kann. Und dazu braucht es in der len solche sachlichen Informationen oder sind
Schweiz zukünftig mutmasslich nicht weni- sie nur noch für wenige Konsumenten und für Zwei weitere Elemente machen diese Ent-
ger, sondern mehr medialen Service public. wenige Themenfelder verfügbar, ist die Demo- wicklung für die Schweiz besonders schwer-
Warum? Erstens wird es im Markt der Pub- kratie gefährdet. wiegend: erstens die Eigenheit des hiesigen
likumsmedien zu weiteren Konzentrationen Die dritte Tendenz ist, dass sich insbeson- Medienmarktes. Er ist im internationalen Ver-
kommen, zulasten von publizistisch eigen- dere bei Informations- und Unterhaltungsan- gleich sehr klein, durch vier Landessprachen
ständigen Redaktionen. Kostenpflichtige geboten die Unterscheidbarkeit von journa- sowie die föderalistische Struktur stark frag-
Tageszeitungen werden zunehmend an Le- listischen Darstellungsformen weiter auflöst. mentiert und umgeben von mächtigen aus-
serschaft und an Auflage verlieren; als Print- Text, Ton, Bewegtbild, Grafik, Datenvisuali- ländischen Konkurrenten. Allein der Gross-
produkte sind sie ein Auslaufmodell. Alter- sierung, Augmented oder Virtual Reality bil- raum München zählt etwa gleich viele Ein-
nativ werden zwar vermehrt digitale Ange- den künftig ein integriertes Medienerlebnis. wohner wie die ganze Deutschschweiz.
Dieses wird nicht zwingend aus einer Hand, Zweitens nimmt Inhalt im Gütermarkt eine
1 Der Autor äussert in diesem Artikel ausschliesslich
sondern als Patchwork aus mehreren ver- Sonderstellung ein. Zwar kann seine Nutzung
seine persönliche Meinung. schiedenen Quellen gleichzeitig und nicht im digitalen Zeitalter besser denn je einge-

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  49
MEDIEN

KEYSTONE
Soll Ringier die SRF-Sendung «Glanz & Gloria»
produzieren? Moderatorin Annina Frey im
Studio. Angebote überleben. Im Massenmarkt hin- tisch und dem gesellschaftlich Wünschens-
gegen dürfte das nur noch in Einzelfällen werten auftun. Der Medienmarkt Schweiz
schränkt werden, was für die Wertschöpfung möglich sein. darf nicht den gleichen Weg wie die Land-
essenziell ist. Dennoch bleibt eine Öffent- wirtschaft oder das Gesundheitswesen ge-
lich-Gut-Problematik bestehen, weil die kos- Keine Industriepolitik hen – streng reguliert, hoch subventioniert,
tenlose Weitergabe der Information kaum zu vom Wettbewerb abgeschottet und für den
unterbinden ist und sich der Kern der Infor- Heute besteht im Medienbereich eine Dua- Konsumenten teuer. Gleichzeitig ist aber vor
mation faktisch nicht schützen lässt. Für die lität: hier der durch Zwangsgebühren finan- den unbestrittenen Veränderungen im Me-
Konsumenten handelt es sich zudem um ein zierte nationale Rundfunk, dort im harschen dienmarkt auch die starre Zweiteilung – hier
Vertrauensgut. Qualität, Relevanz und Nutz- Wettbewerb stehende Medienanbieter mit Staat, dort Markt – nicht mehr zielführend.
wert sind beim Kauf nicht abschätzbar. Beide stark am Text ausgerichteten Inhalten und Denn sie adressiert weder die ökonomi-
Charakteristiken stärken die Zahlungsbereit- lokal begrenzten Rundfunkangeboten. Diese schen noch die technologischen Herausfor-
schaft für Inhalte nicht. Situation nimmt keine Rücksicht auf die Nut- derungen der Zukunft.
Also dürfte der hiesige Medienmarkt wei- zer, die sich längst schon an globalen Inter- Das von der öffentlichen Hand konzessio-
ter ausdünnen. Nur wenige Medienhäuser mediären und Programmanbietern wie Goo- nierte und finanzierte Leistungsangebot muss
werden sich künftig noch eine wertegeleite- gle, Facebook, Youtube, Spotify, Netflix und klar definiert werden, sodass es von markt-
te, inhaltlich strukturierte und spezialisierte Co. orientieren und weder eine Marktauftei- wirtschaftlichen Alternativen deutlich unter-
Publizistik leisten. Denn in kühler betriebs- lung nach geografischen Kriterien oder Ver- schieden werden kann; nicht nur hinsichtlich
wirtschaftlicher Logik darf eine solche nicht triebsmedium (Fernsehen, Radio, Print) noch seiner Qualität und Relevanz, sondern auch in
strukturell defizitär sein und muss sich aus eine exklusive Bündelung durch einzelne An- Bezug auf die Zielsetzung, die Nutzerorien-
eigener Kraft finanzieren. Deshalb werden bieter wünschen. tierung und die gesamtgesellschaftlich ge-
die Kosten durch Aufwandsminderung oder Eine zukunftsgerichtete Service-pub- wollte Wirkung. Die Erbringung von media-
durch Skalierung weiter getrimmt, was die lic-Diskussion müsste sich daher lösen von lem Service public ist anbieter- und technolo-
Breite, die Vielfalt und die Qualität des Gebo- der schrittweisen Weiterentwicklung des gieneutral zu definieren – es sind also weder
tenen nicht fördert. Bei Nischenprodukten ist Status quo, dessen Grundlage aus der Mit- Verbote für die Bespielung spezifischer Kanäle
es denkbar, dass durch Crowdfunding, Mä- te des 20. Jahrhunderts stammt. Sie müsste wie etwa Online auszusprechen, noch ist die
zenatentum, Stiftungen oder andere Formen die teilweise grossen Widersprüche aufzei- Leistungserbringung an einen einzigen omni-
der Quersubventionierung hoch­ wertigere gen, die sich zwischen dem ordnungspoli- potenten Anbieter wie die SRG zu vergeben.

50  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

Schreckgespenst direkte und private Anbieter gemeinschaftlich be- be am Gemeinwesen und an den demokrati-
Medienförderung teiligen. Das bedeutet, dass in einer eigenen schen Prozessen ermöglichen.
Rechtsform und unter spezifischen Leis- Die Kosten dafür sind das eine. Dieses
Kritiker dürften spätestens jetzt einwerfen, tungsmandaten neben der SRG auch ande- Problem ist, Hand aufs Herz, lösbar. Schwie-
der Autor rede der direkten Medienförderung re Anbieter Formate mit Service-public-Cha- riger ist es im derzeitigen politischen Klima
das Wort. In der Tat: Die direkte Medienför- rakter produzieren könnten. Die so geschaf- und angesichts der verfassungsrechtlichen
derung existiert schon, und sie wird aus den fenen Sendungen liessen sich zudem auch Möglichkeiten, in einer sorgsamen Güter-
oben angeführten Gründen zunehmen müs- auf anderen medialen Plattformen weiter- abwägung zwischen unerwünschter Markt-
sen, wenn uns Vielfalt und Qualität im Me- verwerten. intervention und gemeinschaftlicher Inter-
dienmarkt Schweiz auch weiterhin wichtig Denn warum sollten Hochschulen nicht essenwahrung den medialen Service public
sind. Wie man diese Förderung ausgestal- Bildungsinhalte bereitstellen dürfen, wenn als ein Gesamtsystem zu begreifen und nicht
tet, ist zugegebenermassen herausfordernd. sie sich einschlägiger journalistischer Krite- mehr nur auf einen Finanzierungsschlüs-
Dazu gehören nämlich die bedingungslose Si- rien unterwerfen? Warum nicht das Netz- sel oder auf die Zähmung der SRG zu redu-
cherstellung von Staatsferne, die Art der Fi- werk aus kreativen jungen Journalistinnen ein zieren. Das neue Mediengesetz, das diesen
nanzierung, deren Höhe, das konkrete Leis- Wirtschaftsformat für Jugendliche? Warum Sommer in die Vernehmlassung kommt und
tungsmandat, die Regelung des Opt-ins von sollte die NZZ nicht ihre Auslandkompetenz das sich auf der Basis der Verfassung ohne-
Leistungserbringern oder der ordnungspoli- einbringen, warum nicht Ringier «Glanz und hin nur auf die elektronischen Medien kon-
tisch möglichst korrekte Umgang mit Wett- Gloria» produzieren? Wenn solche Inhalte zur zentrieren kann, wird diesem Anspruch mut-
bewerbern, die ihr Glück weiterhin im freien Informiertheit der Bevölkerung beitragen, masslich nicht gerecht. Es wäre aber wün-
Markt suchen wollen. die verschiedenen Anbieter die an Förder- schenswert, dass es eine etwas agilere,
Ein erster Schritt könnte es sein, der SRG mittel gekoppelten Leistungsvereinbarungen innovativere und mutigere Medienpolitik für
tatsächlich eine Plafonierung der Gebühren einhalten und sich das Gebotene nicht oder dieses Land auch nicht auf Jahre hinaus ver-
zu verordnen. Wenn die Gebühren ab 2019 nicht ausreichend durch den Markt finanzie- hindert.
auf jährlich 365 Franken sinken, ist bei einer ren lässt, dann liesse sich ebenso ein Min-
durchschnittlichen Haushaltsgrösse von destmass an inhaltlicher Vielfalt und Qualität
vier Personen mit 25 Rappen pro Kopf und sicherstellen.
Tag wertiger Journalismus auch weiterhin
zum Dumpingpreis erhältlich. Bleibt es der Die Kosten sind nicht
SRG erlaubt, Werbung zu senden, könnte
man sie dazu verpflichten, im Rahmen pub-
das Problem
lizistischer Standards Dritte an diesen Wer- Wichtig ist, dass es nicht darum gehen kann,
beeinnahmen teilhaben zu lassen bzw. die Industriepolitik zu betreiben und eine mög-
Vermarktung in einer eigenen Rechtsform licherweise sterbende Branche am Leben zu
Markus Spillmann
partnerschaftlich mit anderen Medienhäu- erhalten. Sehr wohl aber muss es uns interes- Präsident der Stiftung Schweizer Presse-
sern zu organisieren. Es wäre auch denkbar, sieren, ob wir als Nation, als Gesellschaft, als rat, Mitglied der Eidgenössischen Medien-
mindestens einen Kanal – etwa SRF Info – Bürger und als Individuen künftig noch aus- kommission und Geschäftsführer beim
als Übungsfeld für ein inhaltliches Vollpro- reichend mit journalistischen Inhalten ver- ­Beratungsunternehmen Spillmann Publizis-
tik Strategie Management, Zürich
gramm zu definieren, an dem sich die SRG sorgt werden, die uns die freiwillige Teilha-

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  51
MEDIEN

Die Medienbranche bietet auch in Zukunft


wirtschaftliches Potenzial
Das Medienverhalten der Jungen ändert sich. Allerdings ändert sich nicht so sehr, was
konsumiert wird, sondern vielmehr, wie. Einiges deutet darauf hin, dass das wirtschaftliche
Potenzial bei den Mediengeräten steigen wird. Doch die Wertschöpfung der Plattformen
verschiebt sich immer mehr ins Ausland.  Bjørn von Rimscha

Abstract  Der Medienwandel ist bei jungen Menschen am deutlichsten zu beobachten. geworden. Entsprechend müssen sich die
Das wirft die Frage auf, ob sich mit dem Wandel der Nutzungsgewohnheiten auch das Verlage nicht nur darauf einstellen, dass die
wirtschaftliche Potenzial der Branche verändert. Bei der Mediennutzung zeigen sich Familiengründung im Lebensalter immer wei-
traditionell Alterseffekte, denen zufolge sich das Nutzungsverhalten im Verlauf des ter aufgeschoben wird, sondern auch, dass
Lebens wandelt. Neu hinzugekommen sind jedoch auch sogenannte Kohorteneffekte. sich verstärkt Kohorteneffekte zeigen. Denn
Das bedeutet, dass heutige Jugendliche auch im Alter ein anderes Konsumverhalten ganze Kohorten folgen heute nicht mehr län-
haben werden als heutige Alte. Die Art der nachgefragten Inhalte ist davon weniger ger der gewohnten Abfolge der Konsumprä-
betroffen als die Frage, auf welchen Geräten und in welchen Medien diese Inhalte ferenzen im Lebenslauf, und entsprechend
genutzt werden. Das wirtschaftliche Potenzial ändert sich somit nicht grundlegend, wächst auch die Nachfrage nach bestimmten
doch es verteilt sich anders. Aufgabe der Politik ist es, sicherzustellen, dass auch in Angeboten nicht mehr nach.
Zukunft das Potenzial der Schweizer Wirtschaft und der Demokratie zugutekommt.
Junge informieren sich
weiterhin – nur anders
W  ie wird sich das wirtschaftliche Poten-
zial in der Medienbranche zukünftig
verändern? Eine Möglichkeit, dies abzuschät-
jüngeren Kohorten mit dem Internet aufge-
wachsen sind und es ganz selbstverständlich
nutzen. Heutige Jugendliche werden auch im
Das wirtschaftliche Potenzial der jungen Me-
dienkonsumenten und damit auch das zu-
zen, ist, auf die jungen Zielgruppen zu fokus- Alter das Internet nutzen. künftige Gesamtpotenzial können in drei As-
sieren. Bei gleichbleibenden Konsumenten- pekte aufgeteilt werden: Auf welchen Ge-
präferenzen kann allein die demografische Gewohnheiten ändern sich räten werden die Medien konsumiert, nach
Entwicklung das zukünftige Marktpoten- welchen Inhalten besteht eine Nachfrage,
zial prognostizieren: Eine steigende Lebens- Ein wichtiges Element, um das wirtschaftli- und wer sind die Anbieter, die diese Inhalte
erwartung vergrössert das Marktpotenzial, che Potenzial aus der Mediennutzung abzu- bereitstellen?
ein negativer Geburten- und Wanderungs- schätzen, ist die Frage, warum sich Menschen Bei den Geräten zeigen sich mehrere Ent-
saldo reduziert es. In einer dynamischen Medien zuwenden. Ein Grossteil der Medien- wicklungen, die eher auf ein wachsendes
Branche wie den Medien kann sich allerdings nutzung stellt ein habitualisiertes Verhalten wirtschaftliches Potenzial hindeuten. Zwar
auch das Konsumverhalten verändern: Ab- dar. Menschen entscheiden sich nicht jeden verzichtet man in einigen jungen Milieus
weichende Konsumpräferenzen der Jungen Tag aufs Neue, ob und gegebenenfalls wel- mittlerweile komplett auf die Anschaffung
deuten dann darauf hin, dass sich in Zukunft chem Medium und welchen Inhalten sie sich von Geräten wie TV oder Radio, die früher
auch das Marktpotenzial verändert. Hier- zuwenden wollen. Sie nutzen mehr oder we- selbstverständlich waren. Doch gleichzeitig
bei kann zwischen sogenannten Alters- und niger das Medium, das sie schon gestern oder werden Geräte zur Mediennutzung zuneh-
Kohorteneffekten unterschieden werden. bereits als Jugendliche genutzt haben. Nicht mend als persönliche Geräte verstanden. An-
Alterseffekte liegen vor, wenn sich die Kon- zuletzt deshalb haben sich Verlage über Jahr- stelle eines Fernsehers für die ganze Familie
sumpräferenzen mit dem Lebensalter ändern. zehnte hinweg in Programmen wie «Zeitung wird heute für jeden ein persönliches Tab-
Also etwa dann, wenn Kinderfilme vor allem in der Schule» engagiert. Denn so konnten let angeschafft. Hinzu kommt, dass die Pro-
von unter 12-Jährigen und von 30- bis 45-Jäh- sie die Kunden bereits in frühen Jahren an das duktzyklen deutlich kürzer geworden sind.
rigen (als Begleitung) geschaut werden, an- Produkt binden. Für Junge ist es selbstverständlich, die Gerä-
dere Altersstufen jedoch keine Nachfrage da- Auch in den Medien gibt es also Elemen- te, mit denen sie Medien nutzen, spätestens
nach haben. Um Kohorteneffekte handelt es te, die für einen vergleichsweise statischen alle zwei Jahre zu erneuern.
sich, wenn ein Angebot eine bestimmte Al- Markt sprechen. Selbst mit den vorhandenen In Bezug auf die Inhalte lassen sich fun-
tersstufe anspricht und diese ab dann dauer- Alterseffekten konnten die Verlage gut um- damentale Verschiebungen kaum empi-
haft zu Nutzern wird, nachwachsende oder gehen, solange sie davon ausgehen konnten, risch belegen. Auch junge Schweizer su-
vorangegangene Generationen diese Kon- dass zur Haushalts- und Familiengründung chen in den Medien sowohl Unterhaltung
sumpräferenz jedoch nicht teilen. Ein Beispiel meist auch der Abschluss eines Tageszei- als auch Information und Orientierung.
ist das Internet. Dass jüngere Menschen das tungsabonnements gehörte. Mit der Digita- Eine grundsätzliche Abkehr, etwa von In-
Internet mehr nutzen als ältere, liegt nicht al- lisierung hat sich die Medienbranche jedoch formation, findet nicht statt. In der Tat nut-
lein am Alter, sondern auch daran, dass diese grundlegend gewandelt und ist dynamischer zen die Jungen das Internet stärker als Äl-

52  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

tere, dafür gebrauchen sie weniger tradi- tion, die Grössenvorteile erschliessen soll. satz in der Schweiz gemacht wird. Wer in
tionelle Medien wie Radio und Fernsehen. Konzentration ist insbesondere bei sozia- den Neunzigerjahren Michael Jackson hören
Die Art des Mediums allein lässt jedoch len Onlinenetzwerken und Onlinemedien wollte, kaufte sich im lokalen Geschäft eine
noch keinen Rückschluss auf den Inhalt zu. problematisch. Allerdings zeigen die Jun- CD. Wer heute aktuelle internationale Hits
Die seit 2010 zweijährlich durchgeführte gen hier weit weniger Treue. So ist etwa der hören möchte, bekommt im Spotify-­ Abo
James-Studie1 der Zürcher Hochschule für Anteil derjenigen 15- bis 24-Jährigen, die das ganze Angebot per Flatrate. Die monatli-
Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt mindestens gelegentlich Facebook nutzen, che Gebühr geht dabei direkt an den schwe-
etwa, dass Jugendliche inzwischen tatsäch- zwischen 2014 und 2017 von 82 auf 55 Pro- dischen Anbieter. Genauso ist es mit Filmen
lich nicht mehr in die Nutzung einer ge- zent gesunken.2 Gleichzeitig haben Platt- und Serien, die über ein Abonnement bei
druckten Tageszeitung hineinwachsen. Ihr formen wie Instagram und Pinterest deut- Netflix genutzt werden.
Bedürfnis nach Information stillen sie, in- lich gewonnen. Einerseits haben soziale Insgesamt zeigen die Nutzungsgewohn-
dem sie Tageszeitungen regelmässig on- Onlinemedien durch starke Netzwerkef- heiten der jungen Schweizer, dass das wirt-
line lesen. Ähnliches lässt sich auch für an- fekte eine Tendenz zu sogenannten The- schaftliche Potenzial für die Medienbran-
dere Medien zeigen, etwa wenn Inhalte, die Winner-Takes-It-All-Märkten, andererseits che erhalten bleibt. Aufgabe der Medien-
früher via Fernseher genutzt wurden, heu- scheint die Nutzung doch nicht so stark ha- und Wirtschaftspolitik ist es allerdings,
te in einem Onlinevideoportal abgerufen bitualisiert, dass ein Wechsel zu einer an- sicherzustellen, dass dieses Potenzial auch
werden. deren Plattform ausgeschlossen wäre. Wei- und vor allem für Inhalte zur Verfügung
ter lässt sich teilweise auch beobachten, steht und dass weiterhin auch Schwei-
Kaum Wertschöpfung dass jede neue Generation sich wiederum zer Akteure dieses Potenzial ausschöp-
eine andere Social-Media-Plattform sucht. fen können. Beispiele aus anderen europäi-
in der Schweiz So nutzen Ältere vorwiegend Facebook und schen Ländern zeigen, dass dies in vielfälti-
Für das wirtschaftliche Potenzial ist die Fra- Linkedin und Jüngere Instagram und Snap- ger Weise geschehen kann: etwa durch ein
ge demnach weniger, ob sich die erfolgs- chat. Denn traditionell ist Mediennutzung umfangreiches Service-public-Angebot im
trächtigen Inhalte wandeln, sondern viel- im Jugendalter immer auch ein Mittel zur Onlinebereich, durch die Verpflichtung der
mehr, ob sich die gleichen Angebote auf Abgrenzung. US-Videoplattformen, sich an der Finanzie-
neuen Kanälen ebenso gut wie bisher mo- Gemein ist allen neuen Medienplattfor- rung der nationalen Filmförderung zu be-
netarisieren lassen. Diesbezüglich zeigt sich, men jedoch eins: Sie schaffen wenig Wert- teiligen, oder durch die Besteuerung von
dass bei digitaler Verbreitung zwar die Dis- schöpfung in der Schweiz. Nutzniesser ausländischen Onlinemedien und Werbe-
tributionskosten reduziert werden können, sind immer die ausländischen Eigentümer vermittlern nach Umsatz im Inland.
dass der Umsatz pro Kunde für Onlineme- der Plattform, egal ob junge Menschen ihre
dien jedoch geringer ist. Zum einen weil die Zeit mit Facebook oder Snapchat verbrin-
Preiselastizität bei Onlineabos grösser ist gen. Der Medienkonsum der jungen Schwei-
als zum Beispiel bei gedruckten Tageszei- zer kommt damit nicht der einheimischen
tungen, sodass die Abonnementspreise also Wirtschaft zugute. Das gilt auch jenseits
nicht so leicht erhöht werden können. Zum der sozialen Onlinenetzwerke: Zwar ha-
anderen liegen die Werbetarife online deut- ben Schweizer auch schon in früheren Jahr-
lich niedriger. Aus diesem Markt kann also zehnten viele ausländische Inhalte nachge-
vergleichsweise weniger erlöst werden. fragt, doch die Digitalisierung des Vertriebs
Der so steigende Kostendruck auf die bedeutet, dass inzwischen selbst im Handel Bjørn von Rimscha
Medienanbieter führt zu einer Konzentra- mit ausländischen Inhalten kaum mehr Um- Professor für Medienwirtschaft an der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Deutschland
1 Die Studie ist online verfügbar auf Zhaw.ch. 2 IGEM-digMonitor 2017. Online verfügbar auf Igem.ch.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  53
MEDIEN

Der Einfluss der Medien auf die


parlamentarische Agenda
Medien und Politik haben eine starke Wechselwirkung aufeinander. Die Frage ist: Wer beein-
flusst wen und wie stark?  Pascal Sciarini, Anke Tresch

Abstract    Die Parlamentsmitglieder nutzen die Medien, um die Bedürfnisse der Ge- sich die Parlamentsmitglieder bei der The-
sellschaft zu erfahren und sich die Informationen zu beschaffen, die sie für die Aus- menwahl für ihre Anfragen, Interpellationen,
übung ihrer Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen benötigen. Sie bedienen sich der Motionen und parlamentarischen Initiati-
Medien aber auch, um ihre Aktivitäten sichtbar zu machen und die Öffentlichkeit zu ven an der medialen Berichterstattung? Und
überzeugen. Eine für den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) durchgeführte Studie in welchem Masse beeinflussen sie mit ihren
hat sich nun mit der Wechselwirkung zwischen Medienagenda und parlamentarischer Vorstössen umgekehrt, wie häufig die ver-
Agenda beschäftigt. Wie andere Untersuchungen kommt sie zum Schluss, dass die schiedenen Themen in den Medien behan-
Medien einen stärkeren Einfluss auf die Parlamentsmitglieder ausüben als umgekehrt. delt werden?
Das Mass der Beeinflussung variiert allerdings je nach Land, Parteiensystem, Thema
und Aktivität des Parlaments. Ergebnisse variieren
je nach System

E  s ist nicht möglich, all den verschiedenen


politischen Themen die gleiche Auf-
merksamkeit zu widmen. Angesichts der Fülle
In einer für den Schweizerischen National-
fonds (SNF) durchgeführten Studie haben
wir die Wechselwirkung zwischen Medien-
Die Ergebnisse der Studie lassen sich in drei
Punkten zusammenfassen. Erstens: Eine in
der Schweiz und sechs weiteren Ländern
an Ereignissen müssen Medienschaffende agenda und parlamentarischer Agenda durchgeführte Vergleichsanalyse in Zusam-
eine Auswahl treffen und entscheiden, untersucht. Es zeigt sich, dass eine starke menarbeit mit Forschenden des internationa-
welche Ereignisse eine Berichterstattung ver- Korrelation in Bezug auf die Häufigkeit len Projekts «Comparative Agendas Project»
dienen. Eine solche Auswahl müssen auch besteht, mit der Themen in den Medien (siehe Kasten) verdeutlicht, dass der Einfluss
die Politiker treffen. Umso mehr, wenn sie und im Parlament behandelt werden (siehe der Medienagenda auf die parlamentarische
– wie die Schweizer Parlamentsmitglieder – Abbildung). Agenda stärker wirkt als umgekehrt.1 Die-
ihre Tätigkeit in einem Milizsystem ausüben Themen mit sehr grosser Medienprä- selbe Analyse zeigt ausserdem, dass die Par-
und ihre Ressourcen somit begrenzt sind. senz – wie Fragen zur Organisation des Staa- lamentsmitglieder der Oppositionsparteien
Die Aufmerksamkeit, die den verschiedenen tes, zum Transportwesen oder zur Auslands-
Themen zukommt, ist denn auch ausschlag- politik – sind auch bei den parlamentarischen 1 Vliegenthart, Rens et al. «Do the Media Set the
Parliamentary Agenda? A Comparative Study in Seven
gebend für die «Agenda» einer Organisation Vorstössen stark vertreten. Wie lässt sich die- Countries», in: European Journal of Political Research,
wie etwa einem Verband oder einer Partei. se Übereinstimmung erklären? Orientieren 55, 2016, S. 283−301.

«Comparative Agendas Project» Häufigkeit von Themen in NZZ-Artikeln und in parlamentarischen Vorstössen
Am «Comparative Agendas Project», das von Parlamentarische Verstösse
den USA ins Leben gerufen wurde, beteiligen 15
sich zahlreiche europäische Länder (Dänemark,
Deutschland, Frankreich, Italien, die Nieder-
lande, die Schweiz, Spanien usw.). Der grösste Verkehr
Vorteil dieses Projekts besteht darin, dass die
Organisation des Staates
Themenagenden der Parteien und politischen 10
Institutionen sowie der Medien überall nach
dem gleichen Schema codiert werden. Dieses Gesundheit Aussenpolitik
gemeinsame Schema umfasst 20 politische
Themen, wie etwa Gesundheit, Einwanderung,
internationale Fragen, sowie mehr als 250 Unter­ Wirtschaft
5
SNF / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

themen. Das erleichtert den internationalen


Vergleich der Agenden Für diesen Artikel wurden
die Daten der Jahre 1995−2003 verwendet.
Jeden zweiten Tag wurden alle in der Neuen
Zürcher Zeitung (NZZ) auf der Titelseite und
der ersten Seite der nationalen Meldungen 0
erschienenen Artikel codiert. Das bedeutet,
0 2,5 5 7,5 10 12,5 15 17,5
dass insgesamt fast 10 000 Artikel sowie etwa
NZZ-Artikel
10 000 parlamentarische Vorstösse (Anfragen,
Interpellationen, Postulate, Motionen und
parlamentarische Initiativen) codiert wurden. Anzahl parlamentarische Vorstösse: 9948; Anzahl NZZ-Artikel: 5044.

54  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

men geht oder nicht.3 So bedienen sich die


Parlamentsmitglieder eher der Informatio-
nen in den Medien, wenn es um innenpoli-
tische Themen geht. Weniger häufig tun
sie dies, wenn die Artikel Europafragen be-
handeln. Zurückzuführen ist dies wohl da-
rauf, dass die politische Mitbestimmung
der Parlamentsmitglieder bei Europathe-
men eingeschränkter ist als bei innenpoli-
tischen Fragen. Aus dem gleichen Grund
lassen sich die Parlamentsmitglieder bei
europäischen Themen vor allem im Rah-
men ihrer Tätigkeiten zur Kontrolle der Ex-
ekutive von den Medien inspirieren, d. h.
für Anfragen und Interpellationen. In der
Innenpolitik beeinflusst die Medienagen-
da darüber hinaus auch den Inhalt von
parlamentarischen Vorstössen – wie Pos-
tulate, Motionen und parlamentarische
Initiativen –, mit denen ein Entscheidungs-
prozess in Gang gesetzt werden kann.

KEYSTONE
3 Sciarini Pascal und Anke Tresch (2018). The
In direkten Demokratien schenken Parlamentarier Political Agenda-setting Power of the Media: The
Europeanisation Nexus, Genf (nicht veröffentlicht),
der öffentlichen Meinung grosse Beachtung.
Departement für Politikwissenschaften und inter-
FDP-Ständerat Andrea Caroni im Bundeshaus. Grund dafür ist, dass der Bundesrat gegen- nationale Beziehungen der Universität Genf.
über den grossen Parteien sehr integrativ ist
− schliesslich sind sie alle im Bundesrat ver-
sich bei der Themenwahl stärker an den Me- treten. Gleichzeitig sind die kleinen Partei-
dien orientieren als die Mitglieder der Regie- en fast automatisch ausgeschlossen, da sie
rungsparteien. Letztere sind durch Koalitions- so gut wie keine Chance haben, in den Bun-
verträge gebunden und daher zurückhalten- desrat aufgenommen zu werden. Eine wei-
der. Die Opposition kann die von den Medien tere Besonderheit besteht darin, dass unse-
gelieferten Informationen dagegen nach Be- re Parlamentsmitglieder wegen der direkten
lieben ausschlachten, um die Regierung zu Demokratie den Botschaften der Medien und
hinterfragen und herauszufordern. In Län- der öffentlichen Meinung besonders grosse Pascal Sciarini
dern, in denen die Regierung nur von einer Beachtung schenken. Gemäss unseren Analy- Professor für Schweizer Politik am Departe-
einzigen Partei gestellt wird, wie Spanien oder sen gilt auch in der Schweiz: Die Medienagen- ment für Politikwissenschaft und Interna-
Grossbritannien, ist dies ausgeprägter zu be- da beeinflusst die parlamentarische Agenda tionale Beziehungen, Universität Genf
obachten. Weniger deutlich ist es in Ländern, stärker als umgekehrt. Die in den Medien be-
die von Koalitionen regiert werden, wie etwa handelten Themen wirken sich hierzulande
Dänemark oder die Niederlande. allerdings stärker auf den Inhalt der gestellten
Zweitens: Wie sieht die Wechselwirkung Fragen von Nichtregierungsparteien aus. We-
zwischen Medienagenda und politischer niger stark wirken sie auf die Agenda der Re-
Agenda in der Schweiz aus?2 Die Situation gierungsparteien. In dieser Beziehung hat die
in unserem Land unterscheidet sich von der Schweiz paradoxerweise mehr Ähnlichkeiten
anderer Länder, in denen ebenfalls mehrere mit Ländern, die von einer Partei regiert wer-
Parteien an der Regierung beteiligt sind. Ein den, als mit Ländern, die von einer Koalition
regiert werden. Anke Tresch
2 Sciarini, Pascal,  Anke Tresch und Rens Vliegenthart
(2018). Partisan Moderators of the Relationships Drittens sind beim Einfluss der Medien Assoziierte Professorin, Fakultät für Sozial-
Between Media Agenda and Parliamentary Agenda Unterschiede festzustellen, je nachdem, ob und Politikwissenschaften sowie Fonda-
in the Netherlands and Switzerland, Genf (nicht ver- tion suisse pour la recherche en sciences
öffentlicht), Departement für Politikwissenschaften
es bei der Berichterstattung um Europathe-
­sociales (FORS), Universität Lausanne
und internationale Beziehungen der Universität Genf.

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  55
MEDIEN

Ein digitaler Marktplatz für mehr


inhaltlichen Wettbewerb
Das Internet lehrt uns: «Dezentral» schlägt «zentral». Das war bei Wikipedia gegen den
Grossen Brockhaus so, das wird auch beim Rest der Welt gegen Facebook so sein. Gerade in
dem Moment, als die alten Medienhäuser die Plattformökonomie begriffen haben, läuten die
Blockchain-Leute ihr letztes Stündlein ein. Zum Glück!  Hansi Voigt

Abstract    Mit der Digitalisierung werden Informationen immer einfacher zugäng- «Alexa, wenn du mir noch einmal einen
lich und immer billiger. Journalismus ist zunehmend kein Geschäft mehr, und die alte langweiligen Artikel empfiehlst, für den ich
Medienordnung löst sich vor unseren Augen auf. Statt sich auf untaugliche Platt- extra zahlen soll, werfe ich dich aus dem
formen wie Facebook zu verlassen, sollte die Medienwirtschaft der Zukunft in vielen Fenster» – diesen Satz könnten wir uns ver-
Bereichen auf Kooperation und auf die dezentrale Funktionsweise der Blockchain- mutlich bald selber sagen hören. Informatio-
Ökonomie setzen. Die Medienförderung könnte hier sehr wirksame Hebel ansetzen nen gibt es in Hülle und Fülle. Das kostbare
und einen unabhängigen Wettbewerb der journalistischen Inhalte um unsere Auf- Gut ist meine Aufmerksamkeit. Die Informa-
merksamkeit stimulieren. Doch die Verleger sträuben sich dagegen. tionen werden zunehmend auf mein Profil
geschneidert. Das macht sie für mich rele-
vanter und äusserst wertvoll, wenn ich diese

D  ie Geschichte wiederholt sich. Die


breite Verfügbarkeit des Wissens nach
der Erfindung des Buchdrucks beendete die
kommen? Welche sind glaubwürdig? Was ist
wichtig?
Das ist das Dilemma, in dem unsere Me-
Daten verknüpfen kann. Das zeigt sich nicht
nur in den Medien, sondern auch in anderen
Bereichen: Amazon, der Betreiber von Alexa,
düstere Epoche des Glaubens und läutete diengesellschaft aktuell steckt. Der regel- ist gerade daran, in den Versicherungsmarkt
die Neuzeit, die Aufklärung und den auf An- rechte Inhaltsbeschuss sorgt für Unüber- einzusteigen. Denn Alexa weiss genau, wie
gebot und Nachfrage fussenden Kapitalis- sichtlichkeit und führt zum Autoritätsverlust. oft ich wirklich jogge und wie oft nicht.
mus ein. Es gibt Gründe zur Annahme, dass Klassischen Medienmarken wird zunehmend
die zweite Informationsrevolution, die wir der direkte kommunikative Nahkampf in den Facebook als Informations­
derzeit durch die Digitalisierung erleben, sozialen Medien entgegengesetzt.
ähnlich epochale Auswirkungen zeitigen Niemand liest das Internet von vorne bis
plattform ungeeignet
wird. hinten durch. Angesichts der Informations- Diese allumfassende Datenverknüpfung birgt
Wie sehr scheinbar ewige Regeln bereits schwemme hat jeder damit angefangen, die enormen Konfliktstoff. Der Widerstand der
ausser Kraft sind, merken wir alle in unserem Relevanz der Inhalte selber zu definieren. Da- Politik regt sich entsprechend in verschiede-
Alltag. Die Zeiten, in denen Wissen Macht be- bei entscheiden etwa der Wohnort oder die nen Ländern. Versuche, wie etwa das Netz-
deutete und ein Informationsvorsprung ein eigenen Interessen darüber, ob eine Informa- werkdurchsetzungsgesetz1 in Deutschland,
klarer Geschäftsvorteil war, gehen dem Ende tion individuell relevant ist oder nicht. Es gibt sind plump und wenig tauglich. Es zeigt aber,
zu. Eine Preissuchmaschine findet heute für aber auch eine Datenrelevanz: Sind die Infor- dass erkannt worden ist, dass sich Facebook
alle das gleiche billigste Angebot, und für die mationen vom Urheber, oder ist es lediglich und Co. auf keine Art und Weise als neutra-
Mehrheit der Bevölkerung gilt inzwischen der die dritte Zusammenfassung oder Überset- le Informationsinfrastruktur eignen. Endlich.
scherzhafte Schülerspruch: «Wissen ist das zung? Zudem ist entscheidend, ob eine In- Facebook ordnet die Landesbewohner
Gleiche wie Googeln, einfach in krass!» formation glaubwürdig ist. Hier spielen etwa nach den Zielgruppenbedürfnissen ihrer
Vor Gutenberg kostete ein Buch so viel die Marke und die Transparenz eines Medien- Werbekunden. Aus gesellschaftlicher Sicht
wie ein grosses Stadthaus. Heute kostet eine produkts eine Rolle. Und schliesslich sind die sind die Folgen umfassend: Facebook be-
Zeitung so viel wie ein Kaffee, und selbst das Themen, über welche die eigenen Freunde handelt die Vielschichtigkeit der Gesellschaft
ist den meisten Leuten zu teuer. «Informatio- diskutieren, für viele wichtiger als der nächs- etwa so wie der Künstler Ursus Wehrli die zu
nen sind heute eine Ware, die man nicht mehr te Hurrikan in Florida, über den der «Tages- ordnenden Objekte in seinem Buch «Kunst
besitzen kann, weil sie sich sofort verflüchti- schau»-Sprecher gerade berichtet. aufräumen». Wehrlis Resultate sind höchst
gen», bringt es der amerikanische Journalist Die für mich relevanten Inhalte kommen absurd und amüsant. Ob auch die nach Ziel-
Jeff Jarvis auf den Punkt. via Linkempfehlungen von Freunden zu mir, gruppen aufgeräumte Gesellschaft lustig
aber auch durch Algorithmen und zuneh- wird, wird sich zeigen. Wir erleben es derzeit
Eigene Relevanz-Definitionen mend smarter werdende Helferlein wie Alexa in dem grossen Social-Media-Experiment, an
von Amazon und Google Home. Diese digita- dem wir teilnehmen. Der Ausgang ist unge-
Wenn ich etwas wissen will, finde ich heute len Assistenten müssen einem nicht sympa- wiss.
die Information. Oder noch besser: Die Infor- thisch sein, aber sie machen deutlich, wie ab-
1 Gemäss dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz müssen
mation findet mich und mein Interesse gleich surd uns der Gedanke, für Informationen zu rechtswidrige Inhalte von den Betreibern sozialer Netz-
selbst. Aber welche Inhalte lasse ich zu mir bezahlen, bald vorkommen wird. werke innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden.

56  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


MEDIEN

Die Plattformen sind als Infrastruktur in- Auf der Medienplattform Refind wird die Inhalte erstellen, wenn sich Journalismus
zwischen so wichtig, dass der deutsche Öko- letztlich auch der Nutzer für seine Zeit be- nicht mehr lohnt?
nom Nick Srnicek in seinem Buch «Platform lohnt. Die Inhalte aus aller Welt gibt es gra-
Capitalism» bereits anregt, über Verstaatli- tis, aber wer Freunde einlädt oder Artikel teilt, Wettbewerb der Inhalte
chung nachzudenken. Nur ist das angesichts bekommt 20 bis 30 virtuelle Coins. Diese ha-
der globalen Verbreitung nicht mehr so ein- ben bisher allerdings noch nichts mit einer
neu organisieren
fach wie damals, als private Eisenbahnen oder Kryptowährung zu tun. Es handelt sich le- An das klassische Zeitungsgeschäft mit den
Elektrizitätswerke so essenziell für eine Ge- diglich um sogenannte Tokens, von denen es Informationen glaubt niemand mehr wirk-
sellschaft wurden, dass sie von den National- gleich eine Milliarde gibt. Das Beispiel von Re- lich. Aber den Journalismus brauchen wir
staaten in den Besitz der Allgemeinheit über- find zeigt, wie ein dezentrales, viel ausdiffe- trotzdem. Derzeit sehen wir, wie sich die
geführt wurden. Aber immerhin: Bezüglich renzierteres Wertschöpfungssystem funktio- Informationserstellung in einen Spenden-
der derzeit alles beherrschenden Plattformen nieren könnte: Wer einen Artikel geschrieben markt verwandelt. Milliardär Christoph Blo-
mit ihrer The-Winner-Takes-It-All-Ökonomie hat, bekommt Geld. Aber nicht nur er, son- cher stattet die «Weltwoche» und die «Bas-
gibt es ökonomische Hoffnung. Und diese dern auch die Kuratoren, die den Inhalt geteilt ler Zeitung» mit Geld aus, und die Verleger
Hoffnung ist dezentral. und so vertrieben haben. des neuen Schweizer Onlinemagazins «Re-
Wir haben längst gelernt: «Zentral» hat publik» stehen im Kollektiv für ihre Einzel-
Dezentrales Mediensystem keine Chance gegen «dezentral». Das war spende Schlange. Das Motiv ist letztlich in
schon beim Grossen Brockhaus gegen Wi- beiden Fällen das Gleiche: die Überzeugung
Blockchain und neue dezentrale Verteilsyste- kipedia so, und auch die jetzt scheinbar all- und die Identifikation mit dem Produkt.
me wie etwa Ethereum werden vor der Me- mächtigen Plattformen haben auf lange Sicht Aber nur auf Spenden baut man keine
dienwirtschaft nicht mehr lange haltmachen. den dezentralen Wirtschaftsmechanismen vernünftige Medienlandschaft. Um zu ver-
Diese neuen Technologien werden eine de- wenig entgegenzusetzen. Artikel und Inter- stehen, wie Journalismus in der Schweiz
zentral geregelte Teilhabe an der Wertschöp- esse finden dank künstlicher Intelligenz und unabhängig und im Wettbewerb betrie-
fung und wesentlich feiner austarierte Er- lernenden Systemen immer öfter auch ohne ben werden kann, lohnt sich ein Vergleich
werbsmodelle zulassen. Was das heisst, sieht Zwischenhändler zueinander. Facebooks Fir- mit der Transportbranche. Kein Schweizer
man zurzeit etwa an dem Medien-Start-up menpolitik, die keine Links nach aussen zu-
Refind, das der Basler Unternehmer Dominik lässt, wird bald so innovativ wirken wie die Die anfängliche Euphorie ist verflogen. Ist
Grollimund hochzieht. Paywalls der Verlagshäuser. Aber wer soll Facebook als Informationsinfrastruktur nicht
geeignet?

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  5 / 2018  57
MEDIEN

Transportunternehmer würde Geld verdie- Schritt. Es braucht eines oder besser mehre- Die Forderung nach einer gemeinsamen
nen, wenn nur eine einzige private Autobahn re technische und inhaltliche Infrastruktur- Infrastruktur ist bereits in den Vorschlag
zur Verfügung stünde und deren Besitzer – Angebote. Nur so können neue, unabhängige der Eidgenössischen Medienkommission
ähnlich wie Facebook heute – laufend und Medienmarken und eine vielfältige Medien- geflossen. Die Verleger und ihre Lobbyis-
ohne Ankündigung Preise, Spurbreite und landschaft entstehen. Auf einer solchen digita- ten wollen alles Mögliche, aber sicher keine
Verkehrsregeln änderte. len Allmende werden die allgemeinen Kosten zusätzlichen Wettbewerber. Aber dem logi-
Für die Kernaufgabe, den Transport, jedes Einzelnen drastisch gesenkt. Dadurch schen Gedanken einer gemeinsamen Infra-
brauchte es eine gemeinsame Infrastruk- stünden – etwa für den Vertrieb bzw. den Weg struktur haben sie so wenig entgegenzuset-
tur und ein paar Regeln, an die man sich hält. der Inhalte zum Interesse – endlich adäquate zen wie Facebook und andere Plattformen
Trotz dieser gemeinsamen Basis würde nie- Mittel zur Verfügung. Aber auch bereits erstell- der dezentralen Blockchain-Ökonomie.
mand behaupten, im Transportgewerbe herr- te und finanzierte SRG-Inhalte sollten, ebenso
sche kein oder zu wenig Wettbewerb. Aller- wie das Grundrauschen einer vermutlich bald
dings würde es auch keinem Lastwagenfah- öffentlich subventionierten Nachrichtenagen-
rer in den Sinn kommen, selber eine Strasse tur, allen zur Verfügung stehen.
zu bauen, damit er die anderen beherrschen Auf dieser kostengünstigen Basis wird es
kann. Die Kosten für die gemeinsame Infra- beispielsweise wieder möglich sein, lokale
struktur tragen alle gemeinsam. Dafür kön- oder regionale Medienmarken aufzubauen.
nen sie dem Kern ihres Unternehmens nach- Auch die im neuen Mediengesetz sich ab-
gehen: dem Erbringen von Transportleistun- zeichnende direkte Medienförderung für On- Hansi Voigt
gen zum Nutzen aller, unabhängig und in linejournalismus wird wesentlich effizienter. Gründer der Open-Source-Plattform We­
scharfem Wettbewerb untereinander. Denn dadurch fliesst das Geld direkt in den publish, Partner beim Beratungsunterneh-
Der Journalismus nach dem Ende der Inhalt und das Markenprofil und nicht mehr men DasNetz.ch und ehemaliger Chefre-
daktor des Newsportals Watson, Zürich
Verleger-­Ära steht aktuell genau vor diesem in den Aufbau eines Kanals.

Zuerst informiert sein

#DieVolkswirtschaft
Folgen Sie uns auf Twitter, LinkedIn und Facebook, und lesen Sie
laufend die aktuellsten Beiträge.

58  Die Volkswirtschaft  5 / 2018


ZAHLEN

Wirtschaftskennzahlen
Auf einen Blick finden Sie hier die Kennzahlen Bruttoinlandprodukt, Erwerbslosenquote und Inflation von acht Ländern, der EU und
der OECD. Zahlenreihen zu diesen Wirtschaftszahlen sind auf Dievolkswirtschaft.ch aufgeschaltet.

Bruttoinlandprodukt: Bruttoinlandprodukt:
Reale Veränderung in % gegenüber dem Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal1
Vorjahr
2017 4/2017 3/2017 2/2017 1/2017
Schweiz 1,0 Schweiz 0,6 0,6 0,3 0,3
Deutschland 2,2 Deutschland 0,6 0,8 0,6 0,7
Frankreich 1,8 Frankreich 0,6 0,5 0,5 0,5
Italien 1,5 Italien 0,3 0,5 0,4 0,4
Grossbritannien 1,7 Grossbritannien 0,4 0,4 0,3 0,2
EU – EU 0,6 0,6 0,6 0,5
USA 2,3 USA 0,6 0,8 0,8 0,3
Japan 1,6 Japan 0,1 0,3 1,0 0,4
China 6,8 China 1,6 1,7 1,7 1,3
OECD 2,5 OECD 0,6 0,6 0,7 0,5

Bruttoinlandprodukt: Erwerbslosenquote:3 Erwerbslosenquote:3


In Dollar pro Einwohner 2016 (PPP2) in % der Erwerbspersonen, Jahreswert in % der Erwerbspersonen, Quartalswert
2016 2017 4/2017
Schweiz 63 616 Schweiz 4,8 Schweiz 4,5
Deutschland 49 077 Deutschland 3,8 Deutschland 3,6
Frankreich 41 945 Frankreich 9,4 Frankreich 9,1
Italien 37 964 Italien 11,2 Italien 11,0
Grossbritannien 42 898 Grossbritannien – Grossbritannien –
EU 38 918 EU 7,6 EU 7,3
USA 57 325 USA 4,4 USA 4,1
Japan 41 694 Japan 2,8 Japan 2,7
China – China – China –
OECD 42 096 OECD 5,8 OECD 5,6

Inflation: Inflation:
Veränderung in % gegenüber dem Vor- Veränderung in % gegenüber dem
jahr ­Vorjahresmonat
2017 Februar 2018
Schweiz 0,5 Schweiz 0,6
Deutschland 1,7 Deutschland 1,4
Frankreich 1,0 Frankreich 1,2
Italien 1,2 Italien 0,5
Grossbritannien 2,7 Grossbritannien 2,7
EU 1,7 EU 1,3
SECO, BFS, OECD

USA 2,1 USA 2,2


Japan 0,5 Japan 1,5
China 1,6 China 2,9
Weitere Zahlenreihen
OECD 2,3 OECD 2,2
1 Saisonbereinigt und arbeitstäglich bereinigte Daten.
www.dievolkswirtschaft.ch d Zahlen
2 Kaufkraftbereinigt.
3 Gemäss Internationaler Arbeitsorganisation (ILO).

Die Volkswirtschaf  5 / 2018  59
100 Jahre bis zur Chancengleichheit
Bis Frauen und Männer weltweit gleiche Chancen haben, dauert es beim gegenwärtigen Tempo insgesamt
noch 100 Jahre. Schlüsselt man nach einzelnen Bereichen wie Wirtschaftliche Teilhabe auf, dauert es sogar
noch länger. Das zeigt eine Studie des World Economic Forum (WEF) zum Stand 2017. Der Fortschritt hat sich
gegenüber dem Vorjahr verlangsamt. Damals hatte man noch 83 Jahre bis zur Gleichstellung prognostiziert.

Wirtschaftliche Politische Bildungsabschluss: Gesundheit und


Chancen und Ermächtigung: 13 Jahre Überlebenschancen:
Teilhabe:
217 Jahre
99 Jahre ∞
(der Gender-Gap nimmt zu)

Gender-Gap Stand 2017


Die Benachteiligung gegenüber den Männern beträgt noch 32 Prozent. 32%
WORLD ECONOMIC FORUM (2017). THE GLOBAL GENDER GAP REPORT 2017 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Wo steht die Schweiz?

Island 5,3 Billionen Dollar


1. Rang Fin
Norwegen 3. R nland Um so viel würde das weltweite Bruttoinland-
ang produkt (BIP) bis 2025 steigen, wenn der
2. Rang wirtschaftliche Gender-Gap um 25% ver-
ringert würde. Im Vergleich zum BIP im Jahr
2016 sind das +7%.
Schweiz Ruanda
21. Rang 4. Rang
VORSCHAU

IM NÄCHSTEN FOKUS
Ausgabe
Die nächste 5. Mai
Ist der Schweizer erscheint a
m2

­Föderalismus aus dem Lot?


Die Souveränität der Kantone hat einen hohen Stellenwert und ist in der Bundes-
verfassung verankert – gleichzeitig werden die Kantonsgrenzen mit der zunehmenden
Mobilität immer unwichtiger. Stösst der Schweizer Föderalismus an seine Grenzen?
Zehn Jahre nach der Einführung des neuen Finanzausgleichs (NFA) ist die Diskussion zu
Aufgabenentflechtung, Kompetenzverteilung und Finanzströmen neu entbrannt. Lesen
Sie mehr dazu in der nächsten Ausgabe.

Die Macht der Kleinen: Der Schweizer Spannungsfeld von Zentralisierung


­Föderalismus gerät aus den Fugen und Dezentralisierung
Professor Adrian Vatter, Universität Bern Nicolas Schmitt, Universität Freiburg

Föderalismus und Wettbewerbsfähigkeit in der Deeskalation von Konflikten durch


Schweiz ­Dezentralisierung und regionale Autonomie
Lukas Schmid und Heiko Burret, Universität Luzern Professor Simon Hug, Universität Genf

Die Eckpunkte eines neuen Finanzausgleichs Die Aufgaben zwischen Kantonen und Bund
Pascal Utz und Werner Weber, müssen weiter entflechtet werden
Eidgenössische Finanzverwaltung Interview mit dem St. Galler Regierungsrat Benedikt Würth,
Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen
Die Programmvereinbarungen mit den Kantonen
Laetitia Mathys, Universität Lausanne

Kantonsgrenzen und regionale Handlungsräume


Sabine Kollbrunner, Staatssekretariat für Wirtschaft

IMPRESSUM
Herausgeber Abonnementpreise Druck
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Inland Fr. 100.–, Ausland Fr. 120.– Jordi AG, Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp
­Bildung und Forschung WBF, Staatssekretariat für Für Studierende kostenlos
App
Wirtschaft SECO, Bern
Layout Vogt-Schild Druck AG, Gutenbergstrasse 1,
Redaktion Patricia Steiner, Marlen von Weissenfluh 4552 Derendingen
Chefredaktion: Susanne Blank, Nicole Tesar
Redaktion: Matthias Hausherr, Jessica Kunkler, Illustrationen
Christian Maillard, Stefan Sonderegger Cover: Claudine Etter, atelier-c.ch Erscheint 10x jährlich in deutscher und franzö­
Aufgegriffen: Alina Günter, www.alinaguenter.ch sischer Sprache (französisch: La Vie économique),
Redaktionsausschuss 91. Jahrgang, mit Beilagen.
Eric Scheidegger (Leitung), Antje Baertschi, Kontakt
­Susanne Blank, Eric Jakob, Evelyn Kobelt, Holzikofenweg 36, 3003 Bern Der Inhalt der Artikel widerspiegelt die Auffassung
Cesare Ravara, Markus Tanner, Nicole Tesar Telefon +41 (0)58 462 29 39 der Autorinnen und Autoren und deckt sich
Fax +41 (0)58 462 27 40 nicht notwendigerweise mit der Meinung der
Leiter Ressort Publikationen Redaktion.
Markus Tanner E-Mail: dievolkswirtschaft@seco.admin.ch
Der Nachdruck von Artikeln ist, nach Bewilligung
Abonnemente/Leserservice Internet: www.dievolkswirtschaft.ch
durch die Redaktion, unter ­Quellenangabe ge-
Telefon +41 (0)58 462 29 39 App: erhältlich im App Store
stattet; Belegexemplare ­erwünscht.
Fax +41 (0)58 462 27 40 Social Media: Folgen Sie uns auf Facebook,
E-Mail: dievolkswirtschaft@seco.admin.ch LinkedIn und Twitter. ISSN 1011-386X

Das könnte Ihnen auch gefallen