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Repetitorium aus Zivilrecht

Sachenrecht
Sommersemester 2021

Michael Moser
Michael.stefan.moser@univie.ac.at
Erster Teil:
Grundlagen des Sachenrechts
Literaturempfehlungen zum Sachenrecht
• Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 (2018)
• Iro/Riss, Bürgerliches Recht IV7 (2019)
• Reidinger, Bürgerliches Recht I9 (2016)

27.08.2021 Seite 3
Allgemeines zur Einführung
Wesen und Bedeutung des Sachenrechts
• Güterzuordnung

• Sachenrechte als „dingliche“ Rechte


◦ Vermittlung einer unmittelbaren Herrschaft über Sachen („Dinge“)

• Sachenrechte als „absolute“ Rechte


◦ von jedermann zu respektieren und gegenüber jedermann durchsetzbar

• zur Abgrenzung vgl Erbrecht (§ 308 ABGB aF)

27.08.2021 Seite 5
Wesen und Bedeutung des Sachenrechts
Durch dingliche Rechte vermittelte Sachherrschaft ist von jedermann zu
respektieren und kann gegenüber jedermann durchgesetzt werden.
Was ergibt sich daraus?
• Numerus clausus
• Typenzwang
◦ vgl § 308 ABGB (weitere dingliche Rechte?)
• Publizität
◦ Besitz
◦ Eintragung im GB
• Spezialität
• Kausalität
27.08.2021 Seite 6
Sachbegriff
Allgemeines: „Begriff von Sachen im rechtlichen Sinne“
§ 285 ABGB:
„Alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der
Menschen dient, wird im rechtlichen Sinne eine Sache genannt.“

§ 285a ABGB:
„Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt.
Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit
anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen.“

27.08.2021 Seite 8
§ 285 ABGB
• „was von der Person unterschieden ist“
◦ lebender Mensch und alle seine Glieder ≠ Sache
◦ feste Verbindung mit Körper
◦ Haare, Prothesen, Herzschrittmacher (nicht künstliches Gebiss)

• „zum Gebrauche der Menschen dient“


◦ Objekte, die vom Menschen aktuell beherrscht werden können
◦ freie Luft, Sonnenlicht, fließendes Wasser?
◦ str: Leichnam

27.08.2021 Seite 9
Beispiel I
Weil Andrea seit Jahren vergeblich versucht, schwanger zu werden, möchte
sie sich nun künstlich befruchten lassen. Sie sucht daher eine
Kinderwunschklinik auf, die ihr zu einer In-vitro-Fertilisation rät. Noch bevor
der Embryo in Andreas Uterus transferiert werden kann, verlangt sie den
Embryo in vitro gem § 366 ABGB heraus, weil sie die weitere Behandlung
lieber in einer anderen Klinik vornehmen lassen möchte.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 10
§ 285a ABGB
• „Tiere sind keine Sachen“
◦ programmatische, bewusstseinsbildende Funktion
◦ besonderer Schutz ergibt sich erst aus Sonderbestimmungen

• „die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit
anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen“
◦ § 1332a ABGB (Ersatz der Heilungskosten)

27.08.2021 Seite 11
Beispiel II
Adam und Eva wollen sich nach 10 Ehejahren scheiden lassen. Es entbrennt
ein erbitterter Streit, bei wem die gemeinsame Hündin Bella nach der
Scheidung leben soll.
Nach welchen Grundsätzen hat das zuständige Gericht zu entscheiden?

27.08.2021 Seite 12
Zwischenergebnis zum Sachbegriff
• ABGB: weiter Sachbegriff
◦ körperlich – unkörperlich
◦ beweglich – unbeweglich
◦ usw

• Beachte: Nicht alle Bestimmungen des Sachenrechts gelten


gleichermaßen für körperliche und unkörperliche Sachen!
◦ häufiges Abstellen auf tatsächliche Beherrschbarkeit (idR nur bei körperlichen
Sachen, daher z.B.Sonderregelungen für Forderungen gem §§ 1392 ff)

27.08.2021 Seite 13
Einteilung der „Sachen“ iSd § 285 ABGB
1. körperlich – unkörperlich
2. beweglich – unbeweglich § 291 ABGB
3. verbrauchbar – unverbrauchbar
4. schätzbar – unschätzbar
5. teilbar – unteilbar
6. öffentlich – privat
7. herrenlos – nicht-freistehend
8. einfache Sachen – Sachverbindungen

27.08.2021 Seite 14
1. Körperliche und unkörperliche Sachen
• § 292 ABGB:
„Körperliche Sachen sind diejenigen, welche in die Sinne fallen (…).“

• körperlich = in den Sinn fallend


◦ physische Wahrnehmbarkeit
◦ räumliche Abgrenzbarkeit
◦ Bsp: Tisch, Uhr, Haus, Energie (hL)

• unkörperlich = nicht in den Sinn fallend


◦ Bsp: Rechte, Dienstleistungen, Daten, Software, Kryptowährungen

27.08.2021 Seite 15
2. Bewegliche und unbewegliche Sachen
• § 293 ABGB:
„Sachen, welche ohne Verletzung ihrer Substanz von einer Stelle zur
andern versetzt werden können, sind beweglich (…). Sachen, die an sich
beweglich sind, werden im rechtlichen Sinne für unbeweglich gehalten,
wenn sie (…) das Zugehör einer unbeweglichen Sache ausmachen.“

• bewegliche Sachen = „Fahrnisse“, „Mobilien“


◦ Ortsveränderung ohne Substanzverletzung?
◦ technische Möglichkeit
• unbewegliche Sachen = „Liegenschaften“, „Immobilien“
• Bedeutung der Unterscheidung? (Modus, gutgläubiger Erwerb, Ersitzungszeit,
Verdinglichung von Rechten, Gewährleistungsfristen etc)
27.08.2021 Seite 16
2. Bewegliche und unbewegliche Sachen: Rechte
• § 298 ABGB:
„Rechte werden den beweglichen Sachen beigezählt, wenn sie nicht mit
dem Besitze einer unbeweglichen Sache verbunden, oder durch die
Landesverfassung für eine unbewegliche Sache erklärt sind.“

• Grundregel: Rechte sind beweglich


◦ auch bei Eintragung im GB
• Ausnahmen:
◦ Recht ist mit Besitz einer unbeweglichen Sache verbunden
− zB WE, Jagdrecht, Grunddienstbarkeit
◦ Recht wird vom Gesetz für unbeweglich erklärt

27.08.2021 Seite 17
Sonderfall: Superädifikate („Überbauten“)
• Bauwerke, die ohne Belassungsabsicht auf fremdem Grund errichtet
werden (vgl §§ 297 iVm 435 ABGB)

• Behandlung als bewegliche Sachen:


◦ Ersitzungszeit (§§ 1466, 1472 ABGB)
◦ gutgläubiger Erwerb von Eigentum und Pfandrecht (§§ 367, 456 ABGB)
◦ Eigentumsvorbehalt

27.08.2021 Seite 18
Sonderfall: Superädifikate („Überbauten“)
• Behandlung als unbewegliche Sachen:
◦ Gewährleistungsfrist (drei Jahre gem § 933 ABGB)
◦ Modus (Urkundenhinterlegung)
◦ Bestandverfahren/Behandlung von Mietverträgen (§ 560 ZPO, MRG)
◦ Verdinglichung von Bestandverträgen (vgl § 1095 ABGB)
◦ Wiederkaufs- und Vorkaufsrechte (§ 1070 S 3, § 1073 ABGB)
◦ Veräußerungs- und Belastungsverbote (§ 364c ABGB)
◦ vgl außerdem die Zwangsversteigerung gem §§ 133 ff EO

27.08.2021 Seite 19
3. Verbrauchbare und unverbrauchbare Sachen
• § 301 ABGB:
„Sachen, welche ohne ihre Zerstörung oder Verzehrung den gewöhnlichen
Nutzen nicht gewähren, heißen verbrauchbare (…).“

• Verbrauchbarkeit: bestimmungsgemäßer Gebrauch führt zu


Zerstörung/Verzehrung
◦ Lebensmittel, Putzmittel, Kosmetika, Brennstoffe
• bloße Abnutzung ≠ Verbrauch
• vgl Fruchtgenuss, Leihvertrag, Bestandvertrag

27.08.2021 Seite 20
8. Einfache Sachen und Sachverbindungen
Sachen

einfache Sachen Sachverbindungen

zusammengesetzte Sachen

Zubehör

Überbauten

Zuwachs/Früchte

Gesamtsachen
vgl § 294 ABGB: „Zugehör“

27.08.2021 Seite 21
8. Einfache Sachen und Sachverbindungen
• § 294 ABGB:
„Unter Zugehör versteht man dasjenige, was mit einer Sache in
fortdauernde Verbindung gesetzt wird. Dahin gehören nicht nur der
Zuwachs einer Sache (…) sondern auch die Nebensachen (…).“

• Zugehör:
◦ Zuwachs
◦ Nebensachen
− Bestandteile (vgl zusammengesetzte Sache)
− Zubehör

27.08.2021 Seite 22
Zusammengesetzte Sachen
• Hauptsache + Bestandteile
◦ selbstständige Bestandteile
◦ unselbstständige Bestandteile

• unselbstständiger Bestandteil
◦ untrennbare Verbindung
◦ sachenrechtliches Schicksal der Hauptsache

◦ selbstständiger Bestandteil
◦ Trennung tatsächlich und wirtschaftlich möglich
◦ sonderrechtsfähig
27.08.2021 Seite 23
Zubehör
• Nebensache, die Hauptsache zugeordnet ist und ihrem Gebrauch dient
• Sonderrechtsfähigkeit
◦ vgl selbstständiger Bestandteil
• Zubehöreigenschaft:
◦ Eigentümeridentität (str)
◦ Widmung zum Zweck der Hauptsache
− zum fortdauernden Gebrauch
◦ räumliches Naheverhältnis zwischen Haupt- und Nebensache

27.08.2021 Seite 24
Zubehör
Eigentümeridentität
Bsp:
• Pannendreieck/Kfz
Widmung zum Zweck der Hauptsache • Wachhund/Lagerplatz
• Rinder/Bauernhof
• Traktor/bäuerliche
Widmung zum fortdauernden Gebrauch Liegenschaft

räumliches Naheverhältnis

27.08.2021 Seite 25
Abgrenzung selbstständiger Bestandteil – Zubehör
• Gemeinsamkeiten:
◦ Sonderrechtsfähigkeit
◦ folgen iZw dem sachenrechtlichen Schicksal der Hauptsache
◦ gelten iZw als mit der Hauptsache veräußert (§ 1047 ABGB)
◦ gelten iZw als mit der Hauptsache verpfändet (§ 457 ABGB)
◦ keine gesonderte Übergabe erforderlich
• Unterschiede:
◦ Verbindung mit Hauptsache?
◦ Bestandteileigenschaft endet mit Abtrennung
− Zubehöreigenschaft endet mit Wegfall einer der Voraussetzungen

27.08.2021 Seite 26
§ 294 ABGB
unselbständige selbstständige Zubehör
Bestandteile Bestandteile
• untrennbare Verbindung • feste, aber keine • Zuordnung zur
mit Hauptsache untrennbare Verbindung Hauptsache (ohne
Bestandteil zu sein)

• Trennung ist faktisch • Trennung ist faktisch • Widmung zum Gebrauch


bzw wirtschaftlich und wirtschaftlich der Sache
unmöglich möglich

sonderrechtsunfähig sonderrechtsfähig sonderrechtsfähig

zB Fäden eines Gewebes, zB Reifen eines Kfz, Knopf zB Traktor/Liegenschaft,


Ziegel eines Hauses, Haus eines Anzugs Pannendreieck/Kfz
27.08.2021 auf Liegenschaft Seite 27
Sonderfall: Superädifikate/Überbauten
• § 435 ABGB
„Bauwerke, die auf fremdem Grund in der Absicht aufgeführt sind, dass sie
nicht stets darauf bleiben sollen“

• rechtlich selbstständige Bauwerke


• Sonderrechtsfähigkeit trotz fester Verbindung mit Boden
◦ Ausnahme von superficies solo cedit

27.08.2021 Seite 28
Sonderfall: Superädifikate/Überbauten

1.) Bauwerk

2.) auf fremdem Grund (str)

3.) feste Verbindung mit Boden

4.) ohne Belassungsabsicht

27.08.2021 Seite 29
Fehlende Belassungsabsicht
• ≠ Entfernungsabsicht
• muss schon bei Beginn der Bauführung objektiv in Erscheinung treten
◦ zB labile Bauweise oder befristetes Grundbenützungsverhältnis
• bei Belassungsabsicht wird Bauwerk unselbstständiger Bestandteil der
Liegenschaft
◦ superficies solo cedit
◦ keine Sonderrechtsfähigkeit
• nachträgliche Willensänderung schadet nicht

27.08.2021 Seite 30
Beispiel III

27.08.2021 Seite 31
Beispiel IV

27.08.2021 Seite 32
Sonderfall: Kellereigentum
• Vgl § 300 ABGB; Ausnahme von superficies solo cedit!

• Voraussetzungen:
• Raum oder Bauwerk unter der Erdoberfläche
• Bauwerk darf nicht über die Erdoberfläche hinausragen (ausgenommen
Hilfseinrichtungen)
• Raum oder Bauwerk darf nicht der Fundierung dienen und keine bauliche
Einheit darstellen
• Eigentümerverschiedenheit!
• Bsp: Keller, Tiefgaragen, Stollen etc

27.08.2021 Seite 33
Sonderfall: Maschineneigentum
• § 297a ABGB:
„Werden mit einer unbeweglichen Sache Maschinen in Verbindung
gebracht, so gelten sie nicht als Zugehör, wenn mit Zustimmung des
Eigentümers der Liegenschaft im öffentlichen Buch angemerkt wird, dass
die Maschinen Eigentum eines anderen sind. (…) Die Anmerkung verliert
mit Ablauf von fünf Jahren nach der Eintragung ihre Wirkung (…).“

Fazit: Maschinen gelten nur dann nicht als Zugehör, wenn im GB angemerkt wird,
dass sie nicht dem Liegenschaftseigentümer gehören!

27.08.2021 Seite 34
Sonderfall: Maschinen
• Hintergrund:
◦ Kreditgewährung
◦ Verpfändung der Liegenschaft
◦ Maschinen als Teil des Haftungsfonds?
◦ Eigentum an Liegenschaft und Maschinen kann auseinanderfallen

• Bedeutung des § 297a ABGB:


◦ Schutz des gutgläubigen Dritten (Gutglaubenserwerb!)
◦ ohne Anmerkung im GB wird Maschine gegenüber Hypothekargläubiger als
Zugehör der Liegenschaft behandelt
− Maschine gilt als mitverpfändet; allerdings nur solange sie Nebensache bleibt!

27.08.2021 Seite 35
Sonderfall: Maschinen
Maschine Bsp:
• Verbindung mit unbeweglicher Sache Generator, Kühlanlage,
• Eigentum eines anderen Zentralheizung,
• Zubehör-Eigenschaft Kegelstellautomat

keine Behandlung als Zubehör Behandlung als Zubehör

Achtung: Anmerkung wirkt nur für 5 Jahre!

27.08.2021 Seite 36
Sonderfall: Maschinen
• Streitfragen
• Maschine unselbständiger Bestandteil?
• Schutz nur beim Verkauf unter EV? (Leasingnehmer, Bestandnehmer etc?)
• Nur Hypothekargläubiger geschützt?

27.08.2021 Seite 37
Früchte
• Zur Erinnerung: § 294 ABGB
„Unter Zugehör versteht man dasjenige, was mit einer Sache in
fortdauernde Verbindung gesetzt wird. Dahin gehören nicht nur der
Zuwachs einer Sache, so lange er von derselben nicht abgesondert ist,
sondern auch die Nebensachen (…).“

• Nebensachen: Zubehör, Bestandteile

• Zuwachs?

27.08.2021 Seite 38
Früchte
• Künstlicher Zuwachs
◦ zB durch Verarbeitung oder Vereinigung

• Natürlicher Zuwachs
◦ va Früchte (§§ 295, 404 ff ABGB)
◦ natürliche Früchte
◦ zivile Früchte

27.08.2021 Seite 39
Früchte

natürliche Früchte zivile Früchte

• alles, was eine Sache an • Erträgnisse, die aus einer


Erzeugnissen hervorbringt Sache aufgrund eines
• Bsp: Rechtsverhältnisses gezogen
• Äpfel – Baum werden
• Milch – Kuh • Bsp:
• Kalb – Kuh • Mietzins
• Bäume - Grundstück • Pachtzins
• Kreditzinsen

27.08.2021 Seite 40
Gesamtsache
• § 302 ABGB:
„Ein Inbegriff von mehreren besonderen Sachen, die als eine Sache
angesehen, und mit einem gemeinschaftlichen Namen bezeichnet zu
werden pflegen, macht eine Gesamtsache aus, und wird als ein Ganzes
betrachtet.“

• Zusammenfassung gleichgeordneter Sachen mit eigenem Wert


• Liegt nach Verkehrsauffassung einheitliche Sache vor?
• Einzelsachen behalten rechtliche Selbstständigkeit
• Bsp: Bibliothek, Münzsammlung, Warenlager, Unternehmen, Vermögen
• vgl Spezialititäsgrundsatz
27.08.2021 Seite 41
Beispiel V
Der Tischler Viktor ist bereits im pensionsfähigen Alter und möchte daher
seinen Tischlereibetrieb übergeben. Zu diesem gehört unter anderem eine
Betriebsliegenschaft und ein Warenlager. Karl, ebenfalls Tischler, macht
ihm ein großzügiges Angebot, das Viktor sofort annimmt.

Wie hat die Übergabe zu erfolgen?

27.08.2021 Seite 42
Besitz
Was ist Besitz überhaupt?
Besitz

corpus animus
(Gewahrsame/Ausübung) (Besitzwille)

Vgl § 309 ABGB:


„Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, heißt ihr Inhaber.
Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so
ist er ihr Besitzer.“

27.08.2021 Seite 44
Corpus
• Innehabung, Gewahrsame, Ausübung
• äußere Seite des Besitzes
◦ äußere Erscheinung der Herrschaft über Sache
• Beurteilungsmaßstab: Verkehrsauffassung
• hL: „Detentionswille“ erforderlich
◦ auf Faktum der Sachherrschaft gerichtet
◦ = Wille, Gewahrsame auszuüben
◦ Sonderfall Rechtsbesitz

27.08.2021 Seite 45
Animus rem sibi habendi
• Besitzwille
◦ Wille, die Sache als eigene innezuhaben
• innere Seite des Besitzes
◦ bloß interner Vorgang?
• keine Frage der Berechtigung
• kein rechtsgeschäftlicher, sondern natürlicher Vorgang
• § 310 ABGB:
„Kinder unter sieben Jahren sowie nicht entscheidungsfähige Personen
können – außer in den Fällen des § 170 Abs. 3, § 242 Abs. 3 und § 865 Abs.
2 – Besitz nur durch ihren gesetzlichen Vertreter erwerben. Im übrigen ist
die Fähigkeit zum selbständigen Besitzerwerb gegeben.“
27.08.2021 Seite 46
Was kann Gegenstand des Besitzes sein?
• § 311 ABGB:
„Alle körperliche und unkörperliche Sachen, welche ein Gegenstand des
rechtlichen Verkehres sind, können in Besitz genommen werden.“

• weiter Sachbegriff des § 285 ABGB


◦ Sachbesitz
◦ Rechtsbesitz
◦ Buchbesitz

27.08.2021 Seite 47
Sachbesitz – Rechtsbesitz – Buchbesitz
• Sachbesitz
◦ Innehabung einer körperlichen Sache mit dem Willen, sie als die seinige zu
behalten

• Rechtsbesitz
◦ Ausübung eines Rechts mit dem Willen, es als das seinige zu haben
◦ nur bei Rechten, die einer dauernden Ausübung zugänglich sind
◦ Nur besitzfähige Rechte
◦ Ausübung des Rechts im eigenen Namen als corpus
◦ hL: nur bei Innehabung einer körperlichen Sache

• Buchbesitz
◦ Entstehung mit Eintragung im GB
27.08.2021 Seite 48
Qualifikationen des Besitzes
„rechtlicher Besitz“/„dreifach qualifizierter Besitz“/“Ersitzungsbesitz“

rechtmäßig redlich echt

27.08.2021 Seite 49
Rechtmäßiger Besitz
• § 316 ABGB:
„Der Besitz einer Sache heißt rechtmäßig, wenn er auf einem gültigen
Titel, das ist, auf einem zur Erwerbung tauglichen Rechtsgrunde beruht.“

• Titel:
◦ Rechtsgeschäft
◦ richterlicher Ausspruch
◦ Gesetz
• Titel muss nicht mit Berechtigtem, sondern mit Vormann bestehen

27.08.2021 Seite 50
Beispiel VI
Wer ist rechtmäßiger Sachbesitzer?

1. Käufer (Kaufvertrag)
2. Beschenkter (Schenkungsvertrag)
3. Mieter (Mietvertrag)
4. Darlehensnehmer (Darlehensvertrag)

27.08.2021 Seite 51
Beispiel VI
Wer ist rechtmäßiger Sachbesitzer?

1. Käufer (Kaufvertrag) ✓
2. Beschenkter (Schenkungsvertrag) ✓
3. Mieter (Mietvertrag)
4. Darlehensnehmer (Darlehensvertrag) ✓

27.08.2021 Seite 52
Beispiel VII
Wer ist rechtmäßiger Rechtsbesitzer?

1. Mieter (Mietvertrag)
2. Käufer (Kaufvertrag unter Eigentumsvorbehalt)
3. Faustpfandgläubiger (Pfandvertrag)
4. Verpächter (Pachtvertrag)

27.08.2021 Seite 53
Beispiel VII
Wer ist rechtmäßiger Rechtsbesitzer?

1. Mieter (Mietvertrag) ✓
2. Käufer (Kaufvertrag unter Eigentumsvorbehalt) ✓
3. Faustpfandgläubiger (Pfandvertrag) ✓
4. Verpächter (Pachtvertrag)

27.08.2021 Seite 54
Redlicher Besitz
• § 326 ABGB:
„Wer aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für die
seinige hält, ist ein redlicher Besitzer. Ein unredlicher Besitzer, ist
derjenige, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten muss, dass
die in seinem Besitze befindliche Sache einem Andern zugehöre.“

• Gegenstand der Redlichkeit: Rechtmäßigkeit des eigenen Besitzes


• hL: bereits leichte Fahrlässigkeit schadet
• Zurechnung?
◦ Gehilfen, Machthaber, gesetzlicher Vertreter
• Vermutung der Redlichkeit gem § 328 ABGB
27.08.2021 Seite 55
Echter Besitz
• § 345 ABGB:
„Wenn sich jemand in den Besitz eindringt, oder durch List oder Bitte
heimlich einschleicht, und das, was man ihm aus Gefälligkeit, ohne sich
einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen gestattet, in ein
fortwährendes Recht zu verwandeln sucht; so wird der (…) Besitz (…)
unecht.“

• Frage der Besitzerlangung


• Gewalt, List, Heimlichkeit, Prekarium

27.08.2021 Seite 56
Besitzerwerb
Besitzerwerb
Besitzerwerb

corpus animus
(Gewahrsame/Ausübung) (Besitzwille)

27.08.2021 Seite 58
Arten des Besitzerwerbs
Besitzerwerb

unmittelbar mittelbar

einseitig einseitig zweiseitig

27.08.2021 Seite 59
Besitzerwerb durch Hilfspersonen
• Heranziehung von Hilfspersonen möglich
• Besitzdiener
◦ vom Erwerber sozial/familiär abhängige Person
◦ Angestellter, Familienangehörige usw
• Besitzmittler
◦ vom Erwerber unabhängige Person
◦ Innehabung aufgrund eines Rechtsverhältnisses
◦ Mieter, Verwahrer, Entlehner, Pächter usw

27.08.2021 Seite 60
Besitzerwerb durch Hilfspersonen
Besitzerwerb

corpus animus

• Hilfsperson stellt corpus • Hilfsperson bildet animus


her für Erwerber
• Hilfsperson = unmittelbarer • rechtsgeschäftsähnliche
Inhaber Handlung
• Hilfsperson will • sinngemäße Anwendung
Gewahrsame für Erwerber der Stellvertretung/der
ausüben Botenschaft
• Erwerber = mittelbarer
Inhaber

27.08.2021 Seite 61
Übergabsarten
1. Körperliche Übergabe
2. Übergabe durch Zeichen
3. Übergabe durch Erklärung
4. Besitzanweisung
5. Versendung

27.08.2021 Seite 62
Körperliche Übergabe
• § 426 ABGB:
„Bewegliche Sachen können in der Regel nur durch körperliche Übergabe
von Hand zu Hand an einen andern übertragen werden.“

• Ideal- und Grundfall


• Überlassung der unmittelbaren Gewahrsame durch Übergeber
◦ willentliches Zutun (Zustimmung)
• Herstellung eines ausreichenden Naheverhältnisses
◦ Verkehrsauffassung

27.08.2021 Seite 63
Übergabe durch Zeichen
• § 427 ABGB:
„Bei solchen beweglichen Sachen aber, welche ihrer Beschaffenheit nach
keine körperliche Übergabe zulassen, (…) gestattet das Gesetz die
Übergabe durch Zeichen.“

• subsidiär gegenüber § 426 ABGB


◦ Körperliche Übergabe unmöglich oder untunlich?
◦ vgl Frachtgüter, Warenlager, Gesamtsache
• Zeichen?
◦ Urkunden, Werkzeuge und Merkmale
◦ alle Akte, die jedem Interessierten die Überlassung deutlich machen

27.08.2021 Seite 64
Beispiel VIII
Viktor möchte seinen alten VW Golf verkaufen. Er vereinbart ein Treffen mit
dem Kaufinteressenten Karl in einem Wiener Kaffeehaus. Karl macht ein
Angebot, das Viktors Vorstellungen weit übertrifft. Um den Deal so schnell
wie möglich über die Bühne zu bringen, überreicht Viktor dem Karl sogleich
die Fahrzeugpapiere. Das Auto gehöre nun ihm.

Ist die Übergabe wirksam?

27.08.2021 Seite 65
Übergabe durch Erklärung
• § 428 ABGB:
„Durch Erklärung wird die Sache übergeben, wenn der Veräußerer auf eine
erweisliche Art seinen Willen an den Tag legt, dass er die Sache künftig im
Namen des Übernehmers inne habe; oder, dass der Übernehmer die
Sache, welche er bisher ohne ein dingliches Recht inne hatte, künftig aus
einem dinglichen Rechte besitzen solle.“

• Besitzkonstitut, Übergabe kurzer Hand


• keine Veränderung der äußeren Verhältnisse
• keine Subsidiarität gegenüber § 426 ABGB

27.08.2021 Seite 66
Übergabe durch Erklärung
• Besitzkonstitut (constitutum possessorium)
◦ bisheriger Besitzer soll Sache ab jetzt für Erwerber innehaben
◦ Besitzer wird bloßer Inhaber
◦ Erwerber wird Sachbesitzer
◦ keine Gewahrsamsänderung
◦ Detentionsgrund?

• Übergabe kurzer Hand (traditio brevi manu)


◦ Sache befindet sich bereits beim Erwerber
◦ Erwerber war bisher bloßer Sachinhaber und wird nun Besitzer
◦ keine Gewahrsamsänderung
◦ unnötiges körperliches Verschieben wird verhindert
27.08.2021 Seite 67
Besitzanweisung
• nicht im ABGB geregelt
• Sache befindet sich bei Drittem
◦ dh weder Veräußerer noch Erwerber haben Gewahrsame
• Dritter wird angewiesen, Sache nun für Erwerber innezuhaben
• Rechtsgrundlage?
◦ § 428 analog (Rsp)
◦ § 427 ABGB (jüngere L)
• Str: Einverständnis des Dritten erforderlich?

27.08.2021 Seite 68
Zusammenfassung: Besitzkonstitut
Vor Übergabe

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Sache

Besitzer

27.08.2021 Seite 69
Zusammenfassung: Besitzkonstitut
Nach Übergabe

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Sache

Inhaber Besitzer

27.08.2021 Seite 70
Zusammenfassung: Übergabe kurzer Hand
Vor Übergabe

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Sache

Besitzer Inhaber

27.08.2021 Seite 71
Zusammenfassung: Übergabe kurzer Hand
Nach Übergabe

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Sache

Besitzer

27.08.2021 Seite 72
Zusammenfassung: Besitzanweisung Dritter
Sache
Vor Übergabe
Inhaber

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Besitzer

27.08.2021 Seite 73
Zusammenfassung: Besitzanweisung Dritter
Sache
Nach Übergabe
Inhaber

Kaufvertrag
Veräußerer Erwerber

Besitzer

27.08.2021 Seite 74
Übergabe durch Versendung
• Sache wird vom Veräußerer an den Erwerber versendet
• Frage: Wann erfolgt die Übergabe im rechtlichen Sinn?
• Versendung ist grds kein Sonderfall der Übergabe
◦ körperliche Übergabe (vgl § 426 ABGB)
◦ Übergabe mit Aushändigung an Erwerber?

• § 429 ABGB schafft Sonderregel

27.08.2021 Seite 75
Übergabe durch Versendung
• § 429 ABGB:
„Wenn die Sache mit Willen des Übernehmers an einen anderen Ort als
den Erfüllungsort übersendet wird, ist die Sache bereits mit ihrer
Aushändigung an eine mit der Übersendung betraute Person übergeben,
sofern die Art der Übersendung der getroffenen Vereinbarung, mangels
einer solchen der Verkehrsübung entspricht.“

• Grundregel: Übergabe erfolgt bereits mit Aushändigung an Transporteur


• Anwendungsbereich: Schickschuld vereinbart
• greift § 429 ABGB nicht, erfolgt Übergabe erst mit Ablieferung an Erwerber
◦ § 426 ABGB!

27.08.2021 Seite 76
Übergabe durch Versendung
• § 7b KSchG:
„Wenn der Unternehmer die Ware übersendet, geht die Gefahr (…) erst auf den
Verbraucher über, sobald die Ware an den Verbraucher oder an einen von diesem
bestimmten (…) Dritten abgeliefert wird. Hat aber der Verbraucher selbst den
Beförderungsvertrag geschlossen, ohne dabei eine vom Unternehmer
vorgeschlagene Auswahlmöglichkeit zu nützen, so geht die Gefahr bereits mit der
Aushändigung der Ware an den Beförderer über.“

• Grundregel: Übergabe an Verbraucher soll erst mit Aushändigung an ihn erfolgen


◦ vgl § 426 ABGB
• allgemeine Regel des § 429 ABGB greift nur, wenn Verbraucher
Beförderungsvertrag selbst geschlossen hat, ohne dabei Auswahlmöglichkeit des
Unternehmers zu nutzen
27.08.2021 Seite 77
Besitzschutz
Arten des Besitzschutzes
1. Selbsthilfe (§ 344 ABGB)
2. Besitzstörungsverfahren (§§ 339 ff ABGB, §§ 454 ff ZPO)
3. actio publiciana (§ 372 ABGB)

27.08.2021 Seite 79
2. Besitzstörungsverfahren
• § 339 ABGB:
„Der Besitz mag von was immer für einer Beschaffenheit sein, so ist
niemand befugt, denselben eigenmächtig zu stören. Der Gestörte hat das
Recht, die Untersagung des Eingriffes, und den Ersatz des erweislichen
Schadens gerichtlich zu fordern.“

• Schutz von Sach- und Rechtsbesitzer


• Schutz vor eigenmächtiger Störung
• rasches Verfahren

27.08.2021 Seite 80
2. Besitzstörungsverfahren: Voraussetzungen

1. Besitz des Klägers vor der Verletzung

2. Besitzverletzung (Störung/Entziehung) durch den Beklagten

3. Eigenmacht

27.08.2021 Seite 81
2. Besitzstörungsverfahren
• Besitzverletzung
◦ Störung/Entziehung
◦ muss von menschlicher Handlung ausgehen
◦ Veränderung der tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse
− bloße Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands?

• Störer
◦ unmittelbarer – mittelbarer Störer
◦ Rsp: Hätte derjenige Abhilfe verschaffen können?
◦ solidarische Haftung mehrerer Störer

27.08.2021 Seite 82
2. Besitzstörungsverfahren
• Eigenmacht
◦ Legitimation durch Gesetz, Richterspruch, Einwilligung
◦ ≠ Verschulden

• Fristen
◦ Einbringen der Klage binnen 30 Tagen
◦ ZP: ab Kenntnis von Störung und Störer
− Erkundigungsobliegenheit
◦ materiell-rechtliche Ausschlussfrist

27.08.2021 Seite 83
2. Besitzstörungsverfahren
• Was wird erörtert?
◦ letzter Besitzstand vor Störung
◦ Verletzung des Besitzstandes
◦ uU: Echtheit des Besitzes

• Worauf ist Verfahren gerichtet?


◦ Wiederherstellung des vorigen Zustands
◦ Untersagung künftiger Störungen
◦ KEIN Schadenersatz
− § 339 ABGB vs § 457 ZPO

27.08.2021 Seite 84
2. Besitzstörungsverfahren: Beispiele
• Parken eines Kfz, sodass Wegfahren eines anderen Kfz verhindert wird
• Mieter nimmt eigenmächtig wesentliche Veränderungen am Objekt vor
• Versperren der Haustüre durch Ehegatten
• Verstecken von Küchengeräten im Schlafzimmerkasten
• Benützung des Ehebetts durch Ehebrecher
• Schwenken eines Krans im Luftraum

• Rechtsbesitz: Nichterbringung der bisher erbrachten Leistung trotz


Einforderung

27.08.2021 Seite 85
3. Actio Publiciana
• § 372 ABGB:
„Wenn der Kläger mit dem Beweise des erworbenen Eigentumes einer ihm
vorenthaltenen Sache zwar nicht ausreicht, aber den gültigen Titel, und die echte
Art, wodurch er zu ihrem Besitze gelangt ist, dargetan hat; so wird er doch in
Rücksicht eines jeden Besitzers, der keinen, oder nur einen schwächeren Titel
seines Besitzes anzugeben vermag, für den wahren Eigentümer gehalten.“

• rechtmäßiger, redlicher und echter Besitz


• Vorteil: schwieriger Beweis des Vollrechts kann unterbleiben
◦ vgl § 366 ABGB
• Schutz des relativ besseren Rechts zum Besitz (§§ 373, 374 ABGB)
• § 523 ABGB (actio negatoria)

27.08.2021 Seite 86
Eigentum
Beschränkungen des dinglichen Vollrechts
• Bauordnung, Enteignung, Naturschutz, Grundverkehr usw
• Rechte anderer (zB Dienstbarkeiten)
• allgemeines Rücksichtnahmegebot
• Nachbarrecht

27.08.2021 Seite 88
Nachbarrecht
§ 364 ABGB
(1) Überhaupt findet die Ausübung des Eigentumsrechtes nur insofern statt,
als dadurch weder in die Rechte eines Dritten ein Eingriff geschieht, noch
die in den Gesetzen zur Erhaltung und Beförderung des allgemeinen
Wohles vorgeschriebenen Einschränkungen übertreten werden. Im
Besonderen haben die Eigentümer benachbarter Grundstücke bei der
Ausübung ihrer Rechte aufeinander Rücksicht zu nehmen.

Satz 1: Allgemeines Rücksichtnahmegebot


Satz 2: Einleitung zum Nachbarrecht

27.08.2021 Seite 89
Nachbarrecht
(2) Der Eigentümer eines Grundstückes kann dem Nachbarn die von dessen
Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme,
Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie
das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und
die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen.
Unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen
Umständen unzulässig.

27.08.2021 Seite 90
Nachbarrecht
(3) Ebenso kann der Grundstückseigentümer einem Nachbarn die von
dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch
den Entzug von Licht oder Luft insoweit untersagen, als diese das Maß des
Abs. 2 überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der
Benutzung des Grundstücks führen. (…)

27.08.2021 Seite 91
Einwirkungen
• unmittelbare Zuleitungen
• Immissionen
◦ § 364 Abs 2 ABGB
◦ mittelbare Einwirkungen
◦ zB Abwasser, Rauch, Gas, Geruch, Strahlung, Ungeziefer,
Lichtreflexionen, Taubenkot
• negative Immissionen
◦ § 364 Abs 3 ABGB
◦ Entzug von Licht oder Luft, der von Bäumen oder Pflanzen ausgeht
◦ zB unzureichendes Tageslicht in Wohnräumen, Vermoosung

27.08.2021 Seite 92
Unzulässige Immissionen gem § 364 Abs 2 S 1 ABGB

Überschreitung des nach den örtlichen


Verhältnissen gewöhnlichen Maßes

wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen


Benutzung des Grundstücks

Beachte: Unmittelbare Zuleitungen sind nie zulässig!

27.08.2021 Seite 93
Unzulässige negative Immissionen gem § 364 Abs 3

Überschreitung des nach den örtlichen


Verhältnissen gewöhnlichen Maßes

unzumutbare Beeinträchtigung der Benutzung


des Grundstücks

Außerdem: Klage kann nur eingebracht werden, wenn Einigungsversuch gescheitert ist (3 M)

27.08.2021 Seite 94
Begriffsdefinitionen
• „örtliche Verhältnisse“
◦ Ort ≠ politische Gemeinde
◦ unmittelbare Umgebung der Liegenschaft
− eigenständige Charakteristik durch gleiche Lebens- und Umweltbedingungen
• „Ortsüblichkeit“
◦ Gehen von einer größeren Anzahl von Grundstücken Beeinträchtigungen dieser
Art aus?
◦ kann sich durch langdauernde Duldung verändern
• „wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung“
◦ nicht bloß unbedeutende Erschwerung der Nutzung
◦ Maßstab: verständiger Durchschnittsmensch
◦ Dauer, Intensität, Wiederkehr
27.08.2021 Seite 95
Übersicht
Einwirkungen auf benachbartes Grundstück

unmittelbare Zuleitungen Immissionen (Abs 2) negative Immissionen (Abs 3)

immer unzulässig Unzulässigkeit: Unzulässigkeit:


• Überschreitung des nach • Überschreitung des nach
§ 523 ABGB örtlichen Verhältnissen örtlichen Verhältnissen
gewöhnlichen Maßes gewöhnlichen Maßes
• wesentliche Beeinträchtigung • unzumutbare
der ortsüblichen Benutzung Beeinträchtigung der
Benutzung

§ 364 Abs 2 ABGB § 364 Abs 3 ABGB

27.08.2021 Seite 96
Ansprüche des gestörten Nachbarn

Ansprüche gem § 364 ABGB

verschuldensunabhängig verschuldensabhängig

• Unterlassungsanspruch • Schadenersatzanspruch
• Beseitigungsanspruch

27.08.2021 Seite 97
Aktivlegitimation
• „Nachbar“
◦ Eigentümer der benachbarten Liegenschaft (auch Mit- und
Wohnungseigentümer)
◦ derjenige, der im Einflussbereich der Liegenschaft ein Grundstück hat
• Gesetzeswortlaut: Eigentümer
• hL:
◦ sonstiger dinglich Berechtigter mit Nutzungsinteresse
◦ obligatorisch Berechtigter mit Rechtsbesitz

27.08.2021 Seite 98
Passivlegitimation
• Eigentümer der Liegenschaft
◦ Herbeiführung der Störung
◦ Duldung der Störung oder Bestehen eines Rechtsverhältnisses zum
Störer
• Dritter, der Störung verursacht und Grundstück für seine Zwecke nutzt

27.08.2021 Seite 99
Behördlich genehmigte Anlagen
• § 364a ABGB
„Wird jedoch die Beeinträchtigung durch eine Bergwerksanlage oder eine
behördlich genehmigte Anlage auf dem nachbarlichen Grund in einer
dieses Maß überschreitenden Weise verursacht, so ist der Grundbesitzer
nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich zu
verlangen (…).“

• Duldung der Immissionen, aber verschuldensunabhängiger


Ersatzanspruch
• Maßgeblich: Umfang der Genehmigung
• vgl §§ 74 f GewO

27.08.2021 Seite 100


Grundstücksvertiefung
• § 364b ABGB
„Ein Grundstück darf nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden oder
das Gebäude des Nachbars die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, daß
der Besitzer des Grundstückes für eine genügende anderweitige
Befestigung Vorsorge trifft.“
• Rechtsfolgen ident zu § 364 Abs 2 ABGB; bei Vorhersehbarkeit auch
Schadenersatz
• Gefährdungshaftung nach § 364a ABGB analog möglich
• Aktiv- und Passivlegitimation wie bei § 364 Abs 2 ABGB
• Kein Anspruch gegen Bauunternehmer!

27.08.2021 Seite 101


Veräußerungs- und Belastungsverbot
• § 364c ABGB
• Rechtsgeschäftliche, richterliche und gesetzliche Veräußerungs- und
Belastungsverbote
• Umfang: kann rechtsgeschäftlich ausgestaltet werden; iZw beinhaltet ein
Veräußerungsverbot auch ein Belastungsverbot (Umgehungsmöglichkeit)
• Grds nur schuldrechtliche Wirkung (verbotswidrige Verfügung
sachenrechtlich wirksam  Schadenersatz!)
• Ausnahme:
◦ Innerhalb des Familienkreis des § 364c ABGB und
◦ Einverleibung ins Grundbuch (nur bei unbeweglichen Sachen)

27.08.2021 Seite 102


Veräußerungs- und Belastungsverbot
• Bei absolut wirkendem Verbot: Verpflichtungsgeschäft bleibt wirksam,
aber Grundbuchsperre (außer Zustimmung des Berechtigten liegt vor)!
Gilt auch für exekutive Verwertung; nachträgliche Verbücherung möglich
• Ausnahmen: Entstehung von Rechten kraft Gesetz; außerbücherlicher
Erwerb von Rechten; Rechte die sich auf frühere Rechte beziehen;
Solidarhaftung uam……..
• Bindet nur den ersten Verpflichteten und nach hA ist Berechtigtenstellung
unvererblich
• Nach hA weder pfändbar noch übertragbar, außerdem kein dingliches
Recht
• Vgl auch Besitznachfolge- und Heimfallsrechte

27.08.2021 Seite 103


Miteigentum
Allgemeines
• §§ 825 ff ABGB, § 361 ABGB
• Eigentumsrecht ist unter Miteigentümern aufgeteilt
◦ „Miteigentum nach Quoten“
• Grundlage: Vertrag, Gesetz, Richterspruch, letztwillige Verfügung
• Miteigentümer bilden Miteigentümergemeinschaft
◦ keine eigene Rechtspersönlichkeit

27.08.2021 Seite 105


Rechte der Miteigentümer
1. Rechte an gemeinsamer Sache
2. Rechte bezüglich des Anteils
3. Verwaltungsrechte
4. Aufhebungsanspruch

27.08.2021 Seite 106


1. Rechte an der gemeinsamen Sache
• gemeinsame Verfügungen über gemeinschaftliche Sache
• jeder Miteigentümer hat Ansprüche gem §§ 339 ff, 366 und 523 ABGB
◦ gegen Dritte (Wahrung des Rechts der anderen Miteigentümer)
◦ gegen andere Miteigentümer
• Gebrauch der Sache
◦ Unbeschränkte Gebrauchsmöglichkeit?
◦ Benützungsregelung

27.08.2021 Seite 107


2. Rechte bezüglich des Anteils
• § 829 Satz 1 ABGB
• jeder Miteigentümer kann über eigenen Anteil frei verfügen
◦ Veräußerung
◦ Verpfändung
◦ Fruchtgenuss

27.08.2021 Seite 108


3. Verwaltungsrechte
• Entscheidungen über Nutzung sowie Erhaltung/Verbesserung der Sache
• Verwaltung als Recht aller Miteigentümer
• Differenzierung:
◦ ordentliche Verwaltung
◦ außerordentliche Verwaltung

27.08.2021 Seite 109


Ordentliche Verwaltung
• § 833 ABGB
• „ordentliche Verwaltung“
◦ zur Erhaltung und zum Betrieb notwendig oder zweckmäßig
◦ im Interesse aller Teilhaber
◦ keine besonderen Kosten
• Beschlussfassung: Mehrheitsentscheidung
◦ Gewichtung nach Anteilen
• keine Anfechtungsmöglichkeit
• Stimmgleichheit: Außerstreitrichter

27.08.2021 Seite 110


Außerordentliche Verwaltung
• § 834 ABGB
• „wichtige Veränderungen“
◦ mit höheren Kosten verbunden
◦ nicht im klaren Interesse aller Teilhaber
• Beschlussfassung: Einstimmigkeit
◦ sonst: §§ 834 f ABGB
◦ Mehrheit kann Durchführung verlangen
◦ Überstimmte: Sicherstellung für Schäden
◦ Austritt der Überstimmten? Unzeit?
◦ Entscheidung durch Los, Schiedsrichter oder Außerstreitrichter

27.08.2021 Seite 111


Verwaltungsrechte
Verwaltung

ordentliche Verwaltung außerordentliche Verwaltung

• § 833 ABGB • § 834 ABGB


• Mehrheitsentscheidung • Einstimmigkeit
oder
• Regeln der § 834 f ABGB

27.08.2021 Seite 112


Vertretung
Vertretung

ordentliche Verwaltung außerordentliche Verwaltung

Mehrheit Verwalter alle Miteigentümer

27.08.2021 Seite 113


Verwalter
• § 836 ABGB
• Alternative zur Verwaltung durch alle Miteigentümer
• Soll überhaupt Verwalter bestellt werden?
◦ außerordentliche Verwaltung
• Wer soll als Verwalter werden?
◦ ordentliche Verwaltung
• Machthaber aller Miteigentümer
• Befugnisse: Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung
• Weisungsgebundenheit

27.08.2021 Seite 114


4. Aufhebungsanspruch
• jeder Miteigentümer kann Aufhebung der Gemeinschaft verlangen
◦ Einverständnis aller Miteigentümer
◦ Teilungsklage gem § 830 ABGB
• Realteilung
◦ subsidiär: Zivilteilung
• Ausnahmen:
◦ Unzeit
◦ Nachteil der übrigen Teilhaber
• Teilungsverzicht möglich
◦ vgl aber Teilung aus wichtigem Grund

27.08.2021 Seite 115


Grenzbaum und Baum an der Grenze
• Grenzbaum ≠ Baum an der Grenze
• Ort der Wurzeln und Äste irrelevant für Eigentumsverhältnisse
• Selbsthilferecht nach § 422 ABGB; beachte jedoch sonstige (insbes
verwaltungsrechtliche) Vorschriften
• Kosten der Selbsthilfe müssen grds selbst getragen werden (Ausnahme
drohender oder eingetretener Schaden)
• Überhang, aber kein Überfallsrecht!

27.08.2021 Seite 116


Strittige Grundstücksgrenzen
• Unterscheide Grenzerneuerung/Grenzberichtigung (§§ 850 ff ABGB)
• Grenzberichtigung grds Außerstreitverfahren, aber auch (streitiger)
Prozessweg (s § 851 ABGB)
• Bei erfolglosem streitigen Prozess gilt die im Außerstreitverfahren
festgestellte Grenze
• Beachte: Zuständigkeit der Vermessungsbehörde (s VermG) bei
Grenzstreitigkeiten iZm Grundstücken im Grenzkataster
• Keine Anwendbarkeit der § 850 ff (vgl § 853a ABGB)

27.08.2021 Seite 117


Wohnungseigentum
Allgemeines
• § 2 Abs 1 WEG
„Wohnungseigentum ist das dem Miteigentümer einer Liegenschaft (…)
eingeräumte dingliche Recht, ein Wohnungseigentumsobjekt
ausschließlich zu nutzen.“

• Miteigentum an Liegenschaft
• ausschließliches Nutzungs- und Verfügungsrecht an Wohnung
• kein real geteiltes Eigentum

27.08.2021 Seite 119


Begründung
• § 3 Abs 1 WEG:
◦ Wohnungseigentumsvertrag (schriftlich)
◦ gerichtliche Entscheidung
− §§ 81 ff EheG, § 830 ABGB
• Eintragung im GB
◦ vgl Wohnungseigentumsbewerber

27.08.2021 Seite 120


Begründung
• wohnungseigentumstaugliches Objekt (§ 2 Abs 2 WEG)
◦ Wohnungen
◦ sonstige selbstständige Räumlichkeiten
◦ Kfz-Abstellplätze

• Zubehör-Objekte (§ 2 Abs 3 WEG)


◦ keine selbstständigen Gebäudeteile/Kfz-Abstellplätze
◦ mit WE-Objekt baulich nicht verbundene Teile der Liegenschaft
◦ ohne Inanspruchnahme anderer WE-Objekte zugänglich
◦ zB Keller, Dachböden, Hausgärten, Lagerplätze
◦ WE nur iZm wohnungseigentumstauglichen Objekten
27.08.2021 Seite 121
Nutzwert
• § 2 Abs 8 WEG
• muss bei Begründung für jedes WE-Objekt festgesetzt werden
• ≠ Verkehrswert
• Was ist der Nutzwert?
◦ Maßzahl, mit der Wert eines WE-Objekts in Verhältnis zu anderen WE-
Objekten gesetzt wird
• Woraus ergibt sich Nutzwert?
◦ Nutzfläche des WE-Objekts
◦ Zu- und Abschläge
− Zweckbestimmung, Stockwerk, Ausstattung mit Balkon usw

27.08.2021 Seite 122


Mindestanteil
• § 2 Abs 9 WEG
• jener Miteigentumsanteil an der Liegenschaft, der zum Erwerb von WE an
einem WE-Objekt erforderlich ist
• Berechnung:
◦ Verhältnis des Nutzwerts des WE-Objekts zur Summe der Nutzwerte aller
WE-Objekte der Liegenschaft
• WE ist untrennbar mit Mindestanteil verbunden
• Grundsatz der Unteilbarkeit
◦ vgl Eigentümerpartnerschaft

27.08.2021 Seite 123


Eigentümerpartnerschaft
• § 2 Abs 10 WEG, § 13 WEG
• Rechtsgemeinschaft zweier natürlicher Personen, die gemeinsam
Wohnungseigentümer sind
◦ kein Angehörigenverhältnis erforderlich
◦ Miteigentümergemeinschaft gem §§ 825 ff ABGB
• Ausnahme vom Grundsatz der Unteilbarkeit
• Voraussetzung: jedem EP kommt Hälfte des Mindestanteils zu

27.08.2021 Seite 124


Eigentümerpartnerschaft
Was kann nur gemeinsam erfolgen?
• Verfügungen über WE und Nutzung des WE-Objekts
• Belastung der Anteile der EP
• Zwangsvollstreckung in Anteile der EP
• solidarische Haftung für Verbindlichkeiten aus dem WE
• Mitwirkung bei Entscheidungsfindung in Eigentümergemeinschaft

27.08.2021 Seite 125


Ausschluss eines Miteigentümers
• § 36 WEG
• statt Teilungsklage gem § 830 ABGB
• Ausschluss eines einzelnen Miteigentümers aus wichtigem Grund
◦ taxative Aufzählung
• Gründe:
◦ zB Pflichtverletzung, schädigender Gebrauch, rücksichtsloses Verhalten
• ultima ratio
• Klage der Mehrheit der übrigen Miteigentümer (uU auch durch einen
einzelnen Miteigentümer, vgl § 36 Abs 5 WEG)

27.08.2021 Seite 126


Nutzung
Nutzung

WE-Objekt allgemeine Teile der Liegenschaft

• ausschließliches Recht des WEgt • schlichtes Miteigentum


• Recht, Änderungen vorzunehmen • §§ 825 ff ABGB
• Instandhaltungspflicht • Benützungsregelung

27.08.2021 Seite 127


Verwaltung
Verwaltung

WE-Objekt allgemeine Teile der Liegenschaft

Wohnungseigentümer Eigentümergemeinschaft

ordentliche außerordentliche
Verwaltung Verwaltung

27.08.2021 Seite 128


Eigentümergemeinschaft
• § 2 Abs 5 WEG
• Zusammenfassung der Miteigentümer zu Zwecken der Verwaltung
• juristische Person mit beschränkter Rechtsfähigkeit
◦ Beschränkung auf Angelegenheiten der Verwaltung

27.08.2021 Seite 129


Verwaltung
• Anwendung der §§ 833 ff ABGB
• Sonderregeln der §§ 28 ff WEG
• Beschlussfassung idR in Eigentümerversammlung
• Initiativrecht: Verwalter, WEgt

27.08.2021 Seite 130


Ordentliche Verwaltung
• § 28 WEG
• demonstrative Aufzählung der Angelegenheiten in § 28 Abs 1 WEG
◦ Erhaltung der allgemeinen Teile
◦ Rücklagenbildung
◦ Bestellung/Abberufung des Verwalters
◦ Hausordnung
• Mehrheitsentscheidung
• Beschluss ist für alle verbindlich
◦ vgl §§ 24 Abs 6, 30 WEG

27.08.2021 Seite 131


Außerordentliche Verwaltung
• § 29 WEG
• Veränderungen, die über § 28 WEG hinausgehen
• Mehrheitsentscheidung
◦ Überstimmter kann Antrag auf gerichtliche Aufhebung des Beschlusses
stellen
◦ Aufhebung bei übermäßiger Beeinträchtigung oder aus Kostengründen
◦ vgl außerdem §§ 24 Abs 6 WEG, 30 WEG

27.08.2021 Seite 132


Vertretung der Eigentümergemeinschaft
Vertretung
Verwalter bestellt kein Verwalter bestellt

1. Verwalter 1. Mehrheit der WEgt

2. Mehrheit der WEgt

3. Eigentümervertreter

27.08.2021 Seite 133


Verwalter
• § 20 WEG
• Aufgaben und Befugnisse:
◦ Verwaltung der Liegenschaft
− insb Vertretung der EG im Außenverhältnis
◦ Wahrung der gemeinschaftsbezogenen Interessen der WEgt
• Bestellung mit einfacher Mehrheit
• nach außen unbeschränkbare Formalvollmacht
◦ alle Angelegenheiten der Verwaltung
• Weisungsgebundenheit

27.08.2021 Seite 134


Eigentumserwerb
Eigentumserwerb
Eigentumserwerb

originär derivativ

27.08.2021 Seite 136


Derivativer Eigentumserwerb
Voraussetzungen des derivativen Erwerbs

Titel
§ 380 ABGB:
• Titel
• rechtliche Erwerbsart
Modus

§ 442 ABGB:
dingliche Berechtigung des Vormanns nemo plus iuris

27.08.2021 Seite 138


Titel
• § 381 ABGB: weiter Titelbegriff
◦ jede rechtliche Möglichkeit, Eigentum zu erwerben
• hL:
◦ Anspruch auf Übereignung
◦ ein- oder zweiseitiges RG, auch letztwillige Verfügung
• Titel muss objektiv gültig sein
• Umfang des Erwerbs ergibt sich aus Titel

27.08.2021 Seite 139


Modus
• vgl § 380 ABGB: „rechtliche Erwerbsart“
• zwei Elemente:
◦ äußerer Vorgang
◦ dingliche Einigung
• dingliche Einigung
◦ Bei Abschluss des Titelgeschäfts?
◦ Erst bei Übergabe?

27.08.2021 Seite 140


Originärer Eigentumserwerb
Fälle des originären Erwerbs
1. Zueignung
2. Fund
3. (Schatzfund)
4. Erwerb durch Zuwachs
a) Fruchterwerb
b) (Uferrecht)
c) Verarbeitung, Vereinigung, Ausbesserung
d) Vermengung
e) Bauführung
f) (Säen und Pflanzen)
5. Gutgläubiger Erwerb
27.08.2021 Seite 142
1. Zueignung (Okkupation)

Besitzergreifung an einer herrenlosen Sache

Wille, an der Sache Eigentum zu erwerben

§ 381 ABGB:
„Bei freistehenden Sachen besteht der Titel in der angeborenen Freiheit, sie in
Besitz zu nehmen. Die Erwerbungsart ist die Zueignung, wodurch man sich einer
freistehenden Sache bemächtigt, in der Absicht, sie als die seinige zu behandeln.“

27.08.2021 Seite 143


1. Zueignung (Okkupation)
• Aneignungsbeschränkungen gem § 382 ABGB
◦ Aneigungsverbote (zB Naturschutz)
◦ ansprüchige Sachen

• Ansprüchige Sachen
◦ Aneignung nur durch bestimmte Personen oder mit behördlicher
Bewilligung
◦ Bsp:
−Jagd, Fischerei
−Bodenschätze

27.08.2021 Seite 144


2. Fund
§ 386 Satz 2 ABGB:
„Im Zweifel ist nicht zu vermuten, dass jemand sein Eigentum aufgeben
wolle; daher darf kein Finder eine gefundene Sache für verlassen ansehen
und sich diese zueignen.“

27.08.2021 Seite 145


2. Fund
Fund

verlorene Sachen vergessene Sachen

§ 388 Abs 1 ABGB § 388 Abs 2 ABGB

• bewegliche Sachen • bewegliche Sachen


• Inhaber hat gegen • Inhaber hat gegen
seinen Willen seinen Willen
Gewahrsame Gewahrsame
verloren verloren
• Sache steht nun in • Sache steht nun in
niemandes Gewahrsame eines
Gewahrsame anderen

27.08.2021 Seite 146


2. Fund
• „Verlustträger“
◦ § 389 Abs 2 ABGB
◦ Eigentümer oder andere zur Innehabung berechtigte Person

• „Finder“
◦ § 389 Abs 1 ABGB
◦ derjenige, der verlorene oder vergessene Sache an sich nimmt
◦ keine Pflicht, sich um gefundene Sachen zu kümmern

27.08.2021 Seite 147


Pflichten des Finders
Anzeigepflicht

Abgabepflicht

Auskunftspflicht

Ausnahmen:
• Ausfolgung an den Verlustträger
• Kleinfund
• gemeiner Wert übersteigt EUR 10 nicht
• Wiedererlangung erkennbar von erheblicher Bedeutung?

27.08.2021 Seite 148


Eigentumserwerb des Finders
• Verschweigung
• Finder wird nach Ablauf eines Jahres Eigentümer, wenn Verlustträger die Sache
nicht herausverlangt
• Kleinfunde:
◦ Frist beginnt mit Fund
◦ Erwerb erfolgt eo ipso
• Sonstige Funde:
◦ Frist beginnt mit Anzeige
◦ Erwerb erfolgt mit Ausfolgung

27.08.2021 Seite 149


Finderlohn
• §§ 392 ff ABGB
• Anspruch auf Finderlohn und Aufwandersatz
• Höhe:
◦ 10% des gemeinen Werts bei verlorenen Sachen
◦ 5% des gemeinen Werts bei vergessenen Sachen
◦ Halbierung, wenn gemeiner Wert der Sache EUR 2.000,- übersteigt
• Kein Finderlohn:
◦ Rettungspflicht
◦ schuldhafte Verletzung der Anzeige- oder Auskunftspflichten
◦ vergessene Sache wäre auch sonst ohne Gefährdung wiedererlangt worden

27.08.2021 Seite 150


Beispiel IX
Franz findet vor einem Hotel in der Salzburger Innenstadt einen
Diamantring und schenkt ihn seiner Tochter. Zwei Wochen später erfährt er
aus der Zeitung, dass Vera, die Ex-Frau eines berühmten Rock-Musikers,
diesen Ring während der Festspiele verloren hat. Der Wert soll sich auf EUR
202.000,- belaufen. Franz bringt den Ring daraufhin zur Fundbehörde. Als
Vera das Schmuckstück abholen lässt, verlangt Franz Finderlohn. Vera
verweigert jegliche Zahlung, weil Franz den Ring nicht unverzüglich
ausgefolgt hat.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 151


3. Erwerb durch Zuwachs
a) Fruchterwerb (§§ 404-406, 420 ABGB)
b) Uferrecht (§§ 407 ff ABGB)
c) Verarbeitung, Vereinigung, Ausbesserung (§§ 414 ff ABGB)
d) Vermengung (§ 371 ABGB)
e) Bauführung (§§ 417 ff ABGB)
f) Säen und Pflanzen (§ 420 ABGB)

27.08.2021 Seite 152


3. Erwerb durch Zuwachs
Zuwachs (§ 404 ABGB)

natürlicher Zuwachs künstlicher Zuwachs

kein menschliches Zutun menschliches Zutun

• Früchte • Verarbeitung, Vereinigung,


• Uferrecht Ausbesserung
• Bauführung
• Säen und Pflanzen

27.08.2021 Seite 153


a) Fruchterwerb
• §§ 404-406, 420 ABGB
• Unterscheide:
◦ natürliche Früchte
◦ zivile Früchte
• Frucht ist bis zur Separation sonderrechtsunfähig
◦ Frucht als unselbstständiger Bestandteil der Muttersache
• auch nach Separation gehört die Frucht grds dem Egt der Muttersache
◦ Ausnahmen: redlicher Besitzer, Fruchtnießer, obligatorisch Berechtigter
(str)

27.08.2021 Seite 154


a) Fruchterwerb
Fruchterwerb durch Separation

Eigentümer Fruchtnießer redlicher Besitzer obligatorisch


der Berechtigter (str)
Muttersache

27.08.2021 Seite 155


b) Verarbeitung, Vereinigung, Ausbesserung
Keine Anwendung der §§ 414 ff ABGB:
• Vornahme durch Eigentümer selbst
◦ Eigentümer als einziger Beteiligter
• Rückversetzung in vorigen Stand möglich
◦ Ist Trennung möglich und wirtschaftlich tunlich?
• vertragliche Regelung (muss rechtlich möglich sein nach § 878 ABGB)

27.08.2021 Seite 156


Regelungsübersicht
• §§ 414, 415 ABGB
◦ Verarbeitung MITEIGENTUM
◦ Vereinigung

• § 416 ABGB
ALLEINEIGENTUM
◦ Ausbesserung/Verbesserung

27.08.2021 Seite 157


Verarbeitung

Sache
Veränderung der bisherigen
Zweckbestimmung oder
Brauchbarkeit
Arbeit

neue Sache

§§ 414, 415 ABGB

27.08.2021 Seite 158


Rechtsfolgen der Verarbeitung
• § 415 ABGB
• Entstehung von Miteigentum
◦ Miteigentumsanteile richten sich nach wirtschaftlichem Wert des
Beitrags
• mangels Wertsteigerung kann der Verarbeiter kein Miteigentum erwerben
◦ Beitrag (Arbeit) hat keinen wirtschaftlichen Wert
◦ Anteil muss sich auf 0 belaufen
◦ Eigentümer der verarbeiteten Sache wird Alleineigentümer der neuen
Sache

27.08.2021 Seite 159


Auseinandersetzung bei Verarbeitung
• keine Anwendung der §§ 830 ff ABGB (Teilungsklage)
• Sonderregel des § 415 ABGB
• jener Beteiligte, den kein Verschulden trifft, hat Wahlrecht
◦ Übernahme der neuen Sache gegen Wertersatz
◦ Überlassung der neuen Sache gegen Vergütung
• Höhe der Ausgleichszahlung
◦ Ersatz des gemeinen Werts
◦ bei Unredlichkeit: Ersatz des höchsten erzielbaren Preises

27.08.2021 Seite 160


Vereinigung

Sache 1

Sache 2

neue Sache

§§ 414, 415 ABGB

27.08.2021 Seite 161


Vereinigung

Vermengung Vermischung Verbindung

Zusammengeben Zusammenführen Herstellung einer


von Gattungssachen von Flüssigkeiten körperlichen Einheit
aus festen Stoffen

27.08.2021 Seite 162


Rechtsfolgen der Vereinigung
• vgl Rechtsfolgen der Verarbeitung
• § 415 ABGB
• Entstehung von Miteigentum
• Miteigentumsanteile richten sich nach wirtschaftlichem Wert des Beitrags
• zur Auseinandersetzung vgl Verarbeitung

27.08.2021 Seite 163


Sonderfall der Vereinigung: Quantitätseigentum
• Zusammenführung gleicher Sachen verschiedener Eigentümer
◦ Gemenge vertretbarer Sachen
◦ Bestandteile sind nicht mehr nach Herkunft unterscheidbar
◦ Bsp: Getreide, Wein
• Entstehung von Miteigentum in Form von Quantitätseigentum
• Auseinandersetzung in vereinfachter Form
◦ Realteilung
◦ Quantitätsvindikation: Herausgabe einer Teilmenge, die dem eigenen
Miteigentumsanteil entspricht

27.08.2021 Seite 164


Ausbesserung

Sache
Ausbesserung mit
fremdem Material

Sache

§ 416 ABGB

27.08.2021 Seite 165


Rechtsfolgen der Ausbesserung
• § 416 ABGB
• keine neue Sache
• kein Miteigentum
• Alleineigentum des Eigentümers der Hauptsache inkl Material
◦ Material als unselbstständiger Bestandteil der Hauptsache
• Wertersatz gem § 416 (vgl § 1041 ABGB)
◦ Redlichkeit (gemeiner Wert – höchster erzielbarer Preis)
◦ Ausnahme: § 367 ABGB

27.08.2021 Seite 166


Ausbesserung?
• Wortlaut: „Ausbesserung“ mit fremdem Material
• Ausdehnung des Anwendungsbereichs nach hL:
◦ alle Fälle der Verbindung einer Hauptsache mit einer Nebensache
◦ Fälle der Verarbeitung mit bloß geringfügiger Werterhöhung
◦ Rsp: „sehr ungleichwertig“
• Bsp:
◦ Verfassen einer Urkunde
◦ Malen eines Bildes
◦ Verlegung von Leitungen

27.08.2021 Seite 167


c) Vermengung gem § 371 ABGB
§ 371 ABGB:
„Sachen, die sich auf diese Art nicht unterscheiden lassen, wie bares Geld
mit anderem baren Gelde vermengt, oder auf den Überbringer lautende
Schuldbriefe, sind also in der Regel kein Gegenstand der Eigentumsklage;
wenn nicht solche Umstände eintreten, aus denen der Kläger sein
Eigentumsrecht beweisen kann, und aus denen der Geklagte wissen
musste, dass er die Sache sich zuzuwenden nicht berechtiget sei.“

27.08.2021 Seite 168


c) Vermengung gem § 371 ABGB

§ 371 ABGB

Vermengung ununterscheidbarer Sachen Gutglaubenserwerb

27.08.2021 Seite 169


c) Vermengung gem § 371 ABGB
• Vermengung gleichartiger Sachen unterschiedlicher Egt
◦ Bsp: Geld
• zusammengebrachte Sachen lassen sich körperlich trennen
• Rückstellung aber nicht möglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand
verbunden
• Abweichung von § 415 ABGB
◦ kein Miteigentum
◦ Verlust der Eigentumsklage
◦ Bereicherungsrecht (vgl § 1041 ABGB)

27.08.2021 Seite 170


Vermengung gem § 371 ABGB
Abgrenzungsfragen
• Wo ist der Unterschied?
◦ Quantitätseigentum: „Gemenge gleichartiger Sachen“
◦ § 371 ABGB: „Vermengung gleichartiger Sachen“
• Anwendung von § 415 ABGB (Quantitätseigentum), wenn Gemenge als
solches noch vorhanden und vom übrigen Vermögen der Beteiligten
abgegrenzt ist
◦ vgl Geld in Schublade vs Geld auf Konto
• Anwendung von § 371 ABGB, wenn Gemenge als solches nicht mehr
vorhanden, sondern im Vermögen eines Beteiligten aufgegangen ist

27.08.2021 Seite 171


Beispiel X
Simon kauft seinem Freund Frank ein Übungsbuch zum Römischen Recht
ab und zahlt mit einem druckfrischen Zehn-Euro-Schein, den er – wie er
Frank stolz erzählt – aus der Brieftasche seines Vaters Viktor gestohlen hat.

Variante 1:
Frank nimmt den Zehn-Euro-Schein und steckt ihn in seine Geldtasche. In
dieser befinden sich noch weitere neun druckfrische Zehn-Euro-Scheine.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 172


Beispiel X
Simon kauft seinem Freund Frank ein Übungsbuch zum Römischen Recht
ab und zahlt mit einem druckfrischen Zehn-Euro-Schein, den er – wie er
Frank stolz erzählt – aus der Brieftasche seines Vaters Viktor gestohlen hat.

Variante 2:
Frank nimmt den Zehn-Euro-Schein und steckt ihn in seine Geldtasche. In
dieser befinden sich noch weitere neun Zehn-Euro-Scheine, die bereits
erhebliche Gebrauchsspuren aufweisen.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 173


Beispiel X
Simon kauft seinem Freund Frank ein Übungsbuch zum Römischen Recht
ab und zahlt mit einem druckfrischen Zehn-Euro-Schein, den er – wie er
Frank stolz erzählt – aus der Brieftasche seines Vaters Viktor gestohlen hat.

Variante 3:
Frank nimmt den Zehn-Euro-Schein und steckt ihn in seine Geldtasche. In
dieser befinden sich noch weitere neun druckfrische Zehn-Euro-Scheine.
Noch am selben Tag zahlt er die insgesamt EUR 100,- auf sein Konto ein.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 174


d) Bauführung

Bauen auf eigenem Bauen auf fremdem Bauen auf fremdem


Grund mit fremdem Grund Grund mit fremdem
Material mit eigenem Material Material

• §§ 417 ff ABGB (keine Anwendung bei Vorliegen eines Superädifikats)


• Grundsatz: superficies solo cedit
• Bauwerk: grundfeste, auf Dauer bestimmte Baulichkeit mit selbstständiger
Bedeutung und nicht ganz untergeordnetem Wert

27.08.2021 Seite 175


Bauen auf eigenem Grund mit fremdem Material
• § 417 ABGB
• Grundeigentümer wird Eigentümer des Bauwerks
◦ Material als unselbstständiger Bestandteil
• Ersatzpflicht
◦ Redlichkeit: gemeiner Wert der Materialien
◦ Unredlichkeit: höchster erzielbarer Preis
− zusätzlich: Ersatz jedes weiteren Schadens

27.08.2021 Seite 176


Bauen auf fremdem Grund mit eigenem Material
Bauführung § 418 ABGB

ohne Wissen des Grundeigentümers mit Wissen des Grundeigentümers

Grundeigentümer = Eigentümer des keine Untersagung


Bauwerks

redlicher Bauführer unredlicher Bauführer


Wahlrecht
• Eigentümer des • Grundeigentümer
Bauwerks = Eigentümer des
• Eigentümer des Bauwerks
Wertersatz § 523 ABGB
Teils der
(§ 331 ABGB bzw
Liegenschaft
GoA)

27.08.2021 Seite 177


Bauen mit fremdem Material auf fremdem Grund
• § 419 ABGB
• Bauführer – Grundeigentümer: § 418 ABGB (auch § 418 ABGB Satz 3!)
• Bauführer – Materialeigentümer: § 417 ABGB
• Str: bereicherungsrechtlicher Ausgleich
◦ abschließende Regelung des § 419 ABGB?
◦ Verwendungsanspruch des Materialeigentümers gegen
Grundeigentümer?

27.08.2021 Seite 178


Zusammenfassung zur Bauführung
• superficies solo cedit
• Grundeigentümer wird idR auch Eigentümer des Bauwerks
• Ausnahme:
◦ Grundeigentümer wusste von Bauführung
◦ Bauführung wurde nicht untersagt
◦ Bauführer ist redlich
• derjenige, der seinen Beitrag verliert, bekommt Ausgleich
◦ Höhe hängt von Redlichkeit ab

27.08.2021 Seite 179


Grundbuch
Rechtsgrundlagen
• ua §§ 431 - 446, 451 Abs 1, §§ 453 f, §§ 469 - 470, §§ 1498 - 1500 ABGB
• Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955 (GBG)

• Allgemeines Grundbuchanlegungsgesetz 1930 (Allg GAG)


• Grundbuchsumstellungsgesetz 1980 (GUG)
• Liegenschaftsteilungsgesetz 1930 (LiegTeilG)
• Vermessungsgesetz 1968 (VermG)
• vgl auch WEG, BauRG, Tiroler HöfeG, Grundverkehrsgesetze

27.08.2021 Seite 181


Bestandteile des Grundbuchs
Hauptbuch

Urkundensammlung

Hilfseinrichtungen
Grundbuchsmappe, Personenverzeichnis,
Grundstücksverzeichnis, Anschriftenverzeichnis,
Tagebuch…

§ 1 GBG: „Das Grundbuch besteht aus dem Hauptbuch und der Urkundensammlung.“

27.08.2021 Seite 182


Hauptbuch
Katastralgemeinde

Hauptbuch

Grundbuchskörper Grundbuchseinlagen

A-Blatt B-Blatt C-Blatt


„Gutbestands- „Eigentums- „Lastenblatt“
blatt“ blatt“
- A1: Bestandteile - Eigentümer - bücherliche
des GB-Körpers - den Eigentümer Lasten (und deren
- A2: Veränderungen treffende Lasten)
durch Ab- und Beschränkungen - Verfügungs-
Zuschreibungen, An- beschränkungen
merkung gem §
297a, Rechte in
herrschender
Stellung usw
27.08.2021 Seite 183
27.08.2021 Seite 184
Urkundensammlung
• Urkunden, aufgrund derer eine bücherliche Eintragung erfolgt
◦ beglaubigte Abschrift
• Warum Urkunden?
◦ Eintragungen erfolgen nur aufgrund schriftlicher Urkunden
• Bsp: Liegenschaftskauf
◦ Kaufvertrag ist grds nicht formpflichtig (Schenkung?)
◦ Aber: schriftliche Ausfertigung für GB-Eintragung erforderlich
• Speicherung der Urkunden in Datenbank

27.08.2021 Seite 185


Was kann eingetragen werden?
§ 9 GBG:
„Im Grundbuch können nur dingliche Rechte und Lasten, ferner das
Wiederkaufs- und das Vorkaufsrecht (§§ 1070 und 1073 ABGB) sowie das
Bestandrecht (§ 1095 ABGB) eingetragen werden.“

27.08.2021 Seite 186


Bücherliche Eintragungen

Einverleibung

Vormerkung

Anmerkung

vgl § 8 GBG

27.08.2021 Seite 187


Einverleibung
• unbedingter Rechtserwerb oder –verlust
• Gegenstand: dingliche Rechte oder Lasten
• Voraussetzungen:
◦ Vorlage einer Urkunde
◦ Aufsandungserklärung
− vgl dingliche Einigung
− Erklärung des Berechtigten, dass er Einverleibung zustimmt

27.08.2021 Seite 188


Vormerkung
• bedingter Rechtserwerb oder –verlust
• Erwerb/Verlust unter aufschiebender Bedingung der Rechtfertigung
• Rechtsänderung erst, wenn Rechtfertigung der Vormerkung erfolgt
◦ Einbringung der noch fehlenden Nachweise
◦ Vormerkung erhält Wirkung einer Einverleibung
◦ Rückwirkung
• Zweck: Wahrung des Rangs

27.08.2021 Seite 189


Vormerkung
• § 35 GBG:
„Wenn die beigebrachte Urkunde nicht alle in den §§ 31 bis 34
festgesetzten besonderen Erfordernisse zur Einverleibung, wohl aber die
allgemeinen Erfordernisse (§§ 26, 27) zur grundbücherlichen Eintragung
besitzt, kann auf Grund der Urkunde die Vormerkung (§ 8 Z 2) bewilligt
werden.“

• Allgemein: allg Formgültigkeit, frei von sichtbaren Mängeln, einwandfrei


lesbar, gültiger Rechtsgrund usw
• Besonders: Aufsandungserklärung, notarielle Beglaubigung der
Unterschriften, Geburtsdatum, Vorweis der Vertretungsvollmacht usw

27.08.2021 Seite 190


Anmerkung

Anmerkung

bloße Ersichtlichmachung Auslösung besonders geregelter


rechtserheblicher Umstände Rechtswirkungen
§ 20 lit a GBG (§ 20 lit b GBG)

• Minderjährigkeit des Egt • Rangordnung


• Genehmigungsvorbehalt • Streitanhängigkeit
• Insolvenzeröffnung • Anmerkung gem § 297a ABGB

= Informationszweck

27.08.2021 Seite 191


Löschung

Löschung

Einverleibung der Löschung schlichte Löschung

• § 8 GBG • überholte Anmerkungen


• Aufhebung eines dinglichen Rechts • erfolgreiche Löschungsklage
• Rechtfertigung der Vormerkung

27.08.2021 Seite 192


Prinzipien des Grundbuchsrechts
1. Eintragungsgrundsatz
2. Öffentlichkeitsgrundsatz
3. Vertrauensgrundsatz
4. Prioritätsprinzip
5. Bücherlicher Vormann (vgl § 21 GBG)
6. Spezialitätsprinzip
7. Antragsprinzip
8. Legalitätsprinzip

27.08.2021 Seite 193


Eintragungsgrundsatz
• § 4 GBG
„Die Erwerbung, Übertragung, Beschränkung und Aufhebung der
bücherlichen Rechte (§ 9) wird nur durch ihre Eintragungen in das
Hauptbuch erwirkt.“

• vgl Modus
• Rechtsänderung mit Einlangen des Gesuchs beim GB-Gericht
◦ Rangordnung
• GB-Organ prüft nur die äußeren Voraussetzungen der beantragten
Veränderung, nicht aber die materielle Richtigkeit

27.08.2021 Seite 194


Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes
• Ersitzung (§ 1500 ABGB)
• Einantwortung Deklarative Wirkung der
Eintragung!
• sonstige Universalsukzession
• Zuschlag in Zwangsversteigerung
• Bauführung auf fremdem Grund (§ 418 S 3 ABGB)
• Enteignung
• Einlösung gem § 462, Legalzession nach § 1358 ABGB
• str: Einlösung gem §§ 1422 f ABGB
• Gesetzliches Vorzugspfandrecht nach § 27 WEG
• Offenkundige Servitut?
27.08.2021 Seite 195
Vertrauensgrundsatz
• materielles Publizitätsprinzip
• Schutz des Vertrauens auf Richtigkeit und Vollständigkeit des GB
◦ Hauptbuch
◦ Verzeichnis der gelöschten Eintragungen
• Positive Seite: Was eingetragen ist, gilt.
• Negative Seite: Was nicht eingetragen ist, gilt nicht.

27.08.2021 Seite 196


Publizitätsgrundsatz des GB

positive Seite negative Seite


§§ 62 ff GBG § 1500 ABGB, § 71 GBG

• ursprünglich unrichtige Eintragungen • ursprünglich richtige Eintragung


• Was eingetragen ist, gilt! • Was nicht eingetragen ist, gilt nicht!
• keine tatsächliche Einsichtnahme in GB • Vollständigkeit des GB
erforderlich

27.08.2021 Seite 197


Gutgläubiger Eigentumserwerb
Allgemeines
• Ausgangssituation:
◦ Veräußerer ≠ Eigentümer
◦ Veräußerer ≠ Verfügungsermächtigter
• Schutz des redlichen Verkehrs
◦ Vertrauen auf die Berechtigung des Veräußerers
• Zentrale Bestimmungen:
◦ § 367 ABGB Gemeinsamkeiten:
• Redlichkeit
◦ § 371 ABGB • Fehlende dingliche
◦ § 824 ABGB Berechtigung wird subsituiert

◦ § 1500 ABGB, §§ 61 ff GBG

27.08.2021 Seite 199


§ 367 ABGB
„(1) Die Eigentumsklage gegen den rechtmäßigen und redlichen Besitzer
einer beweglichen Sache ist abzuweisen, wenn er beweist, dass er die
Sache gegen Entgelt in einer öffentlichen Versteigerung, von einem
Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens oder von
jemandem erworben hat, dem sie der vorige Eigentümer anvertraut hatte.
(…)

(2) Ist die Sache mit dem Recht eines Dritten belastet, so erlischt dieses
Recht mit dem Erwerb des Eigentums durch den rechtmäßigen und
redlichen Besitzer, es sei denn, dass dieser in Ansehung dieses Rechtes
nicht redlich ist.“

27.08.2021 Seite 200


Zur Erinnerung: Derivativer Erwerb

Titel

Modus

dingliche Berechtigung des Vormanns

Ausgangssituation des § 367 ABGB

27.08.2021 Seite 201


Allgemeine Voraussetzungen des § 367 ABGB
• bewegliche Sache
◦ Superädifikate
◦ eigene Bestimmungen für Liegenschaften

• körperliche Sache
◦ Gesetzeswortlaut?
◦ grds kein gutgläubiger Erwerb gem § 367 ABGB an Rechten
− vgl aber § 456 ABGB

27.08.2021 Seite 202


Allgemeine Voraussetzungen des § 367 ABGB
• Titel
◦ objektiv gültiger Titel, der auf Eigentumserwerb gerichtet ist
◦ „rechtmäßiger Besitzer“

• Entgeltlichkeit
◦ Vermögensopfer
◦ ratio: unentgeltlicher Erwerber erscheint weniger schutzwürdig
◦ hL: Entgelt muss nicht bereits bezahlt worden sein

27.08.2021 Seite 203


Allgemeine Voraussetzungen des § 367 ABGB
• Modus
• Redlichkeit
◦ Definition in § 368 ABGB: „weder weiß noch vermuten muss, dass die
Sache nicht dem Veräußerer gehört“
◦ bereits leichte Fahrlässigkeit schadet
◦ Bezugspunkt: Eigentum des Veräußerers
− Erwerb vom Unternehmer: Vertrauen auf Verfügungsbefugnis ausreichend
◦ muss bei Abschluss des Titelgeschäfts vorhanden sein und mindestens
bis zur Übergabe andauern
◦ Vermutung der Redlichkeit gem § 328 ABGB
− Beweislast vgl § 368 Abs 2 ABGB

27.08.2021 Seite 204


Alternativvoraussetzungen des § 367 Abs 1 S 1 ABGB
• Erwerb in öffentlicher Versteigerung
◦ behördliche Ermächtigung
◦ ordnungsgemäße Bekanntmachung
◦ va gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Exekution
◦ Keine Privatversteigerung! (z.B. ebay)

• Erwerb vom Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens


◦ §§ 1, 2 und 3 UGB
◦ str: Scheinunternehmer kraft Auftretens
◦ betriebsfremde oder -untypische Geschäfte ausgeschlossen
(Unternehmensgegenstand maßgeblich)
27.08.2021 Seite 205
Alternativvoraussetzungen des § 367 Abs 1 S 1 ABGB
• Erwerb vom Vertrauensmann
◦ = derjenige, dem der Eigentümer die Sache freiwillig in seine
ausschließliche Gewahrsame übertragen hat
◦ erkennbare Erwartung der Rückstellung
◦ Bsp: Verwahrer, Mieter, Faustpfandgläubiger, Prekarist
◦ Unproblematisch:
− Irrtum, List (hL)
− Vertrauensmannkette, Erbe des Vertrauensmanns
◦ Problematisch:
− Drohung, Gewalt
− mangelnde Entscheidungsfähigkeit (Anvertrauender/Vertrauensmann)

27.08.2021 Seite 206


Gutgläubiger lastenfreier Erwerb gem § 367 Abs 2 ABGB
§ 367 Abs 2 ABGB:
„(2) Ist die Sache mit dem Recht eines Dritten belastet, so erlischt dieses
Recht mit dem Erwerb des Eigentums durch den rechtmäßigen und
redlichen Besitzer, es sei denn, dass dieser in Ansehung dieses Rechtes
nicht redlich ist.“
• Ausgangssituation: Sache, die erworben werden soll, ist belastet
◦ derivativer Erwerb ODER gutgläubiger Erwerb
• Last = beschränktes dingliches Recht (zB Pfandrecht, Servitut)
• Lasten bleiben auch bei Veräußerung grds bestehen
• Ausnahme: Voraussetzungen des § 367 Abs 1 ABGB gegeben

27.08.2021 Seite 207


Gutgläubiger Erwerb gem § 371 ABGB

§ 371 ABGB

Vermengung ununterscheidbarer Sachen Gutglaubenserwerb

27.08.2021 Seite 208


Gutgläubiger Erwerb gem § 371 ABGB
• Anwendungsbereich:
◦ Geld
◦ Inhaberpapiere (zB Inhaberschecks, Aktien, Schuldverschreibungen)
• Voraussetzungen:
◦ Titel
◦ Modus
◦ Redlichkeit (Maßstab?)
◦ str: Entgeltlichkeit
• Erleichterung gegenüber § 367 ABGB
◦ Alternativvoraussetzungen des § 367 Abs 1 ABGB müssen nicht vorliegen

27.08.2021 Seite 209


Gutgläubiger Erwerb von Liegenschaften

nachträgliche Unrichtigkeit bzw


ursprüngliche Unrichtigkeit des GB
Unvollständigkeit des GB

Löschungsklage, Streitanmerkung § 1500 ABGB


(§§ 28, 61 ff GBG)

positives Publizitätsprinzip negatives Publizitätsprinzip

27.08.2021 Seite 210


Ursprüngliche Unrichtigkeit des GB
Ausgangssituation:

A hat dem B seine Liegenschaft verkauft, weil ihm dieser mit einer Anzeige
wegen Steuerhinterziehung gedroht hat. B wurde ins GB eingetragen.

27.08.2021 Seite 211


Ursprüngliche Unrichtigkeit des GB
• Anfechtung des Vertrages mit B:
◦ Aufhebung wegen Drohung
◦ binnen 3 Jahren ab Wegfall der Zwangslage (§ 1487 ABGB)
• Berichtigung des GB:
◦ in demselben Zeitraum kann A grds die Löschungsklage gegen B
erheben (§ 62 GBG)
• Was gilt aber nun, wenn B die Liegenschaft mittlerweile an einen Dritten
(C) veräußert hat und dieser bereits im GB eingetragen ist?

27.08.2021 Seite 212


C ist gutgläubig C ist schlechtgläubig

A wurde von der Eintragung A wurde von der Eintragung


des B verständigt des B nicht verständigt

Löschungsklage des A A kann gegen C mit A dringt innerhalb der


gegen C ist nur erfolgreich, Löschungsklage vorgehen dreijährigen Frist gem § 1487
wenn A innerhalb der (drei Jahre ab ZP des ABGB iVm §§ 62 f GBG gegen C
Rekursfrist des § 123 GBG ab Ansuchens um Eintragung mit der Löschungsklage durch.
der ungültigen Eintragung des B/„Schreijahre“) Beachte: C ist jedenfalls
des B um Streitanmerkung schlechtgläubig wenn er nach
ansucht und binnen Eintragung der Streitanmerkung
eingetragen wird!
weiterer 60 Tage ab Ablauf
der Rekursfrist die
Löschungsklage gegen B
und C einbringt

27.08.2021 Seite 213


Nachträgliche Unrichtigkeit/Unvollständigkeit des GB
Ausgangssituation:

A ist Eigentümer einer Liegenschaft und ist als solcher im GB eingetragen. B


ersitzt diese Liegenschaft im Mai 2019. Eine Eintragung im GB ist noch nicht
erfolgt. Im Juni 2019 verkauft A die Liegenschaft an den ahnungslosen C.

27.08.2021 Seite 214


Nachträgliche Unrichtigkeit/Unvollständigkeit des GB
§ 1500 ABGB:
„Das aus der Ersitzung oder Verjährung erworbene Recht kann aber
demjenigen, welcher im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der
Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, zu
keinem Nachteil reichen.“

• gutgläubiger Dritter kann im Vertrauen auf das GB dingliche Rechte an der


Liegenschaft erwerben
◦ C wird Eigentümer der Liegenschaft
• sofortiger Schutz mit Eintragung
• auch gutgläubiger lastenfreier Erwerb möglich (Unvollständigkeit)
27.08.2021 Seite 215
Streitanmerkung
• Vgl §§ 61 ff GBG
• Nach hA nur gegen ursprünglich unrichtige Eintragung möglich
• Z.B. Vertrag nie wirksam zustande gekommen/ex tunc aufgelöst (Nicht bei
Beseitigung des Vertrages mit ex nunc Wirkung!)
• Daher keine Streitanmerkung bei bloß schuldrechtlicher Durchsetzung der
Einverleibung ins Grundbuch (Ausnahme WE-Bewerber)
• Ausnahme: Ersitzung/Verjährung
• Vgl aber § 382 Abs 1 Z 6 EO

27.08.2021 Seite 216


Redlichkeit (§ 1500 ABGB, §§ 61 ff GBG)
• redlich ist, wer die Unrichtigkeit der Eintragung im Hauptbuch bei
gehöriger Sorgfalt nicht erkennen konnte
◦ bereits leichte Fahrlässigkeit schadet
◦ tatsächliche Einsichtnahme ist nicht erforderlich
• Einsichtnahme in Urkundensammlung nur in Ausnahmefällen
◦ Hauptbuch verweist auf Urkundensammlung
◦ Verkehrsüblichkeit
◦ konkrete Verdachtsmomente
• Wann muss Redlichkeit vorliegen?
◦ Abschluss des Titelgeschäfts
◦ Einreichung des Gesuchs beim GB-Gericht
27.08.2021 Seite 217
Gutgläubiger Erwerb gem § 824 ABGB
§ 824 ABGB:
„Wenn der Beklagte ganz oder zum Teil zur Herausgabe der Verlassenschaft
verurteilt wird, sind die Ansprüche auf die Zurückstellung der von ihm
gezogenen Früchte oder auf die Vergütung der von ihm getätigten
Aufwendungen und Kosten nach denjenigen Grundsätzen zu beurteilen, die
für den redlichen oder unredlichen Besitzer im Hauptstück vom Besitz
festgesetzt sind. Ein dritter redlicher Erwerber ist für die in der Zwischenzeit
erworbenen Erbstücke niemandem verantwortlich.“

27.08.2021 Seite 218


Gutgläubiger Erwerb gem § 824 ABGB
• „Scheinerbe“ = derjenige, der eingeantwortet wurde, obwohl er kein
Erbrecht hat
• Schutz des gutgläubigen Dritten, der Sache aus Nachlass vom
Scheinerben erwirbt
◦ Eigentumserwerb auch dann, wenn Wirkung der Einantwortung mit
Erbschaftsklage beseitigt wird
• Substitution des fehlenden Erbrechts
• Unredlichkeit: positive Kenntnis des wahren Sachverhalts
◦ Redlichkeit im Zeitpunkt des Verpflichtung- und Verfügungsgeschäfts
• Anwendungsbereich:
◦ Fahrnisse und Liegenschaften; entgeltlicher und unentgeltlicher Erwerb
27.08.2021 Seite 219
Beispiel XI
Viktor stirbt am 1. Jänner 2019. Außer seinem Sohn Simon hat er keine
Verwandten mehr. Simon wird am 1. Juni 2019 als einziger Erbe
eingeantwortet. Am 1. August verkauft er ein historisches Buch, das er im
Arbeitszimmer seines Vaters gefunden hat, an das Stadtmuseum. Er
erwähnt nicht, dass das Buch aus dem Nachlass seines Vaters stammt. Als
das Buch im Stadtmuseum ausgestellt wird, erkennt es Kurt, ein alter
Freund Viktors, wieder: Es handle sich um jenes Exemplar, das er Viktor vor
Jahren geborgt hat.

Ist § 824 ABGB hier anwendbar?


Wer ist Eigentümer?
27.08.2021 Seite 220
Ersitzung
Allgemeines
Erwerb eines Rechts durch langjährige Ausübung von qualifiziertem Besitz
ersitzungsfähige Sache

qualifizierter Besitz

Ausübung während bestimmter Zeit

27.08.2021 Seite 222


Ersitzungsfähige Sachen
• Sachen, an denen Privatrechte möglich sind und die besessen werden
können
• Bsp:
◦ Eigentum, Miteigentumsanteile
◦ Dienstbarkeiten (Schiabfahrten, Kundenparkplätze usw)
◦ Reallasten, Superädifikate, Baurechte (str)
• Nicht ersitzungsfähig:
◦ staatliche Hoheitsrechte
◦ Familienrechte, Persönlichkeitsrechte, Erbrechte
◦ Hypothek

27.08.2021 Seite 223


Qualifizierter Besitz
• Redlichkeit
◦ notwendige Voraussetzung der Ersitzung
◦ bezieht sich auf Rechtmäßigkeit des Besitzes
◦ während gesamter Ersitzungszeit
◦ Unredlichkeit: positive Kenntnis von der mangelnden Berechtigung oder von
solchen Umständen, die zu Zweifeln Anlass geben

• Echtheit
◦ notwendige Voraussetzung der Ersitzung
− Eigentliche Ersitzung: § 1464 ABGB
− Uneigentliche Ersitzung: hL

27.08.2021 Seite 224


Qualifizierter Besitz
• Rechtmäßigkeit?
◦ keine notwendige Voraussetzung der Ersitzung
◦ eigentliche Ersitzung: Titel erforderlich
− objektiv gültig, tauglich
◦ uneigentliche Ersitzung: kein Titel erforderlich
◦ dh Relevanz für Ersitzungszeit

27.08.2021 Seite 225


Eigentliche und uneigentliche Ersitzung
• eigentliche Ersitzung
◦ bewegliche Sachen: 3 Jahre
◦ unbewegliche Sachen: 30 Jahre
◦ Ersitzung gegen Staat/Kirche/juristische Person: 6 bzw 40 Jahre

• uneigentliche Ersitzung
◦ bewegliche Sachen: 30 Jahre
◦ unbewegliche Sachen: 30 Jahre
◦ Ersitzung gegen Staat/Kirche/juristische Person: 40 Jahre

27.08.2021 Seite 226


Ausübung während bestimmter Zeit
• ununterbrochene Besitzausübung während gesamter Ersitzungszeit
• Inhalt und Umfang des ersessenen Rechts bestimmt sich nach
ausgeübtem Besitz
◦ Eigentum? Dienstbarkeit?
• Kurzzeitiger Besitzverlust? (vgl Besitzstörungsklage)
• Beweislast des Ersitzenden:
◦ Art und Umfang der Besitzausübung, Vollendung der Ersitzungszeit
• Beweislast des Ersitzungsgegners:
◦ Unredlichkeit, Unechtheit
◦ zwischenzeitliche Unterbrechung der Ersitzung

27.08.2021 Seite 227


Übersicht
Ersitzung

eigentliche Ersitzung uneigentliche Ersitzung

• Rechtmäßigkeit • Redlichkeit
• Redlichkeit • Echtheit
• Echtheit

3 bzw 30 Jahre 30 Jahre


(6 bzw 40 Jahre) (40 Jahre)

27.08.2021 Seite 228


Klagen aus dem Eigentum
Rei vindicatio
§ 366 ABGB
„Mit dem Rechte des Eigentümers jeden Andern von dem Besitze seiner Sache
auszuschließen, ist auch das Recht verbunden, seine ihm vorenthaltene Sache von
jedem Inhaber durch die Eigentumsklage gerichtlich zu fordern. Doch steht dieses
Recht demjenigen nicht zu, welcher eine Sache zur Zeit, da er noch nicht
Eigentümer war, in seinem eigenen Namen veräußert, in der Folge aber das
Eigentum derselben erlangt hat.“
• Klage des nicht-innehabenden Eigentümers gegen den innehabenden Nicht-
Eigentümer
• Ziel:
◦ Herausgabe der beweglichen Sache
◦ Räumung der Liegenschaft

27.08.2021 Seite 230


Voraussetzungen der rei vindicatio
individualisierbare Sache

Eigentum des Klägers


Beweislast des
Klägers

Gewahrsame des Beklagten

Recht zum Besitz?

27.08.2021 Seite 231


Beispiel XII
A vermietet seine Wohnung an B (Hauptmiete), der sie wiederum an C
weitervermietet (Untermiete). B ist zwar laut Mietvertrag zur
Untervermietung der Wohnung berechtigt, allerdings kann A den C nicht
ausstehen. A will C daher mit Hilfe von § 366 ABGB aus der Wohnung
schmeißen.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 232


Variante 1
Im Vertrag zwischen A und B wurde ein Untermietverbot vereinbart.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 233


Variante 2
A kündigt den Mietvertrag mit B. Er verlangt nun von C gem § 366 ABGB die
Räumung der Wohnung.

Wie ist die Rechtslage?

27.08.2021 Seite 234


Umfang des Herausgabeanspruchs gem § 366 ABGB
• Sache samt Zuwachs

• Früchte
◦ redlicher Besitzer: Eigentumserwerb mit Absonderung (§ 330 ABGB)
− vgl Zivilfrüchte
◦ unredlicher Besitzer: Herausgabe aller erlangten Vorteile (§ 335 ABGB)
− Bereicherungsanspruch bei Verbrauch der Früchte
− erheblicher eigener Beitrag zur Erzielung von Vorteilen?

27.08.2021 Seite 235


Umfang des Herausgabeanspruchs gem § 366 ABGB
• Schadenersatz
◦ redlicher Besitzer: keine Haftung für Verschlechterung/Untergang der
Sache
− darf Sache gebrauchen, verbrauchen und vertilgen (§ 329 ABGB)
◦ unredlicher Besitzer: Ersatz aller durch Besitz entstandenen Schäden
− Beeinträchtigung der Sache/Früchte
− sonstige Nachteile aus Vorenthaltung der Sache
• Bereicherungsrecht?

27.08.2021 Seite 236


Gegenansprüche des Besitzers iZm § 366 ABGB
• Aufwendungen
◦ redlicher Besitzer: Ersatz aller notwendigen und nützlichen
Aufwendungen (§ 331 ABGB)
− Fortdauernder Wert? Tatsächlich getätigte Höhe?
◦ unredlicher Besitzer: Verweis auf Regeln der GoA (§ 336, §§ 1035 ff ABGB)
− § 1036 ABGB: Ersatz auch ohne fortdauernden Nutzen?

• Ersatz des gezahlten Preises der Sache


◦ zB Kaufpreis
◦ kann weder vom unredlichen noch vom redlichen Besitzer begehrt
werden (§ 333 ABGB)

27.08.2021 Seite 237


Gegenansprüche des Besitzers iZm § 366 ABGB
• Zurückbehaltungsrecht
◦ §§ 334 iVm 471 ABGB
◦ wegen für Sache gemachten Aufwands oder durch Sache verursachten
Schaden
◦ Zug um Zug
◦ ≠ Befriedigungsrecht
◦ Voraussetzungen:
− körperliche Sache (hL)
− Konnexität der Gegenforderung
− gegen Person, die Schuldnerin des Anspruchs ist
◦ vgl § 369 UGB

27.08.2021 Seite 238


Eigentumsfreiheitsklage/actio negatoria
§ 523 ABGB
„In Ansehung der Servituten findet ein doppeltes Klagerecht statt. Man kann
gegen den Eigentümer das Recht der Servitut behaupten; oder, der
Eigentümer kann sich über die Anmaßung einer Servitut beschweren. Im
ersten Falle muss der Kläger die Erwerbung der Servitut oder wenigstens
den Besitz derselben als eines dinglichen Rechtes; im zweiten Falle muss er
die Anmaßung der Servitut in seiner Sache beweisen.“

27.08.2021 Seite 239


Eigentumsfreiheitsklage/actio negatoria
• Klage des besitzenden Eigentümers gegen Störer
• Abwehr von Störungen
◦ nachteilige Folgen
◦ Wiederholungsgefahr
• unmittelbarer Störer – mittelbarer Störer
• Ziel des § 523 ABGB:
◦ Unterlassung von Störungen
◦ Wiederherstellung des vorigen Zustands
• Recht zum Eingriff?

27.08.2021 Seite 240


Eigentumsvorbehalt
Ausgangssituation
• A verkauft sein Kfz an B
• sie vereinbaren einen Kaufpreis von EUR 2.000,-
• B ist derzeit knapp bei Kasse, weshalb Ratenzahlung vereinbart wird
• A übergibt das Kfz an B
• Risiko für A!
◦ Verlust seines Eigentums
◦ im Fall der Insolvenz des B wird seine Kaufpreisforderung nur in Höhe
der Insolvenzquote befriedigt
• Eigentumsvorbehalt (EV) soll dieses Risiko verhindern

27.08.2021 Seite 242


Einfacher Eigentumsvorbehalt
• Vereinbarung, dass Verkäufer bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung
Eigentümer bleiben soll
• Verfügungsgeschäft ist bedingt
◦ Bedingung: grundsätzlich vollständige Kaufpreiszahlung
◦ Publizitätsloses Sicherungsrecht: ausnahmsweise zulässig (drei Gründe)
• Gegenstand des EV: bewegliche, körperliche Sachen
◦ Liegenschaften? § 8 GBG: Vormerkung?
◦ Unternehmen?

27.08.2021 Seite 243


Einfacher Eigentumsvorbehalt
• Rechtsfolgen des EV:
◦ Vorbehaltsverkäufer (VbV) bleibt Sachbesitzer und Eigentümer
◦ Vorbehaltskäufer (VbK) wird Rechtsbesitzer und erwirbt
Anwartschaftsrecht (Schutz nach § 372 ABGB)
• Wer kann SE geltend machen?
◦ Zuordnung von Substanz und Nutzwert?

• Sonderfälle:
◦ nachträglicher EV (vgl Sicherungseigentum)
◦ einseitiger EV (nach hL und Rsp unwirksam)
◦ kurzfristiger EV (keine Kreditierung vereinbart, Zug-um-Zug-Prinzip)
27.08.2021 Seite 244
Verarbeitung und Vereinigung der Vorbehaltssache
• VbK verarbeitet Sache oder verbindet sie untrennbar mit einer ihm
gehörenden Sache
• Rechtsfolge: Miteigentum gem §§ 414 f ABGB
• Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen?
◦ Alleineigentum des VbV
◦ höherer Miteigentumsanteil des VbV
• vgl Abgrenzung zum Sicherungseigentum

27.08.2021 Seite 245


Veräußerung der Vorbehaltssache durch VbK
• Veräußerung des Anwartschaftsrechts
◦ VbK (Erstkäufer) verkauft sein Anwartschaftsrecht Zweitkäufer erwirbt
Rechtsposition des VbK
− Titel, Modus, Recht des Vormanns (kein Erwerb nach § 367 möglich!)
◦ „weitergeleiteter EV“
◦ Zweitkäufer wird Eigentümer, wenn Erstkäufer Kaufpreis an VbV leistet
◦ Absicherung des Zweitkäufers?
− Vertragseintritt
− Erfüllungsübernahme
− notwendige Zession mit Zustimmung des VbV

27.08.2021 Seite 246


Veräußerung der Vorbehaltssache durch VbK
• Veräußerung des Eigentumsrechts
◦ VbK verkauft Vorbehaltssache
◦ Wurde VbK dazu vom VbV (konkludent) ermächtigt?
◦ VbV hat der Veräußerung zugestimmt
− Verfügungsermächtigung
− Zweitkäufer erwirbt derivativ Eigentum
− Sonderfall: „nachgeschalteter EV“ (wenn wiederum unter EV an Zweitkäufer veräußert
wird)
◦ VbV hat der Veräußerung nicht zugestimmt
− keine Verfügungsermächtigung
− kein derivativer Erwerb durch Zweitkäufer
− Möglichkeit: gutgläubiger Erwerb gem § 367 ABGB (strenge Rsp, außer bei
Letztabnehmer)
− -auch hier nachgeschalteter EV möglich
27.08.2021 Seite 247
Sonderformen des Eigentumsvorbehalts
Verlängerter Eigentumsvorbehalt
• Ausgangssituation: Weiterveräußerung der Vorbehaltssache
• Konstellation des weitergeleiteten EV ist für Zweitkäufer nicht attraktiv
◦ Eigentumserwerb hängt von KP-Zahlung durch VbK (Erstkäufer) ab
• VbV will aber Warenumsatz des VbK nicht verhindern
• Möglichkeit: Vereinbarung mit VbK, dass dieser dem VbV ein Surrogat für
das verlorene Eigentum verschafft
◦ Veräußerungserlös (antizipiertes Besitzkonstitut)
◦ Zession der Kaufpreisforderung gegen Zweitkäufer (Sicherungszession)
◦ Verfügungsermächtigung an VbK durch VbV beschränkt mit tatsächlicher
Gewährung des Surrogats (allerdings wiederum Erwerb nach § 367 ABGB
möglich)
27.08.2021 Seite 248
Sonderformen des Eigentumsvorbehalts
Erweiterter Eigentumsvorbehalt
• EV auch zur Sicherung anderer Forderungen gegen den VbK
• EV soll nicht mit Zahlung des KP, sondern erst mit Begleichung
bestimmter anderer Schulden des VbK erlöschen
• hA: erweiterter EV ist unzulässig
◦ entspricht publizitätsloser Sicherungsübereignung
◦ Umdeutung in bloß obligatorische Verpflichtung des VbK
◦ Keine andere Tilgungsgabrede als nach §§ 1415 f möglich

27.08.2021 Seite 249


Streckengeschäft

A B C
Kaufvertrag Kaufvertrag

Kfz (KP EUR 5.000) Kfz (KP EUR 5.500)

Prinzip der kausalen Tradition?

27.08.2021 Seite 250


Sonderfall: Streckengeschäft
Wie kann ein sofortiger Erwerb des C sichergestellt werden?
• Zession des Anspruchs des B gegen A auf Lieferung der Sache an C
• Übernahme der Schuld des B gegenüber C auf Lieferung durch A
• Ausgestaltung des Kaufvertrages zwischen A und B als echter Vertrag zugunsten
von C
• notwendige Zession gem §§ 1422 f ABGB (A leistet an C)
• Titelkette ausreichend
◦ Vertrag A – B und B – C
◦ B weist A an, Sache an C zu liefern
◦ B ermächtigt C, Sache von A entgegenzunehmen

27.08.2021 Seite 251


Sonderfall: Streckengeschäft

A Verfügungsgeschäft + Übergabe C

27.08.2021 Seite 252


Sonderfall: Streckengeschäft

B Vertrauensmann?

A Verfügungsgeschäft + Übergabe C § 367 analog

27.08.2021 Seite 253


Sonderfall: Streckengeschäft

A Verfügungsgeschäft + Übergabe C

27.08.2021 Seite 254


Sonderfall: Streckengeschäft

A Verfügungsgeschäft + Übergabe C
Angenommene Anweisung?

27.08.2021 Seite 255


Sonderfall: Streckengeschäft
Wie schaut das Streckengeschäft bei Liegenschaften aus?
• Eintragungen sind grds nur gegen den bücherlichen Vormann zulässig
◦ = derjenige, der im ZP des Ansuchens im GB eingetragen ist
• Ausnahme: § 22 GBG
◦ „Sprungeintragung“
◦ außerbücherlicher Erwerb + Weiterübertragung
◦ Zwischenerwerber müssen nicht eingetragen werden
◦ geschlossene Kette von einverleibungsfähigen Urkunden
• Fazit: letzter Erwerber kann unter Nachwies seiner Vormänner unmittelbar
die Eintragung begehren
• Weitere Ausnahmen vom Prinzip des bücherlichen Vormannes in § 22 f
GBG
27.08.2021 Seite 256
Viel Erfolg für die
Prüfung!

27.08.2021 Seite 257

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