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Vermietung als Verfügung

GERHARD OTTE

I. Einleitung
Schon bald nach dem Inkrafttreten des BGB begann - soweit ersichtlich
mit einer Bemerkung von Strohal aus dem Jahre 19011 - die Diskussion, ob
Rechtsnormen, die das Tatbestandsmerkmal der „Verfügung" enthalten, auf
die Vermietung - sei es unmittelbar oder sei es entsprechend - anzuwenden
sind. Die Fragestellung ist dadurch veranlasst, dass der BGB-Gesetzgeber
sich in §§ 571, 580 a.F. 2 für den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete", der
korrekter hieße „Ubereignung bricht nicht Miete", entschieden und damit
der Vermietung von Grundstücken und Räumen ab dem Zeitpunkt der
Überlassung an den Mieter eine gewisse dingliche Wirkung beigelegt hat.
Sedes materiae der Diskussion sind die §§ 185,816 Abs. 1,883 Abs. 2 und 893
BGB. Erwähnt, heute freilich nur noch kurz abgetan, wird die Frage auch im
Zusammenhang mit § 2367 BGB.
Rechtsfolge der genannten Vorschriften ist jeweils die Wirksamkeit oder
Unwirksamkeit von Verfügungen gegenüber Dritten (anders nur bei § 816
Abs. 1 BGB, wo die Wirksamkeit der Verfügung Tatbestandsmerkmal ist).
Wer diese Gemeinsamkeit bedenkt, dem müsste auffallen, dass andere Vor-
schriften, die ebenfalls die Wirksamkeit von Verfügungen betreffen, noch
nicht zum Anlass genommen worden sind, nach ihrer Anwendbarkeit auf
die Vermietung zu fragen. Das gilt insbesondere für die §§ 135f, 161, 1959
Abs. 2, 1984, 2129, 2205 S. 2 und 2211.3 Diese „Negativliste" zeigt, dass der

1
Strohal Das deutsche Erbrecht 2. Aufl. (1901) § 90 Fn 26; schon vorher war aber, ohne
dass auf den Begriff der Verfügung eingegangen wurde, die Anwendbarkeit der Vorschrif-
ten über den gutgläubigen Erwerb von Grundstücksrechten auf die Vermietung befürwor-
tet worden: v. Brünneck Gruchot 42 (1898) 306 f; Cosack Lehrbuch des Deutschen bürger-
lichen Rechts Bd. 2 (1900) § 243 V 1 b.
2 Jetzt §§ 566, 578 n.E; für die Pacht gilt der Grundsatz über § 581 Abs. 2 a.F. bzw.

SS 581 Abs. 2, 593 b n. F.


3
Crome System des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. I (1900) 326 Fn 16, hat 73
Paragraphen des B G B aufgelistet, in denen das Merkmal „Verfügung" vorkommt (S 1959
fehlt in der Liste); der größte Teil davon betrifft nur bewegliche Sachen und Rechte oder nur
unentgeltliche Verfügungen, ist daher für das hier erörterte Thema von vornherein nicht
einschlägig; bei anderen wäre die Subsumtion der Grundstücksmiete unter „Verfügung"
denkbar, aber belanglos, weil sie Verwaltung und Verfügung auf eine Stufe stellen.

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182 Gerhard Otte

Gedanke, die Vermietung als Verfügung anzusehen oder sie wie eine Ver-
fügung zu behandeln, nicht das Ergebnis tiefergehender dogmatischer
Anstrengungen ist, sondern in den Bereich punktueller, durch die Betrach-
tung von Einzelfällen veranlasster Erwägungen gehört. Eine Behandlung der
Thematik, die die systematischen und teleologischen Zusammenhänge in den
Blick nimmt, steht bislang noch aus.
Das muss nicht heißen, dass die Frage nach der Anwendbarkeit der die
Wirksamkeit von Verfügungen regelnden Vorschriften auf die Vermietung
für alle in Betracht kommenden Vorschriften nur einheitlich beantwortet
werden könnte. Aber die Suche nach Lösungen an einer Stelle sollte nicht
ohne Rücksicht auf die Ergebnisse betrieben werden, die an anderer Stelle
gefunden sind, und nicht ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, die sich für
die Lösung an anderer Stelle ergeben würden.

II. Vormerkung und Vermietung


1. Das größte Interesse hat die Frage nach der Bedeutung liegen-
schaftsrechtlicher Vorschriften für die Wirksamkeit der Vermietung gefun-
den. § 883 Abs. 2 B G B gewährt dem vorgemerkten Gläubiger Schutz gegen
Zwischenverfügungen und §§ 892 f B G B dem Gutgläubigen Schutz vor den
Folgen fehlender Berechtigung des eingetragenen Verfügenden. O b diese
Vorschriften auf die Vermietung von Grundstücken anzuwenden sind, ist
hochkontrovers. Bei § 883 Abs. 2 B G B spricht sich ein großer Teil des
Schrifttums für die entsprechende Anwendung aus.4 Die Anwendung von
§ 893 B G B wird hingegen seltener bejaht. 5 Die Rechtsprechung verneint die
Anwendbarkeit beider Vorschriften. 6
Dass die Streitfrage nicht mit dem Hinweis auf die obligatorische Natur
der Miete entschieden werden kann, steht außer Frage, geht der Hinweis
doch einfach darüber hinweg, dass sich aus der Geltung des Satzes „Uber-
eignung bricht nicht Miete" eine Vergleichbarkeit der Interessenlage bei Ver-
mietung und Verpachtung einerseits sowie Bestellung dinglicher Rechte, ins-
besondere von Wohnrecht und Nießbrauch, andererseits ergeben könnte.
Das Problem ist nicht begriffsjuristisch,7 sondern nur auf der Grundlage

4 Nachweise - auch zur Gegenansicht - bei Staudinger/Gttrsky BGB (1996) § 883


Rn 139.
5 Nachweise bei Staudinger/Gursky § 893 Rn 20.
6 B G H Z 13,1 und O L G München N J W 1963, 603 (zu § 883 BGB); RGZ 106, 111 fund

KGJ 51 A 298 (zu § 893 BGB; im Ergebnis anders allerdings KG, J W 1929,2893).
7 Ebenso Wacke Miete und Pacht vom Nießbraucher oder Vorerben sowie vom Nicht-

berechtigten, in: Festschrift für Joachim Gernhuber (1993) 489ff, 518; zum Fortleben der
begriffsjuristischen Denkweise überhaupt (erläutert auch an einem Beispiel des herrschen-
den Umgangs mit der Dichotomie „Verpflichtung"/„Verfügung") Otte Ist die Begriffs-
jurisprudenz wirklich tot? in: Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/35 (1999) 433ff.

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Vermietung als Verfügung 183

überzeugender Wertungen zu lösen. Die Wertungen müssen, um überzeugen


zu können, wenigstens konsistent sein. Konsistenz scheint hier von vorn-
herein nur bei drei der vier denkbaren Positionen möglich zu sein, indem
man entweder die Bedeutung des Grundsbuchs betonend Anwendung
sowohl von § 883 als auch von § 893 BGB fordert oder wegen der Unab-
hängigkeit der Vermietung vom Grundbuchverkehr 8 beide Vorschriften für
unanwendbar hält oder sich wegen des Mieterschutzes zwar für die An-
wendung des § 893, aber zugleich gegen die des § 883 Abs. 2 BGB ausspricht.
Indessen hat auch die vierte Position (Anwendbarkeit des § 883 Abs. 2, aber
Unanwendbarkeit des § 893 BGB) ihre Anhänger, und das sind nicht
wenige. 9

2. Die Schwäche dieser letztgenannten Ansicht Hegt klar zu Tage: Wer


§ 883 Abs. 2 BGB auf die Vermietung anwenden will, drängt den durch
§§ 566, 578 (= § 571 a. F.) BGB gewährten Mieterschutz zurück und macht es
nolens volens zur Obliegenheit des Mieters, sich nicht nur über das Eigen-
tum des Vermieters, sondern auch über bestehende Vormerkungen zu orien-
tieren. 10 Während es für den Mieter bezüglich der Eigentumsverhältnisse
offenbar hinreichende Erkenntnismöglichkeiten außerhalb des Grundbuchs
gibt (vom Vermieter ermöglichte Besichtigung, die auf unangefochtenen
mittelbaren Besitz schließen lässt, sowie Kontakt mit dem Vormieter), so dass
es im Rechtsverkehr nicht üblich ist, vor Abschluss eines Mietvertrages
Grundbucheinsicht zu verlangen, käme als Auskunftsquelle hinsichtlich
bestehender Vormerkungen nur das Grundbuch in Betracht (es geht ja um
Situationen, in denen der Eigentümer trotz seiner Übereignungspflicht noch
vermietet und daher die Auflassungsvormerkung verschweigt, weil der Inte-
ressent sonst abspringen würde). Dann ist es aber inkonsequent, den Mieter
in seinem Vertrauen auf das, was er im Grundbuch liest oder bei Einsichtnah-
me lesen würde, nicht zu schützen. Auf die Spitze getrieben wird diese
Inkonsequenz, wenn man an den Fall einer zu Unrecht gelöschten Vormer-
kung 1 1 denkt: Der Mieter, der dem Grundbuch entnehmen müsste, dass der
Wirksamkeit seines Vertrages gegenüber künftigen Erwerbern nichts im

8
Darauf stellt B G H Z 13,1 ff, 5 (zu § 883 Abs. 2 BGB) entscheidend ab.
9
O h n e Anspruch auf Vollständigkeit: Staudinger/Gursky (s. o. Fn 4 und 5); Erman/
Hagen/A.Lorenz BGB 10. Aufl. (2000) § 883 Rn 37 und § 893 Rn 10; Palandt/Bassenge
BGB 61. Aufl. (2001) § 883 Rn 21 und § 893 Rn 3; v.Tuhr Allg. T. (1914) § 54 S. 254;
Wolff/Raiser Sachenrecht 10. Aufl. (1957) § 48 Fn 30 und § 45 Fn 9; H. Westermann/Eick-
mann Sachenrecht II 6. Aufl. (1988) § 100 IV 3e und § 101 III 4b; Wilhelm Sachenrecht
(1993) Rn 1214 und 515; früher auch Wacke in MünchKomm/Waake BGB 2. Aufl. (1986)
§ 883 Rn 42 und § 893 Rn 10, anders jetzt aber zu § 893 in FS Gernhuber (s.o. Fn 7) 516ff
und MünchKomm/Wfecifee 3. Aufl. (1997) § 893 Rn 10.
10
So ausdrücklich MünchKomm/Wdcfce § 883 Rn 42.
11
Es ist heute unstr., dass die bloße Löschung nicht den Untergang der Vormerkung
bewirkt, vgl. Staudinger/Gursky § 886 Rn 25 m w N .

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184 Gerhard Otte

Wege steht, wird sich von den Vertretern der hier erörterten Ansicht
getäuscht fühlen müssen, vergessen sie doch ihre Beteuerung, ihn gegenüber
dem Vorgemerkten nur ebenso behandeln zu wollen wie den Erwerber eines
Nießbrauchs oder Wohnrechts, sobald dieser Standpunkt zum Nachteil des
Vorgemerkten ausschlagen würde.

3. Dieser Kritik setzt sich nicht aus, wer sowohl § 883 Abs. 2 als auch
§ 893 B G B auf die Vermietung anwenden will. 12 Er gerät jedoch dann in Wer-
tungswidersprüche, wenn er sich der Frage stellt, warum andere Vorschriften
über die Beschränkung der Verfügungsmacht auf die Vermietung zweifelsfrei
nicht anzuwenden sind, weil das Gesetz Spezialregelungen für die Wirkung
gegenüber dem Nachfolger des Vermieters enthält: Die Vermietung durch
den Vorerben kann nicht unter § 2113 Abs. 1 B G B fallen, sondern richtet sich
nach dem ganz anders orientierten § 2135 B G B , der auf § 1056 B G B verweist.
Diese Vorschrift bestimmt die Wirkung der Vermietung durch den Nieß-
braucher gegenüber dem Eigentümer, für die also nicht etwa auf §§ 161 Abs. 2,
163 B G B abgestellt werden darf. Gleiches gilt für die Vermietung durch den
Erbbauberechtigten, die gemäß § 30 ErbbauRVO dem Eigentümer gegen-
über wirksam ist. 13
Warum sollte, wenn der Nacherbe und der Eigentümer an Mietverträge
des Vorerben, Nießbrauchers oder Erbbauberechtigten gebunden sind, der
Vorgemerkte nicht an Mietverträge des Veräußerers gebunden sein? Die
Begründung des Gegenteils wird schwer fallen, denn die Verfügungsmacht
des Volleigentümers kann nicht geringer sein als die des Inhabers eines auf-
lösend bedingten oder befristeten Rechts. Wie immer man die Vormerkung
dogmatisch einordnen mag, eine stärkere Position als die des aufschiebend
bedingt oder befristet Berechtigten ist sie nicht. Was dem Vorbehaltskäufer
§ 161 Abs. 1 B G B und dem Eigentümer eines mit Nießbrauch oder Erb-
baurecht belasteten Grundstücks § 161 Abs. 2 (i.V.m. § 163) B G B gewähr-
leistet, das gewährleistet dem Vorgemerkten § 883 Abs. 2 B G B , mehr aber
nicht. 14 Der Vorbehaltskäufer muss sich im Falle der durch den Veräußerer
erfolgten Einräumung des Besitzes an einen Dritten mit dessen Besitzrecht
abfinden (§ 986 Abs. 2 B G B ) . 1 5 Bei der Übereignung von Grundstücken

12 So Raape Gebrauchs- und Besitzüberlassung, JhJb 71 (1922), 97ff, 180ff; Canaris Die

Verdinglichung obligatorischer Rechte, in: Festschrift für Werner Flume (1978) Bd. 1,371 ff,
393 und 403.
13 Ergänzend ist auf die familienrechtliche Regelung der Vermietung und Verpachtung

durch gesetzliche Vertreter hinzuweisen: Für sie gelten wegen des Genehmigungserforder-
nisses § 1822 Nr. 4 und 5 und nicht § 1821 BGB.
14 Zur Vergleichbarkeit von vorgemerktem Anspruch und bedingtem Recht Kupisch JZ

1977, 493 ff; s. auch § 48 ZVG.


15 Dass der Anwendungsbereich des § 986 Abs. 2 BGB über Vermietung und Verpach-

tung hinausgeht und die Rechtsfolge nicht der Vertragsübergang ist, tut nichts zur Sache;
entscheidend ist das Besitzrecht gegenüber dem Erwerber.

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Vermietung als Verfügung 185

kann § 161 Abs. 1 BGB wegen der Bedingungs- und Befristungsfeindlichkeit


der Auflassung nicht zur Anwendung kommen. Verfügungen eines auflösend
bedingt oder befristet Berechtigten sind aber denkbar, zum Beispiel die Ver-
pfändung der Ausübung eines Nießbrauchs 16 oder die Belastung eines
Erbbaurechts. Erlischt das belastete Recht durch Bedingungseintritt17 oder
Zeitablauf, ergibt sich eine dem § 161 Abs. 2 (ggf. i.V.m. § 163) BGB ent-
sprechende Wirkung daraus, dass das Substrat der Belastung und damit auch
diese selbst wegfällt. Das Eigentum ist also wieder unbelastet. Ganz anders
wirkt eine Vermietung gemäß §§ 1056 BGB, 30 ErbbauRVO über das Er-
löschen des Nießbrauchs bzw. Erbbaurechts hinaus, weil diese Vorschriften
die analoge Anwendung des Grundsatzes „Ubereignung bricht nicht Miete"
vorschreiben. Entsprechendes ergibt sich bei der Vorerbschaft: Eine Nieß-
brauchs- und Wohnrechtsbestellung durch den Vorerben ist dem Nacherben
gegenüber nach § 2113 Abs. 1 BGB unwirksam, eine Vermietung hingegen
nach §§ 2135, 1056 BGB wirksam. Der Nacherbe hat allerdings ebenso wie
der Eigentümer bei Wegfall des Nießbrauchs oder Erbbaurechts ein Kündi-
gungsrecht (SS 1056 Abs. 2 BGB, 30 Abs. 2 ErbbauRVO 18 ), kann sich also
nicht nur wie jeder Vermieter aus unbefristeten, sondern auch aus befristeten
Vertragsverhältnissen lösen. Der besondere Kündigungsschutz bei Wohn-
raummiete bleibt jedoch gewahrt.19
Das zur Begründung der Anwendung des S 883 Abs. 2 BGB vorgebrachte
Argument, es sei „sinnwidrig", Miete und Pacht gegenüber dem Vorgemerk-
ten anders zu behandeln als Nießbrauch und dingliches Wohnrecht,20 geht
daher an der unterschiedlichen gesetzgeberischen Wertung des Bestands-
schutzes von dinglichen Rechten einerseits und Miete andererseits vorbei.
Dass diese Unterschiedlichkeit nicht willkürlich, sondern gerechtfertigt ist,
lässt sich indessen leicht zeigen: Die Miete entzieht dem Erwerber, der nun
als Vermieter an den Mietvertrag gebunden ist, zwar die Möglichkeit der
Eigennutzung, aber typischerweise keinen Vermögenswert, Nichtunter-
schreitung der ortsüblichen Miete vorausgesetzt. Nießbrauch und dingliches
Wohnrecht werden hingegen typischerweise unentgeltlich oder jedenfalls
nicht gegen ein die ortsübliche Miete erreichendes Entgelt bestellt und näh-
men daher dem Erwerber, wenn sie ihm gegenüber wirksam wären, einen
Vermögenswert. Planwidrigkeit einer Lücke in S 883 Abs. 2 BGB, die not-
wendige Voraussetzung für die Analogie wäre, kann daher nicht bejaht
werden.

16
MünchKomm/Petzoldt BGB 3. Aufl. (1997) § 1059 Rn 7.
17
Möglich nur beim Nießbrauch, nicht beim Erbbaurecht, § 1 Abs. 4 S. 1 ErbbauRVO.
18
Zu den unterschiedlichen Regelungen s. Wacke (s.o. Fn 7) 498f, 511.
" Staudinger/Frank BGB (1994) § 1056 Rn 16.
20
Staudinger/Gursky § 883 Rn 42; i.E. ebenso MünchKomm/Vfoofee § 883 Rn 42;
Erman/Hagen/A.Lorenz § 883 Rn 37; Wilhelm Sachenrecht Rn 1214.

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186 Gerhard Otte

4. Wer, um den Schutz des Vorgemerkten zu stärken, sich hier anders ent-
scheiden und einen Wertungswiderspruch zu §§ 1056, 2135 B G B , 30 Erb-
bauRVO in Kauf nehmen will, wird konsequenterweise nicht nur die
Anwendbarkeit des § 893 auf die Vermietung bejahen müssen, wenn er nicht
einen weiteren Wertungswiderspruch hinnehmen will,21 sondern auch die des
§ 1 8 5 B G B . Ist es nämlich möglich, dass eine Vermietung gegenüber dem
Vorgemerkten unwirksam ist, muss er sie durch seine vorherige oder
nachträgliche Zustimmung wirksam machen können. Bevor an Einwilligung
nach § 185 Abs. 1 B G B gedacht wird, ist freilich zu klären, ob die Vermietung
in concreto überhaupt vormerkungswidrig ist. Sie ist es nicht, wenn der
schuldrechtliche Vertrag die Vermietung gestattet.22 Dass dieser Vertrag den
Umfang der dinglichen Wirkung der Vormerkung bestimmt, ergibt sich aus
deren Natur, kann freilich zu praktischen Problemen führen, wenn man mit
der herrschenden Meinung die Einreichung der in der Eintragungsbewilli-
gung zur Bezeichnung des Anspruchs genannte Urkunde zu den Grund-
akten nicht für nötig hält. 23 Soweit aber Zwischenverfügungen dem vor-
gemerkten Anspruch zuwiderlaufen, besteht die Möglichkeit, sie durch
Zustimmung wirksam zu machen. Würde § 883 Abs. 2 B G B auf die Ver-
mietung angewandt, wäre der Eintritt des Vorgemerkten in den Mietvertrag
die Folge, selbstverständlich nicht sogleich, sondern erst beim Eigen-
tumsübergang.

5. Die hier diskutierte Denkmöglichkeit einer nach § 883 Abs. 2 B G B


unwirksamen Vermietung ließe sich auch als Ausdehnung des Begriffs der
Veräußerung verstehen, der in § 566 Abs. 1 (= § 571 Abs. 1 a. F.) B G B ver-
wendet wird, um den Anwendungsbereich des Grundsatzes „Ubereignung
bricht nicht Miete" zeitlich einzugrenzen: Es geht um eine Veräußerung nach
der Überlassung an den Mieter. Ist schon die Bestellung einer Vormerkung
Veräußerung in diesem Sinne, kann der für den Fall des Eigentümerwechsels
vorgesehene Mieterschutz nicht mehr eingreifen, wenn die Einräumung des
Mietbesitzes zwar vor der Übereignung, aber nach der Bestellung der Vor-
merkung erfolgt. Damit würde sich die Vormerkung als ein nicht unproble-
matisches Werkzeug in der Hand gewiefter Kautelarjuristen entpuppen:
Durch Eintragung einer Auflassungsvormerkung vor der Vermietung be-
käme der Vermieter ein Mittel in die Hand, jeden Mieter loszuwerden. Den
hierfür als Erwerber benötigten „Mitspieler" könnte man notfalls selbst
schaffen, beispielsweise durch GmbH-Gründung. Wir würden dann den-
selben Missbrauch der Vormerkung erleben, den es jetzt schon gibt, wenn
Bauträger den Schutz der Bauunternehmer durch Sicherungshypotheken

21 S.o. unter II. 2.


22 Insoweit ist Staudinger/Gursky § 883 Rn 139 und H. Westermann/Eickmann Sachen-
recht II § 100 IV 3 e zuzustimmen.
23 Schöner/Stöber Grundbuchrecht 12. Aufl. (2001) Rn 1514 mwN.

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Vermietung als Verfügung 187

nach § 648 BGB dadurch unterlaufen, dass sie vor Baubeginn Auflassungs-
vormerkungen bestellen. Auf der anderen Seite bestände die Gefahr, dass
Grundbesitz unvermietbar würde, weil der Vorgemerkte seine Zustimmung
zur Vermietung nicht erteilt, eine missliche Situation, wenn man bedenkt,
dass Vormerkungen nicht nur der Sicherung unmittelbar bevorstehenden
Erwerbs dienen, sondern gerade auch der langfristigen Sicherung künftiger
und bedingter Ansprüche (§ 883 Abs. 1 S. 2 BGB).
Die überwiegenden Gründe sprechen also gegen die Anwendung des § 883
Abs. 2 BGB auf die Vermietung.

III. Unrichtiges Grundbuch und Vermietung


1. Von den Bedenken gegen eine Durchbrechung des Grundsatzes „Über-
eignung bricht nicht Miete" zugunsten des Vorgemerkten berühren die
meisten die Frage, ob dem Mieter der Gutglaubensschutz nach § 893 BGB
zugute kommen soll, nicht. Das ist nur anders bei der Erwägung, dass die
Miete nach der Konzeption des BGB nicht am Grundbuchverkehr teil-
nehmen soll und dementsprechend die Einsichtnahme ins Grundbuch seitens
des Mietwilligen nicht zu den Standards des Rechtslebens gehört. Gleich-
wohl gibt es starke Gründe für den Gutglaubensschutz,24 die zuletzt Wacke25
überzeugend dargelegt hat. Es sind dies: Der Vergleich mit der - heute voll
anerkannten - Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs einer Vormerkung, also
einer Rechtsposition, die ebenfalls eine Verdinglichung schuldrechtlicher
Beziehungen darstellt; der Vergleich mit der Situation, in der ein Nicht-
eigentümer das Grundstück nach der Vermietung an einen Gutgläubigen ver-
äußert und dann der Grundsatz „Übereignung bricht nicht Miete" unbestrit-
tenermaßen zur Anwendung kommt,26 und schließlich die Notwendigkeit,
Rückabwicklungsfälle nicht nach mehr oder weniger zufälligen Gesichts-
punkten unterschiedlich zu behandeln.
Letzteres bedarf eingehenderer Erörterung. Zu bedenken sind die Rück-
erstattung, die Anfechtung der Übereignung und die wegen ihrer ex-tunc-
Wirkung der Anfechtung nahestehende Ausschlagung durch den vorläufigen
Erben.
2. In einem nach dem Rückerstattungsrecht für die Länder der amerikani-
schen Besatzungszone zu entscheidenden Rechtsstreit hat der BGH 27 ent-

24
Diesen Schutz hat KG JW 1929, 2893 aus einem nicht näher definierten Rechts-
scheinstatbestand abgeleitet, anstatt § 893 BGB heranzuziehen.
25
Wacke (s. o. Fn 7) 518f.
26
Das ergibt schon bloße Wortlautinterpretation, denn § 566 BGB verlangt nicht Eigen-
tum des Vermieters, sondern nur Eigentumserwerb des Nachfolgers.
27
BGHZ 11,27 ff, 34 ff.

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schieden, dass ungeachtet der gesetzlichen Fiktion, dass der Vermögens-


gegenstand dem Rückerstattungsberechtigten niemals entzogen worden sei,28
aus dem ihm gewährten Recht, einen vom Rückerstattungspflichtigen abge-
schlossenen Mietvertrag zu kündigen,29 sein Eintritt in den Mietvertrag zu
folgern sei, und zwar zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der
Rückerstattungsanordnung (also nicht vom Beginn des Mietvertrages an).
Für das Verhältnis zum Mieter ergebe sich daraus die Anwendbarkeit der
§§ 571 ff (a. F.) BGB, denn:
„Wenn es sich auch bei der Rückerstattung ... nicht um einen Eigentums-
wechsel im strengen Sinne handelt, so liegt doch wirtschaftlich betrachtet
ein Rückerwerb des Eigentums vor, der es gerechtfertigt erscheinen läßt,
den Grundgedanken des § 571 BGB anzuwenden." 30
Das über den Einzelfall hinaus Bedeutsame dieser in den Kommentierun-
gen des § 571 a. F. BGB zwar durchweg erwähnten, aber kaum gewürdigten
Entscheidung ist die Weigerung, den Rückwirkungsgedanken zu über-
spannen.
3. Nicht anders liegen aber die Fälle, in denen wegen fehlerhafter Ver-
äußerung die Übereignung angefochten wird. Erfolgt die Rückabwicklung
einer Grundstücksübertragung aufgrund Rücktritts wegen Pflichtverletzung
einer Vertragspartei oder aufgrund einer Anfechtung des Verpflichtungs-
geschäfts, ist § 566 BGB anzuwenden. Wird aber die Übereignung selbst
angefochten, ist der „Erwerber" gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an
nicht Eigentümer gewesen. Die von ihm abgeschlossenen Mietverträge nicht
der Anwendung des § 566 BGB zu unterwerfen, hieße jedoch, die Zeit von
der Übereignung bis zu ihrer Anfechtung als eine Phase zu behandeln, in der
praktisch niemand das Grundstück vermieten könnte; denn der Veräußerer
ist vor der Anfechtung noch nicht wieder Eigentümer, und der „Erwerber"
würde dem Mieter nur eine gänzlich ungesicherte Rechtsstellung verschaffen
können. Bei der Bestellung dinglicher Rechte tritt dieses Dilemma wegen
§§ 142 Abs. 2, 892 BGB nicht auf: Wer die Anfechtbarkeit nicht kennt, wird
geschützt. Das Gleiche dem Mieter zu versagen, würde meines Erachtens die
Rückwirkungsfiktion des § 142 Abs. 1 BGB überziehen. Der zitierte Satz aus
der Entscheidung zum Rückerstattungsrecht hat auch hier seinen Platz.

4. Mit der Tragweite der Rückwirkung muss sich auch auseinandersetzen,


wer nach der Wirksamkeit einer Vermietung durch den vorläufigen Erben
fragt. Vorläufiger Erbe ist nicht nur der zunächst zur Erbfolge Berufene, der

28
Art. 15 AREG.
29
Art. 42 AREG.
30
BGHZ 11,35.

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Vermietung als Verfügung 189

sein Ausschlagungsrecht noch nicht durch Annahme oder Fristablauf ver-


loren hat, sondern auch, wer die Erbschaftsannahme später wirksam anficht,
was nach § 1954 Abs. 4 B G B äußerstenfalls noch 30 Jahre nach der Annahme
möglich ist. Verfügungen des vorläufigen Erben, die nicht ohne Nachteil für
den Nachlass verschoben werden können, sind gemäß § 1959 Abs. 2 B G B
von der ex-tunc-Wirkung der Ausschlagung (§ 1953 Abs. 1 und 2 B G B ) bzw.
der wie eine Ausschlagung wirkenden Anfechtung der Annahme (§ 1957
Abs. 1 B G B ) nicht berührt und bleiben daher wirksam, sowohl gegenüber
dem Verfügungsgegner als auch gegenüber dem endgültigen Erben. Um die
Bedeutung des § 1959 Abs. 2 B G B zu erfassen, sieht man am besten von der
Uberlagerung des Anwendungsbereichs der Vorschrift durch andere eben-
falls zur Wirksamkeit von Verfügungen führende Vorschriften, insbesondere
§§ 2366 f und 892 f B G B , ab. Man denke sich den Fall, dass der vorläufige
Erbe, der seine Erbenstellung durch notarielles Testament oder Erbvertrag
nachweisen kann, Grundstücksverfügungen vornimmt, ohne sich zuvor
einen Erbschein erteilen (§ 35 Abs. 1 S. 2 G B O ) oder sich im Wege der
Berichtigung ins Grundbuch eintragen zu lassen (§ 40 Abs. 1 G B O ) , oder
den Fall, dass zwar ein Erbschein vorliegt oder das Grundbuch berichtigt ist,
der Verfügungsgegner aber die Anfechtbarkeit der Erbschaftsannahme
kennt, so dass er nicht gutgläubig erwerben kann (§ 142 Abs. 2 BGB). Dies
sind die beiden Fallgestaltungen, in denen es auf § 1959 Abs. 2 B G B
ankommt. Dringlichkeit des Geschäfts im Sinne dieser Vorschrift kann man
sich gerade beim Abschluss von Miet- und Pachtverträgen leicht vorstellen,
etwa wenn es um die Vermietung leerstehender Wohnungen in einem zum
Nachlass gehörenden Mietshaus oder um die Verpachtung eines Lokals oder
Geschäfts geht, das sonst geschlossen werden müsste, weil der Erbe es nicht
führen kann. Nicht anders als in den Fällen der angefochtenen Übereignung
würde auch hier die Versagung der Anwendung des § 566 B G B zur prakti-
schen Unvermietbarkeit von Grundstücken führen. Noch stärker als dort ist
indessen das Bedürfnis, die Vorschrift anzuwenden, weil sonst Nachteile
gerade von der Art eintreten würden, die § 1959 Abs. 2 B G B verhindern will.
Als Zeitpunkt, in welchem der endgültige Erbe in den Vertrag eintritt, bietet
sich hier wiederum nur die Ausschlagung bzw. die Anfechtung der Annahme
an.

5. Im Bereich von § 893 B G B bleibt noch der Fall zu erörtern, dass der
Verfügende nicht kraft gesetzlich angeordneter Rückwirkung nachträglich
als Nichtberechtigter anzusehen, sondern von Anfang an nichtberechtigt ist.
Entsprechende Anwendung des Grundsatzes „Ubereignung bricht nicht
Miete" scheint hier daran zu scheitern, dass eine zeitliche Staffelung, wie sie
§ 566 B G B voraussetzt - zunächst ist der Veräußerer Vermieter und erst spä-
ter tritt der Erwerber des Grundstücks an seine Stelle - , nicht sinnvoll vor-
genommen werden kann. Das ist bei den Anfechtungsfällen anders, weil dort

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190 Gerhard Otte

ein Zeitraum wirklicher Berechtigung des Vermieters dem Einrücken des


endgültig Berechtigten in seine Rechtsstellung vorhergeht und daher eine
Parallele zwischen dem Erwerb durch Übertragung und dem Erwerb kraft
Anfechtung gezogen werden kann, auch wenn es sich im letzteren Fall nicht
um Rechtsnachfolge handelt. Bei von Anfang an nichtiger Ubereignung gibt
es dieses Nacheinander nicht. Auf den Zeitpunkt der Buchberichtigung
abzustellen, verbietet sich wegen der absurden Konsequenz, dass dann der
wirkliche Eigentümer, falls er sein Recht auch ohne Unterstützung durch die
Vermutung des § 891 B G B beweisen kann, in der Lage wäre, den Mieter vor
der Grundbuchberichtigung zur Räumung zu zwingen, weil er noch nicht an
den Mietvertrag gebunden wäre. Diskutabel kann daher nur sein, den wirk-
lichen Eigentümer sogleich mit der Überlassung des Mietobjekts an den Mie-
ter in den Vertrag eintreten zu lassen. Der davon nichts ahnende Mieter
dürfte durch §§ 412, 404, 407 B G B hinreichend geschützt sein. Hinsichtlich
der vom Buchberechtigten eingezogenen Miete liegt, folgt man diesem
Ansatz, ein klarer Fall der Bereicherung nach § 816 B G B vor, und zwar nach
Abs. 2, so dass die Einordnung der Vermietung als Verfügung im Sinne des
Abs. 1 hier nicht zur Sprache kommen muss.

6. Die entsprechende Anwendung des Grundsatzes „Übereignung bricht


nicht Miete" auf die Vermietung durch den Bucheigentümer habe ich
früher 31 als einen von der Anwendung des § 893 B G B zu unterscheidenden
Weg zur Erreichung angemessener Lösungen betrachtet. Indessen handelt es
sich nur um die andere Seite derselben Medaille: Wird § 893 B G B auf die Ver-
mietung angewendet, greift § 566 B G B ein. Und die Rückbindung an § 893
B G B sollte schon darum nicht aufgegeben werden, weil sonst der Schutz
durch § 566 B G B auch Bösgläubigen zuteil würde.32

7. Bei der Anwendung des § 893 B G B auf halbem Wege stehen bleiben
will eine früher mehrfach vertretene Ansicht, die zwischen dinglicher und
schuldrechtlicher Wirkung des Satzes „Übereignung bricht nicht Miete"
unterscheiden möchte. 33 Auf die dingliche Seite, das heißt auf das Besitzrecht
gegenüber dem wirklichen Eigentümer, seien die Regeln des Gutglaubens-
schutzes anzuwenden, während es hinsichtlich der schuldrechtlichen Rechte
und Pflichten aus dem Mietvertrag dabei bleiben müsse, dass ihr Subjekt auf
der Vermieterseite nur der ursprüngliche Vertragspartner sein könne, weil es

31 Otte Die dingliche Rechtsstellung des Mieters nach ALR und BGB, in: Festschrift für

Franz Wieacker (1978) 473.


32 Was Gschnitzer Miete vom Nichtberechtigten, AcP 123 (1925) 74 ff für richtig hielt.

33 L. Mitteis Zwei Fragen aus dem Bürgerlichen Recht (Dekanatsprogramm Leipzig

1905) darin Abh. II: Grundstücksverpachtung durch den Scheineigentümer, 20ff, 77f;
Raape JhJb 71, 181; Kühne Versprechen und Gegenstand, AcP 140 (1935) 51; neuerdings
Canaris (s. o. Fn 12) 403.

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Vermietung als Verfügung 191

einen gutgläubigen Erwerb schuldrechtlicher Positionen nicht gebe. Zuzu-


geben ist dieser Ansicht, dass es nicht tragbar wäre, den wirklichen Eigen-
tümer an Verpflichtungen zu binden, die aus besonderen Vereinbarungen
zwischen Vermieter und Mieter, etwa aus Garantien oder Renovierungs-
zusagen, folgen.34 In den Fällen unmittelbarer Anwendung des § 566 BGB
liegt im Eintritt in den Mietvertrag keine unzumutbare Härte, denn der
Erwerbsinteressent erkennt eine Überlassung an den Mieter aus den tatsäch-
lichen Besitzverhältnissen und kann daher vom Veräußerer die nötige Infor-
mation über den Inhalt des Mietvertrages einholen. Bei der hier befürworte-
ten entsprechenden Anwendung des § 566 BGB auf die Vermietung durch
den Bucheigentümer wird jedoch der wirkliche Eigentümer ohne sein Zutun
Partei des Mietvertrages. Seine Situation gleicht insoweit der des Eigen-
tümers bei Erlöschen eines Nießbrauchs oder Erbbaurechts oder des Nach-
erben bei Eintritt des Nacherbfalls.35 Daher ist die Lösung des Interessen-
konflikts auch im gesetzlichen Kündigungsrecht nach Analogie des § 1056
Abs. 2 BGB zu suchen.36 Soweit ein Kündigungsschutz nach § 573 n. F.
(= § 564b a. F.) BGB besteht, kann eine erhebliche Belastung des Eigentümers
durch den Inhalt des Mietvertrages als Kündigungsgrund im Sinne von § 573
Abs. 2 S. 1 BGB anerkannt werden.37 Im Anwendungsbereich des § 1959
Abs. 2 BGB wird allerdings unter Umständen das Kündigungsrecht gänzlich
zu versagen sein, wenn nämlich der vorläufige Erbe, um eine sonst drohende
Einbuße für den Nachlass zu verhindern, einen Mietvertrag auf bestimmte
Zeit abschließen muss, weil sonst kein Mietinteressent zugreift. Insgesamt
ergibt aber die Anknüpfung an § 1056 Abs. 2 BGB, dass sich Bedenken da-
gegen, den Vertragsübergang als Folge der Anwendung des § 893 BGB zu
akzeptieren, überwinden lassen. Ein Festhalten an der „Aufspaltung" der
Rechtswirkungen würde demgegenüber nicht nur wegen der darin liegenden
Befangenheit in begriffsjuristischen Unterscheidungen stören, sondern vor
allem die Inkaufnahme dreier gestörter Rechtsbeziehungen anstelle einer
geordneten bedeuten: Der Eigentümer müsste den Mieter dulden, hätte
gegen ihn aber keine direkten Ansprüche aus Vertrag, insbesondere nicht den
Mietzinsanspruch, der Mieter hätte vertragliche Ansprüche, beispielsweise
auf Gestattung der Untervermietung (§ 553 BGB) oder auf Instandhaltung
(§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB) nur gegen den insoweit doch inkompetenten Ver-

34
In diesem Sinne insbes. Raape aaO.
35
Hierzu oben unter II.3.
36
So schon v. Brünneck Gruchot 42 (1898) 307f; Gschnitzer AcP 123,67f; Heck Schuld-
recht (1929) 313; Wacke (s. o. Fn 7) 520.
37
Weitergehend und nicht unbedenklich will Wacke aaO jede Beschränkung des Kündi-
gungsrechts ablehnen, weil schon die Tatsache, dass weder der Eigentümer noch sein
Rechtsvorgänger den Mietvertrag abgeschlossen hat, ein berechtigtes Kündigungsinteresse
ergebe.

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192 Gerhard Otte

mieter, und dieser dürfte die Einnahmen aus der Vermietung nicht behalten,
sondern müsste sie, je nach Fallgestaltung gemäß den Vorschriften über
Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung oder das
Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, an den Eigentümer abführen. Die auf-
fälligste Anomalie bestände aber darin, dass es bei Wohnungsmiete nieman-
den mehr gäbe, der wegen Eigenbedarfs (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) kündigen
könnte: Der Eigentümer könnte es nicht, weil er nicht Vertragspartei ist, und
der ursprüngliche Vermieter nicht, weil er die Wohnung nicht zur Deckung
seines Bedarfs benutzen dürfte. Gerade die Entwicklung der Mietgesetz-
gebung zeigt also, dass die eine Aufspaltung der Rechtswirkungen befür-
wortende Ansicht, die in der Zeit vor dem Beginn der Mieterschutzgesetz-
gebung38 konzipiert worden ist, nicht aufrechterhalten werden kann.39

IV. Unrichtiger Erbschein und Vermietung


Sprechen somit die stärkeren Gründe für die Anwendung von § 893 BGB
auf die Vermietung, so gilt dies umso mehr für § 2367 BGB, erstreckt sich
doch der Geltungsbereich des öffentlichen Glaubens beim Erbschein weiter
als beim Grundbuch.40 Hatte Siber 190141 seinen die Anwendung des § 2367
BGB befürwortenden Standpunkt noch ausführlich begründet, so beschrän-
ken sich heute die Kommentierungen, wenn sie die Frage überhaupt erwäh-
nen, auf die bloße Behauptung, § 2637 BGB gelte für die Vermietung nicht,
weil sie ein Verpflichtungsgeschäft sei.42 Auf welch primitive Stufe des
Rechtsdenkens die herrschende Ansicht damit zurückgefallen ist, zeigt fol-
gende Konsequenz: Während ein Gutgläubiger nach § 2366 BGB unbestrit-
tenermaßen ein zum Nachlass gehörendes schuldrechtliches Nutzungsrecht
an einer nachlassfremden Sache erwerben kann, und zwar mit Wirkung
gegenüber jedermann, also auch gegenüber dem wahren Erben, könnte ihm
der Scheinerbe nicht das (Be-)Nutzungsrecht eines Mieters oder Pächters an
einem Nachlassgrundstück verschaffen.43 Doch schon unabhängig von der

38
Das erste Mieterschutzgesetz stammte vom 1.6.1923.
39
Gegen die Aufspaltung der Rechtswirkungen schon Gschnitzer AcP 123, 44 f und
nunmehr Wacke (s. o. Fn 7) 517 Fn 88.
40
§ 2366 BGB ermöglicht es, vom Scheinerben zum Nachlass gehörende Forderungen
oder sonstige übertragbare Rechte zu erwerben und auch bewegliche Sachen, an denen der
Erbe den Erbenbesitz (§ 857 BGB) unfreiwillig verloren hat.
41
S.o. Fn 1.
42
KGKKJKregel BGB 12. Aufl. (1975) § 2367 Rn 5; Soergel/Damrau BGB 12. Aufl.
(1992) § 2367 Rn 3; Staudinger/Schilken BGB (1996) § 2367 Rn 8; Palandt/Edenhof er BGB
61. Aufl. (2002) § 2367 Rn 1; die anderen BGB-Kommentare und die Erbrechtslehrbücher
schweigen.
43
Vgl. auch die oben in III.7. a. E. erörterte Fallgestaltung.

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Vermietung als Verfügung 193

vergleichenden Bewertung dieser Fallgestaltungen dürften die Vertreter der


herrschenden Ansicht über ihr Ergebnis nicht froh werden, wenn sie eine
Vorschrift in den Blick nähmen, die den wirklichen Erben auch dann in die
schuldrechtliche Beziehung zum Mieter hineinzieht, wenn § 2367 B G B außer
Betracht bliebe: § 2019 B G B . Der Scheinerbe handelt, wenn er ein Nachlass-
grundstück einem Mieter überlässt, als Erbschaftsbesitzer im Sinne des
§ 2018 B G B . 4 4 Daher gehört der Mietzinsanspruch kraft dinglicher Surro-
gation zum Nachlass. 45 Der Erbe erwirbt ihn freilich nach §§ 412, 404, 406
B G B nur so, wie ihn sonst der Vermieter hätte, also unter Umständen ein-
redebehaftet oder aufrechenbar wegen nichterfüllter Forderungen des Mie-
ters. Ahnlich wie es bereits als Konsequenz einer Aufspaltung der Rechts-
wirkungen bei Anwendung von § 893 B G B aufgezeigt worden ist, 46 käme es
auch hier zu mehreren gestörten Rechtsbeziehungen anstelle einer geord-
neten, nur dass dieses Ergebnis nicht die Folge der nur halbherzigen Anwen-
dung, sondern die Folge der Nichtanwendung einer Gutglaubensvorschrift
wäre. Der Anwendung des § 2367 B G B ist daher unbedingt der Vorzug zu
geben. Wie beim Schutz des guten Glaubens an den Grundbuchinhalt sollte
aber auch hier dem wirklichen Rechtsinhaber ein dem § 1056 Abs. 2 B G B
entsprechendes Kündigungsrecht gewährt werden. 47
Was für die Vermietung durch den Scheinerben gilt, muss auch für die Ver-
mietung durch den gelten, der in einem Zeugnis nach § 2368 B G B zu
Unrecht als Testamentsvollstrecker ausgewiesen ist (vgl. dort Abs. 3).

V. Verfügungsbeschränkungen und Vermietung


1. Uberlässt der Erbe, obwohl Testamentsvollstreckung angeordnet ist,
den Besitz eines Nachlassgrundstücks einem Mieter, stellt sich die Frage, ob
die Vermieterpflichten Nachlassverbindlichkeiten sind. Der Fall kann sich in
der Zeit zwischen Erbfall und Ernennung des Testamentsvollstreckers ereig-
nen, 48 aber auch noch später bis zur Inbesitznahme des Grundstücks durch
den Testamentsvollstrecker. Hatte der Erbe einen Erbschein erlangt, der sich
über die Anordnung der Testamentsvollstreckung ausschweigt, also unrich-
tig ist (§ 2364 Abs. 1 B G B ) , gilt das zu § 2367 Gesagte entsprechend. Hatte er
seine Eintragung im Wege der Grundbuchberichtigung erreicht, ohne dass
ein Testamentsvollstreckervermerk eingetragen wurde, wie es § 52 G B O ver-

44 Anders als der vorläufige Erbe, vgl. Staudinger/Gursky (1996) § 2018 Rn 14.
45 Zutreffend Raapejhjb 71,182.
46 S. o. unter III.7. a. E.

47 S.o. unter III.7.

48 Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht fehlt dem Erben vom Erbfall an, nicht erst ab

Ernennung des Testamentsvollstreckers, vgl. Staudinger/Reimann (1996) § 2211 Rn 6.

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194 Gerhard Otte

langt hätte, folgt das gleiche Ergebnis aus § 893 B G B . Ohne Erteilung eines
Erbscheins oder Grundbucheintragung des Erben 4 9 ist hingegen die Ver-
mietung gegenüber dem Nachlass wirkungslos. Vom hier vertretenen Stand-
punkt aus ergibt sich das aus § 2211 Abs. 1 B G B , während sich die Gegner
einer Anwendung der Vorschriften über Verfügungen auf die Vermietung
daran halten würden, dass der Erbe, weil ihm das Recht zur Verwaltung des
Nachlasses fehlt (Umkehrschluss aus § 2205 S. 1 BGB), keine gegenüber dem
Testamentsvollstrecker durchsetzbare Verpflichtung begründen kann. 50

2. Ist Nachlassverwaltung angeordnet und überlässt der Erbe gleichwohl


noch ein Nachlassgrundstück an einen Mieter, wird auch hier kein gegenüber
dem Verwalter durchsetzbares Recht erworben. Dies ist wiederum unab-
hängig davon, ob man die Vermietung als Verfügung ansieht, denn § 1984
Abs. 1 S. 1 B G B entzieht dem Erben Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
gleichermaßen. Diese Überlegung zeigt, dass da, wo das Gesetz Verwaltungs-
und Verfügungsbefugnis gleich behandelt, die Frage nach der Subsumtion
der Vermietung unter den Begriff der Verfügung offen bleiben kann. 51 War
jedoch die Nachlassverwaltung noch nicht im Grundbuch vermerkt, kommt
wegen der Verweisung in § 1984 Abs. 1 S. 2 B G B auf § 81 Abs. 1 S. 2 InsO
gutgläubiger Erwerb der Mieterstellung gegenüber dem Nachlass in Be-
tracht, was aber nur die Konsequenz des zu § 893 B G B Ausgeführten 52 und
keine Besonderheit der Nachlassverwaltung ist. Ein Erbschein für den Ver-
mieter kann dagegen dem Mieter hier nichts nützen, da die Nachlassverwal-
tung anders als die Testamentsvollstreckung nicht im Erbschein einzutragen
ist, so dass der Erbschein insoweit keinen öffentlichen Glauben genießt.

3. In gleicher Weise wie § 1984 Abs. 1 S 1 B G B ordnet § 80 Abs. 1 InsO


den Verlust des Verwaltungs- und Verfügungsrechts an. Kommt jedoch der
Vermieter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 53 - gleichgültig, ob über
sein Vermögen oder über den Nachlass, zu dem das Grundstück gehört, - der
Inbesitznahme seitens des Insolvenzverwalters (§ 148 Abs. 1 InsO) und der
Eintragung des Insolvenzvermerks 54 ins Grundbuch (§ 32 InsO) durch Ver-

49 Hierzu Staudinger/Reimann aaO Rn 22.


50 Staudinger/Reimann aaO Rn 17.
51 Das gilt auch für §§ 137,2286 sowie für §§ 719 Abs. 1, 747 S. 2 und 2040 Abs. 1 BGB

(weil auch das Verwaltungsrecht den Gesellschaftern bzw. Gemeinschaftern nur gemein-
schaftlich zusteht); es gilt ferner für § 458 (= § 499 a. F.) BGB, weil der Wiederverkäufer
auch nach §§ 457 Abs. 2 (= 498 Abs. 2 a. F.), 249 S. 1 BGB beseitigungspflichtig wäre, und
für § 353 Abs. 1 a.F. BGB, weil bei Verschulden des Mieters der Rücktritt auch nach § 351
S. 2 a. F. BGB ausgeschlossen war.
52 S. o. unter III.
53 Bzw. den Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO.
54 Bzw. der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, vgl.

§ 23 Abs. 3 InsO.

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Vermietung als Verfügung 195

mietung 55 und Überlassung des Besitzes an den Mieter zuvor, hängt die
Beurteilung der Rechtslage infolge der Verweisung in § 81 Abs. 1 S. 2 InsO 5 6
auch hier von dem zu § 893 B G B einzunehmenden Standpunkt ab. Das
Schweigen des Erbscheins über die Eröffnung des Nachlassinsolvenzver-
fahrens ist wiederum folgenlos, da es sich nicht um eine in den Erbschein ein-
zutragende Beschränkung handelt.

4. O b ein durch einstweilige Verfügung (§ 938 Abs. 2 Z P O ) erlassenes


„Veräußerungsverbot" 57 auch die Vermietung betrifft, ist Auslegungsfrage.
Meines Erachtens steht der Möglichkeit, die Vermietung durch den Verbots-
gegner mit der Wirkung des § 566 B G B gegenüber seinem Rechtsnach-
folger 58 gerichtlich verbieten zu lassen, nichts entgegen. Damit kann zwar
nicht die Eingehung der schuldrechtlichen Verpflichtung durch den Verbots-
gegner unterbunden werden - insoweit kommt nur die Vollstreckung einer
Unterlassungspflicht nach § 890 Z P O in Betracht - , wohl aber kann die ding-
liche Wirkung, die sonst mit der Überlassung an den Mieter verbunden wäre,
ausgeschlossen werden. Es besteht jedoch auch hier Gutglaubensschutz
(§ 135 Abs. 2 BGB). Das bedeutet praktisch, dass das Verbot vor Eintragung
ins Grundbuch unterlaufen werden kann, indem der Verbotsgegner den
Besitz einem Mieter überlässt, der das Verbot nicht kennt.

5. Ganz ähnlich ist die Rechtslage, wenn einem Vorerben wegen Gefähr-
dung der Nacherbenrechte (§ 2128 B G B ) die Verwaltungs- und Verfügungs-
befugnis durch Sequestrierung nach §§ 2129 Abs. 1,1052 B G B entzogen ist.
Er kann sich dann zwar weiterhin durch Abschluss von Mietverträgen per-
sönlich verpflichten, aber nicht die dingliche Wirkung des § 566 B G B
gegenüber dem Nacherben dadurch herbeiführen, dass er das Grundstück
vor der Besitzergreifung durch den Sequester dem Mieter überlässt, es sei
denn, dieser hätte noch keine Kenntnis von der Sequestrierung und sie wäre
auch noch nicht ins Grundbuch eingetragen.

6. Die Wirkung der Grundstücksbeschlagnahme im Zwangsversteige-


rungsverfahren auf die Befugnis des Schuldners zur Vermietung ist um-
stritten. Der Streit geht nicht um die begriffliche Einordnung der Vermietung
als Verfügung im Sinne des in § 23 Abs. 1 S. 1 ZVG enthaltenen „Veräuße-
rungsverbots", sondern darum, ob § 24 ZVG, der dem Schuldner die Befug-

55 Ein vor Verfahrenseröffnung abgeschlossener Mietvertrag wäre vom Verwalter unab-

hängig vom Zeitpunkt der Überlassung an den Mieter zu erfüllen, § 108 Abs. 1 S. 1 InsO;
hierzu Marotzke in HK-InsO (1999) § 108 Rn 18.
56 Bzw. in 24 Abs. 1 InsO.

57 Der Terminus ist zu eng, da nicht nur die Rechtsübertragung, sondern Verfügungen

jeglicher Art gemeint sind, vgl. Staudinger/Kohler (1996) § 135 Rn 28.


58 Bzw. in den Fällen der hier befürworteten entsprechenden Anwendung des § 566

BGB mit Wirkung gegenüber dem wirklichen Rechtsinhaber.

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196 Gerhard Otte

nis zur „Verwaltung und Benutzung" im Rahmen ordnungsmäßiger Wirt-


schaft belässt, Außenwirkung hat. Die dies verneinende Ansicht 5 9 sieht in
§§ 57ff Z V G eine abschließende Regelung für Mietverträge des Schuldners,
die unabhängig davon, ob er sie vor oder nach der Beschlagnahme abge-
schlossen hat, dem Ersteher gegenüber wirksam sind, von ihm aber nach
Maßgabe der §§ 57a, c Z V G gekündigt werden können. 6 0 Die Gegenansicht,
die im Kündigungsschutz bei Wohnungsmiete, namentlich im Ausschluss der
Kündigung zum Zweck der Mieterhöhung (§ 573 Abs. 1 S. 2 B G B ) , 6 1 eine
unangemessene Benachteiligung von Gläubiger und Ersteher erblickt, ent-
nimmt dem § 24 Z V G die Grenze der Wirksamkeit von Mietverträgen, die
der Schuldner nach der Beschlagnahme abschließt, gegenüber dem Ersteher. 62
Der Begründungsweg muss dann über das Veräußerungsverbot des § 23
Z V G und die Vorschriften des B G B über relative Unwirksamkeit von Ver-
fügungen (§§ 135 f) führen. 63

VI. Zustimmung zur Vermietung


1. Wer bei Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 893 oder 2367 B G B die
Wirksamkeit der Vermietung gegenüber dem wirklichen Eigentümer bejaht,
wird, falls der Mieter die Unrichtigkeit des Grundbuchs bzw. Erbscheins
kannte oder auch nur die Anfechtbarkeit (§ 142 Abs. 2 B G B ) der Übereig-
nung, der Verfügung von Todes wegen oder der Erbschaftsausschlagung,
welcher der Vermieter sein Eigentum zu verdanken hatte, und daher die
Voraussetzungen gutgläubigen Erwerbs nicht erfüllt sind, dem Berechtigten
nicht die Möglichkeit versagen können, die dem § 566 B G B entsprechende
Wirkung durch Genehmigung nach § 185 Abs. 2 S. 1 B G B herbeizuführen. 64
Nennenswerte praktische Bedeutung hat das allerdings nicht, weil der
Eigentümer, wenn er den Mieter zu den Bedingungen des vom Nichtberech-
tigten abgeschlossenen Mietvertrages akzeptieren will, ebensogut einen
inhaltsgleichen neuen Mietvertrag schließen kann.

59 Dassler/Muth ZVG 12. Aufl. (1991) § 24 Rn 2; Zeller/Stöber ZVG 16. Aufl. (1999)
§ 24 Anm. 2.4.
60 Zur unterschiedlichen „Festigkeit" von Mietverträgen bei rechtsgeschäftlichem

Erwerb und Erwerb in der Zwangsversteigerung vgl. Otte (s.o. Rn 31) 467ff (die dort
gebrauchte Formulierung „Zwangsversteigerung bricht Miete" ist überzeichnend); Wacke
(s.o. Fn7) 459f.
61 Vgl. hierzu LG Kassel NJW-RR 1990, 976ff.

62 Steiner/Teufel ZVG 9. Aufl. (1984) § 57 Rn 23; Böttcher ZVG 3. Aufl. (2000) § 24


Rn 1; LG Kassel aaO.
63 Zutreffend LG Kassel aaO 977, wo nur § 136 BGB nicht genannt ist.

64 Vgl. die entsprechende Überlegung zu § 883 Abs. 2 BGB oben unter II.4.

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Vermietung als Verfügung 197

2. Praktische Bedeutung hat dagegen die Frage, ob der Eigentümer kraft


zuvor erteilter Einwilligung (§ 185 Abs. 1 B G B ) an Mietverträge gebunden
sein kann, die ein Dritter im eigenen Namen geschlossen hat. Die Entschei-
dung R G Z 80, 395 ff hatte das für einen Fall mittelbarer Stellvertretung
bejaht, dabei aber in der Begründung eine klare Linie vermissen lassen, weil
sie einerseits eine Verfügung gemäß § 185 B G B verneinte, andererseits eine
Zustimmung im Sinne des § 182 B G B annahm, zusätzlich aber an das Rechts-
gefühl appellierte und den Gedanken der exceptio doli generalis ins Spiel
brachte. 65 Die Entscheidung ist im Ergebnis zu halten, wenn man entweder
mit der inzwischen herrschend gewordenen Meinung § 185 B G B auf die Ver-
mietung anwendet 66 oder die Figur der Verpflichtungsermächtigung an-
erkennt 6 7 oder die Berufung darauf, dass die Stellvertretung nur eine mittel-
bare war, in concreto für treuwidrig hält. Dieser letzte Gedanke ist viel später
wieder aufgetaucht, nämlich in der Rechtsprechung des B G H zum Bestands-
schutz für den Untermieter bei gewerblicher Zwischenmiete. 68 Er weist aller-
dings nur den Weg zu einem Besitzrecht des Untermieters gegenüber dem
Eigentümer und macht diesen nicht zur Partei des Untermietvertrages.
Daher konnte diese Rechtsprechung nicht befriedigen. 69 Das gleiche Ergeb-
nis, also ein bloßes Besitzrecht des vom Nichtberechtigten Mietenden
gegenüber dem Eigentümer, wird auch als Folge der entsprechenden Anwen-
dung des § 185 B G B auf die Vermietung bezeichnet. 70 Es ist indessen weder
zwingend noch, wie bereits gezeigt, 71 interessengerecht.

3. Die Zustimmung eröffnet dem Eigentümer freilich nicht den Weg,


jeden über sein Eigentum von einem Dritten geschlossenen Mietvertrag an
sich zu ziehen. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 185 B G G B , dass der
Zustimmende „Berechtigter" sein muss, ist ernst zu nehmen. Der Eigen-
tümer ist zwar grundsätzlich der zur Vermietung Berechtigte; er ist es aber
nicht, solange ein anderer ihm gegenüber berechtigter Besitzer ist. Mietver-

65 Zu dieser Entscheidung ausführlicher Raape JhJb 71, 97ff, 173, 178f, 183ff; seine im

Ergebnis teilweise abweichende Auffassung beruht auf der Trennung der obligatorischen
und dinglichen Wirkungen der Vermietung (s. o bei Fn 33); sie vermag auch in diesem Fall
nicht zu überzeugen.
66 Nachweise, auch zur Gegenansicht, bei Staudinger/Gursky (2001) § 185 Rn 102 ff.
67 Hierzu Enneccerus/Nipperdey Allg. Teil des Bürg. Rechts, 15. Aufl. (1960) § 20413b,

insbes. Fn 21; Staudinger/Gursky aaO Rn 104, 108 ff mit ausführlichen Hinweisen zum
Streitstand.
68 BGHZ 84,90ff; 114,96ff.
69 Eine gute Ubersicht über die Rechtsentwicklung, die dann zur Entscheidung des

BVerfG E 84,177ff und zur Schaffung des § 549a BGB geführt hat, findet sich bei Staudin-
ger/Sonnenschein (1995) § 549 Rn 111 ff und § 566 Rn 66 ff.
70 Vor allem von Staudinger/Gursky aaO Rn 102,104; zum Meinungsstand vgl. Staudin-

ger/Sonnenschein § 566 Rn 69.


71 S.o. unter III.7.

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198 Gerhard Otte

träge, die dieser Besitzer abschließt, sind keine Geschäfte, hinsichtlich derer
der Eigentümer der Berechtigte wäre. Das gilt unabhängig davon, ob der
Besitzer zur Besitzüberlassung an Dritte befugt ist oder nicht. Daher kann
der Eigentümer sich weder bei erlaubter noch bei unerlaubter Unterver-
mietung durch Einwilligung oder Genehmigung zur Partei der Mietverträge
machen, die sein Mieter mit Dritten schließt. Dementsprechend endet
das Besitzrecht des Untermieters auch mit dem des Hauptmieters. Weiter-
gehende Folgerungen sind aus dem Herausgabeanspruch des Vermieters
gegen den Untermieter allerdings nicht zu ziehen. Er liefert kein Argument
für die grundsätzliche Unanwendbarkeit des § 185 B G B auf die Vermietung.72
Das Fehlen der Berechtigung des Eigentümers, der vermietet hat, zur Über-
lassung des Besitzes an einen weiteren Mieter begründet vielmehr die Not-
wendigkeit von Sonderregelungen, zu denen nicht nur die Gewährung des
Herausgabeanspruchs gegen den Untermieter durch 546 Abs. 2 n. F. (= § 556
Abs. 3 a. F.) B G B gehört, sondern auch die Anordnung des Vertragsüber-
gangs nach § 565 n. F. (= § 549 a a. F.) B G B bei der Vermietung durch gewerb-
liche Zwischenmieter. § 185 B G B ist dagegen anwendbar, wenn der Eigen-
tümer jemand nicht den Besitz des Grundstücks überlässt, sondern ihn
lediglich beauftragt, es im eigenen Namen zu vermieten, 73 und natürlich
auch, wenn der Besitzer gegenüber dem Eigentümer kein Besitzrecht hat.
Aus dem zur Untervermietung Gesagten ergibt sich auch, dass der
Eigentümer keinen Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 B G B auf Herausgabe des
Untermietzinses hat: Weil er nicht zur Untervermietung berechtigt wäre,
kann er eine unerlaubte Untervermietung nicht durch Genehmigung ihm
gegenüber wirksam machen. 74 § 816 Abs. 1 S. 1 B G B kommt nach der hier
vertretenen Ansicht aber auch in den Anwendungsfällen des § 185 B G B nicht
als Anspruchsgrundlage in Betracht, da die Zustimmung des Berechtigten
zur Vermietung den Vertragsübergang bewirkt, so dass die an den Nicht-
berechtigten gezahlte Miete, guter Glaube des Zahlenden vorausgesetzt, nach
§§ 412, 407 B G B befreiend gezahlt und vom Empfänger nach § 816 Abs. 2
B G B an den Berechtigten herauszugeben ist. Ansprüche auf Abtretung der
Mietzinsforderung und Herausgabe eingezogenen Mietzinses aus anderen
Rechtsgrundlagen, gegen einen berechtigten Besitzer aus Vertrag, gegen
einen Nichtberechtigten aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 681, 677,
eventuell in Verbindung mit 687 Abs. 2 BGB), ungerechtfertigter Bereiche-
rung ( S S 812, 818 Abs. 1 B G B ) oder dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
(SS 987 Abs 1, 988, 990 Abs. 1 BGB), bleiben von den hier angestellten Über-
legungen unberührt.

72 So aber BGHZ 114,96ff, 100 und die bei Staudinger/Gursky aaO Rn 104 Genannten.
73 Zutreffend Staudinger/Gursky aaO Rn 103.
74 Ebenso BGHZ 131, 297ff, 305 f.

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Vermietung als Verfügung 199

VII. Ergebnisse
Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Antwort auf die Frage, ob die Vor-
schriften über Verfügungen auf die Vermietung von Grundstücken ent-
sprechend anzuwenden sind, so gegeben werden kann, dass die systemati-
schen Zusammenhänge gewahrt und die Wertungen konsistent bleiben. Im
einzelnen ergibt sich:
- Uberwiegende Gründe sprechen dafür, den Grundsatz „Übereignung
bricht nicht Miete" auch gegenüber einem vorgemerkten Erwerber anzu-
wenden (zu § 883 Abs. 2 BGB).
- Der Schutz des guten Glaubens an den Inhalt von Grundbuch und Erb-
schein sollte auch dem Mieter zugute kommen (zu §§ 893,2367 BGB), vor
allem, wenn das Eigentum des Vermieters nur wegen rückwirkender Besei-
tigung seiner Rechtsstellung fehlt. Folge dieses Schutzes ist der Vertrags-
übergang auf den wirklich Berechtigten, in den Rückwirkungsfällen vom
Zeitpunkt der Anfechtung, sonst von Anfang an. Der wirklich Berechtigte
sollte ein Kündigungsrecht entsprechend § 1056 Abs. 2 BGB haben.
- Unabhängig vom Inhalt von Grundbuch oder Erbschein wirkt die nicht ohne
Nachteil für den Nachlass aufschiebbare Vermietung durch den vorläufigen
Erben auch gegenüber dem endgültigen Erben (zu § 1959 Abs. 2 BGB).
- Soweit kein Schutz des guten Glaubens an Grundbuch oder Erbschein
besteht, begründet die Vermietung durch den Erben bei Testamentsvoll-
streckung und Nachlassverwaltung keine Nachlassverbindlichkeit und die
Vermietung durch den Gemeinschuldner keine Rechte gegenüber der
Insolvenzmasse (zu §§ 2211,1984 Abs. 2 BGB, 80 f InsO).
- Durch einstweilige Verfügung kann dem Antragsgegner und durch Seques-
trierung kann dem Vorerben die Befugnis genommen werden, Mietver-
hältnisse, sofern nicht der Mieter den Schutz des guten Glaubens an das
Grundbuch genießt, mit Wirkung gegenüber dem Antragsteller bzw. dem
Nacherben zu begründen (zu §§ 136,2129 BGB). Entsprechende Wirkung
hat die Grundstücksbeschlagnahme im Zwangsversteigerungsverfahren,
falls man § 24 ZVG Außenwirkung zuerkennt (zu § 23 Abs. 1 S. 1 ZVG).
- Der Eigentümer kann durch Zustimmung zur Vermietung, wenn der Ver-
mieter nicht ein berechtigter Besitzer ist, den Vertragsübergang auf sich
bewirken (zu § 185 BGB). Er erlangt jedoch in keinem Fall einen An-
spruch auf den Mietzins aus § 816 Abs. 1 BGB.
- Bei der Anwendung der Gutglaubensschutzvorschriften und des § 185
BGB auf die Vermietung ist eine Aufspaltung der Rechtsfolgen derart, dass
der Mieter gegenüber dem Eigentümer lediglich ein Besitzrecht erlangt
und im übrigen den Vermieter als Vertragspartner behält, abzulehnen.
Rechtsfolge ist vielmehr der Vertragsübergang vom Vermieter auf den
Eigentümer, der die Anwendbarkeit insbesondere der §§412, 407 und 816
Abs. 2 BGB nach sich zieht.

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