Sie sind auf Seite 1von 72

90. Jahrgang   Nr. 1–2/2017 sFr. 12.

Die Volkswirtschaft
Plattform für Wirtschaftspolitik

INTERVIEW WOHNEN DOSSIER VOLLGELD DOSSIER HANDELSKONTROLLE


«Business Angel» Brigitte Ältere Hausbesitzer Stabileres Finanzsystem dank Zivile und militärische
Baumann empfiehlt, in Start- verbrauchen viel Wohnraum Vollgeld-Initiative? Nutzung von Gütern
ups zu investieren 43 47 57
32

Wichtiger HINWEIS !
Innerhalb der Schutzzone (hellblauer Rahmen) darf
kein anderes Element platziert werden!
FOKUS
Ebenso darf der Abstand zu Format- resp. Papierrand
die Schutzzone nicht verletzen!
Hellblauen Rahmen der Schutzzone nie drucken!
Förderung und Finanzierung
Siehe auch Handbuch
„Corporate Design der Schweizerischen Bundesverwaltung“
Kapitel „Grundlagen“, 1.5 / Schutzzone
von Start-ups in der Schweiz
www. cdbund.admin.ch
EDITORIAL

Zwei Drittel des Risikokapitals


stammen aus dem Ausland
Vor einem halben Jahr sagte der designierte EPFL-Präsident Martin Vetterli
im Interview mit der «Volkswirtschaft», in der Schweiz stehe zu wenig
Risikokapital für Start-ups zur Verfügung. In dieser Ausgabe nehmen wir
diesen Gedanken auf und zeigen, wie es um das Jungunternehmertum und
insbesondere um die Finanzierungs­
möglichkeiten steht.
Obschon hierzulande die Rahmenbe-
dingungen vorteilhaft sind, kommt der
Freiburger Professor Rico J. Baldegger
im Einleitungsartikel zum Schluss: Das
unternehmerische Potenzial ist in der
Schweiz noch nicht ausgeschöpft. Doch,
wie das Beratungs- und Forschungsunter-
nehmen Ecoplan herausgefunden hat, ist
die Überlebenswahrscheinlichkeit von
neu gegründeten Schweizer Unternehmen mit 60 Prozent im internationa-
len Vergleich sehr hoch.
Zu denken gibt die Aussage von Thomas Heimann, Mitautor des Swiss
­Venture Capital Report: Rund 70 Prozent des im Jahr 2015 investierten
Risiko­kapitals in der Schweiz stammen aus dem Ausland – oder, anders ge-
sagt, von den 670 Millionen Franken kommen gerade einmal 200 Millionen
Franken aus der Schweiz.
In vielen OECD-Ländern gibt es Ko-Investitionsfonds, bei denen öffentliche
Gelder private Investitionen ergänzen. Die Schweiz kennt zahlreiche, meist
kantonale Förderinstrumente. Doch der Ruf nach öffentlichen Finanzie-
rungsprogrammen des Bundes für Start-ups wird lauter. Der Bundesrat wird
sich im Frühjahr 2017 dazu äussern. Wir werden darüber berichten.
Übrigens: Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, selber in Jungunterneh-
men zu investieren, so bieten zahlreiche Crowdfunding-Plattformen in der
Schweiz die Gelegenheit dazu. Oder: Sie werden ein «Business Angel». Wie
das genau funktioniert, lesen Sie im Interview mit Brigitte Baumann,
European Business Angel of the Year 2014.

Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.


Susanne Blank und Nicole Tesar
Chefredaktorinnen «Die Volkswirtschaft»
INHALT

Fokus
32
«Viele potenzielle
Investoren haben
Hemmungen»
Im Gespräch mit
6 12 «Business Angel»
Potenzielle Start-up- Wachstumsstarke Brigitte Baumann
Gründer haben andere Unternehmen: Schweiz in der
Karrierepläne Spitzengruppe
Rico J. Baldegger Michael Mattmann, Felix Walter
Hochschule für Wirtschaft Freiburg Ecoplan

16 19
Schweizer Jungunternehmer Risikokapitalgeber in der
überdurchschnittlich Schweiz zaghaft
qualifiziert Thomas Heimann, Maurice Pedergnana
Hochschule Luzern, HBM Partners
Heiko Bergmann
Universität St. Gallen

STANDPUNKTE b

38
«Die Hilfe bei einer Gründung
ist effizienter geworden»
Cyrille Boinay  Bcomp

25 28 39
Vielfältige Crowdfunding als «Wichtig waren die
Finanzierungsangebote Finanzierungsquelle Start-up-Wettbewerbe»
für Jungunternehmen für Start-ups Christoph Gebald  Climeworks
Markus Willimann, Martin Godel
Andreas Dietrich, Simon Amrein
Staatssekretariat für Wirtschaft
Hochschule Luzern, Crowdfunding Monitoring
Schweiz 40
«Crowdfunding verlangt nach
gesetzlichen Anpassungen»
Johannes Gees Wemakeit
INHALT

Themen
b DOSSIER

Handelskontrollen
von Dual-Use-Gütern
41 43
58
AUFGEGRIFFEN WOHNEN
Dual-Use: Zivil und militärisch
Wie schafft man zahnlose Alleine im viel zu verwendbare Güter
Gesetze wieder ab? grossen Haus Patrick Edgar Holzer
Staatssekretariat für Wirtschaft
Eric Scheidegger Katia Delbiaggio, Gabrielle Wanzenried
Staatssekretariat für Wirtschaft Hochschule Luzern

60
Anreiz zur Selbstkontrolle beim
Export von Dual-Use-Gütern
Jürgen Böhler-Royett Marcano, Seraina Frost
Staatssekretariat für Wirtschaft
DOSSIER
48
Ein unnötiges und riskantes 63
Experiment mit vielen Unbekannten Inspektionen in der
Sandra Daguet, Martin Baur Chemieindustrie
Eidgenössische Finanzverwaltung
Dominic Béchaz  
Staatssekretariat für Wirtschaft
51
Kosten eines Vollgeld-Systems
sind hoch
Dirk Niepelt STANDPUNKTE b
Mit Vollgeld gegen Universität Bern

Bankenkrisen? 65
54 Verlässliche Exportkontrolle
Mehr finanzielle Stabilität dank ohne Behinderung der
der Vollgeld-Initiative Exportindustrie
Sergio Rossi Universität Freiburg Beat F. Brunner  Swissmem

66
Compliance ist Chefsache
Spots Frank Brinken Starrag Group Holding AG

i
IMPRESSUM ZAHLEN INFOGRAFIK

Alle Informationen Wirtschaftskennzahlen Mobiles Arbeiten und


zum Magazin Staatssekretariat für Wirtschaft Home Office
Staatssekretariat für Wirtschaft Staatssekretariat für Wirtschaft

4 67 68
i IMPRESSUM

Herausgeber
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, ­Bildung
und Forschung WBF,
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern

Redaktion
Chefredaktion: Susanne Blank, Nicole Tesar
Redaktion: Käthi Gfeller, Matthias Hausherr, Christian Maillard,
Stefan Sonderegger

Redaktionsausschuss
Eric Scheidegger (Leitung), Antje Baertschi, ­Susanne Blank,
Eric Jakob, Evelyn Kobelt, Cesare Ravara, Markus Tanner,
Nicole Tesar

Leiter Ressort Publikationen: Markus Tanner

Holzikofenweg 36, 3003 Bern


Telefon +41 (0)58 462 29 39
Fax +41 (0)58 462 27 40
E-Mail: redaktion@dievolkswirtschaft.ch
Internet: www.dievolkswirtschaft.ch
App: erhältlich im App Store

Layout
Patricia Steiner, Marlen von Weissenfluh

Zeichnungen
Alina Günter, www.alinaguenter.ch

Abonnemente/Leserservice
Telefon +41 (0)58 462 29 39
Fax +41 (0)58 462 27 40
E-Mail redaktion@dievolkswirtschaft.ch

Abonnementpreise
Inland Fr. 100.–, Ausland Fr. 120.–,
Für Studierende kostenlos,
Einzelnummer Fr. 12.– (MWST inkl.)

Erscheint 10x jährlich in deutscher und franzö­sischer Sprache


(französisch: La Vie économique), 90. Jahrgang, mit Beilagen.

Druck
Jordi AG, Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp

Der Inhalt der Artikel widerspiegelt die Auffassung der Autorinnen


und Autoren und deckt sich nicht notwendigerweise mit der
Meinung der Redaktion.

Der Nachdruck von Artikeln ist, nach Bewilligung durch die


Redaktion, unter ­Quellenangabe gestattet; Belegexemplare
­erwünscht.

ISSN 1011-386X
FOKUS

Förderung und Finanzierung


von Start-ups in der Schweiz
Start-ups und Jungunternehmen sind essenziell für die
Innovationsfähigkeit und das Wachstum einer Volkswirtschaft.
Es wird immer wieder beklagt, die Schweiz bringe zu wenig
wachstumsstarke Jungunternehmen hervor. Diese Ausgabe geht
der Frage nach, wie es um den Esprit Entrepreneur bei uns steht.
Gibt es genügend Menschen, die sich entscheiden, ein Unter-
nehmen zu gründen und ist ausreichend Risikokapital verfügbar?
START-UPS

Potenzielle Start-up-Gründer
haben andere Karrierepläne
In der Schweiz sind die Rahmenbedingungen für Jungunternehmer gut, wie ein internatio-
naler Vergleich zeigt. Trotzdem wagen nur wenige diesen Schritt – nicht zuletzt, da sie an-
dere Karrierepläne verfolgen.  Rico J. Baldegger

Abstract    Wie steht es um den Unternehmergeist in der Schweiz? Gemäss dem


Obwohl auch das finanzielle Umfeld in der
Global Entrepreneurship Monitor (2015) liegt das Land bei der Wahrnehmung Schweiz im internationalen Vergleich über-
unternehmerischer Gelegenheiten und der Einschätzung eigener unternehmeri- durchschnittlich ist, kommen Start-ups nur
scher Fähigkeiten im Durchschnitt innovationsbasierter Volkswirtschaften. Die ungenügend an Risikokapital. Ebenfalls Ver-
Angst zu scheitern ist hingegen in der Schweiz ausserordentlich gering und liegt
besserungspotenzial birgt die Erziehung: In
sogar tiefer als in den USA. Dennoch sind die unternehmerischen Absichten be-
scheiden, und die Gründung eines neuen Unternehmens gilt kaum als Karriereop- der Primar- und der Sekundarbildung werden
tion. Trotz guter Rahmenbedingungen liegen die Ergebnisse in Bezug auf die Grün- Leadership, Kreativität, Innovation, Selbststän-
dungsaktivität unter dem Durchschnitt innovationsbasierter Volkswirtschaften. digkeit und Eigeninitiative kaum thematisiert.
Verschiedene Faktoren erklären diesen Befund: Ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, Schliesslich herrscht in der Schweiz keine Risi-
eine hohe Erwerbsbeteiligung, vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit und gute
Verdienstmöglichkeiten in den meisten Berufsgruppen führen dazu, dass Grün- kokultur wie beispielsweise in den USA.
dungen aus Not in der Schweiz im internationalen Vergleich de facto vernachläs- Um ein Unternehmen zu gründen, sind eine
sigbar sind. Idee und Fachkompetenz unabdingbar. Die An-
zahl und Art der wahrgenommenen Geschäfts-
gelegenheiten sowie die Einschätzung der Kom-

D  ie für Unternehmertum spezifischen Rah-


menbedingungen beurteilen Experten
in der Schweiz allgemein als gut.1 Das Land ist
petenzen für eine unternehmerische Aktivität
sind dabei von länderspezifischen Gegebenhei-
ten abhängig, etwa vom ökonomischen und de-
politisch stabil und verfügt über einen dynami- mografischen Wachstum, von der Kultur und
schen Binnenmarkt. Weitere Pluspunkte sind den politischen Unterstützungsmassnahmen
der Wissens- und Technologietransfer sowie für Unternehmertum. Ausserdem spielt die me-
Forschung und Entwicklung. Die Tertiärausbil- diale Berichterstattung über Entrepreneurship
dung seitens der Universitäten, Hochschulen (siehe Abbildung 1) als Motivator eine wichtige
und Berufsausbildungen bereiten zudem ange- Rolle.
1 SBFI (2016). Forschung messen auf die Gründung und den Aufbau neu- Laut der weltweiten Studie Global Entre-
und Innovation in der
Schweiz. er Unternehmen vor. preneurship Monitor (GEM) aus dem Jahr 2015

Global Entrepreneurship Monitor


Der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) preneurship, die vor allem auf offiziellen 36 Experteninterviews wurden die unter-
bietet einen umfassenden Überblick über Registereinträgen von Unternehmensgrün- nehmerischen Einstellungen, Aktivitäten
das Unternehmertum auf der Welt. Dafür dungen basieren. und Ambitionen sowie die Einflussfaktoren
werden Einstellungen und Charakteristika Seit 2002 nimmt die Schweiz am GEM- erhoben.
der Individuen, die in verschiedenen Pha- Projekt teil. 2015 wurde der elfte Länder- 2015 nahmen 62 Länder an der Studie teil,
sen und Arten an unternehmerischen Akti- bericht Schweiz publiziert. Die Hochschu- womit sie das gesamte Spektrum des wirt-
vitäten beteiligt sind, gemessen. Der GEM le für Wirtschaft Freiburg (HSW-FR) hat als schaftlichen Entwicklungsniveaus von den
identifiziert und quantifiziert u. a. die Fakto- Projektleiterin in Zusammenarbeit mit der innovationsbasierten Ländern über die auf
ren, welche die unternehmerische Tätigkeit ETH Zürich und der Scuola universitaria Effizienz fussenden Ökonomien von Schwel-
von Individuen fördern oder hindern. Damit professionale della Svizzera italiana (Sup- lenländern bis hin zu den faktorenbasierten
unterscheidet sich die Studie massgeblich si) die Datenerhebung 2015 in der Schweiz Volkswirtschaften der sogenannten Dritten
von anderen Erhebungen im Bereich Entre­ durchgeführt. Mittels 2000 Telefon- und Welt abdeckt.

6  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017
Möglichst keine Risiken
ein­gehen: Potenzielle Jung­
unternehmer wählen beruflich
meist den bequemen Weg.

KEYSTONE
START-UPS

Abb. 1: Entrepreneurship-Prozess
Stilllegung des Unternehmens

Totale Gründungsaktivität (TEA)

REYNOLDS P. ET AL. (2005). GLOBAL ENTREPRENEURSHIP MONITOR: DATA COLLECTION DESIGN AND
Jungunternehmer Etablierte Unternehmer
Potenzielle Unternehmer Werdende Unternehmer Inhaber und Geschäfts-
Inhaber und Geschäftsführer
Opportunitäten, Wissen Befassen sich aktiv mit einer führer eines etablierten
eines jungen Unternehmens
und Fähigkeiten Gründung Unternehmens (über
(unter 3,5 Jahre)
3,5 Jahre)

IMPLEMENTATION 1998–2003, SMALL BUSINESS ECONOMICS, 24: 205–231.


Konzeption Gründung Bestand

Profil des Unternehmers bzw. der unternehmerischen Tätigkeit


Soziodemografische Industrie Auswirkungen
Faktoren – Sektor – Unternehmenswachstum
– Geschlecht – Innovation
– Alter – Internationalisierung

Im Sinne der Prozesssicht von Entrepreneurship ist die unternehmerische Aktivität in verschiedene Phasen zu kategorisie-
ren. Zu differenzieren ist zwischen potenziellen Gründern, werdenden Unternehmern, Jungunternehmern sowie etablierten
Unternehmern. Der Gesamtumfang der Gründungsaktivität (Total Entrepreneurial Activity, TEA) ergibt sich aus der Summe
von werdenden und neuen Unternehmern. Ferner werden Individuen erfasst, die in den letzten zwölf Monaten eine unter-
nehmerische Tätigkeit beendet haben.

Unternehmerische Einstellungen und Wahrnehmungen in ausgewählten innovationsbasierten


Volkswirtschaften (2015)

Innovationsbasierte Wahrgenom­ Wahrge­ Angst zu Unternehmeri­ Entrepreneur­ Hoher Status Medienauf­


Volkswirtschaften mene Gelegen­ nommene scheitern sche Absichten ship als gute von erfolgrei­ merksamkeit
heiten Fähigkeiten Karrierechance chen Unter­ von Entrepre­
nehmern neurship

Australien 48,9 48,2 41,7 14,4 56,4 70,1 72,3


Belgien 40,3 31,9 48,5 10,9 54,2 54,5 54,7
Finnland 48,6 37,4 32,6 10,9 33,2 84,9 68,1
Deutschland 38,3 36,2 42,3 7,2 50,8 75,7 49,8
Israel 55,5 41,6 47,8 21,6 64,5 86,2 54,8
Italien 25,7 30,5 57,5 8,2 60,9 69,0 48,5
Südkorea 14,4 27,4 38,1 6,6 38,0 53,5 61,5
GLOBAL ENTREPRENEURSHIP MONITOR (2015) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Niederlande 48,4 40,6 33,2 9,4 79,2 64,5 57,7


Portugal 28,1 48,9 40,8 16,2 63,4 62,9 71,6
Schweden 70,2 36,7 36,5 8,4 52,7 69,8 61,3
Schweiz 41,8 44,0 33,8 7,0 40,0 66,5 59,5
Grossbritannien 41,6 43,6 34,9 8,2 57,8 79,2 61,1
USA 46,6 55,7 29,4 12,4 – – –
Durchschnitt 39,8 41,4 39,5 11,4 54,7 68,4 58,8
(Innovationsbasierte
Volkswirtschaften)

8  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017
FOKUS

(siehe Kasten) sind die Einwohner in der Schweiz interpretiert werden. Allerdings werden sie
relativ positiv gegenüber Entrepreneurship ein- nicht von den Resultaten betreffend unterneh-
gestellt. Allerdings zeigen sie im Vergleich zu merische Absichten bestätigt.
anderen innovationsbasierten Volkswirtschaf- Markante Unterschiede prägen die gene-
ten wie Israel, Portugal und Australien weni- rellen Einstellungen zu Entrepreneurship. Nur
ger Absichten, unternehmerisch tätig zu wer- rund 40 Prozent der Befragten in der Schweiz er-
den (siehe Tabelle). Erstaunlich gering ist in der achten Unternehmertum als gute Karrierewahl
Schweiz hingegen die Angst vor einem Miss- – in den Niederlanden ist dieser Wert fast dop-
erfolg. pelt so hoch. Das deutet darauf hin, dass eine
In Bezug auf die Wahrnehmung von Ge- unternehmerische Karriere in der Schweiz wei-
schäftsgelegenheiten liegt die Schweiz leicht terhin nicht etabliert ist. Der soziale Status des
über dem Durchschnitt. Die nordischen Länder erfolgreichen Unternehmers hat sich hingegen
Schweden und Finnland sowie Staaten wie Israel, in den letzten Jahren verbessert, allerdings liegt
Kanada, Australien, die USA und die Niederlan- er weiterhin leicht unter dem Durchschnitt. Ein
de schneiden diesbezüglich deutlich besser ab. weiterer Indikator evaluiert die mediale Auf-
Ebenfalls leicht überdurchschnittlich werden in merksamkeit für Entrepreneurship. Hier liegt
der Schweiz die wahrgenommenen Fähigkeiten die Schweiz leicht über dem Durchschnitt.
eingeschätzt. Auch hier liegt die Eidgenossen-
schaft jedoch klar hinter den Ergebnissen für die Unterdurchschnittliche Grün-
USA.
dungsquote in der Schweiz
Die Erkenntnisse hinsichtlich der Grün-
dungsgelegenheiten und Fähigkeiten können Der Global Entrepreneurship Monitor 2015 zeigt
mit Bedacht als Signal eines gesteigerten Selbst- für die Schweiz gegenüber dem Vorjahr ein leicht
vertrauens für unternehmerisches Verhalten höheres – aber im internationalen Vergleich

Innovative
­Australierin: Jodie
Fox, Co-Gründerin
von Shoes of Prey,
erobert die Welt mit
massgeschneiderten
Schuhen.
ALAMY

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  9
START-UPS

weiterhin unterdurchschnittliches – Potenzial de Fragen auf: Sollten nicht bereits während der
bezüglich der erwarteten Schaffung neuer Ar- obligatorischen Schulzeit fundiert Unterneh-
beitsstellen durch Jungunternehmer. Auch hin- mergeist und innovatives Verhalten vermittelt
sichtlich der Gründungsaktivität (Total Entre- werden? Sollten nicht Entscheidungsträger in
preneurial Activity, TEA) – also der Quote der Politik und Wirtschaft mit Kindern und Jugend-
Jungunternehmer sowie derjenigen, die an der lichen intensiver und altersgerecht über Entre-
Schwelle dazu stehen, Unternehmer zu werden preneurship kommunizieren?
– ist das Land weiterhin unterdurchschnittlich Für die wirtschaftliche Dynamik ist ein ge-
(siehe Abbildung 2). Obwohl die Schweiz hier- wisses angemessenes Niveau an Gründungsak-
in die Nachbarländer Italien und Deutschland tivität zentral. Nichtsdestotrotz gilt es, die Jung-
schlägt, ist der Abstand zu Kanada, Australien, unternehmer, die nach der Start-up-Phase noch
den USA sowie Israel markant. aktiv sind, ebenfalls nicht aus den Augen zu
Die Erhebungen zu den unternehmerischen verlieren. Die Rate der etablierten Unternehmer
Einstellungen untermauern die tiefe Grün- (11,3%) ist in der Schweiz überdurchschnittlich
dungsaktivität (3,1%) der 18- bis 24-jährigen und über die Jahre stabil. Freilich bleibt bemer-
Personen. Mögliche Erklärungen sind die feh- kenswert, dass rund die Hälfte aller Geschäfts-
lende Bereitschaft, die Komfortzone einer un- aktivitäten aufgrund bürokratischer Hürden ad
selbstständigen Erwerbstätigkeit zu verlassen, acta gelegt wurde. Komplizierte regulatorische
weil sich die jungen Leute aufgrund der Zufrie- Systeme als Barrieren für Unternehmensgrün-
denheit schlechterdings nicht dazu veranlasst dungen sowie Unternehmensexite sind deshalb
fühlen. Folgerichtig drängen sich nachstehen- unbedingt zu vereinfachen.

Abb. 2: Gründungsaktivität (TEA) ausgewählter innovationsbasierter Länder (2015)

17,5       In %

15

12,5

GLOBAL ENTREPRENEURSHIP MONITOR (2015) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

10

7,5

2,5
d

en

en

ie n

en

de

en

e iz

an

nd

ea

el

nd

da
ga
an

lie

lie
US
a
r

na
iw
ni

ni
eg

la n

ed
nla

nla

tla
hw

Isr
r tu
lg

ko
It a

ra
hl

Irl
a

an

Ta

Ka
Be
rw

hw

Es
Sp

er

d
F in

he
sc

st
Sc

Po
r it


ed

Au
No
ut

Sc
ie c

sb
De

Ni
Gr

os
Gr

Die Gründungsaktivität (TEA) setzt sich aus der Quote der Jungunternehmer sowie der Quote der Personen, die an der Schwelle
dazu stehen, Unternehmer zu werden, zusammen. Die vertikalen Balken repräsentieren das Konfidenzintervall von 95 Prozent
und indizieren die Genauigkeit der Schätzungen.

10  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Ein Einblick in das Branchenprofil illustriert bar, konkret unternehmerisch aktiv zu werden.
schliesslich die offenkundige Betonung wissens- Dieser Befund wiederholt sich von Jahr zu Jahr.
und dienstleistungsorientierter Branchen in Gemessen an der totalen Gründungsaktivi-
Europa und Nordamerika, derweil in der Schweiz tät, wird das existente unternehmerische Poten-
nur wenige Neugründungsprojekte (5,4%) die- zial nicht vollends ausgenutzt; dies trifft vor al-
sen Domänen zuzuordnen sind. Gesundheit, Er- lem auf die jüngere Generation zu. Zum einen gilt
ziehung und soziale Dienstleistungen (27,2%) indes zu bedenken, dass die meisten Gründun-
fungiert als wichtigster Sektor für Neugründun- gen aufgrund der Wahrnehmung einer guten Ge-
gen in der Schweiz. Während Finanzen, ICT und schäftsidee, nicht wegen fehlender alternativer
Produktion Männerdomänen sind, finden sich Beschäftigungsmöglichkeiten erfolgen. Zum an-
Unternehmerinnen vorrangig bei den persönli- deren sind kulturelle und soziale Normen hin-
chen Dienstleistungen wie Coaching oder Stilbe- sichtlich des Unternehmertums, des Images und
ratung sowie im Einzelhandel und in der Gastro- der Reputation des Unternehmers in der Gesell-
nomie. schaft und die Attraktivität des Arbeitsmarktes
zu berücksichtigen.
Genügende Beschäftigungsmöglich-
keiten dämpfen Unternehmergeist
Abschliessend lässt sich konstatieren: Die Bevöl-
kerung der Schweiz erkennt in ausreichendem
Mass unternehmerische Geschäftsgelegenhei-
ten und glaubt, über genügend Erfahrungen und
Kompetenzen zu verfügen, um ein Unternehmen
zu gründen. Nur ein Drittel würde aus Angst zu
Rico J. Baldegger
scheitern kein Unternehmen gründen. Trotz gu- Direktor und Professor für Strategie, Entrepreneur-
ter allgemeiner und spezifischer Rahmenbedin- ship & Innovation an der Hochschule für Wirtschaft
Freiburg (HSW-FR)
gungen ist ein zögerliches Verhalten nachweis-

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  11
START-UPS

Wachstumsstarke Unternehmen:
Schweiz in der Spitzengruppe
Bei den Anteilen der stark wachsenden Unternehmen hält die Schweiz international mit.
Sie befindet sich auf Augenhöhe mit Vergleichsländern wie Israel, Deutschland und Schwe-
den.  Michael Mattmann, Felix Walter

Abstract    Das Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan hat im Auf- schaffen werden, lässt sich somit aufgrund der
trag des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) abgeklärt, was die Statistiken vorhandenen Daten nicht bestätigen.
über Unternehmensgründungen und Firmen mit hohen Wachstumsraten herge- Für die Ecoplan-Studie wurden erstmalig
ben. Die Auswertungen für Unternehmen, die ihre Beschäftigtenzahl stark stei- verschiedene Daten des Bundesamtes für Sta-
gern konnten, zeigen: Die Schweiz befindet sich hier in der Spitzengruppe mit den
Vergleichsländern Israel, Deutschland, Schweden und Grossbritannien. Pro Ein-
tistik miteinander verknüpft.3 Wo es die rela-
wohner liegt die Zahl wachstumsstarker Unternehmen sogar deutlich über den tiv dünne Datenbasis erlaubte, vergleicht der
meisten Vergleichsländern. Bei den durch solche Unternehmen geschaffenen Bericht die Schweiz mit verschiedenen OECD-
Arbeitsplätzen befindet sich die Schweiz, wo rund 11 Prozent der Beschäftigten in Ländern. Insbesondere zu Start-ups sind aber
sogenannten Medium- und High-Growth-Enterprises arbeiten, knapp hinter den
kaum Daten vorhanden. Die statistischen
international führenden Vergleichsländern. Betrachtet man ausschliesslich die
besonders wachstumsstarken High-Growth-Enterprises, dann liegt der Beschäf- Grundlagen für die hier behandelten Fragen
tigungsanteil bei relativ hohen 4,5 Prozent. werden sich aber dank der neuen Unterneh-
mensstatistik Statent des Bundesamtes für Sta-
tistik (BFS) in den nächsten Jahren wesentlich

F  ehlt es der Schweiz an wachstumsstarken verbessern.


1 Postulat 13.4237 (Für
eine bessere Entwick-
lung innovativer Jung- Unternehmungen? Diese Frage wird oft Im untersuchten Zeitraum 2007 bis 2013
unternehmen).
2 Ecoplan (2016). Statis- von der Politik gestellt – so auch 2013 in einem blieb die Zahl der Neugründungen von Unter-
tische Grundlagen zu Postulat des Waadtländer FDP-Nationalrats nehmen in der Schweiz über alle Sektoren rela-
Neugründungen und
wachstumsstarken Fathi Derder.1 Das Staatssekretariat für Wirt- tiv stabil und wich jährlich maximal 5 Prozent
Unternehmen, Auswer-
tungen für die Schweiz
schaft (Seco) hat hierzu beim Beratungs- und vom langjährigen Durchschnitt ab. Ähnliche
und internationaler Ver- Forschungsunternehmen Ecoplan eine Studie Entwicklungen zeigen sich in Belgien und den
gleich.
3 Statistiken zur Unter- in Auftrag gegeben. 2 Diese zeigt: Die Schweiz USA – wobei sich die absoluten Zahlen der Neu-
nehmensdemografie
(Udemo), die Betriebs-
kann im internationalen Vergleich bei den gründungen kaum vergleichen lassen, weil die
zählung (2005, 2008) rasch wachsenden – jungen und bestehenden Daten unterschiedlich erhoben werden.
und deren Nachfolge-
rin, die Unternehmens- – Unternehmen mithalten. Pro Einwohner liegt Nicht in allen Sektoren herrschte Aufbruch-
statistik Statent. Diese die Zahl wachstumsstarker Unternehmen so-
wird ab 2011 jährlich
stimmung: Während im Dienstleistungssek-
erhoben, die Regeln für gar deutlich über den meisten Vergleichslän- tor tendenziell mehr Unternehmen gegründet
die Erfassung und Ab-
grenzung weichen aber dern. Die These, dass die Schweiz über wenig wurden, verzeichneten die Industrie und der
von der Betriebszäh-
lung ab, sodass Verglei-
wachstumsstarke Unternehmen verfügt und in Bau nach der Wirtschaftskrise von 2008 eine
che schwierig sind. diesem Bereich nur wenige Arbeitsstellen ge- klare Abnahme. Der Bausektor hat sich später

Was sind wachstumsstarke Unternehmen?


Die Zahl der wachstumsstarken Unterneh- Medium- und High-Growth-Enterprises 20 Prozent pro Jahr aufweisen. Die soge-
men wird für die Schweiz für die Jahre 2008, sind Unternehmen, deren Zahl der Beschäf- nannten Gazellen sind eine Unterkategorie
2011 und 2013 bestimmt. Gemäss der Defi- tigten während dreier Jahre im Durchschnitt der High-Growth-Enterprises: Sie dürfen
nition von Eurostat und der Organisation mindestens 10 Prozent pro Jahr gewachsen am Ende der dreijährigen Wachstumspe-
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ist und die davor bereits zehn Beschäftigte riode höchstens fünf Jahre alt sein. Teil-
Entwicklung (OECD) unterscheidet die Ana- hatten. High-Growth-Enterprises unterschei- weise wird die Definition der Gazellen für
lyse drei Typen wachstumsstarker Unter- den sich lediglich dadurch, dass sie ein Be- ­Start-up-Firmen verwendet.
nehmen. schäftigungswachstum von mindestens ­

12  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


KEYSTONE
Dank Online­handel
auf Wachstums-
rasch wieder erholt, in der Industrie dauert der geschaffenen Stellen stammten von KMU, wo kurs: LeShop-Chef
Rückgang der Neugründungen jedoch an. insgesamt 67 Prozent aller Beschäftigten arbei- ­Dominique Locher.
ten. Zwischen 2011 und 2013 schufen KMU jähr-
Neu gegründete Unternehmen lich rund 19 500 Stellen netto, 17 000 davon im
Dienstleistungssektor und 2500 in der Indust-
sind zäh
rie. Sie schufen somit rund viermal so viele Stel-
Die Überlebenswahrscheinlichkeit der neu len wie die Grossunternehmen4 mit rund 5500
gegründeten Schweizer Unternehmen ist im Stellen. Im Dienstleistungssektor entstanden
internationalen Vergleich hoch: Von allen dabei insgesamt rund fünfmal so viele Stellen
2007 gegründeten Unternehmen sind fünf Jah- wie in der Industrie.
re später knapp 60 Prozent noch aktiv. Von al-
len 18 OECD-Vergleichsländern ist dieser An- Auf Augenhöhe mit Israel,
teil nur in Österreich, Belgien und Schweden
Deutschland und Schweden
höher. Die übrigen Nachbarländer befinden
sich mit 40 bis 50 Prozent im internationa- In der Schweiz weisen rund 12 Prozent aller Fir-
len Mittelfeld. Allerdings werden neu gegrün- men ab zehn Beschäftigten im Dreijahresver-
dete Unternehmen in der Schweiz überdurch- gleich ein durchschnittliches jährliches Wachs-
schnittlich oft innerhalb eines Jahres bereits tum von über 10 Prozent auf. Der Anteil solcher
wieder aufgegeben, was aber möglicherweise Medium- und High-Growth-Enterprises (siehe
auf die Erhebungsmethoden zurückzuführen Kasten) ist über die Jahre stabil. Ähnliche Anteile
ist. von Medium- und High-Growth-Enterprises ha-
Die Schweizer Wirtschaft ist im internatio- ben Israel, Deutschland, Schweden oder Gross-
nalen Vergleich stark von kleinen und mittleren britannien mit Werten zwischen 11 und 15 Pro-
4 Mehr als 250 Beschäf-
Unternehmen (KMU) geprägt. Vier von fünf neu zent. tigte.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  13
START-UPS

Anzahl stark wachsender Unternehmen («High-Growth-Enterprises») 2011 pro 1000 Einwohner zwischen 20 und 64 Jahren
0,4        

0,3

0,2

ECOPLAN (2016), S. 57 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


0,1

0
Schweiz Luxemburg Israel Frankreich Portugal USA Dänemark Slowenien Italien Spanien

  Alle Sektoren           Industrie           Bau           Dienstleistungen

Betrachtet man ausschliesslich die High- zellen liegen in der Schweiz zwischen 0,2 und
Growth-Enterprises, welche im Dreijahres- 0,8 Prozent, was etwa 80 bis gut 400 Unterneh-
schnitt mindestens 20 Prozent wachsen, ist die men entspricht. Verschiedene Anhaltspunkte –
Situation in der Schweiz ebenfalls stabil. Mit wie beispielsweise der Ländervergleich bei den
einem Anteil von rund 3,5 Prozent aller Firmen High-Growth-Enterprises – deuten darauf hin,
ab zehn Beschäftigten liegt die Schweiz in der dass der Anteil solcher Start-ups eher im Be-
Nähe der international führenden Vergleichs- reich der Obergrenze von 0,8 Prozent liegt. Zum
staaten Schweden, Grossbritannien und Israel, Vergleich: Im Spitzenland Israel liegen die Ga-
die Anteile zwischen 4,0 und 5,5 Prozent auf- zellen anteilsmässig bei 0,9 Prozent.
weisen. Vor allem in den Jahren nach der Wirt- Deutlich über den meisten Vergleichslän-
schaftskrise 2008 schneidet die Schweiz gut dern liegt die Schweiz bei der Aufschlüsselung
ab. Besonders hoch ist der Anteil der Schweizer pro Einwohner.5 Auf 100 000 Einwohner kom-
High-Growth-Enterprises mit 4,5 Prozent im men in der Schweiz rund 400 High-Growth-Ent-
5 Die Abweichungen zur Dienstleistungssektor. erprises (siehe Abbildung). In Israel liegt dieser
vorherigen Betrachtung Aufgrund fehlender Daten lässt sich für die Wert bei rund 300 Unternehmen, in den USA bei
(Anteil an alle Unter-
nehmen) entstehen u. wachstumsstarken Jungunternehmen – High- knapp 150. Rund drei Viertel der wachstumsstar-
a. durch Unterschiede
in der durchschnittli- Growth-Enterprises, welche jünger als fünf Jah- ken Unternehmen stammen aus dem Dienstleis-
chen Unternehmens- re sind – nur eine Ober- und eine Untergrenze tungssektor – in der Schweiz und auch interna-
grösse und der Er-
werbsquote. angeben. Die Anteile dieser sogenannten Ga- tional.

Wachstumsstarke Unternehmen in der Schweiz (2008 bis 2013)


  Unternehmen Beschäftigte Medium- und High-Growth-Enterprises High-Growth-Enterprises Gazellen (Unter- und Obergrenze)
ab zehn Be- Total
schäftigen Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte
ECOPLAN (2016); WERTE GERUNDET.

2008 44 000 2 957 400 5500 397 400 1590 139 500 79–* 5800–*

2011 49 200 3 308 500 6300 374 100 1880 146 100 78–340 3300–22 100

2013 49 800 3 355 700 6100 280 700 1820 93 400 104–463 3800–19 500

* Für 2008 kann keine Obergrenze ausgewiesen werden.

14  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Der Kaffeekapsel-
Pionier Nespresso
beschäftigt welt-
weit über 12 000 Mit-
arbeiter – um die Jahr-
tausendwende waren
es gerade mal 300.
Geschmackstester
im waadtländischen
Avenches.

KEYSTONE
Grossregionen Zürich und Genfersee für Gazellen. Die High-Growth-Enterprises des
besonders wachstumsstark Dienstleistungssektors tragen beispielsweise
insgesamt 5 Prozent zur Gesamtbeschäftigung
Innerhalb der Schweiz befinden sich in den in diesem Sektor bei. Im Baugewerbe beträgt der
Grossregionen Zürich und Genfersee überdurch- Anteil dieser Unternehmenskategorie 3 Prozent
schnittlich viele wachstumsstarke Unterneh- und im Industriesektor 2 Prozent.
men. 2011 hatten 45 Prozent aller High-Growth- Innerhalb der Schweiz sind die Beschäf-
Enterprises ihren Standort in diesen beiden tigtenanteile von Medium- und High-Growth-
Grossregionen. Im Tessin hingegen ist der Anteil Enterprises in den Grossräumen Zürich und
wachstumsstarker Unternehmen unterdurch- Genfersee, aber auch in der Zentralschweiz über-
schnittlich. durchschnittlich. In diesen Regionen arbeiten 12
Die wachstumsstarken Unternehmen sind bis 13 Prozent der Beschäftigten – also jeder achte
wichtige Arbeitgeber: Rund 11 Prozent der Be- Beschäftigte – in wachstumsstarken Unterneh-
schäftigten arbeiten in Medium- und High- men. Bei den Gazellen schwingen die Grossregio-
Growth-Enterprises, von ihnen gut 4 Prozent in nen Zürich und Genfersee, wo bis zu 1 Prozent
High-Growth-Enterprises. Damit befindet sich der Beschäftigten in solchen Jungunternehmen
die Schweiz gleichauf mit Schweden. Ledig- arbeitet, deutlich obenauf.
lich Grossbritannien und Israel schneiden rund
3 Prozentpunkte besser ab.
Bei den High-Growth-Enterprises befindet
sich die Schweiz in der Mitte der Vergleichsländer
Israel, Neuseeland und Vereinigte Staaten, wobei
die USA einen rund einen Prozentpunkt höheren
Beschäftigtenanteil aufweisen. Pro Einwohner
verzeichnen sie jedoch weniger als halb so viele
Michael Mattmann Felix Walter
High-Growth-Enterprises wie die Schweiz.
Wissenschaftlicher Mit- Partner, Beratungs- und
Auch beim Beschäftigtenanteil punktet der arbeiter, Beratungs- und Forschungsunternehmen
Dienstleistungssektor – das gilt sowohl für Me- Forschungsunternehmen Ecoplan, Bern
Ecoplan, Bern
dium- und High-Growth-Enterprises wie auch

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  15
START-UPS

Schweizer Jungunternehmer
überdurchschnittlich qualifiziert
Der Verzicht auf ein gesichertes Einkommen als Angestellte schreckt Firmengründer in
der Schweiz nicht ab. Im Gegenteil: Gut gebildete Jungunternehmer mit hohen Oppor-
tunitätskosten gründen eher ein Start-up als solche mit tieferen Opportunitätskosten.   
Heiko Bergmann

Abstract  Bei der Entscheidung für eine Firmengründung stellt das Einkommen, sind vermutlich die Gründe dafür, dass der nega-
das eine Person in abhängiger Erwerbstätigkeit verdienen kann, die sogenann- tive Zusammenhang innerhalb der Schweiz nicht
ten Opportunitätskosten dar. Theoretisch lässt sich ein negativer Zusammen- gilt. Denn nebst den Opportunitätskosten wird
hang von Opportunitätskosten und Gründungsneigung vermuten. Die Analysen
von Heiko Bergmann von der Universität St. Gallen zeigen für die Schweiz jedoch
die Gründungsneigung einer Person von einer
einen positiven Zusammenhang auf. Dieser Befund lässt sich damit erklären, dass Reihe weiterer Faktoren beeinflusst, die dem Ef-
die Wahrnehmung und die Realisierung einer guten Geschäftsidee Wissen und fekt der Opportunitätskosten zum Teil entgegen-
Fähigkeiten voraussetzen, die auch auf dem Arbeitsmarkt wertvoll sind. Im inter- wirken können.
nationalen Vergleich bestätigt sich hingegen der negative Zusammenhang von
So streben Firmengründer nicht nur aus mo-
Pro-Kopf-Einkommen und nationaler Gründungsquote.
netären Gründen eine selbstständige Tätigkeit
an. Vielmehr steht häufig der Wunsch nach Un-

L  ohnt es sich, in der Schweiz eine Firma zu


gründen, wenn man als Angestellter bereits
gut verdient? In der Ökonomie bezeichnet man
abhängigkeit und Selbstverwirklichung im Vor-
dergrund.3 Dieser Wunsch wird meist erst dann
verfolgt, wenn schon ein gewisser Wohlstand er-
das Einkommen, das ein Unternehmensgründer reicht ist.
alternativ in abhängiger Erwerbstätigkeit verdie- Zweitens nehmen nicht alle Menschen die
nen könnte, als Opportunitätskosten. Die Theorie gleichen Geschäftsmöglichkeiten wahr. Es be-
besagt, dass ein negativer Zusammenhang zwi- darf immer bestimmter Kenntnisse und kogni-
schen Opportunitätskosten und Gründungsak- tiver Fähigkeiten, um Geschäftsmöglichkeiten
tivität besteht.1 Das heisst: Je höher das tatsäch- überhaupt zu erkennen bzw. diese zu entwi-
liche oder potenzielle Einkommen in abhängiger ckeln.4 Ein höherer Bildungsstand und mehr Er-
Erwerbstätigkeit ist, desto weniger wird eine Per- fahrungen (die üblicherweise mit hohen Oppor-
son geneigt sein, diese Erwerbstätigkeit aufzuge- tunitätskosten einhergehen) können daher auch
ben und stattdessen eine selbstständige Tätigkeit zu einer hohen Gründungsneigung führen.
mit unsicheren Verdienstaussichten anzustreben. Schliesslich sind für bestimmte selbststän-
Eine Untersuchung im Auftrag des Staats- dige Tätigkeiten spezifische ­Bildungsabschlüsse
sekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt für die
Schweiz jedoch auf, dass dieser negative Zusam-
Anteil der Gründer in der Schweiz
menhang so nicht stimmt.2 Vielmehr kann von
(nach Haushaltseinkommen und Geschlecht)
einem weitgehend positiven Zusammenhang
Monatliches Brutto-Haus- Männer Frauen Total
ausgegangen werden. Das heisst, ein Anstieg der
haltseinkommen
SWISSPEB (2015) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Opportunitätskosten ist mit einer höheren Grün-


weniger als 3000 Franken 3,1% 1,7% 2,3%
dungsneigung verbunden. Denn: Die höchste
3000 bis 6000 Franken 2,1% 1,6% 1,8%
Gründungsneigung weist die Personengruppe
6001 bis 9000 Franken 2,8% 1,6% 2,2%
1 Amit et al. (1995). mit hohen Opportunitätskosten auf.
2 Bergmann (2016). über 9000 Franken 3,7% 2,1% 3,0%
3 Amit et al. (2001); Carter Die immer noch vergleichsweise guten Er-
et al. (2003). Total 3,1% 1,7% 2,4%
4 Grégoire und Shepherd
werbsmöglichkeiten von gering qualifizierten
(2012). Beschäftigten und das soziale Sicherungssystem Datengrundlage für die Tabelle ist n=24 845.

16  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Jungunternehmer in
der Schweiz verfügen
typischerweise über
eine höhere Ausbil-
KEYSTONE

dung. Wirtschafts-
studenten in Freiburg.

notwendig. Dies gilt zum Beispiel für viele aka- te Gründungsneigung findet sich für Personen
demische selbstständige Tätigkeiten, soge- mit einem tertiären Bildungsabschluss (3,2%);
nannte freie Berufe, und auch für Handwerks- bei Personen mit primärem Bildungsabschluss
tätigkeiten. ist diese nur halb so hoch (1,6%). Der Grund
hierfür ist, dass Personen mit einem hohen
Bildungsstand und Einkommen Humankapital eher in der Lage sind, neue Ge-
schäftsideen zu erkennen, und diese auch bes-
hängen zusammen
ser umsetzen können.5 Da Bildungsstand und
Der Einfluss des Bildungsstandes auf die Grün- Einkommen stark zusammenhängen, ergeben
5 Grégoire und Shepherd
dungsneigung zeigt sich deutlich: Die höchs- sich hierdurch auch Auswirkungen auf den Zu- (2012); Dimov (2010).

Grosse Längsschnittuntersuchung von Gründern in der Schweiz


Die Analysen in diesem Beitrag beruhen auf Daten versuchen, ein Unternehmen zu gründen. Insgesamt –– Angenommen, Sie würden Ihr Gründungsvorha-
des Swiss Panel of Emerging Businesses (Swisspeb), 300 dieser Gründer konnten für die ausführliche ben aufgeben und sich stattdessen einen neuen
welches derzeit vom Schweizerischen Institut für Folgebefragung gewonnen werden. Die Befragun- Job als Angestellter suchen. Mit welchem Pensum
Klein- und Mittelunternehmen der Universität St. würden Sie gerne arbeiten?
gen wurden vom Link-Institut für Marktforschung
–– Was denken Sie, wie viel würden Sie mit diesem
Gallen (KMU-HSG) durchgeführt wird. Das auf drei durchgeführt. Aufgrund des methodischen Vor-
Pensum ungefähr pro Monat verdienen?
Jahre ausgelegte Projekt ist die erste grosse Längs- gehens können die Ergebnisse als repräsentativ für
schnittuntersuchung von Gründern in der Schweiz. die Schweiz angesehen werden. Finanziert wird das Die Angaben zum potenziellen Bruttolohn wurden auf
Im Sommer und Herbst 2015 wurde in einer reprä- Projekt vom KMU-HSG und dem Grundlagenfor- ein 100-Prozent-Pensum hochgerechnet.
sentativen Telefonbefragung von mehr als 28 000 schungsfonds der Universität St. Gallen. Die Oppor-
Personen ermittelt, dass insgesamt rund 2,4 Prozent tunitätskosten von Gründern wurden über die bei-
aller Schweizer zwischen 18 und 65 Jahren derzeit den folgenden Fragen ermittelt:

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  17
START-UPS

sammenhang von Opportunitätskosten und Schwellen- und Entwicklungsländer höhere


Gründungsneigung. Gründungsquoten als die Schweiz auf.6 Mit zu-
Der positive Einfluss von Bildungsstand und nehmendem Wohlstandsniveau (und damit zu-
Humankapital wirkt dem negativen Einfluss nehmenden Opportunitätskosten) nimmt der
der Opportunitätskosten – hier als Haushalts- Anteil der Personen, die eine Firma gründen,
einkommen betrachtet – auf die Gründungsnei- tendenziell ab. Der negative Zusammenhang
gung entgegen. In der Summe überwiegt sogar lässt sich folgendermassen erklären: In Ent-
Ersteres: Die höchste Gründungsneigung zeigt wicklungsländern haben viele Menschen nur
sich bei Personen mit einem hohen Haushalts- geringe Erwerbsmöglichkeiten (und damit auch
einkommen von über 9000 Franken pro Monat. geringe Opportunitätskosten), und eine Selbst-
Über den grössten Teil des Einkommensspekt- ständigkeit ist häufig die einzige Möglichkeit,
rums ist der Zusammenhang von Einkommen den Lebensunterhalt zu bestreiten.
und Gründungsrate gleichgerichtet (siehe Ta- Mit zunehmendem wirtschaftlichem Wohl-
belle). stand verbessern sich die Erwerbsmöglichkei-
Lediglich bei Personen mit einem niedrigen ten, wodurch es immer mehr Menschen gibt, für
Einkommen zeigt sich diesbezüglich eine Ab- die eine selbstständige Tätigkeit unattraktiv ist.
weichung, da auch diese Personen eine erhöhte Zudem haben Länder mit höherem Pro-Kopf-
Gründungsneigung aufweisen. Die Gründungs- Einkommen meist auch stärker ausgebaute So-
neigung von Frauen ist tiefer als jene von Män- zialsysteme, die Menschen bis zu einem gewis-
nern, die grundsätzliche Struktur ist allerdings sen Grad auch im Falle einer Arbeitslosigkeit
gleich. absichern, was die Opportunitätskosten eben-
Hochgerechnet auf ein 100-Prozent-Pensum, be- falls erhöht und Gründungen aus der Not redu-
tragen die Opportunitätskosten von Gründern ziert.7 Insgesamt ergibt sich hierdurch ein ne-
durchschnittlich 8200 Franken pro Monat. gativer Zusammenhang von Wohlstandsniveau 6 Singer et al. (2015),
S. 53.
Gründer schätzen also, dass sie als Angestellte und Gründungsneigung. 7 Wennekers et al. (2005).
mehr als der Durchschnitt verdienten. Auch
dieser Befund deutet darauf hin, dass Gründer
tendenziell Personen mit guten alternativen Er-
werbsmöglichkeiten sind.

Mehr Unternehmensgründungen
in Entwicklungsländern
Heiko Bergmann
Im internationalen Vergleich bestätigt sich die Dr. rer. pol., Lehrbeauftragter und Projektleiter, Schwei-
Theorie zu den Opportunitätskosten jedoch. zerisches Institut für Klein- und Mittelunternehmen
(KMU-HSG), Universität St. Gallen
So weisen beispielsweise die USA und fast alle

Literatur
Amit, R., MacCrimmon, K. R., Ziets- Bergmann, H. (2016). Opportuni- Dimov, D. (2010). Nascent Entre- Singer, S., Amorós, J. E., und Moska,
ma, C., und Oesch, J. M. (2001). tätskosten von Gründern in der preneurs and Venture Emergence: D. (2015). Global Entrepreneur-
Does Money Matter?: Wealth Schweiz. Auftraggeber und He- Opportunity Confidence, Human ship Monitor. 2014 Global Report,
Attainment as the Motive for Ini- rausgeber: Seco, Direktion für Capital, and Early Planning. Jour- London.
tiating Growth-oriented Techno- Standortförderung, Bern. nal of Management Studies, 47(6), Wennekers, S., van Stel, A., Thurik,
logy Ventures. Journal of Business Carter, N. M., Gartner, W. B., Sha- 1123–1153. R., und Reynolds, P. D. (2005). Na-
Venturing, 16, 119–143. ver, K. G., und Gatewood, E. J. Grégoire, D. A., und Shepherd, D. A. scent Entrepreneurship and the
Amit, R., Muller, E., und Cockburn, (2003). The Career Reasons of (2012). Technology-Market Com- Level of Economic Development.
I. (1995). Opportunity Costs and Nascent Entrepreneurs. Journal of binations and the Identification of Small Business Economics, 24(3),
Entrepreneurial Activity. Jour- Business Venturing, 18(1), 13–39. Entrepreneurial Opportunities: An 293–309.
nal of Business Venturing, 10(2), Investigation of the Opportunity-
95–106. Individual Nexus. Academy of Ma-
nagement Journal, 55(4), 753–785.

18  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Risikokapitalgeber in der
Schweiz zaghaft
Schweizer Anleger investieren zurückhaltend in Start-ups. Nebst Investoren braucht
es für den Erfolg jedoch auch risikobereite Unternehmer und regionale Wirtschafts­
cluster.  Thomas Heimann, Maurice Pedergnana

Abstract  In der Schweiz schöpfen Start-up-Gründer das Potenzial nicht aus. Insbe- Jahre waren, durchschnittlich etwa eine Million
sondere die fehlende Risikobereitschaft sowie bescheidene Wachstumspläne kom- Stellen.3 Schätzungsweise waren US-Start-ups
men den Gründern in die Quere. Eine weitere Schwachstelle ist die Kommerzialisie- für rund ein Drittel der in der Vergangenheit ge-
rung: die Umsetzung einer Idee in ein Produkt. Technisch hingegen überzeugen die schaffenen Arbeitsplätze verantwortlich.4
Schweizer Lösungen, die oftmals in Zusammenarbeit mit einer Hochschule entwi-
ckelt wurden. Gemäss dem Swiss Venture Capital Report wurden 2015 rund 670 Mil-
lionen Franken in Jungunternehmen investiert. Mit Abstand am meisten Geld ging an Schweizer Start-ups als wichtige
Biotech- und Medtechfirmen. An zweiter Stelle folgen ICT- und Fintech-Start-ups.
Der Grossteil der Gelder verteilte sich auf wenige Unternehmen: 80 Prozent des In- Arbeitgeber
vestitionsvolumens flossen 2015 in die 20 grössten Finanzierungsrunden. Insgesamt
Auch in der Schweiz ist der volkswirtschaftli-
stammten nur 30 Prozent der Gelder aus dem Inland. Während am meisten Investi-
tionen in der Frühphase einer Firmengründung getätigt wurden, zeigten sich die In- che Effekt von Start-ups in den wachstumsstar-
vestoren in den späteren Phasen zurückhaltender. Interessant scheint die Errichtung ken Branchen bedeutend. Die neu gegründeten
eines Dachfonds für institutionelle Gelder wie beispielsweise von Pensionskassen. Unternehmen schaffen in ihrem Gründungs-
jahr jährlich über 20 000 Arbeitsstellen. Schät-
zungen gehen davon aus, dass in den letzten Jah-

B  evor ein Unternehmer eine Idee gewinnbrin-


gend auf dem Markt lancieren kann, braucht
er in den meisten Fällen Risikokapital: Soge-
ren mehr als 350 000 der heutigen Arbeitsplätze
durch Jungunternehmen entstanden sind.5 Dabei
ist vor allem der Multiplikator-Effekt der überaus
nanntes Venture Capital ist in den letzten Jahr- erfolgreichen Unternehmen zu erwähnen. Die
zehnten zu einer dominierenden Kraft bei der Hälfte der Gründer hört zwar nach fünf ­Jahren
Finanzierung von innovativen amerikanischen
Jungunternehmen herangewachsen. Technolo-
giegiganten wie Amazon, Apple oder Google ver- Abb. 1: 2015 – investiertes Kapital nach Branche
danken ihren Erfolg dem frühen Einstieg eines (in Mio. Fr.)
Risikokapitalgebers. Heute ist rund ein Fünftel
SWISS VENTURE CAPITAL REPORT 2016 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

aller börsengehandelten US-Firmen wagniska-


pitalfinanziert. Diese Firmen sind wiederum für
rund 42 Prozent der gesamten Forschungs- und
Entwicklungsausgaben des Publikumsmarktes
verantwortlich.1
Der volkswirtschaftliche Effekt von Risiko-
kapital in den USA ist beeindruckend: Während
lediglich etwa 0,2 Prozent des Bruttoinlandpro-
1 Stanford Business on- dukts (BIP) in Start-ups investiert werden, sind
line (2015).   Biotech (310,7)          Medtech (158,3)       
2 National Venture Capi-
die von den Jungunternehmen erwirtschafteten
  Gesundheitswesen-IT (14,8)           ICT (109,1)       
tal Association (2011). Umsätze für rund 21 Prozent des BIP verantwort-   Fintech-ICT (20,2)          Cleantech (25,7)       
3 Kauffman Foundation
(2010). lich.2 Zwischen 1977 und 2005 schufen Start-ups   Mikro- und Nanotechnologien (7,2)           Konsumgüter (30)
4 ACG Warburg Chapter jährlich rund 3 Millionen Arbeitsplätze. Im glei-
(2013).
5 Bundesrat (2013). chen Zeitraum strichen Firmen, die älter als fünf Total=676 Millionen Schweizer Franken

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  19
START-UPS

wieder auf, doch durch das Wachstum der erfolg- dem Online-Supermarkt LeShop.ch war jedoch
reichen wird diese «Mortalitätsquote» mehr als sowohl der Beschäftigungseffekt als auch der
kompensiert. Wertschöpfungsbeitrag um ein Vielfaches höher.
Erfolgreiche Start-ups schaffen Stellen: Die Wie in den USA spielten auch für diese
Zahl der Vollzeitstellen der Jungunternehmen ist Schweizer Unternehmen Risikokapitalgeber eine
im fünften Jahr nach Gründung6 knapp drei Mal wichtige Rolle. Dabei gewährten ihnen die Ka-
so hoch wie der schweizerische Durchschnitt, pitalgeber nicht nur Geld, sondern berieten und
der für alle Unternehmen 8,5 beträgt.7 Aller- unterstützten sie («Smart Money»).
dings zählt nur jedes zehnte Unternehmen in
der Schweiz mehr als zehn Mitarbeiter.8 Bei den Dominanz der Lifesciences
wachstumsstarken Schweizer Start-ups aus der
6 Berg (2015). jüngeren Vergangenheit wie dem Pharmaherstel- Der Markt für die frühe Unternehmensfinan-
7 BFS (2016).
8 WBF (2013). ler Actelion, dem IT-Unternehmen U-blox oder zierung hat sich letztes Jahr erholt. Gemäss dem

Das Biotech-Unter-
nehmen Actelion hat in
den letzten 15 Jahren
ein rasantes Wachs-
tum hingelegt. Firmen­
sitz in Allschwil.

KEYSTONE

20  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Swiss Venture Capital Report wurden 2015 rund lionen Franken ein Fünftel des gesamtschwei-
670 Millionen Franken in Jungunternehmen in- zerischen Volumens. Andere Branchen spielten
vestiert. Der Bericht wird jährlich vom New- eine vergleichsweise bescheidene Rolle.
sportal Startupticker.ch in Zusammenarbeit mit
der Investorenvereinigung Swiss Private Equity Biotech teurer als ICT
& Corporate Finance Association (Seca) heraus-
gegeben.9 Über zwei Drittel des Kapitals flossen Wie in anderen europäischen Ländern konzen-
an Biotech- und Medtech-Start-ups aus der Life- triert sich auch in der Schweiz das Risikokapital
sciences-Branche (siehe Abbildungen 1 und 2). stark auf einzelne Unternehmen. Im letzten Jahr
Als zweite treibende Kraft – allerdings mit deut- summierten sich die grössten 20 Wagniskapi-
lichem Abstand – hat sich die ICT-Branche eta- tal-Finanzierungsrunden auf rund 560 Millionen
bliert. Zählt man die Fintech-Start-ups dazu, Franken – was über 80 Prozent des gesamten In-
9 Startupticker.ch (2016)
erreichte dieser Sektor 2015 mit rund 129 Mil- vestitionsvolumens entspricht. Knapp die Hälfte und Seca (2016).

Abb. 2: 2012 bis 2015 – investiertes Kapital nach Branche (in Mio. Fr.)

400    

SWISS VENTURE CAPITAL REPORT 2016 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


300

200

100

Biotech Medtech Gesundheitswesen-IT Cleantech ICT (inklusive Fintech)


  2012          2013          2014           2015

Abb. 3: Anteil an inländischem Kapital bei Start-ups in Prozent (Durchschnitt 2007 bis 2015, in %)

Portugal
Ungarn
Frankreich
Norwegen
Spanien
Schweden
Finnland
Italien
Deutschland
Grossbritannien
Polen
EU-Durchschnitt
INVEST EUROPE (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Niederlande
Dänemark
Irland
Schweiz
Luxemburg
Griechenland
Österreich

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  21
START-UPS

des Finanzierungsvolumens entfiel dabei auf die weise in Deutschland, Grossbritannien, Indien,
grössten fünf Transaktionen. Pro Finanzierungs- Singapur oder in den USA. Da damit auch alle
runde wurden durchschnittlich rund 2,6 Millio- Vorleistungen verbunden sind, findet die Wert-
nen Franken aufgenommen. Dies ist im Vergleich schöpfung verstärkt im Ausland statt.
zu den USA nur knapp die Hälfte, entspricht je- Während letztes Jahr nur noch rund 30 Pro-
doch ungefähr dem gesamt- zent des Risikokapitals aus der Schweiz stamm-
europäischen Durchschnitt.10 ten, waren es im Jahresdurchschnitt von 2007 bis
Nur noch 30 Prozent Die G
­ rössenunterschiede der 2015 immerhin noch über 40 Prozent gewesen
des Risikokapitals Finanzierungsrunden zwischen (siehe Abbildung 3). Damit liegt die Schweiz klar
den einzelnen Branchen sind unter dem europäischen Durchschnitt von 62
stammen aus der beträchtlich: Biotech-Unterneh- Prozent. Insbesondere britische, amerikanische,
Schweiz. men schafften es durchschnitt- französische und holländische Investoren finden
lich auf vergleichsweise hohe zunehmend Gefallen an hiesigen Start-ups.11
13,8 Millionen Franken, während ICT-Firmen le-
diglich 1,5 Millionen Franken erhielten. Für die Institutionelle Anleger sind
Beobachtung, dass in der ICT-Branche viele kleine
­r isikoscheu
Finanzierungsrunden mit bis zu 2 Millionen Fran-
ken stattfanden, gibt es eine Erklärung: Im ICT- Wie die jüngsten Auswertungen des Swiss Ven-
Umfeld sind weniger Finanzierungsrunden und ture Capital Report zeigen, sind Frühphasenfi-
geringere Finanzierungsvolumina erforderlich, da nanzierungen mit bis zu 2 Millionen Franken
der Marktzugang und damit die ersten Umsätze dominierend. Danach – wenn es um die Finan-
typischerweise viel früher als im Biotech-Bereich zierung des Ausbaus der Produktions- und Ver-
stattfinden. triebskapazitäten sowie um die Produktentwick-
lung der nächsten Generation geht – versiegen
70 Prozent des Risikokapitals die einheimischen Geldquellen.
Da es in der Schweiz an Fonds mit substan-
­stammen aus dem Ausland
zieller Grösse mangelt, ist es gerade bei grösse-
Innerhalb der Top-20-Investitionsrunden fin- ren Finanzierungsrunden äusserst schwierig,
den sich viele angesehene, weltweit tätige Ka- inländisches Risikokapital zu erhalten. Das wi-
pitalgeber. Dies unterstreicht die Qualität der derspiegelt die Risikoaversion der institutionel-
hiesigen Unternehmen und deren Innovationen len Anleger. Das zugrunde liegende strukturel-
– was grundsätzlich zu begrüssen ist. Gleich- le Problem gilt im Übrigen für den europäischen
zeitig droht jedoch die Gefahr, dass die Innova- Kontinent generell.12
10 WilmerHale (2016). tionstätigkeit mit dem oftmals rasanten Ausbau Auch wenn sich in den letzten Jahren mit
11 Invest Europe (2016). bei Jungunternehmen insbesondere beschäfti- europäischen Ventures eine ansehnliche Ren-
12 Invest Europe (2014).
13 Preqin (2014). gungswirksam im Ausland erfolgt – typischer- dite erzielen liess13, sind die Investoren noch

Schweiz technologisch top, Kommerzialisierung verbesserungswürdig


Harald Nieder, Partner beim Zürcher Risiko- Alex Stöckl, Investment-Manager bei Cre- Die Komplexität der Innovation benötige
kapitalgeber Redalpine Venture, beurteilt athor Venture, vergleicht die Schweiz mit grundsätzlich mehr Zeit und Ressourcen zur
das technische Fundament der hiesigen dem Start-up-Hub Berlin. Einen Unterschied Produktentwicklung; diese Geduld brächten
Start-ups gegenüber den Autoren als sehr ortet er jedoch bei der Gründungsinitiati- Risikokapitalinvestoren jedoch oft nicht mit.
gut. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass ve: «Bei uns entstehen die Start-ups oft aus «Sie wollen relativ rasch relevante Umsätze
die Technologie oft auf Kosten der kom- einer technologischen Innovation heraus, und einen Beweis der Skalierbarkeit sehen.»
merziellen Aspekte überhandnimmt. Bei während in Berlin der betriebswirtschaftli- Als weiteres Hindernis sieht Stöckl die be-
den Gründerteams finde sich vielfach aus- che Kontext dominiert.» Dadurch entstün- scheidene Grösse der Schweizer Fonds, zu-
schliesslich technische Expertise. In der den in Berlin zwar oft schneller wachsende mal auch ausländische Investoren nicht in
Pflicht sieht Nieder aber auch die Investoren: und einfacher skalierbare Geschäftsmodelle, der Breite vorhanden sind. Schliesslich fehle
«Die Risikobereitschaft, die auf Unterneh- welche dafür in den meisten Fällen nicht die es im ICT-Umfeld nach wie vor an Exits mit
merseite verlangt wird, ist, auf der Investo- technische Substanz der Schweizer Start- ausreichender Strahlkraft, welche das lokale
renseite insgesamt noch nicht ausreichend ups hätten. Stöckl sieht den Umstand als Ökosystem stärken und die internationale In-
vorhanden.» Chance und als Herausforderung zugleich: vestorengemeinde anziehen würden.

22  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Berlin verfügt über


ein ausgeprägtes ICT-
Cluster. Besucher des
Festivals Tech Open
Air mit Stadtplan.

KEYSTONE

kaum von den Vorteilen von Investitionen vationen Spitze sein. In dieser Hinsicht finden
überzeugt. Ein Grund dafür ist das Fehlen von wir dank unseren ETH, Universitäten und ver-
überzeugenden Beispielen: Erfolgsgeschichten einzelten Fachhochschulen sowie den verfüg-
wie die von Google, Uber oder Booking.com baren Talenten beste Voraussetzungen vor. Bei
werden kaum in der Schweiz geschrieben. In der Kommerzialisierung muss sich die Schwei-
den Reports des World Economic Forums zu zer Gründerszene jedoch deutlich verbessern:
«High-Impact Entrepreneurs» oder «ICTs for Es gilt, den kommerziellen Erfolg sowohl auf
Inclusive Growth» suchen wir vergebens nach kontinentaler als auch auf globaler Ebene ra-
hiesigen Unternehmen.14 Gründe dafür sind scher und konsequenter anzupacken. Eine Aus-
beispielsweise die kaum ausgeprägte Risiko- nahme bilden dank zahlreichen Erfolgen sowie
kultur, die oftmals bescheidenen Wachstums- aufgrund eines gut funktionierenden Clusters
pläne der Unternehmen sowie die mangelhafte rund um Big Pharma die Lifesciences. Aufhol-
Umsetzung von Ideen in vermarktbare Produk- bedarf orten Experten insbesondere in der ICT-
te. Zudem fehlt es in der ICT-Branche an einem Branche (siehe Kasten).
Cluster, wie es sich beispielsweise im Silicon Eine Antwort auf die mangelnde Risikobe-
Valley, in London oder in Berlin findet. reitschaft auf der Investorenseite stellt mög- 14 Vgl. WEF (2014); WEF
(2015).
licherweise die vom Luzerner CVP-Ständerat 15 Motion 13.4184: Lang-
Interessanter «Zukunftsfonds» Konrad Graber eingebrachte Idee eines «Zu- fristanlagen von
Pensionskassen in
kunftsfonds Schweiz» dar.15 Pensionskassen zukunftsträchti-
Die Schweiz als Hochpreisland kann im globa- und andere institutionelle Investoren könnten ge Technologien und
Schaffung eines Zu-
len Wettbewerb nur mit technologischen Inno- sich an diesem als Dachfonds ­ausgestalteten kunftsfonds Schweiz.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  23
START-UPS

Investmentvehikel beteiligen, das von profes- reichend, aber im Zusammenspiel mit Innova-
sionellen Managern verwaltet wird. Damit pro- tion, Unternehmertum und Risikobereitschaft
fitierten sie von einer hinreichend grossen Risi- könnte es ein innovatives Ökosystem in der 16 Weidig und Mathonet
kodiversifikation über mehrere Branchen und Schweiz befeuern. (2004).
über verschiedene Entwicklungsphasen der
Start-ups hinweg. Eine Untersuchung, welche
auf Zahlen von etwa 300 europäischen Fonds
und 50 000 simulierten europäischen Dach-
fonds basiert, kommt zum Schluss: Bei einem
Dachfonds ist sogar die Wahrscheinlichkeit,
einen Teil des investierten Kapitals zu verlieren,
sehr gering.16
An dieser Stelle sei daran erinnert: Die
Thomas Heimann Maurice Pedergnana
Existenz des Silicon Valley mit dem überra- Dozent für Wirtschaft, Professor für Wirtschaft,
genden Einfluss auf die amerikanische Volks- Hochschule Luzern; Co- Hochschule Luzern;
Autor Swiss Venture Ca- ­Generalsekretär Swiss Pri-
wirtschaft wäre ohne die hohe und kontinu-
pital Report; Analyst beim vate Equity & Corporate
ierliche Kapitalallokation aus amerikanischen Life Sciences Investor HBM Finance Association (Seca);
Pensionskassen – seit rund 50 Jahren – nicht Partners, Zug Geschäftsführender Partner
Zugerberg ­Finanz, Zug
vorstellbar. Kapital alleine ist zwar nicht aus-

Literatur
ACG Warburg Chapter (2013). Venture Capital in Invest Europe (vormals EVCA, 2014). Accelera- Stanford Business online (2015). How Much Does
Europe - The Highs and Lows and Why Now? ting Innovation & Delivering Growth: Using Venture Capital Drive the U.S. Economy? Ok-
Berg, Nicolas (2015). Swiss Start-up Impact the Jobs, Growth and Investment Package to tober 2015
Study: Umfrage bei 1800 Start-up-Gründern Attract Private Sector Investors to the Euro- Startupticker.ch und Seca (2016). Swiss Venture
seit 1998 zu Job Creation, Wertschöpfung pean Venture Capital Industry. November Capital Report 2016
und Supportmassnahmen. Rollfeld/Universi- 2014. WBF (2013). KMU in Zahlen – Firmen und Be-
tät Bern. Invest Europe (2016). 2015 European ­Private schäftigte.
BFS (2016). Wirtschaftsstruktur: Unternehmen, Equity Activity, durchgeführt von – Perep WEF (2014). The Bold Ones – High-impact Entre-
provisorische Daten 2014. ­Analytics preneurs Who Transform Industries.
Bundesrat (2013). Steuerausfälle aufgrund der Kauffman Foundation (2010). The Importance of WEF (2015). The Global Information Technology
Steuerbefreiung von Start-up Unternehmen, Start-ups in Job Creation and Job Destruction, Report 2015.
Bericht in Erfüllung des Postulats 09.3935 von Juli 2010. Weidig, Tom, und Pierre-Yves Mathonet (2004).
Nationalrat Darbellay, September 2013. Preqin (2014). Special Report: Venture Capital Das Risikoprofil von Private Equity Investitio-
November 2014. nen, Januar 2004.
National Venture Capital Association (2011). Wilmer Hale (2016). Venture Capital Report 2016,
Venture Impact Edition 6.0, The Economic Im- Boston
portance of Venture Capital-backed companies
to the U.S. economy.

24  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Vielfältige Finanzierungsangebote
für Jungunternehmen
In der Schweiz gibt es zahlreiche rasch wachsende Unternehmen. Diese profitieren von
einem breiten Angebot von privaten und staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten. Trotz-
dem bleibt die Finanzierung eine Herausforderung.  Markus Willimann, Martin Godel

Abstract  Die Beschaffung der nötigen Finanzmittel ist häufig eine der grössten Rolle des Staates – ein Blick
Herausforderungen für Jungunternehmen. Die Forderung nach staatlicher Unter- ins Ausland
stützung lässt deshalb nicht lange auf sich warten. Doch wie stark leiden Start-
ups tatsächlich unter dem fehlenden Finanzierungsangebot? Oder gibt es ande- Ein Ansatz bei der Suche nach Fremdkapital
re Gründe, welche die Beschaffung von finanziellen Mitteln erschweren? Gerade sind beispielsweise staatliche Bürgschaften.
Jungunternehmen zeichnen sich durch bedeutende inhärente Unsicherheiten und
ein höheres Risiko aus. Es existiert bereits heute eine Vielzahl von staatlichen und
Sie geben Gläubigern die geforderten Sicherhei-
privaten Finanzierungsmöglichkeiten. Allein die Kantone verfügen insgesamt ten, um Finanzierungslücken zu schliessen. Ge-
über fast 90 Finanzierungsangebote. Ein wichtiger Player ist zudem der Europäi- mäss der OECD1 stellten Kreditgarantiesysteme
sche Investitionsfonds (EIF), welcher auch in der Schweiz aktiv ist. Hinsichtlich gerade während der Finanz- und Wirtschafts-
der weiteren Entwicklung des Marktes für Start-up-Finanzierung könnten insbe-
krise 2008/2009 in vielen Ländern die Finan-
sondere grössere private Investitionsfonds mit institutionellen Anlegern einen
weiteren wichtigen Entwicklungsschritt darstellen. zierung von kleinen und mittleren Unterneh-
men (KMU) sicher.
Neben solchen Absicherungsinstrumenten

I  nnovative Jungunternehmen schaffen Ar­


beits­plätze, tragen zur Stärkung der Innova-
tions- und Wettbewerbsfähigkeit einer Volks-
kann der Staat Jungunternehmen direkt oder
indirekt mit Eigenkapitalprogrammen unter-
stützen. Viele OECD-Länder verfügen über sol-
wirtschaft bei und fördern den Strukturwandel. che staatlichen Eigenkapitalprogramme. Von
Dennoch treffen Start-ups bei der Finanzierung 2007 bis 2012 haben diese als Antwort auf die
ihres Projekts regelmässig auf eine bedeutende globale Finanz- und Wirtschaftskrise in den
Herausforderung. Da sie meistens keine Sachan- Industrieländern zugenommen – insbesonde-
lagen als Sicherheit hinterlegen können und ein re im Vergleich zu fiskalischen Förderinstru-
hohes Risikoprofil aufweisen, gelangen sie nur menten. Den grössten Zuwachs verzeichneten
erschwert an Fremdkapital – beispielsweise von die Ko-Investitionsfonds, bei denen öffentli-
Banken. Hinzu kommt: Der Aufbau eines trag- che Gelder die privaten Investitionen ergänzen
fähigen Verhältnisses zu Finanzierungspart- ­sollen: Im Jahr 2012 bewirtschafteten 21 von
nern für Eigenkapital benötigt Zeit und Kompe- 32 OECD-Staaten diesen Fondstypus. Ebenfalls
tenzen. zugenommen haben öffentlich-private Dach-
Die Finanzierungsengpässe sind hauptsäch- fonds, welche ihrerseits in private Risikoka-
lich auf die Risiken, die sich aus Informations- pitalgesellschaften investieren. Solche Fonds
asymmetrien zwischen Gläubigern und Schuld- fanden sich 2012 ebenfalls in 21 von 32 Staa-
nern ergeben, zurückzuführen und damit auf ten. Gleichzeitig ist die Anzahl der direktinves-
höhere Transaktionskosten. Da es für die Gläu- tierenden öffentlichen Fonds zurückgegangen,
biger meist schwierig ist, potenziell erfolgreiche über welche 2012 nur 13 von 32 OECD-Ländern
Unternehmen von weniger erfolgreichen Unter- verfügten.
nehmen zu unterscheiden, stellen sie Jungunter- Allgemein kann festgestellt werden: Öffent-
1 O
ECD (2013): Finan- nehmen möglicherweise weniger Geld zur Verfü- liche Direktinvestitionen sind weniger effek-
cing SMEs and Entre-
preneurs, an OECD Sco-
gung, als diese benötigen. Zudem fordern sie ein tiv als öffentliche Investitionen in sogenannte
reboard. höheres Risikoentgelt. Ko-Investitionsfonds oder Dachfonds, welche

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  25
START-UPS

­ anach streben, private Investitionen zu mobi-


d tierte der EIF in 67 Fonds, die auch die Schweiz
lisieren. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, einschliessen. Diese Fonds verfügen über ein In-
dass kaum Evaluationen von staatlichen Start- vestitionskapital von rund 8 Milliarden Euro.
up-Finanzierungsprogrammen veröffentlicht Obwohl die Schweiz nicht Mitglied des EIF ist,
werden, weshalb empirische Nachweise über können somit auch hierzulande ansässige Ri-
deren Effektivität fehlen. sikokapitalfonds von der Investitionstätigkeit
des EIF profitieren. Weiter wurden in den letz-
Europäischer Investitionsfonds ten zehn Jahren 56 Schweizer Start-ups mit EIF-
Geldern kofinanziert. Die Schweiz bildet jedoch
spielt Schlüsselrolle
keinen Investitionsschwerpunkt des EIF per se.
Der wichtigste Akteur in Europa bei der Risiko-
kapitalfinanzierung und bei Garantien für KMU Zahlreiche Finanzierungsangebote
und Start-ups ist der Europäische Investitions-
in den Kantonen
fonds (EIF). Seine Eigen- und Fremdkapitalinst-
rumente richten sich an die Finanzpartner von In der Schweiz besitzen die Kantone die wirt-
KMU und Start-ups – also an Banken, Finanzin- schaftspolitische Kompetenz, Finanzierungs-
stitutionen oder Fonds. So fliessen die vom EIF programme zugunsten von Unternehmen ein-
Grosses Wachstums-
potenzial: Die Zür- (beziehungsweise von den staatlichen Auftrag- zurichten. Sie bieten eine grosse Vielfalt von
cher Jungunterneh- gebern) bereitgestellten Gelder nicht direkt, son- Finanzierungsangeboten für Unternehmen
mer Paolo D’Alcini dern via Finanzvermittler an die Unternehmen. und Start-ups an. Gemäss einer Umfrage des
(v. l.), Olga Peters und Die Schweiz ist geografisch umgeben von EU- Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) bei
Francesco Dell’Endice
haben eine Sortier-
Staaten und daher naturgemäss im Investitions- den Kantonen existieren insgesamt 87 Finan-
maschine für Getrei- bereich des EIF einbezogen. Insgesamt inves- zierungsangebote. 2 15 Kantone verfügen über
dekörner entwickelt.

TINA STURZENEGGER

26  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

mehr als ein Angebot, wobei die Kantone Jura, direkt mit potenziellen Nachfragern Gespräche
Tessin und Wallis mit je 9 Programmen an der zu führen.
Spitze liegen. Auf der anderen Seite bieten Ba- Im Oktober 2016 unterzeichneten die Ak-
sel-Landschaft, Luzern, Nidwalden, Schwyz, teure nach einem Spitzentreffen5 auf Einladung
Solothurn, St. Gallen, Thurgau und Zug kein Fi- der Vorsteher des Eidgenössischen Departe-
nanzierungsangebot an. ments des Innern (EDI) und des Departements
Die kantonalen Angebote unterscheiden sich für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF)
stark. So bieten 15 Kantone beispielsweise Fremd- eine gemeinsame Erklärung, dass sie den Risi-
finanzierungsprogramme an, welche hauptsäch- kokapitalmarkt und damit die Finanzierungs-
lich Darlehen und Bürgschaften von Bankkredi- möglichkeiten mittels grösserer Risikokapital-
ten enthalten. Vier Kantone haben sogenannte fonds für rasch wachsende Jungunternehmen
Eigenkapitalangebote, bei denen sich der Kanton in der Schweiz weiterentwickeln und stärken
am Eigenkapital eines Start-ups beteiligt. wollen: Insbesondere sollen Risikokapitalfonds
mit grösseren Volumina für institutionelle An-
Rolle des Bundes bieter, einschliesslich Pensionskassen, zur Ver-
fügung stehen. Im nächsten Jahr soll die Infor-
Auch auf Ebene des Bundes erleichtern För- mationslage mit einer weiteren Veranstaltung,
derinstrumente wie das gewerbeorientierte organisiert durch das Bundesamt für Sozialver-
Bürgschaftswesen, die Schweizerische Gesell- sicherungen, verbessert werden.
schaft für Hotelkredit (SGH) und der Techno-
logiefonds KMU und Start-ups den Zugang zu Gutes Gesamtbild – Handlungs­
Fremdkapital.
bedarf im Einzelnen
Trotz den zahlreichen privaten und kanto-
nalen sowie bestehenden erwähnten Finanzie- Die Schweiz ist im internationalen Vergleich 2 S tand 1. Februar 2016
rungsangeboten des Bundes steht regelmässig überdurchschnittlich von rasch wachsenden 3 Postulat 13.4237: Für
eine bessere Entwick-
die Forderung nach einem Finanzierungsinstru- Jungunternehmen und bestehenden Unterneh- lung innovativer Jung-
unternehmen.
ment des Bundes zur Unterstützung von Start- men geprägt.6  Trotz dieses im Allgemeinen posi- 4 Motion 13.4184.
ups im Raum. Ein entsprechendes Postulat des tiven Bildes darf nicht verkannt werden, dass in 5 Am Treffen nahmen u.
a. auch der Schwei-
Waadtländer FDP-Nationalrats Fathi Derder ist einzelnen Bereichen, wie beispielsweise bei den zerische Pensions-
kassenverband (ASIP),
beispielsweise beim Bundesrat hängig.3 In sei- Steuern, Handlungsbedarf besteht. die Schweizerische
ner Antwort wird der Bundesrat im Rahmen der Auch hinsichtlich der Start-up-Finanzierung Bankiervereinigung
Swissbanking, der
Analyse von rasch wachsenden, jungen Unter- gibt es Verbesserungspotenzial, das insbeson- Schweizerische Versi-
nehmen auch die Frage eines öffentlichen Fi- dere durch die erwähnten Massnahmen im Rah- cherungsverband (SVV)
sowie Venture-Capital-
nanzierungsprogramms des Bundes eingehend men der Motion Graber gehoben werden soll. Unternehmen teil.
6 Zur Studie im Auftrag
prüfen. Der Bericht wird voraussichtlich im Ein stetes schrittweises Vorgehen, abgestimmt des Seco siehe den Bei-
Frühjahr 2017 veröffentlicht. mit den betroffenen und interessierten Kreisen, trag von Michael Matt-
mann und Felix Walter
Gleichzeitig streben die zuständigen Bun- ist auch in diesem Bereich der Königsweg. (Ecoplan) auf S. 12.
desstellen aktiv nach weiteren privatwirt-
schaftlichen Lösungen. Bundesrat und Parla-
ment haben 2014 eine Motion des Luzerner
CVP-Ständerats Konrad Graber mit dem Titel
«Langfristanlagen von Pensionskassen in zu-
kunftsträchtige Technologien und Schaffung
eines Zukunftsfonds Schweiz» angenommen. 4
In einem in diesem Kontext vom Seco organi-
sierten Workshop fanden im Juni 2015 erstmalig
Gespräche zwischen der sogenannten Risiko- Markus Willimann Martin Godel
kapitalindustrie und den Vorsorgeeinrichtun- Stv. Leiter Ressort KMU- Leiter Ressort KMU-Poli-
gen statt. Dabei wurden Abklärungen getrof- Politik, Staatssekretariat tik, Staatssekretariat für
für Wirtschaft (Seco), Bern Wirtschaft (Seco), Bern
fen, und Fondsanbieter hatten die Möglichkeit,

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  27
START-UPS

Crowdfunding als Finanzierungsquelle


für Start-ups
Bei Unternehmen ist Crowdfunding immer beliebter. Im Jahr 2015 wurden über Crowd­
funding-Plattformen 27 Millionen Franken vermittelt – im laufenden Jahr dürfte sich
dieser Wert mehr als verdoppeln. Insbesondere Start-ups können davon profitieren.   
Andreas Dietrich, Simon Amrein

und Kapitalnehmer erfolgt über eine Plattform im


Abstract  Schweizer Start-ups stehen oft vor der Herausforderung, an Kapital zu
gelangen. Crowdfunding kann mittelfristig helfen, dieses Problem zu lindern. In der Internet, welche die Rolle eines Vermittlers ein-
Schweiz wächst die internetbasierte Finanzierungform rasant: Während 2010 das nimmt. Dem Intermediär wird für die Transaktion
Volumen der über Crowdfunding-Kampagnen vermittelten Gelder noch bei unter­ eine Gebühr entrichtet. Die Kapitalgeber werden je
2 Millionen Franken lag, waren es letztes Jahr bereits über 27 Millionen Franken. Im nach Crowdfunding-Art monetär oder anderwei-
Vergleich zu den USA, wo 2015 bereits 36,2 Milliarden Franken über Crowd­funding-
Plattformen vermittelt wurden, sieht diese Zahl allerdings noch gering aus. Die
tig entschädigt (siehe Kasten).
kommerziell am häufigsten genutzten Formen sind Crowdlending, -investing und
-supporting.
Rasantes Wachstum in der Schweiz
Crowdfunding erfreut sich in der Schweiz einer im-

W  er ein Unternehmen gründen will, braucht


nicht nur eine Idee, sondern auch Geld. In
einer frühen Anfangsphase können gewisse Start-
mer grösseren Beliebtheit. Das Wachstum dieser
internetbasierten Form der Finanzierung ist rasant
– wenn auch in absoluten Zahlen noch auf tiefem
ups noch auf das Ersparte der Gründer oder auf Niveau: 2010 lag das Volumen der über Crowdfun-
Geld von Freunden und der Familie zurückgreifen. ding-Kampagnen vermittelten Gelder noch bei
Später braucht es aber in der Regel zusätzliches 1,7 Millionen Franken; fünf Jahre später waren es
Kapital für die weitere Entwicklung. Entsprechen- bereits 27,3 Millionen Franken (siehe Abbildung).
de Geldgeber in Form von Wagniskapitalgebern Für das laufende Jahr wird nochmals eine Verdop-
sind aber nicht einfach zu finden. Ebenso ist es pelung der Volumina im Vergleich zu 2015 erwartet.
für Jungunternehmer praktisch unmöglich, einen Nicht nur das Volumenwachstum ist impo-
Bankkredit zu erhalten, da sie meist noch nicht sant, auch die Anzahl Crowdfunding-Plattfor-
über die nötige finanzielle Stabilität in Form von men ist rasch angestiegen. Inzwischen kön-
regelmässigen Cashflows verfügen. Daher lohnt nen Unternehmen und Privatpersonen bei über
es sich, einen Blick auf die relativ neue Finanzie- 40 Plattformen ihre Projekte finanzieren lassen.
rungsform «Crowdfunding» zu werfen.
Das Konzept basiert darauf, dass in der Regel Risikokapital dank Crowdinvesting
eine Vielzahl von Menschen – eine «Crowd» – Geld
für kulturelle, soziale oder kommerzielle Projekte Im Zusammenhang mit Unternehmen und Start-
aufbringt. Die Kommunikation zwischen Investor ups stellt sich die Frage, wie diese sich Crowd­

Lending, Investing, Supporting und Donating


Die Definition der verschiedenen Arten von Gegenleistung entweder einen Zins oder monetär messbaren Gegenwert erhält der
Crowdfunding ist primär von der entweder eine Beteiligung am Unternehmen. Beim Spender hingegen beim Crowd­donating –
monetären oder nicht monetären Gegen- Crowdsupporting (Reward-based Crowdfun- weshalb diese Form weniger für kommer-
leistung abhängig. Bei Crowdlending (auch ding) erhält die unterstützende Person die zielle Zwecke als primär für soziale, kultu-
P2P Lending) und Crowdinvesting (Equity- Gegenleistung beispielsweise in Form eines relle oder politische Projekte genutzt wird.
based Crowdfunding) erhält der Investor als Produktes oder einer Dienstleistung. Keinen

28  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


In der Kreativbranche ist Crowd­
funding besonders verbreitet:
Produkte­designer im Basler Gründer-
zentrum Stellwerk.
KEYSTONE
START-UPS

funding zunutze machen können und was die treffen, wie beispielsweise Fremdkapitalfinan-
Vorteile gegenüber klassischen Finanzierungs- zierungen mit Profitbeteiligung der Investoren.
möglichkeiten sind. Bei der Wahl von Crowdlen- Das Crowdsupporting schliesslich nutzen Fir-
ding als Finanzierungsquelle erhält das Unter- men in der Regel für den Vorverkauf von Pro-
nehmen einen Kredit, ähnlich wie bei einer Bank. dukten oder Dienstleistungen, welche die Unter-
Die Kreditsummen für KMU-Kredite im Crowd- stützenden bei erfolgreicher Finanzierung des
funding bewegen sich zumeist zwischen 100 000 Projektes erhalten. Diese Finanzierungsart eig-
bis 300 000 Franken. Eingeschränkt werden die- net sich somit für Unternehmen mit Produkten
se Finanzierungsform und deren maximales Vo- oder Dienstleistungen, die nahe an der Marktein-
lumen insbesondere durch die in der Bankenver- führung sind und primär für Privatkunden von
ordnung verankerte «20er-Regel»: Nimmt eine Interesse sind.
Plattform gewerbsmässig Publikumsgelder von
mehr als 20 Personen entgegen, so benötigt sie Milliardenmarkt USA
dazu eine Banklizenz.1 Dieser Schwellenwert soll
gemäss Plänen des Bundesrates fallen.2 Crowdfunding birgt als Form der Digitalisierung
Im Gegensatz zu einer Fremdfinanzierung von Finanzierungsprozessen enorme Wachs-
über Crowdlending haben Crowdinvesting-Fi- tumschancen. Dies zeigt ein Vergleich mit den
nanzierungen oftmals den Charakter von Risi- relevanten Finanzierungsmärkten, bei denen
kokapital. Das durchschnittliche Volumen von Transaktionen zumindest teilweise vermehrt via
Crowdinvesting-Kampagnen in der Schweiz liegt Crowdfunding abgewickelt werden könnten. Im
in etwa bei einer halben Million Franken, wobei Jahr 2015 wurden in der Schweiz beispielsweise
aber auch grössere Volumen denkbar sind. Bezüg- 670 Millionen Franken in Start-ups investiert.3
lich der Anzahl der möglichen Investoren unter- Im selben Jahr waren KMU-Kredite in der Höhe
liegt Crowdinvesting aus rechtlicher Sicht keinen von rund 290 Milliarden Franken ausstehend.4
Einschränkungen. Vereinzelt setzen Plattformen Das Crowdfunding-Volumen von 27,3 Millionen
aber Mindestinvestitionsbeträge fest. Franken im Jahr 2015 ist im Vergleich dazu somit
Bei der Ausgestaltung der eigentlichen Fi- verschwindend klein.
nanzierung gibt es jedoch grosse Unterschiede: Das enorme Wachstumspotenzial wird mit
Einerseits gibt es klassische Eigenkapitalbetei- einem Blick in die USA deutlich, wo 2015 insge-
ligungen mit Stimmrechten. Diese werden al- samt 36,2 Milliarden Franken über Crowdfun-
1 gl. BankV Art. 6.
V lerdings oftmals eingeschränkt, um die Unter- ding-Plattformen vermittelt wurden; dies ent-
2 Bundesrat (2016). nehmensführung zu vereinfachen. Zudem sind spricht rund 113 Franken pro Einwohner. In
3 Startupticker.ch (2016).
4 SNB (2016). hybride Finanzierungsinstrumente häufig anzu- Grossbritannien lag dieser Wert bei ebenfalls

Entwicklung von Crowdfunding in der Schweiz (2008 bis 2015)


30       Volumen in Mio. Fr.  Anzahl Kampagnen        1500
CROWDFUNDING MONITORING SCHWEIZ (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

20 1000

10 500

0 0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
  Crowdinvesting            Crowdlending            Crowdsupporting/Crowddonating            Anzahl Kampagnen

30  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

Nimmt dank Crowd-


funding Gestalt an:
Dreirädriger Proto-
typ des US-Unterneh-
mens Elio Motors.
ALAMY

hohen 72 Franken pro Einwohner.5 Demgegen- bunden mit der Möglichkeit, dass auch Produkte
über befindet sich der Crowdfunding-Markt in und Dienstleistungen über Crowdfunding vor-
Deutschland mit 3 Franken pro Einwohner noch verkauft werden können, wird aus dem Finanzie-
auf tiefem Niveau – gleichauf mit der Schweiz. rungskanal somit auch ein Verkaufs-, Vertriebs-, 5 C
ambridge Centre for
Alternative Finance
Crowdfunding als Finanzierungskanal bietet Marketing- und Kommunikationskanal. (2016).
für Unternehmen Vorteile. Für KMU reduziert
der neue Finanzierungskanal die Abhängigkeit
von den traditionellen Geldgebern. Eine Chan-
ce bietet Crowdfunding insbesondere für Start-
ups – wie der Boom in angelsächsischen Ländern
zeigt. In der Schweiz stehen wir diesbezüglich je-
doch noch am Anfang.
Und nicht zuletzt: Crowdfunding geht über Andreas Dietrich Simon Amrein
die reine Finanzierungsfunktion hinaus. So kann Professor für Banking und Senior Research Associate,
es beispielsweise die öffentliche Wahrnehmung Finance, Institut für Fi- Institut für Finanzdienst-
nanzdienstleistungen leistungen Zug IFZ, Hoch-
für ein Projekt oder eine Firma stärken. Den Zug (IFZ), Hochschule Lu- schule Luzern, Co-Heraus-
Unternehmen bietet es zudem die Chance, direkt zern, Co-Herausgeber des geber des Crowdfunding
Crowdfunding Monitoring Monitoring Schweiz
mit den Investoren zu interagieren und deren In- Schweiz
teressen – sofern gewollt – einzubeziehen. Ver-

Literatur
Startupticker.ch (2016). Swiss Venture Capital Cambridge Centre for Alternative Finance SNB (2016). Datenportal der Schweizerischen Na-
Report, Edition No. 4, Luzern. (2016). Sustaining Momentum – The 2nd Euro- tionalbank, 15. Oktober 2016.
Bundesrat (2016). Bundesrat will Markteintritts- pean Alternative Finance Industry Report. Uni-
hürden für Fintech-Unternehmen verringern, versity of Cambridge, Judge Business School.
Medienmitteilung vom 2. November 2016.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  31
Wie wird man ein «Business Angel»?
Brigitte Baumann bietet Kurse für
Investoren an.

MARLEN VON WEISSENFLUH / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


FOKUS

«Viele potenzielle Investoren haben


Hemmungen»
Wie investiert man als Privatperson in ein Start-up? Viele potenzielle Investoren schrecken
davor zurück, ihre Bank um Rat zu fragen. Dies sagt Brigitte Baumann, «European Business
Angel 2014», im Gespräch mit der «Volkswirtschaft». Gerade bei Frauen ist die Zurück-
haltung besonders gross. Zu Unrecht, wie die Chefin der «Business-Angels»-Plattform Go
Beyond Early Stage Investing betont.  Susanne Blank

Frau Baumann, Sie sind «European Business Angel einem späteren Zeitpunkt folgen dann Eigenka-
of the Year 2014». Was ist ein «Business Angel»? pitalanleger, also die «Private Equity Investors».
Ein «Business Angel» hat zwei Flügel. Er inves-
tiert in ein Jungunternehmen und erhält dafür Welchen Bedarf der «Business Angels» decken Sie
eine Beteiligung, beispielsweise in Form von Ak- konkret?
tien. Und er unterstützt den Aufbau dieses Unter- Wir haben drei verschiedene Ansätze, je nach-
nehmens, indem er Kontakte vermittelt oder das dem, ob sie Neulinge sind und ein Portfolio
Management unterstützt. Mit unserer Erfahrung zusammenstellen möchten oder ob sie «Deal
helfen wir Start-ups, ihr Potenzial auszuschöp- Leader» oder «Coach» werden möchten. Zum
fen, zu expandieren und ihre Produkte zu ver- Beispiel können Neulinge für ein Jahr lang Mit-
kaufen. Diese Tätigkeit ist mit hohen Risiken ver- glied einer Gruppe von zehn bis zwanzig Per-
bunden. Es sollte nicht mehr als 2 bis 5 Prozent sonen werden, die von einem «Coach» geführt
des Vermögens so eingesetzt werden. wird. Alle legen Geld gemeinsam an. Sie treffen
dreissig bis vierzig Unternehmer – drei bis vier
Wie wird man «Business Angel»? pro Monat – und lernen, diese zu bewerten. Bei
Am Anfang werden im Sinne eines Lernprozes- allen Investments, die im Laufe dieses Jahres ge-
ses am besten kleine Summen investiert. Dafür tätigt werden, agiert einer der Teilnehmenden
gibt es Plattformen oder Netzwerke. Beispiels-
weise können Sie in unserem Netzwerk bereits ab
4000 Franken investieren. Sie werden von erfah- Zur Person
renen Leuten begleitet und erhalten durch Kurse Brigitte Baumann ist Mitgründerin und CEO der «Business
Angels»-Plattform Go Beyond Early Stage Investing mit
die notwendigen theoretischen Grundlagen.
Sitz in Zürich. Gleichzeitig ist sie Mitglied der Kommission
für Technologie und Innovation (KTI) und Verantwortliche
Als Chefin von Go Beyond Early Stage Investing für Diversity-Management. Als «Business Angel» ist die
bieten Sie Leistungen für «Business Angels» an. Be- gebürtige Französin in mehreren Investmentkomitees aktiv
und amtiert als Ehrenpräsidentin des europäischen «Business
raten Sie auch andere Kategorien von Anlegern? Angel»-Verbands. Baumann investiert bereits seit 2003 in
Es hängt auch davon ab, in welcher Entwick- Jungunternehmen. Für ihr Engagement wurde sie letztes Jahr
lungsphase sich das Start-up befindet: Die «Busi- mit dem Award «European Business Angel of the Year 2014»
ausgezeichnet. Im November 2016 zählte sie zu den 50 ein-
ness Angels» spielen ganz am Anfang eine Rolle.
flussreichsten Europäerinnen im Bereich Jungunternehmen
Danach übernehmen häufig Risikokapitalinves- und Risikokapital. Sie ist ausgebildete Chemieingenieurin und
toren, die sogenannten Venture Capitalists. Zu verfügt über einen MBA in Finanzen.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  33
START-UPS

als «Deal Leader», der die Gruppe vertritt. Er ist


Anlaufstelle für das Unternehmen und verfolgt
dessen Tätigkeit.

Ist diese Art von Investment gefragt?


Ja. Immer mehr Leute wollen in Start-ups inves-
tieren. Die «Business Angels» sind am besten
positioniert, um ihnen dabei zu helfen. Interes-
sierte merken schnell, dass solche Anlagen kom-
plex sind und sie von den Erfahrungen anderer
lernen müssen. Mehr als 60 Prozent unserer Mit-
glieder belegen entsprechende
Kurse. Bei den Frauen sind es
«Entscheidend für den sogar über 80 Prozent.
Erfolg eines Start-ups
ist der menschliche Gibt es viele Investorinnen?
Nein. In der Schweiz sind le-
Aspekt: das Individuum diglich 3 Prozent der «Busi-
und das Team.» ness Angels» Frauen, bei unse-
ren Mitgliedern sind es über
40 Prozent. Wir haben ein Umfeld geschaffen,
das Investorinnen und Unternehmensgründe-
rinnen anspricht.

Sie sind auch Verantwortliche für Diversität bei


der Kommission für Technologie und Innovation Kommission für Technologie und Innovation
des Bundes. Inwiefern ist dieser Aspekt wichtig? spielt auch in diesem Bereich eine Rolle. Wir ver-
Für die Innovation und das Unternehmertum ist mitteln auch Partnerschaften mit Hochschu-
es wichtig, dass ein bestimmter Sachverhalt aus len oder Anwaltskanzleien. Bekannt ist unsere
mehreren Blickwinkeln betrachtet wird. Das ist Gruppe auch wegen ihrer Kurse für Unterneh-
ein Vorteil für das Unternehmen, selbst wenn es mer. Interessierte informieren sich so über
nicht immer einfach ist. Es ist erwiesen, dass die unsere Finanzierungsmöglichkeiten.
Leute in einem diversifizierten Umfeld bessere fi-
nanzielle Entscheide fällen und sich wohler füh- Was ist Ihres Erachtens entscheidend für den Er-
len. Unser Netzwerk zählt Vertreter beider Ge- folg von Start-ups?
schlechter und aller Altersgruppen – zwischen Der wichtigste Aspekt ist der menschliche: das
30 und 80 Jahren – mit sehr vielfältigen Lebens- Individuum und das Team. Die Unternehmens-
läufen. Diversität ist im Umgang mit starken gründer müssen ihre Visionen, ihre Ausdauer
Unternehmerpersönlichkeiten nützlich. und ihre Leidenschaft unter Beweis stellen und
zeigen, dass sie mit bescheidenen Mitteln Ideen
Gehen Sie auf die Start-ups zu – oder kommen verwirklichen können. Das Produkt kommt da-
diese zu Ihnen? nach: Ist die Technologie innovativ? Gibt es
Beides. Unsere Mitglieder von Go Beyond kön- einen Markt dafür? Die Finanzierung folgt an
nen auf unserer Plattform und an monatli- dritter Stelle: Wie viel ist das Unternehmen
chen Treffen Jungunternehmen kennenler- wert? Braucht es einen oder mehrere Anleger?
nen. Das sind nicht die einzigen Begegnungen. Und welche Art von Beteiligung?
Es gibt «Demo-Days», das heisst Tage, an denen
die Anleger Unternehmer treffen, die an einem Und auf der Seite der Investoren?
Akzelerator-Programm oder einem Business- Diese müssen ein Portfolio aufbauen und ver-
plan-Wettbewerb teilgenommen haben. Die walten, das sowohl die Risiken als auch die Er-

34  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

folgschancen berücksichtigt. Deshalb sollten fällen. Bringen Sie mir bei, wie ich das mache,
sie in mindestens zehn bis zwölf Unternehmen obwohl ich die Unternehmen nicht kenne.»
investieren. Es ist wichtig, den Kontakt mit den
Unternehmen zu pflegen und in die, welche sich Viele Start-ups oder Kleinunternehmen gehen in
positiv entwickeln, weiter zu investieren. der Wachstumsphase ins Ausland, beispielsweise
in die USA. Können Sie dies bestätigen?
Mit welchen Renditen ist zu rechnen? Dazu habe ich keine Zahlen. Für mich hängt al-
Die Anlagerendite der Portfolios unserer Mit- les vom Start-up ab. Wenn es neue Technologien
glieder beträgt durchschnittlich 15 Prozent pro entwickelt, bietet die Schweiz ein ideales Um-
Jahr. Branchenstatistiken zeigen, dass von zehn feld. Es sind hier sehr viele Nationen vertreten,
Unternehmen vier «sterben» und die Investoren etwa an der ETH. Firmen können hier durchaus
alles verlieren. Vier weitere werfen nur geringe wachsen – vor allem durch das Internet – und
Renditen ab. Wirklich rentabel sind nur zwei In- sich auch aufkaufen lassen.
vestments. Deshalb müssen Anleger ein Portfo-
lio zusammenstellen und die Unternehmen be- Ist die Schweiz zu klein für neue Grossunter-
gleiten – und es braucht eine Portion Glück. Wer nehmen?
hätte voraussehen können, dass Uber innert Sicher muss ein Unternehmen in der Schweiz
fünf Jahren 68 Milliarden Dollar wert ist? aufgrund der geringen Grösse des Landes
schnell an Export denken. Das ist ein Vorteil,
Aktuell sind die Zinssätze niedrig. Wirkt dies als da schweizerische Start-ups sofort Technolo-
Motor für Investments? gien und Produkte entwickeln, die weltweit ver-
Das ist ein Faktor, viele potenzielle Investoren wendbar sind. Das Land ist ideal für innovati-
haben aber noch etwas Hemmungen, ihrem ve Unternehmen. Manchmal werden sie durch
Bankberater zu sagen: «Ich möchte Unterneh- einen internationalen Konzern aufgekauft, was
mer treffen, meine eigenen Anlageentscheide ihnen die erforderliche Reichweite verschafft.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  35
START-UPS

In diesem Fall müssen sie ihren Standort nicht Essen. In der Schweiz wird das Geschäft in kleinen
wechseln, denn diese Konzerne kennen die Schritten vorangetrieben. Wir müssen das Positi-
Schweiz sehr gut. Sie wissen, dass sie hier her- ve unserer Kultur bewahren.
vorragend qualifizierte Teams und neue Tech-
nologien finden. Finden Sie, dass es in der Schweiz zu wenig Risiko-
kapital gibt?
Wäre es möglich gewesen, dass Uber oder Face- Ja. In der Schweiz könnten mehr als 300 000 Per-
book in der Schweiz entstanden wären? sonen zwischen 10 000 und 200 000 Franken in-
Das Umfeld in den USA ist nicht dasselbe. Dort ist vestieren, um Jungunternehmen zu fördern. Ak-
es möglich, Unternehmen zu gründen, die innert tuell tun dies vielleicht 3000 bis 4000 Personen.
kürzester Zeit ein oder zwei Milliarden wert sind. In anderen Ländern sind das deutlich mehr. Die
Das zieht gewisse Unternehmer an. Fintech ist das erste Opfer dieses Finanzierungs-
defizits. Es ist traurig, dass Fintech-Firmen teil-
Ist der Unternehmensgeist in der Schweiz derselbe weise ins Ausland abwandern müssen, um für
wie in den USA oder anderswo? einen Wachstumsschritt die Finanzierungs-
Unsere Wirtschaftslandschaft besteht hauptsäch- tranche von 2 Millionen zu finden. In dieser
lich aus KMU. Der Unternehmergeist ist solide und Branche spielen einige mit dem Gedanken, nach
einer nachhaltigen Entwicklung förderlich. In den Grossbritannien zu gehen.
USA gibt es viel mehr Auf und Abs. Ich kenne je-
manden, der mehrmals ein Vermögen verdient und Ein Teil der politischen Welt möchte die Pensions-
Konkurs gemacht hat: Das bedeutet für ihn Unter- kassen in die Finanzierung von Jungunternehmen
nehmertum. Ein anderer musste sein 20-Millio- einbinden.
nen-Dollar-Haus verlassen und in eine winzige Für Start-ups sind die ersten 500 000 Franken
Wohnung ziehen – er hatte gerade noch genug zum meistens kein Problem. Schwieriger ist dann der

36  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


FOKUS

nächste Finanzierungsschritt von 2 bis 5 Millionen Investoren – vor allem, wenn sie grosse Risiken
Franken. Für Risikokapitalinvestoren sind diese in der Startphase eingehen – angemessene Unter-
Beträge zu gering. Aber es ist auch sehr schwierig, stützung und Schulungen in Anspruch nehmen
diese Beträge bei «Business Angels» in der Schweiz können. Dies motiviert die Leute, zu investieren.
aufzutreiben. Ich habe diese Erfahrung selber ge- Zuletzt ist es wichtig, die Profis zu unterstützen
macht: Obwohl sich mein Fintech-Unternehmen – Banken, Unternehmen oder Anwaltskanzleien.
gut entwickelt hat und Gewinn erwirtschaftet, ist Diese können die Start-ups enorm viel weiterbrin-
es nicht einfach, 2 Millionen Franken aufzutrei- gen.
ben. Bei Pensionskassen ist darauf zu achten, dass
sie nicht zu schnell zu viel Geld auf den Markt wer- Begünstigen unser Steuersystem und unsere Ge-
fen. Das muss langsam geschehen. setzgebung wirklich Investitionen in der Schweiz?
In gewissen Ländern wie Grossbritannien wer-
Angedacht ist, dass Pensionskassen einen Fonds den Investitionen steuerlich stark begünstigt: Es
gezielt für Start-up-Finanzierungen äufnen. Die sind mehr Abzüge möglich als
Einlagen sind jedoch in erster Linie für Rentenzah- in der Schweiz. Dieser Faktor
lungen bestimmt. ist wichtig, damit die Zahl der «Die Fintech ist
Ich bin einverstanden, für Start-ups mehr Finan- «Business Angels» – und damit das erste Opfer des
zierungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir sollten verbunden die Unternehmens-
aber nichts erzwingen. Die Pensionskassen sind finanzierungen – weiter steigt.
Finanzierungsdefizits.»
dazu da, die Renten zu sichern. Sie müssen frei Eine solche Gesetzgebung er-
entscheiden können. leichtert auch die Schaffung von Netzwerken
und Plattformen für Investments. In der Schweiz
Was halten Sie von staatlichen Fördermassnah- sollte beispielsweise die Gesetzgebung zur Betei-
men? ligungsfinanzierung revidiert werden. Wie in an-
Staatliche Ko-Investitionsfonds funktionieren in deren Ländern müssen Kleinanleger angespro-
vielen Ländern gut, zum Beispiel in Deutschland chen werden, die zusammenarbeiten und von
und Grossbritannien. In der Schweiz gibt es nichts erfahrenen Investoren lernen wollen. In der Fin-
dergleichen. Eine häufige Form sind Matching- tech-Branche müsste beispielsweise die Regu-
Fonds. Sie verfolgen «Business Angels» und deren lierung angepasst werden. Ansonsten wandern
Tätigkeiten. Eine Möglichkeit für Pensionskassen diese Firmen aus der Schweiz ab, wenn sie inter-
könnte auch darin bestehen, in traditionelle Risi- national expandieren wollen. Unser Land muss
kokapitalfonds für Start-ups zu investieren. ein globales Finanzzentrum bleiben.

Der Staat bietet auch Unterstützung. Zum Schluss: Könnten Sie uns einen besonders
Ja, für die Forschung und Entwicklung. In die- glücklichen Fall Ihrer Tätigkeit als «Business ­Angel»
sem Bereich sieht es gut aus, und es fehlt nicht an schildern? Ein Start-up, das Sie speziell geprägt
Unterstützung. Die Kommission für Technologie hat?
und Innovation engagiert sich stark in der Aus- Am meisten schätze ich es, wenn ich zusammen
bildung und der Begleitung von Start-ups und der mit anderen «Business Angels» in ein Start-up in-
Entwicklung des unternehmerischen Umfelds. vestieren kann, das eine überzeugende Innovation
hervorgebracht und ein begeistertes Team hat.
Wie könnte der Staat Jungunternehmer ermutigen? Wir helfen diesem Jungunternehmen dabei, sich
Grundsätzlich soll es einfach sein, ein Unterneh- weiterzuentwickeln, und im richtigen Moment
men zu gründen, Produkte zu exportieren, Leute verkaufen wir unsere Aktien mit einem schönen
einzustellen und zu entlassen: Hier ist die Schweiz Mehrwert. So können wir weiter in andere Start-
gut positioniert. Ausserdem müssen wir interna- ups investieren. In der Schweiz sind Lemoptix und
tionales Know-how anziehen. Das Steuersystem Sensima gute Erfolgsbeispiele.
ist so auszugestalten, dass es Unternehmer nicht
abschreckt. Zu überprüfen ist in diesem Zusam- Interview: Susanne Blank, Chefredaktorin
menhang die Vermögenssteuer. Zudem müssen «Die Volkswirtschaft»

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  37
DER STANDPUNKT

Cyrille Boinay
Co-Gründer, Geschäftsführer Märkte, Bcomp, Freiburg

«Die Hilfe bei einer Gründung ist


effizienter geworden»
Die Rahmenbedingungen für Start-ups sind in der Schweiz gut. Dies sagt Cyrille Boinay,
Co-Gründer des Freiburger Jungunternehmens Bcomp, gegenüber der «Volkswirtschaft».
Problematisch sei vielmehr die mangelnde Risikobereitschaft.

Herr Boinay, wie beurteilen Sie die Rahmen- Wie steht die Schweiz im internationalen Ver-
bedingungen in der Schweiz für Ihr Jung- gleich in Bezug auf Start-ups da?
unternehmen? Den grössten Unterschied sehe ich in der kul-
Die Rahmenbedingungen variieren zwar je nach turellen Einstellung zu Gründungen. In Ameri-
Kanton, aber im Allgemeinen sind sie wegen ka wird ein Misserfolg eines Start-
des hohen Ausbildungsniveaus, wegen der poli- ups als Erfahrung angenommen;
Bcomp – ultraleichte Natur-
tisch stabilen Lage und des herrschenden Wohl- die Gründungen werden als Ag- fasern aus Freiburg
stands eher als gut zu betrachten. In den letzten gregate betrachtet, und Investi- Auf dem ehemaligen Gelände der Brauerei
fünf Jahren haben sich insbesondere die regio- tionen werden viel schneller und Cardinal in Freiburg entwickelt das Start-up
nalen und nationalen Unterstützungsorgane in grösseren Volumen gesprochen. Bcomp ultraleichte Naturfasern, welche
verbessert: Die Hilfe bei einer Gründung ist ef- Der Geldfluss wird hingegen bei beispielsweise in Skiern und Surfboards
eingesetzt werden. Produziert werden
fizienter geworden. Nichterreichen von Meilensteinen die Verbundwerkstoffe in Deutschland,
auch sofort gestoppt. Reine Ver- England und Ecuador. Die 2011 von Cyrille
Wie können die Rahmenbedingungen ver- gleiche bringen aber nichts: Viel- Boinay und drei weiteren Sportliebhabern
gegründete Firma beschäftigt mittlerweile
bessert werden? mehr müssen wir unsere eigenen zehn Personen und wächst umsatzmässig
Neben dem relativ hohen Lohnniveau ist der li- Positionen und Gepflogenheiten im zweistelligen Bereich. Die Gewinn-
mitierte Zugang von ausländischen Fachkräften bezüglich Start-ups finden. Aber schwelle wurde letztes Jahr erstmals
zum Arbeitsmarkt sicherlich nicht optimal. Zu- dies kommt nur mit dem wirt- überschritten.
dem sollten Innovation und Technologien noch schaftlichen Erfolg der bereits
gezielter gefördert werden. Aber das grösste Pro- vorhandenen wissenschaftlichen Grundlagen.
blem sehe ich in einer gehemmten forschungs- Momentan gibt es in der Schweiz zwar einen
orientierten Gründer- und Unternehmerkultur. Start-up-Trend – dieser ist aber noch nicht
Denn: Ideen gibt es bei uns zuhauf – es mangelt nachhaltig in der Gesellschaft verankert.
jedoch an risikobereiten Jungunternehmern,
welche diese kommerziell erfolgreich umsetzen. Das Interview wurde schriftlich geführt.

Wie haben Sie Ihr Unternehmen finanziert?


In der Seeding-Phase durch Preise sowie Fremd­
kapital und im weiteren Schritt durch Eigenkapital.

38  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DER STANDPUNKT

Christoph Gebald
Dr. sc. ETH, Co-Gründer, Direktor Climeworks, Zürich

«Wichtig waren die Start-up-Wettbewerbe»


Der CO2-Filterapparat des ETH-Spinn-offs Climeworks hat nicht zuletzt dank Stiftungsgeldern
Gestalt angenommen. Entscheidend seien aber auch die qualifizierten Fachkräfte gewesen,
sagt Climeworks-Mitgründer Christoph Gebald gegenüber der «Volkswirtschaft».

Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen in Wie haben Sie Ihr Unternehmen
Climeworks – Zürcher Apparat
der Schweiz für Ihr Jungunternehmen? finanziert? saugt CO2 ab
Vom Aufbau bis heute waren die Rahmenbe- Climeworks ist finanziert durch Wie kann man CO2 effizient aus der
dingungen für Climeworks gut. Wir hatten Zu- Privatpersonen und die Zürcher Atmosphäre filtern? Diese Frage trieb die
gang zu Preisgeldern, Beratern und Investoren. Kantonalbank. Den Anschub liefer- beiden Ingenieure Jan Wurzbacher und
Christoph Gebald um, als sie das ETH-Spin-
Wichtig waren nicht zuletzt die Start-up-Wett- ten hauptsächlich Gelder der Ge-
off Climeworks vor rund sieben Jahren in
bewerbe sowie die qualifizierten Fachkräfte im bert-Rüf-Stiftung sowie Preisgelder Zürich gründeten. Mittlerweile hat das
Entwicklungsumfeld. Für das weitere Wachs- der beiden Start-up-Wettbewerbe Cleantechunternehmen etliche Filter-
tum sind wir jedoch auf zusätzliche Fachkräf- Venture Kick und De Vigier. apparate hergestellt und beschäftigt am
Standort Zürich rund 30 Mitarbeitende.
te vor allem im Bereich der Produktion angewie- Seit Mitte 2016 gibt es zudem eine Nieder-
sen. Diese sind vermehrt nur noch im Ausland Wie steht die Schweiz im inter- lassung in Dresden.
zu finden. nationalen Vergleich in Bezug auf
Start-ups da?
Wie können die Rahmenbedingungen ver- Aufgrund der ausgezeichneten Hochschulen, der
bessert werden? Förderinitiativen für Jungunternehmer und des Zu-
Bis vor Kurzem hätten wir die Besteuerung von gangs zu Investoren ist die Schweiz im internationa-
Start-up-Gründern im Kanton Zürich als signifi- len Vergleich wettbewerbsfähig. Da wir noch keine
kantes Verbesserungspotenzial vorgeschlagen. Firma von Grund auf im Ausland gegründet haben,
Die Finanzdirektion Zürich änderte die entspre- können wir diese Frage jedoch nicht abschliessend
chende Praxis jedoch kürzlich, womit bessere beantworten.
Rahmenbedingungen geschaffen wurden.
Das Interview wurde schriftlich geführt.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  39
DER STANDPUNKT

Johannes Gees
Co-Gründer und Partner, Wemakeit, Zürich

«Crowdfunding verlangt nach gesetzlichen


Anpassungen»
Der Mitgründer der Zürcher Crowdfunding-Plattform Wemakeit, Johannes Gees, sagt gegen-
über der «Volkswirtschaft», für Fintech-Unternehmen müsse die Regulierung angepasst
werden. Ein Pluspunkt für Start-ups in der Schweiz sei das gute industrielle Umfeld.

Herr Gees, wie beurteilen Sie die Rahmen- Wie steht die Schweiz im inter- Wemakeit – Crowdfunding
bedingungen in der Schweiz für Ihr Jungunter- nationalen Vergleich in Bezug als Geschäftsidee
nehmen? auf Start-ups da? Die Crowdfunding-Plattform Wemakeit.
Grundsätzlich positiv. Sowohl die Industrie als Wir haben mit dem Standort com ist auf Wachstumskurs: Seit der
auch die Politik interessieren sich zusehends für Schweiz sehr gute Erfahrungen Lancierung im Februar 2012 sind bereits
mehr als 2000 Projekte im Gesamtwert
Start-ups. gemacht. Ein Vorteil ist sicher das von rund 20 Millionen Franken über
industrielle Umfeld – insbesonde- die Website finanziert worden. Neben
Wie können die Rahmenbedingungen ver- re in der Finanz-, der Pharma- und Büros in Zürich, Basel und Lausanne ist
Wemakeit in Wien und Berlin präsent. Das
bessert werden? der Kreativbranche. Zudem ge-
von Johannes Gees, Rea Eggli und Jürg
Start-ups brauchen einen besseren Zugang zu Ri- langt man als Unternehmen in der Lehni gegründete Fintech-Unternehmen
siko- und vor allem Wachstumskapital. Vor allem Schweiz einfach an qualifiziertes beschäftigt sieben Festangestellte und
im Fintech-Bereich muss die Regulierung ange- Personal. Weitere Pluspunkte sind diverse Freelancer. Während ursprüng-
lich kulturelle Projekte im Vordergrund
passt werden: Die neuen digitalen Geschäftsmo- die Rechtssicherheit und der star- standen, findet Wemakeit immer stärkere
delle – Crowdfunding, Sharing-Economy – ver- ke Binnenmarkt. Es gibt aber auch Beachtung bei KMU und Start-ups.
langen nach gesetzlichen Anpassungen. Nachteile wie den beschränkten Die Plattform finanziert sich über eine
erfolgsabhängige Kommission.
Zugang zu Risikokapital und die
Wie haben Sie Ihr Unternehmen finanziert? hohen Lebenshaltungs- und Lohn-
Durch Eigenmittel, durch Fördergelder von Stif- kosten.
tungen und Institutionen sowie durch den Ver-
kauf von Softwarelizenzen. Das Interview wurde schriftlich geführt.

40  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


AUFGEGRIFFEN

Wie schafft man zahnlose


Gesetze wieder ab?
Der Entscheid schlug in den Medien wie eine kleine Sensation ein: Das eid-
genössische Parlament schaffte in der Herbstsession die für alle Hunde-
halter obligatorischen Kurse ab. Damit wird eine Regulierung zurück-
genommen, die acht Jahre zuvor im Zuge einer emotional getriebenen
«Hunderegulierung» eingeführt worden war. Mit ihr wollte man das
Risiko tragischer Bissunfälle vermindern. Eine Evaluation der Regelung
hat jüngst gezeigt, dass eine objektive Wirkung des Obligatoriums nicht
nachgewiesen werden kann.
In diesem Magazin wurde schon viel über die zunehmende Regulierungs-
dichte geschrieben. Darüber, wie man bestehende Regelungen wieder ab-
schafft, ist in der Öffentlichkeit hingegen wenig bekannt. Wie geht man
konkret vor, um Gesetze ohne Biss abzuschaffen? Reicht dazu ein formaler
Federstrich, oder ist es aufwendig, die Bürokratie zurückzufahren?
Im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kennen wir uns damit aus.
Ein Beispiel ist die verstaubte staatliche Investitionsrisikoversicherung,
die abgeschafft wurde. Ein alter Zopf einer früheren Konjunkturpolitik
waren auch die Arbeitsbeschaffungsreserven oder die Förderung von
Risikokapitalgesellschaften. Auf Ebene der gesamten Bundesverwaltung
gab es vor rund zehn Jahren auf parlamentarische Initiative hin sogar ein
Paket zur Entrümpelung des Bundesrechtes – gestützt auf kantonale Vor-
bilder. Der Bundesrat legte dem Parlament 2007 eine lesenswerte Vor-
lage vor, welche zur vollständigen Abschaffung von 31 Erlassen sowie der
Streichung von obsoleten Bestimmungen in 55 Erlassen führen sollte.
Beide Kammern nahmen die Vorlage einstimmig an.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  41
Verstaubte Gesetze wenig attraktiv für Politiker
Allerdings ist damit nicht gesagt, dass die Aufhebung von Regelungen
eine einfache Sache ist. Denn das Vorhaben stösst in der Regel auf
politischen Widerstand, weil Interessenvertreter von einer Regulierung
profitieren. Die Hundekursanbieter waren über die beschlossene Ab-
schaffung des Kursobligatoriums alles andere als erfreut. Zudem bieten
Rechtsbereinigungen den Politikern weniger Profilierungspotenzial als
die Neuformulierung von Gesetzen und Aktionsprogrammen. Und: Im
Vergleich zum Ausland fehlt es hierzulande an Initiative, auch die Bürger
– und nicht nur KMU – von unnötiger administrativer Last zu befreien.
Auch formal ist der Prozess kein Sonntagsspaziergang. Denn bei einer
Aufhebung einer Norm muss die Rechtshierarchie respektiert werden.
Mit anderen Worten: Ein Bundesgesetz wird durch ein Bundesgesetz auf-
gehoben oder geändert. Der Bundesrat muss dem Parlament demnach
eine Botschaft sowie ein Aufhebungsgesetz unterbreiten. Diese Vorlage
muss dann im gewohnten parlamentarischen Prozess debattiert und ent-
schieden werden. Etwas einfacher können Verordnungen aus der Welt
geschafft werden: Der Bundesrat kann sie selber aufheben.
So gesehen ist die Beendigung einer gesetzlich verankerten Regulierung
nicht einfacher als deren Kreation. Man kann sich deshalb fragen, ob
die Anreize für eine systematische Rechtspflege richtig gesetzt sind.
Allerdings könnte es sich der Gesetzgeber schon heute wesentlich ein-
facher machen: Es besteht die Möglichkeit, Gesetze und Verordnungen
zu befristen, falls sie nur zeitweilig auftretende Probleme angehen sollen
oder die Wirkung der Regulierung ungewiss ist. Es bleibt erstaunlich,
dass dieser Spielraum nicht regelmässiger genutzt wird.

Eric Scheidegger
Dr. rer. pol., Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik,
Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
eric.scheidegger@seco.admin.ch

42  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


WOHNEN

Alleine im viel zu grossen Haus


Fast zehn Prozent der Haushalte in der Schweiz schätzen ihr Wohnobjekt als zu gross ein, wie
eine empirische Analyse der Hochschule Luzern zeigt. Besonders gross ist das Reduktions-
potenzial bei älteren Hausbesitzern.   Katia Delbiaggio, Gabrielle Wanzenried

Eigenschaften signifikant von jenen Haus-


Abstract  Der steigende Schweizer Pro-Kopf-Wohnflächenkonsum ist unter anderem die Folge
halten, welche ihr Wohnobjekt nicht als
einer mangelhaften Übereinstimmung zwischen Wohnflächenkonsum und Wohnflächenbedarf:
Jeder zehnte Haushalt schätzt sein Wohnobjekt als zu gross ein. Im Hinblick auf die Reduktion
zu gross ansehen. Unter anderem verfü-
des Schweizer Wohnflächenkonsums ist es somit naheliegend, bei diesen Haushalten anzuset- gen erstere über ein höheres Einkommen,
zen. Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt: Faktoren wie Alter, Haushaltszusammensetzung sind älter, wohnen eher in einem Haus als
oder Eigentumsform erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Haushaltes, über subjektiv gesehen in einer Wohnung, sind eher Wohneigen-
zu viel Wohnfläche zu verfügen. Beim Einkommen hingegen ist kein solcher Effekt feststellbar. tümer als Mieter, wohnen günstiger und
Vor allem ältere Menschen schätzen ihren Wohnflächenkonsum als «zu gross» ein. Der Fokus sind weniger im urbanen Raum anzutref-
der Studie lag auf der Untersuchung der Ursachen; Massnahmen wurden nur im Sinne eines Aus- fen als jene Haushalte, die ihr Wohnobjekt
blicks skizziert. Lösungen könnten beispielsweise in Richtung Fachstellen gehen, welche Senio- als nicht zu gross betrachten.
ren bei der Wohnungssuche unterstützen und so zur Ausschöpfung des beträchtlichen Spar-
potenzials beitragen.
Ältere leben häufiger in
zu grossen Häusern

I  n den letzten Jahrzehnten ist der


Schweizer Wohnflächenkonsum über-
proportional zum Bevölkerungswachs-
Thema, da sie unter den gegebenen Rah­
menbedingungen nicht empfinden, über
«zu viel» Wohnraum zu verfügen. Diese
Interessanterweise unterscheiden sich je-
doch die Zügelabsichten der Haushalte mit
subjektiv gesehen zu viel Wohnraum nicht
tum gestiegen: Während 1980 jedem Ein- Haus­halte wären allenfalls nur mit spezi- signifikant von denjenigen der restlichen
wohner im Schnitt noch 34 Quadratmeter fischen Instrumenten wie Regulierungen Haushalte. Es stellt sich deshalb die Frage:
Wohnraum genügten, waren es 2014 be- oder Wohnflächenabgaben zu einem Um- Was sind die Faktoren, die zu dieser Diskre-
reits 45 Quadratmeter pro Person.1 Hinwei- zug in ein kleineres Wohnobjekt zu bewe- panz zwischen Wohnflächenkonsum und
se auf eine Verlangsamung dieses Trends gen. -bedarf führen?
sind zwar punktuell erkennbar – beispiels- Gleichzeitig gibt es aber auch Haushal- Anhand einer Regressionsanalyse3
weise beim Altbestand in der Stadt Zü- te, welche die beanspruchte Wohnfläche konnten die Faktoren identifiziert wer-
rich2 –, ein Ende der Zunahme ist aber vor- als «zu gross» empfinden. Diese Haushal- den, welche die Wahrscheinlichkeit be-
erst nicht absehbar. te würden einen Umzug in Betracht zie- einflussen, dass jemand subjektiv gese-
Treiber dieser Entwicklung sind einer- hen, falls die Vorteile daraus – zum Beispiel hen zu viel Wohnfläche konsumiert. Sie
seits demografische und gesellschaftli- eine altersgerecht eingerichtete Woh- zeigt: Die Höhe des Äquivalenzeinkom-
che Faktoren wie die Alters- und Haus- nung – mit möglichst wenig Hürden oder mens4 verändert die Wahrscheinlichkeit
haltsstruktur, die Wohnpräferenzen oder Nachteilen verbunden wären. Für die Ver- kaum, dass ein Haushalt sein Wohnob-
der zunehmende Wohlstand. Anderer- langsamung des wachsenden Wohnflä- jekt als zu gross beurteilt. Das Alter stellt
seits ist die zunehmende Wohnfläche pro chenverbrauchs ist es naheliegend, hier jedoch einen zentralen Einflussfaktor
Kopf auch die Folge einer mangelhaften anzusetzen: einerseits, weil diese Haushal- dar. So haben beispielsweise Haushalte
Übereinstimmung zwischen Konsum und te am ehesten zum Verzicht auf Wohnflä- mit einem über 80-jährigen Haushalts-
Bedarf, wie eine Studie der Hochschu- che bereit sind, und anderseits, weil damit vorstand im Vergleich zu Haushalten
le Luzern zeigt (siehe Kasten). So führt die die knappe Ressource Wohnfläche volks- mit einem unter 50-jährigen Haushalts-
Alterung der Bevölkerung im Rahmen des wirtschaftlich effizienter verteilt werden vorstand eine fast 4,5 Mal höhere Wahr-
demografischen Wandels beispielsweise kann. scheinlichkeit, in einem subjektiv gese-
dazu, dass immer mehr ältere Menschen in Bevor zielgerichtete Massnahmen er- hen zu grossen Wohnobjekt zu leben.
grossen Familienwohnungen leben, auch griffen werden können, muss man ermit- Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt
nachdem die Kinder ausgezogen sind. Ent- teln, wie viele und welche Haushalte ihren die Haushaltszusammensetzung: Fami-
sprechend wird der Wohnflächenkonsum Wohnflächenkonsum als zu gross emp- lien und Paare ohne Kinder haben im Ver-
über den Lebenszyklus, insbesondere in finden. Gemäss dem Schweizer Haushalt-­ gleich zu Einpersonenhaushalten eine
der zweiten Lebenshälfte, zu wenig dem Panel (SHP) schätzten im Jahr 2014 fast 10 rund halb so hohe Wahrscheinlichkeit,
Bedarf angepasst. Prozent der Haushalte ihre beanspruchte
Grundsätzlich ist für die meisten ein Wohnfläche als zu gross ein. Hochgerech- 3 Es wurde ein Logit-Modell verwendet, welches die
subjektive Einschätzung der Wohnobjektgrösse unter
Umzug in ein kleineres Wohnobjekt kein net auf alle Haushalte in der Schweiz, ent- gleichzeitigem Einbezug aller relevanten beobachtbaren
spricht dies rund 350 000 Haushalten. Determinanten der Wohnraumnachfrage erklärt.
4 Haushaltseinkommen gemäss Skos-Skala auf einen Ein-
1 BFS (2014a und b).
Diese Haushalte unterscheiden sich in personenhaushalt umgerechnet (Äquivalenzgrösse); zur
2 Rey (2015). Bezug auf eine Mehrheit von untersuchten Berechnung siehe Delbiaggio und Wanzenried (2016)

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  43
WOHNEN

ihr Wohn­objekt als zu gross einzuschät-


Empirische Analyse basiert auf T
­ elefoninterviews
zen. Auch die Nationalität ist ein signifi-
kanter Bestimmungsfaktor für die subjek- Die im Auftrag des Bundesam- tative Zufallsstichprobe von pri- dieser Datensatz mit Daten aus
tes für Wohnungswesen (BWO) vaten Haushalten in der Schweiz der Gebäude- und Wohnungssta-
tive Einschätzung der Wohnobjektgrösse: erstellte empirische Analyse der begleitet und deren Mitglieder tistik des Bundesamtes für Sta-
Bei einem Schweizer Haushaltsvorstand Hochschule Luzern (Delbiaggio hauptsächlich telefonisch inter- tistik (GWS) angereichert. Auch
ist die Wahrscheinlichkeit fast eineinhalb und Wanzenried, 2016) basiert viewt. In der vorliegenden Stu- für diesen Datensatz werden die
Mal so hoch wie bei einem ausländischen auf den Daten des Schweizer die werden die Daten für das Jahr Daten für das Jahr 2014 verwen-
Haushaltspanels (SHP). Es handelt 2014 verwendet mit insgesamt det mit insgesamt 41 834 Wohn-
Haushaltsvorstand. sich um eine jährlich wiederholte 5841 Haushalten. Für die Fallstu- objekten in der Stadt Luzern.
Aufschlussreich ist auch der Unter- Panelstudie, die eine repräsen- die über die Stadt Luzern wird
schied Haus oder Wohnung: Bei Häusern
ist die Wahrscheinlichkeit für ein zu gross
empfundenes Objekt 2,3 Mal so hoch wie Abb. 1: Subjektiver Bedarf vs. objektiver Konsum (Grossregionen)
bei Wohnungen. Auch der Umstand, ob je-
17,5
mand Eigentümer des Wohnobjektes ist BESCHEIDENE PRIVILEGIERTE
oder nicht, spielt eine wichtige Rolle und
erhöht die Wahrscheinlichkeit um den Fak- Tessin
Subjektiver Bedarf (Anteil mit Wohnobjekt zu gross, in %)

tor 1,6.
15

Unersättlich oder bescheiden?


Bei der Realisierung von Wohnraumein-
sparungen spielt auch der Zusammenhang 12,5

DELBIAGGIO UND WANZENRIED (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT


zwischen dem subjektiven Wohnflächen-
bedarf und dem objektiven Wohnflächen- Mittelland
konsum eine zentrale Rolle. Hier ist die Nordwestschweiz

Einteilung der Haushalte in Privilegierte,


Zentralschweiz Ostschweiz
Unersättliche, Bescheidene und Genügsa- 10
me hilfreich. Die Privilegierten konsumie-
ren überdurchschnittlich viel Wohnraum Genfersee

und sind auch überdurchschnittlich oft


Zürich
der Meinung, über zu viel Wohnraum zu
GENÜGSAME UNERSÄTTLICHE
verfügen. Die Unersättlichen haben zwar 7,5
einen überdurchschnittlichen Wohnraum- 1,95 2 2,05 2,1 2,15 2,2 2,25 2,30
konsum, empfinden diesen jedoch unter- Objektiver Konsum (Anzahl Zimmer pro Person)
durchschnittlich oft als «zu gross». Die
Bescheidenen: Sie haben einen unterdurch-
schnittlichen Wohnraumkonsum, subjektiv Abb. 2: Subjektiver Bedarf vs. objektiver Konsum (Kantone)
empfinden sie ihn aber überdurchschnitt-
20
lich oft als «zu gross». Schliesslich kon- BESCHEIDENE PRIVILEGIERTE
sumieren die Genügsamen unterdurch-
TI SO
schnittlich viel Wohnraum und sind auch SH
Subjektiver Bedarf (Anteil mit Wohnobjekt zu gross, in %)

unterdurchschnittlich oft der Meinung, 15


über zu viel Wohnraum zu verfügen. UR
OW
Am meisten Sparpotenzial ist bei den NW AG TG
Privilegierten vorhanden, da sie über- BE
durchschnittlich viel verbrauchen und JU
LU NE
sich dessen auch bewusst sind. Die Ka-
DELBIAGGIO UND WANZENRIED (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

10 GE
tegorie der Bescheidenen weist ebenfalls GR
VD VS SZ
ein gewisses Optimierungspotenzial auf. SG
TH
Da diese Haushalte jedoch bereits unter-
durchschnittlich konsumieren, ist das Ein-
sparungspotenzial im Vergleich zu den Pri-
5
vilegierten tendenziell auch kleiner.
Sowohl die sieben Grossregionen (sie- ZG
he Abbildung 1) als auch die Kantone (siehe AR
Abbildung 2) erweisen sich bei der Gegen- GENÜGSAME UNERSÄTTLICHE
0
überstellung von Wohnraumkonsum – ge- 1,9 2 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7
messen an der Anzahl Zimmer pro Bewoh- Objektiver Konsum (Anzahl Zimmer pro Person)
ner – und Wohnraumbedarf – gemessen
am Anteil Haushalte mit zu viel Wohnraum Aus darstellungstechnischen Gründen ohne AI und GL

44  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


WOHNEN

Ältere Einfamilienhausbesitzer
verfügen oft über mehr Wohn-
raum als nötig.
ALAMY

Demgegenüber ist der Platz in Wohn-


gemeinschaften – wie hier in Zürich –
vielfach knapp.
KEYSTONE
WOHNEN

– als ziemlich heterogen (die grauen Linien de- und Wohnungsstatistik empfinden in
stellen die Durchschnittswerte dar). der Stadt Luzern nur rund 6 Prozent der
Die Grossregionen Mittelland und Haushalte ihr Wohnobjekt als zu gross,
Nordwestschweiz gehören zur Kategorie was unter dem Schweizer Durchschnitt
der Privilegierten und weisen somit über- von 10 Prozent liegt. Verschiedene Luzer-
durchschnittlich viel Einsparungspoten- ner Quartiere gehören jedoch der Katego-
zial auf. Am wenigsten Reduktionspoten- rie der Privilegierten an und weisen somit
zial ist in der Region Genfersee zu finden, ein besonders hohes Sparpotenzial auf.
während das Tessin als einzige Region Katia Delbiaggio
Professorin für Volkswirtschaft und Regio-
mit einem überdurchschnittlichen Anteil Fachstellen und Plattformen nalökonomie am Institut für Betriebs- und
an Haushalten mit zu viel Wohnraum und Regionalökonomie der Hochschule Luzern
einem unterdurchschnittlichen Konsum
sinnvoll – Wirtschaft
zur Kategorie der Bescheidenen gehört. Die Ursachen für die mangelnde Überein-
stimmung zwischen Konsum und Bedarf
Genügsame Zürcher scheinen somit weniger beim Einkom-
men als vielmehr bei einer Reihe ande-
Auf kantonaler Ebene ist besonders viel rer Faktoren wie beispielsweise dem Al-
Reduktionspotenzial in den Kantonen ter, der Haushaltszusammensetzung oder
Schaffhausen, Solothurn und Thurgau der Eigentumsform zu liegen. Eine effi-
zu finden. Diese Kantone gehören zu den ziente Lenkung der Wohnflächenvertei-
Privilegierten und weisen klar überdurch- lung müsste daher weniger auf der finan-
schnittliche Werte sowohl bezüglich des ziellen Ebene als vielmehr direkt bei diesen
Konsums als auch bezüglich des Bedarfs Faktoren ansetzen. Fachstellen, die ältere Gabrielle Wanzenried
auf. Zu den Genügsamen mit wenig Re- Menschen bei der Suche nach einer neuen Professorin für Banking und Finance am In-
duktionspotenzial gehören insbesonde- Wohnung unterstützen, könnten beispiels- stitut für Finanzdienstleistungen Zug der
Hochschule Luzern – Wirtschaft
re Zug, die Waadt, das Wallis und Zürich. weise zur Ausschöpfung des beträcht-
In der Kategorie der Bescheidenen be- lichen Sparpotenzials dieser Haushalts-
kommt das Tessin Gesellschaft beispiels- gruppe beitragen. Auch lokal verankerte
weise von den Zentralschweizer Kanto- Wohnungstauschplattformen physischer Literatur
nen Uri, Obwalden und Nidwalden. St. oder virtueller Natur könnten helfen, ef- Bundesamt für Statistik BFS (2014a). GWS, Durch-
schnittliche Wohnfläche pro Bewohner nach
Gallen und Schwyz dagegen gehören der fizientere Wohnflächenverteilungen auf Zimmerzahl in den bewohnten Wohnungen. Tabelle
Kategorie der Unersättlichen an mit viel Quartierebene zu realisieren. Schliesslich T 9.3.2.12.
Bundesamt für Statistik BFS (2014b). GWS, Wohnfläche
Konsum, aber gleichzeitig vergleichswei- müssten Grösse, Ausstattung und Grund- pro Bewohner, Der Systemwechsel von 2000 auf
se geringem Bewusstsein darüber. riss des Wohnungsbestandes vermehrt an 2012. Mai 2014.
Delbiaggio, K., und G. Wanzenried (2016). Wohn-
Diese Heterogenität wird auch im Rah- demografische Trends wie die Alterung der flächenkonsum und Wohnflächenbedarf, Studie im
men einer Fallstudie für die Stadt Luzern Gesellschaft oder die Zunahme der Anzahl Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen BWO.
Rey, U. (2015). Trendwende beim Wohnflächen-
bestätigt: Gemäss den Hochrechnungen Zweipersonenhaushalte angepasst wer- konsum. Medienmitteilung der Stadt Zü­rich,
unter Einbezug der Daten aus der Gebäu- den.  Präsidialdepartement, vom 19.9.2015.

46  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Mit Vollgeld
gegen Bankenkrisen?

KEYSTONE
Es wäre eine Revolution für das Geldsystem der Schweiz: Die Vollgeld-­
Initiative verlangt, dass einzig die Nationalbank in der Schweiz Franken
emittieren darf. Bisher schafft diese nur einen Teil des Geldes. Ein weitaus
grösserer Teil wird als sogenanntes Buchgeld von den Geschäftsbanken
geschöpft und als Kredite vergeben. Gemäss den Initianten ist diese
exzessive Geldschöpfung der Banken für Blasenbildungen und
Wirtschaftskrisen mitverantwortlich. Das Geldschöpfungsverbot für die
Geschäftsbanken soll deshalb der Stabilität der Wirtschaft dienen und
gleichzeitig die Einlagen der Bankkunden sicherer machen.
Doch hält die Initiative, was sie verspricht? Darüber sind sich Ökonomen
uneinig. Sorgen bestehen etwa darüber, ob die Nationalbank in einem
Vollgeldsystem unabhängig bleiben könnte. Gemäss Professor
Dirk Niepelt sind die angestrebten Lösungen auch mit einfacheren und
effizienteren Mitteln zu erreichen. Doch für Professor Sergio Rossi greifen
diese Massnahmen nicht.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  47
VOLLGELD

Ein unnötiges und riskantes Experiment


mit vielen Unbekannten
Die Vollgeld-Initiative will eine Lösung aufzeigen für die Unsicherheiten in der Finanzwelt,
denen die Gesamtwirtschaft und die Bankkunden ausgesetzt sind. Auch wenn die Absichten
gut sind – die vorgeschlagenen Mittel sind der falsche Weg.   Sandra Daguet, Martin Baur

D  ie Volksinitiative «Vollgeld» fordert


eine tiefgreifende Reform unseres
Währungs- und Finanzsystems. Einer-
ben die Schweizer Behörden bereits ge-
eignetere und wirksamere Massnahmen
getroffen, um den Finanzsektor stabiler
unser Geld bei den Geschäftsbanken nicht
sicher sei. Die Tatsache, dass heute die
Geldschöpfung der Banken mit einer Er-
seits könnten Geschäftsbanken kein Geld zu gestalten. höhung von Schulden einhergeht, wird von
mehr durch die Kreditvergabe schaf- Die Volksinitiative «Für krisensicheres den Initianten ebenfalls als problematisch
fen. Girokonten von Privatpersonen und Geld: Geldschöpfung allein durch die eingestuft. Die Initiative verfolgt daher
Unternehmen würden aus der Bilanz der Nationalbank!», die besser bekannt ist als zwei Ziele: unser Geld krisensicher zu
Banken ausgegliedert werden und mit sogenannte Vollgeld-Initiative, wurde am machen und das Risiko neuer Finanz-
Notenbankgeld hinterlegt. Andererseits 1. Dezember 2015 eingereicht. Hinter der krisen einzudämmen. Konkret schlägt
könnte die Schweizerische Nationalbank Initiative steht der überparteiliche Ver- die Vollgeld-Initiative zwei fundamentale
Geld «schuldfrei» schaffen und an Bund, ein Monetäre Modernisierung (MoMo). Änderungen vor. Einerseits soll alles für
Kantone und Bevölkerung verteilen. Ziel Die Initiative entstand vor dem Hinter- Zahlungen verwendete Geld, einschliess-
der Initianten ist es, unser Geld sicherer grund der Finanzkrise und der Staats- lich des Buchgeldes (siehe Definitionen in
zu machen und neue Finanzkrisen zu ver- schuldenkrise Ende des letzten Jahr- Tabelle), ausschliesslich durch die National-
hindern. Die Annahme der Initiative wür- zehnts. Die Initianten sehen in der hohen bank emittiert werden. Andererseits soll
de zu grossen Unsicherheiten für den Geldschöpfung durch das Bankensystem
Finanzsektor und die Volkswirtschaft eine wesentliche Ursache dieser Krisen. Die Vollgeld-Initiative verhindert Investitionen,
führen. Seit der Finanzkrise von 2007 ha- Ausserdem vertreten sie die Ansicht, dass wo sie erwünscht wären: Baustelle der Wohn­
siedlung «Zollfreilager» in Zürich.

KEYSTONE

48  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

das Geld «schuldfrei» geschaffen und banken ausgegliedert und vollständig Die Geldschöpfung durch die Ge-
direkt zu den öffentlichen und privaten durch Guthaben bei der SNB hinterlegt. schäftsbanken kommt der Schweizer
Haushalten transferiert werden. Dies hätte den Vorteil, dass die Guthaben Wirtschaft zugute. Sie erlaubt es, In-
auf den Sichtkonten im Falle eines allfäl- vestitionen zu finanzieren, ohne auf die
Absolutes Geldschöpfungs- ligen Konkurses der Geschäftsbank ge- verfügbaren Ersparnisse beschränkt
schützt sind. Die Banken wären folglich zu sein. Die Geschäftsbanken agieren
monopol der Nationalbank nicht mehr in der Lage, durch Kreditver- dabei als Finanzdienstleister für Privat-
Im Vollgeld-System würden die Sicht- gabe Geld zu schaffen, wie sie dies heute personen und Unternehmen. So können
konten aus den Bilanzen der Geschäfts- tun (siehe Kasten). Investitionen umgesetzt und Projekte
entwickelt werden, die ohne Darlehen der
Banken nicht möglich wären. Das Voll-
Die Geldschöpfung heute geld-System würde diese Funktion ein-
schränken, da die Banken nicht mehr
Schöpfung von Notenbankgeld Geldschöpfung durch die Die Geschäftsbanken müssen
Die SNB kann bei den Geschäfts- ­Geschäftsbanken nicht zwingend neues Geld in der Lage wären, die Sichteinlagen
banken Fremdwährungen gegen Die Geschäftsbanken vergeben schaffen, um Kredite zu ver- ihrer Kunden zur Finanzierung von In-
Schweizer Franken kaufen, die Kredite an Haushalte und Unter- geben. Sie können die Einlagen vestitionen zu verwenden. Dies könnte
sie zu diesem Zweck schöpft. So nehmen. Wenn eine Bank einen ihrer Kundschaft nutzen, die nicht nur zu einer Kreditklemme führen,
kann auch die Liquidität in der Kredit vergibt, schreibt sie den nicht verwendet werden («Ein-
Wirtschaft erhöht werden. Das entsprechenden Betrag als Einlage lagen schaffen Kredite»). Dabei sondern auch zu Verlusten für die Banken.
ist eines der Instrumente, die die auf einem Konto im Namen des übertragen sie Ressourcen Zwar könnte die Nationalbank den Ge-
SNB heute einsetzt, um den Druck Kunden gut (Schöpfung von Buch- von Personen, die sparen, auf schäftsbanken bei Bedarf Geld leihen.
auf den Franken zu verringern (Er- geld). Die Geschäftsbanken können Personen mit Finanzierungs-
Doch das bedeutete, dass die Geld- und
höhung des Frankenangebots, um Kredite vergeben, ohne dass ihnen bedarf. In diesem Zusammen-
seinen Wert zu senken). zwingend die entsprechenden hang spricht man auch von die Kreditmenge zentralisiert verwaltet
Die SNB kann Repogeschäfte Beträge oder ein Teil dieser Fristentransformation, da es sich würden, was marktwirtschaftlich nicht
(umgekehrte Pensionsgeschäfte) Beträge zur Verfügung stehen. um üblicherweise kurzfristige, vereinbar ist. Zudem können die Ge-
mit den Geschäftsbanken ab- Sie schaffen neues Geld mit einem liquide Spareinlagen und lang-
schliessen. Es handelt sich dabei Buchungssatz. Man sagt «Kredite fristige Darlehen handelt.
schäftsbanken die mit der Kreditver-
um Geldmarktkredite der SNB an schaffen Einlagen» oder, wie es im Derzeit erfolgt die Geld- gabe verbundenen Risiken am besten be-
die Geschäftsbanken. Die SNB ver- englischen Original heisst: «loans schöpfung weder durch urteilen.
wendet dieses Instrument derzeit make deposits». Am Anfang der Repogeschäfte noch durch Kredit- Entgegen der Behauptung der
nicht. Geldschöpfung stehen folglich vergabe (zu geringe Nachfrage),
Privatpersonen oder Unter- sondern durch den Kauf von
Initianten können die Banken nicht un-
nehmen, die Güter (ein Haus, eine Fremdwährungen. begrenzt Geld schaffen. Die Kreditmenge
Maschine usw.) erwerben wollen. hängt von mehreren Faktoren ab. Sie wird
etwa durch geldpolitische Bedingungen
(Zinssätze), durch die konjunkturab-
Definitionen rund um die Währung hängige Nachfrage nach Krediten (Zins-
Währung Die Währung wird häufig durch ihre drei Funktionen definiert:
sätze, Zukunftsperspektiven) und recht-
Recheneinheit (zum Berechnen der gehandelten Waren), Zahlungs- liche Vorgaben (Mindestreservesätze bei
mittel (zum Bezahlen der Waren, Tauschmittel) und Wertauf- der SNB und Liquidität für die Banken,
bewahrungsmittel (zum Sparen). Eigenmittelanforderung für den Kredit-
Sichteinlage oder Sichtkonto Kontokorrent, im Gegensatz zum Sparkonto. Ein gewöhnliches nehmer) begrenzt. Schliesslich ver-
Konto, das in der Regel für den Zahlungsverkehr bestimmt ist. geben die Banken Kredite nur nach einer
Giroguthaben bei der SNB Inländische Geschäftsbanken halten auf ihren Girokonten bei der fundierten Risikoüberprüfung und haben
SNB Giroguthaben als Sichtguthaben. Diese Sichtguthaben gelten ein Interesse daran, dass diese Kredite
als gesetzliches Zahlungsmittel. Die Nachfrage der Geschäftsbanken
zurückgezahlt werden.
nach Giroguthaben stammt aus den gesetzlichen Liquiditätsvor-
schriften und aus dem Bedarf nach Arbeitsguthaben im bargeldlosen
Zahlungsverkehr zwischen den Banken (SIC-System). Finanzierung der öffentlichen
Notenbankgeld Die Notenbankgeldmenge entspricht der Summe von Notenumlauf Haushalte führt zu Inflation
und Giroguthaben inländischer Geschäftsbanken bei der SNB. Zur
Bezeichnung der Notenbankgeldmenge werden mitunter die Be- Die zweite fundamentale Änderung,
griffe Geldmenge M0 oder monetäre Basis verwendet. welche die Initiative anstrebt, ist die
Buchgeld Buchgeld ist im Gegensatz zu Bargeld (Banknoten und Münzen) ein «schuldfreie» Geldschöpfung und die
Guthaben, das auf Bank- oder Postkonten geführt wird. Es besteht Verteilung des neu geschöpften Geldes
aus Einlagen der Geschäftsbanken bei der SNB (sogenannten Giro-
guthaben) und Publikumseinlagen von Nichtbanken (Haushalten,
an Bund, Kantone und Bevölkerung. Dem
Unternehmen usw.) bei Geschäftsbanken. Geld, das heute durch die SNB geschaf-
fen wird, stehen Aktiven in Form von De-
Gesetzliche Zahlungsmittel Es handelt sich um die auf Franken lautenden Münzen, Banknoten
und Sichtguthaben bei der SNB. Gesetzliche Zahlungsmittel müssen visenanlagen und Gold gegenüber. Es
grundsätzlich unbeschränkt an Zahlung genommen werden, ausser handelt sich also um eine Bilanzbuchung.
es ist vertraglich etwas anderes vereinbart worden. Geld «schuldfrei» herzustellen – wie es
Im Vollgeld-System würde das Buchgeld auf unseren Sichtkonten die Initiative vorschlägt –, bedeutet, dass
ebenfalls zu Notenbankgeld werden, also zu einem gesetzlichen
Zahlungsmittel.
auf der Aktivseite keine Gegenleistung
ausgewiesen wird, was zu einer Lücke in

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  49
VOLLGELD

der Bilanz führt. Dieser Vorschlag ist so- und Vermögensblasen nicht verhindern. bestehen Regelungen zum Einlegerschutz,
wohl aus buchhalterischer als auch aus Vermögensblasen entstehen durch die die den gleichen Zweck verfolgen. Damit
konzeptioneller Sicht nicht haltbar. Unterschätzung von Risiken durch Ban- die Existenzgrundlage eines Bankkunden
Das Gesetz verbietet der SNB heute, ken, Haushalte und Firmen sowie durch im Falle eines Bankkonkurses nicht ge-
die Ausgaben der öffentlichen Haushalte falsche und übertriebene Preiserwartun- fährdet wird, gelten 100 000 Franken pro
zu finanzieren. Die strenge Trennung von gen. Diese Ursachen würden durch ein Kunde und Bank als privilegierte Einlage
Finanz- und Gelpolitik hat zwei grosse Vor- Vollgeld-System nicht berührt werden. und sind folglich geschützt.
teile: Einerseits vermeidet sie eine über- Zweitens würde ein Vollgeld-System zwar Zusammenfassend kann festgehalten
mässige Erhöhung der Geldmenge sowie den Zahlungsverkehr sicherstellen und so werden, dass die Vollgeld-Initiative ihre
eine galoppierende Inflation. Anderer- einen wichtigen Anlass für eine staatliche Ziele nicht erreichen kann. Die Initiative
seits garantiert sie die Unabhängigkeit Bankenrettung beseitigen. Trotzdem kann wäre ausserdem mit hohen Unsicher-
der SNB, welche die Grundvoraussetzung es sein, dass der Staat eine Bank aus ande- heiten und potenziell hohen Kosten für
für eine effiziente Geldpolitik ist. Im Voll- ren Gründen retten muss. Eine Bank könn- den Finanzsektor und die Volkswirtschaft
geld-System würde die SNB unter erheb- te beispielsweise im Kredit- oder Spar- verbunden. Bei Annahme dieser Initiative
lichen Druck der Politik geraten, damit einlagengeschäft eine grosse Bedeutung würde die Schweiz eine weitgehende und
sie die öffentlichen Haushalte finanziert. haben oder stark mit dem inländischen unerprobte Reform des Währungs- und
Die Geschichte hat gezeigt, dass eine Bankensystem vernetzt sein. Drittens Finanzsystems der Schweiz im nationalen
enge Beziehung zwischen Regierung und würde ein Vollgeld-System zwar Bankruns Alleingang und mit ungewissem Ausgang
Zentralbank zu hohen Inflationsraten auf Zahlungsverkehrskonten, nicht je- umsetzen.
führt.1 Um eine inflationäre Entwicklung doch auf andere Kontoarten wie Sparein-
und die damit einhergehenden Probleme lagen oder Termingelder verhindern kön-
zu verhindern, verfügen Zentralbanken nen.
über eine grosse Unabhängigkeit gegen- Die Initianten stellen zu Recht fest, dass
über den Regierungen. Aus diesem Grund das Finanzsystem und der Bankensektor
wurde ihnen auch die direkte Staats- eine Fragilität aufweisen, die zu Finanz-
finanzierung verboten. und Wirtschaftskrisen führen kann. Dieser
Problematik muss jedoch mit effizienteren
Andere effizientere Mittel tragen Massnahmen begegnet werden, die Sandra Daguet
unserer Wirtschaft weniger schaden. Dr. rer. pol., Ökonomin, Bereich Ökonomi-
zur Finanzstabilität bei Der Bundesrat hat entsprechende Mass- sche Analyse und Beratung, Eidgenössische
Die Initianten der Vollgeld-Initiative stel- nahmen im Zuge der Finanzkrise von Finanzverwaltung (EFV), Bern
len eine Verbesserung der Finanzstabili- 2007 ergriffen: schärfere Liquiditäts-
tät in Aussicht. So würde ein Vollgeld-Sys- und Kapitalvorschriften für Banken, zu-
tem aus ihrer Sicht zu einer Verhinderung sätzliche spezielle Anforderungen für
von Finanzblasen beitragen, und der Staat systemrelevante Banken (Too-big-to-fail
müsste keine Banken und kein Geld auf Regulierung) usw.
Zahlungsverkehrskonten mehr retten. Ein Die Initiative hat schliesslich zum Ziel,
Vollgeld-System hält jedoch nicht alle die- das Geld der Bankkunden, genauer gesagt
se Versprechen. Erstens könnte die Ini- ihre Sichteinlagen, vor Verlusten aufgrund
tiative die Entstehung von Kreditzyklen eines Bankenkonkurses zu schützen.
Andere Guthaben, insbesondere in Form Martin Baur
1 Siehe Bernholz, P. (2003). Monetary Regimes and von Spargeldern, sind jedoch nicht von Dr. rer. soc. oec., Leiter Ökonomische Ana-
Inflation: History, Economic and Political Relationships. lyse und Beratung, Eidgenössische Finanz-
Cheltenham. UK and Northhampton, MA, USA, Edward
der Vollgeld-Reform betroffen und wären
verwaltung (EFV), Bern
Elgar. daher auch nicht geschützt. Bereits heute

50  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Kosten eines Vollgeld-Systems sind hoch


Eine Umsetzung der Vollgeld-Initiative würde grossen Schaden anrichten und dürfte im Ergeb-
nis selbst die Initianten enttäuschen. Verbesserungen verspricht dagegen eine «sanfte» Reform:
die Einführung von elektronischem SNB-Geld für alle.   Dirk Niepelt

D   ie Vollgeld-Initiative sieht grundlegende


Änderungen der Bundeskompetenzen
in Geld- und Währungsangelegenheiten vor.
schöpfen dürften. Abgesehen von Münzen
würde alles Geld, auch Buchgeld, von der
SNB emittiert und wäre somit Notenbank-
Geld- und Kreditangebots vermeiden, die
Finanzstabilität stärken und Geldschöp-
fungsgewinne angemessener verteilen.
Sie verlangt insbesondere, dass nur noch geld. Haushalte und Firmen hätten ebenso Doch einer kritischen Betrachtung hält
der Bund Buchgeld schaffen darf und die Zugang zu elektronischem Notenbankgeld diese Einschätzung nur sehr beschränkt
Schweizerische Nationalbank (SNB) neues wie Banken, für die dies heute schon gilt. stand.
Geld anhand von Transfers an Bund, Kantone Bankkredite würden durch längerfristiges
oder Bürger in Umlauf bringt. Fremd- oder Eigenkapital und nicht mehr Geld- und Kreditangebot
Dies hätte eine klare Trennung von Ver- durch Sichtguthaben finanziert. Dies hät-
antwortlichkeiten zur Folge: Die SNB allein te zwar keine mechanischen Auswirkun- In einem Vollgeld-System würden Anpas-
würde den Bestand an Zahlungsmitteln gen auf die gesamtwirtschaftliche Erspar- sungen des Geldangebots ausschliess-
kontrollieren, und die Geschäftsbanken nisbildung, könnte aber Anlageentscheide lich durch die SNB vollzogen. Wie von den
würden zu blossen Intermediären, da sie und Transaktionskosten und somit mittel- Initianten betont, wäre daher tatsäch-
selber kein Buchgeld («Giralgeld») mehr bar Ersparnis und Investitionen beeinflus- lich ausgeschlossen, dass Banken exzes-
sen. siv und volatil Geld und Kredit schöpfen.
Nach Ansicht seiner Befürworter wür- Ebenso ausgeschlossen wären aber auch
Der Präsident des Vereins Monetäre Modernisierung
Hansruedi Weber (Mitte) und zwei verkleidete Akti-
de ein Vollgeld-System Störungen des erwünschte Schwankungen des Geld-
visten reichen im Dezember 2015 bei der Bundeskanz-
lei die Unterschriften für die Vollgeld-Initiative ein.

KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  51
VOLLGELD

angebots, beispielsweise in Reaktion auf ben die Kunden besser- oder schlechter- Banken und ihre Kunden könnten das
kurzfristige Veränderungen der Geldnach- stellen würde, ist unklar. Da Kunden heute Verbot privat emittierter Sichtgutha-
frage. Um den Wegfall des elastischen keine Wahl zwischen Banken- und SNB- ben zu unterlaufen versuchen, indem sie
Geldangebotes durch Banken zu kompen- Buchgeld haben, geben die beobachte- zum Beispiel Anteile an Geldmarktfonds
sieren, müsste die SNB rascher und drasti- ten Portfolioentscheide diesbezüglich als Zahlungsmittel einsetzen. Würde dies
scher agieren als heutzutage. Zudem wür- kaum verlässliche Hinweise. Zusätzlich untersagt, wäre festzulegen, ob das Ver-
de es für sie schwieriger, die Geldmenge erschwert wird die Bewertung dadurch, bot auch den direkten Abtausch von
bei Bedarf zu reduzieren. Denn analog zu dass Sichtguthaben im herrschenden Sys- Fondsanteilen oder Transaktionen ohne
den vorgesehenen Transfers bei Geldmen- tem indirekt durch die Allgemeinheit sub- Beteiligung einer Bank betrifft etc. Zuneh-
genausweitungen müssten bei Geldmen- ventioniert werden (siehe Kasten). mend komplexere Regelungen und ihre
genreduktionen Steuern zum Einsatz kom- Schwachstellen dürften zahlreiche Juris-
men. Die resultierende Vermischung von Geldschöpfungsgewinne ten und Investmentbanker beschäftigen.
Geld- und Steuerpolitik würde die Stabili- Auch das Problem kontraproduktiver,
tät gefährden, zumal die SNB ihre Geldpoli- Geld erleichtert die Abwicklung von sich selbst erfüllender Erwartungen dürf-
tik nur noch an der Geldmenge und nicht Transaktionen. Anleger halten es daher te ein abrupter Systemwechsel nicht aus
mehr am Zins ausrichten könnte. trotz seiner tiefen (häufig gar keiner) Ver- der Welt schaffen. Die jahrzehntelang kul-
Schon heute stehen Instrumente wie zinsung, und dies macht Geldschöpfung tivierte Überzeugung, von Banken emittier-
der Mindestreservesatz zur Verfügung, profitabel. In einem Vollgeld-System wür- tes Geld sei «sicher», liesse sich nicht ein-
um die Geldschöpfung durch Geschäfts- den Geldschöpfungsgewinne bei jenen fach vergessen machen. Wenn Banken und
banken zu begrenzen. Sollte die SNB die- anfallen, denen die SNB das neu in Um- viele ihrer Kunden wie beschrieben Umge-
se Instrumente unangemessen einsetzen, lauf gebrachte Geld «schenkt». Die Fest- hungsversuche unternähmen, dann sähe
dann lässt sich darauf zielgerichteter re- legung des Verteilungsschlüssels und der sich die SNB in einer Krise immer noch zum
agieren als mit einer Geldreform, die der Geldmengenwachstumsrate dürfte daher Eingreifen gezwungen, obwohl die Idee
SNB zusätzliche Verantwortung überträgt politische Konflikte provozieren, und dies des Vollgeld-Systems dies eigentlich aus-
und gleichzeitig ihre Arbeit erschwert. könnte eine stabilitätsorientierte Geld- schliesst. Der faktische Zwang zu impliziten
politik unterminieren. Garantien bliebe bestehen, bis ein breiter
Finanzstabilität Die Geschäftsbanken könnten in Bewusstseinswandel dahin gehend statt-
einem funktionierenden Vollgeld-System gefunden hätte, dass Geld nicht gleich No-
Sichtguthaben wären in einem Vollgeld- kein Geld mehr schöpfen und daher auch tenbankgeld ist und kein Anspruch auf Aus-
System Notenbankgeld. Wie von den In- nicht von einer Marge zwischen Kredit- tausch des einen gegen das andere besteht.
itianten betont, wären sie daher keinem und Sichtguthabenzins profitieren. Falls
Illiquiditäts- oder Ausfallrisiko mehr aus- Letztere im herrschenden System eine Elektronisches Notenbankgeld
gesetzt. Die Gefahr konventioneller «Bank- implizite Subvention widerspiegelt, wür-
Runs» und damit verbundener Störungen de das Verbot der Geldschöpfung eine Im Kampf gegen Steuerhinterziehung und
des Zahlungsverkehrs wäre gebannt, und Preisverzerrung beseitigen und die Effi- Wirtschaftskriminalität verbieten viele
gegebenenfalls könnte sogar die Einlagen- zienz steigern. Dasselbe Ergebnis könnte
sicherung und im Gegenzug die Bankenre- aber einfacher mithilfe einer Lenkungs-
gulierung verschlankt werden. steuer erreicht werden. Zinsmarge als indirekte Subvention
Da die vollkommen sicheren und li- Im herrschenden System ist die SNB in Ob die Zinsmarge im herrschenden System
quiden Sichtguthaben nicht mehr zur Fi- Krisenzeiten erpressbar (siehe Kasten), und eine implizite Subvention widerspiegelt, hängt
nanzierung des Bankgeschäfts beitrügen, dies schafft einen Teufelskreis sich selbst wesentlich vom Verhalten der Schweizerischen
würden sie aber tiefer verzinst, oder die erfüllender Erwartungen. Auch ein neues Nationalbank (SNB) ab. Wenn viele Kunden
gleichzeitig ihre Sichtguthaben abheben wollen,
Bankkunden müssten höhere Gebühren Geldsystem könnte diesen Teufelskreis nur dann können Banken die versprochene Liquidität
tragen. Jeglicher etwaig vorhandene ge- durchbrechen, wenn es die Geldschöpfung nur zur Verfügung stellen, wenn die SNB sie mit
sellschaftliche Nutzen des Liquiditäts- der Banken robust unterbinden oder die Notenbankgeld-Darlehen in ausreichender Höhe
managements durch Banken ginge verlo- Erpressbarkeit beseitigen könnte. Beides versorgt. Berechnet sie dafür Strafzinsen, die
den gesellschaftlichen Kosten Rechnung tragen,
ren. Darüber hinaus wäre die Stabilität des scheint zumindest kurzfristig illusorisch. dann bleibt das Verursacherprinzip gewahrt.
Bankensystems keineswegs garantiert. Andernfalls ist es verletzt — unabhängig davon,
Denn Bankgläubiger mit anderen Forde- Umsetzung ob Banken die Ersparnisse an ihre Kunden weiter-
rungen als Sichtguthaben könnten wei- geben, zum Beispiel indem sie die Konditionen
im Einlagengeschäft verbessern —, und die Zins-
terhin einen «Run» auf Finanzinstitute Unklar an der Initiative ist, wie das Verbot marge reflektiert eine staatliche Subvention.
auslösen, wie dies in der jüngsten Finanz- der Geldschöpfung durch Banken über- Einiges deutet darauf hin, dass Letzteres
krise geschah. Gänzlich beseitigen liessen haupt um- und durchgesetzt werden der Fall ist. Weil breite Bevölkerungskreise und
wichtige Marktakteure heute auf implizite
sich die Illiquiditätsrisiken im Bankensek- könnte. Zunächst wäre zu definieren, wann
Garantien vertrauen und entsprechend agieren,
tor allein durch eine fristenkongruente es sich bei einer Forderung um «Geld» han- zieht ein Abseitsstehen der SNB im Krisenfall
­Finanzierung des Kredit- und Investment- delt. Dies ist schwierig, denn nicht allein die erhebliche wirtschaftliche und soziale Ver-
geschäfts, also durch eine Abschaffung Eigenschaften eines Objekts verleihen ihm werfungen nach sich. Faktisch wird die SNB
und damit die Allgemeinheit somit gezwungen,
von Banken im traditionellen Sinn. Geldcharakter; auch Erwartungen, Markt- in Krisenzeiten das in sie gesetzte Vertrauen
Ob ein Vollgeld-System mit ausfallsi- bedingungen und Kontext beeinflussen, ob zu rechtfertigen und dafür auch die Kosten zu
cheren, aber tiefer verzinsten Sichtgutha- ein Vermögenswert Geldfunktionen erfüllt. tragen.

52  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Staaten Bargeldtransaktionen grösseren Die positiven Wirkungen eines Vollgeld- einlagen bei der SNB investiert sind und
Umfangs. Wer keinen Zugang zu elektro- Systems liessen sich gezielter mit weniger für elektronische Zahlungen genutzt
nischem Notenbankgeld hat, wird dadurch einschneidenden Massnahmen erreichen. werden können. Dass derartige Angebo-
indirekt zum Bezahlen mithilfe von Sicht- Auch der Zugang des Publikums zu elekt- te nicht schon heute existieren, bedeu-
guthaben bei Geschäftsbanken gezwun- ronischem Notenbankgeld liesse sich öff- tet nicht, dass für sie keine Nachfrage
gen. In der Schweiz ist die Regulierung nen, ohne damit eine Abschaffung von besteht. Möglich ist vielmehr auch, dass
zwar nicht so weit fortgeschritten, aber Sichtguthaben bei Banken zu verbinden. Banken ihr subventioniertes Geschäft
im Ergebnis ist die Situation für Haushal- Verbesserungen gegenüber dem Sta- mit konventionellen Sichteinlagen nicht
te und Firmen ähnlich: Das gesetzliche tus quo und einem Vollgeld-System durch die Einführung des neuen Pro-
Zahlungsmittel wird seinem Anspruch auf brächte ein Arrangement mit sich, in dem dukts gefährden wollen.
universelle Einsetzbarkeit nur noch be- das Publikum die Wahl zwischen tradi- In einer freiheitlichen Gesellschaft ent-
schränkt gerecht. tionellen Sichtguthaben und elektro- scheidet die Nützlichkeit des Geldes darü-
In einem funktionierenden Vollgeld- nischem Notenbankgeld hat. Auf neue ber, ob es als Zahlungsmittel nachgefragt
System wäre diesem unbefriedigenden Regulierung könnte dann verzichtet wer- wird, und somit auch, ob der Staat Ver-
Zustand ein Ende gesetzt, da alle Sicht- den. Die universelle Einsetzbarkeit des änderungen des Geldangebots zur Errei-
guthaben Notenbankgeld wären. Doch gesetzlichen Zahlungsmittels wäre ge- chung wirtschaftspolitischer Ziele nutzen
auch diesbezüglich schiesst die Initiative währleistet. Und Banken und ihre Kun- kann. Angesichts neuartiger Geldformen
über das Ziel hinaus. Denn eine Öffnung den könnten die Vorteile von Sicht- und Zahlungskanäle muss es im Interes-
des Zugangs zu elektronischem Noten- guthaben nutzen, wo dies sinnvoll ist. se der Schweiz liegen, die Attraktivität des
bankgeld erfordert nicht, dass anderes Längerfristig böte das Arrangement auch Frankens als Zahlungsmittel zu erhalten.
Giralgeld verboten wird. Kunden könnte die Chance, einen gesellschaftlichen Be- Eine Liberalisierung des Zugangs zu elek-
vielmehr die Wahl gelassen werden zwi- wusstseinswandel auszulösen und das tronischem Notenbankgeld würde dazu
schen traditionellen Sichtguthaben einer- Geldsystem mit seinen Akteuren aus den beitragen – die Einführung von Vollgeld
seits und elektronischem Notenbankgeld Fesseln sich selbst erfüllender Erwartun- nicht.
andererseits. Erstere wären nur teilwei- gen zu befreien. Denn je mehr Anleger
se durch Guthaben der Geschäftsbanken sich für die Nutzung von elektronischem
bei der SNB gedeckt und würden im Nor- Notenbankgeld mit seiner maximalen Si-
malfall Zins tragen; Letzteres wäre Noten- cherheit und Liquidität entscheiden wür-
bankgeld oder vollständig durch solches den, desto stärker würde der vermeint-
gedeckt und würde tiefere oder negative liche Anspruch auf staatliche Garantien
Nettoerträge abwerfen. für Sichtguthaben bei Banken hinter-
fragt. Der Druck auf die SNB würde wei-
Dem Kunden die Wahl lassen chen, und der beschriebene Teufelskreis Dirk Niepelt
gehörte der Vergangenheit an. Direktor Studienzentrum Gerzensee, Stif-
Zusammengefasst lässt sich sagen: Ein Eingeführt werden könnte elektroni- tung der Schweizerischen Nationalbank;
Vollgeld-System könnte – wenn überhaupt sches Notenbankgeld für das Publikum Professor für Makroökonomie, Universi-
tät Bern
– nur sehr aufwendig um- und durchge- auf zwei Arten.1 Die SNB könnte gegen
setzt werden. Die SNB hätte in ihm mehr Gebühr Zahlungsverkehrskonten und
Verantwortung und Macht als heutzuta- einfache damit verbundene Dienstleis- Literatur
James Tobin (1985). Financial Innovation and
ge, wäre aber auch wesentlich stärkerem tungen anbieten. Oder Finanzinstitute ­Deregulation in Perspective, Institute for Monetary
Druck ausgesetzt. Das operative Geschäft mit Zugang zur SNB könnten Sonderver- and Economic Studies, Bank of Japan.
der SNB würde erschwert, und ihre tradi- mögen anbieten, die vollständig in Sicht- Dirk Niepelt (2015). Notenbankgeld für alle?, Neue
Zürcher Zeitung, 20. Februar.
tionell stabilitätsorientierte Geldpolitik Dirk Niepelt (2016). Elektronisches Notenbankgeld ja,
wäre gefährdet. 1 Tobin (1985). Vollgeld nein, Neue Zürcher Zeitung, 16. Juni.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  53
VOLLGELD

Mehr finanzielle Stabilität dank der


Vollgeld-Initiative
Für die Funktionsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems ist Geld von zentraler Bedeutung. Die
Vollgeld-Initiative lanciert eine notwendige Diskussion über die Frage, wie sich eine weitere
systemische Finanzkrise verhindern lässt.   Sergio Rossi

D  ie finanzielle Stabilität steht im


Zentrum der eidgenössischen
Volksinitiative «Für krisensicheres Geld:
Geldschöpfung hauptsächlich durch die
Geschäftsbanken. Das von der Zentral-
bank geschaffene Geld entspricht nur
Beitrag zur Steigerung des Nationalein-
kommens, welches das Ergebnis der Pro-
duktion von Gütern und Dienstleistun-
Geldschöpfung allein durch die National- einem geringen Prozentsatz der Geld- gen ist.
bank!», die auch als Vollgeld-Initiative menge. Wie kürzlich Wissenschaftler der Die Schaffung von Buchgeld ist daher
bekannt ist. Für das reibungslose Bank of England erläutert haben, geht oftmals gleichbedeutend mit einer Infla-
Funktionieren des Wirtschaftssystems ist das Geschäftsbankengeld – das auch als tionslücke zwischen der Gesamtgeldmenge
diese Stabilität von ausschlaggebender Buchgeld bezeichnet wird, da es aus Bu- und den auf dem Markt verfügbaren Gütern
Bedeutung. chungen in der doppelten Buchführung und Dienstleistungen. Diese Inflationslü-
der Banken resultiert – auf Kredite zu- cke lässt sich mit dem Konsumentenpreis-
Weit grösserer Anteil rück, welche die Geschäftsbanken den index nicht feststellen, da der zugrunde lie-
Wirtschaftsteilnehmern zur Abwick- gende Bankkredit für die Abwicklung von
ist Buchgeld lung ihrer Transaktionen gewähren.1 In Finanztransaktionen verwendet wird.2 Der
Im Gegensatz zur Überzeugung eines den meisten Fällen beziehen sich diese resultierende Inflationsdruck wirkt sich auf
Grossteils der Bevölkerung und insbe- Transaktionen auf die Finanzmärkte. Die die Kurse der an den Finanzmärkten gehan-
sondere auch der Ökonomen erfolgt die Finanzmarktakteure leisten dabei keinen delten Vermögenswerte aus, deren Anstieg
weitgehend auf gewährte Bankkredite zu-
Die Kaufkraft des Geldes wird durch die Löhne in 1 McLeay et al. (2014). Siehe auch Rossi (2007) und
rückzuführen ist. Die Kurssteigerungen
der Realwirtschaft bestimmt – nicht durch das Binswanger (2015). entsprechen somit nicht der Entwicklung
Buchgeld der Banken. des tatsächlichen Werts der zugrunde lie-
genden Aktiven. Dasselbe gilt auf dem
Markt der realen Vermögenswerte. Ein gu-
tes Beispiel dafür ist die Immobilienblase in
den Vereinigten Staaten, die nach zweifel-
haften Praktiken im Bereich der Hypothe-
karkredite («Subprime» und andere) im Jahr
2006 geplatzt ist.

Umkehr der Kausal­


zusammenhänge
Das Hauptproblem besteht somit im Kau-
salzusammenhang zwischen den von den
Banken vergebenen Krediten und den Ein-
lagen ihrer Kunden. Im Allgemeinen wird
davon ausgegangen, dass Banken als Fi-
nanzintermediäre zwischen Sparern und
Kreditnehmern fungieren. Mit anderen
Worten wird angenommen, dass sich aus
Bankeinlagen Kredite ergeben.3 Die Voll-
geld-Initiative zeigt jedoch auf, dass der
Bankensektor keine vorgängigen Sparein-
lagen benötigt, um den Wirtschaftsakteu-
ren ­– also den Unternehmen, den privaten
KEYSTONE

2 Siehe Rossi (2015).


3 Siehe Werner (2016).

54  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Haushalten und dem öffentlichen Sek- verlangte, ihre Buchführung durch die Bil- nicht dem Wert des Gegenstands, der als
tor – Kredite zu gewähren. Bereits Joseph dung von zwei Abteilungen zu optimieren. physischer Träger verwendet wird.
Schumpeter hatte festgehalten, dass Bank- Während die eine Abteilung jegliche Geld- Heutzutage liegt das auf der Hand:
kredite zu Einlagen bei den Banken füh- schöpfung zu verzeichnen hatte, musste Die Kaufkraft des Buchgeldes ergibt
ren und dass die Geschäftsbanken damit die andere Abteilung die gewährten Kre- sich nicht aus den in der Bankbuchhal-
bei der Geldschöpfung in jedem Land eine dite erfassen. Ein solches System soll- tung eingetragenen Beträgen, da diese in
wichtige Rolle spielen.4 te auf alle Geschäftsbanken angewandt wirtschaftlicher Hinsicht keinen Wert ha-
Aus diesem Grund können die gelten- werden. Denn damit lässt sich eine ex- ben. Dasselbe gilt für die herkömmliche
den Regelungen – wie Basel III und die hö- zessive Geldschöpfung durch inflationis- Erklärung der Kaufkraft des Geldes: Es
heren Eigenkapitalanforderungen für sys- tische Kredite verhindern. David Ricardo, genügt nicht, durch ein Gesetz oder eine
temrelevante Banken («too big to fail») auf dessen Vorschläge diese Strukturre- gesellschaftliche Konvention zu bestim-
– eine neuerliche Finanzkrise nicht verhin- form zurückging, hatte dies wie folgt er- men, dass die betreffende Kaufkraft be-
dern. Denn das Problem liegt bei der Geld- klärt: «Die Bank of England realisiert zwei steht, damit dies auch objektiv der Fall
schöpfung durch die Geschäftsbanken. verschiedene Bankgeschäfte, zwischen ist. Die Kaufkraft des Geldes ergibt sich
denen nicht zwangsläufig ein Zusammen- ausschliesslich aus den Objekten, die auf
Keine von der Realwirtschaft hang besteht: Zum einen erzeugt sie Geld, irgendeinem Markt zum Kauf angebo-
und zum andern verleiht sie Geld in Form ten werden. Für diese Erklärung müssen
losgelösten Kredite von Darlehen an Geschäftsleute und an- das Geld und die Produktion miteinander
Die Finanzkrise von 2008 beeinträchtigt dere Wirtschaftsakteure. […] Diese Ge- verbunden werden. Denn die Kaufkraft
die Volkswirtschaften nach wie vor, und schäftsfälle können von zwei verschiede- wird durch Lohnzahlungen generiert.
dieser Zustand wird noch mehrere Jahre nen Stellen durchgeführt werden, ohne Dank den aus diesem Anlass geschaffe-
anhalten. Es wäre viel zu einfach, die Ursa- den geringsten Verlust für die Nation oder nen Geldeinheiten kann die Produktion
chen nur beim Verhalten der Finanzmarkt- die Kreditnehmer.»5 in wirtschaftlicher Hinsicht objektiv er-
akteure oder der Regulierungsbehörden fasst werden. Die Gesamtheit dieser Löh-
zu suchen. Die Vollgeld-Initiative legt den Geld ist kein Tauschobjekt ne entspricht dem makroökonomischen
Schwerpunkt auf die strukturelle Ursache Nettoeinkommen.
der weltweiten Finanzkrise. In der Bank- Um die Notwendigkeit einer solchen Die Strukturreform, die zur Gewähr-
buchhaltung werden die Geldschöpfung Strukturreform zu verstehen, muss man leistung der finanziellen Stabilität um-
und die Finanzintermediation auf gefährli- zuerst das Wesen des Geldes, den Ur- zusetzen ist, muss folglich darauf abge-
che Weise miteinander vermischt. Auf die- sprung seiner Kaufkraft und den Me- stimmt sein, dass die Gesamtgeldmenge
se Weise verursachen die Geschäftsbanken chanismus der Geldschöpfung begrei- zum grössten Teil aus Buchgeld besteht.
Kreditblasen, deren Ausmass das gesam- fen. Wenn man die Geschichte und die Die Vollgeld-Initiative lanciert eine not-
te Wirtschaftssystem beeinträchtigt. Die Entwicklung des Geldes Revue passie- wendige Diskussion, damit die entspre-
Initiative will daher die Banken daran hin- ren lässt, kann man seinen rein numeri- chende Strukturreform vor der nächsten
dern, für Finanzmarktgeschäfte Kredite zu schen Charakter erfassen, unabhängig Finanzkrise realisiert werden kann. Dies
gewähren, die keinerlei Bezug zur Real- davon, ob das Geld von der Zentralbank ist der bedeutendste Aspekt der Initiative.
wirtschaft haben. Sie sollen nur Kredi- oder von einer Geschäftsbank geschaffen
te vergeben können, die mit vorgängigen wird. Geld dient eigentlich nur dazu, den
Spareinlagen finanziert werden. Denn nur rein wirtschaftlichen Wert von O ­ bjekten
mit der Produktion von Gütern und Dienst- zu messen, die auf irgendeinem Markt ge-
leistungen kann dem vom Bankensystem tauscht werden. Es ist a priori kein Tausch-
geschaffenen Geld Kaufkraft verliehen objekt, sondern lediglich ein Mittel, um
werden. die im Wirtschaftssystem getauschten
Mit dem Bank Charter Act von 1844 Objekte numerisch zu messen. Demzu-
wurde im Vereinigten Königreich eine Re- folge entspricht die Kaufkraft des Geldes
form umgesetzt, die von der Zentralbank Sergio Rossi
5 Ricardo (1824/1951), S. 276, freie Übersetzung. Siehe Ordentlicher Professor für Makroökonomie
Schmitt (1984, S. 192–209), Rossi (2013) und Bradley und Geldwirtschaft, Universität Freiburg
4 Siehe Schumpeter (1954, S. 1110–17). (2015).

Literatur
Binswanger, M. (2015). Geld aus dem Nichts: Ricardo, D. (1842). Plan for the Establish- Stellian, R. (Hrsg.). New Contributions to Schumpeter, J.A. (1954). History of
Wie Banken Wachstum ermöglichen ment of a National Bank. Text abgedruckt Monetary Analysis: The Foundations of an Economic Analysis, London, George Allen
und Krisen verursachen, Weinheim, in: Sraffa, P. und Dobb, M.H. (Hrsg.). The Alternative Economic Paradigm, London, & Unwin.
Wiley-VCH. Works and Correspondence of David Routledge, 2013, S. 185–202. Werner, R.A. (2016). A Lost Century in
Bradley, X. (2015). Bank Act of 1844, Ricardo, Volume IV: Pamphlets and Papers Rossi, S. (2015). Structural Reforms in Economics: Three Theories of Banking
in L.-P. Rochon und S. Rossi (Hrsg.). 1815–1823, Cambridge, Cambridge Uni- Payment Systems to Avoid Another and the Conclusive Evidence, Inter-
The Encyclopedia of Central Banking, versity Press, 1951, S. 276–300. Systemic Crisis, Review of Keynesian national Review of Financial Analysis, 46,
Cheltenham, Edward Elgar Publishing, Rossi, S. (2007). Money and Payments in Economics, 3:2, 2015, S. 213–225. 2016, S. 361–379.
2015, S. 21–22. Theory and Practice, London, Routledge. Schmitt, B. (1984). Inflation, chômage
McLeay, M., Radia, A. und Thomas, R. (2014) Rossi, S. (2013). Money, Banks, and et malformations du capital, Paris und
Money Creation in the Modern Economy, Payments: the Structural Factors of Albeuve, Economica und Castella.
in: Bank of England Quarterly Bulletin, Financial Instability and Systemic Crises,
54:1, S. 14–27. in: Ülgen, F., Tortajada, R., Méaulle, M. und

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  55
15. Mai 2017 The New
KKL Luzern
GLOBAL
b u c
abat
herr 017
Früh Januar 2
t RA
RACE
ACE
20 %
1.
bis 3

www.europaforum.ch

Edwin Barbara Klaus Martin Christoph Daniel


Eichler Kux Lorenz Naville M. Schmidt Vasella
VR-Präsident Schmolz Verwaltungsrätin General Manager CEO Swiss-American Präsident der ehemaliger CEO
+ Bickenbach Firmenich, Engie, Heberlein Chamber of deutschen und VR-Präsident
Henkel, Total, Umicore Commerce Wirtschaftsweisen Novartis

Hauptpartner Firmen-Netwerk
DOSSIER

Handelskontrollen
von Dual-Use-Gütern

KEYSTONE
Die Schweiz engagiert sich gegen die Verbreitung von Massen­­­ver­
nichtungswaffen und gegen destabilisierende Anhäufungen konventio-
neller Waffen in Krisengebieten. Sie hat in Absprache mit anderen
Ländern für gewisse Gütergruppen Handelskontrollen angeordnet und
sich international verpflichtet, bestimmte chemische Werke inspizieren
zu lassen. Der Kontrolle sogenannter Dual-Use-Güter kommt dabei eine
grosse Bedeutung zu. Sie können sowohl für zivile als auch für
militärische Zwecke eingesetzt werden.
Dual-Use-Produkte sind vielfältig: Sie reichen von Werkzeugmaschinen
über biologische, chemische und nukleare Güter bis zu Gütern der Luft-
und Raumfahrttechnik. Zählt man alle Gütergruppen, die solche
Dual-Use-Produkte beinhalten, zusammen, machen sie wertmässig über
70 Prozent des Schweizer Exportvolumens aus. Diese Zahl zeigt: Um den
Warenverkehr nicht unnötig zu behindern, müssen die Dual-Use-­
Kontrollen so effizient wie möglich ausgestaltet sein. Der Bund setzt bei
den Exporteuren deshalb auch auf Anreize zur Selbstkontrolle.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  57
HANDELSKONTROLLE

Dual Use: Zivil und militärisch


verwendbare Güter
Die Schweiz ist zwischenstaatlich gehalten, den Handel mit sogenannten Dual-Use-Gütern zu
kontrollieren, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Davon sind mehr
als 70 Prozent des gesamten wertmässigen Exportvolumens potenziell betroffen.  
Patrick Edgar Holzer

D  er Zweck der Handelskontrolle von


Dual-Use-Gütern ist zum einen die
Bekämpfung der Weiterverbreitung und
staaten, die Weiterverbreitung und Wei-
tergabe von nuklearen, chemischen und
biologischen Waffen (ABC-Waffen2) mit-
der die Weiterverbreitung von Kernwaffen
unterbinden will, strebt das Raketentech-
nologie-Kontrollregime die Harmonisierung
Weitergabe (Proliferation) von Massen- tels Exportkontrollen zu bekämpfen. der Exportkontrollen von Trägerraketen
vernichtungswaffen. Zum anderen soll Darüber hinaus hat die Schweiz auch für ABC-Waffen an. Die Australiengrup-
so eine destabilisierende Anhäufung von den Atomwaffensperrvertrag sowie die pe wiederum versucht sicherzustellen,
konventionellen Waffen in Krisengebie- Chemie- und Biologiewaffenüberein- dass Güterausfuhren nicht zur Entwick-
ten verhindert werden.1 kommen unterzeichnet. Dual-Use-Gü- lung von chemischen und biologischen
ter dürfen somit nicht im Rahmen von Waffen beitragen. Die Vereinbarung von
Internationale Dual-Use-­ Massen­vernichtungswaffenprogrammen Wassenaar schliesslich geht in ihrer Ziel-
verwendet werden. Aus diesem Grund en- setzung über die Verhinderung der Proli-
Vereinbarungen gagiert sich die Schweiz in Exportkontroll- feration von ABC-Waffen hinaus. Sie will
Die Resolution 1540 des UNO-Sicher- vereinbarungen mit jeweils unterschied- insbesondere verhindern, dass die Liefe-
heitsrates verpflichtet alle Mitglieds- lichem Teilnehmerkreis (siehe Kasten): rung von Dual-Use-Gütern zu einer mili-
Während die Gruppe der Nuklearlieferlän-
1 Diese Zielsetzung spiegelt sich in den Gründen, die zur
Verweigerung von Bewilligungen führen können und Dual Use in der Raumfahrttechnik: Zivile Träger-
sich in Art. 6 GKG (siehe Fussnote 4), verdeutlicht in Art. 2 Der Begriff «ABC-Waffen» ist in Art. 2 Abs. 1 der GKV rakete «Ariane 5» der Europäischen Weltraum-
6 GKV (siehe Fussnote 10) finden. (siehe Fussnote 10) definiert. organisation ESA (links) und ballistische Rakete
in Nordkorea.

KEYSTONE

58  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Exportkontrollregime mit Schweizer Mitgliedschaft Dual-Use-Güter haben be-


–– Gruppe der Nuklearlieferländer Königreich, Italien, Japan und Iran-Irak-Krieg. Das Ziel ist die
deutenden Anteil am Export
(NSG): 1975 aus dem «London die USA mit dem Ziel, die Ver- Verhinderung der Weiterver-
In der Schweiz sind die chemisch-phar-
Club» hervorgegangen. Ver- breitung von unbemannten breitung von chemischen und
öffentlichung der NSG-Richt- Trägersystemen für Massen- biologischen Waffen. Die AG mazeutische Industrie und die Werkzeug-
linien im Jahr 1978. Auslöser vernichtungswaffen zu ver- umfasst 42 Mitglieder. maschinenindustrie besonders von den
war der erste Nuklearwaffen- hindern. Die Mitgliedsstaaten –– Vereinbarung von Wassenaar staatlichen Kontrollen betroffen. Dies ist
test Indiens im Jahr 1974 in der verpflichten sich, Raketen- (WA): gegründet 1996 in
Erkenntnis, dass Nuklear- systeme mit einer Nutzlast Wassenaar zur Ablösung des
ein bedeutender Teil der Schweizer Ex-
technologie, welche zur über 500 kg und einer Reich- Koordinationsausschusses portindustrie: Im Jahr 2015 beliefen sich
friedlichen Nutzung exportiert weite von mehr als 300 km für multilaterale Ausfuhr- die Exporte der chemisch-pharmazeuti-
wird, missbraucht werden sowie Ausrüstung, Software kontrollen. Das Ziel ist die Ver- schen Industrie auf 84,7 Milliarden Fran-
kann. Das Ziel der NSG ist die und Technologie hierzu nur hinderung der konventionellen
Unterbindung der Weiterver- mit der allergrössten Zurück- Aufrüstung eines Staates in
ken, im Bereich der Maschinen, Appara-
breitung von Kernwaffen. Die haltung zu exportieren. Das einem Mass, das zu einer er- te und Elektronik auf 31 Milliarden und im
NSG umfasst 48 Mitglieder. MTCR umfasst 35 Mitglieder, höhten regionalen Spannung Bereich der Präzisionsinstrumente auf 14,5
–– Raketentechnologie-Kontroll- darunter neu auch Indien. oder Instabilität führt oder Milliarden Franken.11
regime (MTCR): gegründet –– Australiengruppe (AG): ge- einen bewaffneten Konflikt
1987 durch Kanada, Deutsch- gründet 1985 infolge des Ein- verschärft. Das WA umfasst Beim Export von Gütern unter den in
land, Frankreich, Vereinigtes satzes chemischer Waffen im 41 Mitglieder. der GKV genannten Zolltarifkapiteln muss
entweder eine Exportbewilligung einge-
holt oder in der Zollanmeldung der Hin-
tärischen Aufrüstung mit destabilisieren- übrigen Dual-Use-Güter betrifft, so kann weis «bewilligungsfrei» aufgeführt wer-
der Wirkung führt.3 der Bundesrat zur Umsetzung der in den den.12 Dies betraf im Jahre 2015 wertmässig
vorerwähnten Exportkontrollvereinbarun- 71,5 Prozent des Gesamtexportvolumens.
Dual-Use-Güter im Schweizer gen beschlossenen Massnahmen Bewilli- Wie die Handelskontrollen mit Dual-Use-
gungs- und Meldepflichten einführen und Gütern ausgestaltet werden, ist damit für
Recht Überwachungsmassnahmen anordnen.8 Er die Schweizer Wirtschaftsakteure von
Die gesetzliche Grundlage für die Han- bestimmt sodann, welche Güter der Güter- grosser Bedeutung. 
delskontrolle von Dual-Use-Gütern findet kontrollgesetzgebung zu unterstellen sind.9 11 Insgesamt betrug das Aussenhandelsvolumen in diesem
sich in der Schweiz im Güterkontrollgesetz Die Chemiewaffenübereinkommen und Zeitraum 279 Milliarden Franken. Abrufbar unter
(GKG).4 Was Chemikalien betrifft, setzt der die Exportkontrollvereinbarungen enthal- Bfs.admin.ch.
12 Artikel 17 Absatz 3 GKV.
Bundesrat die Vorgaben der vorerwähnten ten Listen von Dual-Use-Gütern, die durch
Chemiewaffenübereinkommen mittels der die jeweiligen Mitgliedsstaaten zu kont-
Chemikalienkontrollverordnung (ChKV)5 in rollieren sind. Der Inhalt dieser Listen fin-
das Schweizer Recht um.6 Gestützt auf die- det sich in der ChKV und in den Anhängen
se gesetzliche Grundlage, hat der Bundes- 1–3 zur Güterkontrollverordnung, welche
rat auch Ausführungen über Inspektionen in diesem Jahr totalrevidiert wurde und am
durch die Organisation für das Verbot Che- 1. Juli 2016 in Kraft getreten ist.10 Die Liste
mischer Waffen (OPCW) erlassen.7 Was die der Dual-Use-Güter umfasst dabei neun
Kategorien, die von Werkstoffen über Elek-
3 Siehe dazu den nachfolgenden Artikel von Jürgen tronikgüter bis hin zu Schiff- und Raum-
Böhler-Royett Marcano und Seraina Frost.
4 SR 946.202. fahrttechnik führt. Patrick Edgar Holzer
5 ChKV, SR 946.202.21. Dr. iur., Rechtsanwalt, Leiter Ressort
6 Artikel 4 GKG. 8 Artikel 5 GKG. ­E xportkontrollpolitik Dual-Use, Staats­
7 Siehe dazu den nachfolgenden Artikel von Dominic 9 Artikel 2 Abs. 2 GKG. sekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
Béchaz. 10 GKV, SR 946.202.1.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  59
HANDELSKONTROLLE

Anreiz zur Selbstkontrolle beim Export


von Dual-Use-Gütern
Werden bestimmte Exportgüter nur zivil oder auch militärisch verwendet? Das zu überprüfen,
ist schwierig und muss jährlich an die Entwicklungen in den Industriezweigen angepasst
werden. Der Bund setzt dabei auch auf Eigenverantwortung und firmeninterne Kontrollen.  
Jürgen Böhler-Royett Marcano, Seraina Frost

D  ual-Use-Güter können sowohl zivil


als auch militärisch verwendet wer-
den. In der Schweiz bestehen für diese
oder dafür bekannt sind, solche Güter an
kritische Empfänger in Drittländern wei-
terzuleiten.
bringen oder technische Experten beizie-
hen. So setzt es sich beispielsweise seit
den letzten sechs Jahren aktiv für eine Än-
Gütergruppe deshalb sogenannte Export- derung des Kontrolltexts im Bereich der
kontrollen. Ein Ziel dieser Kontrollen ist Internationale Verhandlung der Werkzeug­maschinen ein. Eine Herausfor-
die Verhinderung der Weiterverbreitung derung dabei ist die Doppelunterstellung
von Massenvernichtungswaffen, wobei
Güterlisten unter zwei verschiedene Regime. Denn
die Schweizer Industrie im Fokus von Be- Welche Güter den Exportkontrollen unter- wegen ihrer Applikation in der konventio-
schaffungen steht. So versuchte 2011 zum liegen, wird in den verschiedenen interna- nellen Aufrüstung sind Werkzeugmaschi-
Beispiel eine für das Chemiewaffenpro- tionalen Exportkontrollregimen entschie- nen einerseits durch die Vereinbarung von
gramm verantwortliche staatliche Einrich- den, bei denen die Schweiz mitmacht. Wassenaar (WA) kontrolliert. Wegen ihrer
tung in Syrien dreimal, Laboraus­rüstung Diese basieren auf nationalen Vorschlägen. Kapazität zur Herstellung von Nuklearwaf-
von einem Schweizer Unter­ nehmen zu Das bedeutet, dass jeder Mitgliedsstaat fengütern listet sie aber auch die Gruppe
kaufen. Beim ersten Versuch sollten die die Möglichkeit hat, einen Vorschlag im der Nuklearlieferländer (NSG) auf. Durch die
Güter an eine Tarnfirma in Syrien geliefert Gremium einzubringen, welche Dual-Use- unterschiedlichen Mitgliedsstaaten und
werden. Beim zweiten Mal sollte das Ge- Güter beim Handel einer Kontrolle unter- deren Entstehungshintergründe und Ziel-
schäft über eine Handelsfirma in einem stehen und anhand welcher Eigenschaf- setzungen ist eine Fusion der Regime je-
Drittland im Nahen Osten erfolgen. Beide ten man diese Güter definiert. So auch das doch nicht wahrscheinlich. Auch können
Beschaf­fungs­versuche konnten bereits in Seco, das die Schweiz bei den technischen Verhandlungs­ positionen der Partnerlän-
der Schweiz gestoppt werden. Beim drit- Verhandlungen im Ausland vertritt. Sol- der stark variieren, sodass eine erfolgrei-
ten Anlauf wurden die Güter zwar an eine che Vorschläge können sowohl die Auf- che Verhandlung in einem Regime nicht
weitere Briefkastenfirma in der Golfregion nahme eines neu zu kontrollierenden Gu- dasselbe Resultat in dem anderen Regime
mit deklarierter Endverwendung in einem tes betreffen als auch die Anpassung des garantiert.
westafrikanischen Land ausgeliefert. Das bestehenden Kontrolltexts, beispielswei-
Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) se aufgrund neuer Industrie- und Militär­ Definition von Dual-Use-Gütern
konnte aber erreichen, dass mit Unterstüt- stan­dards. Auch die Befreiung eines Gutes
zung des Exporteurs die Güter zurück in die oder eines Bestand­teils von der Kontroll-
ist arbeitsintensiv
Schweiz gebracht wurden. erfordernis kann ein Grund sein. In mehre- Die WA, die sich insbesondere mit der Auf-
Seit Inkrafttreten der Güterkontrollge- ren Treffen pro Jahr werden diese Vorschlä- listung von sogenannten Dual-Use-Gütern
setzgebung 1997 hat das Seco rund 250 ge diskutiert und nach dem Konsensprinzip
Ausfuhrgesuche wegen des Verdachts beschlossen.
auf Weiterverbreitung von Massenver- Die jeweiligen Vorschläge bespricht das Eckwerte der Exportkontrollen von
nichtungswaffen abgelehnt. Im Jahr Seco dann mit der betroffenen Industrie in Dual-Use-Gütern 2015a
2015 wurden 17 Gesuche im Gesamtwert der Schweiz. So ist es den Schweizer Fir- –– Erteilte Ausfuhrbewilligungen (AB) für Dual-
von 24 Millionen abgelehnt (siehe Kas- men möglich, technische Erklärungen und Use-Güter und besondere militärische Güter:
ten). Zumeist handelte es sich um hoch- Hinter­grund­informationen zu liefern, wel- 3499 AB im Wert von insgesamt 2 Milliarden
Franken
präzise Werkzeugmaschinen, aber auch che das Seco in die Verhandlungen ein- –– Einzelgeschäfte von nicht kontrollierten
um Elektronik sowie Testausrüstung für bringen kann. Das Seco wägt zwischen Gütern, bei denen Grund zur Annahme besteht,
Navigations­technik, die für die Entwick- sicherheits- und wirtschaftspolitischen dass sie für die Entwicklung, die Herstellung,
lung und Herstellung von Nuklearwaffen Interessen ab und erarbeitet eine Verhand- die Verwendung, die Weitergabe oder den Ein-
satz von ABC-Waffen bestimmt sind: 5155 Zu-
und deren Trägersysteme für staatliche lungsposition für die Schweiz. Zwischen stimmungen im Gesamtwert von 2,6 Milliarden
Massenvernichtungswaffenprogramme den jeweiligen Verhandlungsrunden er- Franken
bestimmt waren. Als besonders sensi- folgen regelmässig Rücksprachen mit den –– 319 Generalausfuhrbewilligungen
bel werden Ausfuhren von Dual-Use-Gü- Firmen und mit anderen Bundesstellen. –– 17 Gesuche im Wert von 24 Millionen Franken
wurden abgelehnt
tern in Bestimmungsländer beurteilt, die Bei grosser Relevanz für die Indus­trie
a Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2015
Massen­vernichtungs­waffen unterhalten kann das Seco auch eigene Vorschläge ein- (BBl 16.008), S. 948.

60  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

befasst, ist für das Seco die arbeitsinten- Vorschläge die Listung neuer Güter betref- le Gesetzgebung eingefügt werden. Dazu
sivste Vereinbarung. Aufgrund der brei- fen, sind es im MTCR und in der AG – ins- werden die Güterkontrolllisten in den An-
ten Palette von Gütern, die sowohl zivil wie besondere im Bereich der Biologie – bis zu hängen der Güterkontroll­verordnung üb-
auch militärisch verwendet werden kön- 20 Prozent. Das steht im Gegensatz zu den licherweise einmal jährlich angepasst und
nen, befasst sie sich jährlich mit rund 80 nuklearen Gütern in der NSG, wo nur rund vom Bewil­ ligungsressort des Seco im
technischen Vorschlägen. Die Verhandlun- 1 Prozent Neulistungen betrifft. Diese Zah- Internet publiziert.
gen dauern jeweils von April bis Oktober, len reflektieren die raschen Entwicklungen In der Exportindustrie gilt das Selbst-
und ungefähr zwei Drittel aller Vorschläge in den entsprechenden Industriezweigen. deklarationsprinzip: Wer Güter ausführen
können in der Plenarversammlung im De- Aufgrund der heutigen Sicherheits- und will, die der Exportkontrolle unterstehen,
zember verabschiedet werden. Im Raketen- Wirtschaftslage ist jedoch in allen Regi- braucht dazu eine Bewilligung. Nicht nur
technologie-Kontrollregime (MTCR) werden men eine gewisse Zurückhaltung für Neu- die Ausfuhr, sondern auch die Einfuhr, die
pro Treffen circa 35 Vorschläge bespro- listungen zu spüren. Durchfuhr (ein­ schliesslich des Zolllager-
chen und ungefähr ein Viertel davon ange- Für das Seco ist insbesondere auch die verkehrs) sowie die Vermittlung können
nommen. Die NSG und die Australiengrup- Umsetzbarkeit der Listen wichtig. Deshalb genehmi­gungs­pflichtig sein. Die Industrie
pe (AG), ein Zusammenschluss gegen die ist eine enge Zusammenarbeit mit der In- ist deshalb dazu angehalten, die betriebs-
Weiterverbreitung chemischer und biolo- dustrie erwünscht. Im besten Fall wird das internen Kontrollmechanismen rasch zu
gischer Waffen, besprechen etwa 12 Vor- Seco von einer betroffenen Firma auf eine aktualisieren und alle erforderlichen Ge-
schläge pro Treffen, wobei jeder zweite notwendige Listenanpassung hingewie- nehmigungen beim Seco1 einzuholen. Die
zum Abschluss gelangt. sen und bei den Verhandlungen mit tech- Eigenverantwortung der Industrie wird
Interessant ist auch, dass die Anzahl nischer Expertise unterstützt. dabei nicht nur durch strafrechtliche Kon-
vorgeschlagener Neulistungen in den Re- sequenzen, sondern auch durch das Risiko
gimen stark variieren. Während im WA Bewilligungsprozess bei der eines Reputationsschadens und Sanktio­
schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aller nierungs­­möglich­keiten anderer Staaten
Güterausfuhr gefördert.
Nach den Beschlüssen in den Exportkon-
Bioreaktoren dienen in der Pharmaindustrie zur
Produktion von Impfstoffen. Sie können aber auch trollregimen müssen die neu aufgeliste- 1 Die Genehmigungen für Nukleargüter vergibt das
zur Herstellung von biologischen Waffen miss- ten Güter und Parameter in die nationa- Bundesamt für Energie.
braucht werden.
KEYSTONE

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  61
HANDELSKONTROLLE

Der Bewilligungsprozess erfolgt aus- kann das Seco andere Bundes­behörden, Angebotsphase auf Proliferations­relevanz
schliesslich über die elektronische Branchen­ verbände, fachkundige Organi­ prüft oder durch das Seco prüfen lässt.
Bewilligungs­plattform Elic. Diese ermög- sationen sowie Fachleute beratend beizie- Das Bewilligungsressort sensibilisiert mit-
licht eine sachgerechte und speditive Be- hen. Kann kein eindeutiger Entscheid für tels Ansprachen und Be­suchen bei den
urteilung der Gesuche, denn sie erleich- eine Bewilligung gefällt werden, befindet Unternehmen das Bewusstsein, die Ex-
tert sowohl die Kommunikation zwischen eine interdepartementale Export­­kontroll­ portkontrolle in die betrieblichen Abläu-
dem Seco und den Wirtschaftsbeteiligten gruppe2 unter Anhörung des Bundesnach- fe zu integrieren. Zudem veröffentlicht es
aus der Exportindustrie und der Spedi­ richtendienstes. Kommt die Gruppe nicht quartalsweise Statistiken über bewilligte
tion als auch verwaltungsintern bei der überein, wird der Fall zum Bundesratsge- und abgelehnte Gesuche im Rahmen der
Einholung von Stellungnahmen bei an- schäft. Bei sensiblen Geschäften, bei denen Güterkontrollgesetzgebung.
deren Bundesämtern und bei technischer nicht genügend Gründe für eine Ableh-
Expertise sowie nachrichten­ dienstlicher nung vorliegen, können als Sicherungs-
Erkennt­ nisse beim Bundesnachrichten- massnahmen am Ort des Endempfänger
dienst. vor oder nach der Erteilung der Bewilligung
Die Entscheidungsgrundlage für die Be- Kontrollen angeordnet werden. Damit soll
willigung der Gesuche liefert insbeson- die deklarierte Endverwendung überprüft
dere Artikel 6 des Güterkontroll­gesetzes. und der Endverbleib sichergestellt werden.
Das Seco beurteilt die Gesuche aufgrund Zuverlässige Exporteure mit firmen-
des Firmenprofils des Endempfängers, internen Kontrollmechanismen können
von Auftrags­bestäti­gungen, Kaufverträ- als Privileg und administrative Entlastung Jürgen Böhler-Royett Marcano
Leiter Bewilligungs­ressort Exportkontrollen/­
gen, Rechnungen und technischen Unter- eine Generalausfuhrbewilligung erhalten. Industrieprodukte, Staatssekretariat für
lagen, die darüber Aufschluss geben, ob die Diese erteilt das Seco nur nach sorgfälti- Wirtschaft (Seco), Bern
betreffenden Güter unter die internationa- ger Prüfung, wobei auch dann periodische
len Exportkontrollmassnahmen fallen. Ein Nachkontrollen gemacht werden.
Schlüsseldokument ist dabei ins­beson­dere Die Erfahrung zeigt, dass kritische
die sogenannte Endverbleibserklärung des Empfänger bewusst versuchen, die Gü-
End­empfängers. Sie gibt an, zu welchem terkontrolllisten der Lieferländer zu um-
Zweck die Güter dienen und wohin sie ge- gehen, indem sie absichtlich nicht erfass-
liefert und installiert werden sollen. te Güter beschaffen. Ein Grund mehr, dass
die Industrie ihre Geschäfte nach dem
Zuverlässigkeit wird belohnt Know-Your-Customer-Prinzip abwickelt und
die potenziellen Abnehmer schon in der Seraina Frost
Es kommt immer wieder vor, dass die Kom- stv. Leiterin Ressort Exportkontrollpolitik
plexität eines Gesuches zusätzliche techni- Dual-Use, Staatssekretariat für Wirtschaft
2 Die Exportkontrollgruppe setzt sich aus den Departe- (Seco), Bern
sche Expertise erfordert. In solchen Fällen menten WBF, EDA, VBS und Uvek zusammen.

62  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DOSSIER

Inspektionen in der Chemieindustrie


Das Chemiewaffenübereinkommen soll die Herstellung und den Einsatz von Chemiewaffen
verhindern. Bei den dafür nötigen Inspektionen stehen sich Unternehmens- und Sicherheits-
interessen gegenüber.   Dominic Béchaz

M  it einem Anteil von rund fünf Pro-


zent an der Schweizer Bruttowert-
schöpfung gehört die chemisch-phar-
mazeutische Industrie zu den grössten
Industrien der Schweiz, die Dual-Use-­
Güter herstellen und darum von staatli-
chen Kontrollen betroffen sind. So können
auch Chemikalien, welche zur zivilen Ver-
wendung bestimmt sind, zur Chemiewaf-
fenproduktion missbraucht werden. Ein
Beispiel dafür ist Chlor, für das eine brei-
te Palette an legitimen und wichtigen Ver-
wendungszwecken existiert. Dazu gehö-
ren etwa die Wasseraufbereitung oder die
Herstellung anderer Chemikalien und Pro-
dukte wie Kunststoff (PVC). Gleichzeitig
wird Chlor seit dem Ersten Weltkrieg im-
mer wieder als Giftgas eingesetzt, zuletzt
im andauernden Syrien-Konflikt.
Doch Chlor ist nur eine von vielen Che-
mikalien mit Dual-Use-Charakteristik.
Um der missbräuchlichen Verwendung
solcher chemischer Produkte entgegen-
zuwirken, führt die Organisation für das
Verbot Chemischer Waffen (OPCW) im

KEYSTONE
Rahmen des Chemiewaffenübereinkom-
mens (CWÜ) jährlich 241 Inspektionen Die Organisation für das Verbot Chemischer Waf-
in Chemieproduktionsanlagen weltweit fen führt die Inspektionen in der Schweiz durch.
durch. mus, welche Firmen inspiziert werden. Mit Generaldirektor Ahmet Üzümcü.
diesen Stichproben überprüft sie, ob sich
Kontrollen nach dem Zufalls- die Mitgliedsstaaten an das Übereinkom-
men halten, ob sie richtig deklarieren und ob Inspektionen mit möglichst geringen Be-
prinzip Chemikalien, die als Chemiewaffen gelten, triebsstörungen durchzuführen.
Aufgrund des grossen Stellenwertes der vorhanden sind oder hergestellt werden. Im Dafür verantwortlich ist ein Begleit-
chemisch-pharmazeutischen Industrie in Gegensatz zu anderen Dual-Use-Kontrollen team der Nationalen Behörde CWÜ, wel-
der Schweiz verwundert es nicht, dass die geht es hier also nicht um Exportkontrollen. ches die Inspektionen in der Schweiz or-
OPCW auch hier jedes Jahr durchschnitt- ganisiert und begleitet. Das Schweizer
lich vier bis fünf Unternehmen inspiziert. Abwägen von Industrie- und Begleitteam wird vom Staatssekretariat
Firmen, die in der Schweiz Chemikalien für Wirtschaft (Seco) geleitet und setzt
herstellen, die unter das Übereinkommen
Sicherheitsinteressen sich zudem aus Chemieexperten des La-
fallen, müssen die produzierten Mengen Auch die Schweiz hat ein Interesse dar- bors Spiez sowie weiteren Vertretern des
beim Überschreiten bestimmter Schwel- an, dass sowohl auf ihrem Territorium wie Departements für Verteidigung, Bevölke-
lenwerte jährlich bei der Nationalen Be- auch weltweit keine chemischen Kampf- rungsschutz und Sport (VBS) zusammen.
hörde CWÜ deklarieren. Diese wiederum stoffe hergestellt werden – abgesehen
konsolidiert diese Informationen und mel- von einigen sehr streng regulierten Aus- Ablauf einer Inspektion
det sie bei der OPCW. Dasselbe gilt auch nahmen, etwa für Schutzzwecke. Gleich-
für die Industrien in den anderen Mit- zeitig haben die Behörden auch den Auf- Eine Inspektion kann jederzeit stattfinden.
gliedsstaaten. trag, die legitimen Interessen der Industrie Die Vorwarnzeit beträgt zwischen zwei
Von den so gemeldeten Firmen be- zu wahren. Dazu gehört es beispielsweise, und fünf Arbeitstagen. Wenn eine Firma
stimmt die OPCW mittels Zufallsalgorith- den Datenschutz zu gewährleisten und in der Schweiz inspiziert werden soll, sen-

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  63
HANDELSKONTROLLE

det die OPCW eine Benachrichtigung an Bei der Firma findet zunächst eine vor- Auch hier gilt: Nur Informationen, die zur
die Nationale Behörde CWÜ, die umge- bereitende Sitzung statt. Dabei stellt die Erfüllung des Mandats nötig sind, dürfen
hend quittiert werden muss. Sie enthält Firma sich und die zu inspizierende An- aufgeführt werden. Im Zweifelsfall inter-
die wichtigsten Informationen zur bevor- lage vor. Danach geben die Inspekto- veniert das Begleitteam. Unter Berück-
stehenden Inspektion: etwa, welche Firma ren bekannt, wie die Kontrolle ablaufen sichtigung dieser Kommentare erstellt
und welche Art von Chemieproduktions- soll, und besprechen dies mit dem Be- das Inspektionsteam den vorläufigen In-
anlage inspiziert werden soll. gleitteam und der Firma. Normalerweise spektionsbericht, welchen die Leiter
Nach der Quittierung orientiert das beinhaltet diese eine Begehung der An- des Begleit- und des Inspektionsteams
Seco die im Begleitteam vertretenen Bun- lage und eine Dokumentenprüfung. Da- unterschreiben. Danach werden alle Do-
desstellen und die betroffene Firma. Wäh- für stehen je nach Inspektionstypus (der kumente, die die Firma während der Ins-
rend OPCW-Inspektionen für die involvier- von der Art der Chemieproduktionsanla- pektion den Prüfern überreicht hat, zu-
ten Bundesstellen Routine sind, ist dies ge abhängt) zwischen 24 und 96 Stunden rückgegeben oder vernichtet.
bei den Firmen nicht immer der Fall. Umso zur Verfügung. In der Schweiz laufen OPCW-Inspek-
wichtiger ist es, dass das Begleitteam schon Die internationalen Inspektoren wer- tionen in der Regel ohne grössere Prob-
während der Vorbereitung mit der Firma in den während der Stichprobe wiederum leme ab. Eine solche ist dann erfolgreich
regelmässigem Kontakt steht und sie trans- vom behördlichen Begleitteam beaufsich- verlaufen, wenn die Inspektoren ihr Man-
parent über alle Vorgänge informiert. Das tigt. Dieses stellt sicher, dass sich die In- dat innerhalb der dafür vorgesehenen
Begleitteam unterstützt die Firmen sowohl spektoren an ihr Mandat halten und tat- Zeit erfüllen konnten und es keine offe-
mittels schriftlicher Instruktionen wie auch sächlich nur diejenigen Teile einer Anlage nen Fragen gibt, die weiterführende Ab-
mittels eines Experten des Labors Spiez bei und Dokumente besichtigen, die für das klärungen nach sich ziehen. Neben ihrer
der Vorbereitung vor Ort. Erreichen der Inspektionsziele nötig sind. Kontrollfunktion dienen die Inspektionen
Am ersten Tag einer Inspektion nimmt Zudem muss das Begleitteam auch bei aber vor allem auch als vertrauensbilden-
das Begleitteam das Inspektionsteam, jeglicher Kommunikation zwischen den de Massnahme gegenüber den anderen
welches die Stichprobe durchführt, je- Inspektoren und der Firma anwesend sein CWÜ-Mitgliedsstaaten und der OPCW.
weils am Flughafen Zürich in Empfang. und im Streitfall mit dem Inspektionsteam
Sind die Zollabfertigung und die Übergabe verhandeln.
des Inspektionsmandats abgeschlossen,
geht es per Militärtransporter in Beglei- Kontrollieren und Vertrauen
tung der Militärpolizei direkt zur Inspek-
tionsstätte. Der Empfang am Flughafen
­aufbauen
und die Reise zur Inspektionsstätte bieten Sind die Inspektionsaktivitäten abge-
den Vertretern des Begleitteams die Gele- schlossen, erstellen die Inspektoren einen
genheit, bereits frühzeitig mit den Inspek- Entwurf des vorläufigen Inspektionsbe-
toren ins Gespräch zu kommen. Denn ein richtes. Dieser beinhaltet den Inspek- Dominic Béchaz
guter Draht zwischen den beiden ist für tionsverlauf und die Schlussfolgerungen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ressort
den kooperativen Verlauf einer Inspektion Das Begleitteam und die Firma prüfen die- ­E xportkontrollpolitik Dual-Use, Staats­
sekretariat für Wirtschaft (Seco), Bern
entscheidend. sen und machen Änderungsvorschläge.

64  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


DER STANDPUNKT

tigt über 11 000 hoch qualifizierte Mitarbeitende


in der Schweiz und hat im Jahr 2015 Güter im Wert
von 3,5 Milliarden Franken exportiert. Es gibt kei-
Beat F. Brunner ne präzisen Statistiken zu den erteilten Export-
Leiter Fachgruppen, Mitglied der Geschäftsleitung, Swissmem, bewilligungen. Swissmem schätzt, dass bei den
Zürich
Werkzeugmaschinen etwa drei Viertel der Ausfuh-
ren unter die GKV fallen. In anderen Subbranchen
der MEM-Industrie gibt es ebenfalls exportbewil-
Verlässliche Exportkontrolle ligungspflichtige Güter, deren Anteil aber wesent-
lich geringer ist. Insgesamt sind aber ein bedeu-
ohne Behinderung der Export- tender Anteil der Schweizer Ausfuhren und damit
zahlreiche Arbeitsplätze davon abhängig, dass die
industrie Schweizer Exportkontrolle gut funktioniert und
ihre Ziele erfüllt.
Die Firmen der MEM-Branche kennen in der
Die revidierte Güterkontrollverordnung ist seit Mitte 2016 in Regel die Vorschriften der Exportkontrolle, und
deren Fachleute sind mit den Verfahren vertraut.
Kraft. Die betroffenen Firmen der Maschinen-, Elektro- und Maschinen und Anlagen, die unter die GKV fal-
Metallindustrie erhoffen sich davon grössere Rechtssicher- len, haben teilweise Lieferzeiten, die deutlich über
heit und eine möglichst geringe Behinderung im inter- einem Jahr liegen. Bisher musste eine Firma das
Risiko auf sich nehmen, dass die auf ein Jahr be-
nationalen Wettbewerb. schränkte Exportbewilligung nach Ablauf nicht
mehr verlängert wurde, weil sich die politische
Die schweizerische Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Lage im Zielland verändert hat. Damit drohte ein grosser Schaden,
(MEM-Industrie) beschäftigt rund 320 000 Arbeitnehmer. 2015 ex- weil eine halb fertige, kundenspezifisch hergestellte Maschine
portierte sie Güter im Wert von 63 Milliarden Franken. Das ist rund nicht einfach einem anderen Kunden verkauft werden kann. Ge-
ein Drittel der gesamten Warenausfuhren der Schweiz. Für die Mit- mäss der revidierten, seit dem 1. Juli 2016 gültigen GKV sind Ex-
gliedsfirmen von Swissmem, dem Verband der portbewilligungen neu zwei Jahre gültig. Dies
MEM-Industrie, ist der Export von zentraler erhöht die Rechtssicherheit und verbessert
Bedeutung. Nahezu 80 Prozent ihrer Produk- «Swissmem schätzt, die Planbarkeit solcher Exportgeschäfte.
te gehen ins Ausland. Ein Teil dieser Produkte dass bei den Werkzeug-
kann für zivile sowie militärische Zwecke ein- Zweifelhafter Erfolg trotz Kontrollen
gesetzt werden und wird deshalb als soge- maschinen etwa drei Ein grosser Teil der industrialisierten Län-
nannte Dual-Use-Güter bezeichnet. Die Güter- Viertel der Ausfuhren der hält sich an die internationalen Vereinba-
kontrollverordnung (GKV) listet auf, für welche rungen, welche die Grundlage der schweize-
Produkte eine Exportbewilligungspflicht be- unter die Güter- rischen Exportkontrollpolitik bilden. Deshalb
steht. kontrollverordnung fühlt sich die Schweizer MEM-Industrie durch
Bei kontrollierten Gütern kann es zu Export- die Exportkontrolle in der Regel nicht benach-
einschränkungen kommen, wenn im Rahmen
fallen.» teiligt. Schweizer Lieferanten werden jedoch
von politischen oder militärischen Konflikten dann benachteiligt, wenn sich Lieferländer
Wirtschaftssanktionen verhängt wurden. Dual-Use-Güter und nicht an Sanktionen beteiligen oder diese umgehen. Beispiele da-
Kriegsmaterial werden dabei oft in den gleichen Topf geworfen. für gab es im Falle des Iran oder bei den von der Schweiz ergriffe-
Swissmem legt grossen Wert darauf, dass diesbezüglich klar diffe- nen Massnahmen im Rahmen der Ukraine-Krise. In solchen Fällen
renziert wird. Denn im Unterschied zu den Dual-Use-Gütern ist die scheint die internationale Exportkontrollpolitik weitgehend un-
Exportkontrolle von Kriegsmaterial im Kriegsmaterialgesetz und wirksam zu sein, was unsere Firmen als sehr störend empfinden.
der Kriegsmaterialverordnung geregelt. Denn trotz Sanktionen konnte keines der Atomprogramme in Pa-
kistan, Indien, Israel, Nordkorea, im Irak, im Iran oder in China ver-
Längere Bewilligungen erhöhen Planbarkeit hindert werden.
In der MEM-Branche sind vor allem die hochpräzisen, mehrachsi- Die MEM-Industrie erhofft sich von der revidierten GKV erhöh-
gen Werkzeugmaschinen von der Exportbewilligungspflicht ge- te Rechtssicherheit und möglichst geringe Behinderung im inter-
mäss GKV betroffen. Die Werkzeugmaschinenbranche beschäf- nationalen Wettbewerb.

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  65


DER STANDPUNKT

urteilung einer Exportgenehmigung jedoch bei-


de Richtlinien angewendet werden, unterliegen
faktisch alle CNC-Werkzeugmaschinen weiter-
Frank Brinken hin Bewilligungsverfahren – unabhängig von der
Dr. ing., Vizepräsident des Verwaltungsrates, Starrag Group effektiven Präzision und der Technologie. Die In-
Holding AG, Rorschacherberg
dustrieprodukte werden beim Export also noch
immer nach dem technischen Stand der Siebziger-
jahre beurteilt.
Compliance ist Chefsache Rückblickend kann man die Wirksamkeit der
Exportkontrollen für die Maschinenindustrie
bezweifeln. Diverse Nuklearprogramme wur-
Für die Einhaltung der Exportkontrollbestimmungen bei den eventuell behindert, aber nicht verhindert.
Dual-Use-Gütern sind stringente Prozesse nötig. Gerade bei Ausserdem sind die Kontrollmechanismen in den
internationalen Firmen sollten sich diese auch auf Tochter- Exportländern unterschiedlich und werden von
gewissen Marktteilnehmern zum wirtschaftlichen
gesellschaften im Ausland erstrecken. Das Vorleben eines Vorteil ausgenutzt. Werkzeugmaschinen werden
solchen Prozesses muss Sache der obersten Führungsebene zunehmend auch in Staaten hergestellt und aus-
im Unternehmen sein. geführt, die keinen Exportkontrollregimen ange-
hören. Hier baut sich mittelfristig ein Schadens-
potenzial für die Schweizer Industrie auf.
Bereits im Kalten Krieg hat man bei der Ausfuhr in die Länder des
Ostblocks und nach China Exportrestriktionen eingeführt. 1950 Klare Regeln vorleben
wurde das Coordinating Committee on Multilateral Export Con- Unter dem Stichwort «Compliance» wurden in den letzten Jah-
trols (Cocom) gegründet, dessen Mitglieder vor allem Nato-Staa- ren insbesondere Schweizer Publikumsgesellschaften, die an
ten waren. Die Schweiz schloss sich diesem Abkommen 1951 an. einer Börse kotiert sind, mit einer Flut von Regulierungen auf
Cocom war keine zwischenstaatliche Organisation, sondern nur Gesetzes- oder Verordnungsstufe konfrontiert. Diese führten
ein informelles Beratungs- und Koordinationsgremium. In den zu hohen Aufwendungen bei der finanziellen Berichterstattung
Achtzigerjahren erwies sich der angedachte Technologieschild und in der Mitarbeiterführung. Jede grössere Firma dürfte heu-
deshalb als zunehmend durchlässig. te über ein genau beschriebenes internes Ri-
siko-Kontrollsystem verfügen. Exportorien-
Listen werden immer länger «Jede grössere Firma tierte Firmen, die Dual-Use-Güter herstellen,
1995 übernahm die Vereinbarung von Wasse- müssen so die Exportkontrollvorschriften in
naar die Nachfolge. Beim Übergang von Cocom
dürfte heute über ein einer genau definierten Prozessbeschrei-
auf Wassenaar wurde es allerdings versäumt, genau beschriebenes bung verankern und klare Genehmigungs-
die technischen Kriterien für Dual-Use-Gü- internes Kontroll- stufen vom Angebot bis zur Lieferung ein-
ter dem Technologiestand der Neunzigerjahre führen. International tätige Unternehmen
anzupassen. Aufgrund des technischen Fort- system verfügen.» müssen auch die Prozesse, die in den Län-
schrittes stieg in vielen Sektoren die Anzahl dergesellschaften ausgeübt werden, in ein
Produkte und Komponenten, die den Exportkontrollen unterstan- stringentes internes Kontrollsystem einbeziehen.
den. Doch die Technologien, die nicht mehr dem Industriestandard Aus unserer Sicht sollte jedem Mitarbeiter verdeutlicht wer-
entsprachen, wurden nicht von den Kontrollen ausgenommen und den, dass Zuwiderhandlungen gegen die Exportkontrollvorschrif-
unterliegen bis heute den Bewilligunsgverfahren. ten zu einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses füh-
1994 kam die Vereinbarung der Gruppe der Nuklearlieferländer ren können. Mitarbeiter mit Kundenkontakt müssen sich bereits
(NSG) dazu. Im Gegensatz zum Cocom sind die Vereinbarung von in der Anbahnungsphase eines Geschäftes über die Verwendung
Wassenaar und die NSG weitgehend auf gesetzlicher Grundlage und den Endempfänger der Lieferung genau informieren. Treten
in den Mitgliedsstaaten verankert. Die technischen Kriterien für Zweifel oder Unstimmigkeiten auf, muss das Projekt umgehend
Werkzeugmaschinen waren bis 2015 in beiden Abkommen iden- gestoppt werden. Für gewisse Länder kann es deshalb vorteilhaft
tisch. In diesem Jahr wurden die Kriterien der Wassenaar-Verein- sein, die Freigabe für einen Angebotsprozess auf Geschäftslei-
barung jedoch dem Stand der heutigen Technik angepasst. In tungsebene zu verankern.
der NSG hält man dagegen an den alten Kriterien fest. Da zur Be-

66  Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017


ZAHLEN

Wirtschaftskennzahlen
Auf einen Blick finden Sie hier die Kennzahlen Bruttoinlandprodukt, Erwerbslosenquote und Inflation von acht Ländern, der EU und
der OECD. Zahlenreihen zu diesen Wirtschaftszahlen sind auf Dievolkswirtschaft.ch aufgeschaltet.

Bruttoinlandprodukt: Bruttoinlandprodukt:
Reale Veränderung in % gegenüber dem Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal1
Vorjahr
2015 3/2016 2/2016 1/2016 4/2015
Schweiz 0,9 Schweiz 0,0 0,6 0,1 0,4
Deutschland 1,7 Deutschland 0,2 0,4 0,7 0,4
Frankreich 1,2 Frankreich 0,2 –0,1 0,6 0,3
Italien 0,8 Italien 0,3 0,0 0,4 0,2
Grossbritannien 2,3 Grossbritannien 0,5 0,7 0,4 0,7
EU 1,9 EU 0,4 0,4 0,5 0,5
USA 2,4 USA 0,7 0,4 0,2 0,2
Japan 0,5 Japan 0,5 0,2 0,5 –0,4
China 6,9 China 1,8 1,9 1,2 1,6
OECD 2,1 OECD 0,6 0,3 0,4 0,3

Bruttoinlandprodukt: Erwerbslosenquote:3 Erwerbslosenquote:3


In Dollar pro Einwohner 2015 (PPP2) in % der Erwerbstätigen, Jahreswert in % der Erwerbstätigen, Quartalswert
2015 2015 3/2016
Schweiz 59 712 Schweiz 4,5 Schweiz 4,8
Deutschland 47 308 Deutschland 4,6 Deutschland 4,1
Frankreich 40 178 Frankreich 10,4 Frankreich 10,3
Italien 36 196 Italien 11,9 Italien 11,6
Grossbritannien 40 903 Grossbritannien 5,3 Grossbritannien –
EU 38 544 EU 9,4 EU 8,5
USA 55 798 USA 5,3 USA 4,9
Japan 37 122 Japan 3,4 Japan 3,0
China – China – China –
OECD 40 145 OECD 6,8 OECD 6,3

Inflation: Inflation:
Veränderung in % gegenüber dem Veränderung in % gegenüber dem
Vorjahr ­Vorjahresmonat
2015 Oktober 2016
Schweiz 0,0 Schweiz –0,2
Deutschland 0,2 Deutschland 0,8
Frankreich 0,0 Frankreich 0,4
Italien 0,0 Italien –0,2
Grossbritannien 0,0 Grossbritannien 0,9
EU 0,0 EU 0,5
SECO, BFS, OECD

USA 0,1 USA 1,6


Japan 0,8 Japan 0,1
China 1,4 China –
Weitere Zahlenreihen
OECD 0,6 OECD 1,4
1 Saisonbereinigt und arbeitstäglich bereinigte Daten.
www.dievolkswirtschaft.ch d Zahlen
2 Kaufkraftbereinigt.
3 Gemäss ILO (Internationale Arbeitsorganisation).

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2017  67
Mobiles Arbeiten und Homeoffice:
Die Unternehmen bewegen sich
Ob von zu Hause aus oder im Zug – rund vier von zehn Erwerbstätigen arbeiten in der Schweiz bereits teilweise mobil.
Doch damit nicht genug: Von allen Erwerbstätigen möchte ein Drittel gerne noch flexibler werden. Auch wenn viele Gründe
dafür sprechen, ist diese Arbeitsform nicht überall möglich und beschränkt sich auf wenige Branchen.
Doch die Unternehmen wollen sich entwickeln. Allen voran die Grossunternehmen.

Vorteile und Hindernisse von Erwerbstätigen beim mobilen Arbeiten

WEICHBRODT, J., BERSET, M., & SCHLÄPPI, M. (2016). FLEXWORK SURVEY 2016. BEFRAGUNG VON ERWERBSTÄTIGEN UND UNTERNEHMEN IN DER SCHWEIZ ZUR VERBREITUNG MOBILER ARBEIT. OLTEN: HOCHSCHULE FÜR ANGEWANDTE PSYCHOLOGIE FHNW / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
örtliche Unabhängigkeit, Teamwork schwieriger,

38% produktiveres Arbeiten, Datensicherheit,


Zeitgewinn, mehr Motivation,
Vereinbarkeit mit der Familie
nicht erlaubt, fehlende Technik,
schlechtere Work-Life-Balance
der Erwerbstätigen arbeiten
selten bis häufig mobil
30% der Erwerbstätigen
haben den Wunsch nach mehr
mobiler Arbeit
9% möchten weniger oder Wo stehen Unternehmen
gar nicht mobil arbeiten Wo wird am häufigsten heute, und wo sehen sie
mobil gearbeitet? a sich in drei Jahren?
35% zu Hause Prozentanteil Unternehmen, die sich
22% unterwegs im Umbruch befinden oder flexibel
19% beim Kunden oder ortsunabhängig organisiert sind
69%

94%
54%
63%
49%

19%

2016 2019 2016 2019 2016 2019

Wissens­ Öffentliche 100


intensive Verwaltungen grösste
Dienst­ Unter­­-
leistungen nehmen

a) Mehrfachnennungen möglich
68  Die Volkswirtschaft  1–2  / 2017
VORSCHAU

88e année   N°
89. Jahrgang   Nr. 1–25/2017
/2015 sFr.
Frs.12.–
12.–

La
DieVie économique
Volkswirtschaft
Plattformdefür Wirtschaftspolitik
Plateforme politique économique

FOKUS

Gesundheitswesen
und Kosteneffizienz
Die Schweiz verfügt über ein qualitativ gutes Gesundheitssystem mit hohem Leistungsniveau. Die
Schweizer Bevölkerung ist mit den erbrachten Leistungen zufrieden. Einziger Wermutstropfen: das hohe
Kostenniveau. Die hohen Krankenkassenprämien stellen schon heute für viele Menschen eine grosse
finanzielle Belastung dar. Durch die demografische Entwicklung und den medizinisch-technischen Fort-
schritt werden die Gesundheitskosten noch weiter steigen. Deshalb konzentriert sich die politische Aus-
einandersetzung auf Massnahmen, wie die Gesundheitsversorgung kosteneffizienter werden kann. Das
Gesundheitswesen ist komplex. Welche Rolle spielen Patienten, Spitäler, Kantone, Versicherer sowie Ärzte
bei der Kostenzunahme? Und mit welchen Massnahmen will das Bundesamt für Gesundheit die steigende
Nachfrage im Gesundheitswesen eindämmen? Das Krankenversicherungsgesetz wird dieses Jahr 20 Jahre
alt. Welches Fazit kann man ziehen? Lesen Sie mehr dazu in der nächsten Ausgabe der «Volkswirtschaft».

Mengenwachstum im Gesundheitswesen eindämmen


Pascal Strupler, Direktor Bundesamt für Gesundheit

Ausgabenprojektionen im Gesundheitswesen
Carsten Colombier, Eidgenössische Finanzverwaltung

Das Fazit aus 20 Jahren KVG und Erkenntnisse aus der Gesundheitsökonomie
Peter Zweifel, emeritierter Professor Universität Zürich

Die Rolle der Kantone in der stationären Versorgung


Professor Stefan Felder, Universität Basel

Nutzenmessung im Gesundheitswesen
Harry Telser, Beratungsunternehmen Polynomics

Die Rolle der Ärzte und das Tarmed-System


Professor Stefan Boes und Christoph Napierala, Universität Luzern

Herausforderungen für die Krankenversicherer


Professor Martin Eling, Institut für Versicherungswirtschaft, Universität St. Gallen

Beschäftigungswachstum im Gesundheitswesen
Kathrin Degen und Dominik Hauri, Seco

Das könnte Ihnen auch gefallen