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EL SALVADOR

Schmutziger
starben zwei Mädchen und ein Mann. Ein
ungewöhnlich blutiger Sonntagabend, der
eine Woche abschloss, die im rechten Bou-

Sozialkrieg levardblatt MAS in seinen Klatsch-Spalten


als «semana loca» angekündigt worden war.
Quelle der Ankündigung: alte Geheim-
Passagiere werden in einem Kleinbus in einer Armutsgemeinde mit Benzin übergossen und dienstseilschaften. Da die Armee neu für
lebendigen Leibes verbrannt. StrassenverkäuferInnen geraten dem rechtsradikalen Bürger- die Kontrolle der Knäste, in denen die Bos-
se der Maras (Strassenbanden) einsitzen,
meister von San Salvador ins Terrorismusvisier, während er den Putschführer aus Honduras zuständig sei, hätten die Kriminellen eine
hofiert. Die Armee will immer mehr Kontrolle im Land. Die grosse Hoffnung: Der FMLN trägt «Aktionswoche» als Retorsionsmassnahme
den Kampf gegen die schleichende «Warlordisierung» in die Armutszonen. geplant. In den Tagen zuvor hatte der Bür-
germeister der Hauptstadt, Norman Quija-
no, im Zusammenhang mit der Bekämpfung
Dieter Drüssel und Mela Wolf
von StrassenverkäuferInnen eine Sicher-
heitspsychose angeheizt (s.u.).

Gewaltverhältnisse
Dieses Massaker sprengt den Rahmen
Am Sonntag, dem 20. Juni 2010, hat sich Mannes (es war ihr Gatte), der versuchte, der «gewohnten» Gewalt selbst in diesem
in Mejicanos ein entsetzlicher Vorfall ereig- aus einem Fenster zu springen, nachdem er Land. Glaubt man einem Bericht, den das
net. Ein «öffentlicher» Kleinbus der Rute 47 seiner Frau geholfen hatte. Aber als er das UNO-Menschenrechtskommissariat und
wurde am Abend angezündet. 14 Passagiere versuchte, schrieen ihm mehrere mit Pistolen die Menschrechtskommission der OAS in
starben sofort, drei weitere der rund 16 meist und Gewehren bewaffnete Männer zu, dass San Salvador vorgestellt haben, hat das
mit schweren Verbrennungen Überleben- es zu spät sei. Sie sagten ihm, falls es ihm Land in Zentralamerika die höchste Mor-
den sind seither ihren Verletzungen erlegen. gelänge, herauszukommen, würde er unter drate (Co-Latino, 14.6.10. Guatemala: 48
Mejicanos ist eine Unterklassen-ge- ­ihren Kugeln sterben. Morde auf 100'000 EinwohnerInnen, Hon-
prägte Vorstadtgemeinde von San Salvador, Die Flammen wuchsen. Die Männer gos- duras: 58:100'000, El Salvador: 71:100'000).
von der Bevölkerungsgrösse her etwa ver- sen weiter Benzin auf den Bus mit den Leu- Allein in diesem Jahr sind nach Angaben
gleichbar mit Basel. Eine FMLN-Bastion. ten drin. Ein Mal hörte ich ein Weinen wie von Busunternehmern schon 77 Angestellte
Bericht einer Augenzeugin, veröffent­ von einem Bébé. Dies traf mich, denn diese des öffentlichen Transportsystems umgelegt
licht in El Mundo am 22. Juni: Verruchten hörten nicht auf, über das zu la- worden. Diese Morde werden immer mit
«Plötzlich hörte ich entsetzliche Schreie. chen, was sie taten. Erpressungsaktionen der Maras erklärt; al-
Es war halb acht abends und mit meinen Es war die Hölle. Man hörte die Schreie lerdings haben bei einer unbekannten An-
schlechten Augen versuchte ich, die Quelle der Leute, die im Bus verbrannten. Die Ver- zahl dieser Morde die Maras auf Geheiss
der verzweifelten, makabren Schreie ausfin- fluchten hörten nicht auf zu lachen. Sie waren von konkurrierenden Busunternehmern
dig zu machen. Ich fuhr in meinem Wagen sicher auf Drogen. Wer weiss.» gehandelt. So oder so werden dabei «nor-
vorbei, als ich merkte, dass etwas geschah. Ich
sah, dass die Schreie aus einem in der Nähe
abgestellten Kleinbus stammten. Plötzlich
wurde es hell auf der Strasse. Der Kleinbus
fing Feuer. Von drinnen hörte ich Schreie von
Frauen, die verbrannten.
Ich zitterte. Ich rief die 911 (Polizeinot-
ruf) an, doch vergeblich. Es war stets besetzt.
Draussen um den Kleinbus gossen minde-
stens drei Männer Benzin auf den Bus, damit
er noch stärker brenne. Sie lachten wie Wahn-
sinnige.
Ich betete. Ich konnte nicht mehr fahren.
Ich schaffte es nur noch, den Motor abzu-
stellen. Nicht einmal in den gewalttätigsten
Filmen habe ich so etwas gesehen. Es waren Mejicanos, am 22. Juni vor dem Eindunklen: Menschenleere Strassen, wo sonst um
Augenblicke. Minuten. Ich weiss es nicht. diese Zeit emsiges Treiben herrscht. Die Leute haben Angst vor neuen Gewalttaten.
Aber ich sah, wie eine Frau aus dem Quelle: El Faro.
Fenster flog, während der Bus immer mehr
brannte. Nachher wurde mir klar, dass es ihr «Eine verrückte Woche»
Gatte war, der sie, um sie zu retten, aus dem Das Massaker von Mejicanos erfolgte malerweise» die Passagiere ausgeraubt und
Fenster geworfen hatte. Es war eine Señora kaum 20 Minuten, nachdem zwei Stras- laufen gelassen.
aus dem Quartier Argentina. Sie lebte nahe senzüge entfernt ein anderer Kleinbus mit Schon am Tag nach der Matanza hat-
von mir. Nachher sah ich die Silhouette eines Maschinengewehren beschossen wurde. Es te die Polizei ein Dutzend Mitglieder der

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Mejicanos-Gruppe der Mara 18 verhaftet. welches Motiv dahinter stecken kann» nicht näher bestimmten Funktion auch für
Die Mara-Hypothese gilt nicht als unplau- (LPG online, 21.6.10). den heutigen Präsidenten Saca aktiv gewe-
sibel. In den Medien zirkulieren zwei Erklä- Natürlich ist es noch zu früh für defi- sen, während dessen Wahlkampagne sich die
rungen, die von der Polizeiführung nicht aus- nitive Aussagen zum Massaker. Allerdings Morde an Buschauffeuren dramatisch gestei-
geschlossen, aber auch nicht einfach bejaht steigt die Erinnerung an ein anderes Bus- gert haben. (Hauptquellen zu Klugmann: die
werden. Die eine geht von einer Racheakti- massaker hoch, begangen an Weihnachten honduranische Zeitung El Heraldo, 29.11.05,
on der Mara 18 gegen die jetzt einsetzende 2004 in der honduranischen Stadt San Pedro 30.6.07)».
Militarisierung der Knäste aus. Armeeein- Sula. Damals waren 28 Passagiere in einem
heiten sollen auf Geheiss der Regierung das Linienbus erschossen worden. Die Täter Destabilisierungsstrategie?
liessen ein mit «Cinchoneros» firmiertes Das Massaker passt auffallend in eine
Spruchband zurück, in dem sie dem dama- Dynamik, wie sie der Bürgermeister von
ligen Präsidenten Maduro (Mit-Putschist San Salvador und einzig verbliebene Hoff-
vom letzten Jahr) den Krieg wegen seiner nungsträger für die rechte Partei ARENA,
brutalen Antimara-Kampagne erklärten. Norman Quijano, im Juni losgetreten hat.
Cinchoneros, so hatte in den 80er Jahren Drei Entwicklungen spielten wie zufällig
eine seither längst aufgelöste linke Guerilla­ für das Zustandekommen jener «verrückten
formation geheissen. Es war damals Wahl- Woche» zusammen, wie sie im Massenblatt
kampf, den der heute als Präsident amtie- MAS, einem traditionellen Transportvehikel
rende Porifirio Lobo gegen einen gewissen für rechtsradikale «Knüller», angekündigt
San Salvador, Juni 2010: Armee kontrolliert angebliche Mel Zelaya schliesslich verlor… worden ist: 1. Angriffe auf Strassenverkäu-
Mara-Verdächtige. Quelle: El Faro. Dazu ein Auszug aus Correos 150 (Au- ferInnen durch die Gemeinderegierung,
gust 2007): «Der Präsident Zelaya gab mir 2. Einladung des honduranischen Put-
Umfeld von Gefängnissen absichern. Die eine haarsträubende Information, die ich schisten Roberto Micheletti und 3. das Mas-
andere Version besteht in den üblichen «Er- nicht verbreiten möchte, solange wir nicht da- saker von Mejicanos.
klärungen» mit territorialen Konkurrenz- von überzeugt sind, dass sich diese Vorgänge In der zweiten Juniwoche startete die
kämpfen zwischen den Banden. Bisher galt zugetragen haben». Dixit der guatemalte- Alcaldía (Gemeinderegierung) von San Sal-
die Mara 18 allerdings als weniger brutal als kische Präsident Óscar Berger vor einigen vador in der Nacht vom Freitag eine gross
ihre Rivalin Mara Salvatrucha. Wochen. Mario Taracena, Parlamentarier der angelegte Räumungsaktion mit über 500
UNE-Partei, deren Präsidentschaftskandidat Elementen der Gemeindepolizei CAM ge-
Die Staatsanwaltschaft mauert Álvaro Colom in den Umfragen vorne liegt, gen StrassenverkäuferInnen im Zentrum
Auffallend ist, dass der Generalstaats- beeilte sich am 3. Juli, die Worte Bergers zu um das Spital Rosales und der Calle Arce,
anwalt Romeo Barahona, ein Mann der verdeutlichen. Der US-Bürger Mark Klug- eine Hochburg der VerkauferInnen der CD-
Rechten, erst gegen die von der Polizei Ver- mann habe «in Honduras die Morde an DVD-Bewegung. Diese war ursprünglich
hafteten nur wegen illegalem Waffenbesitz Buschauffeuren ersonnen und es erscheint als Kampfbewegung gegen das Freihan-
vorgehen wollte. Nur unter massivem öf- uns seltsam, dass jetzt, während er den Parti- delsabkommen mit den USA entstanden.
fentlichen Druck wird er nun gegen einige do Patriótico (PP) berät, das Gleiche in Gua­ Das CAM wird jetzt von einem Ex-Militär
der Verhafteten Anklage wegen Beteiligung temala passiert». In der ersten Jahreshälfte befehligt und vom unterlegenen ARENA-
am Massaker erheben. sind 75 Buschauffeure im Land umgebracht Präsidentschaftskandidaten und ehema-
Äusserst merkwürdig: Einige Tage nach worden, angeblich von Strassenbanden. ligen Polizeichef Rodrigo Ávila «beraten».
der Tat stellte sich der laut Presseversionen Klugmann hatte in Honduras als Berater die Fernziel derartiger Aktionen: eine von den
für das Massaker angeblich verantwortliche knapp gescheiterte Wahlkampagne des rechts- abertausenden ambulanten HändlerInnen
Mara-Boss der Justiz. Damit haben wir es radikalen Law-and-Order-Kandidaten Pepe «gesäuberte», von kapitalkräftigen Ver-
mit einem alle bisherigen Mara-Übeltaten Lobo geleitet, während der es am Vorabend
sprengendem Vorfall zu tun und mit einer von Weihnachten 2004 in einem Aussenbe-
weiteren Premiere: ein Marajefe stellt sich zirk der Industriemetropole San Pedro Sula
freiwillig… zu einem Massaker gekommen war: Alle In-
sassInnen eines Busses, mehrheitlich von der
Eine Erinnerung Arbeit heimkehrende Fabrikarbeiterinnen,
Ausgerechnet in diesem Fall lassen Ex- wurden massakriert. Der Berater Klugmann
ponenten der Rechten wie der General- wurde im Land mit diesem Massaker asso-
staatsanwalt jenen «Schneid» vermissen, ziiert, der honduranische Sicherheitsminister
den sie ansonsten als politisches Rübe-ab- unterstrich kürzlich, dass dies Gegenstand
Postulat noch so gerne an den Tag legen. einer Untersuchung sei.
San Salvador, 3ra Avenida Sur: Informeller Markt
Umgekehrt fordern etwa der FMLN oder Die Person von Klugmann ist auf jeden
im Zentrum.
Vizepräsident Sánchez Cerén eine reale, Fall von Interesse. Er stammt aus dem neo-
umfassende Aufklärung und eine klare konservativen Milieu in den USA, ist Reden- kaufsketten dominierte Innenstadt. Zwi-
Kooperation von Staatsanwaltschaft und schreiber für die beiden Präsidenten Reagan schen 12 bis 20 tausend VerkäuferInnen
Justiz. Sicherheitsminister Manuel Melgar und Bush I. gewesen und agiert seit 1989 im sollen in den nächsten zwei Jahren wegge-
(FMLN) dazu: «Das ist ein typisch terro- pinochetistischen Umfeld in Chile. In El Sal- säubert werden. Trotz Wirtschaftskrise, die
ristischer Vorfall. Er will die Bevölkerung vador hatte Klugman für [Ex-Präsident] Flo- den Strassenhandel für viele zur einzigen
in Angst versetzen. Man muss untersuchen, res den Wahlberater markiert und ist in einer Einkunftsmöglichkeit macht.

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Die Inszenierung 18. Juni, zwei Tage vor dem Massaker in Die Putschkomponente
Es kam, wie erwartet, zu Widerstand. Mejicanos, und drei Tage nach dem ersten Die grossen Massenmedien heizten
An die 400 VerkauferInnen verbrachten die «Terrorismusakt», war eine Grossmobili- von Mittwoch bis Samstag mit ihrer Hetze
Nacht in der Innenstadt, um ihre Stände zu sierung der VerkäuferInnen angesagt. Doch gegen die VerkäuferInnen ein Klima von
verteidigen. Pikantes Detail: Wahrend der die HändlerInnenorganisationen hatten in «Unsicherheit» an. Dann kam am Sonntag
Auseinandersetzungen zwischen CAM und der Nacht zuvor Wind von geplanten Pro- das beängstigende Massaker von Mejica-
VerkäuferInnen «verirrte» sich ein Abfall- vokationen erhalten und versuchten an den nos. Drei Tage danach, am 23. Juni, empfing
camion der Alcaldía in einen hermetisch Treffpunkten, die Mobilisierung zu stoppen. Bürgermeister Quijano zusammen mit an-
abgeriegelten Quadranten von zehn Stras- Zu spät, noch während sie ihre Leute zum deren Exponenten von ARENA und Un-
senzügen und wurde just neben brennenden Abziehen aufforderten, traten Gruppen in ternehmerkreisen den Gorilla Roberto Mi-
Autoreifen parkiert. Die VerkäuferInnen Aktion, die sofort eine Auseinandersetzung cheletti, der in Honduras nach dem Putsch
bemerkten, wie der Camion von einem mit der Polizei provozierten. Es kam zu einer als «Präsident» waltete. Quijano verlieh
Trupp von Unbekannten in Beschlag ge- mehrstündigen Szenerie im Stadtzentrum, seinem Spezi einen Orden für die «Verteidi-
nommen wurde, der Fahrer abhaute und die bei der Presseleute oder etwa Wagen des gung der Demokratie» und erklärte sich zu
Gefahr bestand, dass der Wagen in Flammen Gesundheitsministeriums Angriffsziele wa- seinem «Bewunderer». Es ist denn auch kein
aufgehen würde. Derartige Manöver, wo ir- ren. Marodierende Schlägertruppen sorgten Zufall, dass während der Vertreibungen der
gendwelche Wagen abgefackelt werden und während Stunden für ein aufgeheiztes Kli- StrassenhändlerInnen im rechtsradikalen
dann soziale Proteste als Terrorakte verbra- ma. Für die VerkäuferInnen steht fest: Es Blatt Diario de Hoy (online) Kommentare
ten werden, kannten insbesondere die CD/ handelte sich um eingeschleuste Agents erschienen, die kurzen Prozess mit den Ver-
DVD-VerkäuferInnen aus früheren Jahren. käuferInnen und «anderen Gewalttätern»
Sie nahmen den Camion fix in Beschlag, forderten, «so wie in Honduras».
schlugen die Unbekannten in die Flucht und
händigten den unbeschadeten Wagen dem Militarisierung
CAM aus. Kurioserweise griff kurz darauf Diese Vorkommnisse stehen im Kontext
die Polizei-Grenadierabteilung UMO die eines generellen Angstklimas wegen der ex-
VerkäuferInnen an. Ein Abfallcamion sei trem hohen Mordrate im Land. Die FMLN-/
entführt worden sei, und da müsse, im Ge- Funes-Regierung reagiert widersprüchlich,
gensatz zur Räumung, die Gemeindeange- aber leider gibt sie auch dem Ruf nach einer
legenheit sei, die nationale Polizei «eingrei- militärischen «Antwort» nach. So kontrol-
Polizeikontrolle in einem Bus. Die Männer müssen
fen». lieren jetzt die Militärs neu alle Menschen,
aussteigen und sich einer genauen Untersuchung
In der Nacht auf Sonntag explodierte die 5 der insgesamt 19 Knäste betreten oder
unterziehen, die Frauen müssen nur ihre Taschen
eine aus einem Wagen geworfene Handgra- verlassen. Begründung: Nur so könne der
zeigen. Quelle: El Faro.
nate im Wagenpark eines Postens der Ge- Schmuggel auch mit Handys unterbunden
meindepolizei, wobei drei Angehörige des Provocateurs. Die (grossen) Medien berich- werden, welche die einsitzenden Marabosse
CAM leichte Verletzungen davon trugen. teten hingebungsvoll vom VerkäuferInnen- benutzten, um ihre Banden draussen zu neu-
Quijano konnte jetzt von «Terrorismus» Terror. Laut Polizeiangaben handelte es sich en Übeltaten anzuleiten.
sprechen. In einem anonymen Medienan- bei den 36 Festgenommenen zum Teil um Die Armeeführung unter dem von Prä-
ruf übernahm ein «urbanes Kommando» Mara-Mitglieder. sident Funes ernannten Verteidigungsmini-
die Verantwortung – so hiessen während Am Vorabend, um 9 Uhr nachts, hatte ster und General Munguía Payés lässt kei-
des Krieges die städtischen Einheiten des Quijano höchstpersönlich in eine Tages- nen Zweifel daran, dass sie auch das bloss
FMLN. Wochen zuvor hatte der ARENA- schau-Sendung angerufen, um mitzuteilen, als Zwischenschritt sieht. Munguía Payés
Hardliner mehrfach die Verwicklung von dass für den folgenden Tag gewalttätige bedauert in Interviews, dass die Armee
«Parteiexponenten» in die VerkäuferInnen- Aktionen inklusive neue Handgranaten­ nicht die direkte Kontrolle über alle In-
szene betont – mehrmals nannte er dabei anschläge geplant seien. Die Bevölkerung sassInnen aller Gefängnisse ausüben darf.
Martín Montoya, bekannt als Sprecher der rief der Mann zu besonderen Vorsichts- «Wenn wir die totale Kontrolle übernehmen
CD/DVD-Bewegung. massnahmen auf. Eine Stunde nach dem würden, könnten wir die Verbrechen um 40 %
Einen Tag darauf erstattete Quijano Aufsehen erregenden Anruf explodierte an reduzieren», so der Gorilla (Prensa Gráfica,
bei der Generalstaatsanwaltschaft Anzeige einer Eingangstüre der Alcaldía eine Hand- 20.6.10). Das Lamento über die den Sol-
gegen sechs VerkäuferInnen-Chefs, die be- granate, ohne jemanden zu verletzen. Ins- daten aufgezwungenen «gesetzlichen Fes-
kanntesten Gesichter von links bis rechts gesamt seien aber acht Anschläge geplant seln» bei ihrem Einsatz im Innern ist ein
aussen aus der Szene, wegen «intellektueller gewesen, wusste Quijano zu berichten. (Wie Dauerbrenner. Dieser Tage will die Regie-
Urheberschaft» beim Bombenanschlag. Die dann später «korrigiert» wurde, explodierte rung ein neues Gesetz zur Bekämpfung von
Staatsanwaltschaft nahm, anders als sonst, die Granate nicht in einem Eingang, son- «Strassenbanden und Ausmerzgruppen»
subito die entsprechenden Ermittlungen dern im Alcaldía-Lager für Geburtsurkun- (Todesschwadronen) vorlegen. Offenbar
auf und die Rechtsmedien feierten Quijanos den. Damit sind «drohende» Kontrollen von beinhaltet es auch eine nochmalige mehr-
«mutigen Akt», der endlich klare Verhält- mutmasslichen Falsch- und Mehrfachwäh- jährige Straferhöhung für Mitgliedschaft in
nisse schaffe. Umgekehrt führte dies unter lerInnen über den Abgleich der dafür zen- einer «kriminellen Organisation», speziell
den VerkäuferInnen zum Zusammenschluss tralen Geburtsurkunden für die Hauptstadt in den Maras – wie immer die auch «be-
in der «Bewegung der unabhängigen Ver- weitgehend abgewendet. Das ist im Hinblick wiesen» werden soll. Der General begrüsst
käuferInnen». auf die nächsten Gemeindewahlen 2012 be- die Vorlage als Hilfe für das Vorgehen der
Für den Morgen des Donnerstags, des sonders spassig.) Armee und meint: «Nach sechs Monaten im

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2000 Menschen. Ein wichtiges Zeichen: Der grunde liegenden Gewalt zu sein» (S. 240).
FMLN konfrontiert sich ab jetzt direkt mit Eine Seite zuvor wird auf den zuneh-
den Kräften hinter der Gewaltspirale. Der menden Transport von Kokain durch Zen-
FMLN-Bürgermeister von Mejicanos, Ro- tralamerika eingegangen: «Für die meisten
ger Blandino Nerio, sagte: «Wir sind hier in Gewaltformen in der Region wird die Schuld
tiefem Schmerz wegen der Opfer. Es kann oft zwei Strassenbandenföderationen zuge-
nicht sein, dass einige Gewalttäter dieses Volk schrieben. Aber es gibt wenig Anhaltspunkte
in die Knie zwingen wollen. Wir können vor- dafür, dass diese Gruppen, die aus Strassen-
wärts kommen und wir müssen mit dieser jugendlichen bestehen, die intensiv auf The-
Verpflichtung von hier weggehen». men ihrer Nachbarschaft ausgerichtet sind,
Mejicanos, 26. Juni: Auch Schulklassen demonstrieren Das ist aus zweierlei Gründen sehr wich- gross in transnationalen Drogengrosshandel
gegen den Terror. Quelle: Co-Latino. tig: Wer ohnmächtig einer Situation ausge- engagiert sind».
setzt ist, in der selbst das Besteigen eines Allerdings zirkulieren in El Salvador
Territorium wissen wir, wer wer ist» – eine Busses nunmehr mit der Angst erfolgt, dafür Aussagen über eine straff hierarchisierte
entsprechende Datenbank der Streitkräfte lebendig verbannt zu werden, muss darunter Struktur der Maragruppen: nicht mehr als
stehe jetzt zur Verfügung (Prensa Gráfica, schwer leiden. Und lässt sich dann eventuell 25 schwerreiche Bosse, 200 Stellvertreter,
1.7.10). Munguía Payés weiss ohnehin viel, einfacher instrumentalisieren für Pläne der 2000-3000 Auftragskiller und Erpresser und
etwa, dass der Befehl für das Massaker Herren des Terrors. Kollektiv den Kampf 20 bis 30 tausend Mareros, meist Jugend-
von Mejicanos «aus einem Gefängnis» kam gegen Lähmung und Angst aufzunehmen, liche ab 14 Jahren, die über Kleingewalt-
(Diario de Hoy, 22.6.10). kann eine Art sozialen Heilungsprozess ein- akte in die Struktur eingebunden werden.
Am 30. Juni legte ARENA ein Vor- leiten. Zum anderen kann nur der Aufbau Diese erst in den letzten Jahren so gestraffte
schlagsbündel für die weitere Militarisie- einer Bewegung gerade in den Unterklas- Struktur verrichte die Dreckarbeit für die
rung vor (Schaffung eines die Polizei befeh- senquartieren die Tür zu einer Alternative so genannte Organisierte Kriminalität, vom
lenden «Anti-Banden-Militärkommandos», zur Maramitgliedschaft öffnen. Und auch Drogenhandel bis zum Organdeal.
militärische Gefangenenlager auch für un- jene Informationen an den Tag befördern, Soziales «Schmiermittel» an der Basis
ter 16-jährige Mareros, ein «hochsicherer» welche die (minoritären) nicht-korrupten dieser Struktur: die paar Dollars, die so auch
Militärknast auf einer Insel im Golf von Teile der Polizei brauchen, um dem alltäg- für die Tausenden von Unterklassenfamilien
Fonseca). Es ist eindeutig, dass die extreme lichen Terror zu begegnen. anfallen, die, ihre Kleinsthütten, so sie denn
Anheizung des Unsicherheitsklimas dazu Sonst verstärkt sich die Militarisierungs- eine haben, mit Schulden belastet haben.
dient, den Zug auch unter Funes in Rich- misere. Es ist bekannt, dass das Offiziers- Eine linke Regierung kann dem nur mit ei-
tung Militarisierung zu lenken. So deutlich, korps nach wie vor mit den alten Seilschaften ner Doppelstrategie entgegenwirken: Auf-
dass kürzlich die Menschenrechtskommis- aus dem Krieg kommuniziert und im Dien- brechen der Führungsstruktur und langfri-
sion der OAS (CIDH) in einem zusammen ste des Pentagons steht. Klar ist auch, dass es stig die prekäre soziale und wirtschaftliche
mit Unicef und dem UNO-Menschenrechts- dereinst extrem schwer fallen wird, die Gei- Situation der Tausenden von Familien durch
kommissariat verfassten Bericht vor dieser ster der Militarisierung wieder in die Fla- strukturelle Veränderungen verbessern, um
Entwicklung warnte. CIDH-Kinderrechts- sche zurückzuholen. Aber auch, dass heute ihre Abhängigkeit vom kriminellen Kreis-
experte Paulo Sergio Pinheiro meinte: «Die jede/r BusfahrerIn in El Salvador erleichtert lauf zu durchbrechen.
Geschichte zeigt, dass die Beteiligung der sein wird, wenn im Bus schwer bewaffnete Wir haben es mit einem «schmutzigen
Streitkräfte einer Einladung zu Menschen- PNC-Uniformierte mitfahren oder Chauf- Sozialkrieg» zu tun. Erpressungsgelder zie-
rechtsverletzungen gleich kommt. Es handelt feure und Passagiere einer Schnellkontrolle hen die Maras fast ausschliesslich bei den
sich um eine verkrampfte Antwort für die unterzogen werden und an jeder belebten Unterklassen ein und bei den Busunterneh-
öffentliche Meinung, aber sie stellt eine Ka- Haltestelle Uniformierte stehen. men, bei denen nicht die Besitzer die Toten
tastrophe am Horizont dar» (Contrapunto, stellen, sondern die Fahrer und Cobradores.
15.6.10). Terror gegen die Armen, jene 80 Prozent,
die im Bus unterwegs sind, ausgeführt von
FMLN: Wir lassen uns nicht in Die Maras, die Mafias und jugendlichen Armen, aber gelenkt von Kar-
die Knie zwingen! die Ausbeutung tellen, die den immer eindringlicheren Mah-
Tatsache ist, wie Sicherheitsminister Mel- Das Wiener United Nations Office on nungen von Präsident Funes zu Folge tief
gar sagt, dass mit dem Massaker Angst und Drugs and Crime (UNODC) veröffentlichte in die Strukturen der Staatsanwaltschaft,
Schrecken in der Bevölkerung verbreitet in seinem jüngsten Bericht vom Juni (The der Justiz, der Polizei und (man staunt) des
werden soll und wird. Kinder haben Angst, Globalisation of Crime) Interessantes: Privatsektors Eingang gefunden haben.
in den Schulbus zu steigen. Die Schulen in «Das nördliche Dreieck von Zentrala- Eine fast perfekte Strategie des Chaos ge-
Mejicanos konnten erst eine Woche später merika [Guatemala, Honduras, El Salvador] gen den ersehnten Cambio, im Einklang mit
wieder den normalen Betrieb aufnehmen. weist von allen Regionen auf der Welt die den Prog­nosen des US National Intelligence
Umso wichtiger vielleicht die Initiative höchste Mordrate und sehr hohe Raten an Council über die «Gescheiterten Staaten in
der FMLN-Regierungen der Gemeinden im anderen Formen von Gewaltverbrechen auf. Zentralamerika». Dem steht eine beinahe
Grossraum San Salvador, gegen Angst und Es hat auch politische Gewalt erfahren und stoische Überzeugung der Frentebevölke-
Psychose eine Kampfinitiative zu lancieren. zuweilen kann die Unterscheidung in krimi- rung entgegen, fast einer Million, dass dieses
Motto: Wir lassen uns nicht in die Knie zwin- nelle und politische Gewalt nur schwer fass- Volk sich nicht unterkriegen lassen will und
gen! Unter diesem Motte demonstrierten in bar sein. Strassenbanden scheinen eher ein dass niemand dachte, dass es einfach sein
Ilopango am Samstag 1000, in Mejicanos Symptom als eine treibende Kraft dieser zu- würde, wenn eine ehemalige Guerillaorga-

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nisation mit an die Regierung kommt. Nicht Gärtnern, Chauffeuren oder selbst viele hartnäckig», sagte vor wenigen Tagen ein
zufällig sind unter der neuen Regierung der miserabel bezahlten Angestellten von Taxifahrer, dessen Klapperkiste noch immer
mehr korrupte Elemente der Polizei aufge- privaten Sicherheitsunternehmen, die jetzt kein billigeres Benzin kriegt, weshalb er
flogen als in den 20 Jahren zuvor. Möglich, erstmals einen garantierten Mindestlohn doch vor einem Jahr zu den Roten rüber ge-
dass sich bei einer klugen und mutigen Po- und Anrecht auf Vollversorgung im Ge- schwenkt war. «Aber ich bleibe beim Frente
litik des FMLN die Strategen der Spannung sundheitssystem haben, als ob sie Bankan- und bei Funes, insgesamt kann ich ihnen viel
verrechnen. Denn ihr Feind ist nicht einfach gestellte wären.... mehr glauben. Heute erhalte ich die Schul­
nur die ehemalige Guerilla, sondern etwa «Es geht nur langsam vorwärts, aber es uniformen für die Kinder, das hat es noch nie
jene Abertausenden von Hausangstellten, geht vorwärts, denn die von ARENA sind gegeben».

Geheimdienstlich «Organisierte Kriminalität»


Wie zur Illustration der in diesem Artikel thematisierten Verbindungen zwischen «Organisierter Krimina-
lität», imperialistischen Destabilisierungsplänen und Geheimdienst Machenschaften kam es am 2. Juli zur
Aufsehen erregenden Verhaftung des Salvadorianers Francisco Chávez Abarca im internationalen Flughafen
von Caracas. Die venezolanischen Behörden verdächtigten Abarca eines Planes, im Hinblick auf die Parlaments-
wahlen vom kommenden September mit Sabotageplänen eingereist zu sein. Vor laufender Kamera schien der
Mann das zu bestätigen, als er auf die Frage, was er denn hier vorgehabt habe, meinte: «Nun, Pneus auf der
Strasse zu verbrennen, oder eine politische Partei angreifen, um es einer anderen anzulasten» (Faro, 7.7.10).
Also rechte Selbstattentate zu organisieren, die dann den Chavistas zugeschrieben werden sollen.
Möglicherweise ist dies aber noch eine harmlose Schutzbehauptung. Denn Abarca fiel 1997/98 mit einer
anderen Aktivität auf, in Kuba, wohin ihn die venezolanischen Behörden aufgrund eines Interpol-Haftbefehls
auch überstellt haben. Damals fungierte der Salvadorianer als rechte Hand des «berüchtigsten Terroristen» im
Kontinent, von Luis Posada Carriles. Der früher offiziell für die CIA arbeitende Miami-Kubaner hatte eine Reihe
von Anschlägen auf kubanische Ziele organisiert, darunter 1976 den Bombenanschlag auf einen Linienflug der
Cubana de Aviación, dem alle 73 an Bord befindlichen Menschen zum Opfer fielen. In einer Interview-Serie mit
Anne Louise Bardach und Larry Rohter von der Ney York Times gab Posada Carriles diese Tat 1998 auch stolz zu.
In den 80er Jahren arbeitete Posada für die CIA auf dem salvadorianischen Kriegsflughafen von Ilopango mit an
dem, was als Contragate berüchtigt wurde: Die CIA lieferte den nicaraguanischen Contrasöldnern klandestin
Waffen, die sie aus dem Erlös der über Ilopango in die USA geflogenen Kokainlieferungen des kolumbianischen
Grossdealers Pablo Escobar finanzierte. 1997/98 kam es in Kuba zu mehreren von Posada Carries befehligten
und von Chávez Abarca organisierten Bombenanschlägen, bei denen ein italienischer Tourist starb. 2000 wurde
Posada Carriles in Panama aufgrund kubanischer Geheimdienstinfos verhaftet, als er einen Anschlag auf den
zu Besuch erwarteten Fidel Castro am Vorbereiten war. Die rechte Präsidentin Moscoso liess ihn laufen, er kehrte
mit falschem Pass in die USA zurück, wo ihn die Administrationen Bush und Obama seither, abgesehen von
einem läppischen Verfahren wegen … Visavergehen, schützten und schützen.
Mehrere salvadorianische und guatemaltekische MittäterInnen bei den Anschlägen von 1997 sind den ku-
banischen Sicherheitsorganen in die Hände gelaufen. Ihre detaillierten Aussagen vor Gericht bestätigten nicht
nur Informationen über das Posada-Netzwerk, Teil der berüchtigten Cuban-American National Foundation, und
die Rolle von Chávez Abarca als rechte Hand von Posada, sondern auch dessen jahrelangen, von den ARENA-
Regierungen protegierten Operationen auch in den 90er Jahren in El Salvador. Abarca lernte Posada über seinen
Vater kennen, der in den 80er Jahren Waffen, welche die salvadorianische Armee von der Guerilla erbeutet hatte,
auf- und an Posada für die Contras weiter verkaufte.
Im September 2005 hatte die salvadorianische Polizei Abarca als Kopf einer grossen, international agie-
renden Autodiebstahlbande zusammen mit 22 anderen Mitglieder seiner Organisation verhaftet. 2007 wurden
Abarca & Co. dank der Vorarbeit der nicht-ermittelnden Staatsanwaltschaft laufen gelassen. Die Bombenan-
schläge oder die Verbindung der Autdiebstahlbande mit Posada waren der salvadorianischen Justiz keine Silbe
wert.

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