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VO MUSIKALISCHE STRUKTURANALYSE / FORMENLEHRE 02

5. Einheit

FORMEN 12: Polarität von freiem und gebundenem Satz: Präludien und Fugen

Präludium und Fuge: diese Kombination entspringt einem Denken in Polaritäten. So wie Rezitativ
und Arie, Allemande und Courante, Sarabande und Gigue jeweils Paarungen sind, die auf
Kontrasten beruhen, so besteht der wesentliche Kontrast zwischen Präludium und Fuge darin, dass
es sich um einen freien (Präludium) und gebundenen (Fuge) Satz handelt. Die Polarität resultiert bei
dieser Kombination in erster Linie aus der Satztechnik und nicht wie bei Rezitativ und Arie aus der
Handlung und Textverarbeitung oder bei den Tanzsätzen aus den unterschiedlichen Charakteristika,
die den einzelnen Sätzen zu Grunde liegen.
Die Kombination aus Präludium und Fuge ist nicht zwingend: Präludien können auch anderen
Werkzyklen vorangestellt sein (z.B. Suiten) oder in späterer Zeit auch als Einzelwerke bedeutend
sein (z.B. die Sammlung von 24 Préludes von Debussy oder die Symphonische Dichtung von
Liszt). Fugen ihrerseits treten in unterschiedlichen Kontexten auf und sind einerseits eine
selbständige Gattung, andererseits aber auch das Resultat einer bestimmten kontrapunktischen
Arbeitsweise, die sich auch als Satztechnik in Werken finden lässt, die nicht unbedingt mit der
Fugentechnik in Verbindung gebracht werden müssen (z.B. als Finalsätze in symphonischen
Werken oder Variationssätzen).
Dennoch gibt es in der Barockzeit und später wieder im 20. Jahrhundert eine Reihe an bedeutenden
Werkzyklen, die aus dem Reiz der Polarität aus freiem und gebundenem Satz zur festen
Kombination von Präludium und Fuge führen.
Bekannte Beispiele hierfür sind nicht nur die Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers
von Johann Sebastian Bach, sondern auch eine Vielzahl weiterer Sammlungen:
Johann Caspar Ferdinand Fischer: Ariadne musica, 1715 (20 Präludien und Fugen)
Felix Mendelssohn-Bartholdy: 3 Präludien und Fugen op. 37, 1836/37
Max Reger: Präludien und Fugen op. 85 (Orgel), op. 99 (Klavier), op. 117 und 131 (Violine solo)
Franz Schmidt: Präludium und Fuge (in verschiedenen Tonarten) (1924-1934)
Dmitri Schostakowitsch: 24 Präludien und Fugen op.24, 1951
Rodion Schtschedrin: 24 Präludien und Fugen, 1963/1970
Abweichung des Schemas: Paul Hindemith schreibt 1942 sein kontrapunktisches Werk Ludus
tonalis, das aus insgesamt 12 Fugen besteht, die gleichtönige Interludien haben. Dem gesamten
Werk ist ein Präludium vorangestellt, das am Ende als Postludium in Krebsform wiederkehrt.
Das Referenzwerk für eine Sammlung aus Präludien und Fugen stellen aber zweifelsohne die
beiden Bände des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach dar, wo nicht nur der
temperierten Stimmung Andreas Werckmeisters gehuldigt wurde, sondern auch die
unterschiedlichsten Konzepte für Präludien und auch Fugen vorgestellt werden.

Jedes Präludium und jede Fuge sind durch die gleiche Tonart aneinander gebunden, sind in
Ausdruck und Verarbeitung aber deutlich von den anderen Paaren unterschieden. -29-
Präludium (Amon 2011, S. 282f.)

Präludien in der Barockzeit sind der einleitende, und somit vorangestellte Teil, einer instrumentalen
Binärform, auf die dann das Hauptwerk folgt: ein Ricercar oder eine Fuge. Ein Präludium kann
auch wie eine Toccata, Fantasia, Intrada oder ein Capriccio konzipiert sein – wesentlich ist, dass es
eine Form mit einem freien Satz ist, die eine Polarität mit dem gebundenen Satz des eigentlichen
Hauptwerks (Ricercar oder Fuge) ergibt:
„Es hat seit den Anfängen im 15. und 16. Jahrhundert gewissermaßen als Einleitung die Aufgabe,
den Hörer auf die entsprechende Tonart und den Charakter bzw. Affekt einzustimmen, seine
Aufmerksamkeit zu fokussieren. Zugleich soll der Interpret das Instrument (vorwiegend
Tasteninstrument oder Laute) ausprobieren bzw. sich einspielen. Oft wurde das Präludium teilweise
(mit melodischen Verzierungen) oder zur Gänze improvisiert. Der Improvisationscharakter zeigt
sich in tw. nur skizzenhafter Notation (L. Couperin notiert seine 14 Préludes in ganzen Noten).
Durch die Nähe zur Improvisation ist auch die historisch nie verfestigte Form des Präludiums zu
erklären.“ (Amon 2011, S. 282f.)

Folgende grundlegende Methoden der Gestaltung von Präludien werden unterschieden (Amon
2011, S. 283):

Akkordspiel – frei, improvisationsartig, instrumentenspezifisch; oft in Kombination mit


Kolorierungen, Diminutionen, Arpeggien und Passagen; instrumententypische Spielfiguren
Konstruktiv-linear – Imitation, Kontrapunkt und polyphone Stimmführung, Gestaltungsmerkmale
mit Ähnlichkeiten zur Vokalmusik

Man kann diese allerdings noch weiter präzisieren und so beschreibt Alfred Dürr1 sechs
verschiedene Präludientypen für das Wohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach:

1. Klangflächenpräludium
2. motivgeprägt-variabler Satz
3. imitatorischer Satz
4. quasiimprovisatorischer Satz
5. Ritornell-Episodensatz
6. klavieristisch-galanter Satz

„Das Präludium soll in dieser Zeit entweder das folgende Stück motivisch-thematisch vorbereiten
(beide, Präludium und beispielsweise nachfolgende Fuge, werden dann in einigen Zügen
Ähnlichkeiten aufweisen, und im Fugenthema oder in den Zwischenspielen werden sich, meist sehr
verdichtet, melodische und rhythmische Wendungen des Präludiums wiederfinden) oder es soll dem
Spieler und dem Hörer nur eine unverbindliche Einstimmung geben. Diesem Zweck entsprechend
ist das Präludium meist akkordisch-homophon angelegt und beruht auf Akkordbrechungen,
symmetrischen Bildungen und rhythmisch-metrischen Entsprechungen. Oft wird gerade im
Präludium eine rhythmische oder melodische Bewegung von Anfang bis Ende beibehalten, was zur
nachfolgenden polyphonen Form einer Fuge oder Toccata wie auch zu Tanzsätzen einen starken
Kontrast bildet. An den Präludien des Wohltemperierten Klaviers von Bach lassen sich die
Erscheinungsformen des Präludiums am besten studieren. Dass hier, im Gegensatz zum bisher
Gesagten, auch streng kontrapunktisch gearbeitete Präludien vorkommen, beweist das […] A-Dur-
Präludium aus dem I. Band des Wohltemperierten Klaviers, das eine simultane Tripelfuge darstellt,
in dem also drei Themen gleichzeitig durchgeführt werden.“2

Gruppenarbeit: einige Präludientypen aus dem Wohltemperierten Klavier zuordnen -30-

1 Dürr, Alfred: Johann Sebastian Bach. Das Wohltemperierte Klavier. Bärenreiter Kassel, 1998
2 Altmann, Günter: Musikalische Formenlehre. Schott Mainz, 2001. S. 152
Die historische Entwicklung polyphoner Instrumentalformen

Der Ursprung der Fuge liegt in frühen Imitationsformen der Vokalpolyphonie, wie sie bereits in den
Motetten der Renaissancezeit vorkommen. Diese Imitationsformen wurden im Laufe der Zeit auch
auf instrumentale Formen übertragen und vor allem Ricercar und Kanzone gelten als die
wichtigsten Vorformen der barocken Fugen.
Das Thema dieser frühen polyphonen vokalen Motetten (und des Ricercars) wird üblicherweise
Soggetto genannt, weshalb auch im Bereich der Instrumentalpolyphonie dieser Begriff für das
Thema in der Musiktheorie meistens Verwendung findet. Die Imitationsmuster der
Vokalpolyphonie lassen grundsätzlich Imitationen in unterschiedlichen Intervallabständen zu – sehr
häufig ist aber auch hier schon eine Imitation auf der Quinte zu finden, die nicht zuletzt auch durch
den Ambitus der Stimmen naheliegend ist und spätestens bei den Fugen zum grundlegenden
harmonischen Konzept der Imitation dazugehört.
Die Herleitung des Namens Fuge von fuga (lat. Flucht) kommt eben von jener strengen
Gesetzmäßigkeit der Imitation, bei der die einzelnen Stimmen voreinander fliehen, aber durch die
nachfolgende Stimme nachgeahmt werden. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde dieser Terminus
ausschließlich für streng imitierende Sätze verwendet, die im Sinne des Kanons gehalten waren.

Ricercar

„Das Ricercar entstand aus der Übertragung der Motette auf Orgel und Laute. Der typische Aufbau
der im 15. und 16. Jahrhundert gepflegten Motette in mehreren Teilen, der sich aus der Gewohnheit
ergab, jede Verszeile besonders durchzuführen und dabei anfangs genau zu imitieren, wurde im
Ricercar beibehalten, und dieser Imitation, dem mehrmaligen Auftauchen des Themas, verdankt das
Ricercar auch seinen Namen (ital. ricercare = wieder aufsuchen, auch eines Themas).“ (Altmann
2001, S. 143)
Für das Ricercar gilt, dass es auch hier verschiedene Formen gibt (z.B. das Variationsricercar, bei
dem das Sogetto in variierter Form wiederkehrt). Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das Ricercar
neben der Fuge als größte kontrapunktische Form angesehen und entspricht zusehends besonders
kunstvoll angelegten Fugen (z.B. Johann Sebastian Bach: Ricercar aus dem Musikalischen Opfer in
6 Stimmen).

Kanzone

„Die Kanzone nahm eine ähnliche Entwicklung wie das Ricercar. Als Instrumentalform entstammt
sie der französischen Chanson. Ihre einzelnen Teile sind jedoch meist stärker ausgeprägt und
selbständiger als die des Ricercars, und auch die Mehrthemigkeit findet sich häufiger. Da der
Kanzone aber ebenso wie dem Ricercar der Textbezug fehlt und auch keine Verbindung zum
einfach gegliederten Tanz besteht (woraus sich Formbezüge herleiten könnten), ist ihr formaler
Ablauf ebenfalls ungebunden und offen. Das schließt allerdings nicht aus, dass andere
Organisationsformen wirksam werden […]. Dazu gehören beispielsweise kontrastierende
Abschnitte durch Takt- und Tempowechsel oder die Gegenüberstellung von polyphonen und
homophonen Partien sowie Formteile, die kadenzierend abschließen und mit den harmonischen
gleichzeitig formale Zäsuren schaffen.
Die Kanzone steht der Fuge noch näher als das Ricercar. Obwohl die Mehrteiligkeit der
Themendurchführung auch gewisse Grenzen setzt, sind ihr Formteile doch schon fugenähnlich
entwickelt. Das Thema beschränkt sich zumeist nicht auf ein oder zwei Durchführungen, es wandert
mehrmals durch alle Stimmen und die kontrapunktische Entfaltungsform der Fuge beginnt sich
abzuzeichnen. In diesem Sinne erweist sich die Kanzone als die eigentliche Vorform der Fuge.“
(Altmann 2001, S. 144f.)

Fugenähnliche Polyphonie kommt in Toccaten, Fantasien, Capriccen und sogar der Gigue vor. -31-
Fugenthemen: die Beschaffenheit und Lebendigkeit eines Soggettos

Durch die instrumentalen Möglichkeiten, kann ein Fugenthema wesentlich komplexer angelegt sein,
als es noch das Soggetto eines Werkes der Vokalpolyphonie war. Ein barockes Fugenthema
gewinnt durch die instrumentalen Möglichkeiten an Spannungsreichtum, aber auch an
Ausdrucksvermögen. Für die Fugenform ist die Anlage des Themas, sein gesamter Ausdruck, von
besonderer Bedeutung, weil durch Fortspinnung direkt darauf aufgebaut wird und das Motiv und
Thema ja nicht mittels Kontrasten verarbeitet wird.
Ernst Kurth3 spricht von der treibenden, melodischen Energie, die solch einem Fugenthema
innewohnt und diese Energie schafft erst so etwas wie eine Bewegungsempfinden oder ein
Formgefühl in der Linienentwicklung, das sich eben deutlich von einem symmetrischen
Formempfinden unterscheidet, wie es bei klassischen Perioden vorausgesetzt wird. Ein Fugenthema
wird explizit als thematische Energie konzipiert, die sich zur Fortspinnung eignet. Kurth betont den
Unterschied eines Themas, das als Gruppierung konzipiert ist, oder eines Themas das als fließender
Übergang funktioniert4. Damit beschreibt er die Unterschiedlichkeit der Themengestaltung bei
Sonaten und Fugen:
„Alle Bewegung in einem kontrapunktischen Satz entwickelt sich aus einem Anstoß, der sich zu
immer weiteren Stoßwellen fortpflanzt, sie verbreitert sich aus der ursprünglichen Stimme, in der
sie entstand, mehr und mehr über die übrigen Satzstimmen, allmählich auch auf immer mehr
Stimmen zu gleicher Zeit übergreifend, den ganzen Linienkomplex mit gesteigerter Lebendigkeit
durchsetzend. Es kommt bei solcher Steigerungstechnik mittels wachsender Belebung in den
Stimmen wie bei der einstimmigen Linie vor allem darauf an, dass die einmal erreichten schnellsten
Bewegungswerte sich nicht mehr verlieren und von der Bedeutung erst unmerklicher
Auftaktfiguren oder zwischendurch kurz auftauchender rhythmischer Belebung allmählich zum
herrschenden Bewegungsmaß gelangen.“ (Kurth 1996, S. 403)

Vorstellung der Themen einer Fuge

Dux: Fugenthema in der Grundform


Comes: Beantwortung des Fugenthemas in der Quinttonart (Quinte höher, oder
Quarte tiefer)
Quintfuge: resultiert aus der Quintverwandtschaft zwischen Dux und Comes
reale Beantwortung: Beantwortung des Themas mit exakt den gleichen Intervallen
tonale Beantwortung: Beantwortung des Themas unter Veränderung der Intervalle aufgrund
der tonalen Umgebung

Üblicherweise folgt auf den Dux der Comes und bei mehrstimmigen Fugen wiederum Dux und
Comes, aber auch dieser Ablauf kann unter Umständen geändert werden (und so wie bei der C-Dur-
Fuge aus dem WK I auch durch die Umfänge der Vokalstimmen erklärt werden, auch wenn es sich
selbstverständlich um kein Vokalwerk handelt).

Fächerfuge: jeder Themeneinsatz erfolgt in der nächsten Quinttonart


1. Durchführung/Exposition: erste Vorstellung aller Fugenthemen
Zwischenspiel: wird auch Zwischensatz oder Episode genannt und bezeichnet die
Abschnitte einer Fuge, in der das Thema nicht vorkommt
„Die Vielzahl der Gestaltungsmöglichkeiten, die eine Fuge bietet, und der große Formenreichtum
der Fugenkomposition […] können in einer schematischen Darstellung nicht wiedergegeben
werden.“ (Altmann 2001, S. 149) -32-

3 Ernst Kurth (1886-1946), Musiktheoretiker und Musikpsychologe aus Österreich, der in der Schweiz lebte. Die
„Grundlagen des linearen Kontrapunkts“ entstanden 1917 und beschreiben Bachs Linien als energetische
Wellenbewegungen.
4 Kurth, Ernst: Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Olms-Verlag Hildesheim, 1996. S. 225ff.
Harmonischer Aufbau einer Fuge

Wie sich bereits aus dem harmonischen Konzept der Imitation im Quintabstand erkennen lässt,
spielt eine dominantische Beziehung eine wichtige Rolle im harmonischen Aufbau einer Fuge. In
den Durchführungen können die Tonartenkreise jeweils erweitert werden und weiter von der
Haupttonart entfernt werden. Ziel bleiben dabei zumeist aber die Dominanttonarten in der
Oberquinte und Unterquinte (Subdominante), aber auch deren jeweilige Paralleltonarten.
Sehr häufig werden in einer Fuge also folgende harmonische Bereiche erreicht: Tonika, Dominante,
Subdominante, Tonikaparallele, Dominantparallele und Subdominantparallele
Aus harmonischen Gründen müssen die weiteren Durchführungen einer Fuge nicht wieder mit dem
Dux auf der Tonika beginnen, sondern können auch mit dem Comes beginnen, wenn dies aus
harmonischen Gründen notwendig und schlüssig ist: „Andererseits können durch Ausweitung des
harmonischen Bereichs Dux und Comes so verändert werden, dass sie nicht mehr deutlich zu
unterschieden sind. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Themen oder Zwischenspiele
modulieren und sich schon dadurch ihr harmonischer Radius beträchtlich erweitert.“ (Altmann
2011, S. 150)

Formaler Aufbau einer Fuge

Eine Fuge hat hinsichtlich ihrer Form keine einheitliche Vorgabe, was in einem Gegensatz zu der
sonst so strengen kontrapunktischen Verarbeitung steht. In der Musiktheorie wird deswegen
hinsichtlich der Form einer Fuge oftmals auf das dialektische Verhältnis von Strenge und Freiheit
hingewiesen, bei der erst die musikalische Folgerichtigkeit (kontrapunktische Gesetze) einen nicht
vorgegebenen Ablauf gliedert. Üblicherweise ist die Anzahl der Durchführungen und
Zwischenspiele also variabel, man erkennt sie auch nicht an ihrer klaren Harmonik (so wie bei der
Sonatensatzform ein prägendes harmonisches Konzept die Grundlage für die Form ist), sondern vor
allem am Auftreten der jeweiligen kontrapunktischen Linien.
Dass die erste Durchführung (auch Exposition genannt) alle Themeneinsätze enthalten muss, wurde
bereits erwähnt. In den folgenden Durchführungen, die nicht mit dem Dux beginnen müssen,
können aber auch mehr oder weniger Themeneinsätze als Stimmen sein: „Die einzelnen
Durchführungen werden also nicht durch die Zahl der Themeneinsätze, sondern durch die Wahl
bestimmter Tonartenkomplexe und die damit in Verbindung stehenden Kadenzierungen (meist in
Zwischenspielen) begrenzt.“ (Altmann 2011, S. 150)
In den Zwischenspielen wird üblicherweise von einer Tonart in eine andere übergeleitet (oft durch
Modulationen oder Zwischendominanten), das thematische Material entspricht dabei nicht dem
Fugenthema, sondern wird mittels Fortspinnung aus diesem gewonnen. Daraus resultiert eine
Ähnlichkeit des musikalischen Materials, aber ein lockererer Satz, da nicht kontrapunktisch im
Sinne einer richtigen Imitation gearbeitet werden muss. In manchen Fugen (vor allem in kleineren
Formen) wird auf Zwischenspiele verzichtet, womit auch eine Erweiterung des Tonartenkreises
ausgeschlossen wird.
Den Abschluss einer Fuge bietet üblicherweise eine Coda, in der Mittel zur Steigerung der
Dramatik eingesetzt werden um eine Schlusswirkung zu erzielen.

Mittel zur Steigerung der Dramatik (vor allem in der Coda)

Engführung: eine Engführung entsteht immer dann, wenn der Einsatz einer Stimme nicht das Ende
des Themas abwartet, sondern der vorigen Stimme „ins Wort fällt“. Engführungen können
grundsätzlich an jeder Stelle einer Fuge vorkommen, werden aber vor allem am Ende als Mittel zur
Steigerung der Dramatik gewählt.
Orgelpunkt: ein weiteres Mittel zur Steigerung der Dramatik ist der Orgelpunkt auf der Dominante,
der gegen Ende die Spannung noch einmal erhöht. Ein Orgelpunkt auf der Tonika hingegen sorgt
für eine Beruhigung und eine Abmilderung der vorangegangenen Spannungen. -33-
Weitere Begriffe im Zusammenhang mit der Polyphonie der Fuge

Spiegel: besondere Form der Themenverarbeitung und -beantwortung


entlang einer imaginären Achse, die eine Spiegelung ermöglicht
Krebs: besondere Form der Themenverarbeitung und -beantwortung bei
der das Thema rückwärts gebracht wird
Augmentation: ist eine Vergößerung, meist der rhythmischen Werte eines
Themas, aber eventuell auch der Intervalle
Diminution: ist eine Verkleinerung, meist der rhythmischen Werte eines
Themas, aber eventuell auch der Intervalle
Doppelter Kontrapunkt: Bezeichnung für eine Kontrapunktstimme, die unverändert
sowohl als Ober-, Mittel- und Unterstimme in der Oktav,
Dezime oder Duodezime eingesetzt wird; die Eigenschaften der
Intervalle hinsichtlich ihrer Konsonanz und Dissonanz zu
berücksichtigen, gilt als hohe Kunst der polyphonen
Stimmführung und Kontrapunktik
Dreifacher Kontrapunkt: nicht nur Thema und Kontrapunkt einer Fuge stehen im
doppelten Kontrapunkt, sondern noch ein weiteres Element
kommt gleichzeitig dazu
Kontrasubjekt: kontrapunktische Gegenmelodie zum Thema der Fuge; setzt
meist mit dem Comes ein und wird beibehalten; auch die
Gegensubjekte der Doppel-, Tripel- und Quadrupelfugen werden
Kontrasubjekte genannt
Doppelfuge: Fuge mit zwei Themen
Tripelfuge: Fuge mit drei Themen
Quadrupelfuge: Fuge mit vier Themen
Permutationsfugen: ist immer dann der Fall, wenn alle Themen in allen Stimmen
vertauscht werden können, was bei mehrfachem Kontrapunkt in
Doppel-, Tripel- und Quadrupelfugen auftritt
Simultane Fuge: die Themen einer Doppel-, Tripel- und/oder Quadrupelfuge
treten von Anfang an gemeinsam auf
Progressive / synthetische Fuge: die Themen einer Doppel-, Tripel- und/oder Quadrupelfuge
treten hintereinander auf und tauchen meist erst in der letzten
Durchführung alle gemeinsam auf; die Fuge entwickelt sich also
Schritt für Schritt
Fuga cannonica: seltenerer Fall, bei dem das Thema einschließlich aller
kontrapunktischen Fortspinnungen in allen Stimmen imitiert
wird und somit als Kanon geführt wird
Choralfuge: es gibt einen Cantus Firmus, zu dem sich das eigentlich
Fugenthema als Kontrapunkt verhält
Fughetta: kleine und weniger streng aufgebaute Fuge, v.a. aus der
Zwischenzeit zwischen Polyphonie und Homophonie, z.B. bei
Händel (Verlauf der Stimmen ist nicht mehr deutlich zu
verfolgen – verschwinden oder werden zu harmonischen
Füllstimmen)
Fugato: fugierte Einsätze kommen vor, aber danach wird die Fugenform
verlassen; weiter von der strengen Form der Fuge entfernt als die
Fughetta (z.B. Fugato in der Ouvertüre zur Zauberflöte von
Mozart)

Beilage: Exemplarische Werkanalyse zu Schostakowitschs Präludien und Fugen op. 87


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