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Teil 6

Charakterisierung
chiraler Moleküle

Dr. Christian Merten, Ruhr-Uni Bochum, WiSe 2017/18 www.ruhr-uni-bochum.de/chirality

1
Chiralität – ein kurzer Reminder

Cahn-Ingold-Prelog-Regeln (CIP)

Zuordnung von Prioritäten der Substituenten am


Stereozentrum erfolgt wie folgt:

1. Ordnungszahl der gebundenen Atome


(Elektronenpaare = 0)

2. Sind mehrere Substituenten in der ersten Sphäre


identisch (bspw. alle C), dann wird die zweite
3 Sphäre betrachtet

3. … dann die aus der dritten Sphäre usw.

4. Doppelbindungen: Z > E

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Chiralität – ein kurzer Reminder

Cahn-Ingold-Prelog-Regeln (CIP)

Nach Zuordnung der Prioritäten orientiert man den


Substituenten mit niedrigster Priorität nach hinten

3
2
3
1

(S)

… und bestimmt die Anordnung der Substituenten:

Im Uhrzeigersinn: (R)-Konfiguration (von lat. rectus)


Gegen Uhrzeigersinn: (S)-Konfiguration (von lat. sinister)

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Chiralität – ein kurzer Reminder

2 2

D-(+)- und L-(-)-Glycerinaldehyd


Historisch:

 Glycerinaldehyd wurde als Standard für Definition gewählt


 Willkürliche Zuordnung, dass Enantiomer mit positiver optischer
Rotation D als D-Enantiomer bezeichnet wird.

Bestimmung L oder D?:

 Substituent höchster Priorität in Fischer-


Projektion nach oben setzen

 Steht OH-Gruppe rechts, dann D (für dexter),


steht sie links, dann L (laevus)

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Chiralität – ein kurzer Reminder

(R) und (S) – L und D – (+) und (‒)

2
(R) (S) (R)
2
2 2 2

D-(+)- und L-(-)-Glycerinaldehyd L-(+)-Cystein

Halten wir fest:


 CIP-Regeln bestimmen Konfiguration jedes Stereozentrums,
ggf. wird angegeben: (1R,2S)-…
 L/D-Definition gibt erstes Stereozentrum in Fischerprojektion
an; Diastereomere werden durch unterschiedliche
Substanznamen unterschieden (Beispiel: Zucker)
 Ein immer gültiger Zusammenhang zwischen R/S, L/D und
opt. Rotation +/- besteht nicht!

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Andere Formen von Chiralität

Zentrale Chiralität Helikale Chiralität

Axiale Chiralität Planare Chiralität

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Welche Methoden können chirale Moleküle unterscheiden?

UV/Vis- und Schwingungsspektren von


IR-Spektroskopie
Enantiomeren sind identisch.

Diastereomere haben theoretisch unterschiedliche


Raman-Spektroskopie Spektren; der Unterschied ist mitunter aber nicht
auflösbar oder wenig charakteristisch.

 Möglichkeit „chirale Strahlung“, d.h. zirkular


UV/vis-Spektroskopie polarisiertes Licht zur Anregung zu benutzen:
Zirkulardichroismus

NMR-Spektroskopie NMR-Spektren von Enantiomeren sind identisch,


aber nicht die von Diastereomeren!
 Derivatisierung ermöglicht Unterscheidung!

Massenspektrometrie Massen von Enantiomeren sind identisch.

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NMR: Derivatisierungen

Umsetzung mit chiralem Hilfsreagenz,


beispielsweise Mosher‘s Reagenz
(MTPA-Cl = methyl trifluoromethyl phenyl acetyl chloride)

Bei Mischungen von Enantiomeren: Bildung eines Diastereomerengemisches

3
1 3
2 2

4 1
4
(R)-MTPA-Cl (?)-sec-OH (S,S)- und (S,R)-Enantiomer
im NMR unterscheidbar!

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Bevorzugte Konformationen der beiden Mosher-Ester

Stark elektronenziehende Gruppe (CF3)


Intramolekulare H-Brücke geht in Ebene mit Carbonyl um Dipole-
minimiert gleichzeitig Dipole-Ww. zu minimieren
sterische Ww. mit Carbonyl

3
3

(S,S)-Enantiomer (S,R)-Enantiomer

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Verschiebungseffekte

Elektronenziehende Ww. durch Fazit:


den Raum entschirmt R1
 Tieffeldverschiebung
Im Vergleich zum freien Alkohol

 verschiebt (S)-MTPA die Signale


von R1 zu größeren -Werten und
die von R2 zu kleineren -Werten

 verschiebt (R)-MTPA die Signale


von R1 zu kleineren -Werten und
Abschirmung von R2 durch Lage die von R2 zu größeren -Werten
oberhalb des Phenylrings
(Ringstromeffekt)
 Hochfeldverschiebung
… aber nicht um gleichen Beträge!

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Verschiebungseffekte

Elektronenziehende Ww. durch


den Raum entschirmt R1
 Tieffeldverschiebung

Definieren wir also  = S - R.

Folglich:
Zeigt ein Kern  > 0 ist er R1
Zeigt ein Kern  < 0 ist er R2

Abschirmung von R2 durch Lage


oberhalb des Phenylrings
(Ringstromeffekt)
 Hochfeldverschiebung

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Unbekannte Konfiguration bestimmen

Vorgehen: Umsetzen des Alkohols mit (S)-


und (R)-MTPA-Cl und bestimmen von .
OH
H

S H3C Ph

Methyl = S - R > 0
R
(S)-Ester

(R)-Ester

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Mehr zu Mosher-Estern inkl. Protokoll zur Analyse

Nature Protocols 2 (2007) 2451-2458

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Weitere chirale NMR-Hilfsreagenzien

Derivatisierungsreagenz

H3C CH3 H3C CH3 H

Si Si
CH3
O Cl OH O O

Ph Ph
H F3C H
F3C

Solvatisierungsreagenz

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NMR-Shift-Reagenzien

 Para-magnetische Verbindungen werden aufgrund der ungepaarten


Elektronen stark durch das Magnetfeld beeinflusst.
 In der Regel kann man keine bzw. keine gut aufgelösten NMR-Spektren von
paramagnetischen Verbindungen erhalten.

 Aber: Lanthanid-basierte Shiftreagenzien können gezielt eingesetzt werden


um Enantiomere im NMR auseinander zu halten.

C3F7

Einer der bekanntesten Vertreter: O Eu3+


3

Europium tris[3-(heptafluoropropylhydroxymethylene)-(+)-campherat]

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Beispiel NMR-Shiftreagenz

Entschirmung aller Protonen


von PEA durch Zugabe des
Shift-Reagenzes
Bildquelle: Fribolin, Ein- und zweidimensionale NMR, Wiley-VCH, 3. Auflage

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Beispiel NMR-Shiftreagenz

Bildquelle: Fribolin, Ein- und zweidimensionale NMR, Wiley-VCH, 3. Auflage


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Circulardichroismus (CD)-Spektroskopie

Circulardichroismus:
… misst die unterschiedliche Absorption A = ALCP - ARCP
links- und recht-zirkular polarisierten Lichtes

Man unterscheidet:

ECD „electronic circular dichroism“


= CD-Spektroskopie im UV/vis-Bereich (manchmal auch UV-CD genannt)

VCD „vibrational circular dichroism“


= CD-Spektroskopie im IR-Bereich

ROA „Raman optical activity“


= Streuung von zirkular polarisiertem Licht

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Vergleich ECD und VCD

Campher-10-sulfonsäure

O
SO3H

n*

Wellenlänge  /nm

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ECD/VCD – Wie erhält man absolute Konfigurationen?

ECD:
 Vergleich mit bekannten Verbindungen, die gleiche
Chromophore tragen
 Empirische Regeln wie „exciton coupling“
 Berechnung von Spektren
 Häufig verwendet bei Peptiden oder
supramolekularen Systemen

VCD:
 Berechnung von Spektren
 Selten „exciton coupling“, da es nur in Spezialfällen
funktioniert
 Für Peptide: Vergleich mit bekannten Verbindungen
 Ideal für kleine bis mittlere organische Moleküle

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Linear polarisiertes Licht

Ein - zugegebenermaßen - stark vereinfachtes Modell eines Polarisators:

Unpolarisiertes Licht aus


einer normalen UV/vis-
oder IR-Lichtquelle ?

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Linear polarisiertes Licht

SEM-image from NanoOpto, Somerset, NJ

Wie funktioniert‘s?

 Elektromagnetische Welle, die mit ihrer elektrischen Feldkomponente parallel zum Gitter auftrifft
induziert eine Oszillation von Elektronen in den Gitterlinien
 Reflektion der Lichtwelle

 Elektromagnetische Welle, die mit ihrer elektrischen Feldkomponente senkrecht zum Gitter
zeigte keine oder nur geringe Wechselwirkungen mit dem Gitter
 Transmission der Lichtwelle

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Linear polarisiertes Licht

Ein verbessertes „Zaun-Modell“

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Linear polarisiertes Licht

Die im Raum gekippte linear polarisierte


Welle (hier 45° LP) kann durch ihre
Komponenten Ex und Ey beschrieben
werden.

E ⋅ sin
E ⋅ sin

Die Welle wird entsprechend als E(Ex,Ey)


beschrieben.

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Zirkular polarisiertes Licht

Verschiebung einer Komponente, Ex


oder Ey, um eine Viertel Wellenlänge
(/4):
E ⋅ sin

E ⋅ sin
4

 Zirkulare Polarisation

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Zirkulare Polarisation

Verzögerung um /4

Schnelle
Achse

Langsame
Achse

quarterwave-plate (/4 plate):


Dichroitischer Kristall mit verschiedenen
Brechungsindizes entlang der
kristallographischen a- und b-Achse.

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Messung eines CD-Spektrums

Beispiel: Schwingungs-CD, also CD-Spektren im IR-Bereich

Messung i.d.R. nicht als zwei getrennte Messungen mit l/4-Platten in


verschiedenen Orientierungen, sondern mit photoelastischem Modulator in
einer Messung

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Schnelle Modulation zwischen LCP und RCP

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Ein Beispiel für Konfigurationsbestimmung mit VCD

ALCP

A = ALCP - ARCP

ARCP

(1R)--pinene

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Beispiel für Konfigurationsbestimmung mit VCD

-Phenylethylamin

 Messung des VCD-Spektrums


 Berechnung des VCD-Spektrums

 Aus Vergleich kann absolute


Konfiguration bestimmt werden

Theo: B3LYP / aug-cc-pVTZ, gas phase, 4 cm-1 HWHH


Exp.: 3M in CDCl3, 25 µm pathlength

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Beispiel für Konfigurationsbestimmung mit VCD

0.0 kcal/mol

-Phenylethylamin 64 %

0.4 kcal/mol

33 %
R/S

1.9 kcal/mol

3%

Theo: B3LYP / aug-cc-pVTZ, gas phase, 4 cm-1 HWHH


Exp.: 3M in CDCl3, 25 µm pathlength

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Sekundärstruktur-Elemente im ECD

CD-Spektren können
helfen Sekundärstruktur-
Elemente in Peptiden zu
identifizieren.

Es sind Software-Pakete
verfügbar, mit denen
durch Fitten Anteile von
Sekundärstrukturen
abgeschätzt werden
können.

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Chirale Polymere

Chirale Poly(phenylacetylen)e
besitzen ein helikal chirales
Polymerrückrat.
O R*
N
H

Polymer in
Chloroform
DMSO

In einigen Fällen kann ein


Wechsel des Lösungsmittels den
Helix-Drehsinn invertieren.

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VCD: Mehr als nur Konfigurationsbestimmungen
N. Kreienborg, C. H. Pollok, C. Merten, Chem. Eur. J. 22 (2016) 12455-12463

CHCl3

S
DMSO
N N
H H

Tetrabutyl ammonium
acetate

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Letzte Worte vor‘m Fest

Übungen:  Gruppeneinteilungen werden auf rub.de/chirality veröffentlicht


 Sollten Sie noch keiner Gruppe zugeteilt sein, dann schließen
Sie sich bitte Gruppe C oder D an
 Übungen finden immer Mittwoch statt (ab 10.01)
 Montags ist keine VL!
 Räume: Grp A 02/99, Grp B 3/99, Grp C 5/99, Grp D 6/99

 Übungsaufgaben werden immer eine Woche vor der Übung


zur Verfügung gestellt und können zuhause bearbeitet werden
 Es wird jeweils ein oder zwei Präsenzübungen geben, die erst
in der Übung ausgegeben werden.

Vorlesung:  Nächste und letzte Vorlesung am 29. Januar 2018 mit kurzer
Wiederholung der Themen

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Letzte Worte vor‘m Fest

Klausur:  Termin: 08.02.2018, 14-16 HNA

 Es wird kein Buch zugelassen sein.


 Stattdessen: Gekürzte Tabellensammlung mit den notwendigen
Daten zur Strukturanalyse
 Sie erhalten eine gesonderte Kopie der Tabellensammlung für
den Zeitraum der Klausur – Sie brauchen keine Ausdrucke o.ä.
mitbringen.

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