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Welche Zukunft hat die

Prager Straße?
Podiumsdiskussion
des Zentrums für
Baukultur Sachsen
am 10. Juni 2021 in
Dresden

Drei Diskutanten und ein Ulrich Brinkmann (v. r. n. l.)


Moderator: Martin Fiedler, auf der Bühne des Kaba­-
Alexander Poetzsch, rett-Theaters „Herkules-
Matthias Korntheuer und keule“ im Kulturpalast.
Bauwelt-Redakteur Foto: Anne Boissel

Moderation Ulrich Brinkmann


Fotos Udo Meinel

Ulrich Brinkmann: Der Berliner Architekturkri­ ohne Gespür individualisiert, die Wasserbecken liche Konfiguration aus, die aber leider in Teilbe-
tiker Wolfgang Kil schrieb 2016 über die Prager in todtrauriger Symmetrie auf Achse gebracht. reichen verunklart worden ist. Wir haben vor,
Straße: „Es ist für die Architekturgeschichte Die Leuchtenreihen scheinen nun wie zum auch in den Details Verbesserungen herbeizu-
durchaus von Belang, dass der Systemwechsel Staatsakt angetreten, und Kettenläden mit ver­ führen, denn wir haben eine Gewerbe- und Ge-
im Osten (...) zeitlich in das Debattenumfeld zweifelt aufgehäuftem Ramsch sollen ein Er­ staltungssatzung für diesen Bereich in Arbeit.
der Postmoderne fiel (...) Die krassesten Bilder lebnis von öffentlichem Raum simulieren. Wo, Das wird vielleicht Alexander Pötzsch nochmal
einer Gegenplanung lassen sich in Dresden wenn nicht hier, kann man lernen, wie kurz der näher beschreiben können. Wir haben aber auch
finden, wo um die Prager Straße mit ähnlich tita­ Schritt von ästhetisch zu ideologisch ist?“ die angrenzenden Räume im Fokus und müs­­-
nischen Gesten gerungen wurde wie in Berlin sen da nachsteuern zu den Entwicklungen, die
um den Palast der Republik. ‚Ein Gruselkabinett Herr Korntheuer, welche Rolle spielt die Prager es in jüngster Vergangenheit gegeben hat. Vieles
städtebaulicher Sünden‘ hatte Ingolf Roßberg, Straße heute und perspektivisch für Sie als ist hochwertig gestaltet worden, was die Materi-
erster Nachwende-Bürgermeister der Elbmetro­ Stadtplaner bzw. für das Stadtplanungsamt in alität und die Möblierung anbelangt. Aber es gibt
pole, 1991 beklagt, und sein Nachfolger Gunter der Reihe von Altmarkt, Neumarkt, Neustädter auch Bereiche, die ein bisschen aus dem Blick
Just trat mit rabiat korrigierenden Neubauten Markt und Hauptstraße? gefallen sind. Der Prager Straße fehlen die Quer-
gegen die Aneinanderreihung von Blöcken und Matthias Korntheuer Wir als Stadtplanungsamt beziehungen. Das wird ein großes Thema, wie
Zeilen an. Weniger mit martialischem Vokabu­ haben uns auf die Fahne geschrieben, die Qua­ man die Ränder stärken kann, um das Ganze zu
lar, vielmehr mit präziser Hinterlist hat Siegbert litäten, die die Prager Straße als Raumgefüge im- beleben.
Langner von Hatzfeldt dieser herausragenden mer noch aufweist, behutsam, vielleicht auch Persönlich finde ich dieses Raumkonstrukt,
Raumschöpfung des 20. Jahrhunderts gerade behutsamer als in der Vergangenheit, aufzugrei- die Flugdächer, die Kunst am Bau, die Architek-
die Feinheiten der Ensemblekunst und damit fen und fortzuschreiben. Die Prager Straße ist turelemente, erhaltenswert und teilweise auch
den Geist der Zeit ausgetrieben. Die Verbinder und bleibt das Eingangstor vom Hauptbahnhof in den neuen arrondierenden Bauten aufgegriffen.
zwischen den Hotels wurden willkürlich und in die Altstadt und weist eine fantastische räum­ Aber es ist natürlich schade, dass dieses En-

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semble nicht in seinem Urzustand unter Denk- dingt schlecht, die Architektur aber ist teilweise Das größte Dilemma ist, dass die Denkmalpflege
malschutz gestellt worden ist. zweifelhaft, und das Rundkino ist dadurch in eine nicht eher reagiert hat. In Chemnitz etwa hat
Rücklage geraten. man die Straße der Nationen unter Schutz ge-
Wenn Sie, Herr Pötzsch, eine Gestaltungssat­ Es sind aber auch gelungene Gebäude ent- stellt. Das hätte man auch hier tun sollen, um
zung erarbeiten für diesen Bereich, dann müs­ standen, etwa das ehemalige Wöhrl-Gebäude das Ensemble zu erhalten. Die Stadt muss jetzt
sen Sie nicht nur mit der DDR-Architektur um­ mit seinem auskragenden Balkon, das gerade nachwachsen, wie Herr Korntheuer gesagt hat,
gehen, sondern auch mit dieser zweiten Schicht, umgebaut wird. Ein Verlust ist das Gebäude des die Querverbindungen müssen gestärkt werden.
die darüber gekommen ist nach 1990 in Form Centrum-Warenhauses mit seiner Wabenfas­ In einer dichten Stadt bietet so ein großer
der ergänzenden Bauten und mit der Überar­ sade gegenüber, an dessen Stelle nun die Cent- Raum die Möglichkeit, sich zu begegnen. Wir wol-
beitung des Stadtraumdesigns. Wie bewerten rum-Galerie steht. Die Prager Straße ist ein line- len uns ja begegnen, wir brauchen das trotz
Sie die unterschiedlichen Zeitschichten? Gibt arer Raum, und auf einmal gibt es eine querste- Online-Shopping. Dafür ist die Prager Straße ein
es Elemente, die Sie als schon wieder charak­ hende Einkaufsmall, die Passanten abzieht. Auch toller Ort, bei allem Für und Wider. Andererseits
teristisch und besonders wahrnehmen? die Verbindung zum Hauptbahnhof, die auch eine muss eine Stadt auch so einen Stadtraum aus-
Alexander Poetzsch Ich habe 2003 das Architek- Verengung erfahren hat mit der Prager Spitze, halten können. Man kann der Prager Straße in
turstudium beendet. Wir fanden solche Stadt- ist ein Kind dieser Zeit. ihrer ursprünglichen Qualität nachweinen. Viel-
räume anregend – unsere Lehrer nicht. Bei ihnen
hieß es, wir hätten die Gnade der späten Geburt, Martin Fiedler
weil man diesen Abstand brauche, um das groß- wurde 1984 in Meißen geboren. Er studierte Produktgestaltung an der HTW Dresden und dem IKDC Lund. Seit 2007 ist
artig finden zu können. Das ist sicher ein Dilem- er beim Dresdener Designstudio neongrau tätig. Als Teil von Ljnk/neonworx betreibt er ein Creative Business Center.
ma der Stadtplanung, dass es Zeit braucht, um Matthias Korntheuer
stammt aus Schwelm, Jahrgang 1982. Er studierte Architektur an der UdK Berlin und der TU Dresden. Nach Mitarbeit in
ihre Qualitäten zu sehen. Und gerade in der Zeit,
verschiedenen Dresdener Architekturbüros absolvierte er 2015–‘17 ein Referandariat beim BBR. Seit 2018 arbeitet er als
in der die Prager Straße diese Nachverdichtung Stadtplaner bei der Landeshauptstadt Dresden.
erfahren hat, wollte man auch ideologisch, wie Alexander Poetzsch
Sie richtig sagen, gegenhalten, und hat den Raum wurde 1976 in Karl-Marx-Stadt geboren und studierte Architektur an der TU Dresden und der KTH Kopenhagen. 2015
gründete er nach Tätigkeit in verschiedenen Büros Alexander Poetzsch Architekten in Dresden.
an den Enden verengt. Das allein ist nicht unbe-

Blick in die Prager Straße


von Süden, aus Richtung
Hauptbahnhof kommend

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Lageplan der Prager Straße leicht braucht es noch Jahre, bis man auch so
Stand 2003 einen Stadtraum wieder klären kann. Man kann
ng an manchen Stellen vielleicht reparieren. Die Zeit
- Ri 1 Geschäftshaus Esders
ü lz (1996/97, Ingenhoven,
.-K wird das zeigen.
Dr Overdiek, Kahlen & Partner)
2 Warenhaus Centrum
(1970/78, Abriss 2007 für Herr Fiedler, auch Sie sind jüngeren Jahrgangs,
Neubau Centrum-Galerie, verbinden mit der Prager Straße keine nos­
1 19
Peter Kulka Architekten) talgischen Erinnerungen. Wie sehen Sie diesen
3 Gaststätte International Stadtraum? Bietet er Nischen für eine Aneig­
(1970/72, Abriss 2007 für
Neubau Centrum-Galerie)
nung durch andere Akteure als Filialisten gro­
4 The Student Hotel
ßer Bekleidungsunternehmen? Die Frage der
18
(1968/69, Sanierung 2001) Nutzung dürfte uns in Zukunft beschäftigen.
5 Geschäftshaus Martin Fiedler Ich habe 2004 angefangen zu stu-
(2004/05, Langner von dieren unweit der Prager Straße. Insoweit kenne
2 Hatzfeld mit Heinle, Wischer
& Partner)
ich die nur als Einkaufsstraße. Nun bin ich nicht
6 Hotel Königstein
der Shoppingfreak. Wie sehe ich diesen Raum?
17 16
(1968/69, Sanierung 2002) Tatsächlich sehe ich ihn als einen Raum, der
3 7 Ladenzeile (1968/69, leer ist, absolut leer, weil es keinen Anlass mehr
Umbau 2003/04, Nattler) gibt, dorthin zu gehen. Das Einzige, warum man
8 Hotel Bastei (1968/69, da noch hingeht, ist Shopping.
15
4 Sanierung 2003)
Ich komme aus dem Design und denke des-
9 Restaurant Bastei
(1968/69, Umbau 2005)
wegen vom Nutzer her und will gar nicht verteu-
5
10 Prager Carrée (2014/16,
feln, dass es Online-Händler wie Amazon gibt.
MPP) Die haben offensichtlich einen Dienst geschaf-
14 1 1 Hauptbahnhof fen, der viele Leute anspricht, weil er das Leben
6
12 Prager Spitze (2000/06) bequemer macht. Meine Frage lautet also:
r S traße

13 Hotel Mercure (ex-Newa, Braucht es diesen Raum eigentlich noch?


1968/70, Sanierung 2003, Früher hat man sich auf der Prager Straße
7
Bost)
rsb urg e

getroffen, man ist einkaufen gegangen, zusam-


14 Prager Zeile (1965/67,
Sanierung 2007, Knerer & men. Jetzt kauft man alleine ein, zu Hause auf
S t. Pete

8
Lang) der Couch. Man trifft sich trotzdem, aber eben
15 Cineplex (1996/97, Coop nicht zum Shopping, sondern zum Sitzen an der
Himmelb(l)au) Elbe, zum Schlendern im großen Garten, zum
9 16 Rundkino (1970/72) Joggen, zum Fahrradfahren. Man könnte zwar
13 17 Wöhrl-Plaza (1995/97, sagen, man muss die Prager Straße als Einkaufs-
Just und Partner, Teilabriss
2021 für Hotelneubau)
meile irgendwie am Leben erhalten. Meine These
18 Florentinum (1995/97,
dagegen ist: Vielleicht ist Shopping so was wie
Just & Partner) mit Kohle heizen. Das machen immer weniger. Es
19 Karstadt (1992/94, RKW) ist okay, wenn man das noch macht, und es wird
10 den Raum dafür auch brauchen, aber vielleicht
12 sollte einem die Prager Straße für eine gewisse
Zeit egal sein, nämlich so lange, wie die Fonds,
denen diese Gebäude gehören, die Dinger abge-
schrieben und aus ihren Bilanzen rausgenom-
men haben und man die Möglichkeit bekommt,
Wiener Platz dort vielleicht auch als kleiner Mittelständler
eine Fläche zu kaufen und die dann in kleinerer
Geste zu revitalisieren.
11 Um es überspitzt zu formulieren: Vielleicht
braucht die Prager Straße eine geordnete Insol-
venz. Wie das Kraftwerk Mitte, das ja auch 15,
20 Jahre lang einfach rumstand, um dann neu be-
lebt zu werden. Dann hat man auch die Chance,
weil nicht mehr so viele mitreden, das eine oder
andere gestalterisch wieder nachzuziehen.
Alexander Poetzsch Steile These. Du würdest
die Prager Straße einzäunen und Gras drüber
wachsen lassen?
Martin Fiedler Nein. Die Läden werden immer
weniger besucht, und für den Fahrradverkehr

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Blick von den Bahnsteigen umgebauten Restaurant
des Hauptbahnhofs zur „Bastei“ ist hinter einer
Prager Straße. Das Wand- Neubebauung verschwun-
bild „Dresden empfängt den. Postkarte 1977: Bild
seine Gäste“ am 2005 und Heimat
machen wir die Reitbahnstraße fit oder legen so-
gar mal einen Fahrradweg drüber. Aber ansons-
ten lasst sie uns egal sein. Irgendwann wird sie
in Vergessenheit geraten wie das Kraftwerk
Mitte. Die Flächen werden erst dann interessant,
wenn sie in Vergessenheit geraten sind.

Wenn sie aus dem Verwertungsdruck fallen?


Martin Fiedler Genau. Solange ich Eigentümer
habe, die davon ausgehen, dass da Leute 2000
Euro auf dem Quadratmeter erlösen und ent-
sprechende Mieten fordern, werde ich mit allen
guten Ideen, die es vielleicht gibt, keine Lösung aber stillgelegt. Wer weiß, was die holländischen liegen, die man bestellt hat, und dann treffe ich
finden, weil es sich monetär nicht bewerkstel­ Investoren damit vorhaben. Wenn das ein Ate­ mich mit meinen Freunden so wie früher zum
ligen lässt. Vielleicht ist es in zwanzig Jahren so, lierhaus würde – ich sitze ja hier auch als Vertre- Anprobieren. Was nicht passt, schicke ich direkt
dass meine Enkel mich fragen: „Mensch, Opa, ter des Landesverbands Kultur und Kreativwirt- wieder zurück oder reiche es weiter, was passt,
hast du eigentlich noch erlebt, dass man zum schaft, also für zwölf Branchen, die nicht nur nehme ich mit. Dadurch verringert sich der Lie-
Einkaufen in die Innenstadt gegangen ist? Jetzt, Architektur sind, sondern auch freie Künste, dar- ferverkehr in der Innenstadt, und auf einmal gibt
wo die Prager Straße das stadtgesellschaftliche stellende Künste, Illustration, Buch bis zum Pres- es einen Ort für das, wofür es zuvor eine ganze
Versuchsfeld geworden ist…“ Dieses „wir gehen semarkt –, dann hätten wir einen Ort, der der­ Straße brauchte. Dort aber ist auf einmal Platz
in die Innenstadt“ hat dann vielleicht eine ganz artig viel produziert an Besuchenswertem, dass für Ateliers, für Ausstellungen, für Cafés, für Bü-
andere Bedeutung. Jedenfalls nicht die, dass wir man kein Shopping mehr braucht, um dahin zu chereien, Selbsthilfewerkstätten, innerstädtisch
uns da treffen, um einzukaufen. gehen. verträgliches Handwerk. Es gibt einen Bestand
Eine andere Idee hätte ich wieder als Designer von tiefen, unbelichteten Flächen, die sich ohne-
Sie sagen, es gibt in der Prager Straße nichts aus der Kundensicht: Ist es denn wirklich gut, hin nicht in ein Büro umwandeln lassen. Wohl
für Sie, um dort hinzugehen. Was wäre ein An­ dass wir uns alle Pakete nach Hause liefern las- aber in eine Werkstatt. Warum nicht?
ziehungsort? Was bräuchte es, damit Sie sa­ sen, sie dort auspacken und merken, es passt
gen: Wenn das da wäre, dann würde ich auch nicht? 60 Prozent gehen wieder zurück. Das ist In manchen Städten gibt es schon Fonds-Mo­
wieder hingehen. ökologisch Unsinn. Vielleicht schaffen wir in der delle, mit denen die Innenstädte bewirtschaf­
Martin Fiedler Es gibt da ein Gebäude, das heißt Prager Straße eine Art Karstadt für alles, was tet werden. Herr Korntheuer, könnten Sie sich
„The Student Hotel“. Dort wurde versucht, Ho- man nicht mehr braucht! Stellen wir uns mal vor, das in Dresden auch vorstellen, dass die An­
tel, Coworking und kleine Start-ups zu verbinden. unter dem Warenhaus fährt eine Cargo-Tram in rainer der Prager Straße zusammenfinden und
Das lief wohl anfangs auch ganz gut, ist jetzt eine riesige Paketstation, lässt da all die Pakete sagen, Handel allein zieht keinen mehr an, wir

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brauchen andere Nutzungen – die bringen aber funktionieren könnte. Was wir hier machen kön- aufwerten, aber auch neue Ideen ins Stadtzent-
nicht so viel Gewinn. Lasst uns das quer finan­ nen, das muss man sich wahrscheinlich gut rum holen. Die Aufstellung dieser Gewerbe-
zieren, weil wir alle davon profitieren, indem überlegen und auch originelle Ideen zulassen. Gestaltungssatzung wurde übrigens von allen
der Stadtraum wieder attraktiv wird und wieder Ich würde nicht sagen, „Karstadt abschreiben, befürwortet.
mehr Leute anzieht. wir machen einen Mikrohub draus“ – das wäre
Matthias Korntheuer Bei diesem Fonds-Modell letztlich nur schnöde Logistik. Aber es ist erfri- Herr Pötzsch, wie flexibel erscheinen Ihnen
muss man abwägen. Erstmal klingt es nicht schend, so was zu hören. die Gebäude? Lassen sich andere Nutzungen
schlecht, und ich bin auch bei Herrn Fiedler, wenn Wir stehen vor einem Strukturwandel, es wird denken in den konstruktiven Rahmenbedin­
er sagt, wir brauchen eine andere Nutzungs- sich schon etwas ändern müssen. Für die Erar- gungen, die man da vorfindet? In den Grundriss­
vielfalt. Wo ich aber nicht mitgehe, wäre, diese beitung der Gewerbe- und Gestaltungssatzung tiefen, in den Gebäudedimensionen?
Straße einfach sich selbst zu überlassen. Das ist für die Prager Straße haben wir eine Beteiligung Alexander Poetzsch Grundsätzlich lassen sich
für eine solch zentrale Lage für mich als Stadt- gemacht und bei den Anrainern und Gewerbe- in all den Gebäuden verschiedene Funktionen
planer nicht denkbar. Die Prager Straße ist ein treibenden nachgefragt, wie sie die Situation ein- denken. Aber wir müssen über diesen Tellerrand
Aushängeschild dieser Stadt. schätzen. Soll der Charakter der Straße gleich rausgucken. Wir reden auch über Bestandser-
Stephan Kühn, unser Baubürgermeister, will bleiben mit günstigen Angeboten? Oder soll der halt, über graue Energie und dergleichen. Es wä-
für die Innenstadt, für die Prager Straße und Ort aufgewertet werden im Sinne von So-weiter- re frevelhaft, an den Stellen nicht weiterzuden-
auch für die Hauptstraße auf der Neustädter Sei- wie-bisher, aber mit besserem gestalterischem ken. Ich würde jetzt keinen Zaun drumrum bauen
te, einen Beirat bilden aus externen Experten, Niveau, was Werbeanlagen, Außengastronomie und sagen, wir lassen Gras drüber wachsen.
um Ideen einzusammeln: aus Forschungsein- etc. angeht? Oder bedarf es noch eines Extras, Aber die Idee, die Prager Straße als ein gemein-
richtungen und Verbänden, Handelskammer, wie eine kulturelle Nutzung, um eine Belebung zu schaftliches Projekt zu entwickeln, finde ich in-
City Management und dergleichen. Der Baubür- erreichen, die Sie auch angesprochen haben? teressant. Wir haben die Stadtentwicklung sehr
germeister wird diesem Gremium vorsitzen mit Die Mehrheit der Befragten hat angegeben: Nein, lange marktwirtschaftlichen Interessen über-
dem Ziel, dass man Ideen, wie Sie sie gerade for- wir können nicht so weitermachen. Erstens lassen, anstatt über ein Ensemble wie die Prager
muliert haben, näherkommt. Ich kann es nicht können wir nicht auf dem Niveau verbleiben, auf Straße eine Glocke zu stellen und zu sagen, wenn
beurteilen, ob ein Fonds für die Prager Straße dem wir jetzt stehen. Wir müssen mindestens sich da etwas verändert, dann nur so.

Wir haben die Stadtent­


wicklung sehr lange markt­
wirtschaftlichen Interes­
sen überlassen. Nun muss
sich die Stadtgesellschaft
den öffentlichen Raum zu­
rückerobern.

Die Prager Straße wurde Rechts: „Wöhrl Plaza“ bildet


nach 1990 baulich verdich- mit seinem Balkon eine auf-
tet. Hinter den Hochhaus- fällige Situation am Nord­
scheiben verliert sich der ende der Prager Straße.
Eindruck von Urbanität und Der rückwärtige Trakt wird
Dichte schnell. derzeit ersetzt (kleines
Foto). Die Centrum-Galerie
hält mit ihren Aluminium-
Waben die Erinnerung ans
alte Centrum-Warenhaus
wach.

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Aber das ist auch ein Lernprozess. Man wusste ein Raum angenommen wird. Wenn ich nur Filia- höchstens durch und gucken – „Lustwandeln“
schon, dass Shopping Malls im Stadtzentrum ei- listen habe, die auf einem niedrigen Niveau agie- hießt das früher.
gentlich schlecht sind, aber sie wurden trotzdem ren, und die hochwertigeren Geschäfte in gro- Das ist eine Funktion, die diese Straße behal-
gebaut, weil Steuereinnahmen winkten. Überall ßen Kaufhäusern oder Malls liegen, ist das na- ten sollte. Ich kann natürlich verstehen, dass wir
wurde der öffentliche Raum privatisiert, und nun türlich ein Thema für die Wahrnehmung der Stra- keinen Zaun darum machen und warten, bis alle
muss sich die Stadtgesellschaft den öffentli- ße. Und ja, ich glaube, dass diese Gebäude viel das Interesse an dieser Fläche verloren haben.
chen Raum zurückerobern. Das kann man durch können. Ich kann da wohnen, wenn das Hotels Aber wir werden in den nächsten Jahren höchst-
einen runden Tisch tun, durch bürgerschaftli- sind, aber ich kann in den Riegeln auch andere wahrscheinlich ein massives Ladensterben mit-
ches Engagement. Aber da müssen die Leute Nutzungen anordnen. Man wird sich über kurz erleben. Man kann den Handel eine Runde ali-
auch hingehen, den Ort wertschätzen. Natürlich oder lang damit auseinandersetzen müssen. mentieren, vielleicht über Fonds oder anderes,
kann man die Anmutung eines Stadtraums ein Aber das gilt nicht nur für die Prager Straße, das aber vielleicht ist es auch notwendig, aktiv An-
wenig anheben, indem man Gestaltungsvorga- gilt für viele aufgelassene Verkaufsflächen, und gebote zurückzunehmen, damit andere Flächen
ben gibt – es liegt auch an der Wertigkeit, wie das gilt grundsätzlich auch für Büroflächen, wieder interessanter werden.
die überdimensioniert sind, oder für Wohnflä- Wenn ich die Losung ausgeben würde, ich
chen, die falsch geschnitten sind für heutige überspitze jetzt bewusst: „Die Prager Straße
Ansprüche. darf ab 2025 keinen Einzelhandel mehr haben“,
Martin Fiedler Ein Gutes hatte ja die Prager würde das dieser Stadt und den übrigen Ein-
Straße, wie sie vor der Corona-Pandemie war, kaufsmöglichkeiten nicht unbedingt schlecht
mit all den Billigheimern und Filialisten: Sie war tun. Es gibt so viele Dinge, die an die Peripherie
niedrigschwellig. Sie war für jeden Mann und je- rutschen, die wir eigentlich in der Innenstadt
de Frau aus jedem Stadtteil offen. Das sind viele wollen: kreatives Schaffen, Sport- und Freizeit-
andere Räume in der Stadt nicht. In einer hoch- angebote, die kann man durchaus in so eine
wertig gestalteten Gucci-Prada-Straße kaufen innerstädtische Fläche ziehen und damit die Pra-
nur ganz bestimmte Menschen ein, nämlich die, ger Straße wieder zu einem Zielort machen, der
die sich das leisten können, alle anderen laufen sie aktuell nicht ist.

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