Sie sind auf Seite 1von 79

This is the author-created version from the technical report:

Development of methods for simulation and


evaluation of damage in adhesive layers due to
thermal cyclic loadings during manufacturing
and operation

A. Matzenmiller, P. Kühlmeyer

published in

„Methodenentwicklung zur Simulation und Bewertung fertigungs- und


betriebsbedingter Klebschichtschädigungen infolge
Temperaturwechselbeanspruchung“ Forschung für die Praxis P878,
Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V. im Stahl-Zentrum (FOSTA),
Verlag und Vertriebsgesellschaft mbH, Düsseldorf, in publication process

Institute of Mechanics
Department of Mechanical Engineering
University of Kassel
Mönchebergstr. 7
34125 Kassel
Germany

Phone: +49 561 804 2044


Fax: +49 561 804 2720
amat@uni-kassel.de
This author-created version comprises all contributions by A. Matzenmiller
and P. Kühlmeyer to the technical report about the joint research project
P878 entitled „Methodenentwicklung zur Simulation und Bewertung fertigungs-
und betriebsbedingter Klebschichtschädigungen infolge Temperaturwechselbe-
anspruchung“ with Alexander Lion, Gerson Meschut, Dominik Teutenberg and
Christoph Liebl.
Forschungsvorhaben P878
Förderkennzeichen 369 ZN

Methodenentwicklung zur Simulation und Bewertung


fertigungs- und betriebsbedingter
Klebschichtschädigungen infolge
Temperaturwechselbeanspruchung

Development of methods for simulation and evaluation of damage in adhesive


layers due to thermal cyclic loadings during manufacturing and operation

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Alexander Lion, Prof. Dr.-Ing. Anton Matzenmiller,


Prof. Dr.-Ing. Gerson Meschut, Dr.-Ing. Dominik Teutenberg,
Dipl.-Ing. Patrick Kühlmeyer, Dipl.-Geol. Christoph Liebl

Projektkoordination:
Dr.-Ing. Dominik Teutenberg

Zusammenstellung des Berichts:


Dr.-Ing. Dominik Teutenberg und Dipl.-Ing. Patrick Kühlmeyer

Das IGF-Vorhaben 369 ZN der Forschungsvereinigung FOSTA - Forschungsver-


einigung Stahlanwendung e.V., Düsseldorf, wurde über die AiF im Rahmen des
Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses
des Deutschen Bundestages gefördert.

3
Prof. Dr.-Ing. Gerson Meschut Laboratorium für Werkstoff-
Dr.-Ing. Dominik Teutenberg und Fügetechnik (LWF)
Universität Paderborn

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Alexander Lion Institut für Mechanik (IfM)


Dipl.-Geol. Christoph Liebl Universität der
Bundeswehr München

Prof. Dr.-Ing. Anton Matzenmiller Institut für Mechanik (IfM)


Dipl.-Ing. Patrick Kühlmeyer Universität Kassel

5
Inhaltsverzeichnis
Seite

6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften


unter Betriebslasten 173
6.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen . . . . . . . . . . . 174
6.2.1 Reduktion des dreidimensionalen Kontinuums auf die
Grenzfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
6.2.2 Konstitutivgleichungen der Thermo-Viskoelastizität . . . 177
6.2.3 Konstitutivgleichungen der Viskoplastizität (TAPO-Mo-
dell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
6.2.4 Schädigungsmodell infolge plastischer Verformung . . . . 205
6.3 Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
6.4 Parameteridentifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
6.4.1 Temperaturabhängige Elastizitätskonstante . . . . . . . 212
6.4.2 Materialparameter der Plastizität und Schädigung . . . 214
6.5 Verifikation an Grundversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
6.6 Ausblick zur Modellierung von Schädigung infolge niederzykli-
scher Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

9 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall–


Probe unter Betriebsbelastung 255
9.1 Beschreibung der Bi-Metall-Probe . . . . . . . . . . . . . . . . 255
9.2 FE-Modell der Bi-Metall-Probe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
9.3 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe259

Schrifttum 265

i
Abbildungsverzeichnis
Seite

Abb. 6.1 Schematische Darstellung der Grenzschicht (a) und Grenz-


fläche (b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Abb. 6.2 Reduktion des Verzerrungstensors auf den Vektor der Ver-
schiebungsdiskontinuität der Grenzfläche . . . . . . . . . 176
Abb. 6.3 Rheologisches Modell der Thermo-Viskoelastizität . . . . 179
Abb. 6.4 Lineare Modelle für viskoelastisches Materialverhalten in [7]181
Abb. 6.5 Rheologisches Modell des thermo-viskoelastischen verall-
gemeinerten linearen Festkörpers vom Maxwell-Typ . . 185
Abb. 6.6 Temperaturabhängige tangentiale Steifigkeit g im
tt -∆t -Diagramm sowie Tangenten- und Sekanten-Stei-
figkeit der Grenzfläche g und ĝ . . . . . . . . . . . . . . 187
Abb. 6.7 Standard linearer Festkörper vom Maxwell-Typ im
Schubspannungs-Verschiebungsdiagramm . . . . . . . . . 188
Abb. 6.8 Homogene isotrope Schädigung unter konstanter Belas-
tung zur Einführung der effektiven Querschnittsfläche Â
und der effektiven Spannung σ̂ [18] . . . . . . . . . . . . 191
Abb. 6.9 Reduktion des räumlichen Spannungszustands am Volu-
menelement auf die Grenzfläche . . . . . . . . . . . . . . 193
Abb. 6.10 Fließfunktion f˜ und Dissipationspotenzial f˜∗ für dünne
Grenzschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Abb. 6.11 Vergleich der akkumulierten plastischen Bogenlänge ∆V
mit der akkumulierten geschädigten plastischen Bogenlän-
ge r . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Abb. 6.12 Qualitative Darstellung viskoplastischen Materialverhal-
tens und rheologisches Modell des Bingham-Körpers für
Elasto-Visko-Idealplastizität . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Abb. 6.13 Nicht lineare Fließspannung . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Abb. 6.14 Qualitativer Verlauf der Temperaturfunktion χ über der
normalisierten Temperatur ϑN . . . . . . . . . . . . . . . 202
Abb. 6.15 Qualitative Darstellung der Verläufe von qΘ und bΘ über
der normalisierten Temperatur ϑN sowie HΘ über der Tem-
peratur Θ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Abb. 6.16 Qualitative Verläufe der Parameter n, ∆c und ∆f aus dem
Schädigungsansatz (6.78) [3] . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Abb. 6.17 Einfluss der plastischen und geschädigten plastischen Bo-
genlänge auf die Schädigungsevolution und das Entfesti-
gungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

ii
Abbildungsverzeichnis

Abb. 6.18 Rheologisches Netzwerk des thermoviskoelastisch-plasti-


schen Konstitutivmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Abb. 6.19 Steigungen der Ursprungstangente an den Testdaten der
dicken Scherzugprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Abb. 6.20 Temperaturabhängigkeit der Schubsteifigkeit g̃ der Max-
well-Ketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Abb. 6.21 Dicke Scherzugprobe mit Verschiebungsrandbedingungen
für den quasistatisch zügigen Versuch . . . . . . . . . . . 219
Abb. 6.22 Simulation des Scherzugversuchs in Abhängigkeit der
Temperatur Θ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Abb. 6.23 Kopfzugprobe mit Verschiebungsrandbedingungen für den
quasistatisch zügigen Versuch . . . . . . . . . . . . . . . 221
Abb. 6.24 Simulation des Kopfzugversuchs in Abhängigkeit der Tem-
peratur Θ mit der Anfangsfließspannung bei Raumtempe-
ratur τ0 aus dem Scherzugversuch . . . . . . . . . . . . . 222
Abb. 6.25 Simulation des Kopfzugversuchs in Abhängigkeit der Tem-
peratur Θ mit der Anfangsfließspannung bei Raumtem-
peratur τ0 = 19.66 MPa aus dem Tosionsversuch an der
Doppelrohrprobe (P957 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Abb. 6.26 Belastungskurven der zyklischen Versuche an der dicken
Scherzugprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Abb. 6.27 Versuche an der dicken Scherzugprobe unter quasistati-
scher Wechselbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Abb. 6.28 Versuche an der dicken Scherzugprobe unter quasistatisch
schwellender Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Abb. 9.1 Prinzipskizze der Bi-Metall-Probe mit den Abmessungen
in der Einheit [mm] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Abb. 9.2 Durchsenkung an der Bi-Metall-Probe . . . . . . . . . . 256
Abb. 9.3 Mess- und Auswertungspunkte an der Bi-Metall-Probe . 257
Abb. 9.4 FE-Modell der Bi-Metall-Probe . . . . . . . . . . . . . . 258
Abb. 9.5 Randbedingungen der Einspannung am FE-Modell der
Bi-Metall-Probe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Abb. 9.6 Verläufe der Temperaturbelastung an den Proben . . . . 260
Abb. 9.7 Gegenüberstellung der gemittelten Temperaturbelastun-
gen und der Belastungskurve für das FE-Modell . . . . . 261
Abb. 9.8 Bi-Metall-Probe im unbelasteten und deformierten Zustand261
Abb. 9.9 Simulierte Durchsenkung der Bi-Metall-Probe . . . . . . 262
Abb. 9.10 Relativverschiebung aus der Simulation der Bi-Metall-Probe262

Seite iii
Tabellenverzeichnis
Seite

Tab. 6.1 Materialparameter der viskoelastischen Konstitutivglei-


chungen für BetamateTM 1496V bei Raumtemperatur . 216
Tab. 6.2 Materialparameter der plastischen Konstitutivgleichungen
für BetamateTM 1496V bei Raumtemperatur . . . . . . 217
Tab. 6.3 Materialparameter der Schädigungsevolution für Be-
tamateTM 1496V bei Raumtemperatur . . . . . . . . . . 218
Tab. 6.4 Materialparameter der Temperaturfunktionen für Be-
tamateTM 1496V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

iv
6 Materialmodell zur Abbildung der
Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten
P. Kühlmeyer, A. Matzenmiller, IfM Kassel
Zur Simulation gefügter Strukturen mit zähmodifiziertem Struk-
turklebstoff unter thermischer und mechanischer Belastung ist die
Formulierung konstitutiver Gleichungen notwendig, die sowohl die
thermischen Eigenschaften als auch das zeitabhängige Verhalten
der Klebschicht ober- und unterhalb der Fließgrenze abbilden. Im
Weiteren ist die Entwicklung von Eigenspannungen in der Kleb-
schicht sowie der zeit- und temperaturabhängige Abbau dieser von
Interesse und steht im Fokus der Entwicklung des thermoviskoelas-
tischen Teilmodells. Die Abbildung des Materialverhaltens aufgrund
von Belastungen oberhalb der Fließgrenze wird mittels konstituti-
ver Gleichungen für die Beschreibung plastischer Verformung so-
wie Schädigung infolge dieser unter Einbeziehung des Temperatu-
reinfluss berücksichtigt.
A constitutive model is developed to simulate the thermal charac-
teristics and time dependent properties of adhesively-bonded joints
below and above yield strength under thermal and mechanical load-
ing. Furthermore the evolution of the residual stresses as well as
their time and temperature dependent relaxation are investigated,
accordingly with the focus for developing a thermoviscoelastic sub-
model. For stresses beyond the yield strength the material behaviour
is represented by means of constitutive equations of viscoplasticity
with damage evolution due to plastic deformation considering tem-
perature dependency.

6.1 Ausgangssituation

Zur Simulation des Kriech- und Relaxationsverhaltens geklebter Strukturen mit


zähmodifiziertem Strukturklebstoff auf Epoxidharzbasis ist von Kurnatow-
ski und Matzenmiller im Rahmen des von der AiF geförderten FOSTA-
Projekts P796 [7] ein linear viskoelastisches Materialmodell entwickelt worden.

Seite 173
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Es basiert auf Experimenten, welche die phänomenologischen Materialeigen-


schaften des Strukturklebstoffs BetamateTM 1496V der Firma Dow Au-
tomotive wiedergeben. Das viskoelastische Materialmodell dient in [7] als
Grundlage zur Prognostizierung der Betriebsfestigkeit von Klebverbindungen
für das Ermüdungsversagen infolge sehr vieler Lastwechsel, den sog. High Cy-
cle Fatigue. Im Rahmen der Projekte P676 [21] und P828 [3] ist von Ger-
lach und Matzenmiller respektive Burbulla und Matzenmiller ein
elastisch-viskoplastisches Materialmodell für unidirektionale, zügige Belastun-
gen mit Schädigung zur Abbildung des Klebstoffverhaltens in Crashprozessen
vorgeschlagen und umgesetzt worden. Dieses Materialmodell ist ebenfalls an-
hand von Testdaten, welche die phänomenologischen Eigenschaften des Struk-
turklebstoffs BetamateTM 1496V abbilden, identifiziert worden. Die konstitu-
tiven Gleichungen aus P676, P796 und P828 sind Grundlage für die Entwick-
lung eines thermo-viskoelastisch-plastischen Materialmodells. Sowohl das visko-
elastische als auch das elastisch-viskoplastische Materialmodell und dessen Ent-
wicklungsstufen sind bereits im Rahmen der jeweiligen Projekte als benutzerde-
finierte Materialroutine in das Finite-Elemente-Programm LS-Dyna R
imple-
mentiert worden. Des Weiteren ist der letzte Entwicklungsstand des elastisch-
viskoplastischen Modells aus [3] in LS-Dyna R
eingebunden und bereitgestellt
worden. Beide Modelle sind für isotherme Belastungszustände bei Raumtem-
peratur entwickelt worden.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung von Konstitutivgleichungen
zur Abbildung thermo-viskoelastisch-plastischen Materialverhaltens mit Schä-
digung. Die konstitutiven Gleichungen des Gesamtmodells setzen sich aus Glei-
chungen zur Erfassung viskoelastischer und plastischer Phänomene in Form von
Teilmodellen zusammen, die mit dem Prädiktor-Korrektor-Verfahren numerisch
gelöst werden. Im folgenden Abschnitt wird die Entwicklung der konstitutiven
Gleichungen beschrieben und diskutiert.

6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Im Wesentlichen werden für die Entwicklung des vorliegenden Materialmodells


die Materialgleichungen der zuvor genannten Vorgängerprojekte1 aufgenom-
men, zusammengeführt und erweitert. Aufgrund der Prämisse, dass Materi-
almodell für eine numerisch effiziente Berechnung in ein kommerzielles FE-
Programm zu implementieren, werden die Materialgleichungen des dreidimen-
sionalen Kontinuums auf eine Formulierung im Sinne der Grenzflächentheorie
1
Die von der AiF über die FOSTA geförderten Projekte P676 [21], P796 [7] und P828 [3].

Seite 174
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

reduziert. Für dünne Klebschichten mit einer im Vergleich zu den Fügepart-


nern geringen Steifigkeit ist diese Vereinfachung zulässig und ist von Matzen-
miller et al. in [17] bereits diskutiert worden. Ein großer Vorteil der Grenz-
flächenformulierung liegt in der numerischen Effizienz, da lediglich drei statt
sechs Spannungsgrößen für ein Interface-Element berechnet werden. Des Wei-
teren ist die Anzahl an Gauß-Punkten für die numerische Integration beim
Interface-Element geringer als beim Solid-Element. Die Grenzflächentheorie ist
im vorliegenden Fall gerechtfertigt, da die Klebschichtdicke dk zwischen den
geklebten Strukturen mit einer Größenordnung von 10−1 mm relativ gering im
Vergleich zur Dicke der Fügepartner ist.

6.2.1 Reduktion des dreidimensionalen Kontinuums auf die


Grenzfläche

In der vorliegenden Konstellation ist die Annahme einer dünnen Grenzschicht


(vgl. Abb. 6.1(a)), welche als dreidimensionales, dünnes Kontinuum eine Über-
gangszone zwischen zwei Phasen Ω+ und Ω− mit unterschiedlichen Eigenschaf-
ten bildet, zulässig. Bei sehr geringer (vernachlässigbarer) Dicke kann die Grenz-
schicht in Form einer zweidimensionalen Grenzfläche Γ angenommen werden
(vgl. Abb. 6.1(b)). In Abbildung 6.1 kennzeichnen die Indizes n, t und b der
Reihenfolge nach die Normal-, Tangential- und Binormalrichtung. Entsprechend
sind im Folgenden auch die Spannungen und Verzerrungen mit diesen Indizes
in Form von Subskripten indiziert. Mit der zusätzlichen Annahme, dass die Fü-

Phase 1, Ω+
Phase 1, Ω+
en en
Grenzschicht eb GrenzflächeΓ eb
dk
et et
Phase 2, Ω− Phase 2, Ω−

(a) Grenzschicht (b) Grenzfläche

Abb. 6.1: Schematische Darstellung der Grenzschicht (a) und Grenzfläche (b)

geteile (Ω+ und Ω− ) sehr viel steifer sind als die Klebschicht und somit dessen
Querdehnungen behindert werden, folgt in Gl. (6.1) der sogenannte querdeh-
nungsbehinderte Verzerrungszustand ε qD auf der Grenzfläche (vgl. Abb. 6.2(a)

Seite 175
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

und 6.2(b)) in Matrix-Notation zu (vgl. [17])


 
εnn εnt εnb
ε qD =  εtn 0 0  . (6.1)
εbn 0 0

Unter Verwendung des querdehnungsbehinderten Verzerrungszustands (6.1) im


Hookeschen Materialmodell lässt sich der damit einhergehende querdehnungs-
behinderte Spannungszustand σ qD herleiten. Der Spannungstensor σ qD des quer-
dehnungsbehinderten Spannungszustands ist in Gl. (6.2) in Matrix-Notation
angegeben. Durch Anwendung des Cauchy-Theorems für n = en auf den
Spannungstensor σ qD folgt dessen Abbildung auf den Spannungsvektor t der
Grenzfläche.
     
σnn σnt σnb σnn  tn 
σ qD = σtn σtt 0
  ⇒ t = σ qD · n = σtn = tt (6.2)
   
σbn 0 σbb σbn tb

Die diskontinuierliche Verschiebung zwischen der oberen und unteren Grenz-


fläche (vgl. Abb. 6.2(c)) an den angrenzenden Fügeteilen wird als Verschie-
bungsdiskontinuität bzw. Verschiebungssprung ∆ bezeichnet. Sie wird mit dem
Verzerrungszustand auf der Grenzfläche gemäß Gl. (6.3) wie folgt definiert (vgl.
Abb. 6.2(b)):

∆ = dk [εnnen + 2εnt et + 2εnbeb ]


(6.3)
= dk [εnnen + γnt et + γnb eb ]

Der Spannungsvektor t auf der Grenzfläche lässt sich dann als Geschichtsfunk-

dt dt
εnn εnn
db εnb εtn db εnb
εnt εtb εnt x+
εbt εtt
εbn ∆ = u(x+) − u(x−)
en en db
ebεbb eb x−
et et dt
(a) Grenzschicht (b) Grenzfläche (c) lokale
Verschiebungs-
diskontinuität

Abb. 6.2: Reduktion des Verzerrungstensors auf den Vektor der


Verschiebungsdiskontinuität der Grenzfläche

Seite 176
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

tional der lokalen Verschiebungsdiskontinuität ∆ in der vergangenen Zeit τ bis


zum momentanen Zeitpunkt t ausdrücken.

∆(t), τ, t}
t(t) = F τ ≤t {∆ (6.4)

6.2.2 Konstitutivgleichungen der Thermo-Viskoelastizität

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird das thermo-viskoelastische Material-


verhalten auf Grundlage der Theorie der Funktionale beschrieben [8, Kap. 7,
S. 292], gemäß der das zeitabhängige viskoelastische lokale Materialverhalten
mit einem Faltungsintegral ausgedrückt wird. Innerhalb des Faltungsintegrals
wird das Materialverhalten mittels eines Materialtensors charakterisiert, der
sowohl von der Zeit als auch von der Temperatur abhängig ist. In der vorlie-
genden Arbeit soll das viskoelastische Materialverhalten mit Hilfe eines linear
viskoelastischen Materialmodells approximiert werden, dessen Materialtensor
mit einer Relaxationsfunktion beschrieben wird, welche das Spannungsverhal-
ten aufgrund eines Einheitssprungs charakterisiert. Traditionell wird die Rela-
xationsfunktion mittels abklingender Exponentialfunktionen definiert, welche
sich jedoch nur begrenzt an das gemessene Materialverhalten anpassen lassen.
Eine bessere Adaptivität über größere Zeitbereiche kann unter Verwendung
einer Reihe aus Exponentialfunktionen – auch Dirichlet-Prony-Reihe ge-
nannt – erreicht werden. Die abklingenden Exponentialfunktionen können aus
dem linear viskoelastischen Materialverhalten anhand rheologischer Modelle
vom Maxwell-Typ hergeleitet werden. Die Reihe der abklingenden Exponen-
tialfunktionen entsteht durch Parallelschaltung mehrerer Maxwell-Körper2 ,
die ein diskretes Spektrum aus Stärken in Abhängigkeit der Relaxationszei-
ten aus Steifigkeiten und Viskositäten liefern, und an das gemessene charakte-
ristische Materialverhalten anzupassen sind. Um die Temperaturabhängigkeit
des Relaxationsspektrums zu berücksichtigen, werden die Viskositäten in den
konstitutiven Materialgleichungen in Form von temperaturabhängigen Größen
berücksichtigt. Die temperaturbedingte Veränderung der Viskositäten wird da-
bei mit der sog. reduzierten respektive materiellen Zeit – unter der Annahme
einer affinen temperaturbedingten Änderung aller diskreten Viskositäten – mo-
delliert. Des Weiteren werden die Steifigkeiten ebenfalls in Abhängigkeit der
Temperatur formuliert. Aufgrund der Modellvereinfachung wird hier ebenfalls
von einer affinen Änderung der Steifigkeit aller Elemente der Maxwell-Kette
über der Temperatur ausgegangen.

2
Die Parallelschaltung mehrerer Maxwell-Körper wird als Maxwell-Kette bezeichnet.

Seite 177
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Beschreibung der Thermo-Viskoelastizität mit Funktionalen

Die Spannung σ an einem materiellen Punkt mit dem Ortsvektor x ist ein Funk-
tional F der Deformationsgeschichte und der jeweils herrschenden Temperatur
Θ:
s=t
σ (x, t) = F s=−∞ {εε(x, s), Θ(x, s); x, t} (6.5)

In Gl. (6.5) wird die Deformationsgeschichte mit dem linearisierten Verzerrungs-


tensor ε ausgedrückt. Die Größe t ist die momentane Zeit und s beschreibt eine
Zeitvariable die der physikalischen Beobachtung Rechnung tragen soll, dass
Kriechprozesse bei Temperaturerhöhung schneller ablaufen. Davon ausgehend
kann der funktionale Zusammenhang zwischen der Spannung und der Defor-
mationsgeschichte sowie der Temperatur für einen materiellen Punkt mit der
Annahme eines homogenen Materials in Form des Faltungsintegrals (6.6) mit

Zτ =t
d  
σ (t) = s=t
Cs=0 {Θ(s); t − τ } ε (τ ) − ε th (τ ) dτ (6.6)

τ =−∞

lokal beschrieben werden. Hier ist C der Materialtensor vierter Stufe, der vom
Temperaturverlauf Θ(s) abhängig ist. Die Variable ε th ist die temperaturindu-
zierte Verzerrung, welche von der Gesamtverzerrung abgezogen wird damit sich
die viskoelastische Deformation ergibt. Die Deformationsgeschichte wird somit
im Faltungsintegral durch die zeitliche Ableitung der Differenz aus Gesamtver-
zerrung ε und temperaturinduzierter Deformation ε th repräsentiert. Die tem-
peraturabhängigen Materialeigenschaften der Viskoelastizität werden im Ma-
terialtensor C berücksichtigt. Mit dem Postulat des thermorheologisch einfa-
chen Materialverhaltens kann die Abhängigkeit des Materialtensors von der
zeitabhängigen Temperatur vereinfacht werden. Der Materialtensor kann dann
mit der reduzierten Zeit ξ(t) bezüglich der Referenztemperatur Θ0 beschrieben
werden:

C(t; Θ) = C {ξ(t); Θ0} (6.7)

Die reduzierte Zeit wird mit der Temperaturfunktion aT (Θ) aus der physikali-
schen Zeit t gemäß
t
ξ(t) = (6.8)
aT (Θ)

Seite 178
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

berechnet. Mit Gl. (6.8) können lediglich isotherme Prozesse beschrieben wer-
den, sodass die reduzierte Zeit für nicht isotherme Prozesse wie folgt definiert
wird:
Zt
ds
ξ(t) = (6.9)
aT {Θ(s)}
0

Mit den beschriebenen Annahmen folgt dann für den Materialtensor in Gl. (6.6)
s=t
Cs=0 {Θ(s); t − τ } = C {Θ0 ; ξ(t) − ξ(τ )} . (6.10)

Das Faltungsintegral der Spannung (6.6) lässt sich mit Gl. (6.10) dann wie
nachstehend formulieren:
Zt
d  
σ (t) = C {Θ0 ; ξ(t) − ξ(τ )} ε (τ ) − ε th (τ ) dτ (6.11)

−∞

In Abbildung 6.3 ist das rheologische Modell der Thermo-Viskoelastizität dar-


αth
σ σ
VE

εve εth
ε
Abb. 6.3: Rheologisches Modell der Thermo-Viskoelastizität

gestellt. An dieser Stelle wird das viskoelastische Modell zunächst mit einem
Platzhalter und der Beschriftung „VE“ dargestellt, da die Modellierung des Ma-
terialverhaltens weiter unten anhand von rheologischen Netzwerken diskutiert
wird. Das Element für die Temperaturdehnung wird durch das Rechtecksymbol
mit dem Kreuz repräsentiert. Das rheologische Modell in Abbildung 6.3 verdeut-
licht, dass zur Berechnung der viskoelastischen Spannung im linken Element

ε ve = ε − ε th (6.12)

gelten muss. Für die thermische Dehnung am Temperaturelement wird eine


isotrope Temperaturdehnung gemäß Gl. (6.13) mit

ε̇εth = αth Θ̇ (6.13)

Seite 179
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

angenommen. Durch Einsetzen der Beziehung (6.12) in (6.11) folgt dann für
die Spannung am viskoelastischen Element
Zt
d ve
σ (t) = C [Θ0; ξ(t) − ξ(τ )] ε (τ )dτ . (6.14)

−∞

Im Allgemeinen wird beim Faltungsintegral die gesamte Geschichte des Materi-


alverhaltens berücksichtigt. Hier wird jedoch davon ausgegangen, dass die vis-
koelastische Geschichte ab einem bestimmten Zeitpunkt in Form eines Anfangs-
wertproblems (AWP) betrachtet wird. Somit wird die untere Integrationsgrenze
des Faltungsintegrals durch 0 ersetzt. Es gilt dann für das Faltungsintegral:
Zt
d ve
σ (t) = C [Θ0; ξ(t) − ξ(τ )] ε (τ )dτ für 0 ≤ t ≤ ∞ (6.15)

0

Im Faltungsintegral (6.15) wird das Materialverhalten durch den Materialten-


sor C charakterisiert, für den im Folgenden ein Ansatz für den Materialtensor
diskutiert wird.

Viskoelastischer Materialtensor für die Grenzflächentheorie

Ausgehend von einer isothermen viskoelastischen Beziehung zwischen der Span-


nung σ und Verzerrung ε ve ist in [7] ein Modell, basierend auf der Grenzflä-
chentheorie, verwendet worden. Mit dem Burgers-Körper (vgl. Abb. 6.4(b)
unten), welcher mechanisch äquivalent zum zweikettigen Maxwell-Körper
ist (vgl. Abb. 6.4(b) oben), wird eine ingenieuranschauliche Modellierung von
Kriechexperimenten ermöglicht. Der Burgers-Körper ist in der Lage, pri-
märes und sekundäres Kriechen adäquat abzubilden (vgl. Abb. 6.4(a)), wes-
halb er in erster Linie zur händischen Identifikation der Materialparameter
P ∗ = {E1∗ , E2∗, η1∗ , η2∗} an Kriechkurven – tertiäres Kriechen ausgenommen –
dient. Die gefundenen Kennwerte werden dann mit einem nicht linearen Glei-
chungssystem (GLS) in die Materialparameter P = {E1 , E2, η1, η2} des Max-
well-Körpers umgerechnet. Der Maxwell-Körper dient der Modellbildung
und Implementierung für die verschiebungsbasierte FEM, denn in den räumlich
und zeitlich diskretisierten Gleichungen der Impulsbilanz muss der Vektor der
inneren Kräfte mit den Spannungen berechnet werden, die aufgrund der vor-
gegebenen Verschiebungen die Materialroutine liefert. Somit ist es die Aufgabe

Seite 180
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

ε(t) σ(t) = const.


Experiment η1 E1
Burgers-Körper
σ σ
∗ ∗ η2 E2
σ ηη1∗+η∗
2
1 η2

1 σ
η1∗ η2∗
σ 1
E2∗ primär η1∗ E1∗
sekundär tertiär σ σ
σ 0 E2∗
t
E1∗
(a) Burgers-Körper zur Beschreibung von (b) rheologische Netzwerke für den
Kriechexperimenten ohne tertiäres Maxwell-Körper (oben) und
Kriechen den Burgers-Körper (unten)

Abb. 6.4: Lineare Modelle für viskoelastisches Materialverhalten in [7]

den gesuchten Spannungsvektor t als Funktional des Verschiebungsvektors ∆


darzustellen.

t = F ττ =t ∆, τ }
=0 {∆ (6.16)

Im vorliegenden Projekt wird ein linear viskoelastisches Modell auf Basis von
Maxwell-Körpern gebildet und im Sinne der Grenzflächentheorie auf die
Grenzfläche reduziert.
Der Spannungsvektor t der Grenzfläche berechnet sich im isothermen Fall mit
der Matrix der Relaxationsfunktionen R wie folgt [7]:

Zt

d∆
t(t) = R(t − τ ) dτ für 0 ≤ t ≤ ∞ (6.17)

0

Mit der Annahme, dass die drei Spannungskomponenten tn , tt und tb des


Spannungsvektors t auf der Grenzfläche voneinander entkoppelt sind, kann die
Gl. (6.17) wie folgt in der Vektor-Matrix-Notation geschrieben werden:
    ′ 
tn  Z t Rn (t − τ ) 0 0  ∆n 
tt =  0 Rs (t − τ ) 0  ∆′t dτ (6.18)
   ′
tb 0 0 0 Rs (t − τ ) ∆b
d∆
mit = ∆′

Seite 181
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

In Richtung der Grenzflächennormalen en wirkt die Relaxationsfunktion Rn (t)


und in Richtung der Tangentialen et und Binormalen eb der Grenzfläche wirken
jeweils die Relaxationsfunktionen Rs (t), welche die Schubbeanspruchung cha-
rakterisieren. Die Relaxationsfunktion des M-kettigen Maxwell-Körpers für
den querdehnungsbehinderten Zug in Richtung der Normalen der Grenzfläche
en ergibt sich zu
M  
X t
Rn = ki exp − K (6.19)
i=1
τ̂i

mit den Relaxationszeitkonstanten τ̂iK der Dämpfer der Maxwell-Kette in


Normalrichtung
ηiK
K
τ̂i = für i = 1, . . . , M (6.20)
ki
und den Steifigkeiten ki der Federn in den Maxwell-Ketten. Im Allgemeinen
werden die Steifigkeiten der Ketten häufig durch sog. Beteiligungsfaktoren νiK
ausgedrückt. Dafür wird die Gesamtsteifigkeit aus der Reihe der Exponential-
funktionen ausgeklammert, sodass sich für die Relaxationsfunktion (6.19)
M  
X t
Rn = k νiK exp − K (6.21)
i=1
τ̂i

ergibt. Die Beteiligungsfaktoren repräsentieren dementsprechend die Steifig-


keitsanteile der einzelnen Federn in der Maxwell-Kette an der Gesamtstei-
figkeit k und ergeben sich für die Normalrichtung zu
ki
νiK = für i = 1, . . . , M (6.22)
k
PM
mit k = i ki . Somit gilt für die Beteiligungsfaktoren die Bedingung
PM K
i νi = 1. In Gl. (6.21) repräsentiert k die Zugsteifigkeit des Materials für die
Grenzflächenformulierung bzgl. Belastung in Normalrichtung. Diese berechnet
sich aus dem effektiven Elastizitätsmodul für eine querdehnungsbehinderte Zug-
beanspruchung E ∗, welcher sich mit dem Elastizitätsmodul E unter Annahme

Seite 182
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

eines querdehnungsbehinderten Spannungszustands


 
σxx 0 0
ν
σ =  0 (1−ν) σxx 0  (6.23)
ν
0 0 (1−ν) σxx

aus dem räumlichen, linear elastischen Materialmodell mit


1−ν 2(1 − ν)
E∗ = E =G (6.24)
(1 − 2ν)(1 + ν) (1 − 2ν)
hervorgeht. Die Grenzflächensteifigkeit in Normalrichtung berechnet sich dann
mit der Klebschichtdicke dk zu
E∗ G 2(1 − ν)
k= = . (6.25)
dk dk (1 − 2ν)
Die Relaxationsfunktionen sind in Tangential- und in Binormalrichtung iden-
tisch. Sie wird für die beiden Schubrichtungen et und eb analog zu Gl. (6.21)
für ein M-kettiges Maxwell-Element mit der Schubsteifigkeit g, den Beteili-
gungsfaktoren νiG und den Relaxationszeitkonstanten in Schubrichtung τiG zu
M  
X t
Rs = g νiG exp − G (6.26)
i=1
τ̂i

gebildet (vgl. [7]). Die Beteiligungsfaktoren νiG geben hier den Anteil der Stei-
figkeiten der einzelnen Federn der Maxwell-Kette bzgl. der Gesamtschubstei-
figkeit g der Grenzfläche mit
gi
νiG = für i = 1, . . . , M (6.27)
g
P PM
an, wobei M i ν G
i = 1 und g = i gi gilt. Die Schubsteifigkeit g berechnet
sich aus dem Schubmodul G und der Klebschichtdicke dk zu
G
g= . (6.28)
dk
Im Folgenden werden die Kriech- und Relaxationseigenschaften des M-kettigen
Maxwell-Körpers kurz diskutiert. Unter konstanter Beanspruchung ist der
M-kettige Maxwell-Körper unendlich weit deformierbar. Für den Fall einer
konstanten Deformation relaxieren die Spannungen mit der Zeit asymptotisch

Seite 183
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

gegen null. Damit zeigt der Maxwell-Körper grundsätzlich fluides Verhalten,


was jedoch nicht zwingend zur Folge hat, dass dieser nicht zur Modellierung
von Festkörperverhalten einsetzbar ist [6, S. 68].
Im Rahmen des Projekts P796 kann die Verwendung des zweikettigen-Max-
well-Körpers gerechtfertigt werden, da im Fall der Versagensprognose unter
Betriebslasten im sog. High Cycle Fatigue ausschließlich hochfrequente Belas-
tungen angenommen werden. Damit geht einher, dass keine langen Haltezeiten,
welche zur vollständigen Spannungsrelaxation führen können, betrachtet wer-
den. Des Weiteren enthält das Modell in P796 einen Kriechschädigungsansatz,
sodass ein lang anhaltender Kriechprozess zur Kriechschädigung führt.
Im Rahmen des vorliegenden Projekts ist die Spannungsrelaxation für lange
Haltezeiten unter Berücksichtigung der Temperatur und die damit einherge-
hende Entwicklung von Eigenspannungen – d. h. verbleibende Spannungen im
Material nach einem Belastungsprozess – von Interesse. Grundsätzlich ist es
möglich, den Maxwell-Körper auch in diesem Fall mit einer geeigneten Wahl
von Materialparametern anzunehmen. So könnten z. B. ein oder mehrere Ele-
mente des M-kettigen Maxwell-Körpers eine Relaxationszeitkonstante be-
sitzen, welche deutlich höher ist, als die denkbaren Haltezeiten während eines
Belastungsprozesses.
Der sicherste Weg zur Modellierung von Festkörperverhalten ist jedoch die Er-
weiterung des M-kettigen Maxwell-Körpers um eine Feder, welche paral-
lel zu den Maxwell-Körpern geschaltet ist. Diese Feder repräsentiert eine
Gleichgewichtsspannung σ∞ , die sich bspw. unter einer konstanten Deformati-
on ε̇ = 0 für t → ∞ einstellt, wenn die Spannungen der Maxwell-Körper
in der Maxwell-Kette asymptotisch gegen null relaxiert sind. Somit relaxiert
die Spannung nicht asymptotisch gegen null, sondern asymptotisch gegen die
Gleichgewichtsspannung σ∞. Ein solcher Körper wird als verallgemeinerter li-
nearer Festkörper vom Maxwell-Typ bezeichnet und im Projekt gewählt.
Zur Motivation des verallgemeinerten linearen Festkörpers vom Maxwell-
Typ dienen die rheologischen Netzwerke in Abbildung 6.5, wobei Abbildung
6.5(a) das Netzwerk mit den Materialparametern für die Normalbeanspruchung
und Abbildung 6.5(b) für die Schubbeanspruchung zeigt. Unter Berücksichti-
gung der Federn in den rheologischen Modellen für die Zug- und Schubbean-

Seite 184
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

k∞ g∞

∆el
n0 ∆el
t,b0
τ̂ K
1 k1 τ̂ G
1 g1
αth αth
tn tn tt,b tt,b
∆ie
n1 ∆el
n1
∆ie
t,b1 ∆el
t,b1 g
τ̂2K k2 τ̂2G 2

∆ie
n2 ∆el
n2 ∆ie
t,b2
∆el
t,b2
τ̂ K
M kM τ̂ G
M gM

∆ie
nM ∆el
nM ∆ie
tM ∆el
t,bM
∆ve
n ∆th
n
∆ve
t,b ∆th
t,b
∆n ∆t,b
(a) Normalrichtung (b) Schubrichtung

Abb. 6.5: Rheologisches Modell des thermo-viskoelastischen verallgemeinerten linearen


Festkörpers vom Maxwell-Typ

spruchung ändern sich die Relaxationsfunktionen (6.21) und (6.26) zu


" M =2  #
X t
Rn = k ν∞K + νiK exp − K und (6.29a)
i=1
τ̂ i
" M =2  #
X t
Rs = g ν∞G + νiG exp − G (6.29b)
i=1
τ̂ i

mit den Beteiligungsfaktoren ν∞K = k∞ /k für die Normalrichtung und ν∞G = g∞ /g


für die Schubrichtung.

Temperaturabhängigkeit der Viskosität

Die Temperaturabhängigkeit der Viskosität wird im Modell mit der reduzier-


ten Zeit ξ(t) (6.9) beschrieben, die für die Zeit-Temperatur-Superposition ther-
morheologisch einfacher Modellansätze verwendet wird. Thermorheologisch ein-
faches Materialverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass zum einen die Steifig-
keit des Materials über der Temperatur annähernd konstant bleibt und dass sich
zum anderen die Viskositäten des Materials affin über der Temperatur ändern.
Polymere weisen in der Regel kein thermorheologisch einfaches Materialverhal-
ten auf, jedoch wird die Zeit-Temperatur-Superposition in der Ingenieurspraxis
dennoch näherungsweise angewendet [22, S. 203].

Seite 185
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Beim vorliegenden Material haben Tests an dicken Scherzug- und Kopfzugpro-


ben für unterschiedliche isotherme Temperaturverläufe gezeigt, dass die Steifig-
keit nicht als konstant über der Temperatur angesehen werden kann. Dennoch
wird hier die Idee der reduzierten Zeit für die Modellierung verwendet, indem
die Annahme getroffen wird, dass sich die Viskositäten aller Elemente der Max-
well-Kette gleichmäßig über der Temperatur ändern. Es folgt dann

τ̂iK,G = τ̂i0K,G aT (Θ) (6.30)

für die Temperaturabhängikeit der Viskositäten, wobei für aT der Ansatz des
IfM München aus Gl. (5.26) verwendet wird:
   2 aT3 
Θ+θ0
Θ0 +θ0 −1
− aT1  , θ0 = 273.15 ◦C
   
aT (Θ) = exp aT1 1 −  aT2 
Θ+θ0
1+ Θ0 +θ0
−1
(6.31)

Die Gl. (6.31) wird angenommen, da im Folgenden die thermoviskoelastischen


Parameter des IfM München zur Simulation verwendet werden. Des Weiteren
wird das Konzept thermorheologisch einfachen Materialverhaltens nicht in der
klassischen Art und Weise weiter verfolgt, da die Tests an der dicken Scher-
zugprobe unter quasistatisch zügiger Belastung zeigen, dass sich die Steifigkeit
des Materials mit der Temperatur signifikant ändert. Aus diesem Grund wird
im Folgenden die Steifigkeit g für die Schubbeanspruchung als Funktion der
Temperatur modelliert.

Temperaturabhängigkeit der elastischen Konstanten

An quasistatisch zügigen Tests des LWF mit der dicken Scherzugprobe bei
unterschiedlichen Temperaturen, ist die Abhängigkeit der Steifigkeit von der
Temperatur sichtlich erkennbar. Die Versuche zeigen die deutliche Abnahme
der Steifigkeit mit steigender Temperatur, wie die qualitative Darstellung in
der Abbildung 6.6(a)) verdeutlicht. Da im Rahmen dieses Projekts unter an-
derem die viskoelastischen Effekte der Klebverbindung im Fokus stehen, kann
bereits unter quasistatisch zügigen Belastungen nicht von einem linear elasti-
schen Materialverhalten vor Fließbeginn ausgegangen werden, wie es im vor-
angegangenen Projekt P828 [3] der Fall war. Dort ist die Zeitabhängigkeit des
elastischen Materialverhaltens aufgrund der Fokussierung auf Crashbelastun-
gen nicht in die Modellierung eingegangen. Indes wird der Schubmodul G im

Seite 186
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Rahmen dieses Projekts als Tangentenmodul an den quasistatisch zügigen Ver-


suchen der dicken Scherzugprobe identifiziert (vgl. Abb. 6.6(b)).

tt tt

τ0
g 1
g
Θ Sekante
ĝ Tangente
1
0 ∆t 0 ∆t
(a) Temperaturabhängigkeit (b) Sekanten- und Tangentenmodul

Abb. 6.6: Temperaturabhängige tangentiale Steifigkeit g im tt -∆t -Diagramm sowie


Tangenten- und Sekanten-Steifigkeit der Grenzfläche g und ĝ

Die Bestimmung der Tangentensteigung an den Messkurven der Versuche an der


dicken Scherzugprobe für unterschiedlich Temperaturvorgaben liefert jeweils
einen Wert für den Schubmodul, sodass die Beurteilung seines temperaturab-
hängigen Verhaltens in einem Θ-G-Diagramm möglich ist. Motiviert wird diese
Vorgehensweise am einfachen Beispiel des Standard linearen Festkörpers vom
Maxwell-Typ – respektive drei Parameter Körper genannt (vgl. Abb. 6.7).
Für diesen Modelltyp in Abbildung 6.7(a) sei als Randbedingung ein linearer
Verschiebungsrand ∆t = ∆˙ 0 t mit einer konstanten Geschwindigkeit ∆˙ 0 ange-
nommen, wie er bei den quasistatisch zügigen Versuchen vorliegt. Dann ergibt
sich folgende analytische Lösung für die Schubspannung tt (t) in Abhängigkeit
der Zeit t:
  
g1
G
tt (t) = g∞ ∆t (t) + η1 1 − exp − G ∆t (t) ∆˙ 0 (6.32)
η ∆˙ 01

Durch Ableitung der Schubspannung tt (t) nach dem Schubverschiebungssprung


∆t folgt
 
dtt g1
= g∞ + g1 exp − G ∆t (t) , (6.33)
d∆t η1 ∆˙ 0

Seite 187
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

womit sich die Anfangssteigung der Kurve im tt -∆t -Diagramm zu



dtt
= g∞ + g1 (6.34)
d∆t ∆t =0

bestimmen lässt. Die Kurve verläuft für große Schubverschiebungssprünge ∆t


asymptotisch gegen eine Gerade (asymptotische Spannung), die sich durch
Grenzwertbildung ∆t → ∞ von Gl. (6.32) zu

lim tt (t) = g∞ ∆t (t) + η1G ∆˙ 0 (6.35)


∆t →∞

berechnet. Die Steigung dieser Asymptote ist dieselbe wie die der Gleichge-
wichtskennlinie, welche den Steigungswert des Gleichgewichtsmoduls g∞ hat.
Die Gleichgewichtskennlinie ergibt sich für einen sehr langsamen Prozess aus
der Grenzwertbildung ∆˙ 0 → 0 von Gl. (6.32):

lim tt (t) = g∞ ∆t (t) (6.36)


∆˙ 0 →0

Die Tangentensteigung an die Kurve eines quasistatisch zügigen Versuchs im

tt
Maxwell-Körper
relevanter Abschnitt
g∞ g∞ + g1
tt tt
1
g1
η1
G
η1 ∆˙ 0
G
g∞
1
Gleichgewichtskennlinie
0 ∆t
(a) rheologisches Modell (b) Verhalten bei konst. Dehnrate

Abb. 6.7: Standard linearer Festkörper vom Maxwell-Typ im


Schubspannungs-Verschiebungsdiagramm

tt -∆t -Diagramm für den Festkörper vom Maxwell-Typ ist die Gesamtschub-
steifigkeit g = g∞ + g1 , was analog auch für den verallgemeinerten Maxwell-
Körper gilt. Bei den Versuchen an der dicken Scherzugprobe ist jedoch nicht
der rein viskoelastische Verlauf der Schubspannungs-Verschiebungs-Kurve in

Seite 188
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Abbildung 6.7 gemessen worden, sondern lediglich der durch die Strich-Punkt-
Linie gezeichnete Bereich zeigt viskoelastisches Verhalten. Bei fortschreitender
Belastung sind beim vorliegenden Material nach Erreichen einer bestimmten
Spannung (Anfangsfließspannung) große irreversible Verschiebungen zu beob-
achten, die im Folgenden mittels eines Plastizitätsmodells abgebildet werden.
Die Schubsteifigkeit der Grenzfläche in Schubrichtung g wird mit einer Funktion
in Abhängigkeit der Temperatur Θ angesetzt:

g(Θ) = g0 ĝ(Θ) (6.37)

Hier ist g0 die Schubsteifigkeit der Grenzfläche in Schubrichtung bei Raumtem-


peratur und ĝ(Θ) eine Temperaturfunktion, welche in Abschnitt 6.4.1 empirisch
bestimmt wird. Nach Berücksichtigung aller relevanten temperaturabhängigen
phenomenologischen Eigenschaften des vorliegenden Materials folgt dann für
die Gl. (6.17) analog zu Gl. (6.15) die thermo-viskoelastische Spannung des
Grenzflächenmodells:
Zt
d ve
t(t) = R [Θ0 ; ξ(t) − ξ(τ )] ∆ (τ )dτ (6.38)

0

Mit der Annahme, dass die Gleichgewichtsmoduln k∞ und g∞ konstant über der
Temperatur sind, folgt dann für die Relaxationsfunktionen (6.29a) und (6.29b)
in Normalrichtung
M  
X ξ(t)
Rn = k∞ + ki exp − K (6.39a)
i=1
τ̂i
M  
X ξ(t)
= k∞ + k̃ νiK exp − K (6.39b)
i=1
τ̂i

und in Schubrichtung
M  
X ξ(t)
Rs = g∞ + gi (Θ) exp − G (6.39c)
i=1
τ̂i
M  
X ξ(t)
= g∞ + g̃(Θ) νiG exp − G . (6.39d)
i=1
τ̂ i

mit den Gesamtsteifigkeiten der Maxwell-Ketten in Normalrichtung sowie in

Seite 189
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Schubrichtung
M
X M
X
k̃ = ki und g̃ = gi . (6.40)
i=1 i=1

6.2.3 Konstitutivgleichungen der Viskoplastizität (TAPO-Modell)

Im Rahmen des von der AiF geförderten FOSTA-Projekts P828 ist von Mat-
zenmiller und Burbulla am IfM Kassel ein elasto-viskoplastisches Mate-
rialmodell mit Schädigung zur Beschreibung geklebter Strukturen mit zähmodi-
fizierten Strukturklebstoffen auf Epoxidharzbasis unter Crashbelastungen ent-
wickelt worden. Die Grundlagen des Modells gehen zurück auf die Arbeit von
Schlimmer [20]. Das elastoplastische Modell von Mahnken und Schlim-
mer [16], ist dann im Rahmen des Projekts P676 von Matzenmiller und
Gerlach weiterentwickelt und letztlich innerhalb des Projekts P828 in das
kommerzielle Finite-Elemente-Programm LS-Dyna R
als „Toughened Adhesive
Polymere Model“ (TAPO-Modell) implementiert worden. Es ist derzeit Stand
der Forschung für Klebstoffmodelle und wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit
als Grundlage für den viskoplastischen Teilansatz verwendet.

Grundlagen der Kontinuumsschädigungsmechanik

In der Kontinuumsschädigungsmechanik wird vor eintreten einer etwaigen Be-


lastung davon ausgegangen, dass das betrachtet Material im Ausgangszustand
ungeschädigt ist – s. Abbildung 6.8(a) – obwohl dieser bereits mit Defekten
behaftet sein kann. Dies geschieht unter der Annahme eines homogenen reprä-
sentativen Volumenelements, bei welchem die Defekte im Ausgangszustand in
die Homogenisierung mit einbezogen werden. Zur Beschreibung der Schädigung
wird die Kontinuität Ψd nach Kachanov eingeführt, welche das Verhältnis
zwischen der effektiv tragenden Fläche d und der Ausgangsfläche dA0 für ein
Volumenelement – vgl. Abbildung 6.8(b) und (c) – mit

d dA0 − dAd


Ψd := = , (6.41)
dA0 dA0
W(Ψd ) := {Ψd ∈ R | 1 ≥ Ψd ≥ 0}

beschreibt. Die Kontinuität wird jedoch häufig durch die Schädigungsvariable


D als das Verhältnis zwischen der Defektfläche dAd und der Ausgangsfläche

Seite 190
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

F, σ F , σ̂

ε
D>0 D=0
D=0 dAd
A0

ε ≡ ε̂
dÂ
(b) Volu- F, σ F , σ̂
(a) defektfrei- menelement (c) defektbehafte- (d) effektiv tragen-
er Körper defektbehaf- ter Körper der Körper
tet
Abb. 6.8: Homogene isotrope Schädigung unter konstanter Belastung zur Einführung der
effektiven Querschnittsfläche  und der effektiven Spannung σ̂ [18]

dA0 mit

dAd dA0 − dÂ


D= = =1 − Ψd , (6.42)
dA0 dA0
W(D) := {D ∈ R | 0 ≤ D ≤ 1}

für isotrope Schädigung ausgedrückt. Die Schädigungsvariable D entwickelt sich


ausgehend von D = 0 für den ungeschädigten Zustand hin zu D = 1 für
den vollständig geschädigten Zustand. Damit kann die Schädigungsvariable D
mit dem abnehmen der effektiv tragenden Fläche d aufgrund der Zunahme
der Defektfläche dAd infolge der Bildung von Mikrorissen sowie Kavitation
interpretiert werden.

d = (1 − D)dA0 (6.43)

Beim Konzept der effektiven Spannung σ̂ nach Rabotnov wird die äußere
Belastung F auf die effektive Querschnittsfläche  bezogen. Somit erhöht sich
die effektive Spannung aufgrund der Abnahme der tragenden Fläche zu
F F σ
σ̂ = = = (6.44)
 (1 − D)A0 1−D

Seite 191
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

mit der nominellen Spannung σ = F/A0 – s. Abbildung 6.8(c). An dieser Stel-


le wird das Dehnungsäquivalenzprinzip postuliert, dass von der Gleichheit der
Dehnungen zwischen dem defektbehafteten Körper und dem Körper mit der
effektiv tragenden Fläche ε ≡ ε̂ ausgeht. Es führt dazu, dass der Spannungs-
zustand σ des geschädigten Körpers mit der Querschnittsfläche A0 in Abbil-
dung 6.8(c) mechanisch äquivalent zum Spannungszustand σ̂ am fiktiv unge-
schädigten Körper mit der effektiven Querschnittsfläche  in Abbildung 6.8(d)
ist. Für den räumlichen Spannungszustand σ folgt aus Gl. (6.44) entsprechend
σ σ
σ=
σ̂ = . (6.45)
1−D Ψd

Reduzierte Fließbedingung

Im Projekt P828 ist das TAPO-Modell als räumliches Kontinuumsmodell ent-


wickelt und implementiert worden. Mit der Vorgabe dünner Grenzschichten,
wie im Fall dünner Klebschichten, kann das räumliche Kontinuumsmodell in
[4] in ein Grenzflächenmodell überführt werden. Die Fließfunktion des TAPO-
Modells wird in [3] mit der ersten Invariante des Spannungstensors

σ)
I1 = tr(σ (6.46)

und der zweiten Invariante des Spannungsdeviators


1 1
σ D )2 = σ D : σ D
J2 = tr(σ (6.47)
2 2
unter Verwendung des Spannungsdeviators
1
σ D = σ − tr(σ
σ )1 (6.48)
3
definiert. Zur Berücksichtigung von Schädigung wird in den konstitutiven Glei-
chungen die effektive Spannung σ̂σ (6.45) gemäß dem effektiven Spannungskon-
zept nach Rabotnov verwendet. Im Fließkriterium nach Schlimmer wer-
den die nominellen Spannungen σ konsequent durch die effektiven Spannun-
gen σ̂
σ ersetzt [3]. Da das Materialverhalten der Klebschicht asymmetrisch bzgl.
Zug und Druck ist, wird das Fließkriterium im Druckbereich in die Form einer
Drucker-Prager-Fließbedingung gebracht. Dafür werden die Macauley-

Seite 192
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Klammern3
(
1 x für x > 0
hxi := (x + |x|) = (6.49)
2 0 für x ≤ 0

eingeführt, womit dann für die Fließbedingung


  a1 a2
σ D + √ τ0I1 (σ̂
f := J2 σ̂ σ )i2 − τY2 = 0
σ ) + hI1 (σ̂ (6.50)
3 3
mit der Fließspannung τY folgt. Durch Elimination der ersten Invariante im
dritten Term der Fließbedingung (6.50) mit der Macauley-Klammer bei ei-
ner Druckbeanspruchung I1 < 0 folgt für den Druckbereich die Drucker-
Prager-Form.
Die Fließbedingung (6.50) wird für die Formulierung im Sinne der Grenzflä-
chentheorie mit dem Spannungsvektor (6.2) t auf der Grenzfläche (vgl. Abbil-
dung 6.9), der p
sich aus der Normalspannung tn und der resultierenden Schub-
spannung τ = t2t + t2b zusammensetzt, beschrieben:

f (I1, J2) ≤ 0 ⇒ f˜(tn , τ ) ≤ 0 (6.51)

σnn
tn
σnb tb
σnt σbn tt
σtn σbb
σtb σ
bt

σtt
en en

eb eb
et et
(a) räumlicher (b) Spannungszustand auf
Spannungszustand der Grenzfläche

Abb. 6.9: Reduktion des räumlichen Spannungszustands am Volumenelement auf die


Grenzfläche

Analog zur effektiven Spannung σ̂


σ des räumlichen Kontinuums gilt für den
3
Die Macauley-Klammern werden häufig auch als Föppl-Operator bzw. -Klammern bezeichnet.

Seite 193
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

effektiven Spannungsvektor t̂ = t/(1 − D). Die Fließbedingung für das Grenz-


flächenmodell wird dann wie folgt postuliert:

2
f˜ = τ̂ 2 + ã1 τ0t̂n + ã2 t̂n − τY2 , (6.52)

Der qualitative Verlauf der Fließbedingung (6.52) ist in Abbildung 6.10 in ei-
nem τ -tn -Diagramm mit der durchgezogenen Linie dargestellt. Unter anderem

f˜ = 0 τ

τY f˜∗ = 0

tn
Abb. 6.10: Fließfunktion f˜ und Dissipationspotenzial f˜∗ für dünne Grenzschichten

wird hier die elliptische Form der Fließfunktion deutlich, welche ohne die Ver-
wendung der zuvor beschriebenen Macauley-Klammern zur Abbildung der
Druckbeanspruchung tn < 0 im zweiten Quadrant elliptisch fortlaufen würde
(punktierte Linie im zweiten Quadrant des Diagramms). Die Wirkungsweise
der Macauley-Klammer für den Druckbereich wird im Diagramm ebenfalls
deutlich, da die Fließfunktion im zweiten Quadrant für tn < 0 in eine gerade
übergeht und somit die Drucker-Prager-Form beschreibt. Des Weiteren ist
in Abbildung 6.10 der Verlauf des Dissipationspotenzials respektive plastischen
Potentials, auf welches im Folgenden eingegangen wird, mit der gestrichelten
Linie dargestellt. Der Schnittpunkt der Fließfunktion bzw. des plastischen Po-
tentials mit der Ordinate markiert die Fließspannung τY , welche als Schubspan-
nung definiert ist.

Reduziertes nichtassoziiertes Plastizitätsmodell

Da sich der plastische Fluss des reduzierten räumlichen Kontinuumsmodells


nicht direkt aus der Fließfunktion (6.52) berechnen lässt – vgl. [3] und [4] –

Seite 194
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

wird ein Dissipationspotenzial bzw. plastisches Potential



2
f˜∗ = ã∗2 t̂n + τ̂ 2 − τY2 (6.53)

eingeführt (vgl. Abbildung 6.10). Die Verläufe der reduzierten Fließfunktion


(6.52) f˜ und des reduzierten Dissipationspotenzials (6.53) f˜∗ sind qualitativ
identisch mit denen des TAPO-Modells aus [3].
Die zeitliche Änderung des plastischen Verschiebungssprungs im Sinne eines
plastischen Fluss ∆ ˙ pl ergibt sich aus dem Dissipationspotenzial f˜∗ als nichtas-
soziierte Fließregel zu

˙ pl ∂ f˜∗
∆ =λ (6.54)
∂t
mit dem plastischen Multiplikator λ und dem Spannungsvektor t. Nach Bildung
der Ableitung des Dissipationspotenzials (6.53) nach dem Spannungsvektor und
Einsetzen des Ergebnisses in Gl. (6.54) folgt für den plastischen Fluss
pl λ  ∗

∆˙ = 2 ã2 t̂n en + t̂t eb + t̂b eb (6.55a)
1−D
λ  ∗

=2 ã2 t̂n en + τ̂ eτ (6.55b)
1−D
mit dem Einheitsvektor in Schubrichtung
tT tt et + tb eb
eτ = = p2 (6.56)
|tT | tt + t2b

und dem bereits bekannten Einheitsvektor in Normalrichtung en . Die Ver-


gleichsverschiebungsrate ∆˙ V wird in Anlehnung an die plastische Bogenlänge
gewählt und definiert:
s
∂ ˜∗ ∂ f˜∗
f λ
q

2
∆˙ V = λ : =2 ã∗2 t̂n + τ̂ 2 (6.57)
∂t ∂t 1−D

Durch Multiplikation der Vergleichsverschiebungsrate (6.57) mit der Kontinui-


tät Ψd aus Gl. (6.41) folgt die Evolutionsgleichung der geschädigten plastischen
Bogenlänge [13]:
q

2
ṙ = (1 − D)∆˙ V = 2λ ã∗2 t̂n + τ̂ 2 (6.58)

Seite 195
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Der Vergleich der beiden Bogenlängen (6.57) und (6.58) ist in Abbildung 6.11
∆V , r
∆V
r

D=0 D>0

0

Abb. 6.11: Vergleich der akkumulierten plastischen Bogenlänge ∆V mit der akkumulierten
geschädigten plastischen Bogenlänge r

qualitativ dargestellt. Hier sind die akkumulierten Bogenlängen ∆V und r über


den Gesamtverschiebungssprung ∆ für ∆˙ = const. aufgetragen. Dabei wird
deutlich, dass die schädigungsabhängige plastische Bogenlänge r nach Einsetzen
der Schädigung D > 0 einen degressiven Verlauf aufweist, wohingegen sich ∆V
im Schädigungsbereich proportional zum Verschiebungssprung ∆ bei zügiger
Laststeigerung verhält.
Die Gln. (6.57) und (6.58) dienen in Abschnitt 6.2.4 der Definition zweier
Ansätze zur Schädigungsevolution mit unterschiedlichen Ergebnissen für die
Entfestigung im Spannungs-Verschiebungsdiagramm. Des Weiteren wird die ge-
schädigte plastische Bogenlänge (6.58) im Folgenden als innere Variable für die
Entwicklung der Verfestigung verwendet.

Viskoplastische Formulierung gemäß Johnson und Cook

Im TAPO-Modell beschreibt die viskoplastische Formulierung gemäß John-


son und Cook die ratenabhängige Plastizität. Abhängig von der Geschwin-
digkeit des Gesamtverschiebungssprungs ∆˙ wird eine sog. viskose Überspan-
nung (overstress) σ vc aufgebaut, welche die Fließspannung im σ-∆-Diagramm
vertikal verschiebt. Dieser Zusammenhang zwischen der Rate und der Span-
nung wird mit der qualitativen Darstellung in Abbildung 6.12(a) verdeutlicht.
Das rheologische Modell des Bingham-Körpers (vgl. Abbildung 6.12(b)) soll
dazu dienen, den viskoplastischen Ansatz nach Johnson und Cook für ide-
al plastisches Materialverhalten, d. h. ohne Verfestigung, zu motivieren. Am

Seite 196
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Rheologiemodell in Abbildung 6.12(b) kann anhand der eindimensionalen Glei-


chungen für die Grundelemente der Einfluss der Ratenabhängigkeit (Dämpfer)
auf die Idealplastizität (Reibelement) verdeutlicht werden. Dabei wird die linea-
re Elastizität in Abbildung 6.12(b) durch die Feder mit dem Elastizitätsmodul
E, die ideale Plastizität durch das Reibelement mit der Anfangsfließspannung
τ0 und die Viskosität durch den Dämpfer mit der Viskosität η vc repräsentiert.
Da die Spannung kontinuierlich über dem Rheologiemodell ist, gilt

σ vp = σ el = σ (6.59)

mit der viskoplastischen Spannung σ vp aus der Parallelschaltung aus Reibele-


ment und Dämpfer und der elastischen Spannung σ el an der Feder. Die viskose
Spannung σ vc sei zur Verdeutlichung der Ratenabhängigkeit mit dem linear
viskosen Newtonschen Element

σ vc = η vcε̇vp (6.60)

formuliert. Die viskoplastische Spannung σ vp ergibt sich aus der Addition der
Spannung am Reibelement σ R und der Spannung am Dämpfer σ vc mit

σ vp = σ R + σ vc . (6.61)

Am Reibelement gilt im Fall idealer Plastizität folgender Zusammenhang zwi-


schen der anliegenden Spannung σ R und der konstanten Fließspannung τ0

σ R = τ0 sgn(ε̇vp) für ε̇vp =


6 0 (6.62a)
|σ R | < τ0 für ε̇vp = 0 , (6.62b)

σ τ0

∆˙ σ E σ
η vc

εel εvp
0 ∆ ε
(a) σ-∆-Diagramm (b) Bingham-Körper

Abb. 6.12: Qualitative Darstellung viskoplastischen Materialverhaltens und rheologisches


Modell des Bingham-Körpers für Elasto-Visko-Idealplastizität

Seite 197
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

der bei genauer Betrachtung und Aufspaltung in Betrag und Richtung eine
eindimensionale Fließbedingung für ideale Plastizität am Reibelement mit

fR := |σ R | − τ0 = 0 (6.63)

darstellt. Demnach setzt am Reibelement plastisches Fließen für fR = 0 ein, da


nur dann das geforderte Gleichgewicht zwischen der Reibspannung σ R und der
Fließspannung τ0 herrscht. Die Fließbedingung für den Bingham-Körper folgt
durch Einsetzen von (6.62a) in (6.61) unter Beachtung von (6.59) und (6.63)
wiederum durch Aufspaltung in Betrag und Richtung zu

fB := |σ| − τ0 = |σ vc | ≥ 0 . (6.64)

Mit Gl. (6.64) wird deutlich, dass der Beginn plastischen Fließens nun abhängig
von der viskosen ratenabhängigen Spannung σ vc ist, womit lediglich die schwä-
chere Forderung fB ≥ 0 erfüllt werden muss. Durch Umstellen von Gl. (6.64)
wird die Aufspaltung der viskoplastischen Fließspannung τJC in einen konstan-
ten und einen ratenabhängigen Anteil deutlich:

fˆB = |σ| − (τ0 + |σ vc |) = 0 (6.65)


| {z }
=:τJC

Die Gl. (6.65) motiviert den Vorschlag von Johnson und Cook [11], die Fließ-
spannung τJC ratenabhängig mit einem einfachen Ansatz in Abhängigkeit der
Gesamtverzerrungsrate ε̇ zu formulieren:
  
ε̇
τJC := τ0 1 + C ln (6.66)
ε̇0

Durch Gegenüberstellung der Gln. (6.64) und (6.66) wird deutlich, dass im
TAPO-Modell für die viskose Überspannung σ vc ein Ansatz der Form
 
ε̇
σ vc = τ0 C ln (6.67)
ε̇0

gewählt wird. Für das Grenzflächenmodell wird der Ansatz (6.66) gemäß der
Grenzflächentheorie mit der Rate des Verschiebungssprungs ∆˙ formuliert.
* +!
∆ ˙
τJC := τ0 1 + C ln (6.68)
∆˙ 0

Seite 198
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

Im Abschlussbericht des Projekts P828 [3] wird der Vergleich des viskoplasti-
schen Ansatzes nach Johnson und Cook mit dem alternativen Ansatz nach
Perzyna diskutiert.

Verfestigungsmodell

Im vorliegenden Modell wird die Schubfließspannung τY in der Fließfunkti-


on (6.52) analog zum räumlich formulierten TAPO-Modell berücksichtigt. Sie
setzt sich aus der Anfangsschubfließspannung τ0 , der Verfestigungsspannung R
sowie der viskoplastischen Fließspannung τJC nach Johnson und Cook zu-
sammen [3] [4]:
τJC
τY = (τ0 + R) (6.69)
τ0
In Abhängigkeit der akkumulierten geschädigten plastischen Bogenlänge r aus
Gl. (6.58) entwickelt sich die Verfestigungsspannung R mit einem Ansatz zur
Beschreibung isotroper Verfestigung, welche eine gleichmäßige Aufweitung der
Fließfläche zur Folge hat. Der Ansatz der Verfestigungsspannung setzt sich aus
einem sättigendem Exponentialterm und einem linearen Term mit

R(r) = q[1 − exp(−b r)] + H r (6.70)

zusammen. Die Parameter q und b beschreiben den Verlauf des Exponential-


terms und der Parameter H beschreibt den Verfestigungsmodul. Die Verfes-
tigungsspannung R geht für r → ∞ asymptotisch gegen den linearen Term
q + H r. In Abbildung 6.13(a) wird die Bedeutung der Parameter q und b des
nicht linearen Terms der Verfestigungsspannung (6.70) deutlich. So beschreibt
der reziproke Wert des Parameters b die Abszisse des Schnittpunktes der Asym-
ptote mit der Ursprungstangente an die Funktion für die Fließspannung (6.69)
für geschwindkeitsunabhängiges Fließen mit τJC = 1. Der Schnittpunkt der
Asymptote mit der Ordinate ist die Summe aus Anfangsfließspannung τ0 und
dem Parameter q.
Die Ratenabhängigkeit der Fließspannung (6.69) wird im TAPO-Modell mit
dem Ansatz nach Johnson und Cook analog zur Gl. (6.66) wie folgt berück-
sichtigt:
" * + * +!#
∆ ˙ ∆˙
τY = (τ0 + R) 1 + C ln − ln (6.71)
∆˙ 0 ∆˙ m

Seite 199
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

τY τY

H
τ0 + q 1
(τ0 + R)C
τ0 τ0 + R 1
1/b

0 0
r ln ∆˙ 0 ln ∆˙ m ln ∆˙
(a) Nichtlineares Fließdiagramm für (b) Halblogarithmische Darstellung der
C=0 Fließspannung (6.71) nach Johnson
und Cook

Abb. 6.13: Nicht lineare Fließspannung

Die Abbildung 6.13(b) zeigt die halblogarithmische Darstellung der Schubfließ-


spannung (6.71) τY über der logarithmischen Verschiebungsrate ln ∆. ˙ Begin-
nend bei der ratenunabhängigen Schubfließspannung τ0 + R verläuft der Ansatz
(6.71) konstant bis zur Referenzgeschwindigkeit ln ∆˙ 0 – welche den Beginn der
Ratenabhängigkeit charakterisiert. Von dort aus verläuft die Schubfließspan-
nung bis zur Verschiebungsrate ln ∆˙ m in der halblogarithmischen Darstellung
linear mit der Steigung C (τ0 + R), bis diese in einem Plateauwert endet.
Ein weiterer Einfluss auf die Fließspannung τY geht von der Temperatur Θ aus.
So zeigen die quasistatisch zügigen Versuche des LWF an der dicken Scherzug-
probe mit dem Klebstoff BetamateTM 1496V, dass sich die Anfangsfließspan-
nung τ0 mit steigender Temperatur Θ verringert, was besonders deutlich wird,
wenn die bei verschiedenen Temperaturen gemessenen Anfangsfließspannungen
über der Temperatur Θ aufgetragen werden. Des Weiteren wird anhand der
Testdaten ein temperaturabhängiges Verfestigungsverhalten deutlich, welches
sich in der Fließspannung τY zum einen durch eine Verringerung des Abstands
q zwischen der Anfangsfließspannung τ0 und der verlängerten asymptotischen
Steigung (vgl. Abbildung 6.13(a)) und zum anderen durch eine Verringerung des
Einlaufverhaltens 1/b in die asymptotische Steigung kennzeichnet. Darüber hin-
aus ist eine Verringerung des Verfestigungsmoduls H mit ansteigender Tempe-
ratur beobachtbar, welche jedoch erst für Temperaturen ab ca. 60 ◦C signifikant
wird. Ein weiteres Phänomen, welches jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht
weiter betrachtet wird, ist die Nachverfestigung des Materials bei fortgeschrit-
tener plastischer Deformation, die anhand der Testdaten ab einem Temperatur-

Seite 200
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

bereich zwischen 60 ◦C und 70 ◦C im Schubspannungs-Verschiebungsdiagramm


zu beobachten ist.
Einen Ansatz zur Modellierung der Temperaturabhängigkeit der Fließspannung
haben Johnson und Cook ebenfalls in [10] vorgeschlagen. Dort wird die Fließ-
spannung mit einem Verfestigungsterm modelliert, welcher sowohl raten- als
auch temperaturabhängig ist. Zur Beschreibung der Temperaturabhängigkeit
der Fließspannung verwenden Johnson und Cook einen empirischen Ansatz
als Funktion einer entdimensionierten Temperatur, welche mit der Schmelz-
und Raumtemperatur definiert wird und sich auf diese Bezieht.
Analog zu den empirischen Ansätzen von Johnson und Cook wird beim
TAPO-Modell bereits die Ratenabhängigkeit der Fließspannung in angepass-
ter Form erfolgreich berücksichtigt (vgl. Gl. (6.71)), weshalb eine ähnliche Be-
schreibung des Temperatureinfluss in den Konstitutivgleichungen nahe liegt.
Beim vorliegenden viskoplastischen Modell wird die Temperaturabhängigkeit
in Anlehnung an den Ansatz aus [10] modelliert, wobei es beim vorliegenden
Material jedoch notwendig ist, für die Anfangsfließspannung τ0 und die Verfes-
tigungsspannung R gesonderte Funktionen zu definieren.
In der Fließspannung (6.71) wird die Anfangsfließspannung τ0 mit Hilfe einer
Funktion χ(Θ) durch ansetzen von Gl. (6.72)
" * + * +!#
∆ ˙ ∆˙
τY = (τ0 χ(Θ) + R) 1 + C ln − ln (6.72)
∆˙ 0 ∆˙ m

in Abhängigkeit der Temperatur formuliert. Die Funktion χ(Θ) wird in ähnli-


cher Form angesetzt, wie es Johnson und Cook vorschlagen. Jedoch wird der
Ansatz derart den Materialeigenschaften angepasst, dass statt der entdimensio-
nierten Temperatur aus [10] eine Temperaturgröße definiert wird, welche dem
Sinn nach ähnliche Eigenschaften besitzt. Daher wird für den folgenden Ansatz
eine normalisierte Temperatur ϑN definiert, welche sich auf den Glasübergang
des Materials bezieht und ebenfalls Werte zwischen 0 und 1 für einen Tempe-
raturbereich zwischen der Glasübergangs- und der Raumtemperatur annimmt:
Θ − Θ0
ϑN (Θ) = , W(ϑN ) := {ϑN ∈ R | 0 ≤ ϑN ≤ 1} (6.73)
ΘG − Θ0
In der normalisierten Temperatur (6.73) ist ΘG die Glasübergangs- und Θ0 die
Raumtemperatur. Besonders anzumerken ist an dieser Stelle, dass sich der Glas-
übergang des Materials über einen relativ großen Temperaturbereich erstreckt.
Daher wird für die Glasübergangstemperatur ΘG die vom LWF identifizierte

Seite 201
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

mittlere Temperatur des Glasübergangsbereichs mit dem Wert ΘG = 105.0 ◦C


verwendet (s. Abschnitt 4.2), welche am Maximum des Verlustfaktors mittels
DMA-Messung an einer Klebstoffsubstanzprobe identifiziert wird.
χ
1
m0
m
0 >
m 1
0 <
1
0 1 ϑN
Abb. 6.14: Qualitativer Verlauf der Temperaturfunktion χ über der normalisierten
Temperatur ϑN

Beim vorliegenden Material erweist sich der folgende Ansatz

τΘ = τ0 χ(Θ) = τ0 (1 − ϑm
N ) , W(τΘ ) := {τΘ ∈ R | 0 ≤ τΘ ≤ τ0 }
0
(6.74)

für die temperaturabhängige Anfangsfließspannung τΘ mit dem Materialpara-


meter m0 als geeignet. Die temperaturabhängige Anfangsfließspannung (6.74)
ist für den Temperaturbereich zwischen Raum- und Glasübergangstemperatur
definiert und nimmt bei Raumtemperatur für Θ = Θ0 den Wert der Anfangs-
fließspannung bei Raumtemperatur τΘ = τ0 wegen ϑN = 0 und bei Glasüber-
gangstemperatur für Θ = ΘG den Wert τΘ = 0 wegen ϑN = 1 an. Damit trägt
der Ansatz der phenomenologischen Beobachtung Rechnung, dass die Anfangs-
fließspannung bei der Glasübergangstemperatur zu null wird.
Für die Materialparameter q, b und H der Verfestigungsspannung (6.70) müssen
jeweils eigene Temperaturfunktionen formuliert werden, um alle beobachtbaren
Phänomene zu beschreiben. Dabei werden ebenfalls empirische Ansätze verwen-
det, die aus den Verläufen der Testdaten des LWF an der dicken Scherzugprobe
abgeleitet werden.
Der Materialparameter q als präexponentieller Faktor des nichtlinearen Terms
der Verfestigungsspannung (6.70) muss der Beobachtung an den Testdaten des
LWF Rechnung tragen, dass die Verfestigung im Bereich der Glasübergangstem-
peratur in einen linearen Verlauf übergeht. Daher wird für den präexponenti-
ellen Faktor q ein ähnlicher Ansatz wie für die Anfangsfließspannung gewählt,
welcher für Glasübergangstemperatur zu null wird. Demnach entwickelt sich

Seite 202
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

der präexponentielle Faktor über der normalisierten Temperatur ϑN mit den


Materialparametern q1 und q2 wie folgt:
q2
qΘ = q0 [1 − (ϑN )q1 ] mit q1 , q2 ≥ 1 (6.75)

Hier ist der zweite Exponent q2 notwendig, um einen Wendepunkt im Kur-


venverlauf (vgl. Abbildung 6.15(a)) zur besseren Abbildung der Testdaten zu
erzeugen.
An den Materialparameter b werden keine besonderen Anforderung bzgl. der
Glasübergangstemperatur gestellt, da dieser seinen Einfluss verliert, sobald für
den präexponentiellen Faktor qΘ = 0 bei der Glasübergangstemperatur Θ = ΘG
gilt. Dennoch wird für die Temperaturabhängigkeit von b ein Ansatz mit der
normalisierten Temperatur ϑN definiert:

bΘ = b0 (1 + ϑN )b1 mit b1 ≥ 1 (6.76)

Der qualitative Verlauf von bΘ über der normalisierten Temperatur ϑN ist in


Abbildung 6.15(b) dargestellt.
Wie zuvor beschrieben zeigen die Testdaten des Scherzugversuchs, dass der Ver-
festigungsmodul H im linearen Term der Verfestigungsspannung (6.70) bis zur
Temperatur Θ = 60 ◦C näherungsweise konstant bleibt und für Θ > 60 ◦C mo-
noton abfällt. Zur Abbildung des verzögert einsetzenden Steigungsabfalls von
H – welcher dann rapide zunimmt – soll möglichst eine stetige Funktion in
Abhängigkeit der Temperatur angesetzt werden, deren Verlauf im Untersuch-
ten Definitionsbereich zwischen Raum- und Glasübergangstemperatur streng
monoton fallend ist. Daher wird der Verfestigungsmodul H mit einer Sigmoid-
funktion – genauer einer hyperbolischen Funktion – angesetzt. Es folgt dann
für den temperaturabhängigen Verfestigungsmodul HΘ die Funktion
H0
HΘ = {1 − tanh [H1 (Θ − H2 )]} mit H1 > 0
2
und Θ0 ≤ H2 ≤ ΘG (6.77)

mit den Materialparametern H1 und H2. Der Parameter H0 beschreibt in ers-


ter Linie die Sprunghöhe der Funktion (6.77), wobei er in Verbindung mit dem
Parameter H1 einen zusätzlichen Einfluss auf die Steigung der Funktion am
Wendepunkt hat. Der Parameter H2 verschiebt die Funktion entlang der Tem-
peraturachse und legt somit fest, bei welcher Abszisse der Wendepunkt liegt. In
der Abbildung 6.15(c) ist der qualitative Verlauf der Funktion (6.77) HΘ über
der Temperatur Θ dargestellt.

Seite 203
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

qΘ bΘ
q0

b0

0 1 ϑN 0 1 ϑN
(a) qΘ -ϑN -Diagramm (b) bΘ -ϑN -Diagramm

H0

H0 H1
2
1

0 H2 ΘG Θ
(c) HΘ -Θ-Diagramm

Abb. 6.15: Qualitative Darstellung der Verläufe von qΘ und bΘ über der normalisierten
Temperatur ϑN sowie HΘ über der Temperatur Θ

Die Temperaturfunktionen in den Gln. (6.74), (6.75), (6.76) und (6.77) werden
im Rahmen der Parameteridentifikation im Abschnitt 6.4 empirisch bestimmt.

Seite 204
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

6.2.4 Schädigungsmodell infolge plastischer Verformung

Im Rahmen des Projekts P828 ist ein Schädigungsmodell entwickelt worden,


welches eine duktile Schädigung der Klebverbindung infolge plastischer Ver-
formung beschreibt, die als Folge von Mikrorissen in der Epoxymatrix sowie
Kavitation durch Ablösung der Gummiadditive von der Epoxymatrix zu inter-
pretieren ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Klebverbindung erst nach
Erreichen des Spannungsmaximums – gekennzeichnet durch die dazugehörige
plastische kritische Gleitung γc – beginnt signifikant zu schädigen. Bei zügi-
ger Belastung nimmt die Schädigung nach Erreichen der kritischen Gleitung γc
in Form der Evolution der Schädigungsvariable D stetig zu, bis sie ihr Maxi-
mum – eintreten des Makrobruchs – bei der Bruchgleitung γf erreicht. Die für
die Modellbildung sowie das Verständnis des Modells notwendigen Grundlagen
der Kontinuumschädigungsmechanik, sind bereits in Abschnitt 6.2.3 erläutert
worden. Im Folgenden wird unter Voraussetzung der Grundlagen der Schädi-
gungsmechanik das Schädigungsmodell beschrieben und erläutert, wobei hier
für eine detailliertere Erläuterung der konstitutiven Gleichungen zusätzlich auf
den Abschlussbericht des Projekts P828 [3] verwiesen werden muss.

Konstitutive Materialgleichungen des Schädigungsmodells

In [3] wird die Degradation der Steifigkeit der Klebschicht im TAPO-Modell mit
der stetig abnehmenden Kontinuität Ψd = 1 − D gemäß Gl. (6.41) beschrieben.
Der Ansatz für das TAPO-Modell [3] geht auf einen empirischen Ansatz nach
Lemaître zurück, der in [12] diskutiert wird. Dieser Ansatz wird in [3] um
einen Exponent n erweitert und in Abhängigkeit der akkumulierten geschädig-
ten plastischen Bogenlänge (6.58) formuliert. Im Rahmen dieses Projekt wird
der Schädigungsansatz aus [3] gemäß der Grenzflächentheorie – vgl. Abschnitt
6.2.1 – mit dem Verschiebungssprung ∆ in der Grenzfläche reduziert. Für die
Schädigungsvariable D folgt dann der nachstehende Ansatz in Abhängigkeit
der geschädigten plastischen Bogenlänge r (s. S. 196)
 n
r − ∆c
D(r) = (6.78)
∆f − ∆c

unter Verwendung der Macauley-Klammer (6.49) mit dem Materialparame-


ter n sowie dem kritischen Verschiebungssprung ∆c und dem Bruchverschie-
bungssprung ∆f , welche in Analogie zur kritischen Gleitung γc und Bruchglei-
tung γf im Sinne der Grenzflächentheorie definiert werden. Die zeitliche Ablei-

Seite 205
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

tung der Gl. (6.78) liefert die Evolutionsgleichung für die Schädigungsvariable
 n−1
r − ∆c ṙ
Ḋ(r, ṙ) = n , (6.79)
∆f − ∆c ∆f − ∆c
welche für die Ratenformulierung des Materialmodells vonnöten ist. In Abbil-
dung 6.16(a) ist der qualitative Verlauf der Schädigungsvariable D über der
geschädigten plastischen Bogenlänge r für steigenden Parameter n dargestellt,
um zu verdeutlichen, dass der Materialparameter n die Krümmung des Schä-
digungsverlaufs beeinflusst.
Im Schädigungsansatz (6.78) beschreibt der kritische Verschiebungssprung ∆c
die plastische Verschiebungsdiskontinuität in der Grenzfläche, bei welcher die
Schädigung initiiert wird und der Bruchverschiebungssprung ∆f die plastische
Verschiebungsdiskontinuität, bei der das Material vollständig geschädigt ist.
Beide ändern sich in Abhängigkeit des Beanspruchungszustands, was mit einer
Größe zur Charakterisierung der Spannungsmehrachsigkeit in der Grenzfläche
berücksichtigt wird. Diese Spannungsmehrachsigkeit in der Grenzfläche wird als
Verhältnis zwischen Normalspannung tn und der resultierenden Schubspannung
τ mit
htn i
T := p (6.80)
t2n /3 + τ 2

in Anlehnung an die Triaxialität definiert. Unter Berücksichtigung der Än-


derung des kritischen Verschiebungssprungs mit dem Beanspruchungszustand
wird dieser mit
 D E
˙ ˙
∆c = [dI1 + dI2 exp (−d3 hT i)] 1 + d4 ∆/∆0 (6.81)

in Abhängigkeit des Spannungsverhältnisses T in Analogie zum Ansatz von


Johnson und Cook in [11] für die Grenzfläche definiert. Die Größen dI1,
dI2 , d3 und d4 sind Materialparameter, wobei die Parameter d3 undD d4 den E
Einfluss des Spannungsverhältnisses T und der Ratenabhängigkeit ∆/∆0 ˙ ˙
beschreiben. Die Parameter dI1 und dI2 beschreiben die Länge des kritischen
Verschiebungssprungs bei reiner Schubbeanspruchung für T = 0, wobei dI1
den Grenzwert des sich asymptotisch einstellenden Verschiebungssprungs für
T → ∞ beschreibt. Der Bruchverschiebungssprung ist analog zum kritischen
Verschiebungssprung mit
 D E
˙ ˙
∆f = [d1 + d2 exp (−d3 hT i)] 1 + d4 ∆/∆0 (6.82)

Seite 206
6.2 Entwicklung der konstitutiven Gleichungen

und den Materialparametern d1 und d2 definiert – s. [3]. Die Bedeutung der


Parameter d1 und d2 ist analog zu den Parametern dI1 und dI2 zu verstehen.
Der Einfluss der Parameter auf die Verläufe der Gln. (6.81) und (6.82) ist in
Abhängigkeit des Spannungsverhältnisses (6.80) in Abbildung 6.16(b) qualita-
tiv dargestellt. Die Parameter d3 und d4 gelten sowohl für die Gl. (6.81) als auch
∆c , ∆f 1/d3
D d1 + d2
1 ∆f
∆c

n dI1 + dI2

d1
dI1
0 ∆f r 0 T
∆c
(a) Schädigungsvariable D über der (b) kritischer Verschiebungssprung ∆c
pl. Bogenlänge r für n > 1 und Bruchverschiebungssprung ∆f
über T

Abb. 6.16: Qualitative Verläufe der Parameter n, ∆c und ∆f aus dem


Schädigungsansatz (6.78) [3]

für die Gl. (6.82) um zu verhindern, dass sich der kritische Verschiebungssprung
und der Bruchverschiebungssprung überschneiden.
Ein weiterer Ansatz für die Schädigungsevolution ist in [3] mit der plastischen
Bogenlänge definiert und wird im Folgenden in Analogie dazu für die Grenzflä-
che mit der Vergleichsverschiebungsrate (6.57) formuliert:
 v n−1
˙ ∆ − ∆c ∆˙ v
D̂ = n (6.83)
∆f − ∆c ∆f − ∆c

Die beiden Ansätze (6.79) und (6.83) weisen ein unterschiedliches Entfesti-
gungsverhalten auf, da sich die inneren Variablen r und ∆˙ V in Abhängigkeit
der Schädigung D unterschiedlich entwickeln (vgl. Abbildung 6.11). Der Ein-
fluss der Bogenlängen (6.57) und (6.58) auf die Schädigung wird in der Ab-
bildung 6.17 mit Hilfe einer qualitativen Darstellung des Verlaufs der Schädi-
gungsvariablen D und D̂ sowie der Spannung über dem Verschiebungssprung
verdeutlicht. Die Abbildung 6.17(a) zeigt die unterschiedliche Entwicklung der
beiden Schädigungsmodelle (6.79) und (6.83) anhand der jeweiligen akkumu-
lierten Schädigungsvariablen D und D̂ über dem Gesamtverschiebungssprung

Seite 207
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

∆. Hier ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Schädigungsvariablen D̂ für


den gesamten Schädigungsprozess progressiv bis zum Bruch für D = 1 ver-
läuft, wohingegen die akkumulierte Schädigungsvariable D einen Wendepunkt
aufweist, der dazu führt, dass der progressive in einen degressiven Verlauf bis
zum Bruch für D = 1 übergeht. Im σ-∆-Diagramm in Abbildung 6.17(b) wird

D, D̂ σ

1
D


D

0 0
∆ ∆c ∆
(a) Schädigungsevolution (b) Entfestigungsverhalten

Abb. 6.17: Einfluss der plastischen und geschädigten plastischen Bogenlänge auf die
Schädigungsevolution und das Entfestigungsverhalten

die Auswirkung des verwendeten Schädigungsansatzes auf die Spannung σ ver-


deutlicht. Beim Schädigungsansatz (6.79) mit der Bogenlänge r nähert sich
die Spannung σ im Entfestigungsbereich über dem Verschiebungssprung ∆ bei
zügiger Belastung asymptotisch der Abszisse im σ-∆-Diagramm, wohingegen
der Spannungsverlauf des Schädigungsansatzes (6.79) sich mit der proportional
zum Verschiebungssprung ∆ ansteigenden Bogenlänge ∆V bei zügiger Laststei-
gerung geradlinig der Abszisse nähert.

Temperaturabhängiger kritischer Verschiebungssprung und Bruchver-


schiebungssprung

Der Temperatureinfluss auf den kritischen Verschiebungssprung ∆c sowie


Bruchverschiebungssprung ∆f lässt sich an den quasistatisch zügigen Versu-
chen mit der dicken Scherzug- und Kopfzugprobe des LWF studieren. Die Ver-
suche zeigen, dass sich sowohl der kritische als auch der Bruchverschiebungs-
sprung mit steigender Temperatur erhöhen. Zur Berücksichtigung dieses Effekts
werden gemäß dem Ansatz nach Johnson und Cook in [11] Temperatur-
funktionen definiert. Demnach ergeben sich für den kritischen Verschiebungs-

Seite 208
6.3 Implementierung

sprung (6.81) und Bruchverschiebungssprung (6.82) die folgenden temperatur-


abhängigen Gleichungen
 D E  
Θ − Θ
mc1 mc2
˙ ∆˙ 0 0
∆c = [dI1 + dI2 exp (−d3 hT i)] 1 + d4 ∆/ 1+
Θ0
(6.84a)

 D E  
Θ − Θ
mc1 mc2
˙ ∆˙ 0 0
∆f = [d1 + d2 exp (−d3 hT i)] 1 + d4 ∆/ 1+
Θ0
(6.84b)

mit den Materialparametern mc1 und mc2 sowie der Raumtemperatur Θ0 . Die
Tests an der dicken Scherzug- und Kopfzugprobe des LWF zeigen, dass die
nichtlinearen Ansätze die Phänomenologie hinreichend genau beschreiben.

6.3 Implementierung

Das vorgestellte thermoviskoelastisch-plastische Materialmodell zur Abbildung


der Klebschichteigenschaften wird mit dem Schädigungsansatz infolge plasti-
scher Verformung in das kommerzielle Finite-Elemente-Programm LS-Dyna R

[14] als User Defined Cohesive Model in eine dafür vorgesehene UMAT45C-Sub-
routine4 (Materialroutine) für die Berechnung mit Grenzflächenelementen im-
plementiert. Das rheologische Netzwerk in Abbildung 6.18 repräsentiert das Ge-
samtmodell. Aufgrund der Existenz der Fließfläche zur Abgrenzung des thermo-
viskoelastischen vom viskoplastischen Teilmodell wird das thermoviskoelastisch-
plastische Konstitutivmodell in der Materialroutine mit dem Prädiktor-Kor-
rektor-Verfahren (thermoviskoelastischer Prädiktor und viskoplastischer Kor-
rektor) berechnet. Zunächst werden im Prädiktorschritt die thermoviskoelas-
tischen Materialgleichungen mit dem effizienten Algorithmus nach Taylor et
al. [24] numerisch integriert, gefolgt von der Überprüfung des Fließkriteriums.
Ist die Fließbedingung verletzt, so liegt viskoelastisches Materialverhalten vor
und die Lösung aus dem Prädiktorschritt stellt die gesuchte Lösung dar. Wenn
die Fließbedingung erfüllt ist, schließt sich dem viskoelastischen Prädiktor der
viskoplastische Korrektorschritt an, bei welchem die Konstitutivgleichungen des
Viskoplastizitätsmodells numerisch gelöst werden müssen. Dafür werden die
Evolutionsgleichungen des plastischen Teilmodells, die in Form gewöhnlicher

4
Das LS-DYNA R
Keyword user’s manual [14] enthält detaillierte Informationen zu den benutzerdefinierten
Kohäsivzonenmodellen.

Seite 209
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

k ∞ , g∞
τΘ
∆ el
0
τ̂ K,G
1
k 1 , g1
αth C
t t
∆ie
∆1 ∆el
∆1
τ̂2K,G k 2 , g2
H, q, b
∆ ie ∆ el
2
2
τ̂ K,G k M , gM
M

∆ ie
M
∆ el
M

∆ ve ∆ th ∆ pl

Abb. 6.18: Rheologisches Netzwerk des thermoviskoelastisch-plastischen
Konstitutivmodells

Differentialgleichungen erster Ordnung vorliegen, mit dem bedingungslos sta-


bilen, impliziten Euler-Verfahren
 
(j+1) (j) (j+1) (j+1)
(•) = (•) + ∆t f t, (•) (6.85)

integriert. Somit werden jeweils die aktuellen Größen (j+1) (•) aus den Resulta-
ten des vergangenen Zeitpunkts (j) (•) und dem Inkrement des aktuellen Zeit-
schritts berechnet. Durch geschickte mathematische Umformungen der diskreti-
sierten Differential- und algebraischen Gleichungen kann das Algebrodifferenti-
algleichungssystem auf eine einzige zu lösende nichtlineare Gleichung reduziert
werden. Die gesuchte Größe in dieser Gleichung ist der plastische Multiplikator
λ, der mit dem Newton-Verfahren bestimmt wird.
Im vorliegenden Projekt werden zeitlich lange Prozesse wie Temperaturbelas-
tungen mit anschließenden Haltezeiten simuliert, die u. U. in der Größenord-
nung mehrerer Stunden liegen. Um eine solch lange Prozessdauer in adäquater
Zeit simulieren zu können, müssen die Berechnungen mit großen Zeitschritt-
weiten durchgeführt werden. Daher wird die Finite-Elemente-Methode mit der
impliziten Zeitdiskretisierung verwendet, die auch für große Zeitschrittweiten
stabil ist. Die zeitlich implizit diskretisierte Impulsbilanz wird mit dem New-

Seite 210
6.4 Parameteridentifikation

ton-Verfahren iterativ gelöst, wofür in der Materialroutine der konsistente Tan-


gentenmodul des Konstitutivmodells bereitgestellt werden muss. Dabei ist der
konsistente Tangentenmodul mit dem numerischen Verfahren konsistent, das
zur Lösung der konstitutiven Gleichungen in der Materialroutine verwendet
wird – im vorliegenden Fall mit dem impliziten Euler-Verfahren zur Berech-
nung des plastischen Multiplikators λ.
Ungeachtet des konsistenten Tangentenmoduls ist eine Berechnung mit der zeit-
lich explizit diskretisierten Finite-Elemente-Methode immer möglich. Jedoch
muss bei der expliziten Zeitdiskretisierung besonderes Augenmerk auf die Sta-
bilität des Verfahrens gelegt werden, da hier die Zeitschrittweite abhängig von
der Dimension des kleinsten Elements ist. Aufgrund dessen sind die Zeitschritte
im Vergleich zum impliziten Verfahren i. d. R. um mehrere Größenordnungen
kleiner zu wählen.

6.4 Parameteridentifikation

Für die Identifikation der Materialparameter in den konstitutiven Gleichungen


werden die Versuche an der dicken Scherzug- und Kopfzugprobe verwendet, die
am LWF durchgeführt worden sind (s. Abschnitt 4.3.2). Die wesentlichen Pa-
rameter der viskoelastischen und plastischen konstitutiven Gleichungen werden
an Versuchen bei Raumtemperatur identifiziert. Ausgehend vom Materialver-
halten bei Raumtemperatur werden mit den zuvor beschriebenen Ansätzen (s.
Abschnitt 6.2) die temperaturabhängigen Kennwerte des Materialmodells be-
stimmt. Die Materialparameter, welche die temperaturabhängigen Phänomene
beschreiben, werden an Scharen isothermer Versuche im Temperaturintervall
[RT, 30 ◦C, 40 ◦C, . . . , 90 ◦C] von Raumtemperatur RT bis nahe dem Glas-
übergang bei 90 ◦C identifiziert.
Die händische Strategie zur Parameterbestimmung sieht zunächst vor, die An-
fangsfließspannungen für alle Temperaturen anhand des Schubspannungs-Ver-
schiebungs-Diagramms festzulegen, da die Fließfunktion f˜ auf den Schub ba-
sierend formuliert ist. Im nächsten Schritt werden die Schubmoduln G für un-
terschiedliche Temperaturen als Tangenten im Ursprung der Schubspannungs-
Gleitungs-Kurven identifiziert, welche an der dicken Scherzugprobe unter qua-
sistatisch zügigen Verschiebungen und isothermen Temperaturbelastungen ge-
messen werden. Durch Auftragen der Schubmoduln über der Temperatur wird
ein charakteristischer Verlauf erkennbar, welcher mit einer temperaturabhängi-
gen Funktion vom Arrhenius-Typ abgebildet werden kann.

Seite 211
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Eine Identifikation der thermoviskoelastischen Materialparameter wird vom IfM


Kassel im Rahmen dieses Projekts nicht durchgeführt. Für die Konstitutivglei-
chungen der Thermoviskoelastizität werden die Parameter des IfM München
verwendet, welche an den Testdaten der quasistatisch zügig belasteten dicken
Scherzug- und Kopfzugprobe unter isothermen Temperaturbelastungen identi-
fiziert werden (vgl. Abschnitt 5.2).
Im nächsten Schritt werden die Parameter des plastischen Teilmodells an den
Testdaten der Versuche an der dicken Scherzugprobe unter quasistatisch zügiger
Belastung für das diskrete Temperaturfeld mit dem nichtlinearen Optimierungs-
programm LS-Opt R
[23] unter Vorgabe der händisch bestimmten Anfangsfließ-
spannungen und Steifigkeiten sowie der thermoviskoelastischen Parameter des
IfM München identifiziert. Dabei werden die Simulationen der quasistatisch
zügigen Scherzugversuche an die Messkurven angepasst, in Zuge dessen die
Parameter zur Beschreibung der temperaturabhängigen Fließgrenze und Ver-
festigung ermittelt werden. Im letzten Schritt werden die Parameter zur Be-
schreibung der Temperaturabhängigkeit des kritischen Verschiebungssprungs
und Bruchverschiebungssprungs identifiziert.

6.4.1 Temperaturabhängige Elastizitätskonstante

Folgend wird eine Methode zur Ermittlung geeigneter Startwerte der Schub-
moduln unter verschiedenen Temperaturen für eine nachträgliche Optimierung
erläutert. Im Zuge dessen werden die identifizierten Schubmoduln über der Tem-
peratur aufgetragen, so dass ein charakteristischer Temperaturverlauf ersicht-
lich wird, um letztlich eine geeignete Funktion zur Abbildung des Schubmoduls
über der Temperatur auszuwählen. Die theoretischen Zusammenhänge dieser
Methode beziehen sich auf die Ausführungen in Abschnitt 6.2.2.
Der Viskoelastizitätstheorie folgend werden die Schubmoduln jeweils als Tan-
gentensteigungen an die Kurvenschar der Testdaten der dicken Scherzugpro-
be unter quasistatisch zügiger Belastung für das diskrete Temperaturfeld [RT,
30 ◦C, 40 ◦C, . . . , 90 ◦C] identifiziert5. Indes ist eine signifikante Änderung des
Schubmoduls G(Θ) über der Temperatur Θ zu beobachten, welche in den Kon-
stitutivgleichungen berücksichtigt werden muss. In Abbildung 6.19 ist die Kur-
venschar der Testdaten des Scherzugversuchs mit dem jeweiligen Schubmodul
(Ursprungstangente) dargestellt. Da die Konstitutivgleichungen im Sinne der
Grenzflächentheorie formuliert sind, werden die identifizierten Schubmoduln
mit der Gl. (6.28) in die Schubsteifigkeiten der Grenzfläche umgerechnet.
5
In Abschnitt 6.2.2 auf den Seiten 186 ff. sind die Gründe hierfür erläutert.

Seite 212
6.4 Parameteridentifikation

20
Θ = RT
Θ = 40 ◦ C
15 Θ = 60 ◦ C
τ exp [MPa]

Θ = 80 ◦ C
Θ = 90 ◦ C
10 Tangente

0
0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1
∆t /dk [-]
Abb. 6.19: Steigungen der Ursprungstangente an den Testdaten der dicken Scherzugprobe

Der Annahme des IfM München folgend wird die Gleichgewichtssteifigkeit der
Grenzfläche g∞ als konstant über der Temperatur angenommen. Des Wei-
teren wird für den Materialparameter g∞ der Wert des IfM München ver-
wendet, der Anhand von Versuchen am Rheometer identifiziert wird (s. Ab-
schnitt 5.2). Aufgrund dieser Annahme sind lediglich die Steifigkeiten der Max-
well-Ketten (6.40) g̃ von der Temperatur abhängig (s. Gl. (6.39d)), weshalb
die Gleichgewichtssteifigkeit g∞ von den Werten der Gesamtschubsteifigkeit g
an den Testdaten abgezogen werden muss.
Nach Auftragen der Differenzen aus den gemessenen Gesamtschubsteifigkeiten
und der Gleichgewichtssteifigkeit g̃ = g − g∞ über der Temperatur Θ wird in
Abbildung 6.20 der charakteristische Temperaturverlauf für die Steifigkeit der
Maxwell-Ketten g̃ deutlich. Zur adäquaten Abbildung dieses Temperatur-
verlaufs hat sich ein Ansatz vom Arrhenius-Typ für die Temperaturfunkti-
on (6.37) als geeignet erwiesen – wie Abbildung 6.20 zeigt. Somit folgt für die
Temperaturfunktion ĝ (Θ) in Gl. (6.37) die temperaturabhängige Schubsteifig-
keit der Maxwell-Ketten zu
 
Θ − Θ0
g̃(Θ) = g̃0 exp g̃1 , (6.86)
Θ0
wobei Θ0 die Raumtemperatur, g̃0 = g0 − g∞ die Schubsteifigkeit der Max-
well-Ketten bei Raumtemperatur und g̃1 einen Materialparameter kennzeich-
nen.
Im Rahmen der Identifikationsstrategie werden die ingenieuranschaulich ermit-

Seite 213
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

3000
G/dk
g̃ [MPa/mm] 2500 Anpassung

2000

1500

1000

500

0
0 20 40 60 80 100
Θ [◦ C]
Abb. 6.20: Temperaturabhängigkeit der Schubsteifigkeit g̃ der Maxwell-Ketten

telten Kennwerte im Folgenden als Startwerte für die Anpassung der Model-
lantwort an die Testdaten mit Hilfe des Optimierungsprogramms LS-Opt R

verwendet.

6.4.2 Materialparameter der Plastizität und Schädigung

Parameter des plastischen Teilmodells

Die Parameter des plastischen Teilmodells werden an den Testdaten der dicken
Scherzugprobe aus Abschnitt 4.2 unter Vorgabe diskreter Temperaturbelastun-
gen bestimmt. Die Parameter des Plastizitätsmodells werden an den Testda-
ten des Scherzugversuchs identifiziert, da das Modell auf den Schub basierend
formuliert ist. Die Testdaten der Kopfzugprobe dienen nachfolgend der Identi-
fikation der Parameter dI2 und d2 im kritischen Verschiebungs- und Bruchver-
schiebungssprung sowie d3 zur Berücksichtigung der Spannungsmehrachsigkeit
in den Konstitutivgleichungen der Schädigung. Die Parameter der Fließfunk-
tion ã1 und ã2 sowie des plastischen Potentials ã∗2 sind im laufenden Projekt
P957 an Doppelrohrprobeversuchen unter Zug-, Torsions- und kombinierten
Belastungen identifiziert worden und werden hier zu Grunde gelegt.
Zur Identifikation wird das Optimierungsprogramm LS-Opt R
verwendet, das
die Materialparameter durch möglichst genaue Anpassung der Modellantwort
an die Messdaten der Versuche ermittelt. Bei der Berechnung der Modellant-
wort werden für den thermoviskoelastischen Prädiktor die Parameter des IfM

Seite 214
6.4 Parameteridentifikation

München verwendet. Für die Optimierung werden die Messdaten der Versu-
che mit den Temperaturbelastungen RT, 40 ◦C, 60 ◦C und 80 ◦C herangezogen,
da die restlichen Versuche widersprüchliche Temperaturänderungen bzgl. der
Steifigkeit, Anfangsfließspannung und Verfestigungsspannung zeigen.
Im Zuge der Identifikation wird so vorgegangen, dass die Modellantwort des
Materialmodells zunächst jeweils einzeln an die Messdaten des Scherzugver-
suchs für die Temperaturen RT, 40 ◦C, 60 ◦C und 80 ◦C angepasst wird. Ziel
dieses ersten Schritts ist die Identifikation der Verfestigungsparameter q, b und
H für jeden Temperaturfall, damit nach Auftragen dieser über der Temperatur
jeweils eine geeignete Temperaturfunktion gefunden werden kann. Dafür wer-
den die jeweiligen Verschiebungsrandbedingungen und Temperaturbelastungen
der einzelnen genannten Scherzugversuche vorgegeben. Während dieser ersten
Optimierung werden auch die Steifigkeit g0 bei Raumtemperatur mit dem Pa-
rameter der Temperaturfunktion vom Arrhenius-Typ g̃1 unter Vorgabe der
händisch identifizierten Werte als Startwerte an die Messdaten angepasst. Dar-
über hinaus werden die händisch identifizierten Anfangsfließspannungen τ0 für
die genannten Temperaturfälle ebenfalls als Startwerte vorgegeben und für die
Optimierung freigegeben. Im Laufe dieser ersten Optimierung werden jedoch
nicht alle Parameter gleichzeitig freigegeben, sondern innerhalb eines iterativen
Optimierungsprozesses nach und nach angepasst.
Die resultierenden Verfestigungsparameter q, b und H sowie die Anfangsfließ-
spannungen τ0 der Modellantwort für die verschiedenen Temperaturbelastun-
gen dienen der Anpassung von geeigneten Funktionen in Abhängigkeit von der
Temperatur Θ, indem diese mit der Methode der kleinsten Fehlerquadrate an
die Datenpunkte aus der Optimierung angepasst werden. Die ausgewählten
Funktionen qΘ (Θ), bΘ (Θ), HΘ (Θ) und τΘ (Θ) sind in Abschnitt 6.2.3 in den
Gln. (6.74), (6.75), (6.76) und (6.77) aufgeführt und werden dort diskutiert.
Im nächsten Schritt erfolgt die gemeinsame Anpassung der Materialparameter
q1 , q2, b1, H1 und H2 aus den Gln. (6.2.3) bis (6.77) an die Messdaten aller
Scherzugversuche für die Temperaturbelastungen RT, 40 ◦C, 60 ◦C und 80 ◦C
mit LS-Opt R
. Hier sind die Materialparameter aus der Ausgleichsrechnung die
Startparameter der Optimierung.
Die bis jetzt identifizierten Materialparameter der viskoelastischen Konstitu-
tivgleichungen sowie der viskoplastischen Konstitutivgleichungen sind in den
Tabellen 6.1 und 6.2 aufgeführt. Die Materialparameter zur Abbildung der
Temperaturabhängigkeit der Verfestigung und der Anfangsfließspannung sind
einschließlich derer, die die temperaturabhängige Schädigung beschreiben (wird
im Folgenden beschrieben), in Tabelle 6.4 zusammengefasst.

Seite 215
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Elastizitätskennwerte
g [MPa/mm] k [MPa/mm]
2348.954 6577.77
Viskoelastizitätskennwerte
Steifigkeiten der Maxwell-Elemente in Schubrichtung in [MPa/mm]
g1 g2 g3 g4 g5 g6
448.65 99.831 31.476 643.613 473.079 631.869
Steifigkeiten der Maxwell-Elemente in Normalrichtung in [MPa/mm]
k1 k1 k1 k1 k1 k1
1256.354 279.555 88.142 1802.309 1324.763 1769.42
Relaxationszeiten der Maxwell-Elemente in Schubrichtung in [s]
τ̂1G τ̂2G τ̂3G τ̂4G τ̂5G τ̂6G
9.71 · 10−7 891.77 724.56 1099.66 86.15 66.85
Relaxationszeiten der Maxwell-Elemente in Normalrichtung in [s]
τ̂1K τ̂2K τ̂3K τ̂4K τ̂5K τ̂6K
3.47 · 10−7 318.46 258.74 392.69 30.76 23.51
Gleichgewichtssteifigkeiten in [MPa/mm]
g∞ [-] k∞ [-]
7.972 22.325
Tab. 6.1: Materialparameter der viskoelastischen Konstitutivgleichungen für
BetamateTM 1496V bei Raumtemperatur

Materialparameter der Schädigung

Zur Anpassung der Materialparameter des Schädigungsansatzes werden die zu-


vor identifizierten Parameter der thermoviskoelastisch-plastischen Konstitutiv-
gleichungen für die Berechnung der Modellantwort vorgegeben. Für den Para-
meter n in den Evolutionsgleichungen (6.79) und (6.83) wird n = 2 gewählt, da
der Wert zur Beschreibung der Entfestigung hinreichend genau ist. Die weite-
ren Materialparameter werden mit Hilfe von LS-Opt R
an den Testdaten der
Scherzug- und Kopfzugprobe identifiziert.
Das Vorgehen bei der Identifikation der Schädigungsparameter ist analog dem
Vorgehen zur Identifikation der Parameter der plastischen Konstitutivgleichun-
gen. In einem ersten Schritt werden auch hier die Parameter für die verschiede-
nen Temperaturbelastungen einzeln identifiziert, um im Anschluss nach Wahl

Seite 216
6.4 Parameteridentifikation

Plastizität
Verfestigung
q0 [MPa] b0 [mm−1] H0 [MPa/mm]
5.98 65.05 22.5
Fließbedingung
ã1 [-] ã2 [-] τ0 [MPa]
0.4 0.2758 16.181
plastisches Potential
ã∗2 [-]
0.3356
Geschwindigkeitsabhängigkeit
C [-] ∆˙ 0 [mm/s] ∆˙ m [mm/s]
s. [3] s. [3] s. [3]
Tab. 6.2: Materialparameter der plastischen Konstitutivgleichungen für BetamateTM
1496V bei Raumtemperatur

geeigneter Temperaturfunktionen die Parameter dieser in einem weiteren Op-


timierungsschritt an die Testdaten anzupassen.
Zunächst werden die Parameter dI1 und d1 des kritischen Verschiebungs- und
Bruchverschiebungssprungs jeweils an den Scherzugversuchen für die Tempe-
raturbelastungen RT, 40 ◦C, 60 ◦C und 80 ◦C identifiziert, da nur diese un-
ter Schubbelastung wegen T = 0 aktiv sind (vgl. Abschnitt 6.2.4 und Abbil-
dung 6.16(b)). Dann folgt die Wahl geeignete Temperaturfunktionen für den
kritischen Verschiebungs- und Bruchverschiebungssprung, indem die Parame-
ter aus der ersten Optimierung über der Temperatur Θ aufgetragen werden.
Dabei dient die Methode der kleinsten Fehlerquadrate der Anpassung der Tem-
peraturfunktionen an diese Datenpunkte für die Temperaturen RT, 40 ◦C, 60 ◦C
und 80 ◦C.
Im nächsten Schritt werden die Parameter dI2 , d2 und d3 an den Testdaten der
Scherzug- und Kopfzugprobe bei Raumtemperatur mit LS-Opt R
identifiziert
um diese im letzten Schritt mit den Parametern mc1 und mc2 aus den Tempera-
turfunktionen (6.84a) und (6.84b) nochmals an die Testdaten der Scherzug- und
Kopfzugprobe für die Temperaturen RT, 40 ◦C, 60 ◦C und 80 ◦C anzupassen.
Die Kennwerte der konstitutiven Gleichungen der Schädigung sind in Tabelle 6.3
aufgeführt.

Seite 217
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

Schädigung
Evolutionsgleichung Spannungsmehrachsigkeit
n [-] d3 [-]
2.0 0.9
kritischer Verschiebungssprung Ratenabhängigkeit
d1 [mm] d2 [mm] d4 [-]
0.08211 0.3981 -
Bruchverschiebungssprung
dI1 [mm] dI2 [mm]
0.0006 0.32
Tab. 6.3: Materialparameter der Schädigungsevolution für BetamateTM 1496V bei
Raumtemperatur

Parameter der Temperaturfunktionen


Elastizität Viskosität Anfangsfließspannung
g̃1 aT1 aT2 aT3 m0
0.610237 8.5652 0.5515 21.7942 0.476571
Verfestigung
q1 q2 b1 H1 H2
2.49114 3.44153 1.61746 0.0586253 92.6677
Schädigung
mc1 mc2
0.376167 0.295617
Tab. 6.4: Materialparameter der Temperaturfunktionen für BetamateTM 1496V

6.5 Verifikation an Grundversuchen

Die Konstitutivgleichungen werden mit den identifizierten Materialparametern


in den Tabellen 6.1, 6.2, 6.3 und 6.4 an den Messdaten der Scherzug- und Kopf-
zugversuchen verifiziert. Die dicke Scherzugprobe mit den geometrischen Daten
sowie den Belastungs- und Beanspruchungsbedingungen für den quasistatisch
zügigen Versuch sind in Abbildung 6.21 schematisch dargestellt. In Abbildung
6.21(a) ist die dicke Scherzugprobe mit den geometrischen Abmessungen dar-
gestellt, wobei die Abmessung a abhängig von der Dicke der Klebschicht dk ist.
Die Belastungs- und Beanspruchungsbedingungen sind in Abbildung 6.21(b)

Seite 218
6.5 Verifikation an Grundversuchen

dargestellt. Die Probe wird so gefertigt, dass die resultierenden Kräfte an den
Fügeteilen möglichst konzentrisch sind, damit ihre Kraftlinien in der Mittelebe-
ne der Klebschicht liegen. Der Kraftfluss verläuft dann so durch die Klebschicht,
6

20

Θ
dk
20

τ exp

a
50 AS
(a) Geometrie (b) Belastung

Abb. 6.21: Dicke Scherzugprobe mit Verschiebungsrandbedingungen für den quasistatisch


zügigen Versuch

dass eine reine Schubbeanspruchung der Klebschicht gewährleistet wird. Die


Abbildung 6.21(b) zeigt, wie die Belastung durch Verschiebungsrandbedingun-
gen eingeprägt wird, indem das linke Fügeteil der Probe fest eingespannt und
das rechte Fügeteil mit einer konstanten Geschwindigkeit – quasistatisch zügig
– gezogen wird. Zusätzlich werden der Probe verschiedene isotherme Tempera-
turbelastungen Θ eingeprägt. Durch die Verschiebungsrandbedingungen wird in
der Klebschicht ein gemittelter Beanspruchungszustand τ exp hervorgerufen, der
näherungsweise homogen ist. Die Schubspannung wird auf die Ausgangsfläche
AS bezogen und aus der gemessenen Kraft an der Probe mit τ exp (t) = Fr (t)/AS
berechnet. In den vorliegenden Versuchen beträgt die Überlappungslänge der
Klebung 5 mm, wodurch eine Klebfläche von AS = 100 mm2 entsteht.
In Abbildung 6.22 ist die Simulation des Scherzugversuchs dargestellt und den
Messdaten des LWF gegenübergestellt. Hier ist deutlich zu erkennen, dass die
Simulation relativ gut mit den Ergebnissen der Messung korreliert. Da bei je-
der Temperatur lediglich eine Messung an der dicken Scherzugprobe vorliegt,
kann die Güte der Simulation bzgl. der Streuung der Versuche nicht beurteilt
werden. Des Weiteren liegen keine vollständigen Messdaten des Entfestigungs-
bereichs bis zum Versagen der Proben vor, was sich auf die Identifikation der
Materialparameter des Bruchverschiebungssprungs auswirkt.
Im Folgenden wird die Verifikation der Konstitutivgleichungen an den Messda-
ten der Kopfzugprobe dargestellt und diskutiert.

Seite 219
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

30
Sim. Θ = RT
25 Exp. Θ = RT
Sim. Θ = 40 ◦ C
20 Exp. Θ = 40 ◦ C
tt [MPa]

Sim. Θ = 60 ◦ C
15 Exp. Θ = 60 ◦ C
Sim. Θ = 80 ◦ C
10
Exp. Θ = 80 ◦ C
5

0
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8
∆t [mm]
Abb. 6.22: Simulation des Scherzugversuchs in Abhängigkeit der Temperatur Θ

Kopfzugversuch

Bei der Durchführung der Tests an der Kopfzugprobe werden der Probe – wie
bei der dicken Scherzugprobe – unterschiedliche thermische Belastungen einge-
prägt. Die Abbildung 6.23 zeigt die geometrischen Randbedingungen sowie die
Belastungsrandbedingungen, wobei die Geometrie der Kopfzugprobe in Abbil-
dung 6.23(a) und die Belastung mit der daraus resultierenden Beanspruchung in
Abbildung 6.23(b) dargestellt sind. Analog zur dicken Scherzugprobe wird hier
von einer näherungsweise homogenen Spannungsverteilung in der Klebschicht
ausgegangen. Aufgrund der eingeprägten resultierenden Belastungen Fr – die
axial an den konzentrischen Fügepartnern angreift – ergibt sich die gemittel-
te Beanspruchung der Klebschicht bezogen auf die Klebfläche AK in der Aus-
gangskonfiguration mit σ exp (t) = Fr (t)/AK. Die Klebschichtdicke beträgt bei
den vom LWF durchgeführten Kopfzugversuchen ebenfalls dk = 0.3 mm. Bei
der Kopfzugprobe müssen die gemessenen Gesamtverschiebungen ∆ges n zwischen
den Messpunkten am oberen und unteren Fügeteil noch um die Verformung der
Fügeteile korrigiert werden. Dafür wird die Verformung der elastischen Füge-
partner zwischen den Messpunkten mit
Lmess − dk
∆Fn = σ (6.87)
EF

Seite 220
6.5 Verifikation an Grundversuchen

dk

Ø15
Ø20 35 10
(a) Geometrie

σ exp σ exp
Θ ū

AK
(b) Beanspruchung

Abb. 6.23: Kopfzugprobe mit Verschiebungsrandbedingungen für den quasistatisch


zügigen Versuch

berechnet, wobei Lmess den Abstand zwischen den Messpunkten beschreibt.


Die Relativverschiebung in der Klebschicht ∆n folgt dann aus der Gesamtver-
formung ∆ges F
n und der Verformung der Fügeteile ∆n zwischen den Messpunkten
mit

∆n = ∆ges F
n − ∆n . (6.88)

In Abbildung 6.24 ist die Verifikation der Konstitutivgleichungen an der Kopf-


zugprobe durch Gegenüberstellung der Simulationen mit den Messdaten dar-
gestellt. Ab dem Fließbeginn sind relativ große Abweichungen zwischen dem
Simulationsergebnis und der Messung bereits bei Raumtemperatur zu erken-
nen. Der Grund dafür ist in der Abweichung der Messergebnisse zwischen den
Torsionsversuchen an der Doppelrohrprobe und den im Projekt verwendeten
Testdaten an der dicken Scherzugprobe zu finden. So ist die Anfangsfließspan-
nung der Torsionsversuche an der Doppelrohrprobe stets größer als die der
Versuche an der dicken Scherzugprobe. Des Weiteren stammen die Parameter
ã1 und ã2 der Fließbedingung sowie der Parameter ã∗2 des plastischen Potenti-
als aus der aktuellen Identifikation an den Messdaten der Doppelrohrprobe bei
Raumtemperatur, die im Rahmen des laufenden Projekts P957 durchgeführt
worden sind. Dies hat einen deutlichen Einfluss auf die Gestalt der Fließfunkti-

Seite 221
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

40
Sim. Θ = RT
35 Probe 3 Θ = RT
30 Sim. Θ = 40 ◦ C
25 Probe 1 Θ = 40 ◦ C
tn [MPa]

Sim. Θ = 60 ◦ C
20
Probe 1 Θ = 60 ◦ C
15 Sim. Θ = 80 ◦ C
10 Probe 5 Θ = 80 ◦ C

5
0
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5
∆n [mm]
Abb. 6.24: Simulation des Kopfzugversuchs in Abhängigkeit der Temperatur Θ mit der
Anfangsfließspannung bei Raumtemperatur τ0 aus dem Scherzugversuch

on, da neben den Parametern ã1 und ã2 sowohl die Anfangsfließspannung τ0 als
auch die Parameter der isotropen Verfestigungsspannung (6.70) einen Einfluss
auf die Form der Fließfunktion haben.
Im Folgenden wird dennoch eine Simulation mit der Anfangsfließspannung aus
den aktuellen Testdaten des Torsionsversuchs an der Doppelrohrprobe darge-
stellt und diskutiert. Die Abbildung 6.25 zeigt die Simulation der Kopfzugpro-
be mit der Anfangsfließspannung τ0 = 19.66 MPa, die im Rahmen des Pro-
jekts P957 am IfM Kassel identifiziert worden ist. Die Werte der Parameter
zur Beschreibung der Verfestigungsspannung q0 , b0 und H0 bei Raumtempera-
tur werden hierbei nicht verändert und stammen aus der Identifikation an den
Testdaten der Scherzugprobe.
Bereits bei Raumtemperatur ist deutlich zu erkennen, dass die Anfangsfließ-
spannung aus dem Torsionsversuch an der Doppelrohrprobe im Vergleich zur
Anfangsfließspannung aus dem Scherzugversuch zu einem deutlich besseren Er-
gebnis bzgl. des Fließbeginns bei der Simulation der Kopfzugprobe führt. Je-
doch wird die Verfestigung hier erwartungsgemäß überschätzt. Daraus lässt
sich schließen, dass eine Anpassung aller Materialparameter bei Raumtempera-
tur an kombinierten Zug-Torsionsversuchen ein besseres Ergebnis liefern könnte
– vorausgesetzt die Trends des Temperatureinflusses auf den Fließbeginn und
die Verfestigung sind auf die Versuche an der Doppelrohrprobe übertragbar.

Seite 222
6.5 Verifikation an Grundversuchen

40
Sim. Θ = RT
35 Probe 3 Θ = RT
30 Sim. Θ = 40 ◦ C
25 Probe 1 Θ = 40 ◦ C
tn [MPa]

Sim. Θ = 60 ◦ C
20
Probe 1 Θ = 60 ◦ C
15 Sim. Θ = 80 ◦ C
10 Probe 5 Θ = 80 ◦ C

5
0
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5
∆n [mm]
Abb. 6.25: Simulation des Kopfzugversuchs in Abhängigkeit der Temperatur Θ mit der
Anfangsfließspannung bei Raumtemperatur τ0 = 19.66 MPa aus dem
Tosionsversuch an der Doppelrohrprobe (P957 )

Des Weiteren ist in Abbildung 6.25 zu erkennen, dass sich der Einfluss der Tem-
peratur auf die Anfangsfließspannung und Verfestigung – der in den Testdaten
der dicken Scherzugprobe zu Beobachten ist – im Simulationsergebnis der Kopf-
zugprobe ebenfalls zeigt. Jedoch ist dieser Trend an den Testdaten der Kopf-
zugprobe nicht zu erkennen. Vielmehr zeigen die Tests an der Kopfzugprobe
bei Raumtemperatur und der Temperatur Θ = 40 ◦C eine deutlich ausgeprägte
Verfestigung, welche sich jedoch entgegen der Tests an der dicken Scherzug-
probe (vgl. Abbildung 6.22) ab der Temperatur Θ = 60 ◦C stark verringert.
Im Vergleich dazu zeigen die Messergebnisse an der dicken Scherzugprobe, dass
sich die Steigung der Verfestigung mit ansteigender Temperatur nur geringfügig
ändert.
Im Entfestigungsbereich zeigt das Ergebnis der Simulation des Kopfzugs eine
Erhöhung des Bruch- und kritischen Verschiebungssprungs mit steigender Tem-
peratur, was auch der Anpassung an den Testdaten der dicken Scherzugprobe
entspricht. Jedoch wird beim Vergleich der Simulationen mit den Messdaten
der Kopfzugversuche deutlich, dass sich sowohl der Bruch- als auch kritische
Verschiebungssprung mit der Temperatur deutlich stärker ändern als es beim
Scherzugversuch der Fall ist. Somit muss ein zusätzlicher Ansatz für die Tem-
peraturabhängigkeit des Bruch- und kritischen Verschiebungssprungs berück-

Seite 223
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

sichtigt werden, welcher den Einfluss der Spannungsmehrachsigkeit deutlicher


gewichtet.

6.6 Ausblick zur Modellierung von Schädigung infolge


niederzyklischer Belastung

Im Rahmen des Projekts ist vorgesehen, einen Schädigungsansatz für den sog.
low cycle fatigue zur Abbildung des Versagens aufgrund niederzyklischer Be-
lastung in die Modellbildung für das Materialverhalten zähmodifizierter Struk-
turklebstoffe aufzunehmen. Jedoch zeigt sich anhand der vom LWF durchge-
führten zyklischen Versuche an der dicken Scherzugprobe unter Vorgabe ver-
schiedener Verschiebungsamplituden, dass das Materialverhalten infolge zykli-
scher Belastung deutlich komplizierter als erwartet ist (vgl. Abbildung 6.27 und
6.28).
Das LWF hat Versuche an der dicken Scherzugprobe unter Wechselbelastung
mit verschiedenen Verschiebungsamplituden sowie einen Versuch unter schwel-
lender Belastung durchgeführt. Die Belastungskurve in Abbildung 6.26(a) zeigt
die Wechselbelastung exemplarisch und in Abbildung 6.26(b) ist die Kurve
der schwellenden Belastung dargestellt. Die Messdaten der zyklischen Versuche

0.40 0.14
0.30 0.11
0.20 0.07
∆t [mm]
∆t [mm]

0.10 0.04
0.00 0.00
−0.10 −0.04
−0.20 −0.07
−0.30 −0.11
−0.40 −0.14
0 2000 4000 6000 0 1000 2000 3000 4000
t [s] t [s]
(a) Wechselbelastung (b) schwellende Belastung

Abb. 6.26: Belastungskurven der zyklischen Versuche an der dicken Scherzugprobe

unter Wechselbelastung mit drei verschiedenen Verschiebungsamplituden sind


exemplarisch in den τ exp -∆-Diagrammen 6.27(a) bis (c) dargestellt. Die Kurven
zeigen ein Materialverhalten, welches auf den ersten Blick einer kinematischen

Seite 224
6.6 Ausblick zur Modellierung von Schädigung infolge niederzyklischer
Belastung

Verfestigung (multiaxialer Bauschinger-Effekt) ähnelt. Jedoch wird bei nä-


herer Betrachtung deutlich, dass sich entgegen der klassischen kinematischen
Verfestigung der Fließpunkt nach der ersten Belastung nicht um das Doppelte
der Anfangsfließspannung nach Erreichen des Spannungsmaximums verschiebt.
In den Abbildungen 6.28(a) und (b) ist der Messschrieb des Tests unter schwel-
lender Belastung dargestellt, wobei in Abbildung 6.28(a) die ersten zehn Zyklen
und in Abbildung 6.28(b) das Ergebnis einschließlich höherer Zyklenzahlen dar-
gestellt ist.

30 30

20 20
τ exp [MPa]

τ exp [MPa]
10 10

0 0

−10 −10

−20 −20

−30 −30
−0.4−0.3−0.2−0.1 0 0.1 0.2 0.3 0.4 −0.4−0.3−0.2−0.1 0 0.1 0.2 0.3 0.4
∆t [mm] ∆t [mm]
(a) (b)

30 50
40
20 30
[MPa]

20
10
tt [MPa]

10
0 0
exp

−10
−10
τ

−20
−30
−20
−40
−30 −50
−0.4−0.3−0.2−0.1 0 0.1 0.2 0.3 0.4 −0.15 −0.1 −0.05 0 0.05 0.1 0.15

∆t [mm] ∆t [mm]
(c) (d)

Abb. 6.27: Versuche an der dicken Scherzugprobe unter quasistatischer Wechselbelastung

Zur Abbildung des zyklischen Materialverhaltens wird in erster Näherung ne-


ben der isotropen Verfestigung ein Ansatz nach Armstrong und Frederick

Seite 225
6 Materialmodell zur Abbildung der Klebschichteigenschaften unter
Betriebslasten

zur Beschreibung der kinematischen Verfestigung in den Konstitutivgleichun-


gen berücksichtigt und implementiert. Es zeigt sich jedoch, dass der Ansatz zur
Abbildung des phänomenologischen Verhaltens unzureichend ist. Ein Grund da-

25 1. Zyklus
20 2. Zyklus
3. Zyklus
15 4. Zyklus
5. Zyklus
τ exp [MPa]

10 6. Zyklus
7. Zyklus
5
8. Zyklus
0 9. Zyklus
10. Zyklus
−5
−10
−15
0 0.04 0.08 0.12
∆t [mm]
(a)

25 1. Zyklus
20 2. Zyklus
3. Zyklus
15 4. Zyklus
5. Zyklus
τ exp [MPa]

10 10. Zyklus
100. Zyklus
5
200. Zyklus
0 300. Zyklus
360. Zyklus
−5
−10
−15
0 0.04 0.08 0.12
∆t [mm]
(b)

Abb. 6.28: Versuche an der dicken Scherzugprobe unter quasistatisch schwellender


Belastung

für ist zum einen die deutliche Verringerung der Schubspannung τ exp nach dem
ersten Zyklus, welche sich jedoch in den nachfolgenden Zyklen weniger stark
ausgeprägt. Zum anderen ist eine Asymmetrie bzgl. des Spannungsmaximums
zwischen dem ersten und dritten Quadrant im τ exp -∆-Diagramm zu erkennen.

Seite 226
6.6 Ausblick zur Modellierung von Schädigung infolge niederzyklischer
Belastung

Das Ergebnis der Simulation mit dem Ansatz nach Armstrong und Frede-
rick ist zum Vergleich in Abbildung 6.27(d) dargestellt. Die Parameter der
Konstitutivgleichungen sind nicht an die Messdaten der Tests angepasst, je-
doch zeigt das Ergebnis der Simulation, dass die genannten Phänomene mit
dem Modellansatz auch qualitativ nicht abgebildet werden können. Vielmehr
sind weiterreichende Ansätze zur Abbildung eines solch komplexen phänome-
nologischen Verhaltens notwendig, welche im Rahmen der Projektlaufzeit ne-
ben den anderen Arbeitspunkten nicht entwickelt werden können. Aufgrund der
Komplexität des Forschungsvorhabens mussten die Arbeiten zur Abbildung des
zyklischen Verhaltens und der Schädigung aufgrund niederzyklischer Belastung
daher zugunsten der anderen Arbeitspunkte ruhen.
Im Einvernehmen mit dem Projektbegleitenden Ausschuss werden die Arbei-
ten zur Beschreibung des zyklischen Materialverhaltens sowie der Schädigung
infolge niederzyklischer Belastung in Ausblick gestellt.

Seite 227
9 Validierung der konstitutiven Gleichungen
an der Bi-Metall-Probe unter
Betriebsbelastung
P. Kühlmeyer, A. Matzenmiller, IfM Kassel
Die Prognosefähigkeit der konstitutiven Gleichungen wird durch
den Vergleich der Messdaten des Bi-Metall-Versuchs unter betrieb-
sähnlicher thermischer Belastung mit dem Ergebnis der entspre-
chenden Simulationsrechnung festgestellt. An der Bi-Metall-Probe
haben die Fügepartner verschiedene Wärmeausdehnungskoeffizien-
ten, welche unter thermischer Belastung zu einer Beanspruchung
der Klebschicht aufgrund von behinderten Temperaturdehnungen an
den Fügepartnern führen. Dieser Beanspruchungszustand hat eine
Relativverschiebung zwischen den Blechen sowie eine Durchsenkung
am Probenende zur Folge, welche zur Validierung als Funktion der
Zeit erfasst und den entsprechenden Verschiebungen der Knoten
aus der FE-Simulation gegenüber gestellt werden.
For validating the constitutive equations a comparison is made be-
tween the measurement data of the bimetal test under thermal op-
eration load and the results of the corresponding simulation. The
bimetal specimen consists of two sheets with different thermal ex-
pansion coefficients subjected to temperature changes. That yields
a state of stress in the bonding layer due to constrained thermal
expansions of the adherends and, thus, a relative displacement be-
tween both sheets and a deflection at the end of the specimen, which
are measured over time and compared to the corresponding nodal
displacements of the FE-simulation.

9.1 Beschreibung der Bi-Metall-Probe

Auf Wunsch des Projekt begleitenden Arbeitskreises soll die Bi-Metall-Probe


in Abbildung 9.1 als Musterbauteil für die Validierung des Konstitutivmodells
verwenden werden.
Sie besteht aus zwei Metallblechstreifen, welche einseitig über eine definierte
Überlappungslänge geklebt und auf der anderen Seite fest eingespannt sind (vgl.

Seite 255
9 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe unter
Betriebsbelastung

Abbildung 9.1). Die Metallblechstreifen bestehen aus unterschiedlichen Mate-


rialien mit unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten αth . Als Materi-
alpaarung wird Aluminium und Stahl verwendet. Sowohl der Aluminium- als
auch der Stahlblechstreifen haben eine Blechdicke von tAl = tSt = 1.5 mm. Die
Klebschicht hat eine Dicke von dk = 0.3 mm. Aus der Prinzipskizze des Ver-
suchsaufbaus in Abbildung 9.1 können die weiteren geometrischen Daten ent-
nommen werden.Das Aluminiumblech hat einen Wärmeausdehnungskoeffizient
von αAlth
= 2.4 ·10−5 K−1 und das Stahlblech von αSt
th
= 1.3 ·10−5 K−1. Damit ist
der Wärmeausdehnungskoeffizient des Aluminiumblechs doppelt so groß wie der
es Stahlblechs. In einer temperierten Umgebung mit Temperaturen Θ(t) > Θ0
dehnen sich die Blechstreifen unterschiedlich aus. Aufgrund der Klebung und
der unterschiedlichen Wärmeausdehnung entstehen behinderte Temperaturdeh-
nungen an den Blechstreifen, wodurch Spannungen sowohl in die Blechstreifen
als auch in die Klebschicht induziert werden. Die Spannungen aufgrund der be-

y x
z
Einspannung Klebstoff
Aluminium tAl

50
Stahl
dk

9 Abstandhalter tSt 16
250
344
Abb. 9.1: Prinzipskizze der Bi-Metall-Probe mit den Abmessungen in der Einheit [mm]

hinderten Temperaturdehnung führen zur Scherung der Klebschicht zwischen


den Blechstreifen. Da die Klebschicht die Differenz der Ausdehnung der Füge-
partner aufgrund ihres Widerstands gegen die Schubbelastung nicht vollständig
ausgleichen kann, kommt es zur Durchsenkung der Probe wie in Abbildung 9.2
mit gestrichelten Linien qualitativ dargestellt. Die Durchsenkung der Bi-Metall-

z x
Θ(t) = Θ0

Θ(t) > Θ0

Abb. 9.2: Durchsenkung an der Bi-Metall-Probe

Seite 256
9.2 FE-Modell der Bi-Metall-Probe

Probe am freien Ende sowie die Relativverschiebung zwischen den Fügepart-


nern im Bereich der Klebung werden als Vergleichsgrößen zur Validierung des
Materialmodells an den Testdaten der Versuche des LWF herangezogen. Die
Messpunkte für die Relativverschiebung und die Durchsenkung der Probe sind
des LWF festgelegt worden. So wird die Durchsenkung des frei überkragenden
Alublechs an einem Messpunkt im Abstand von 58 mm zwischen Messpunkt
und Überlappung abgegriffen. Für die Messung der Relativverschiebung der
Bleche an der Klebnaht wird im Bereich der Überlappung ein Messpunkt auf
dem Stahlblech und im Bereich direkt nach der Überlappung ein Messpunkt auf
dem Alublech definiert. Die Messpunkte haben einen Abstand von 6 mm. Da
die Messung am Versuch mittels optischer Messtechnik passiert, kann keine ge-
naue Angabe gemacht werden, wo die Messpunkte für die Relativverschiebung
genau liegen.
∆t

∆mess + ∆t lmess
(a) Relativverschiebung (b) Durchsenkung

Abb. 9.3: Mess- und Auswertungspunkte an der Bi-Metall-Probe

9.2 FE-Modell der Bi-Metall-Probe

Das FE-Modell der Bi-Metall-Probe wird in LS-Dyna R


erstellt und simu-
liert. Die Bleche werden mit Volumenelementen unter Verwendung linearer
Ansatzfunktionen (ELFORM -2) modelliert. Zur Vermeidung einer numerisch
bedingten Versteifung der Volumenelemente unter Biegebeanspruchung (shear
locking), werden die Bleche mit 5 Elementen über die Dicke modelliert. Da
die Dicke der Bleche sehr viel geringer ist im Vergleich zur Länge und Brei-
te, müssten zur Vermeidung schlechter Längenverhältnisse der Elementkanten
sehr viele Elemente verwendet werden. Dies würde sich jedoch negativ auf die
Berechnungszeit auswirken. In LS-Dyna R
besteht jedoch die Möglichkeit eine
erweiterte Elementformulierung [14] für ungünstige Längenverhältnisse der Ele-
mentkanten zu wählen, bei welcher die Längenverhältnisse der Elementkanten
in der Jacobi-Matrix für die Transformation der physikalischen Koordinaten in

Seite 257
9 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe unter
Betriebsbelastung

die isoparametrischen Koordinaten berücksichtigt werden [2]. Damit ist es mög-


lich die Anzahl der Elemente und Knoten deutlich zu reduzieren und dennoch
eine gute Konvergenz des FE-Modells zu erhalten. Die Berechnungszeit kann
mit dieser Maßnahme merklich reduziert werden. Für die Vernetzung der Kleb-
schicht werden Interface-Elementen verwendet. Die Klebschicht ist mit einem
Element über der Dicke, 21 Elementen entlang der Breite und sieben Elementen
entlang der Überlappung vernetzt. Das FE-Modell der Bi-Metall-Probe besteht
insgesamt aus 18375 Volumenelementen, 147 Interface-Elementen und 23364
Knoten. Für die Modellierung der Versuche des LWF an der Bi-Metall-Probe

(a) (b)

Abb. 9.4: FE-Modell der Bi-Metall-Probe

im Sinne der FEM werden die notwendigen Randbedingungen aus dem Ver-
such auf das FE-Modell übertragen. Die Bleche werden im Versuch über eine
Länge von 9 mm zwischen zwei Spannbacken mittels Schrauben eingespannt.
Zwischen den Blechen ist im Einspannbereich ein Abstandhalter eingebracht,
welcher die gleiche Dicke wie die Klebschicht hat. Durch die Verschraubung in
Verbindung mit der isotropen Temperaturausdehnung aller an der Einspannung
beteiligten Materialien kann von einer festen Einspannung – d. h. ohne Schlupf
der Bleche an der Einspannung aufgrund der Belastung – ausgegangen werden.
Etwaige Effekte aufgrund von Verspannungen im Bereich der Einspannung sind
nicht von Interesse, sondern lediglich die Biegung der Probe infolge der Tem-
peraturbelastung sowie die Relativverschiebung der Bleche an der Klebschicht
sind von Relevanz für die Validierung. Aufgrund dessen wird die Einspannung
über die Definition adäquater Verschiebungsrandbedingungen an den Knoten
des Einspannungsrands modelliert. In den Abbildungen 9.5(a) bis (c) sind die
Randbedingungen in den drei Ebenen dargestellt. Die Knoten werden derart
gesperrt, dass sich die Bleche aufgrund der Temperaturbelastung ungehindert
in alle Richtungen ausdehnen können. So werden die Freiheitsgrade der bei-
den gegenüberliegenden Knoten des Alu- und Stahlblechs (s. Abbildung 9.5(a))
in der x-z-Ebene sowohl in x-Richtung als auch in z-Richtung gesperrt wo-
hingegen die Freiheitsgrade der restlichen Knoten entlang der Kante und in die

Seite 258
9.3 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe

x
y

z
z

(a) Seite (b) Hinten

y
(c) Unten

Abb. 9.5: Randbedingungen der Einspannung am FE-Modell der Bi-Metall-Probe

y-z-Ebene hinein lediglich in x-Richtung gesperrt werden (vgl. Abbildung 9.5(c)


und 9.5(b)). Die Freiheitsgrade der gegenüberliegenden Kanten der beiden Ble-
che in der y-z-Ebene – dargestellt in Abbildung 9.5(b) – sind in z-Richtung
gesperrt, sodass die Spaltbreite zwischen den Blechen gewährleistet wird. In
Abbildung 9.5(c) wird deutlich, dass die Freiheitsgrade der übrigen Knoten nur
in x-Richtung gesperrt sind.

9.3 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der


Bi-Metall-Probe

Zur Validierung des Konstitutivmodells wird das zuvor Beschriebene FE-Modell


der Bi-Metall-Probe mit den identifizierten Materialparametern simuliert und
die Modellantwort wird mit den Messdaten aus den Versuchen an der Bi-
Metall-Probe des LWF verglichen (s. Abschnitt 7.2). Vom LWF liegen Mess-
daten über die Relativverschiebung der Bleche an der Überlappung sowie der
Durchsenkung an definierten Messpunkten (s. Abbildung 7.9) in Form von Zeit-
Verschiebungs-Kurven vor. Des Weiteren enthält der Datensatz die Messschrie-

Seite 259
9 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe unter
Betriebsbelastung

be über die eingestellte Zeit und Temperatur während der Versuchsdurchfüh-


rung. Zwei charakteristische Messschriebe des Zeit-Temperatur-Verlaufs vom
Bi-Metall-Versuch des LWF sind in Abbildung 7.1 dargestellt. Insgesamt hat
das LWF vier Proben geprüft. Der Temperaturverlauf über der Zeit wird beim
FE-Modell über die Definition einer Temperaturbelastung auf alle Knoten vor-
gegeben. In Abbildung 9.6 sind die Temperaturverläufe der Proben mit einer
Mittelung aller Verläufe dargestellte. Die Mittelung der vier Temperaturverläu-

90
80 Loadcurve Probe 1
Loadcurve Probe 2
70
Loadcurve Probe 3
60 Loadcurve Probe 4
Θ [◦C]

50 Mittelung
40
30
20
10
0
0 50 100 150 200 250 300 350 400
t [min]
Abb. 9.6: Verläufe der Temperaturbelastung an den Proben

fe wird zur Erstellung der Temperaturbelastung (Loadcurve) für die Simulation


verwendet. Da die gemittelte Kurve das Rauschen der gemessenen Kurven inne
hat, wird eine geglättete Kurve erstellt und dem FE-Modell als Temperturbe-
lastungskurve eingeprägt (s. Abbildung 9.7).
Die Auswertung der in Abschnitt 9.1 beschriebenen Relativverschiebung und
Durchsenkung geschieht im FE-Modell an den Knoten, die an den Stellen der
Messpunkte im Versuch liegen. Sie werden durch Auswertung der globalen Kno-
tenverschiebungen in LS-Dyna R
ermittelt. In Abbildung 9.8 ist das unverform-
te und deformierte FE-Modell der Bi-Metall-Probe dargestellt.
Die Ergebnisse der FE-Rechnung werden den Messdaten der Versuche des LWF
zur Validierung gegenüber gestellt. In Abbildung 9.9 wird die simulierte Durch-
senkung uz der Bi-Metall-Probe an den Messergebnissen des LWF (vgl. Ab-
bildung 7.14) validiert. Es ist zu erkennen, dass das Ergebnis der Simulation
recht gut mit den Ergebnissen der Messungen korreliert. Die Simulationskurve
liegt im Streuband der Versuche und spiegelt das zeitabhängige Materialver-
halten wider. Nach der Aufheizphase ist die zeitabhängige Durchsenkung bei

Seite 260
9.3 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe

90
80
70
60
Θ [◦C]

50
40
30
20
10
Mittelung der Messdaten
Glättung
0
0 50 100 150 200
t [min]
Abb. 9.7: Gegenüberstellung der gemittelten Temperaturbelastungen und der
Belastungskurve für das FE-Modell

(a) Unbelastet (b) Verformt

Abb. 9.8: Bi-Metall-Probe im unbelasteten und deformierten Zustand

zeitlich konstanter Temperatur deutlich zu erkennen, welche aufgrund der Span-


nungsrelaxation in der Klebschicht entsteht. Die Spannungsrelaxation bis zur
Gleichgewichtsspannung wird ebenfalls gut wiedergegeben und liegt im Streu-
band der Versuche. Die Modellantwort während der Abkühlung liegt ebenfalls
im Streuband der Versuche. Bei näherer Betrachtung der Temperaturbelastun-
gen fällt auf, dass die Temperatur-Zeit-Kurven der Mittelung und Probe 4 recht
gut übereinander liegen. Diese Korrelation zwischen dem Versuch an der Probe
4 und der Simulation ist für die Durchsenkung uz während der Abkühlphase
ebenfalls zu erkennen. Dahingegen weichen die Durchsenkungen uz der Ver-
suche im Bereich konstanter Temperaturführung stark voneinander obwohl die
Temperaturen hier kaum differieren. Daraus lässt sich ableiten, dass die Streung
der Messergebnisse im Bereich konstanter Temperaturführung deutlich stärker
sein muss als im Bereich der Aufheiz- und Abhkühlphase.

Seite 261
9 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe unter
Betriebsbelastung

10 Probe 1
8 Probe 2
Probe 3
6 Probe 4
uz [mm]

4 Simulation
2
0
−2
−4
0 50 100 150 200 250 300 350
t [min]
Abb. 9.9: Simulierte Durchsenkung der Bi-Metall-Probe

Das Ergebnis der Relativverschiebung ∆ux aus der Simulation wird in Abbil-
dung 9.10 den gemessenen Relativverschiebungen (vgl. Abbildung 7.13) gegen-
über gestellt. Die Materialantwort liegt im Vergleich mit den Messdaten aus den
Versuchen leicht oberhalb des Streubands. Jedoch fällt bzgl. der Messdaten das
relativ starke Rauschen auf, wohingegen die Messergebnisse für die Durchsen-
kung im Vergleich dazu deutlich glatter sind. Dies könnte möglicherweise an den
im Vergleich zu den Werten der Durchsenkung relativ kleinen Verschiebungen
liegen. Letztlich ist die Korrelation zwischen dem Ergebnis der Messung und
der Simulation für die Relativverschiebung ∆ux augenscheinlich relativ gut.

0.14 Probe 1
0.12 Probe 2
Probe 3
∆ux [mm]

0.10 Probe 4
0.08 Simulation
0.06
0.04
0.02
0.00
0 50 100 150 200 250 300 350
t [min]
Abb. 9.10: Relativverschiebung aus der Simulation der Bi-Metall-Probe

Insgesamt kann festgestellt werden, dass der thermoviskoelastische Teil des Kon-

Seite 262
9.3 Validierung der konstitutiven Gleichungen an der Bi-Metall-Probe

stitutivmodells an der Bi-Metall-Probe erfolgreich validiert werden kann. Je-


doch ist anzumerken, dass der Beanspruchungszustand an der Bi-Metall-Probe
weder ausreicht um das plastische Teilmodell noch das Schädigungsmodell zu
validieren. Aufgrund der freien Durchsenkung der Bleche können sich in der
Klebschicht zu keinem Zeitpunkt Spannungen oberhalb der Fließgrenze aufbau-
en. Des Weiteren wird weder im Test noch in der Simulation eine ausreichend
große plastische Deformation erreicht, um eine Schädigung der Klebschicht her-
beizuführen. Ein weiteres Validierungsbeispiel ist im Rahmen des Projekts nicht
vorgesehen.

Seite 263
Schrifttum

[1] Bailey, R. W.: Creep of Steel Under Simple and Compound Stesses
and The use of High Initial Temperature in Steam Power Plants. In:
Transactions, Tokyo, Sectional Meeting of the World Power Conference,
1929., S. 1089–1121
[2] Borrvall, T.: A heuristic attempt to reduce transverse shear locking in
fully integrated hexahedra with poor aspect ratio. 7th European LS-DYNA
Conference in Salzburg, 2009.
[3] Brede, M. ; Matzenmiller, A. ; May, M. ; Mahnken, R. ; Mem-
hard, D.: Robustheit und Zuverlässigkeit der Berechnungsmethoden von
Klebverbindungen mit hochfesten Stahlblechen unter Crashbedingungen. In:
M. Brede und F. J. Heise (Hrsg.): Forschung für die Praxis P828, For-
schungsvereinigung Stahlanwendung e.V. im Stahl-Zentrum, FOSTA, Ver-
lag und Vertriebsgesellschaft mbH, Düsseldorf, 2013.
[4] Burbulla, F.: Kontinuumsmechanische und bruchmechanische Modelle
für Werkstoffverbunde, Universität Kassel, Diss., 2013. In Druck
[5] Coleman, B. D. ; Gurtin, M. E.: Thermodynamics with Internal State
Variables. In: The Journal of Chemical Physics 47 (1967), S. 597–613
[6] Findley, W. N. ; Lai, J. S. ; Onaran, K.: Creep and Relaxtion of
Nonlinear Viscoelastic Materials. New York : Dover Publications, 1989.
[7] Hanselka, H. ; Matzenmiller, A. ; Mayer, B.: Schwingfestigkeits-
auslegung von geklebten Stahlbauteilen des Fahrzeugbaus unter Belastung
mit variablen Amplituden. In: M. Brede und F. J. Heise (Hrsg.): Forschung
für die Praxis P796, Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V. im Stahl-
Zentrum, FOSTA, Verlag und Vertriebsgesellschaft mbH, Düsseldorf, 2012.
[8] Haupt, P.: Continuum Mechanics and Theory of Materials. Berlin :
Springer-Verlag, 2000.
[9] Hennemann, O.-D. ; Hahn, O. ; Schlimmer, M.: Methodenentwicklung
zur Berechnung und Auslegung geklebter Stahlbauteile im Fahrzeugbau bei
schwingender Beanspruchung. In: M. Brede und F. J. Heise (Hrsg.): For-
schung für die Praxis P653, Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V.
im Stahl-Zentrum, FOSTA, Verlag und Vertriebsgesellschaft mbH, Düssel-
dorf, 2007.

Seite 265
Schrifttum

[10] Johnson, G. R. ; Cook, W. H.: A constitutive model and data for


metals subjected to large strains, high strain rates and high temperatures.
In: Proc. 7th int. Symp. on Ballistics, The Hague (1983), S. 541–547
[11] Johnson, G. R. ; Cook, W. H.: Fracture characteristics of three metals
subjected to various strains, strain raes, temperatures and pressures. In:
Engineering Fracture Mechanics 21 (1985), S. 31–48
[12] Lemaître, J.: A continuous damage mechanics model for ductile fracture.
In: Journal of Engineering Materials and Technology 107 (1985), S. 83–89
[13] Lemaître, J.: A Course On Damage Mechanics. Berlin : Springer-Verlag,
1992.
[14] Livermore Software Technology Corporation: LS-DYNA R

Keyword user’s manual. Version 971 R6.1.0. Livermore Software Tech-


nology Corporation, 7374 Las Positas Road, Livermore, California 94551,
August 2012.
[15] Lubliner, J.: On the Structure of the Rate Equations of Materials with
Internal Variables. In: Acta Mechanica 17 (1973), S. 109–119
[16] Mahnken, R. ; Schlimmer, M.: Simulation of strength difference in
elasto-plasticity for adhesive materials. In: International Journal for Nu-
merical Methods in Engineering 63 (2005), S. 1461–1477
[17] Matzenmiller, A. ; Gerlach, S. ; Fiolka, M.: Progressive failure
analysis of adhesively bonded joints in crash simulations. Konferenzbei-
trag zum 5. LS-DYNA Anwenderforum, 12.–13. Oktober 2006, Ulm, DY-
NAmore GmbH, Stuttgart, 2006.
[18] Matzenmiller, A. ; Kroll, U.: Constitutive modelling of damage in
adhesively-bonded joints for static and cyclic sustained loadings with con-
stant and variable amplitudes. In: CD-ROM Proceedings of the 6th Euro-
pean Congress on Computational Methods in Applied Sciences and Engi-
neering (ECCOMAS 2012), Technische Universität Wien, September 2012.
– ISBN 978–3–9502481–9–7
[19] Norton, F. H.: The Creep of Steel at High Temperature. New York :
McGraw Hill, 1929.
[20] Schlimmer, M.: Grundlagen zur Berechnung des mechanischen Verhal-
tens von strukturellen Klebverbindungen des Fahrzeugbaus. In: Tagungs-
band 10. Paderborner Symposium Fügetechnik 10 (2003)

Seite 266
Schrifttum

[21] Schlimmer, M. ; Matzenmiller, A. ; Mahnken, R. ; Hahn, O. ;


Dilger, K. ; Gumbsch, P. ; Thoma, K. ; Hennemann, O. D.: Me-
thodenentwicklung zur Berechnung von höherfesten Stahlklebverbindungen
des Fahrzeugbaus unter Crashbelastung. In: M. Brede und F. J. Heise
(Hrsg.): Forschung für die Praxis P676, Forschungsvereinigung Stahlan-
wendung e.V. im Stahl-Zentrum, FOSTA, Verlag und Vertriebsgesellschaft
mbH, Düsseldorf, 2008.
[22] Schwarzl, F. R.: Polymermechanik. Berlin : Springer-Verlag, 1990.
[23] Stander, N. ; Roux, W. ; Basudhar, A. ; Eggleston, T. ; Goel, T.
; Craig, K.: LS-OPT R
User’s Manual. Version 5.0. Livermore Software
Technology Corporation, 7374 Las Positas Road, Livermore, California
94551: Livermore Software Technology Corporation, April 2013.
[24] Taylor, R. ; Pister, K. S. ; Goudreau, G. L.: Thermomechanical
Analysis of Viscoelastic Solids. In: International Journal for Numerical
Methods in Engineering 2 (1970), S. 45–59

Seite 267

Das könnte Ihnen auch gefallen