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Universität für Musik und darstellende Kunst Graz

Institut für Dirigieren, Komposition und Musiktheorie

Bachelorstudium Komposition & Musiktheorie

Kurs: Seminar – Geschichte der Musiktheorie

Dozent: Prof. Dr. Christian Utz

Seminararbeit von Dimitrios Katharopoulos (11700258)

Thema: Musiktheorie zur Zeit Mozarts und Haydns – Joseph Riepels „Tonordnung“

Die Entwicklung der Formgestaltung


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort……………………………………………………………………………3

2. Riepels und Kochs „Tonordnung“…………………………………………………6

2.1. Joseph Riepels „Tonordnung“…………………………………………...6

2.2. Die „Tonordnung“ durch Heinrich Christoph Kochs Schriften..……….16

3. Anwendung der „Tonordnung“ …………………………………………………...21

3.1. Als Analytisches Mittel………………………………………………….21

3.2. In der kompositorischen Praxis………………………………………….27

4. Nachwort…………………………………………………………………………..30

5. Literaturverzeichnis………………………………………………………………..32

2
1. Vorwort

Das 18. Jahrhundert ist aus mehreren Gründen von großer Bedeutung für die
Musikgeschichte. Einerseits fand im Laufe dessen die Verwandlung von der barocken
Ästhetik durch dem galanten sowie den empfindsamen zum klassischen Stil statt und
andererseits ist die Musikgestaltung von der Herrschaft des Generalbasses befreit. Die
Harmonie ist zwar geprägt und dargestellt, jedoch nicht im Sinne des barocken Gene-
ralbasses, sondern freier und in Zusammenhang zur Form betrachtet.
Ein weiterer Aspekt, der die Bedeutung des 18. Jahrhunderts in der Musikge-
schichte bekräftigt, ist die Entwicklung eines neuen Ideales der Musiktheorie. Am An-
fang und bis ca. an der Hälfte des 18. Jahrhunderts waren alle musiktheoretischen Trak-
tate, die sich mit der Musikgestaltung beschäftigten, nur auf einen gewissen Faktor fo-
kussiert. Egal, ob es sich um die Generalbasslehre bzw. die Melodiegestaltung oder den
Kontrapunkt usw. handelte, waren diese Faktoren jeweils isoliert betrachtet.
Eine weitere Kategorie, die erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts erschien, wa-
ren die Aufführungshandbücher, die stilistischen Informationen über gewisse Gattun-
gen bzw. Stile, sowie spieltechnische Informationen über die verschiedenen Instru-
mente beinhalteten.
Erst nach 1750 erschienen die ersten enzyklopädischen Traktate, die möglichst
breite Kenntnisse über eine möglichst weite Themenbreite darzustellen versuchten.
Diese besonders wichtigen Traktate haben sich die Musiktheorie und die musikalische
Praxis möglichst als gleichwichtig betrachtet, indem sie Analysen von berühmten Wer-
ken als Kompositionsbeispiele verwandten1 und, die Melodie zu Primärfaktor des kom-
positorischen Prozesses2 betrachteten.
Von großer Bedeutung für die Entwicklung des harmonischen Denkens im 18.
Jahrhundert ist der Einfluss Jean-Philipp Rameaus durch seinen Schriften über die Har-

1
Alle diese Traktate nähern die musikalische Form durch Analysen der Melodiekonstruktion in sym-
metrischen Abschnitten, die sich aus harmonischen Formeln ergeben, an (Vgl. Knousse 1986, 47).
2
Nicht alle Musiktheoretiker der Epoche schreiben der Melodie die gleiche Wichtigkeit zu. Manche
betrachten sie als „notwendige Gesellschaft eines guten Basses“ (Heinichen), während andere meinen,
dass durch sie können die verschiedenen Affekte und Leidenschaften dargestellt werden (Scheibe) und
oder betrachten sie als „die Basis für Alles in der Kunst der Komposition“ (Mattheson). Jedenfalls ist
die Ansichtsverwandlung der Theoretiker von großer Bedeutung (Knousse 1986, 47).

3
monie- und Generalbasslehre. Rameaus Harmonielehre beschäftigt sich mit Dreiklän-
gen und Septakkorden zunächst in Grundstellung und danach in Umkehrungen. Die
intervallbezogene Akkordklassifikation (Vollkommen, Unvollkommen, Chromatisch)
Rameaus hat auch viele Deutschen Musiktheoretiker beeinflusst. Seine Traktate waren
schon im 18. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt und sind dadurch im ganzen deutsch-
sprachigen Raum bekannt geworden.3
Im deutschsprachigen Raum ist Joseph Riepel der Pionier dieser Ansichtsver-
wandlung. In seinem Traktat Anfangsgründe zur musikalischen Setzkunst, das aus fünf
Kapitel besteht und im Zeitrahmen 1752-1768 verfasst wurde, stellt er das gesamte
kompositorische Prozess im Hinsicht an der Form und der Struktur dar. Seine Methode
war substanziell für die Entwicklung der Musikanalyse, denn er war der erste Musik-
theoretiker, der in seinen Analysen alle Elemente und Prozesse zusammensetzte und
als ein einheitiges Gestalt konzipierte.4
Erwähnenswert in dieser Hinsicht ist die zentrale These Markus Walduras in
seinem Buch Von Rameau und Riepel zu Koch, nämlich, dass die (Deutsche) Theoreti-
ker von der kompositorischen Praxis ausgehen und, trotz ihres unterschiedlichen Zu-
gangs genau diese zu erfassen versuchen.5 Obwohl Rameaus Periodenlehre nicht be-
sonders ausgebildet ist, kann man schon seine Herangehensweise von einem ausgeführ-
ten Tonsatz ausgehend zurück zu seiner enthaltenen Grundform der Kadenz beobach-
ten.6 Ebenso merkt Waldura an, dass „jedes musiktheoretisches Werk von seines Ver-
fassers Zugang zur Musik ist, obwohl es immer aus drei zusammengestellten Systeme

3
Rameaus Demonstration aus 1750 war Joseph Riepel bekannt. Näheres dazu im Abschnitt 2.A. (Bud-
day 2002, 22).
4
„Die melodische Annährung der Komposition und ihres Prozesses von den Theoretikern führte zu
neuen kompositorischen Idealen: Die Musik soll von struktureller Klarheit, Einfachheit und Symmetrie
geprägt sein, während die einzelnen Elemente einen gewissen motivischen bzw. thematischen Zusam-
menhang zueinander haben sollen und die Melodie von einer fließenden, cantabile Bewegung geprägt
sein soll. Durch die Erarbeitung dieser neuen Prinzipien kann man die Funktion, die Struktur und den
Stil einer Melodie, sowie die richtige Sprache dafür erlernen.“ Vgl. Knousse 1986, 46 und 48-49
5
Diergarten 2010, 238.
6
Ebd.

4
besteht, nämlich die Rhetorik der entlehnter Bezeichnungen, die Darstellung von mu-
sikalischen Schlussformeln und Kadenzen und die Darstellung unterschiedener Gliede-
rungsebenen in der Musik selbst“.7
Aus allen diesen Gründen und vor allem aufgrund ihres Einflusses auf die his-
torisch informierte sowie die zeitgenössische Musiktheorie, ist Joseph Riepels Theorie
der „Tonordnung“ von großer Bedeutung und wird zum Kernpunkt dieser Arbeit. Im
ersten Teil der Arbeit wird Joseph Riepels Theorie sowie Heinrich Christoph Kochs
Anwendung dargestellt, damit im zweiten Teil die „Tonordnung“ zunächst als analyti-
sche Methode für die Menuette8 Mozarts und dann als grundliegende Hinweise um ein
eigenes Menuett zu komponieren dem Autor beinahe zu stehen.

7
Vgl. Diergarten 2010, 238.
8
Riepel meint, dass „das Menuett in der Ausführung nichts anders als ein Concert, eine Arie oder Sym-
phonie“ ist und, dass man vom kleineren zum größeren und „lobenwürdigeren“ gehen soll (Vgl. Riepel
2017, 93). Daher ist sein Ziel, dass seine Schüler von der mühsamen Melodiegestaltung des Menuetts
ausgehend (denn „es ist zwar keine große Ehre, Menuette zu schreiben“, vgl. Riepel 2017, 93) detail-
lierte symphonische Sätze analysieren, wenn nicht selbst komponieren, können werden (Riepel 2017,
93 und Knouse 1986, 48).

5
2. Riepels und Kochs Theorie der „Tonordnung“

2.1. Joseph Riepels „Tonordnung“

Joseph Riepel verfasste seinen Traktat Anfangsgründe zur musikalischen Setz-


kunst im Zeitrahmen 1752-1768. In seinem Werk, das aus fünf Kapitel besteht und auf
die Form des Dialogs zwischen dem Schüler (Discantista) und dem Lehrer (Praecep-
tor) basiert, lässt sich die Melodie sich als Primärfaktor des kompositorischen Prozesses
betrachten. Die meisten Notenbeispiele bestehen ausschließlich aus einer Melodie,
auch wenn deren Harmonisierung bzw. die Harmonik im Allgemeinen behandelt wird.
Ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass es sich in den Notenbeispielen, die einen
Bassschlüssel beinhalten, um keine Generalbassschule handelt.9
Im ersten Kapitel (1752), das de Rhythmopoeia oder von der Taktordnung heißt,
stellt Riepel seine Theorie über die Formgestaltung der Musik. Seine Notenbeispiele
und Ansicht sind auf das Menuett begrenzt, denn er ist der Meinung, dass „das Menuett
in der Ausführung nichts anders als ein Concert, eine Arie oder Symphonie“ ist10. Daher
versucht er seinem Schüler die wichtigsten Prinzipien der kompositorischen Kunst
durch die kleine und einfache Form des Menuetts beizubringen. Aus diesem Grund gibt
Praec. dem Disc. ganz am Anfang des ersten Kapitels11 die Aufgabe ein Menuett (Abb.
1) zu verfassen:

Abbildung 1: Erste Aufgabe des Disc.

9
Knouse 1986, 48.
10
Vgl. Riepel 2017, 93.
11
Ebd.

6
Durch die Kommentare des Praec. ist der Disc. zu seiner kompositorischen bzw.
strukturelle Denkweise eingeleitet und lernt, dass die ideale Form eines Menuetts aus
8+8 Takte besteht, wobei der erste und der zweite Teil von der Motivik her zueinander
beziehen sollen. Ebenso unterscheidet Riepel zwischen beweglichen („perfekten“ bzw.
„imperfekten“) und stehenden („toten“) Takte (Abb. 2), die man ausschließlich im letz-
ten Takt des jeweiligen Teiles verwenden soll, während die Achtel-Läufe im Kontext
eines Menuettes eher zu vermeiden12 sind:

Abbildung 2: Riepels Darstellung von „toten" und beweglichen Rhythmen.

Durch weitere Notenbeispiele aus Menuetten, die Riepel selbst komponierte,


wobei manche als vom Praec. und manche vom Disc. verfasste Stücke dargestellt wer-
den, oder aus verschiedenen, unbenannten Menuett-Komponisten stammen, erklärt er,
dass die ideale Struktur jene ist, die auf viertaktigen Strukturen basiert. Riepel definiert
den „Zweyer“ als zwei Takten, die von der Bewegung her ähnlich zu den darauffolgen-
den sind, und genauso stellt er den „Dreyer“, „Vierer“ usw. dar13. Riepel hebt die Wich-
tigkeit der geradtaktigen Strukturen hervor, indem er sagt, dass die „Vier, acht, sech-
zehn und wohl auch 32 Täcte diejenigen sind, welche unsere Natur dergestalt einge-
pflanzet, dass es uns schwer scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnügen) anzuhö-
ren“14. In diesem Sinne, handelt es sich bei der Taktordnung um die Beschaffenheit und
das Verhältnis der vollkommenen bzw. unvollkommenen Glieder unter einander zu re-
geln sowie die Teile der Melodik in Ansehung ihres Umfanges unter sich in ein gutes
Verhältnis zu bringen15. Das heißt, dass, obwohl „der Geschmack in der Musik immer

12
Eine schnelle Achtelbewegung hält Riepel besser für einen Allegro bzw. Presto Satz. Trotzdem er-
laubt er sie vor der Schlusskadenz des Menuetts, weil dadurch der kommende „Ruhepunkt des Geistes“
in Deutlichkeit zunimmt (Riepel 2017, 100-102).
13
Riepel 2017, 94-6.
14
Riepel 2017, 144.
15
Paraphrasiertes Zitat Heinrich Christoph Kochs, vgl. Budday 1983, 37.

7
das Vorrecht behauptet“16, man immer mit dem rhythmischen Verhältnis der Sinnein-
heiten zueinander rechnen, sowie der Gliederung der einzelnen Elemente zueinander
berücksichtigen muss.17
Riepel stellt den Zweyer und Vierer im Grunde seiner Taktordnung, die er zum
Primärfaktor des kompositorischen Prozesses hervorhebt18, denn sie gleichwichtig für
die Melodiegestaltung sind19. Trotzdem lässt sich bald widersprechen denn „zwei bey-
sammen stehende Zweyer nichts anders seyen als ein Vierer“.20 Bereits beim ersten
Notenbeispiel des Kapitels erklärt Riepel, dass die ideale Struktur eines Menuetts über
16 Takte verfügen muss, die in zwei achttaktigen Strukturen zu unterteilen sind. Trotz-
dem erlaubt Riepel die Ausweichung aus die sechzehntaktige Struktur: „Es kann ja ein
sonderlicher Gedanken zuweilen wiederholt werden, oder es kann solchen Gedanken
die Wiederholung selbst nachdrücklich und angenehm machen [...] Zu viel ist unge-
sund.“21 Bevor er in den nächsten Kapitel genauer die Erweiterungsmöglichkeiten bzw.
-Mechanismen, die den Komponisten zur Verfügung stehen, ins Detail analysiert, kom-
mentiert über die Wiederholungen Folgendes: „Was die Wiederholungen anlanget, so
verhindern sie die gute Ordnung keineswegs, sondern befördern dieselbe vielmehr“.22
Aus dieser Zitaten lassen sich zwei Folgerungen ziehen: Zunächst spielt für Rie-
pel der Geschmack eine wichtige Rolle (verhindern sie die gute Ordnung – das Gehör
zu befriedigen)23 und zweitens sind die Wiederholungen von viertaktigen Strukturen
sowie die sich daraus zwölf-, zwanzig-, bzw. vierundzwanzigtaktigen ergebenden
Strukturen erlaubt, indem sie die „gute Ordnung“ unterstützen24. Das heißt, dass die

16
Vgl. Riepel 2017, 130.
17
Budday 1983, 37-39.
18
Riepel 2017, 128.
19
Riepel hält zwar den Zweyer besser für ein Menuett geeignet, jedoch findet zwischen dem Zweyer
und Vierer keinen wesentlichen Unterschied, womit die eine von den zwei Strukturen besser als die an-
dere ist. {Riepel 2017, 97-98} Desweiteren meint Riepel, dass egal in welchem Takt das Stück kompo-
niert ist (2/4, 3/4, 4/4) die Teile der gesamten Struktur (nämlich 16 bzw. 32 Takte) entsprechend über-
sehbar sein müssen und, dass ein Vierer leichter als ein Achter zu verstehen ist, weil „ein Vierer [...] an
und für sich selbst sehr vermögend das Gehör zu befriedigen“ ist (Vgl. Riepel 2017, 151).
20
Vgl. Riepel 2017, 144.
21
Vgl. Riepel 2017, 111.
22
Vgl. Riepel 2017, 152.
23
„Der Geschmack in der Musik immer das Vorrecht behauptet“ (Vgl. Riepel 2017, 130).
24
Riepel 2017, 151.

8
Wiederholung der einzelnen Teile sehr eng mit der allgemeinen Struktur des Stückes
verbunden ist. Trotzdem hält Riepel die aus vier Vierer bestehende sechzehntaktige
Struktur ideal fürs Menuett, weil sie ein perfektes rhythmisches Verhältnis ihrer Teile
zueinander darstellt und, die vier Vierer gewöhnlich und Bequem für unser Gehör sind.
Die einzelnen Teile des Menuetts lassen sich durch Absätze und Kadenzen trennen25,
was Riepel im zweiten Kapitel besser erläutern wird.
In den nächsten Kapiteln seines Werkes beschäftigt sich Riepel mit der „Ton-
ordnung“. Im zweiten Kapitel, das de Melopoeïa oder von der Tonordnung (1755)
heißt, stellt Riepel zunächst die wichtigsten Elemente der Theorie der Musik26 dar, be-
vor er mit der tatsächlichen Theorie der Tonordnung beginnt. Ihm ist von großer Be-
deutung, dass man die Grundlage der Musiktheorie bereits aufgefangen hat, bevor die
Rede von der Melodiekonstruktion anfängt.
Interessant ist Riepels Darstellung der transitiven Eigenschaft der Elemente: In
seinem Beispiel stehen die Buchstaben A-B-E-R zur Verfügung (Abb. 3). Eine Gruppe
von vier Buchstaben lässt sich im sprachlichen Kontext 24-mal anordnen und somit 24
unterschiedliche Worte gestalten.

Abbildung 3: Permutationen der Buchstaben A-B-E-R nach Riepel.

Genauso funktionieren die Noten im musikalischen Kontext, so Riepel. Je mehr


Noten zur Verfügung stehen, umso mehr Versetzungs- bzw. Anordnungsmöglichkeiten
hat der Komponist.27

25
Budday 1983, 129.
26
In den Seiten 308-400 Riepels lassen sich Informationen über die Vorzeichen, die harmonische so-
wie die melodischen Intervalle sowie die die Tonartenentstehung, die Dur- und Moll-Tonarten, die Ge-
nera der alten Musik und die Stimmungssysteme finden.
27
Riepel 2017, 385-390.

9
Abbildung 4:Permutationen der Töne c2-d2-e2-f2 nach Riepel.

Riepel erweitert dieses Prinzip auf der Ebene der Takte: „Gleich wie die Noten,
so können die ganzen Täcte an, für, und unter sich verwechselt werden“.28 Von diesem
Zitat ausgehend darf man annehmen, dass solche Versetzungen auch für Sinneinheiten,
die aus mehreren Takten bestehen gilt.
Obwohl Riepel meint, dass „das Setzen (d.h.: das Komponieren) in eines jeden
freyen Willen steht“29, spricht Riepel von strukturellen Elementen, die beim Kompo-
nieren unverzichtbar sind und stellt die zwei Absatztypen30 dar:
Der „Grundabsatz“ heißt laut Riepel so „denn obgleich die letzte Note von dem
Grundtone (in der Quint G) ein wenig entfernt ist, so verlanget selbe hier, laut aller
vorhergehenden Noten, dennoch im Bass das C“.31 Das heißt, dass der Grundabsatz,
egal welche Stufe auf der Melodie steht, verbleibt immer der Ausgangstonart und dem
Dreiklang der Tonika bezogen.

28
Vgl. Riepel 2017, 392.
29
Vgl. Riepel 2017, 408. Das Zitat wurde der Syntax des Satzes entsprechen angepasst.
30
In den Seiten 409-410 spricht Riepel vom Unterschied zwischen Absatz und Einschnitt, jedoch er
stellt ihn nicht besonders klar dar. Interessanterweise beschreibt Riepel im ersten Kapitel den Absatz
als eine Stelle, „wo die Melodie pausiert und der Bass eine reine Quart aufwärts springt“ und den Be-
griffen „Abschnitt“, „Einschnitt“ und „Caesura“ gleich. Trotzdem widerspricht sich Riepel im zweiten
Kapitel, indem er den Absatz als eine mindesten viertaktige Struktur in 2/4 bzw. ¾ und den Einschnitt
als ein kürzeres Element beschreibt (Knouse 1986, 59).
31
Vgl. Riepel 2017, 413.

10
Im Gegensatz zum „Grundabsatz“ ist ein „Änderungsabsatz“ eine „Auswei-
chung des Tones“32, „weil sich nach demselben der Ton allezeit unmittelbar ändern
muß. Es mag solche Aenderung oder Ton-Abweichung gleich zur Cadenz in G33, oder
nur schlechterdings wieder zurücke (zum Grundtone C) eilen“34. So kann man den
Grundabsatz als einen (unvollständigen) Ganzschluss auf der Ausgangstonart und den
Änderungsabsatz als einen Halbschluss auf der Ausgangstonart bzw. einen Ganzschluss
auf der Zieltonart (Abb. 5).35 In den folgenden Beispiele Riepels36 sind die Grundab-

sätze mit und die Änderungsabsätze mit markiert:

Abbildung 5:Riepels Darstellung der Ganz- und Halbschlüsse.

Hinsichtlich allgemeine Struktur spricht Riepel von Sätzen, die viertaktigen


Strukturen ohne Kadenz sind und von Einschnitten37, die nur auf dem zweiten Takt
eines Vierers stattfinden können und, die ebenso wie die Absätze Grund- bzw. Ände-
rungseinschnitte sein können. Desweiteren stellt Riepel die Regel dar, dass „es [...] zwi-
schen zwei gleichgiltigen Absätzen freylich wohl eine Cadenz oder ein unterschiedener

32
Vgl. Riepel 2017, 410.
33
Angenommen, dass das hypothetische Stück in C-Dur geschrieben ist.
34
Vgl. Riepel 2017, 421-422.
35
Von dieser Hinsicht ausgehend darf man Riepels Ratschlag aus dem ersten Kapitel (S. 95), dass der
erste Teil eines Menuetts steigen und der zweite fallen soll, als eine Implikation der Modulation inter-
pretieren (Budday 1983, 81 und 83).
36
Riepel 2017, 420.
37
Was die Einschnitte betrifft, geht Riepel nicht tief ins Detail: „Es giebt zwar gar vielerley Ein-
schnitte; jedoch kann man sie bald von den Absätzen unterscheiden, wenn man nur beyläuffig auf die
Tactordnung acht giebt. Ich will dir mit viel Schreibens den Kopf nicht damit toll machen, sondern
mich bloß auf dein mir bereits bekanntes Naturel verlassen[...]“ (Vgl. Riepel 2017, 449).

11
Absatz zu stehen kommen“38 soll, wobei „eine Cadenz und ein Absatz so sehr von ei-
nander unterschiedlich sind, daß sie gleich neben einander stehen, und deswegen dem
Gehöre gar nicht zuwider seyn können“.39
Riepel stellt ebenso vier Arten der Verlängerung dar: Wiederholung, Ausdeh-
nung, Einschiebsel und Verdoppelung der Kadenz, wobei die Änderungskadenzen häu-
figer als die Grundkadenzen wiederholt werden, „denn die Wiederholungen der Caden-
zen helffen absonderlich dem Gesang fremd machen“40. Dafür stehen dem Komponist
drei besonders wichtige Satzmodelle zur Verfügung, so Riepel: „Monte“, „Fonte“ und
„Ponte“41. Diese drei Modelle bestehen jeweils aus vier Takte:
„Monte“ („Berg“ auf Italienisch, Abb. 6) parallelisiert Riepel mit einem Berg,
das der Komponist hinaufklettern muss42, um die Quint zu erreichen: I(V/IV) – IV –
V/V – V. Damit sogar die Sequenz nicht langweilig dem Zuhörer ist empfiehlt Riepel,
den zweiten Zweier etwas zu variieren.43

Abbildung 6: Riepels Beispiel eines Monte-Satzmodells.

38
Vgl. Riepel 2017, 452.
39
Vgl. Riepel 2017, 428.
40
Vgl. Riepel 2017, 456.
41
Riepel verwendet diese Begriffe, um sich über seine damaligen Kollegen lustig zu machen, aufgrund
ihrer Tat, ihre Unfähigkeit verschiedene musikalische Phänomene hinter exotisch klingenden beeindru-
ckenden Begriffe zu verstecken. (Knouse, S. 59) Im dritten Kapitel seines Werkes, stellt er fest, dass
„Monte“, „Fonte“ und „Ponte“ am liebsten im dritten Satz des Menuetts zu stellen sind (Riepel 2017,
666-667).
42
Budday 1983, 79.
43
Ebd.

12
„Fonte“ („Brunn“ auf Italienisch, Abb. 7) vergleicht Riepel einer „Brunn zum
Hinabsteigen“44 und ist eine Wendung nach der II. Stufe, um den kadenziellen Fort-
schritt V – I durch das Schema II – V – I (und im folgenden Notenbeispiel durch die
Sequenz V/II – II – V – I weiters zu bekräftigen) zu verstärken45:

Abbildung 7: Riepels Beispiel eines Fonte-Satzmodells.

„Ponte“ („Brücke“ auf Italienisch, Abb. 8) beschreibt Riepel genauso: Als „eine
Brücke zum hinübergehen“46, die die Harmonie der Dominate nach der Kadenz prolon-
giert, um die Rückkehrung zur Anfangstonart zu bekräftigen:47

Abbildung 8: Riepels Beispiel eines Ponte-Satzmodells.

Von diesen sowie ähnlichen Beispielen ausgehend gestaltet Riepel die „Ton-
ordnung Miniatur“, die für die in Dur geschriebene Stücke I – V – I und for die in Moll
geschriebene Stücke I – III – I ist.48 Im Falle des Menuetts, soll dieser Verlauf über die
vier Vierer so gestaltet sein, dass der dritte Vierer die Melodie sowie die Harmonie
zurück zur Anfangstonart führt. Budday stellt fest, dass im vierten Vierer eine Grund-
kadenz (GK) und im zweiten eine Quintkadenz49 (QK) erklingen soll. Die möglichen

44
Ebd.
45
Riepel 2017, 426.
46
Vgl. Budday 1983, 79.
47
Riepel 2017, 422.
48
Riepel 2017, 472 und Budday 1983, 83.
49
Budday ersetzt auf diesem Punkt den Begriff „Änderungskadenz“ bzw. „Änderungsabsatz“ mit
„Quintkadenz“ und „Quintabsatz“.

13
Strukturen des Menuetts hinsichtlich Kadenzen bzw. Absätze (Grundabsatz – GA bzw.
Quintabsatz – QA, Tab. 1) können also die folgenden50 sein:
Va- Satz 1 2 3 4 Kommentar
ri-
ante
1 GA QK GA GK Der erste und dritte reimen sich –
Muster Exemplar
2 GA QK QA GK „Die gewöhnlichste Form“ – alle
vier Endigungsformel
3 QA QK GA GK Umkehrbarkeit der Formteile
4 QA QK QA GK Koch bedenkt keine Beispiele
Tabelle 1: Varianten der Struktur eines Menuetts nach Riepel

Riepel vergleicht die Stufen der Tonart mit verschiedenen Typen von Men-
schen, die sich in der damaligen Gesellschaft treffen und hinsichtlich Benehmen be-
obachten ließen. Kurz vor dem Ende des Kapitels stellt er fest, dass „das [...] die wahre
Theorie der Musik [ist], welche von allen wahren Liebhabern und Kennern zu allen
Zeiten gesucht ist worden, und bis ans Ende der Welt gesucht wird werden.“
Trotzdem ist der Unterricht noch nicht zu Ende. Im dritten Kapitel, das von der
Tonordnung insbesondere heißt, stellt Riepel fest, dass man die verschiedenen Ele-
mente entweder nach Ordnung oder in der Sache selbst verwechseln kann. Zusammen-
gattung nach Ordnung heißt, dass drei unterschiedlichen Elemente insgesamt sechsmal
angeordnet werden können:

Davon ausgehend kann man aus diesen sechs Modellen drei Urmodellen, die keine

Gleichheit zueinander haben, extrahieren:

50
Budday 1983, 84.

14
, die Riepel als Ordnung in der Sache selbst beschreibt.51 Desweiteren erwähnt Riepel,
dass man die verschiedenen Zusammengattungen miteinander zusammengatten.
Riepel spricht in diesem Kapitel auch von chromatischen Akkorden52 und stellt
den verminderten Septakkord sowie die übermäßige Sechst dar und erklärt ihre Funk-
tion und Bezifferung53. Riepel stellt vier Bewegungsregeln fest, die man berücksichti-
gen soll, wenn man vollkommenen bzw. unvollkommenen Konsonanzen setzen will 54
und erklärt, wie man einen Orgelpunkt-Satz gestalten kann: „Nachdem [...]ein Akkord
aufgelöst ist, darf man den Bass nach Belieben liegen lassen und verschiedene Accorde
nacheinander drüber formieren“55. Durch allen diesen Regeln wird klar, dass die Ton-
ordnung die Bestimmung der gegenseitigen Beziehung der Satz-Interpunktionen im
großformalen Bereich ist.56
Im vierten Kapitel, das den Titel von der betrüglichen Tonordnung trägt, emp-
fiehlt Riepel die Anwendung der Chromatik bei Septimenketten nur in einer Stimme,
damit kein Mi contra Fa erscheint. Ebenso stellt er fest, dass alle Stimmen ihren sing-
haften („Cantabile“ bzw. „Mezzo-Cantabile“) Charakter57 immer beibehalten sollen
und, dass der Bass und Melodie gleich wichtig sind: Man kann entweder den Bass zu
einer Melodie setzen oder umgekehrt.58
Für Riepel sind „Monte“, „Fonte“ „Ponte“ und Septimgänge nur Modelle, die
man nach Belieben verkürzen bzw. verlängern darf, sowie ihr zweites Glied variieren.

51
Riepel 2017, 682-683
52
Rameaus Démonstration du principe de l‘ harmonie (1750) muss Riepel bereits bekannt gewesen
sein, aus dem Grund, dass er genauso wie Rameau seine Akkorde so klassifiziert, dass man zunächst
über die Dreiklänge in Grundstellung (vollkommene Akkorde) und danach über ihren Umkehrungen
(unvollkommene Akkorde) spricht, während die Vierklänge bzw. die chromatischen Akkorde erst nach
den Dreiklängen dargestellt werden. Ebenso ähnlich zu Rameaus Zugang zu der Harmonielehre ist Rie-
pels intervallbezogene Annährung der Akkorde, vor allem derjenigen, die eine Dissonanz beinhalten.52
53
Im dritten Kapitel spricht Riepel von der Harmonie und verwendet Genaralbassbezifferung.
54
Riepel 2017, 754.
55
Vgl. Ebd., 784.
56
Budday 1983, 128.
57
Riepel betont mehrmals in seinen Schriften, dass man beim Komponieren immer fürs „gute Gesang“
zielen muss und, dass die Mittel- sowie Bassstimmen “ihr eigenes ‚Cantable‘ haben“ sollen (Vgl. Rie-
pel 2017, 130).
58
Ebd., 906-911.

15
Trotzdem verbleibt ihre innere Struktur unverändert, egal, wie sie in den Noten tatsäch-
lich formuliert sind. Weiters führt Riepel zwei neue Begriffe ein: Ligatura Dissonantiae
und Ligatura Consonatiae. Die Ligatura Dissonantiae beschreibt die absteigende Auf-
lösung einer Dissonanz zu einer Konsonanz, während die Ligatura Consonatiae die
Bindung der unvollkommenen bzw. vollkommenen Konsonanzen aufeinander bezeich-
net.59
Für Riepel ist wichtig festzustellen, dass die Absichten des Komponierens klar
sind und deswegen stellt die Fragen wer (welcher Komponist), was (welche Gattung),
wo (zu welchem Anlass), wie (welche Hilfsmittel bzw. Modelle) und warum (aus wel-
chem Grund lernt und treibt man die Kunst der Komposition) komponiert.60

2.2. Die „Tonordnung“ durch Heinrich Christoph Kochs Schriften

Von Riepels Theorie der Taktordnung und Tonordnung ausgehend hat Heinrich
Christoph Koch seine analytische Methode so gestaltet, dass er ihre wichtigsten Ele-
mente ausgeschöpfte, um ein sehr stark an der kompositorischen Praxis orientiertes
analytisches Prozess festzustellen. Koch betrachtet die Entwicklung des Menuetts
durch seine von der Tanzmusik zur Kunstmusik und die Anwendung der bereits von
den Komponisten bekannten Ausweichungsmethoden hinsichtlich innere Struktur und
strukturelle Verwandtschaft der Absätze sowie der Verlängerungsmöglichkeiten zuei-
nander bzw. zur gesamten Form.61
Zentral in Kochs System, das er in seinem Buch unter den Titel Versuch einer
Anleitung zur Composition umfasst, liegt der Satz, der in den meisten Fällen aus vier
Takte besteht. Genauso wie Riepel stellt Koch die Bestimmungsmerkmale des Satzes
dar:
i. Rhythmische Beschaffenheiten: Die Länge des Satzes.
ii. Interpunktische Beschaffenheiten: Die Endigungsformeln des Satzes, nämlich die
Absätze bzw. Kadenzen.
iii. Logische Beschaffenheiten: Die Melodik bzw. Motivik des Satzes.

59
Riepel 2017, 995.
60
Riepel 2017, 968-974.
61
Koch legt den Fokus auf die sechzehntaktige Struktur des aus vier Vierer bestehenden Menuetts
(Scheideler 2008, 205 und Diergarten 2010, 233-238).

16
Koch spricht in seinem Werk von der Satzverlängerung durch Veränderung der
rhythmischen Beschaffenheiten62 und sowie Riepel spricht er von melodischen Teile.
Die „wichtigsten Hülfsmittel zur Verlängerung einer Melodie“ sind laut Koch die Wie-
derholung, die ebenso variiert bzw. transponiert erscheinen kann, und die Satzerweite-
rung, die sich auf „alle auf eine angedeutete oder ausgeführte Endigungsformel folgen-
der Takte, die als zum Satz gehörig betrachtet werden müssen“ bezieht.63 Desweiteren
systematisiert Koch alle Verlängerungsmittel bzw. -Möglichkeiten und stellt drei Ver-
längerungsarten dar:
i. Innerhalb des Satzes. Was innerhalb des Satzes passiert, kann entweder aus dem
Satzmaterial kommen (wörtliche bzw. variierte Wiederholung, Sequenz, Dehnung)
oder davon abweichen [„Parenthese“ (Koch) / „Einschiebsel“ (Riepel)“64]
ii. Kadenzverdopplung. Der Schlusssatz wird zum Absatz umgeformt, indem er zu-
nächst unvollkommen und gleich danach vollkommen erscheint. Das schafft man
in der kompositorischen Praxis meistens, indem man in einem früheren Takt zu-
rückspringt.
iii. Kadenzanhang. Der Anhang ist direkt nach der Kadenz angeschlossen und kann
entweder die Endigungsformel wiederholen oder neues Material zum Satz an-
schließen.65
Trotz der Systematisierung der Phänomene, verbleibt Kochs sowie Riepels Zu-
gang zum Komponierenlernen kasuistisch. Sie benennen und stellen zwar die verschie-
denen Möglichkeiten durch zahlreichen Beispiele dar, jedoch stellen sie weder Begrün-
dungen bzw. Bedingungen davon noch Aussagen über die Häufigkeit bestimmter For-
men dar. Koch beschreibt die Verlängerung als ein mechanisches Hilfsmittel ohne

62
Interessanterweise kann es laut Riepel keine eigenständige drei-, fünf-, bzw. siebentaktige Struktur,
denn sie ergeben sich aus der Verkürzung bzw. Verlängerung des Vierers bzw. des Achters. Koch im
Gegensatz meint, dass sie wohl als eigenständigen Strukturen existieren dürfen, jedoch müssen sie von
einer genau großen Struktur gefolgt werden, damit die gesamte Periodenlänge geradtaktig verbleibt. für
Koch der Bindetakt von großer und zwar doppelter Bedeutung, denn nicht nur endet dort der erste Satz,
sondern beginnt der zweite auch. Aus diesem Grund muss er in beiden Sätzen mitgezählt werden (Bud-
day 1983, 40, 42 und 47-49).
63
Vgl. Budday 1983, 52.
64
Koch beschreibt sie als die „Einschaltung zufälliger melodischen Teile zwischen den Gliedern eines
Satzes.“ Vgl. Budday 1983, 53.
65
Scheideler 2008, 206.

17
Rücksicht auf ihre ästhetischen Ursachen bzw. Wirkungen zu nehmen: „Lässt sich
durch die individuellen Werke bestimmen. [...] Wann und wo jedes Hilfsmittel einzeln
oder in Verbindung mit den übrigen gebraucht werden muss... durch das fleißige Stu-
dium der Werke der Meister“. Dadurch lernt man selbst den vorteilhaftesten Gebrauch
dieser Hilfsmittel. 66
Scheideler, der die analytische Methode Kochs auf Haydns Menuette aus den
1760er und 1770er Jahre anwandte, merkt, dass sich im Laufe der Zeit nicht nur die Art
der Abweichungen von der sechzehntaktigen Form, sondern auch die logische Beschaf-
fenheit der Stücke ändert. In den Beispielen aus der 1760er Jahre, lässt sich eine offene
Form beobachten, die sich zum folgenden durchgesetzten Modell verwandelt: ||: a a‘ :||:
b a :|| bzw. ||: a a‘ :||: b a a’ :||, das auf die so genannte dreiteilige Liedform (ABA‘)
weist. Häufig lässt sich ebenso eine von Marx beschriebene zweiteilige Liedform be-
obachten: ||: a b :||: a‘ b‘ :||, während Kochs Modell ||: a b :||: a‘ c :|| ebenso in manchen
Beispielen entdeckbar ist.67
Die verschiedenen Verlängerungsmöglichkeiten stellt Koch hinsichtlich auf die
zwei Perioden des Menuetts. In den meisten Fällen aus den 1760er Jahre lässt die Ver-
längerung im A-Teil finden, während der A‘-Teil unvariiert ist. Dies liegt hauptsächlich
daran, dass im A-Teil die Modulation (Ausweichung) in die Dominante bzw. in die
Tonika-Parallel stattfindet, die eine Bestätigung benötigt, um deutliche wahrnehmbar
zu werden. Im A‘-Teil gibt es in der Regel keine Modulation und deshalb entfällt ein
besonders wesentlicher Grund der Verlängerung. Dadurch entsteht eine zehntaktige
Struktur im ersten Teil des Menuetts, die aus 4+6 Takte besteht. Darüber hinaus darf
man der Verlängerung zwei Aufgaben zuschreiben: Einerseits die Bekräftigung und
Emphatisierung des Übergangs in die Zieltonart und andererseits die Betonung des Er-
reichens der Zieltonart.68
Im Folgenden Beispiel aus Haydns Symphonie Nr. 25 (Takte 1-10, Abb. 9) lässt sich
die Verlängerung des zweiten Satzes durch die variierte Wiederholung der Takte 5-6 in
den Takten 7-8 beobachten. Die Ausschöpfung der Triolenbewegung verstärkt die Aus-
weichung in die Dominante und dient dazu, dass sie deutlicher wahrnehmbar ist:

66
Vgl. Scheideler 2008, 206.
67
Scheideler 2008, 211.
68
Scheideler 2008, 211.

18
Abbildung 9: Haydn, Symphonie Hob. I:25, II. Menuett, T. 1-10.

Ein ähnliches Beispiel69 lässt sich im Menuett der Klaviersonate Hob. VI:16
(Takte 1-10, Abb. 10) finden. Die Takte 5-6 werden in den Takten 7-8 variiert wieder-
holt. Diese Steigerung der Motorik sowie die Lagewechsel der linken Hand bekräftigen
die Ausweichung in die Dominante, die durch den darauffolgenden kadenziellen Pro-
zess in den Takten 9-10 bestätigt wird.

Abbildung 10: Haydn, Klaviersonate Hob. VI:16, II. Menuett, T- 1-10.

Im Laufe der Zeit lässt sich eine Umwandlung des kompositorischen Prozesses
bei Haydn beobachten, wobei die Verlängerung nicht mehr als Hilfsmittel, sondern als
wesentlicher Teil der Struktur und der melodischen Gestaltung betrachtet wird.
Dadurch wird nun klar, dass die Verlängerung nicht mehr ein verzichtbarer Zusatz ist,
sondern, dass sie eine wesentliche Rolle für den Verlauf sowie für die interpunktischen
Beschaffenheiten des Stückes spielt. Dadurch nimmt ihre Akzentuierung zu, indem die
äußeren Rahmen der zwei Perioden symmetrisch geändert werden.70
Ein gutes Beispiel aus dieser Phase Haydns stellen die Takte 1-18 des Menuetts
aus dem Streichquartett Op. 17/1 dar (Abb. 11). Nun lässt sich der neue Zugang des
Komponisten zu den Verlängerungen deutlich darstellen. Der A-Teil besteht aus 6+12
Takte, wobei, die Verlängerung der beiden Sätze kaum verzichtbar ist; sie gehören dem
jeweiligen Satz unmittelbar, weil in ihnen die logische Beschaffenheit des Satzes un-
mittelbar fortgesetzt wird:

69
Für alle Beispiele aus Haydns Literatur in diesem Abschnitt lassen sich detaillierten Analysen hin-
sichtlich Formverlauf in Scheidelers Artikel finden.
70
Um die Verlängerung im A‘-Teil zu setzen, muss sie dem neuen Kontext entsprechend modifiziert
werden (Scheideler 2008, 221).

19
Abbildung 11: Haydn, Streichquartett Op. 17/1, II. Menuett, T. 1-18.

Was vielleicht als Abschluss dieses Abschnittes erwähnenswert ist, ist die Tat-
sache, dass Koch selbst die charakteristischen Kennzeichen der Endigungsformeln und
ihrer Merkmale und das Gehör zu bestimmen versuchte, was in der Praxis nicht bestä-
tigt wurde. Trotzdem ist Kochs Selbstexperiment für die historisch informierte Musik-
theorie von großer Bedeutung, weil es gezeigt hat, dass die Regeln einer Theorie nicht
in jeder Hinsicht angemessen repräsentiert werden. Waldura vergleicht Kochs häufig
sich widersprechende Perspektive der Satzgestaltung und vor allem der Endigungsfor-
meln zu den „Schemata“71 der Kognitionswissenschaft im Sinne von Strukturen, die
sich nicht auf die einzelnen „materiellen“ Eigenschaften reduzieren lassen, und das
Aufschlusskriterium fürs Identifizieren des Schemas nur das Hören ist.72

71
Ein „Schema“ ist laut Robert Gjerdingens einerseits ein kognitives Modell (entweder erlernt oder auf
Erfahrung beruht) und in Verbindung mit aktiver Konstruktionsleistung die Wahrnehmung beeinflusst
(top-down) und andererseits eine Merkmalsextraktion spezifischer Strukturen bzw. Wahrnehmungs-
reize (buttom-up) (Kaiser 2007, 72).
72
Diergarten 2010, 236-237.

20
3. Anwendung der „Tonordnung“

Nachdem die wichtigsten Aspekte der Tonordnung laut ihrer Verfasser Riepel
und Koch ins Detail dargestellt wurden, ist vielleicht nun interessant, sie als analyti-
sches bzw. kompositorisches Mittel anzuwenden. In diesem Kapitel wird der Autor zu-
nächst Beispiele aus Mozarts Frühkompositionen im Hinblick auf die Tonordnung ana-
lysieren und dann wird er sie selbst in einem eigen verfassten Menuett anwenden.

3.1. Als Analytisches Mittel

Das erste Beispiel dieses Kapitels ist Mozarts Menuett in G-Dur KV 1e (Nbsp.
1). Obwohl in diesem Menuett sich keine Verlängerung finden lässt, ist jedoch interes-
sant, wie Mozart die Form gestaltete. Beiden Perioden bestehen aus acht Takte, wobei
die ersten zwei Takte in den darauffolgenden sequenziert sind.73 Ebenso lässt sich in
beiden Perioden der Vorhalt des zweiten Taktes als Einschnitt interpretieren, während
der Absatz auf der Tonika G-Dur endet (Grundabsatz)74. Die folgenden vier Takte stel-
len eine Verdichtung des motivischen Materials, damit die logische Beschaffenheit die
Ausweichung in die Zieltonart der Dominante D-Dur deutlicher wahrnehmbar machen
kann. Die Triole des siebten Taktes betont den kadenziellen Prozess, der in den Takten
7-8 stattfindet. Die erste Periode schließt mit einer Änderungskadenz, und die zweite
mit einer Grundkadenz. Der erste Satz der zweiten Periode ist ein „Monte“, der zurück
zur Ausgangstonart G-Dur führt.

73
Vgl. Riepels Definition des „Zweyers“ in S. 7 dieser Arbeit.
74
Buddays erste Variante, vgl. Tabelle, S. 15 dieser Arbeit.

21
Notenbeispiel 1: Mozart KV 1e, Menuett in G-Dur, T. 1-16.

Das nächste Beispiel stammt aus Mozarts Violinsonate in g-Moll KV 11 (Nbsp.


2). Trotz seiner seltsamen Struktur von 20+16+12 Takte, ist sein Formverlauf sehr stark
von der Tonordnung geprägt. Der A-Teil besteht aus zwei Sätze, deren äußeren Rahmen
aus 8+12 Takte bestehen. Der erste Satz besteht aus vier Zweyer, wobei der zweite eine
fast wörtliche Wiederholung des ersten ist. Im dritten Zweyer lässt sich eine Fortspin-
nung des ersten Teilmotivs beobachten, die zum Änderungsabsatz im Takt 8 führt. Im
Takt 9 beginnt der neue Satz, dessen Anfang von der Beschaffenheit her ähnlich dem
ersten Vierer des ersten Satzes ist. Der nächste Vierer führt durch eine chromatische
Passage zum Trugschluss in der Tonika-Parallel B-Dur. In den Takten 17-20 lässt sich
der vorherige Vierer variiert wiederholen und diesmal mit einer Änderungskadenz in
B-Dur75 die erste Periode abschließen.

75
Dies bestätigt Riepels Tonordnung Miniatur für die Stücke, die in Moll-Tonarten komponiert sind,
nämlich a-C-a und in diesem Falle g-B-g (Budday 1983, 78 und Riepel 2017, 472-485).

22
Notenbeispiel 2: Mozart, Violinsonate g-Moll KV 11, III. Menuett, T. 1-20.

Im B-Teil (Nbsp. 3) lässt sich ein von der Bewegung her ähnlicher zum A-Teil
Verlauf finden. Der erste Vierer, genauso wie bei den Vierer der ersten Periode lässt
sich in zwei fast gleichen Zweyer teilen. Der zweite Vierer bereitet die nächste Aus-
weichung in c-Moll vor, die durch einen Trugschluss im Takt 28 akzentuiert wird, bis
sie im Takt 30 von einem Änderungsabsatz76 bestätigt wird. Die logische Beschaffen-
heit dieses verlängerten Vierers fasst Elemente der ersten Periode zusammen, indem
die Takte 25-57 bereits im zweiten Satz des A-Teil zu finden sind und, der Triller im
Takt 28 dem Triller im Takt 7 entspricht, jedoch rhythmisch versetzt. Der nächste Satz
stellt eine Sequenzierung der Takte 25-30 dar und der Satz erklingt diesmal in B-Dur.77

76
Riepels Definition des Änderungsabsatzes (Vgl. S. 10 dieser Arbeit) ist unklar genug, um uns zu er-
lauben, als Änderung jede Modulation zu betrachten. Darüber hinaus, auch wenn es ungewöhnlich ist,
lässt sich im Takt 30 dieses Menuetts ein Änderungsabsatz finden, der als Ganzschluss in c-Moll ge-
prägt ist.
77
An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob der Ganzschluss in B-Dur als Grund- oder als Änderungsab-
satz zu betrachten ist, denn einerseits schließt der B-Teil ordentlich in seiner Ausgangstonart B-Dur je-
doch andererseits ist B-Dur gleichzeitig eine Ausweichung von der Ausgangstonart des gesamten Stü-
ckes g-Moll. Diese Mehrdeutigkeit liegt an Riepels unklarer Definition der Grund- und Änderungsab-
sätze bzw. -Kadenzen, weil er die Tonart des B-Teiles weder als neue Haupttonart noch als Nebenton-
art bezeichnet. Laut der Tonordnung Miniatur handelt es sich um eine Nebentonart, jedoch spricht Rie-
pel nicht von dreiteiligen Menuetten.

23
Notenbeispiel 3: Mozart, Vio-
linsonate g-Moll KV 11, III. Menuett T. 19-36

Im A‘-Teil lässt sich wiederum der erste Vierer unverändert78 beobachten. Der
darauffolgende Vierer entspricht dem zweiten Vierer des zweiten Satzes vom A-Teil,
um eine Terz hinunter transponiert. Nun, dass die Ausweichung entfällt braucht man
keine Zwischenabsätze, um den Übergang zur Zieltonart vorzubereiten bzw. zu akzen-
tuieren. Es ist also logisch, dass der zweite und dritte Vierer des A-Teiles ausfallen.
Trotzdem verbleiben der Trugschluss und die verzierte Wiederholung des Schlusssat-
zes.

Notenbeispiel 4: Mozart, Violinsonate g-Moll KV 11, III. Menuett, T. 29-48

78
Der einzige Unterschied lässt sich in den Takten 37 und 39 finden, wo die linke Hand des Klaviers
die Takte 1 und 3 umgekehrt spielt.

24
Im Menuett seiner Violinsonate in c-Moll KV 59 (Nbsp. 5) stellt Mozart eine
sehr interessante und erwähnenswerte Form dar: Obschon das Stück klar als eine zwei-
unddreißigtaktige zweiteilige Liedform79 gestaltet ist, Wiederholt Mozart nur den ers-
ten Achter, der aus einen Grund- und einen Änderungsabsatz80 besteht. Der zweite Ach-
ter bestätigt die Ausweichung in die Tonart der Dominate B-Dur, bereits beim ersten
Vierer, der zu einem weichen Absatz in B-Dur führt. Im zweiten Vierer dieses Achters
lässt sich den vorherigen wiederholen, jedoch chromatisch alteriert; Mozart verwendet
die Moll-Subdominante, um die Änderungskadenz in B-Dur zu bekräftigen. Die logi-
sche Beschaffenheit beider Sätze bleibt unverändert im Hinblick auf die Phrasierung
(Gruppierungen von zwei Achtelnoten, auftaktiger Sprung), jedoch die Melodik des
ersten Satzes aus Sekundschritte und Vorhalte besteht und des zweiten aus Akkordzer-
legungen und Sprünge.
Im dritten Achter lässt sich der erste wiederholen. Der erste Vierer ist wörtlich
überliefert und endet mit einem Grundabsatz in der Ausgangstonart Es-Dur, während
der zweite Zweyer des folgenden Vierers modifiziert ist um ebenso in Es-Dur zu ka-
denzieren. Interessanterweise lässt sich im letzten Achter eine zusammengeschobene
Fassung der ersten zwei Achter, indem die logische Beschaffenheit der Melodie sich
stets in Sekundschritte bewegt und, der Bass einen B-Orgelpunkt spielt. Die Schluss-
kadenz stammt aus den Takten 21-24, deren logische Beschaffenheit diejenige des ers-
ten Vierers angepasst wurde.

79
Vgl. Scheideler S. 211 sowie S. 19 dieser Arbeit.
80
In diesem Falle lässt sich ein Halbschluss in der Ausgangstonart Es-Dur finden.

25
Notenbeispiel 5: Mozart, Violinsonate KV 59, II. Menuett

26
3.2. In der kompositorischen Praxis

Nachdem die Tonordnung möglichst ins Detail präsentiert und als analytisches
Mittel angewandt wurde, wird sie nun als praktisches Hilfsmittel zum Komponieren
eines Menuetts dienen.
Zunächst braucht man einen Achter (Nbsp. 6 und 7), der leicht zu zwei kennba-
ren Vierer unterteilt werden kann:

Notenbeispiel 6: Katharopoulos, achttaktige Melodie a.

Notenbeispiel 7: Katharopoulos, Skizze von Menuett Op. 0, T. 1-8.

Der erste Satz endet mit einem Änderungsabsatz (Halbschluss in F-Dur) und der
zweite, der in die Tonart der Dominante C-Dur ausweicht, mit einer Änderungskadenz
(Ganzschluss in C-Dur). Nun soll im zweiten Satz dieses Achters eine zweitaktige Ver-
längerung stattfinden, um die Ausweichung in die Dominante C-Dur zu bekräftigen.
Deshalb wird in Takt 8 statt der normalen Änderungskadenz zunächst ein Trugschluss
stattfinden (Nbsp. 8) und der gesamte kadenzielle Prozess wird sich wiederholen und
erst im Takt 10 in C-Dur kadenzieren.

27
Notenbeispiel 8: Katharopoulos, Menuett Op. 0, T. 1-10.

Und somit ist die erste Periode des Menuetts vervollständigt.81


Für die zweite Periode wird der gleiche Prozess stattfinden. Zunächst muss man
den Achter setzen (Nbsp. 9 und 10):

Notenbeispiel 9: Katharopoulos, achttaktige Melodie b.

Notenbeispiel 10: Katharopoulos, Skizze zu Menuett Op. 0, T. 11-18.

Diese Periode besteht aus einem achttaktigen Satze. Der erste Einschnitt besteht
aus zwei frei sequenzierenden Zweyer und endet im Takt 13 auf der ersten Viertel, wo
gleichzeitig der zweite Einschnitt beginnt. Nun muss der zweite Satz verlängert werden,
um die Wiederkehr in die Ausgangstonart F-Dur zu akzentuieren und die Wirkung des
Schlusssatzes zu bekräftigen (Nbsp. 11). Der eingeschobene Trugschluss im zweiten

81
Trotz Riepels Trotz Riepels Hinweis, Mi contra Fa zu vermeiden (vgl. S. 16 dieser Arbeit), fand der
Autor den Kontrast zwischen D-Dur und d-Moll Sechstakkord besonders amüsierend und wollt ihn
gern im Stück verbleiben lassen.

28
Einschnitt dient dazu, die Symmetrie der äußeren Rahmen der zwei Perioden zu beibe-
halten.

Notenbeispiel 11: Katharopoulos, Menuett Op. 0, T. 11-20.

Obschon die Klangsprache dieses Beispieles von derjenigen der Wiener Klassik
abweicht, ist das Ziel des Experiments erfolgreich geschafft. Das sich aus diesen Pro-
zess ergebene Menuett ist zwar nicht so schön wie diejenigen von Haydn bzw. Mozart,
jedoch überprüft, dass die Tonordnung nicht nur im Nachhinein als ein abstraktes sys-
tematisches Analysemittel ist, sondern dass sie ebenso der Komponisten gebräuchlich
sein kann, um den Formverlauf eines Stückes, zumindest hinsichtlich Kompositionsun-
terricht, zu betrachten und wahrzunehmen.

29
4. Nachwort

Joseph Riepels Schriften sind vielleicht fehlerhaft bzw. sich widersprechend


und seine Theorie der Tonordnung etwas unklar und vergessen heutzutage. Trotzdem
soll man Rücksicht auf die Rolle, die Riepels Tonordnung in seiner Epoche spielte, im
Hinblick auf die Entwicklung der Formenlehre: Riepel war der erste Theoretiker, der
die verschiedenen kompositorischen Prozesse bzw. Elemente als Teile einer gesamten
formalen Gestalt betrachtete.
Auch seine damaligen Kollegen haben positiv sein Werk empfunden, obgleich
manche skeptisch waren hinsichtlich Beziehung zwischen Melodie und Bass. Marpurg
empfehlt in seinem Handbuch bey dem Generalbass und der Komposition /1755) Rie-
pels Kapitel 1 und 2 als perfekte Traktate über die melodische Struktur, jedoch stellt
die Frage, ob die Melodie oder die Harmonie zunächst im Stande kommt.
Trotz der gemischten Rezeption seiner Arbeit, Riepels Theorie hatte einen gro-
ßen Einfluss auf die historisch informierte Musiktheorie, was sich dadurch bestätigen
lässt, dass viele Theoretiker manche seiner Begriffe adoptiert und zu verschiedenen
Bedeutungen angepasst haben. Desweiteren war Riepels Beitrag zur Entwicklung der
Musiktheorie von großer Bedeutung, denn er ist einerseits bereit und fähig die neuen,
geeigneten Begriffe zu erfinden, um neue Wege in Materialbeschreibung und ihre
Kombinationen zu finden und andererseits überprüfen die Nützlichkeit seiner Arbeit
seine zahlreichen Nachfolger, vor allem im 19. Jahrhundert. Trotz seinen Referenzen
an anderen wichtigen Autoren des 18. Jahrhunderts (Rameau, Marpurg, Murschhauser,
CPE Bach) ist sein Denken von ihren Ideen unabhängig; ihr Werk verwendet er nur als
Ausgangspunkt für seine eigenen Ideen, die grundsätzlich original von ihm erfunden
sind. Obschon viele von seinen Ideen nicht maßgeblich adoptiert wurden (z.B.: Monte-
Fonte-Ponte), waren seine Innovationen wichtig und trugen zum Anschlag für weitere
Entwicklung der Formenlehre durch bereichspezifische Terminologie bei.82

82
Indem man zumindest eine Melodie in der tiefen und eine Melodie in der hohen Lage benötigt, er-
scheinen die Melodie und Harmonie gleichzeitig, so Marpurg. Desweiteren erklingt die Melodie nicht
vertikal. Rameau hat schon in seinen Traktaten, die in der 1750er Jahren Riepel bekannt waren müssen,
festgestellt, dass die Harmonie vor der Melodie kommt. Trotzdem muss klarwerden, dass die Harmonie
und die Melodie gleichzeitig geboren sind, denn einerseits kann für jede (einstimmige) Tonfolge min-
destens eine gleich große (die die erste harmonisiert) vorgestellt werden, und andererseits kann keine

30
Die Tonordnung kann besonders gebräuchlich für den Kompositions- sowie für
den Analysenunterricht sein, weil der Studierende eine Methode vor sich hat, die sich
aus der kompositorischen Praxis ergibt und die Praxis erklärt. Durch die Tonordnung
kann man nicht nur den kompositorischen Prozess der großen Meister verfolgen, son-
dern ihn auch selbst nachahmen und kleineren bzw. größeren und „lobenswürdigeren“
Formen verfassen, ohne sich im Stil des frühen Klassizismus einschränken zu müssen,
sondern kann der historisch informierte Komponist, bzw. Theoretiker auch mit anderen
Klangsprachen experimentieren und seine Ideen durch die Tonordnung gestalten.

Melodie fortgesponnen werden, ohne die Melodietöne darzustellen, die die Harmonik beinhaltet.
(Knouse 1986, 48 und 59-60)

31
5. Literaturverzeichnis

Budday, Wolfgang (1983), Grundlagen musikalischer Formen der Wiener Klassik. An


Hand der zeitgenössischen Theorie von Joseph Riepel und Heinrich Christoph
Koch dargestellt an Menuetten und Sonatensätzen (1750-1790), Kassel: Bären-
reiter, Kassel

Budday, Wolfgang (2002): Harmonielehre Wiener Klassik. Theorie – Satztechnik –


Werkanalyse, Stuttgart: Berthold & Schwerdtner

Diergarten, Felix (2010): „Markus Waldura: Von Rameau und Riepel zu Koch. Zum
Zusammenhang zwischen theoretischem Ansatz, Kadenzlehre und Periodenbe-
griff in der Musik des 18. Jahrhunderts (Hildesheim, Olms 2002)“, Zeitschrift
der Gesellschaft für Musiktheorie 7/2, 233–242. https://doi.org/10.31751/536
(19.8.2020)

Kaiser, Ulrich (2007), Die Notenbücher der Mozarts als Grundlage der Analyse von W.
A. Mozarts Kompositionen 1761-1767, Kassel: Bärenreiter

Reed Knouse, Nola (1986), „Joseph Riepel and the emerging Theory of Form in the
Eighteenth Century”, Current Musicology 41, 46-62

Riepel, Joseph (2017), Anfangsgründe zur musikalischen Setzkunst [1752-68], Treucht-


lingen: Literaricon

Scheideler, Ulrich (2008), „Formen und Funktionen des Gebrauchs melodischer Ver-
längerungsmittel in Joseph Haydns frühen Menuetten” in: MusikTheorie – Zeit-
schrift für Musikwissenschaft 23, 205-221

32

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