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Festigkeitslehre: Querschub 135

12.2 Querkraftschub

Abbildung 12.14: Momenten- und Querkraftverlauf am Balken

Belastet man einen Balken durch ein veränderliches Biegemoment M (x), z.B. beim
Kragarm in Abbildung 12.14, dann treten in der Querschnittsfläche des Balkens Quer-
kräfte gemäß

dM (x)
Q(x) = (12.45)
dx

auf. Diese erzeugen Schubspannungen ⌧q , den sogenannten Querkraftschub. Zwischen


der Querkraft und der Schubspannung in einer bestimmten Querschnittfläche an der
Stelle x gilt der Zusammenhang
Z
Q= ⌧q dA (12.46)
A

Wie bereits in Abschnitt 12 erwähnt, treten wegen des Momentengleichgewichts am Volu-


menelement Schubspannungen immer paarweise auf (zugeordnete Schubspannungen),
hier in Querrichtung ⌧q und in Längsrichtung ⌧l .

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Abbildung 12.15: Zugeordnete Schubspannungen

Das Auftreten von Schubspannungen in Längsrichtung kann man sich durch ein Gedan-
kenexperiment veranschaulichen: Denkt man sich den Balken aus Abbildung 12.16 als
aus lose aufeinanderliegenden Brettern aufgebaut (a), gleiten diese Bretter unter Biege-
beanspruchung aufeinander ab, eine vorher aufgebrachte Markierung wird verschoben.
Beim massiven Balken können wir die Fasern als miteinander verklebte Bretter vorstellen
(b). Durch die gedachten Klebeverbindungen wird dieses Abgleiten jedoch verhindert,
in den Klebefugen treten Längsschubspannungen ⌧l auf.

Abbildung 12.16: Gedankenexperiment: Bretter a) lose aufeinandergeschichtet b) mit-


einander verklebt

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12.2.1 Spannungsermittlung

An lastfreien Oberflächen des Balken können aufgrund der Randbedingungen keine


Schubspannungen auftreten. Es gilt ⌧l = ⌧q = 0 (Satz der zugeordneten Schubspan-
nungen). Bei gekrümmten Querschnittsflächen verlaufen die Schubspannungen tangen-
tial zum Rand. Bei dünnwandigen Profilen verläuft die Schubspannung tangential zur
Wandungsmittellinie, bei dicken Bauteilen schneiden sich die Schubspannungen in einem
Pol.

Abbildung 12.17: Verlauf der Schubspannungen in dünnwandigen und dicken Quer-


schnitten [6]

Die Vertikalkomponenten ⌧q der Schubspannung ⌧ges , die parallel zur Querkraft gerichtet
sind, sollen nur in z-Richtung veränderlich sein, nicht jedoch in y-Richtung3 : ⌧q = ⌧q (z).

3
Diese Annahme ist nicht exakt erfüllt, da die Schubspannung am Rand einer beliebigen Querschnitts-
fläche immer tangential zur Oberfläche verläuft. ⌧q ist daher eine mittlere Schubspannung.

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Abbildung 12.18: Auf Biegung und Querschub beanspruchter Balken [6]

Bild 12.18 zeigt einen auf Biegung und Querkraftschub beanspruchten Balken. Zunächst
wird ein Volumenelement der Länge dx herausgeschnitten. Dieses wird wiederum an
der beliebigen Stelle z durchgeschnitten, das Volumenelement hat dort die Breite
b(z) und damit die Fläche b(z) · dx. Das Kräftegleichgewicht in x-Richtung liefert
Z Z
( (z) + d ) dA (z)dA ⌧l (z) · b(z)dx = 0. (12.47)
AR AR

Daraus folgt
Z Z
1 d
d · dA = ⌧l (z) · b(z)dx ) ⌧l (z) = dA. (12.48)
b(z) dx
AR AR

Für die Biegespannung im Abstand ⇣ von der durch den Flächenschwerpunkt gehenden
y-Achse gilt mit dem Flächenmoment Iyy

M (x)
(⇣) = · ⇣. (12.49)
Iyy

Wegen dM (x)/dx = Q liefert die Di↵erentiation nach x

d (⇣) dM (x) ⇣ ⇣
= · =Q· . (12.50)
dx dx Iyy Iyy

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Eingesetzt erhält man bei konstanter Querkraft Q


Z
Q
⌧l (z) = ⇣dA. (12.51)
b(z) · Iyy
AR

R
Der Integralausdruck ⇣dA =: Hy (z) ist das Flächenmoment 1. Ordnung (sta-
AR
tisches Moment, siehe Abschnitt 5.3 zur Berechnung des Flächenschwerpunktes) der
Restfläche AR . Für die Schubspannung gilt daher

Q · Hy (z)
⌧l (z) = ⌧q (z) = . (12.52)
b(z) · Iyy

Oftmals ist man am genauen Schubspannungsverlauf gar nicht interessiert, da für die Fe-
stigkeitsbewertung meist nur die maximal auftretende Schubspannung ⌧q max maßgeblich
ist. Daher definiert man über

⌧q max =  · ⌧m (12.53)

den Schubkorrekturfaktor , der die Spannungsüberhöhung gegenüber der mittleren


Schubspannung ⌧m = Q/A angibt.

Beispiel: Rechteckquerschnitt

Q · Hy (z)
⌧q (z) =
b(z) · Iyy

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bh3
R
Mit: b(z) = b, A = b · h, Iyy = 12
und Hy (z) = ⇣dA. Wegen dA = b · d⇣ folgt:
AR

Zh/2  2 h/2  ✓ ◆
⇣ b h2 2 bh2 4z 2
Hy = b ⇣d⇣ = b = z = 1
2 z 2 4 8 h2
z

und damit
✓ ◆ ✓ ◆
Q · bh2 · 12 4z 2 3Q 4z 2
⌧q (z) = 1 = 1 .
8 · b · bh3 h2 2 bh h2

Die maximale Schubspannung erhält man für z = 0:

3Q 3Q 3
⌧q max = ⌧q (z = 0) = = = ⌧m = ⌧m .
2 bh 2A 2

Für den Rechteckquerschnitt erhält man also den Schubkorrekturfaktor zu  = 32 .

Tabelle 12.19 zeigt die Querkraftschubspannungen und den Schubkorrekturfaktor für


ausgewählte Querschnitte.

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Querschnittsfläche ⌧q (. . .) ⌧q max 

⇣ ⌘
3 Q 4z 2 3 Q
⌧q (z) = 2 bh
1 h2
⌧q max = 2 bh
= 32 ⌧m = 3
2

⇣ ⌘
4 Q z2 4 Q 4
⌧q (z) = 3 r2 ⇡
1 r2
⌧q max = 3 r2 ⇡
= 3

Q Q
⌧q (') = r⇡t
· cos ' ⌧q max = 2 · 2r⇡t
=2

Flansch: Flansch:
⌧hF (⌘) = Q·c
Iyy
·⌘ ⌧hF max = Q·b·c
Iyy
Steg: h Steg:
⌧qS (z) = IQyy bc ttFs ⌧qS max
h = i
⇣ ⌘i Q a2
a2
+ 2 1 a2 z2
Iyy
bc ttFs + 2

Flansch: 0  ⌘  b/2 Flansch:


⌧hF (⌘) = Q·c
Iyy
·⌘ ⌧hF max = Q·b·c
2Iyy
Steg: h Steg:
⌧qS (z) = IQyy bc ttFs ⌧qS max
h = i
⇣ ⌘i Q a2
2
+ a2 1 az 2
2
Iyy
bc ttFs + 2

Abbildung 12.19: Schubspannungsverteilung in ausgewählten Querschnitten (Bilder aus


[6])

Da die Schubverformung über das Hookesche Gesetz mit der Schubspannung zusam-
menhängt, ändert sich aufgrund der nicht konstanten Schubspannung über die Dicke
auch die Schiebung . Hierauf wollen wir im Rahmen der Grundlagenvorlesung aller-

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dings nicht weiter eingehen und beschränken uns darauf, eine “gemittelte” Schiebung

⌧m
m =
G

zur Abschätzung der Schubdeformation zu berechnen.

12.2.2 Vergleich von Schub- und Normalspannungen bei


Querkraftbiegung

Abbildung 12.20: Momenten- und Querkraftverlauf am Balken

Wird ein Balken durch Querkraftbiegung beansprucht, treten neben den Normal-
spannungen durch Biegung auch Schubspannungen durch Querkräfte auf. Be-
trachten wir dazu nochmals unser Ausgangsbeispiel (Abbildung 12.14 bzw. 12.20) mit
Rechteckquerschnitt (Breite b, Höhe h > b). Der Verlauf des Biegemomentes M (x) ist
linear, die Querkraft Q im Träger ist konstant. Aufgrund des parabelförmigen Verlaufs
der Schubspannung im Rechteckquerschnitt tritt die maximale Schubspannung bei z = 0
auf. Mit Qmax = F = const. erhält man

3 F
⌧q max =  · ⌧m = (12.54)
2b·h

Die größte Biegespannung tritt an der Einspannstelle auf:

Mmax F ·l 6F l
b max = = 2
= 2 (12.55)
Wy b · h /6 bh

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Berechnet man das Verhältnis ⌧q max / b max , erhält man

⌧q max h
= (12.56)
b max 4·l

Daraus ergibt sich, dass Schub- und Normalspannungen in einem durch Querkraftbie-
gung beanspruchten Balken in etwa dieselbe Größenordnung besitzen, falls Balkenhöhe
und Balkenlänge die gleiche Größenordnung haben. Man spricht dann von kurzen
Balken, bei denen der Querkrafteinfluss nicht vernachlässigt werden darf.

Bei langen Balken hingegen können die Schubspannungen gegenüber den Bie-
genormalspannungen vernachlässigt werden. Zum Beispiel ergibt sich für einen
Balken mit Rechteckquerschnitt und l = 5 · h

⌧q max h 1
= = . (12.57)
b max 4·5·h 20

Die maximale Schubspannung beträgt in diesem Fall nur 5% der Biegenormalspannung


und ist daher vernachlässigbar.

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Lehrbeispiel 15.1:

Das dargestellte Befestigungselement mit kreisförmigem Vollquer-


schnitt soll hinsichtlich Querkraftschub und Biegung ausgelegt
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werden.
Gegeben: , .
a) Wie ist die Länge zu wählen, wenn an der Einspannstelle
die maximale Schubspannung in der Mitte des Querschnitts
genauso groß sein soll wie die maximale Biegenennspan-
nung am Rand? Die Kerbwirkung ist zu vernachlässigen.
b) Welcher Werkstoff in Baustahlqualität ist unter Berück-
sichtigung des Ergebnisses aus a) mindestens auszuwählen,
wenn in der Mitte des Querschnittes eine Mindestsicherheit
gegen plastisches Versagen durch Schub von 1,3 eingehalten
werden soll? Es gilt: , ,
Schubfließgrenze . Wie groß ist mit dem gewählten Werkstoff die vorhandene
Sicherheit gegen Fließen an der Stelle der maximalen Biegespannung, wenn gilt ?
c) Welche Gesamtdurchsenkung stellt sich dann an der Lasteinleitungsstelle ein (Stahl:
, )?

Lösung: a)
b) E335,
c)

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Lösung
Die folgenden Abbildungen zeigen schematisch die Verläufe der Biegespannung und der Quer-
schubspannung über den Balkenquerschnitt. Als Normalspannung steht die Biegespannung
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senkrecht auf der Querschnittsfläche, die Schubspannung liegt als Tangentialspannung in der
Fläche. Zur besseren Veranschaulichung wird ihr Verlauf „umgeklappt“ dargestellt.

Die Biegespannung ist am Rand maximal, für (neutrale Faser) ist die Biegespannung Null.
Der Verlauf der Schubspannung ist quadratisch. Am Rand ist er Null, in der Mitte maximal.
a) Wir berechnen zuerst die gemittelte Schubspannung . Für die Fläche des Kreisquerschnittes
gilt und damit

Die maximale Schubspannung tritt in der Mitte für auf. Den Schubkorrekturfaktor für den
Kreisquerschnitt entnehmen wir Tabelle 3.1 im Skript:

Für die maximale Schubspannung folgt damit

Die betragsmäßig maximale Biegespannung am Rand ergibt sich zu

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Für das Biegewiderstandsmoment des Kreisquerschnittes gilt , das Biegemoment erhalten


wir zu mit der noch unbekannten Länge . Wir setzen ein:

.
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Laut Aufgabenstellung sollen maximale Biegespannung und maximale Schubspannung den


gleichen Wert besitzen. Wir setzen gleich:

Die Länge des Trägers ist damit deutlich kleiner als sein Durchmesser, es handelt sich also nicht
mehr um einen schlanken Balken, bei dem die Schubspannung gegenüber der Biegespannung
vernachlässigt werden kann.
b) Für die Zahlenwerte , ergibt sich

Es soll ein Werkstoff in Baustahlqualität ausgewählt werden, der in der Mitte des Querschnitts eine
Sicherheit gegen Fließen von mindestens aufweist. An dieser Stelle ist die
Biegespannung Null und wir brauchen nur die Schubspannung zu berücksichtigen. Für die
Schubfließgrenze gilt
1
.

Wir fordern:

Mit den gegebenen Zahlenwerten erhalten wir

Aus der Tabelle 1.1 des Anhangs zur Vorlesung wählen wir den Baustahl mit der nächstgrößeren
Streckgrenze aus:
E335: .

Wegen der Forderung

können wir die Sicherheit gegen Fließen am Rand ausrechnen, da die Schubspannung dort Null ist
1 Dieser Zusammenhang zwischen Schubfestigkeit und Streck- bzw. Dehngrenze für duktile Materialien folgt aus der
Gestaltänderungsenergiehypothese, auf die wir später im Semester bzw. in TM II noch eingehen werden.

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und nur die Biegespannung berücksichtigt werden muss:

.
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Die Sicherheit gegen Fließen durch Biegung ist dort deutlich höher als die Sicherheit gegen Fließen
durch Querschub in der Balkenmitte von etwa . Für diesen „kurzen Balken“ ist der Querschub
also kritischer als die Biegung.

Anmerkung zur Schubverformung:


Wenn der Querkraftschub nicht vernachlässigbar ist (wie bei beim vorliegenden Beispiel), bleiben
aufgrund des nichtlinearen Querschubverlaufs über die Balkendicke (Null an den Rändern, maximal
in der Mitte, dazwischen quadratisch) die Querschnittsflächen nicht eben, es muss sich wegen der
Gültigkeit des Hookeschen Stoffgesetzes ein „S-Schlag“ einstellen, siehe Abbildung. Man spricht
bei solchen Balken von Timoshenko-Balken. Berücksichtigt man den S-Schlag, erhält man für
Schiebung g eine etwas kleinere, gemittelte Korrekturzahl als für die maximale Schubspannung.

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