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2 Die Güterwirtschaft

Gegenstand der Güterwirtschaft sind mit der Beschaffung (Abschnitt 2.1), der Produktion
(Abschnitt 2.2), dem Absatz (Abschnitt 2.3), der Entsorgung (Abschnitt 2.4) und der Logistik
(Abschnitt 2.5) diejenigen betrieblichen Funktionen, die sich mit der Bereitstellung, der
Verarbeitung, der Verwertung, der Beseitigung und dem Transport materieller Güter befas-
sen.

2.1 Beschaffung
Die Beschaffung dient der Versorgung der Produktion mit dem benötigten Material. Dabei
befasst sich die Materialwirtschaft (Abschnitt 2.1.1) mit der Organisation der Materialbe-
schaffung. Die für die Produktion erforderlichen Materialmengen werden teilweise mithilfe
von Prognosetechniken (Abschnitt 2.1.2) bestimmt und teilweise im Rahmen der Material-
bedarfsplanung (Abschnitt 2.1.3) aus dem Produktionsprogramm abgeleitet. Die Lagerhal-
tung dient als Puffer zwischen der Beschaffung und der nachfolgenden Produktion sowie
zwischen der Produktion und dem Absatz, hier steht die Bestimmung der optimalen
Losgröße im Vordergrund (Abschnitt 2.1.4).

2.1.1 Materialwirtschaft
Die Aufgabe der Materialwirtschaft besteht darin, den gesamten Materialfluss im Unterneh-
men zu steuern und zu kontrollieren. Der Materialfluss beginnt mit der Einlagerung der als
Einsatzstoffe bezogenen Rohmaterialien und Zukaufteile, er endet mit der Auslieferung der
marktfähigen Produkte. Dabei lassen sich folgende Materialarten unterscheiden:
 Rohstoffe sind Materialien auf einer niedrigen Veredlungsstufe, die zum wesentlichen
Bestandteil der Produkte werden, z.B. Holz in der Möbelindustrie, Stahl in der Automo-
bilindustrie, Quarz in der Glasindustrie.
 Hilfsstoffe gehen ebenfalls direkt in die Produkte ein, leisten jedoch nur einen unterge-
ordneten Beitrag zum Endprodukt, z.B. Schrauben, Lacke, Glasuren.
 Betriebsstoffe gehen nicht direkt in die Produkte ein, sondern ihr regelmäßiger Einsatz ist
zum Betrieb der Maschinen erforderlich. Dazu zählen z.B. Schmiermittel, Werkzeuge,
Schleifpasten, Energieträger.

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 Halbfabrikate bzw. Bauteile stehen im Materialfluss zwischen den Einsatzstoffen und den
Endprodukten. Bei ihnen ist ein bestimmter Teil an Bearbeitung bzw. Veredlung bereits
erfolgt. Soweit Halbfabrikate getrennt marktfähig sind, können sie von Lieferanten bezo-
gen oder an andere Unternehmen verkauft werden. Teilweise finden sie auch als Ersatz-
teile Verwendung.
 Fertigfabrikate sind die Endprodukte, die das Unternehmen in seinem Fertigungspro-
gramm anbietet.
 Schließlich zählen zum Material auch Abfälle und Rückstände, die als unerwünschte
Kuppelprodukte auf den einzelnen Produktionsstufen anfallen und für deren ordnungs-
gemäße Entsorgung das Unternehmen verantwortlich ist.
Die Zielsetzung der Materialwirtschaft lässt sich in eine technische und eine ökonomische
Komponente zerlegen:
In technischer Sicht geht es um die bedarfsgerechte Versorgung des Produktionsbereichs mit
den benötigten Materialien, d.h. im Vordergrund steht die Bereitstellung des Materials
 in der richtigen Menge,
 in der richtigen Qualität,
 am richtigen Ort,
 zur richtigen Zeit.
Das ökonomische Ziel ist die Minimierung der bei der Materialbereitstellung anfallenden
Kosten. Dabei treten Zielkonflikte zwischen technischen und ökonomischen Zielen auf,
wenn z.B. eine Verbesserung des Lieferservice mit höheren Kosten verbunden ist.
Im Zuge der zunehmenden Tendenz zum Outsourcing, d.h. der Auslagerung von Teilen der
Wertschöpfung, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens zählen, auf externe Lieferan-
ten, stehen viele Unternehmen vor der Frage, ob ein bestimmtes Material selbst gefertigt oder
am Markt bezogen werden soll. Diese Make-or-Buy-Entscheidung ist einerseits unter Kos-
tenaspekten, andererseits unter Berücksichtigung weiterer, meist nicht exakt quantifizierbarer
Kriterien zu treffen.
Konzentriert man sich auf die Kosten, so hat das vorliegende Entscheidungsproblem die
Struktur einer Break-Even-Analyse: Typischerweise fallen bei der Eigenfertigung eines Pro-
dukts zum einen kurzfristig nicht abbaubare Fixkosten für die Maschinen, die Werkshalle
usw. an, zum anderen direkt von der Produktionsmenge abhängige variable Kosten für das
benötigte Material, die Arbeitsstunden usw. Beim Fremdbezug hingegen verlangt der Liefe-
rant einen Preis, der seine gesamten Kosten abdeckt und der daher in der Regel über den
variablen Stückkosten bei Eigenfertigung liegt. Es lässt sich also eine kritische Bedarfsmen-
ge ermitteln, bis zu der der Fremdbezug kostengünstiger ist; erst bei Überschreiten dieser
Menge reichen die Einsparungen aus der Differenz von Lieferpreis und variablen Stückkos-
ten aus, um den bei der Eigenfertigung zu berücksichtigenden Fixkostenblock zu kompensie-
ren. In Tab. 2.1 ist ein Beispiel für eine Make-or-Buy-Entscheidung bezüglich eines Bauteils
angegeben.

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2.1 Beschaffung 49
Tab. 2.1 Daten zur Make-or-Buy-Entscheidung

Fixkosten pro Jahr variable Stückkosten


Eigenfertigung 150.000 € 20 €
Fremdbezug – 30 €

Für die angegebenen Daten lassen sich die jährlichen Kosten in Abhängigkeit von der Be-
darfsmenge x wie folgt darstellen:
Kosten der Eigenfertigung: K E  150.000  20 x

Kosten des Fremdbezugs: K F  30 x

Die kritische Bedarfsmenge x * , bei der beide Alternativen zu den gleichen Kosten führen,
ergibt sich als Schnittpunkt dieser beiden Funktionen:
150.000  20 x  30 x

x *  15.000
Wie auch in Abb. 2.1 deutlich wird, ist für eine Jahresbedarfsmenge unterhalb von 15.000
Stück der Fremdbezug kostengünstiger. Ab einer Menge von 15.000 Stück lohnt sich hinge-
gen die Eigenfertigung des Bauteils, da nunmehr die Kosten der Eigenfertigung unterhalb
derer des Fremdbezugs liegen.

600.000
KF
500.000

400.000 KE

300.000

200.000

100.000

x
3.000 6.000 9.000 12.000 15.000

Abb. 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung

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Da mit der Eigenfertigung Fixkosten verbunden sind, die kurzfristig nicht abgebaut werden
können, handelt es sich beim Aufbau einer Eigenfertigung um eine mittel- bis langfristige
Entscheidung, die nur dann getroffen werden sollte, wenn die Bedarfsmenge nachhaltig über
der kritischen Menge liegt. Umgekehrt ist für geringe Bedarfsmengen bei bereits vorhande-
nen Fertigungsanlagen der Fremdbezug nur dann tatsächlich kostengünstiger, wenn es ge-
lingt, bei Stilllegung der Anlage die mit der Fertigung verbundenen Fixkosten abzubauen.
Weiter ist zu beachten, dass sich die Lösung in Abhängigkeit von zukünftigen Schwankun-
gen bei den für die Entscheidung zugrunde gelegten Kostensätzen ändern kann. Zur Ent-
scheidungsunterstützung lassen sich in derartigen Fällen Sensitivitätsanalysen heranziehen,
die die Auswirkungen der Veränderung von Parametern des Entscheidungsproblems auf die
Lösung untersuchen.
Über diese Kostenbetrachtung hinaus spielen bei der Make-or-Buy-Entscheidung weitere,
nicht-monetäre Kriterien eine Rolle, die sich als Vorteile der Eigenfertigung bzw. des
Fremdbezugs darstellen lassen:
Zu den Vorteilen der Eigenfertigung zählen die Vermeidung langer Lieferfristen, die Sicher-
stellung der Versorgung, die Unabhängigkeit von Lieferanten und die Einhaltung von unter-
nehmensinternen Qualitätsnormen. Falls die vorhandenen Produktionskapazitäten nicht aus-
gelastet sind, kann die Eigenfertigung eines Bauteils zur Verbesserung der Kapazitätsauslas-
tung beitragen.
Der Fremdbezug hingegen führt zu einem geringeren Kapitaleinsatz und einer kürzeren Bin-
dungsdauer. Damit ermöglicht er eine größere Flexibilität, falls das Material bei einem späte-
ren Produktwechsel nicht mehr benötigt wird. Wenn die eigenen Produktionskapazitäten voll
ausgelastet sind, kann der Fremdbezug darüber hinaus zur Überbrückung von Kapazitätseng-
pässen dienen.
Ist die Entscheidung für den Fremdbezug gefallen, so lässt sich die Materialbeschaffung
grundsätzlich wie folgt organisieren:
 Bei der fallweisen Beschaffung wird das Material jeweils bei Bedarf in den benötigten
Mengen bei den Lieferanten bestellt. Dadurch lassen sich zwar Lagerhaltungskosten fast
vollständig vermeiden, jedoch besteht die Gefahr, dass es bei Lieferschwierigkeiten zu
Produktionsausfällen kommt. Die fallweise Beschaffung wird vor allem bei der Auftrags-
fertigung für selten benötigte Materialien eingesetzt, z.B. bei speziellen Stahlsorten im
Maschinenbau.
 Das Ziel der Vorratsbeschaffung besteht darin, die Produktionsbereitschaft dadurch auf-
recht zu erhalten, dass von regelmäßig benötigten Materialarten ausreichende Lagerbe-
stände vorgehalten werden, aus denen die Fertigung direkt beliefert werden kann. Die da-
durch erreichte Versorgungssicherheit ist allerdings mit zusätzlichen Lagerhaltungskos-
ten verbunden. Mithilfe der Losgrößenplanung (vgl. Abschnitt 2.1.3) wird daher ver-
sucht, optimale Bestellmengen zu ermitteln, die das Risiko von Fehlmengen weitgehend
reduzieren, ohne dass die Lagerhaltungskosten zu stark ansteigen.

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 Ein Kompromiss zwischen den Zielen der Versorgungssicherheit und geringer Lagerhal-
tungskosten wird durch die am Just-in-Time-Prinzip ausgerichtete fertigungssynchrone
Beschaffung erreicht. Hierbei wird zwischen Abnehmer und Lieferant ein Rahmenvertrag
abgeschlossen, in dem die jährliche Abnahmemenge für einen längerfristigen Zeitraum
festgelegt ist. Der Lieferant ist verpflichtet, die zuvor periodisch konkretisierten Materi-
almengen jeweils kurzfristig auf Abruf anzuliefern. Die Lieferabrufe erfolgen so, dass
das Material beim Abnehmer direkt in der Fertigung eingesetzt werden kann, so dass eine
Zwischenlagerung weitgehend entfällt; allenfalls kleine Sicherheitslager werden an den
einzelnen Arbeitsplätzen vorgehalten. Um das Versorgungsrisiko für den Abnehmer ge-
ring zu halten, werden in der Regel hohe Konventionalstrafen für den Fall verspäteter
Lieferung vereinbart. Häufig wird durch die Just-in-Time-Beschaffung die Lagerhaltung
auf den Lieferanten abgewälzt, der allerdings die damit verbundenen Kosten in seine
Kalkulation und damit in seine Preisgestaltung einfließen lässt. Die Just-in-Time-
Beschaffung wird vor allem in der Automobilindustrie in großem Umfang eingesetzt.
Ein wichtiges Hilfsmittel bei der materialwirtschaftlichen Steuerung ist die ABC-Analyse.
Durch sie lassen sich diejenigen Artikel identifizieren, bei denen aufgrund ihres hohen Bei-
trags zum Unternehmenserfolg eine besonders sorgfältige Disposition erforderlich ist. Die
ABC-Analyse geht wie folgt vor: Für jeden Artikel wird ermittelt, welche Menge im letzten
Jahr verbraucht wurde,. Durch Bewertung mit dem Einkaufspreis erhält man den Jahresver-
brauchswert des Artikels. Die einzelnen Artikel werden dann in der Reihenfolge ihrer Jah-
resverbrauchswerte angeordnet. Stellt man den Zusammenhang zwischen kumulierter Arti-
kelanzahl und kumulierten Jahresverbrauchswerten grafisch dar, so ergibt sich der in Abb.
2.2 angegebene Zusammenhang.

Jahres-
verbrauch

100%
95%

75%

A-Teile B-Teile C-Teile

Anzahl
8% 33% 100% Materialien

Abb. 2.2 ABC-Analyse

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Empirische Untersuchungen zeigen, dass sich anhand der bewerteten Jahresverbrauchsmen-


gen drei Gruppen von Teilen identifizieren lassen:
 Als A-Teile bezeichnet man diejenigen Artikel, die am meisten zum Jahresverbrauch
beitragen und bei denen somit eine besonders sorgfältige Disposition erforderlich ist. Er-
fahrungsgemäß sind dies ca. 8% der Artikel mit einem Verbrauchsanteil von ca. 75%. In
der Automobilindustrie zählen zu den A-Teilen vor allem die verschiedenen Baugruppen,
z.B. Sitze, Scheiben, Motorblock, die in exakt den für das Fertigungsprogramm benötig-
ten Mengen beschafft werden.
 Die nächsten ca. 25% der Artikel, die weitere ca. 20% des Jahresverbrauchs bewirken,
werden als B-Teile bezeichnet. Auch sie weisen relativ hohe Erfolgswirkungen auf und
sollten daher zumindest fallweise wie die A-Teile disponiert werden. Teilweise werden
sie in größeren Mengen bevorratet, da die Kapitalbindung nicht so hoch wie bei den A-
Teilen ist. Zu den B-Teilen gehören in der Automobilindustrie z.B. Reifen, Batterien oder
Vorprodukte wie Stahlblech.
 Schließlich lässt sich beobachten, dass der Großteil der in der Materialwirtschaft geführ-
ten Artikel – entweder aufgrund des geringen Werts pro Teil oder aufgrund niedriger Be-
darfsmengen – nur einen kleinen Anteil am Jahresverbrauch hat. Daher ist hier der Ein-
satz einfacher, verbrauchsgesteuerter Dispositionsverfahren vertretbar. Diese als C-Teile
bezeichneten Artikel haben lediglich einen Verbrauchsanteil von ca. 5%, obwohl sie ca.
67% der Materialarten umfassen. C-Teile sind in der Automobilindustrie z.B. Kleinteile
wie Schrauben, Muttern, Kabel usw.
Vielfach wird die ABC-Analyse um eine Klassifikation der Teile nach ihrem Verbrauchs-
muster (XYZ-Analyse) ergänzt. Dabei lassen sich Teile mit regelmäßiger, schwankender und
unregelmäßiger Nachfrage unterscheiden. In der Automobilindustrie zählen zu den X-Teilen
mit hohem und regelmäßigem Verbrauch z.B. Benzintanks, Kofferraumabdeckungen oder
Kopfstützen, die in fast jedes Fahrzeug eingebaut werden. Y-Teile mit schwankendem Ver-
brauch sind Komponenten, die nur auf Kundenwunsch geliefert werden, z.B. Klimaanlagen,
Spoiler oder Freisprecheinrichtungen. Als Z-Teile mit unregelmäßigem Verbrauchsmuster
kommen selten nachgefragte Sonderausstattungen, wie Panzerungen und kugelsichere Schei-
ben, in Betracht.
Der Sinn einer ABC-Analyse besteht darin, durch die Klassifikation der Teile in die genann-
ten drei Gruppen die Planungsanstrengungen auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen ein
besonders hohes Erfolgspotenzial zu erwarten ist. So wird die Bedarfsmenge für A-Teile
regelmäßig mithilfe der vom Produktionsprogramm ausgehenden Materialbedarfsplanung
(Abschnitt 2.1.3) bestimmt, während für B- und C-Teile eher die in Abschnitt 2.1.2 behan-
delten Prognosetechniken zum Einsatz kommen. Der ABC-Analyse ähnliche Analysen wer-
den z.B. im Absatzbereich vorgenommen, um besonders umsatzstarke Artikel oder beson-
ders wichtige Kundengruppen zu identifizieren.

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2.1.2 Prognosemodelle
Die Prognose der auf den verschiedenen Produktionsstufen zukünftig benötigten Material-
mengen ist eine wichtige Aufgabe im Bereich der Beschaffung. Von der Qualität der Be-
darfsprognosen hängen die Lagerbestände und damit auch die Lagerhaltungskosten bei Vor-,
Zwischen- und Endprodukten, die Lieferfähigkeit und der vom Kunden wahrgenommene
Servicegrad sowie die Kapazitätsauslastung ab. Die im Folgenden dargestellten
Prognoseverfahren beruhen auf Zeitreihen, d.h. auf Beobachtungen des Bedarfsverlaufs in
der Vergangenheit, aus denen sie auf der Basis bestimmter Modellannahmen Aussagen über
zukünftige Bedarfsmengen herleiten.
Zur Auswahl des für den jeweiligen Bedarfsverlauf adäquaten Prognosemodells ist zunächst
eine Voranalyse der Zeitreihe erforderlich. Dabei wird diese zerlegt in eine glatte Kompo-
nente g t , die den tendenziellen Verlauf der Zeitreihe angibt, sowie eine Restkomponente
bzw. Störgröße st . Diese Störgröße wird üblicherweise als standardnormalverteilt ange-
nommen, so dass sich die Störeffekte im Mittel ausgleichen. Der Schätzwert für den Bedarf
d̂ t der Periode t wird berechnet, indem die glatte Komponente und die Störgröße entweder
additiv oder multiplikativ verknüpft werden.

dˆt  g t  st

dˆt  g t  st

Grundsätzlich kann der Verlauf der glatten Komponente einem der drei folgenden, in Abb.
2.3 dargestellten Bedarfsmuster unterliegen:

dt dt dt

t t t
Konstanter Bedarf Trendmäßiger Bedarf Saisonaler Bedarf

Abb. 2.3 Bedarfsmuster

 Bei einem konstanten Bedarfsverlauf ist der Bedarf jeder Periode im Mittel gleich hoch,
d.h. die Bedarfswerte schwanken um einen langfristig konstanten Mittelwert. Aufgrund
des Einflusses der Störgröße kommt es zu unregelmäßigen Schwankungen des tatsächli-
chen Bedarfs um diesen Mittelwert, auf die das Unternehmen insbesondere durch das

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Vorhalten eines Sicherheitsbestands reagieren kann. Ein solcher Bedarfsverlauf liegt z.B.
bei Grundnahrungsmitteln vor. Das zugehörige Prognosemodell lautet:
gt  a mit: a  0

 Ein trendmäßiger Bedarfsverlauf bedeutet, dass der Bedarf langfristig ansteigt oder fällt.
Auch wenn ein solcher Trend prinzipiell linear oder nichtlinear sein kann, geht man viel-
fach von einem linearen Trend aus, da sich die zugehörige Funktion numerisch leichter
schätzen lässt. Ein Beispiel für einen langfristig ansteigenden Bedarfsverlauf ist der
Weltenergieverbrauch, langfristig fallender Bedarf liegt bei der derzeitigen Bevölke-
rungsentwicklung in Deutschland für Produkte des Baby- und Kinderbedarfs vor. Zur
Prognose von trendmäßigem Bedarfsverlauf sind zwei Parameter erforderlich, wobei
b  0 zu einem steigenden und b  0 zu einem fallenden Trend führt:
gt  a  b  t

 Saisonabhängiger Bedarf liegt vor, wenn sich in der Zeitreihe periodisch wiederkehrende
Bedarfsspitzen und -täler erkennen lassen. Dabei können – in Abhängigkeit vom jeweili-
gen Artikel – die Perioden recht unterschiedliche Längen aufweisen. So unterliegen z.B.
Sportausrüstungen, die zu bestimmten Jahreszeiten benötigt werden, einem jährlichen
Zyklus, die Nachfrage nach Zeitschriften steigt und fällt in Abhängigkeit von ihrem Er-
scheinungsturnus, der Absatz von Fisch ist typischerweise freitags und in der Fastenzeit
am höchsten, bei frischen Brötchen liegt ein täglicher Zyklus mit einer Nachfragespitze
am frühen Vormittag vor. Zur Prognose von saisonalem Bedarf ist ein trigonometrischer
Ansatz erforderlich, z.B.:
g t  a  c  sin( t )

Diese drei Grundmuster des Bedarfsverlaufs können auch kombiniert auftreten, häufig über-
lagern sich ein trendförmiger und ein saisonaler Verlauf. Weitere Bedarfsverläufe, die sich
allerdings einer systematischen Prognose entziehen, sind der erratische bzw. chaotische Be-
darf, bei dem keine Regelmäßigkeiten erkennbar sind, und der sporadische Bedarf, der nur in
einzelnen Perioden auftritt.
Bei der Bedarfsprognose wird zunächst versucht, den zugrunde liegenden Bedarfsverlauf
anhand einer grafischen oder numerischen Analyse der Zeitreihe zu erkennen. Anschließend
wird ein für den Bedarfsverlauf geeigneter Modelltyp ausgewählt. Die für das Modell rele-
vanten Parameter werden aus der Zeitreihe bestimmt. Mithilfe der Parameter kann der im
Zeitpunkt t+1 erwartete Bedarf auf der Basis von L Vergangenheitswerten bestimmt werden.
Für die Qualität der Prognose spielt nicht nur die Spezifikation der Schätzfunktion, sondern
auch die Anzahl dieser zu berücksichtigenden Vergangenheitswerte eine große Rolle: Wählt
man das L zu groß, so sind die Prognosen zwar sehr stabil, d.h. einzelne Ausreißer in den
Daten haben keinen großen Einfluss auf den Prognosewert, aber auch recht inflexibel, denn
das Modell ist nicht in der Lage, aktuelle Entwicklungen zu erkennen und zu berücksichti-
gen. Umgekehrt tritt bei einer weniger umfangreichen Datenbasis das Problem auf, dass die
Prognose tendenziell kurzsichtig ist und stark durch Ausreißer beeinflusst wird. In der Praxis

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sind – in Abhängigkeit von bestehenden Saisonalitäten – Prognosen auf der Basis von Wer-
ten aus den letzten ein bis zwei Jahren üblich. Kürzere Zeiträume bieten sich an, wenn die
Vergangenheit nur als wenig repräsentativ angesehen wird.
Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Prognoseverfahren behandelt. Einen Überblick
über diese Verfahren gibt Abb. 2.4. Während sich die Verfahren auf Basis der Mittelwert-
rechnung und die exponentielle Glättung 1. Ordnung lediglich für konstante Bedarfsverläufe
eignen, kommen die Regressionsrechnungen und die exponentielle Glättung 2. Ordnung
auch für den trendmäßigen Bedarfsverlauf in Betracht.

Prognoseverfahren

Mittelwert- Regressions- exponentielle


rechnung rechnung Glättung

arithmetischer
lineare exponentielle Glättung
Mittelwert
Regression 1. Ordnung
gleitender
nichtlineare exponentielle Glättung
Mittelwert
Regression 2. Ordnung
gewichteter
exponentielle Glättung
gleitender
höherer Ordnung
Mittelwert
exponentielle Glättung
mit Saisonf aktoren

Abb. 2.4 Prognoseverfahren

2.1.2.1 Prognose auf Basis der Mittelwertrechnung


Bei der Mittelwertrechnung, die bei konstantem Bedarfsverlauf zum Einsatz kommt, wird für
die Prognose des künftigen Bedarfs der Mittelwert der in der Vergangenheit aufgetretenen
Bedarfswerte gebildet. Die verschiedenen Varianten der Mittelwertrechnung unterscheiden
sich dahingehend, wie viele Vergangenheitswerte berücksichtigt werden und inwiefern eine
Gewichtung dieser Werte erfolgt.

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 Die einfachste Form der Mittelwertrechnung ist der arithmetische Mittelwert über sämtli-
che Vergangenheitswerte. Die Prognose des Bedarfswerts dˆt 1 für die kommende Perio-
de t+1 erfolgt somit nach folgender Schätzfunktion:
t
1
dˆt 1 
t
 d
1

Da hierbei die Periodenzahl t im Zeitablauf immer weiter anwächst, hat sich dieses Ver-
fahren als wenig praktikabel erwiesen.
 Bei der Prognose mithilfe gleitender Mittelwerte erfolgt die Schätzung des kommenden
Bedarfswerts als arithmetisches Mittel der Werte der letzten L Perioden. Das bedeutet,
dass von Periode zu Periode jeweils der älteste Bedarfswert weggelassen und der zuletzt
beobachtete Bedarfswert zur Zeitreihe hinzugefügt wird. Die zugehörige Schätzfunktion
lautet:
t
1
dˆt 1 
L
 d
t  L1

 Die Prognose auf der Basis von gewichteten gleitenden Mittelwerten greift ebenfalls auf
die letzten L Vergangenheitswerte zurück, erlaubt aber zusätzlich eine individuelle Ge-
wichtung der einzelnen Perioden. Dadurch kann der Planer den als besonders charakteris-
tisch angesehenen Perioden ein höheres Gewicht geben. Üblicherweise werden jüngeren
Bedarfswerten höhere und den älteren Werten geringere Gewichte zugewiesen, um da-
durch besser auf die aktuelle Bedarfsentwicklung reagieren zu können. Die Schätzung er-
folgt nach folgender Schätzfunktion:
t
dˆt 1     d mit:   0   t  L  1,..., t
t  L 1
t
   1
t  L 1

Das Vorgehen der drei auf der Mittelwertrechnung basierenden Prognoseverfahren wird an
dem nachfolgenden Beispiel verdeutlicht. Gegeben sind Bedarfswerte für insgesamt acht
Perioden, davon liegen die ersten vier Werte von Anfang an vor und die restlichen Werte
werden im Laufe der Zeit beobachtet.
d1  90 d 2  88 d 3  93 d 4  98
d 5  97 d 6  95 d 7  96 d 8  92

Für die gleitende Mittelwertbildung werden jeweils die letzten vier Vergangenheitswerte
herangezogen, die Gewichte zur Ermittlung der gewichteten gleitenden Mittelwerte betragen:
 t  3  0,1  t 2  0,2  t 1  0,3  t  0,4

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Tab. 2.2 zeigt, wie sich die Prognosewerte der drei Verfahren für die Perioden 5 bis 8 vonei-
nander unterscheiden.

Tab. 2.2 Nachfrageprognosen bei Mittelwertrechnung

gewichtetes
arithmetisches gleitendes
Periode gleitendes
Mittel Mittel
Mittel
5 92,3 92,3 93,7
6 93,2 94,0 95,6
7 93,5 95,8 96,0
8 93,9 96,5 96,1
9 93,6 95,0 94,3

Während der arithmetische Mittelwert die geringste Schwankung aufweist, nimmt der ge-
wichtete gleitende Mittelwert jeweils die beste Anpassung an die zuletzt hinzugekommene
Bedarfsinformation vor.

2.1.2.2 Prognose auf Basis der Regressionsrechnung


Das Einsatzgebiet der Regressionsrechnung sind trendmäßige Bedarfsverläufe. Während bei
der linearen Regression anhand der vorliegenden Bedarfswerte eine Ausgleichsgerade ermit-
telt wird, kommen bei der nichtlinearen Regression quadratische, hyperbolische, exponenti-
elle oder trigonometrische Schätzverfahren zum Einsatz. Die folgenden Ausführungen be-
schränken sich auf die Darstellung der linearen Regression.
Die Grundidee der linearen Regressionsrechnung besteht darin, dass die in der Zeitreihe
zusammengefassten Bedarfswerte durch eine lineare Funktion in Abhängigkeit von der Zeit
abgebildet werden. Zur Ermittlung einer solchen Geradengleichung sind der Absolutwert a
und der Steigungsparameter b der Ausgleichsgerade so zu bestimmen, dass die Summe der
quadrierten Abweichungen von Bedarfswerten und berechneten Werten minimal wird.
L
S (a, b)   d t  a  b  t 2  min!
t 1

Notwendige Bedingung für ein solches Minimum ist, dass die Ableitungen erster Ordnung
nach den gesuchten Werten a und b den Wert Null annehmen:
L !
 S ( a , b)
 2   d t  a  b  t   0
a t 1

L !
 S ( a, b)
 2   d t  a  b  t   t  0
b t 1

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Durch Umformen und Auflösen erhält man die folgenden Bestimmungsgleichungen für die
beiden Parameter der Geradengleichung:
L L L
L   dt  t   t   dt
t 1 t 1 t 1
b
2
L  L 
L  t 2  t 
 
t 1  t 1 

1  L L 
a   dt  b   t 
L  t 1 
t 1 

Anhand des folgenden Beispiels, bei dem Bedarfswerte für 9 Perioden vorliegen, wird zum
einen grafisch, zum anderen numerisch gezeigt, wie sich die Ausgleichsgerade und damit
auch der Prognosewert für die zehnte Periode ermitteln lässt.
d1  15 d 2  13 d 3  16
d 4  18 d 5  19 d 6  17
d 7  22 d 8  20 d 9  25

In Abb. 2.5 sind die einzelnen Bedarfswerte sowie die mittels linearer Regression ermittelte
Ausgleichsgerade grafisch dargestellt.

Nachfrage

25

20

15

10

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 Periode

Abb. 2.5 Regressionsgerade

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Da die Bedarfsprognose auf Basis der letzten neun Bedarfswerte erfolgen soll, gilt L  9 .
Weiter lassen sich die zur Ermittlung der Geradenparameter benötigten Zwischenergebnisse
wie folgt berechnen:
9 9
 t  45  t 2  285
t 1 t 1

9 9
 d t  165  t  d t  897
t 1 t 1

Damit ergeben sich durch Einsetzen in die zuvor hergeleiteten Formeln die folgenden Werte
für b bzw. a:
9  897  45  165
b  1,2
9  285  45 2
1
a  165  1,2  45  12, 3
9
Die Regressionsgerade, mit der sich der Vorhersagewert für den Bedarf in Periode t  1
bestimmen lässt, lautet somit:

dˆt 1  12, 3  1,2  (t  1)

Daraus ergibt sich als Prognosewert für den Bedarf in der zehnten Periode:

dˆ10  12, 3  1,2  10  24, 3

Da die Berechnung von Regressionsgeraden mithilfe von Tabellenkalkulationsprogrammen


schnell und einfach erfolgen kann, stellt die lineare Regressionsrechnung ein wertvolles
Hilfsmittel dar, das sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreut.

2.1.2.3 Exponentielle Glättung


Die Verfahren der exponentiellen Glättung benutzen die Abweichungen zwischen den prog-
nostizierten und den eingetretenen Bedarfswerten zur Verbesserung der künftigen Progno-
sen.
Die exponentielle Glättung 1. Ordnung wird bei konstantem Bedarfsverlauf eingesetzt. Dabei
werden – ähnlich wie bei der arithmetischen Mittelwertrechnung – sämtliche bereits reali-
sierten Bedarfswerte bei der Prognose berücksichtigt. Allerdings findet eine Gewichtung mit
exponentiell abnehmenden Gewichtungsfaktoren statt, so dass der Einfluss von weiter zu-
rückliegenden Werten sehr schnell abnimmt. Im Gegensatz zur Berechnung gewichteter
Mittelwerte, bei der jedes Gewicht separat zu bestimmen ist, wird bei der exponentiellen
Glättung lediglich der Glättungsparameter   0, 1 als Gewicht des letzten beobachteten

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60 2 Die Güterwirtschaft

Bedarfswerts vorgegeben. Die Bedarfsprognose für die Periode t  1 wird dann wie folgt
ermittelt:

 
dˆt 1  dˆt    d t  dˆt    d t  1     dˆt

Es handelt sich hierbei um eine lineare Differenzengleichung erster Ordnung, die sich durch
Rekursion in eine gewichtete Summe sämtlicher Bedarfswerte umformen lässt. Das auf der
ersten Bedarfsprognose basierende Restglied konvergiert mit zunehmender Periodenzahl
sehr schnell gegen Null.
t 1
dˆt 1     1     d t 1  1   t  dˆ1
1

Ein auf der exponentiellen Glättung beruhendes Prognosesystem berücksichtigt bei der
nächsten Prognose jeweils die in der Vergangenheit aufgetretenen Prognosefehler, wobei der
Parameter α angibt, wie ernst die Fehler genommen werden. Wählt man ein hohes α, so er-
folgt eine recht schnelle Anpassung der Bedarfsprognose an eine veränderte Nachfragestruk-
tur, allerdings wirken sich auch Ausreißerwerte und Zufallseinflüsse stark auf die Prognose
aus. Bei einem geringen Wert für α reagiert die Prognose eher träge auf Veränderungen der
Bedarfssituation, es werden lediglich solche Schwankungen erkannt, die auch langfristig
Bestand haben. Eine übliche Empfehlung für die Praxis lautet, im Normalfall mit einem
geringen α im Bereich zwischen 0,1 und 0,3 zu arbeiten, diesen Wert jedoch bei offensichtli-
chem Auftreten eines Strukturbruchs solange zu erhöhen, bis sich die Prognosewerte an das
neue Bedarfsniveau angepasst haben. Die exponentielle Glättung 1. Ordnung wird in ca. 80%
der Unternehmen zur Prognose von konstantem Bedarf eingesetzt und stellt damit das ge-
bräuchlichste computergestützte Verfahren zur Bedarfsprognose dar.
Die exponentielle Glättung 2. Ordnung nimmt eine nochmalige Glättung der bereits ermittel-
ten Abweichungen zwischen Bedarfsprognose und tatsächlich aufgetretenem Bedarf vor, sie
eignet sich daher – wie die lineare Regressionsrechnung – auch zur Prognose von Bedarfs-
verläufen mit linearem Trend. Weitere Varianten der exponentiellen Glättung sind die expo-
nentielle Glättung höherer Ordnung, durch die eine noch bessere Anpassung an den tatsäch-
lichen Bedarfsverlauf erfolgt, und die exponentielle Glättung mit Saisonfaktoren, die sich
auch für den Einsatz bei saisonalem Bedarfsverlauf eignet.
Wenn der tatsächlich realisierte Bedarfswert von der Bedarfsprognose abweicht, liegt ein
Prognosefehler vor. Da der tatsächliche Bedarfsverlauf in der Regel stochastisch ist, sind
Prognosefehler letztlich auch bei sorgfältigster Datenbereitstellung und anspruchsvollen
Prognoseverfahren unvermeidlich. Prognosefehler lassen sich auf unterschiedliche Art mes-
sen. Die bekanntesten Fehlermaße sind die mittlere quadratische Abweichung σ, die z.B. bei
einer Normalverteilung des Bedarfsverlaufs der Standardabweichung entspricht, und die
mittlere absolute Abweichung MAD. Sie werden – jeweils für die letzten L Wertepaare – wie
folgt berechnet:

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2.1 Beschaffung 61

 
t
1
   d   dˆ 
L   t  L 1

t
1
MAD    d   dˆ 
L t  L1

Wenn die Bevorratung entsprechend der Bedarfsprognose erfolgt, so kommt es aufgrund von
Prognosefehlern zu überhöhten Lagerbeständen oder zu Fehlmengen, wobei letztere in der
Regel aufgrund von vielfältigen Folgewirkungen in der Produktion sowie bei den Abneh-
mern die höheren Zusatzkosten bewirken. Als Maßnahme zur Vermeidung von Fehlmengen
werden vielfach Sicherheitsbestände gehalten. Diese ermöglichen es, trotz der Unsicherheit
hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs die Verfügbarkeit des Materials bzw. die Lieferbereit-
schaft sicherzustellen und damit einen vorgegebenen Servicegrad einzuhalten.

2.1.3 Materialbedarfsplanung
Die Aufgabe der Materialbedarfsplanung besteht darin, die von jedem Teil benötigte Menge
zu ermitteln. Ausgangspunkt der Materialbedarfsplanung ist das Produktionsprogramm für
die nächsten Monate, das bei einem Massenfertiger, z.B. in der Lebensmittelindustrie, an-
hand von Nachfrageprognosen und bei einem Auftragsfertiger, z.B. im Maschinenbau, auf-
grund der vorliegenden Fertigungsaufträge ermittelt wird. Die Bedarfsmengen an Produkten
und extern nachgefragten Bauteilen bezeichnet man als Primärbedarf.

3 2
1

3 5 6

1 2 2 3

1 2 3 4

1 2

1 2

Abb. 2.6 Erzeugnisstruktur

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62 2 Die Güterwirtschaft

Dieses Produktionsprogramm wird mithilfe von Stücklisten in seine einzelnen Bestandteile


aufgelöst. Unter einer Stückliste versteht man die Zusammenstellung aller zur Herstellung
eines Produkts benötigten Materialien, Teile und Baugruppen mit den zur Herstellung einer
Einheit erforderlichen Mengen. Abb. 2.6 zeigt ein Beispiel für die Erzeugnisstruktur eines
Produkts, das auf drei Produktionsstufen aus sechs verschiedenen Teilearten zusammenge-
baut wird. Die Erzeugnisstruktur ist die Basis für die Herleitung der Stücklisten.
Stücklisten werden vor allem in folgenden Formen dargestellt:
 In einer Mengenstückliste werden die Bestandteile eines Produkts ohne Berücksichtigung
von strukturellen Beziehungen lediglich mit ihren jeweiligen Gesamtmengen, die für die
Produktion einer Einheit des Endprodukts erforderlich sind, zusammengestellt. Abb. 2.7
gibt die Mengenstückliste für das Beispiel in Abb. 2.6 an.

Teil 7 6 5 4 3 2 1

Menge 1 2 1 6 7 14 7

Abb. 2.7 Mengenstückliste

 In einer Strukturstückliste werden die Bestandteile und Mengen eines Produkts entspre-
chend seinem Aufbau stufenweise dargestellt. Falls Teile mehrfach in das Produkt einge-
hen – wie es im Beispiel für die Teile 1, 2 und 3 der Fall ist –, enthält die Strukturstück-
liste redundante Informationen. Für umfangreiche Erzeugnisstrukturen wird sie schnell
unübersichtlich, auch ist der Aufwand bei Änderungen im Produktionsprogramm sehr
hoch. Abb. 2.8 zeigt die Strukturstückliste des Beispiels aus Abb. 2.6, wobei die unter-
schiedlichen Fertigungsstufen durch Einrückungen verdeutlicht werden.

Einbaumenge

7 1
6 2
4 3
3 2
2 2
1 1
5 1
3 3
2 2
1 1

Abb. 2.8 Strukturstückliste

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2.1 Beschaffung 63

 Bei einer Baukastenstückliste werden für jedes Produkt oder Teil die direkten Bestandtei-
le und deren Mengen angegeben. Falls sich ein Bauteil wiederum aus anderen Teilen zu-
sammensetzt, wird dies durch eine entsprechende Markierung angezeigt. Daraus ergibt
sich eine sehr effiziente Darstellung, die leicht änderbar und ergänzbar ist. Baukasten-
stücklisten lassen sich für zahlreiche Planungsaufgaben einsetzen und werden häufig in
Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen (vgl. Abschnitt 4.5.2) verwendet. In Abb.
2.9 ist die Baukastenstückliste für das Beispiel angegeben.

Produkt Teil Menge Stückliste

7 6 2 Ja
5 1 Nein
3 3 Ja

6 4 3 Nein
3 2 Ja

3 2 2 Nein
1 1 Nein

Abb. 2.9 Baukastenstückliste

 Sonderformen dieser Stücklisten wie Plus/Minus-Stücklisten, Gleichteilestücklisten oder


Variantenstücklisten werden eingesetzt, um den Marktanforderungen nach möglichst in-
dividuellen Produkten besser nachkommen zu können.
Wenn die Stücklistenauflösung für alle Produkte im Produktionsprogramm vorgenommen
wurde, liegen die benötigten Mengen sämtlicher Teile vor. Diese Bedarfsmengen bezeichnet
man als Sekundärbedarf, da sie aus dem Produktionsprogramm abgeleitet werden. Es handelt
sich zunächst noch um Bruttobedarfsmengen, die nicht in jedem Fall den zu produzierenden
Mengen – den Nettobedarfsmengen – entsprechen. Die Nettobedarfsmengen erhält man,
indem man den Bruttobedarf um den verfügbaren Lagerbestand reduziert. Der verfügbare
Lagerbestand ergibt sich aus dem physischen Lagerbestand, indem man den Sicherheitsbe-
stand, der für unvorhersehbare Bedarfsschwankungen am Lager bleiben soll, abzieht. Ist der
verfügbare Lagerbestand größer als der Bruttobedarf der ersten Periode, so beträgt der Net-
tobedarf Null.
Nettobedarf  max0, Bruttobedarf  Lagerbestand  Sicherheitsbestand

Die Nettobedarfsmengen der einzelnen Teile werden mithilfe eines Losgrößenverfahrens zu


Fertigungslosen für selbst erzeugte Teile bzw. zu Bestelllosen für fremdbezogene Teile zu-
sammengefasst. Bei der Losgrößenplanung wird ein Ausgleich zwischen den je Losauflage
anfallenden Rüstkosten und den variablen Lagerhaltungskosten vorgenommen (vgl. Ab-
schnitt 2.1.4).

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64 2 Die Güterwirtschaft

Bei der anschließenden Vorlaufverschiebung werden die Startzeitpunkte der einzelnen Lose
in Abhängigkeit von der Erzeugnisstruktur und der Bearbeitungszeit so festgelegt, dass die
Endprodukte termingerecht ausgeliefert werden können. Da bei der Losbildung häufig Be-
darfsmengen mehrerer Perioden zu einem Los zusammengefasst werden, ist bei der Vorlauf-
verschiebung der Startzeitpunkt eines Loses auf der Zeitachse so weit nach vorne zu ver-
schieben, dass der früheste Bedarf abgedeckt werden kann. Bei dem in Abb. 2.6 angegebe-
nen Beispiel geht das Bauteil 3 nicht nur direkt in das Endprodukt 7 ein, sondern auch indi-
rekt über das Bauteil 6. Geht man von einer Produktionszeit von einer Woche je Produkti-
onsstufe aus, so muss der Startzeitpunkt des Loses von Bauteil 3 drei Wochen vor dem ge-
planten Liefertermin des Endprodukts liegen, der Startzeitpunkt der Lose für die Teile 1 und
2, aus denen das Bauteil 3 zusammengesetzt wird, sogar vier Wochen vor diesem Termin.
Das Ergebnis der Materialbedarfsplanung sind terminierte Lose für alle Produkte und Teile,
die als Produktionsplan in die Fertigung weitergegeben werden. Sollte sich beim anschlie-
ßenden Kapazitätsabgleich herausstellen, dass der Kapazitätsbedarf dieses Produktionsplans
in einzelnen Perioden über dem Kapazitätsangebot liegt, so wird entweder durch Reduktion
oder zeitliche Verlagerung der betroffenen Lose der Kapazitätsbedarf reduziert oder durch
geeignete Anpassungsmaßnahmen das Kapazitätsangebot erhöht.
Abb. 2.10 stellt den Ablauf der Materialbedarfsplanung nochmals zusammenfassend dar.

Produktionsprogramm:
Primärbedarf an Endprodukten

Stücklistenauflösung:
Sekundärbedarf an Zwischenprodukten

Nettobedarfsermittlung:
Abgleich mit Lagerbeständen

Losbildung:
Zusammenfassung von Bedarfsmengen

Vorlaufverschiebung:
Terminierte Lose

Abb. 2.10 Ablauf der Materialbedarfsplanung

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2.1 Beschaffung 65

2.1.4 Lagerhaltung und Losgrößenbestimmung


Unter einem Lager versteht man in physischer Sichtweise einen Ort, an dem Material bis zur
geplanten Verwendung aufbewahrt wird. Es sind Entscheidungen über die Anzahl und die
räumliche Verteilung der Lagerstandorte, über die Organisation und Ausstattung der einzel-
nen Lager und über ihre verkehrstechnische Verknüpfung zu treffen.
Die Aufgabe eines Lagers besteht darin, einen Puffer zwischen aufeinander folgenden be-
trieblichen Teilbereichen zu bilden, deren Zugangs- und Abgangsraten voneinander abwei-
chen (vgl. Abb. 2.11).
 So dient ein Eingangslager dem Ausgleich zwischen der Anlieferung von fremdbezoge-
nem Material und seinem regelmäßigen Einsatz in der Fertigung.
 Ein Zwischenlager nimmt bei mehrstufiger Produktion einen Ausgleich zwischen ver-
schiedenen Produktionsgeschwindigkeiten bei aufeinander folgenden Produktionsstufen
vor.
 Das Ausgangslager nimmt die Endprodukte bis zu ihrer Auslieferung an die Kunden auf.
Es dient unter anderem der Aufrechterhaltung einer gleichmäßigen Produktionsrate bei
saisonalen Nachfrageschwankungen. Diese Entkopplung von Produktion und Nachfrage
bezeichnet man als Emanzipationsprinzip der Fertigung, während eine Produktion, die
jeweils die aktuelle Nachfrage erzeugt, dem Synchronisationsprinzip folgt.

Material

Produktion
Ausgangslager
Eingangslager
Beschaffung

Stufe 1 Stufe 2 Stufe n


Absatz

Zwischen- Zwischen-
lager 1 lager 2

Produkte

Abb. 2.11 Lagerarten

Die Höhe des Lagerbestands hängt unter anderem von der Losgröße ab. Darunter versteht
man die Menge eines Materials, die – bei fremdbezogenen Materialien – in einer Bestellung
beschafft wird bzw. die – bei selbst gefertigten Teilen – ohne Unterbrechungen oder Umrüs-
ten der Maschinen hergestellt wird.

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66 2 Die Güterwirtschaft

Da mit der Lagerhaltung Kapital im Umlaufvermögen gebunden wird und somit nicht für
andere Investitionen zur Verfügung steht, sind die Lagerbestände auf einen wirtschaftlich
sinnvollen Umfang zu beschränken. Die ökonomische Zielsetzung der Lagerhaltung ist die
Minimierung der entscheidungsrelevanten Kosten. Folgende Kostenkategorien stehen im
Zusammenhang mit der Lagerhaltung:
 Fixkosten des Lagers fallen für die Einrichtung und die laufende Unterhaltung des Lagers
an. Dazu zählen z.B. Mieten bzw. Abschreibungen für die Lagerräume und auf die La-
gereinrichtung, Heiz- und Energiekosten des Lagers oder der feste Lohn des Lagerver-
walters. Für die Entscheidung über den Umfang eines einzulagernden Loses sind diese
Kosten irrelevant.
 Losfixe Kosten, d.h. Bestellkosten bei Fremdbezug bzw. Rüstkosten bei Eigenfertigung,
fallen einmal je Los an. Je größer die Lose sind, desto seltener sind bei gegebener Be-
darfsmenge Bestellungen bzw. Umrüstungen erforderlich. Daher geht von den losfixen
Kosten eine Tendenz zu möglichst großen Losen aus.
 Variable Lagerhaltungskosten fallen in Abhängigkeit von der gelagerten Menge und der
Dauer der Lagerung an. Hierzu zählen in erster Linie die Zinsen auf das im Lagerbestand
gebundene Kapital, aber auch mengenabhängige Versicherungskosten sowie Kosten für
Schwund und Verderb. Von den variablen Lagerhaltungskosten geht somit eine Tendenz
zu möglichst kleinen Losen aus.
 Fehlmengenkosten sind die Kosten, die bei Lieferunfähigkeit angesetzt werden. Neben
Konventionalstrafen zählen hierzu der Goodwill-Verlust bei den Kunden sowie die ent-
gangenen Erträge bei Abwanderung von Kunden. Hohe Sicherheitslagerbestände bieten
einen Schutz vor Fehlmengen.
Für das im Folgenden behandelte klassische Losgrößenmodell sind lediglich die losfixen
Kosten und die variablen Lagerhaltungskosten relevant. Das klassische Losgrößenmodell
geht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und erfreut sich bis heute in der Praxis
großer Beliebtheit. Es geht von folgenden Annahmen aus:
 Es wird ein Produkt in einem Lager betrachtet.
 Die Lagerkapazität ist unbeschränkt.
 Fehlmengen sind nicht zugelassen.
 Der Lagerabgang erfolgt kontinuierlich mit einer konstanten Rate d.
 Das Lager wird durch Produktion mit der konstanten Rate x > d aufgefüllt.
 Je Los fallen Rüstkosten in Höhe von cR an.
 Die variablen Lagerhaltungskosten je Stück und Periode betragen cL.
Das Ziel des Modells ist die Bestimmung der optimalen Losgröße q 0 , die die Gesamtkosten
pro Zeiteinheit als Summe aus Rüstkosten und variablen Lagerhaltungskosten minimiert.
Dieser Zusammenhang ist in Abb. 2.12 dargestellt.

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2.1 Beschaffung 67

Kosten

Gesamtkosten

Lagerhaltungs-
kosten

Rüstkosten

q0 Losgröße

Abb. 2.12 Optimale Losgröße

Da die Nachfragerate als konstant angenommen wird, lässt sich zu jeder Losgröße q ihre
Reichweite T angeben, d.h. die Zeitspanne, während der der Lagerbestand wieder abgebaut
wird:
q
T bzw. q T d
d
Da die Produktionsrate x größer als die Nachfragerate d ist, wird die Losgröße q in einem
Teilintervall T1 < T hergestellt:
q
T1  bzw. q  T1  x
x
Die Kosten eines Loses setzen sich aus den Rüstkosten, die je Los einmal anfallen, und den
von der Losgröße abhängigen variablen Lagerhaltungskosten zusammen:
K q   c R  c L q 

Bei der Modellierung der variablen Lagerhaltungskosten ist zu berücksichtigen, dass der
Lagerbestand kontinuierlich abnimmt und dadurch in jedem Zeitpunkt verschieden hoch ist.
Im Durchschnitt wird die Hälfte des maximalen Lagerbestands gelagert. Weiter ist der ma-
ximale Lagerbestand L geringer als die Losgröße q, da ein Teil der Nachfrage direkt aus der
Produktion befriedigt wird. Es gilt:
d  d
L  q  T1  d  q  q   q  1  
x  x

L 1  d
  q  1  
2 2  x

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68 2 Die Güterwirtschaft

Menge

L/2

Zeit
T1 T

Abb. 2.13 Entwicklung des Lagerbestands

Abb. 2.13 zeigt den Lagerbestandsverlauf beim klassischen Losgrößenmodell. Zunächst wird
im Teilintervall bis T1 ein Lagerbestand mit der Rate x – d bis zur Höhe L aufgebaut. An-
schließend wird die Produktion gestoppt und der Lagerbestand mit der Rate d bis zum Ende
des Zyklus bis auf Null abgebaut. Bei unveränderten Daten zeigt der nächste Zyklus genau
die gleiche Lagerbestandsentwicklung.
Somit lassen sich die Kosten eines Loses darstellen als:

1  d
K q, T   c R   q  1    T  c L
2  x

Da in dieser Beziehung sowohl die Losgröße q als auch die Reichweite des Loses T unbe-
kannt sind, geht man zu den Kosten pro Zeiteinheit über und substituiert T durch die zuvor
angegebene Beziehung T  q / d :

K q, T  c R 1  d d 1  d
k q      q  1    c L  c R    q  1    c L
T T 2  x q 2  x

Die notwendige Bedingung für ein Optimum lautet:

d k q  c d 1  d  !
 R   1    c L  0
dq q2 2  x

Durch Auflösen dieser Bedingung erhält man die optimale Losgröße, wobei nur die positive
Wurzel eine ökonomisch sinnvolle Lösung ist:

2 cR  d
q0 
 d
c L 1  
 x

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2.1 Beschaffung 69

Das folgende Beispiel soll die Vorgehensweise des klassischen Losgrößenmodells verdeutli-
chen: Ein Unternehmen stellt Metallflaschen für Feuerlöscher her. Die Nachfrage beträgt
zurzeit 150 Flaschen pro Woche, die Maschine ist auf eine Produktionsmenge von 200 Fla-
schen pro Woche ausgelegt. Die Rüstkosten für das Einrichten der Maschine betragen 75 €,
die variablen Lagerhaltungskosten werden mit 1 € je Flasche und Woche angesetzt. Durch
Einsetzen dieser Daten in die Lösungsformel des klassischen Losgrößenmodells erhält man:

2  75  150
q0   300
 150 
1  1  
 200 

Das Unternehmen realisiert also die geringsten Kosten, wenn es alle zwei Wochen ein Los
im Umfang von 300 Flaschen auflegt. Zur Herstellung dieser Menge werden 1,5 Wochen
benötigt, in denen 225 Flaschen direkt aus der Produktion in den Absatz gehen. Danach wird
die Maschine angehalten und die restliche Nachfrage in Höhe von 75 Flaschen aus dem bis
dahin aufgebauten Lagerbestand befriedigt. Nach Ablauf der zwei Wochen ist der Lagerbe-
stand abgebaut, und es beginnt ein neuer Zyklus.
Das klassische Losgrößenmodell lässt sich auch auf den Fall übertragen, dass das Lager nicht
durch Produktion aufgefüllt wird, sondern durch Anlieferung der gesamten Losgröße zu
Beginn eines Lagerhaltungszyklus (Bestellfall). Da in diesem Fall die Produktionsgeschwin-
digkeit unendlich groß ist, fällt der Klammerausdruck im Nenner der Lösungsformel weg, so
dass gilt:

2 cR  d
q0 
cL

Das klassische Losgrößenmodell wird aus theoretischer Sicht stark kritisiert, da seine An-
nahmen – insbesondere die als konstant angenommene Nachfragerate – im Grunde nur einen
sehr engen Einsatzbereich zulassen. Andererseits haben Sensitivitätsanalysen gezeigt, dass
die Lösung des Modells kaum auf Parameterveränderungen reagiert, d.h. auch wenn die
Annahmen nicht exakt erfüllt sind, liefert es brauchbare Ergebnisse. Wie in Abb. 2.12 deut-
lich wird, verläuft die Gesamtkostenfunktion in einer recht großen Umgebung der optimalen
Losgröße relativ flach, so dass z.B. betriebsbedingte Abweichungen von der Lösung zu kei-
nem erheblichen Kostenanstieg führen. Diese Robustheit und die leichte Verständlichkeit
von Modell und Herleitung sind die Ursache dafür, dass sich das klassische Losgrößenmo-
dell in der Praxis großer Beliebtheit erfreut und in vielen Unternehmen eingesetzt wird. Es
findet auch häufig Verwendung in computergestützten PPS-Systemen als Modul zur Losgrö-
ßenbestimmung.
Durch eine Reihe von Modifikationen lässt sich der Einsatzbereich des klassischen Losgrö-
ßenmodells über die engen Prämissen des Grundmodells hinaus erweitern. So gibt es insbe-
sondere Formulierungen für den Fall von
 Fehlmengen,

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70 2 Die Güterwirtschaft

 Rabatten,
 Lieferfristen,
 mehreren Produkten,
 beschränkten Lagerkapazitäten.
Weiter dient das Modell als Ausgangspunkt für die Konstruktion von zahlreichen Heurist-
iken zur Bestimmung der Losgröße bei diskreter, von Periode zu Periode schwankender
Nachfrage.
Vielfach wird in der Praxis eine Materialbestellung nicht modellgestützt, sondern mithilfe
von einfachen, am Materialverbrauch ausgerichteten Entscheidungsregeln ausgelöst. Derarti-
ge verbrauchsgesteuerte Dispositionsverfahren projizieren die in der Vergangenheit beobach-
teten Bedarfsmengen in die Zukunft und leiten daraus Bestellmengen und Bestelltermine als
Parameter für das Bestellverhalten her. Die Verfahren unterscheiden sich dahingehend, wel-
che dieser Größen fest vorgegeben oder variabel sind. Abb. 2.14 gibt einen systematischen
Überblick über die verbrauchsgesteuerten Dispositionsverfahren, in Abb. 2.15 sind die zuge-
hörigen Lagerbestandsverläufe dargestellt.

Bestell- Bestelltermin
menge fest variabel

(s,q)-Politik:
konstante Bestellpunkt-
fest
Bestellpolitik Losgrößen-
Verfahren

(t,S)-Politik: (s,S)-Politik:
Bestellrhythmus- Bestellpunkt-
variabel
Bestellgrenzen- Bestellgrenzen-
Verfahren Verfahren

Abb. 2.14 Verbrauchsgesteuerte Dispositionsverfahren

 Sind sowohl die Bestellmenge als auch die Bestelltermine fest vorgegeben, so liegt kein
Entscheidungsspielraum vor. Es wird vielmehr eine konstante Bestellpolitik angewendet,
bei der – unabhängig vom tatsächlichen Bedarfsverlauf – zu festen Terminen jeweils eine
bestimmte Menge bestellt wird. Dieses Bestellverhalten liegt z.B. dem Abonnement einer
Tageszeitung oder einer Zeitschrift zugrunde, bei dem regelmäßig ein Exemplar geliefert
wird.
 Bei der (t,S)-Politik ist der Bestellrhythmus durch feste Zeitpunkte t vorgegeben, in denen
das Lager auf den ebenfalls vorher festgelegten Höchstbestand S aufgefüllt wird. Bei
schwankender Nachfrage ergibt sich eine variable Bestellmenge. Ein Beispiel für ein sol-

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2.1 Beschaffung 71

ches Bestellverhalten ist die einmal jährlich erfolgende Auffüllung des Heizölvorrats, bei
der jeweils die im Vorjahr verbrauchte Menge ergänzt wird.
 Umgekehrt liegt bei der (s,q)-Politik eine feste Bestellmenge q vor, sie kann z.B. als
optimale Losgröße mithilfe des klassischen Losgrößenmodells bestimmt werden. Eine
Bestellung wird ausgelöst, wenn der als kritisch angesehene Lagerbestand bzw. Bestell-
punkt s erreicht ist. Dadurch variieren die Termine, zu denen eine Bestellung erfolgt. Ei-
ne (s,q)-Politik wird z.B. im Handel eingesetzt, wenn die Nachbestellung eines Artikels
bedarfsorientiert durchgeführt wird und jeweils bestimmte Gebindegrößen (eine Palette,
100 Stück usw.) geordert werden.
 Bei der (s,S)-Politik sind sowohl die Bestellmengen als auch die Bestelltermine variabel.
Bei Erreichen des Bestellpunkts s wird eine Bestellung ausgelöst, die das Lager wieder
bis zur Bestellgrenze S auffüllt. Ein Beispiel hierfür ist das Bestellverhalten eines Tank-
stellenpächters: Wenn in einem Tank ein festgelegter Meldebestand erreicht ist, wird eine
Nachlieferung angefordert, durch die der Bestand wieder bis zur Obergrenze aufgefüllt
wird. Die jeweilige Liefermenge schwankt in Abhängigkeit von der Nachfrage während
der Lieferfrist, der Abstand zwischen zwei Bestellungen hängt von der Nachfrage im
Verbrauchsintervall ab.

y Konstante Bestellpolitik y (s,q)-Politik

q
q q
q

t t

y (t,S)-Politik y (s,S)-Politik

S S

t t

Abb. 2.15 Lagerbestandsverlauf bei den verbrauchsgesteuerten Dispositionsverfahren

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72 2 Die Güterwirtschaft

2.2 Produktion
Die Produktion ist der Kernbereich des betrieblichen Leistungsprozesses; sie nimmt die
Kombination und Transformation der Einsatzfaktoren Werkstoffe, Betriebsmittel und
menschliche Arbeitsleistungen in die vom Unternehmen am Markt angebotenen Produkte
und Dienstleistungen vor. Die Produktionstheorie (Abschnitt 2.2.1) beschreibt diesen Trans-
formationsprozess mithilfe von Produktionsfunktionen. Im Mittelpunkt der Produktionspla-
nung (Abschnitt 2.2.2) stehen die Abläufe bei der Produktion. In Abschnitt 2.2.3 wird ein
Überblick über die wichtigsten Fertigungsverfahren gegeben. Die Fertigungsorganisation
(Abschnitt 2.2.4) befasst sich schließlich mit den Möglichkeiten der räumlichen Anordnung
der Betriebsmittel.

2.2.1 Produktionstheorie
Gegenstand der Produktionstheorie ist die formale Abbildung des güterwirtschaftlichen
Transformationsprozesses in Form einer Input/Output-Beziehung, d.h. sie abstrahiert von
den technischen Einzelheiten der Produktion und konzentriert sich auf die quantitativen Be-
ziehungen von Faktoreinsatz- und Ausbringungsmengen. Abb. 2.16 veranschaulicht diesen
Zusammenhang.

INPUT OUTPUT

Werkstoffe
Produkte
Betriebsmittel
Produktion Dienstleistungen
Arbeitsleistung

Abb. 2.16 Produktion als Input/Output-Beziehung

Zur Untersuchung der Input/Output-Beziehung werden Produktionsfunktionen formuliert,


die die Realität mit dem gewünschten Abstraktionsgrad abbilden. Eine Produktionsfunktion
ist eine Abbildung des n-dimensionalen Faktorraums in den m-dimensionalen Güterraum, die
die bei der Produktion auftretenden Inputmengen r1 , r2 ,..., rn  und die zugehörigen
Outputmengen x1 , x2 ,..., xm  effizient miteinander verknüpft.

 :  n   m

r1 , r2 ,..., rn ; x1 , x2 ,..., xm   0

Im Einproduktfall lässt sich die Produktionsfunktion in expliziter Form darstellen:

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2.2 Produktion 73

 :  n   

x   r1 , r2 ,..., rn 

Im Folgenden wird auf zwei produktionstheoretische Ansätze eingegangen: Zunächst wird


die neoklassische Produktionstheorie in Grundzügen dargestellt, da sie die allgemeine
Grundlage der Produktionstheorie ist. Anschließend wird mit der Theorie der Anpassungs-
formen ein Ansatz vorgestellt, der sich stärker an der betrieblichen Realität orientiert.

2.2.1.1 Neoklassische Produktionsfunktionen


Eine bekannte Klasse von Produktionsfunktionen sind die aus der Volkswirtschaftslehre
stammenden ertragsgesetzlichen bzw. neoklassischen Produktionsfunktionen, die die nach-
folgend dargestellten Eigenschaften aufweisen. Es wird davon ausgegangen, dass die Pro-
duktionsfunktion zweimal stetig differenzierbar ist.

1. Konstante bzw. abnehmende Skalenerträge


Bei einer gleichmäßigen Variation sämtlicher Faktoreinsatzmengen, die in der Funktion in
Form einer Proportionalitätskonstanten  zum Ausdruck kommt, ändert sich die erzielbare
Produktionsmenge x entweder im gleichen Verhältnis oder nur unterproportional:
x      r1 ,   r2 ,...,   rn     x für   0

2. Positive und abnehmende Grenzerträge


Die Erhöhung der Einsatzmenge eines Produktionsfaktors bei Konstanz aller anderen
Faktoreinsatzmengen führt zu einem Anstieg der Produktionsmenge. Die mit einer margina-
len Inputeinheit zusätzlich erzielte Produktionsmenge wird als Grenzertrag bezeichnet. Die-
ser Grenzertrag geht mit zunehmendem Produktionsniveau zurück, d.h. es lassen sich immer
geringere Ertragszuwächse erzielen. Ein solcher ertragsgesetzlicher Verlauf einer Produkti-
onsfunktion liegt vor, wenn für alle Einsatzfaktoren i  1,..., n gilt:

x
0
 ri

2 x
0
 ri 2

In Abb. 2.17 ist der idealtypische Verlauf der mit zunehmendem Einsatz eines Produktions-
faktors i erzielbaren Produktionsmenge dargestellt.

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74 2 Die Güterwirtschaft

ri

Abb. 2.17 Ertragsgesetzlicher Verlauf

3. Abnehmende Grenzrate der Substitution


Betrachtet man bei gegebener Produktionsmenge und festen Einsatzmengen aller anderen
Produktionsfaktoren das Austauschverhältnis zwischen zwei Produktionsfaktoren i und j, so
lässt sich feststellen, dass eine Reduktion der erforderlichen Menge von Faktor i nur möglich
ist, wenn die Einsatzmenge des Faktors j erhöht wird. Diese Eigenschaft wird als
Substitutionalität, das Austauschverhältnis zwischen den beiden Faktoren als Grenzrate der
Substitution bezeichnet. Es ist umso größer, je geringer die Einsatzmenge des Faktors i ist.
Abb. 2.18 zeigt die als Isoquante bezeichnete Kurve aller effizienten Faktoreinsatzmengen-
kombinationen, die zur vorgegebenen Produktionsmenge x führen. Der Betrag ihrer Steigung
entspricht der im jeweiligen Punkt geltenden Grenzrate der Substitution. Diese weist ihrer-
seits einen abnehmenden Verlauf auf.

rj

x
ri

Abb. 2.18 Isoquante

 ri  2 ri
sij   0  0
 rj  rj2

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2.2 Produktion 75

Für eine gegebene Produktionsfunktion kann man untersuchen, ob sie diese drei Eigenschaf-
ten aufweist. Als Beispiel wird die folgende Cobb-Douglas-Produktionsfunktion herangezo-
gen:

x  25  r10,3  r20,6

1. Untersuchung der Skalenerträge

x   25   r1 0,3    r2 0,6  25  0,3  0,6  r10,3  r20,6  0,9  x    x

Bei einer gleichmäßigen Erhöhung aller Faktoreinsatzmengen steigt bei der vorliegenden
Produktionsfunktion die Produktionsmenge unterproportional an, daher liegen abnehmende
Skalenerträge vor.

2. Untersuchung der Grenzerträge

x 2 x
 0,3  25 r1 0,7  r20,6  0  0,7  0,3  25 r11,7  r20,6  0
 r1  r1 2

Die Produktionsfunktion weist positive, abnehmende Grenzerträge bezüglich des Produkti-


onsfaktors 1 auf.

x 2 x
 0,6  25 r10,3  r2 0,4  0  0,4  0,6  25 r10,3  r21,4  0
 r2  r2 2

Die Produktionsfunktion weist bezüglich des Produktionsfaktors 2 ebenfalls positive, ab-


nehmende Grenzerträge auf.

3. Untersuchung der Grenzrate der Substitution

Für die Produktionsmenge x  25 ergibt sich als Isoquante:

r1  r2 2

Die Grenzrate der Substitution und ihre Ableitung lauten:

 r1  2 r1
s12    2 r2 3  0   6 r24  0
 r2  r2 2

Somit gilt das Gesetz von der abnehmenden Grenzrate der Substitution. Da die untersuchte
Funktion alle drei Eigenschaften erfüllt, handelt es sich um eine ertragsgesetzliche Produkti-
onsfunktion.

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76 2 Die Güterwirtschaft

2.2.1.2 Die Gutenberg-Produktionsfunktion


Die oben in Grundzügen dargestellte neoklassische Produktionstheorie ist in der Volkswirt-
schaftslehre entwickelt worden und behandelt die Produktion auf einer sehr abstrakten Ebe-
ne. Im Folgenden wird daher mit der von Erich Gutenberg konzipierten Theorie der Anpas-
sungsformen ein produktionstheoretischer Ansatz behandelt, der die realen betrieblichen
Gegebenheiten stärker berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Theorie stehen die Möglichkeiten
eines Unternehmens, sich kurzfristig – d.h. bei gegebener Maschinenausstattung – an Nach-
frageschwankungen anzupassen. Im Unterschied zur neoklassischen Produktionstheorie geht
Gutenberg davon aus, dass in der industriellen Produktion kaum Substitutionsmöglichkeiten
zwischen den Produktionsfaktoren bestehen, sondern vielmehr feste, limitationale Einsatz-
mengenverhältnisse, wie sie z.B. in Stücklisten (vgl. Abschnitt 2.1.3) gegeben sind, vorherr-
schen. Demzufolge kann eine partielle Faktorvariation, d.h. die Erhöhung der Einsatzmenge
eines Produktionsfaktors bei festen Einsatzmengen der anderen Faktoren, zu keinem Anstieg
der Ausbringungsmenge führen, so dass die Grenzproduktivität jedes Produktionsfaktors
Null beträgt.
Gutenberg nimmt weiter an, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Faktoreinsatz- und
Ausbringungsmengen vorliegt, sondern dieser in spezifischer Weise von der Fahrweise der
Maschinen abhängt. Daher stellt er die Betriebsmittel in den Mittelpunkt seiner Betrachtun-
gen und untersucht die Auswirkungen der drei Anpassungsformen
1. zeitliche Anpassung: Variation der Arbeitszeit (t)
2. quantitative Anpassung: Variation der Anzahl der eingesetzten Maschinen (z)
3. intensitätsmäßige Anpassung: Variation der Produktionsgeschwindigkeit (d)
auf die Leistungsabgabe der Maschinen, auf die für die Ausbringung benötigten
Faktoreinsatzmengen und auf die mit der Produktion verbundenen Kosten. Die von ihm
entwickelte Gutenberg-Produktionsfunktion lautet:
x  t zd

1. Zeitliche Anpassung
Bei der zeitlichen Anpassung erfolgt die Produktion mit einer Maschine, die in der regulären
Arbeitszeit über eine in Produkteinheiten gemessene Kapazität x verfügt. Die Produktions-
geschwindigkeit ist konstant. Die reguläre Arbeitszeit lässt sich zwischen Null und der Ober-
grenze T kontinuierlich variieren. Soll die Produktionsmenge über x hinaus erhöht werden,
so können Überstunden gefahren werden. Aufgrund der limitationalen Beziehungen zwi-
schen Faktoreinsatzmengen und Produktionsmenge gilt für die Werkstoffe folgende
Faktoreinsatzfunktion:
ri  ai  x i  1,..., n

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2.2 Produktion 77

Der Produktionskoeffizient ai gibt die Menge des Werkstoffs i an, die je Produkteinheit
eingesetzt werden muss. Durch Multiplikation mit der gewünschten Produktionsmenge x
erhält man die insgesamt erforderliche Einsatzmenge des Werkstoffs i.
Die Produktionskosten setzen sich zusammen aus den Fixkosten K F , in denen die festen
Löhne der Arbeitnehmer und die Abschreibungen für Gebäude und Maschinen enthalten
sind, und den von der Produktionsmenge abhängigen variablen Kosten K v (x) , die für den
Werkstoffeinsatz und für variable Lohnbestandteile (z.B. Akkordlohn) anfallen.
K ( x)  K F  K v ( x)

Die Kostenfunktion bei zeitlicher Anpassung erhält man somit, indem man die durch die
Faktoreinsatzfunktion angegebenen Faktoreinsatzmengen ri mit ihren Preisen ci bewertet
und diese variablen Kosten zu den Fixkosten addiert:
n
K ( x )  K F   a i  x  ci 0t T
i 1

Da sowohl die Produktionskoeffizienten als auch die Faktorpreise konstante Größen sind,
steigt diese Kostenfunktion, wie in Abb. 2.19 dargestellt, linear mit der Produktionsmenge
an, bis die maximale Produktionsmenge x erreicht ist. Wenn die reguläre Arbeitszeit T
durch Überstunden überschritten wird, fallen zusätzliche Überstundenzuschläge an, die zu
einer Erhöhung der variablen Kosten je Stück und damit zu einem steileren Anstieg der Kos-
tenfunktion führen.

KF

x
x-

Abb. 2.19 Kostenverlauf bei zeitlicher Anpassung

2. Quantitative Anpassung
Quantitative Anpassung liegt vor, wenn die Produktionsmenge über eine Variation der An-
zahl der eingesetzten Maschinen an die Nachfrage angepasst wird. Dabei handelt es sich

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78 2 Die Güterwirtschaft

nicht um eine Investitionsentscheidung, sondern um die Frage, wie viele der vorhandenen Z
Maschinen für die Produktion genutzt werden sollen. Die Produktionsgeschwindigkeit ist
konstant, als Einsatzzeit der Maschinen wird zunächst die reguläre Arbeitszeit T angesetzt.
Geht man davon aus, dass mehrere Maschinen vom gleichen Typ mit gegebener Leistung zur
Verfügung stehen, so lässt sich die Produktionsmenge lediglich als ganzzahliges Vielfaches
der Kapazität x einer Maschine variieren.
x  0, x , 2 x ,..., Z  x

Da dies nur eine ungenaue Anpassung an Nachfrageschwankungen erlaubt, kombiniert man


die quantitative mit der zeitlichen Anpassung. Bei steigender Nachfrage wird zunächst zeit-
lich angepasst, bis die Kapazität der ersten Maschine ausgenutzt ist, anschließend wird die
zweite Maschine zugeschaltet, bis auch deren Kapazität ausgenutzt ist, usw. Das Zuschalten
einer Maschine verursacht sprungfixe Kosten k F z.B. für die Reinigung, das Warmlaufen,
Probestücke usw., die bei der Formulierung der Kostenfunktion zu berücksichtigen sind.
n
K  x   K F   a i  x  ci  z  k F
i 1

x
mit: z    1 für x  z  x
x
Abb. 2.20 zeigt den Kostenverlauf bei kombinierter zeitlich-quantitativer Anpassung.

kF

kF

kF
KF

x
x- 2x- 3x-

Abb. 2.20 Kostenverlauf bei zeitlich-quantitativer Anpassung

Da es sich bei den sprungfixen Kosten um sunk costs handelt, tritt bei rückläufiger Nachfra-
ge eine Kostenremanenz auf, d.h. die Kosten gehen nicht im gleichen Maße zurück, wie sie
zuvor angestiegen sind, sondern verbleiben auf einem höheren Niveau. Liegt die Produkti-
onsmenge nur wenig über dem ganzzahligen Vielfachen der Kapazität einer Maschine, so ist

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2.2 Produktion 79

es zunächst günstiger, die zusätzliche Menge nicht auf einer zusätzlichen Maschine, sondern
mit Überstunden zu produzieren, da hierbei keine Fixkosten anfallen. Die kritische Menge,
bei der beide Alternativen zu den gleichen Kosten führen, lässt sich mithilfe einer Break-
Even-Analyse (vgl. auch Abschnitt 2.1.1) ermitteln. Abb. 2.21 veranschaulicht die Struktur
dieses Entscheidungsproblems.

Überstunden
2. Maschine
kF
KF

x
x- x*

Abb. 2.21 Quantitative Anpassung oder Überstunden

Hierzu ein Beispiel: In einem Betrieb mit zwei identischen Maschinen fallen Fixkosten in
Höhe von 5.000 € an. Die Kapazität der Maschinen beträgt jeweils 400 Stück, bei Zuschal-
tung der zweiten Maschine sind sprungfixe Kosten in Höhe von 800 € zu berücksichtigen.
Die variablen Stückkosten während der regulären Arbeitszeit betragen 20 €, der Überstun-
denzuschlag beläuft sich auf 5 € je Stück.
Bei Zuschaltung der zweiten Maschine fallen folgende Kosten an:
K1 x   5.000  800  20 x

Bei Nutzung von Überstunden betragen die Kosten:


K 2 x   5.000  20 x  5  x  400

Durch das Gleichsetzen der beiden Kostenfunktionen erhält man die kritische Menge, bei der
beide Alternativen zu gleich hohen Kosten führen:
5.000  800  20 x  5.000  20 x  5  x  400

x *  560
Bis zur kritischen Menge von 560 Stück ist die Produktion mit Überstunden kostengünstiger.
Erst wenn die Nachfrage darüber hinausgeht, lohnt sich die Zuschaltung der zweiten Ma-
schine.

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80 2 Die Güterwirtschaft

3. Intensitätsmäßige Anpassung
Bei der intensitätsmäßigen Anpassung wird die Produktionsgeschwindigkeit d variiert, die
als Produktionsmenge bzw. Leistung je Zeiteinheit definiert ist. Grundlage einer Verände-
rung der Produktionsgeschwindigkeit ist die Variation einer technischen Größe, die sich
direkt auf die Leistung je Zeiteinheit auswirkt, z.B. der Drehzahl eines Bohrers, des Vor-
schubs eines Schneidewerkzeugs, der Drehzahl eines Motors oder der Temperatur bei chemi-
schen Prozessen. Eine solche Variation ist innerhalb von für die jeweilige Anlage geltenden,
technisch festgelegten Grenzen dmin und dmax möglich. In Abhängigkeit von der Produktions-
geschwindigkeit ändert sich nicht nur die Produktionsmenge je Zeiteinheit, sondern auch der
Faktorbedarf je Produkteinheit. Es gilt:
d min  d  d max

x
x  d t  d
t
ai  ai d  i  1,..., n

Während die Produktionskoeffizienten ai bei der zeitlichen und der quantitativen Anpas-
sung konstant sind, hängen sie bei intensitätsmäßiger Anpassung von der Produktionsge-
schwindigkeit d ab. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als Verbrauchsfunktion. Typi-
scherweise verläuft die Verbrauchsfunktion, wie in Abb. 2.22 dargestellt, u-förmig, d.h. es
gibt eine optimale Produktionsgeschwindigkeit d opt , für die der Verbrauch des Einsatzfak-
tors i je Produkteinheit ein Minimum annimmt. Für Produktionsgeschwindigkeiten unterhalb
von d opt läuft die Maschine im unwirtschaftlichen Bereich und verbraucht deshalb zu viel
vom Werkstoff i; oberhalb von d opt liegt ein erhöhter Faktorverbrauch wegen der zuneh-
menden Überbeanspruchung der Maschine vor.

ai(d)

d
dmin dopt dmax

Abb. 2.22 Verbrauchsfunktion

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2.2 Produktion 81

Da die Verbrauchsfunktion formal dem Produktionskoeffizienten entspricht, gilt für die


Faktoreinsatzfunktion:
ri  ai d   x  ai d   d  t i  1,..., n

Die Faktoreinsatzfunktion zu einer u-förmigen Verbrauchsfunktion verläuft umgekehrt s-


förmig, d.h. erst konkav und dann konvex (vgl. Abb. 2.23).

ri(x)

x
xmin xmax

Abb. 2.23 Faktoreinsatzfunktion

Entsprechendes gilt für den Kostenverlauf bei intensitätsmäßiger Anpassung: Die Gesamt-
kosten ergeben sich als Summe der mit den Faktorpreisen bewerteten
Faktoreinsatzfunktionen zuzüglich der Fixkosten, welche als Summe s-förmiger Funktionen
ebenfalls s-förmig verlaufen.
n
K x   K F   ai d   x  ci
i 1

Die variablen Stückkosten sind nicht mehr – wie bei den beiden vorherigen Anpassungsfor-
men – konstant, sondern hängen von der Produktionsgeschwindigkeit ab. Sie lassen sich als
Summe der mit den Faktorpreisen bewerteten Verbrauchsfunktionen darstellen. Aus u-
förmigen Verbrauchsfunktionen resultiert eine u-förmige Stückkostenfunktion, die ihr Mini-
mum bei der kostenminimalen Produktionsgeschwindigkeit d opt annimmt.

K x   K F n
k v d     ai d   ci
x i 1

In Abb. 2.24 ist links der Verlauf der Gesamtkostenfunktion und rechts der Verlauf der
Stückkostenfunktion bei intensitätsmäßiger Anpassung dargestellt.

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82 2 Die Güterwirtschaft

K(x) kv(d)

KF

x d
xmin xmax dmin dopt dmax

Abb. 2.24 Kostenverläufe bei intensitätsmäßiger Anpassung

Wie der rechte Teil von Abb. 2.24 zeigt, erhöhen sich bei rein intensitätsmäßiger Anpassung
die Stückkosten, wenn die Produktionsgeschwindigkeit, mit der sich während der zur Verfü-
gung stehenden Arbeitszeit T die gewünschte Produktionsmenge herstellen lässt, nicht mit
d opt übereinstimmt.
Wie Abb. 2.25 zeigt, lässt sich dieser unerwünschte Effekt im Bereich unterhalb von d opt
vermeiden, indem man die intensitätsmäßige Anpassung mit der zeitlichen Anpassung kom-
biniert: Die Produktionsgeschwindigkeit wird konstant bei d opt gehalten und die Produkti-
onszeit so weit reduziert, dass gerade die gewünschte Produktionsmenge hergestellt wird.
Dadurch gelingt es, in diesem Bereich die Stückkosten bei k (d opt ) zu halten und die Ge-
samtkosten zu linearisieren.
x  d opt  T : d  d opt 0t T

K(x) kv(d)

KF

x d
xmin xmax dmin dopt dmax

Abb. 2.25 Kostenverläufe bei zeitlich-intensitätsmäßiger Anpassung

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2.2 Produktion 83

Für Produktionsmengen oberhalb dieses Bereichs ist die zeitliche Anpassung ausgeschöpft,
daher kommt nur die intensitätsmäßige Anpassung mit ihrem überproportional ansteigenden
Kostenverlauf infrage.
x  d opt  T : d opt  d  d max 0T
In Abb. 2.25 sind die aus der Kombination von zeitlicher und intensitätsmäßiger Anpassung
resultierenden Kostenverläufe dargestellt. Der linke Teil bildet die Gesamtkosten ab, der
recht die Stückkosten. Ein solcher zunächst linearer, dann konvexer Verlauf der Gesamtkos-
tenfunktion ist für weite Bereiche der Industrie typisch.
Schließlich ist noch der Fall zu betrachten, dass eine Unterbrechung der Produktion aus
technischen Gründen nicht möglich bzw. mit prohibitiv hohen Kosten verbunden ist. Dies ist
z.B. beim Hochofenprozess der Fall, bei dem eine zeitliche Anpassung mit zeitweiligem
Stillstand zur Folge hätte, dass die Auskleidung erneuert werden muss. Daher lässt sich in
einem solchen Fall die Produktionsmenge nur mittels intensitätsmäßiger Anpassung an die
Nachfrage anpassen. Dennoch gibt es auch hier eine Möglichkeit, bei geringen Produktions-
mengen die Kosten unter die bei rein intensitätsmäßiger Anpassung anfallende Höhe zu
senken: Beim Intensitätssplitting werden zwei ausgewählte Produktionsgeschwindigkeiten –
und zwar die zur Produktionsmenge xmin führende minimale Intensität d min und die zur
Produktionsmenge x1 führende Intensität d 1 , bei der ein Fahrstrahl an die Gesamtkosten-
kurve zur Tangente wird – so miteinander kombiniert, dass die Maschine während der ge-
samten Zeit läuft und genau die gewünschte Produktionsmenge erzeugt wird. Die Gesamt-
kostenfunktion verläuft dadurch im Bereich zwischen xmin und x1 linear, während im Be-
reich zwischen x1 und x max der ursprüngliche, konvexe Kostenverlauf bei rein intensitäts-
mäßiger Anpassung gilt. Die zugehörige Kostenfunktion ist in Abb. 2.26 dargestellt.

K(x)

x
xmin x1 xmax

Abb. 2.26 Intensitätssplitting

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es sich bei der Theorie der Anpassungsformen um eine
stark an den technischen Grundlagen der Produktion orientierte Darstellung des güterwirt-

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84 2 Die Güterwirtschaft

schaftlichen Transformationsprozesses und der damit verbundenen Kostenverläufe handelt.


Die Anpassung der Produktionsmenge an schwankende Nachfrage erfolgt durch gezielte
Kombination der zeitlichen, quantitativen und intensitätsmäßigen Anpassung jeweils so, dass
die Kosten der Produktion minimiert werden.

2.2.2 Produktionsplanung
Gegenstand der Produktionsplanung ist die Planung und Steuerung der vielfältigen Abläufe
in der Produktion. Aufgrund der Komplexität und des Umfangs der hierbei anstehenden
Entscheidungen werden die Aufgaben hierarchisch strukturiert, wobei grundlegende Ent-
scheidungen zuerst getroffen werden und den Rahmen für die Ausgestaltung nachfolgender
Teilbereiche sowie für die konkrete Umsetzung der Planung in Handlungen vorgeben. Fol-
gende Planungsebenen lassen sich unterscheiden (vgl. Abb. 2.27):

Produkt- Potenzial- Strategische


gestaltung gestaltung Planungsebene

Geschäftsfelder,
verfügbare Ressourcen

Programm- Taktische
planung Planungsebene

Produktionsanforderungen
nach Art, Menge, Termin

Prozessplanung Operative
und -steuerung Planungsebene

Arbeitspläne

Produktions- Physische
durchführung Ebene

Output

Abb. 2.27 Produktionsplanung

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2.2 Produktion 85

 Die strategische Produktionsplanung ist eingebettet in die strategische Unternehmenspla-


nung, die in Abschnitt 5.1 behandelt wird. Es sind Grundsatzentscheidungen über die
langfristigen Unternehmensziele und die zu ihrer Erreichung benötigten Ressourcen zu
treffen. Diese Entscheidungen beziehen sich insbesondere auf die Geschäftsfelder und die
Standorte des Unternehmens, die Produktionstechnologien, die Ausstattung mit Personal-
und Anlagenkapazitäten sowie auf die Fertigungstiefe.
 Gegenstand der taktischen Produktionsplanung sind mittelfristige Entscheidungen über
den effektiven und effizienten Einsatz der Ressourcen, um die auf der strategischen Ebe-
ne formulierten Ziele zu erreichen. Wichtige Teilbereiche sind die Produktpolitik, die
Layoutplanung und die Produktionsprogrammplanung. Ergebnis der taktischen Produkti-
onsplanung sind die nach Art, Menge und Termin konkretisierten Produktionsanforde-
rungen für einen mittelfristigen Planungshorizont von in der Regel einem Geschäftsjahr.
 Bei der operativen Produktionsplanung und -steuerung werden kurzfristige Ablaufent-
scheidungen hinsichtlich der Produktionsdurchführung getroffen, die an das physische
Produktionssystem weitergegeben werden. Hierzu zählen z.B. Reihenfolgeentscheidun-
gen in der Maschinenbelegungsplanung, Losgrößenentscheidungen für die Beschaffung
und die Produktion, Entscheidungen über Seriengrößen und Seriensequenzen und materi-
alwirtschaftliche Entscheidungen. Diese Entscheidungen werden vielfach unter Berück-
sichtigung der zwischen ihnen bestehenden Interdependenzen durch integrierte PPS-
Systeme getroffen (vgl. Abschnitt 4.5.2).
Eine andere Gliederung der Produktionsplanung setzt an den drei Phasen des betrieblichen
Transformationsprozesses an (vgl. nochmals Abb. 1.1):
 Die Potenzialgestaltung bezieht sich auf die Inputseite des Produktionsprozesses. Sie
umfasst die Bereitstellung der Werkstoffe in der Materialwirtschaft, die Bereitstellung
der Betriebsmittel mit der Standortplanung, der Layoutplanung und der Anlagenwirt-
schaft und die Bereitstellung des Personals.
 Die Produkt- und Programmgestaltung ist der Outputseite des Transformationsprozesses
zugeordnet. Sie reicht von der Festlegung der Geschäftsfelder über die Frage der Ferti-
gungstiefe bis hin zu Problemen der Losgrößenplanung.
 Die Prozessgestaltung befasst sich mit dem Transformationsprozess selbst. Hierzu zählen
z.B. Fragen der Reihenfolgeplanung und der Produktionssteuerung.
Aus den vielfältigen Aufgabenstellungen der Produktionsplanung werden im Folgenden die
der strategischen Planungsebene zugeordnete Produktionsprogrammgestaltung, die auf der
taktischen Ebene angesiedelte Produktionsprogrammplanung und als operative Aufgabe die
Maschinenbelegungsplanung herausgegriffen.

2.2.2.1 Produktionsprogrammgestaltung
Die Produktionsprogrammgestaltung hat die Aufgabe, das Sortiment des Unternehmens und
die Eigenschaften der einzelnen Produkte in seinem Produktionsprogramm festzulegen. Dazu

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86 2 Die Güterwirtschaft

zählen die Wahl der Einsatzstoffe, aus denen ein Produkt besteht, die Gestaltung der Pro-
duktstruktur, die Bestimmung der technischen Funktionen des Produkts und die Festlegung
der äußeren Produktmerkmale wie der Form, der Farbe, der Größe, der Oberfläche, der Ver-
packung usw.
Bei der Produktionsprogrammgestaltung besteht ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen
dem Produktionsbereich und dem Absatz: Während der Absatz ein möglichst breites und
stark differenziertes Produktionsprogramm fordert, um unterschiedliche Kundengruppen
bedarfsgerecht beliefern zu können, legt die Produktion Wert auf eine geringe Anzahl von
Produkten und Varianten, um dadurch die Produktionsraten zu stabilisieren, die Lagerbe-
stände zu verringern und die Produktionskosten zu senken. Die Ziele der Produktion lassen
sich vor allem durch die Normung, bei der Größe, Abmessungen, Formen, Farben und Quali-
tät von Bauteilen einheitlich festgelegt werden, sowie durch die auf der Ebene der Endpro-
dukte ansetzende Typung, bei der die Produkte zu Produktgruppen mit ähnlichen fertigungs-
technischen Anforderungen zusammengefasst werden, erreichen.
Eine produktgestalterische Konzeption, die den Anforderungen beider Bereiche entgegen
kommt, ist das Baukastenprinzip. Dabei werden standardisierte Baugruppen in unterschiedli-
chen Kombinationen zusammengefügt und bei Bedarf mit zusätzlichen, individuellen Bautei-
len ergänzt, so dass sich jeweils eine andere Ausprägung des Endprodukts ergibt. So lassen
sich auf der Endproduktebene sogar individuelle Kundenanforderungen befriedigen, ohne
dass auf der Bauteileebene die Vorteile einer standardisierten Serien- oder sogar Massenfer-
tigung verloren gehen (mass customization).
In der Automobilindustrie findet diese Form der Standardisierung als Platform-Engineering
Verwendung. Die für den Endkunden nicht sichtbaren Baugruppen (Bodengruppe, Fahrwerk
usw.) werden vereinheitlicht und dienen als Grundlage für unterschiedliche Modelltypen, die
sich vor allem durch die Karosserie unterscheiden. Auch andere Branchen, wie die Elektro-
nik- und die Computerindustrie, nutzen die Vorteile standardisierter Komponenten. So wer-
den Steuerchips in Elektrogeräten nach einem einheitlichen Muster in großen Mengen pro-
duziert und in verschiedensten Geräten eingesetzt, wobei häufig ein Teil der verfügbaren
Funktionen nicht genutzt wird.

2.2.2.2 Produktionsprogrammplanung
Im Rahmen der Produktionsprogrammplanung wird die Entscheidung getroffen, welche
Produkte aus dem Sortiment in welchen Mengen hergestellt werden sollen, um den Gewinn
des Unternehmens zu maximieren. Dafür sind folgende Informationen erforderlich: Neben
Nachfrageprognosen müssen die Preise und die variablen Stückkosten der Produkte bekannt
sein, weiter die vorhandenen Kapazitäten und die Produktionskoeffizienten der Produkte, die
die Kapazitätsinanspruchnahme je Stück angeben. Die Differenz aus dem Preis und den
variablen Kosten eines Produkts bezeichnet man als Stückdeckungsbeitrag, da das Produkt je
verkaufter Einheit in dieser Höhe zur Abdeckung der im Unternehmen anfallenden Fixkosten
beiträgt.

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2.2 Produktion 87

Im einfachsten Fall erfolgt die Produktionsprogrammplanung ohne Berücksichtigung von


Kapazitätsengpässen. Diese Situation kann z.B. in Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession
eintreten, wenn die Nachfrage stark zurückgeht. Die Entscheidung lautet dann, dass alle
Produkte mit positivem Deckungsbeitrag in Höhe ihrer Nachfrage produziert werden.
Bei dem in Tab. 2.3 angegebenen Beispiel werden die Produkte 2 und 5 aufgrund ihres nega-
tiven Deckungsbeitrags nicht produziert, die Produkte 1, 3 und 4 werden in Höhe ihrer Nach-
frage hergestellt. Der Verkauf dieser Produkte liefert dem Unternehmen einen Gesamtde-
ckungsbeitrag in Höhe von:
DB  300  10  250  18  150  40  13.500 €

Tab. 2.3 Produktionsprogrammplanung ohne Kapazitätsengpass

Variable
Produkt Preis Nachfrage Deckungsbeitrag
Stückkosten
1 120,– 110,– 300 10,–
2 108,– 115,– 350 -7,–
3 140,– 122,– 250 18,–
4 190,– 150,– 150 40,–
5 110,– 130,– 400 -20,–

Sind bei der Produktionsprogrammplanung knappe Kapazitäten zu berücksichtigen, so reicht


der Deckungsbeitrag als Entscheidungskriterium für die Herstellung eines Produkts nicht
mehr aus, sondern es muss zusätzlich berücksichtigt werden, in welchem Umfang die ver-
schiedenen Produkte die Kapazitäten in Anspruch nehmen. Zunächst wird der Fall betrachtet,
dass genau eine Kapazität einen Engpass darstellt. Diese Situation tritt z.B. bei einstufiger
Fertigung auf. Aufgrund der Engpasssituation können nicht alle Produkte mit positivem
Deckungsbeitrag in Höhe ihrer Nachfrage hergestellt werden. Um die Produkte zu bestim-
men, deren Herstellung angesichts des Engpasses den Gesamtdeckungsbeitrag maximiert,
berechnet man die relativen Deckungsbeiträge der einzelnen Produkte als Quotient aus ihrem
absoluten Deckungsbeitrag und ihrem Produktionskoeffizienten, der den Kapazitätsbedarf je
Stück angibt:
Deckungsbeitrag
relativer Deckungsbeitrag 
Produktionskoeffizient
Das Produkt mit dem höchsten relativen Deckungsbeitrag liefert je Kapazitätseinheit den
größten Erfolgsbeitrag, daher wird es als erstes in das Produktionsprogramm aufgenommen
und in Höhe seiner Nachfrage hergestellt, falls der Engpass dafür ausreicht. Dann werden
weitere Produkte sukzessiv in der Reihenfolge ihrer relativen Deckungsbeiträge produziert,
bis der Engpass ausgeschöpft ist. Der verbleibende Teil der Nachfrage kann nicht befriedigt
werden.
In Tab. 2.4 ist ein Beispiel zur Produktionsprogrammplanung bei einem Engpass angegeben.
Vergleicht man die absoluten und die relativen Deckungsbeiträge, so ergibt sich eine völlig

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88 2 Die Güterwirtschaft

unterschiedliche Reihung der Produkte: Produkt 2, das lediglich 10,– € Deckungsbeitrag je


Stück liefert, hat aufgrund seines niedrigen Produktionskoeffizienten den höchsten relativen
Deckungsbeitrag. Produkt 3 mit dem höchsten absoluten Deckungsbeitrag weist hingegen
den zweitniedrigsten relativen Deckungsbeitrag auf.

Tab. 2.4 Produktionsprogrammplanung bei einem Engpass

Produktions- relativer
Produkt Nachfrage Deckungsbeitrag
koeffizient Deckungsbeitrag
1 300 35,– 5 7,–
2 150 10,– 1 10,–
3 100 40,– 10 4,–
4 250 12,– 2 6,–
5 200 15,– 5 3,–

Beträgt die Kapazität des Engpasses 2.500 Stunden, so wird zunächst Produkt 2 mit einer
Produktionsmenge von 150 Stück eingeplant. Dafür werden 150 Stunden der Engpasskapazi-
tät benötigt, so dass 2.350 Stunden Restkapazität verbleiben. Den zweithöchsten relativen
Deckungsbeitrag weist Produkt 1 auf. Werden 300 Stück davon produziert, so reduziert sich
die Restkapazität auf 850 Stunden. Auch Produkt 4, das nun den höchsten relativen De-
ckungsbeitrag unter den noch nicht produzierten Produkten aufweist, kann in Höhe seiner
Nachfrage produziert werden, die Restkapazität wird um 500 Stunden auf 350 Stunden redu-
ziert. Als nächstes wird Produkt 3 berücksichtigt. Da es je Stück 10 Stunden der Engpasska-
pazität benötigt, können mit der Restkapazität nur 35 Stück hergestellt werden, der Rest der
Nachfrage kann – ebenso wie die Nachfrage nach Produkt 5 – nicht befriedigt werden. Der
mit diesem Produktionsprogramm erzielte Gesamtdeckungsbeitrag beträgt:
DB  150  10  300  35  250  12  35  40  16.400 €

Ist bei der Produktionsprogrammplanung nicht nur ein Engpass relevant, sondern sind meh-
rere Engpässe zu berücksichtigen, so liefern die relativen Deckungsbeiträge in der Regel
keine eindeutige Rangfolge der Produkte. Diese Problemstellung lässt sich als lineares Pro-
gramm mit der Zielsetzung der Maximierung des Gesamtdeckungsbeitrags abbilden und mit
dem Simplex-Verfahren lösen.

Es seien:
xj – Produktionsmenge von Produkt j, j  1,..., m

db j – Stückdeckungsbeitrag von Produkt j, j  1,..., m

kapi – Kapazität von Produktionsmittel i, i  1,..., n

aij – Produktionskoeffizient von Produkt j auf Produktionsmittel i, i  1,..., n , j  1,..., m

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2.2 Produktion 89

Das zugehörige Planungsmodell lautet:


m
Zielfunktion: Z  db j  x j  max!
j 1

m
Restriktionen:  aij  x j  kapi i  1,..., n
j 1

xj 0 j  1,..., m

Für den Fall zweier Produkte lässt sich dieses Problem auch grafisch lösen. Dies wird durch
das folgende Beispiel veranschaulicht:
Ein Unternehmen stellt zwei Produkte auf drei Maschinen her. Maschine 1 verfügt über eine
Kapazität von 200 Stunden, je Einheit von Produkt 1 werden 2 Stunden und je Einheit von
Produkt 2 werden 2,5 Stunden benötigt. Maschine 2 wird 4 Stunden je Einheit von Produkt 1
und 3 Stunden je Einheit von Produkt 2 in Anspruch genommen, die Kapazität beträgt 300
Stunden. Maschine 3 schließlich wird bei einer Kapazität von 150 Stunden 1 Stunde je Ein-
heit von Produkt 1 und 2 Stunden je Einheit von Produkt 2 in Anspruch genommen. Der
Deckungsbeitrag von Produkt 1 beträgt 10 € je Einheit, der von Produkt 2 beläuft sich auf
15 € je Einheit.

x2

100 Maschine 2

90

80

70

60
Maschine 1
50 Zielfunktion

40

30 Maschine 3

20

10

10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 x1

Abb. 2.28 Produktionsprogrammplanung

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90 2 Die Güterwirtschaft

Das lineare Programm zu diesem Beispiel lautet:


Z  10 x1  15 x 2  max!

u.d.N.: 2 x1  2,5 x2  200

4 x1  3x 2  300

x1  2 x2  150

x1  0

x2  0

In Abb. 2.28 ist der zulässige Bereich der Kombinationen an Produktionsmengen von Pro-
dukt 1 und Produkt 2, die sämtliche Restriktionen erfüllen, hervorgehoben. Das optimale
Produktionsprogramm liegt dort, wo die gestrichelt eingezeichnete Zielfunktion den zulässi-
gen Bereich tangiert, d.h. bei 16, 6 Einheiten von Produkt 1 und 66, 6 Einheiten von Produkt
2. Der damit erzielte Deckungsbeitrag beträgt 1.166, 6 €. Die erste und dritte Maschine sind
voll ausgelastet, während auf der zweiten Maschine eine Restkapazität von 33, 3 Stunden
besteht.

2.2.2.3 Maschinenbelegungsplanung
Die Problemstellung der Maschinenbelegungsplanung tritt immer dann auf, wenn mehrere
Produkte oder Aufträge um knappe Maschinenkapazitäten konkurrieren. Die Maschinenbe-
legungsplanung umfasst die Bestimmung der Reihenfolgen, in der die Aufträge auf jeder
einzelnen Maschine eingelastet werden, sowie die Festlegung der Startzeitpunkte der einzel-
nen Bearbeitungsvorgänge auf den Maschinen. Als Teilaufgabe der operativen Produktions-
planung findet die Maschinenbelegungsplanung unmittelbar vor der Freigabe der Aufträge
für die physische Durchführung der Produktion statt (vgl. nochmals Abb. 2.27).
Eine Mindestanforderung an einen Maschinenbelegungsplan ist seine Zulässigkeit. Diese ist
gegeben, wenn die technisch vorgegebene Reihenfolge, in der die Aufträge die Maschinen
durchlaufen müssen, und die mit den Kunden vereinbarten Liefertermine eingehalten werden
und darüber hinaus keine Überlappungen von Aufträgen auf einer Maschine bzw. von Bear-
beitungen an einem Auftrag vorliegen. Als Zielsetzung werden bei der Maschinenbelegungs-
planung Zeitziele wie die Minimierung der Durchlaufzeiten, Wartezeiten, Leerzeiten oder
Verspätungen, oder Kostenziele wie die Minimierung von Verzugskosten oder von reihen-
folgeabhängigen Umrüstkosten verfolgt.
Bei der Durchführung der Maschinenbelegungsplanung werden in der Regel heuristische
Verfahren eingesetzt, die in relativ kurzer Zeit eine gute Lösung generieren, jedoch keine
Gewähr für die Optimalität der Lösung bieten. Zur grafischen Darstellung von Maschinenbe-
legungsplänen werden vielfach Gantt-Diagramme in Form von Steckbrettern oder auch im
Rahmen von elektronischen Leitständen eingesetzt. Auf der vertikalen Achse des Gantt-

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2.2 Produktion 91

Diagramms werden die Maschinen und auf der horizontalen Achse die Zeit abgetragen. Für
jeden an einem Auftrag vorzunehmenden Bearbeitungsvorgang wird eine Steckkarte, deren
Breite der Bearbeitungszeit entspricht, so eingeordnet, dass die Maschinenfolgen aller Auf-
träge eingehalten werden, sich keine Steckkarten in einer Zeile überlappen und keine Steck-
karten des gleichen Auftrags übereinander angeordnet sind. In Tab. 2.5 ist ein Beispiel mit
vier Aufträgen angegeben, die auf drei Maschinen A, B und C eingelastet werden sollen.
Abb. 2.29 zeigt den zugehörigen Maschinenbelegungsplan als Gantt-Diagramm.

Tab. 2.5 Auftragsdaten

Maschinenfolgen
Auftrag
Bearbeitungszeiten
A C B
1
1 2 6
A B C
2
3 3 6
B A C
3
2 6 4
B C A
4
1 1 2

A 1 2 3 4

B 3 4 1 2

C
1 4 3 2

2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Zeit

Abb. 2.29 Gantt-Diagramm

Soll nicht der gesamte Maschinenbelegungsplan, sondern lediglich die Reihenfolge der vor
einer Maschine wartenden Aufträge bestimmt werden, so bietet sich der Einsatz von Priori-
tätsregeln an. Den Aufträgen wird mithilfe bestimmter Kriterien eine Priorität zugewiesen,
anhand derer sie abgearbeitet werden. Häufig eingesetzte Prioritätsregeln sind:
 Die KOZ-Regel orientiert sich an der kürzesten Operationszeit. Sie gibt dem Auftrag in
der Warteschlange die höchste Priorität, dessen Bearbeitungszeit auf der Maschine am
kürzesten ist. Da die Maschine schnell wieder für andere Bearbeitungen zur Verfügung
steht, lassen sich mit dieser Regel eine gute Kapazitätsauslastung und kurze Durchlauf-
zeiten erzielen. Wenn sich die Bearbeitungszeiten der Aufträge allerdings stark unter-

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92 2 Die Güterwirtschaft

scheiden, kann es zur wiederholten Zurückstellung von Aufträgen mit langer Bearbei-
tungszeit kommen, so dass die Einhaltung des Liefertermins gefährdet ist.
 Bei der KRB-Regel (kürzeste Restbearbeitungszeit) erhält der Auftrag die höchste Priori-
tät, bei dem die Summe der noch ausstehenden Bearbeitungszeiten am geringsten ist. Da-
durch werden vor allem bereits weit fortgeschrittene Aufträge beschleunigt.
 Nach der Schlupfzeit-Regel erhält der Auftrag mit der geringsten Differenz zwischen der
Zeit bis zum Liefertermin und den ausstehenden Bearbeitungszeiten die höchste Priorität.
Durch die vorrangige Ausrichtung am Liefertermin erreicht diese Regel eine gute Ter-
mineinhaltung, dem stehen jedoch häufig hohe Durchlaufzeiten gegenüber.
 Am einfachsten zu handhaben ist die FCFS-Regel (first come first served), da die Priori-
täten nicht bei jedem hinzukommenden Auftrag neu berechnet werden müssen, sondern
sich ausschließlich an der Reihenfolge ihres Eintreffen an der Maschine orientieren. Je
länger ein Auftrag bereits auf Bearbeitung wartet, desto höher ist seine Priorität.

2.2.3 Fertigungsverfahren
Bei der industriellen Fertigung werden Einwirkungen verschiedener Art auf feste Körper
oder formlose Stoffe vorgenommen. Zu den formlosen Stoffen zählen Gase, Flüssigkeiten,
Pulver, Fasern, Späne, Granulat und ähnliche Stoffe. Eine Klassifikation von Fertigungsver-
fahren in sechs Hauptgruppen findet sich in der DIN 8580 (vgl. Abb. 2.30). Jede dieser
Hauptgruppen wird in Gruppen und Untergruppen eingeteilt, denen die einzelnen Ferti-
gungsverfahren zugeordnet sind.

Fertigungs-
verfahren

Stoffeigen-
Urformen Umformen Trennen Fügen Beschichten
schaft ändern

Abb. 2.30 Fertigungsverfahren nach DIN 8580

 Als Urformen (Hauptgruppe 1) bezeichnet man die Herstellung von geometrisch be-
stimmten festen Körpern aus einem Material in flüssigem, plastischem, breiigem, körni-

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2.2 Produktion 93

gem, faserförmigem, dampfförmigem oder ionisiertem Zustand. Zu den Urformverfahren


zählen z.B. das Gießen, das Pressen und das Formen.
 Beim Umformen (Hauptgruppe 2) wird durch mechanische Bearbeitungsvorgänge wie
Druck, Zug, Biegen und Schub die Form eines festen Körpers verändert, wobei seine
Masse und sein Zusammenhalt erhalten bleiben. Wichtige Umformverfahren sind das
Walzen, das Drücken, das Tiefziehen, das Strahlen, das Längen, das Weiten und das Bie-
geumformen.
 Durch das Trennen (Hauptgruppe 3) wird der Zusammenhalt von festen Körpern teilwei-
se oder im Ganzen aufgehoben oder vermindert. Trennende Bearbeitungen sind z.B. das
Schneiden, das Sägen, das Drehen, das Bohren, das Fräsen, das Hobeln, das Schleifen,
das Spanen, das Zerlegen und das Reinigen.
 Umgekehrt zum Trennen werden beim Fügen (Hauptgruppe 4) auf Dauer angelegte Ver-
bindungen zwischen verschiedenen Werkstücken geschaffen. Zusammenfügende Ferti-
gungsverfahren sind z.B. das Zusammensetzen, das Füllen, das Kleben, das Klammern,
das Nageln, das Schrauben, das Löten, das Nieten sowie das Schweißen. In der industriel-
len Vor- und Endmontage sind zusammenfügende Verfahren vorherrschend.
 Von Beschichten (Hauptgruppe 5) ist die Rede, wenn auf ein Werkstück eine Schicht
eines formlosen Stoffs fest aufgebracht wird. Hierzu zählen das Lackieren, das Emaillie-
ren und Glasieren, das Bedrucken und Beschriften, das Spachteln und Verputzen und das
galvanische und chemische Beschichten.
 Schließlich werden bei den Verfahren der Hauptgruppe 6 die Stoffeigenschaften des
Werkstücks in charakteristischer Weise verändert, wobei zusätzlich Formänderungen auf-
treten können. Zu diesen Verfahren gehören das Verfestigen, die Wärmebehandlung
(Glühen, Härten, Vergüten, Tiefkühlen usw.), das Sintern und Brennen, das Magnetisie-
ren, das Bestrahlen und fotochemische Verfahren wie das Belichten.
Im Laufe der Zeit hat aufgrund des technischen Fortschritts (vgl. Abschnitt 5.2.1) eine Ent-
wicklung der Fertigungsverfahren stattgefunden. Nach dem Anteil an menschlicher Arbeit
bei der Fertigung lassen sich die folgenden Entwicklungsstufen unterscheiden:
 Bei manueller Fertigung findet weitgehend Handarbeit statt, die durch einfache Werk-
zeuge unterstützt wird. Da keine Maschinen verwendet werden, ist Muskelkraft die we-
sentliche Energiequelle. Es sind keine großen Investitionen erforderlich, jedoch fallen
Lohnkosten in erheblichem Umfang an.
 Auf der nächsten Stufe steht die Fertigung mit maschinellen Werkzeugen wie Elektro-
bohrern oder Presslufthämmern, die ebenfalls von Hand bedient werden, aber statt Mus-
kelkraft einen eigenen Antrieb besitzen. Dadurch lässt sich die Produktivität des Ferti-
gungsprozesses erheblich steigern.
 Bei der maschinellen Fertigung geht die Rationalisierung, d.h. der Ersatz von menschli-
cher Arbeit durch Maschinen, nochmals weiter. Fast alle Verrichtungen werden von Ma-
schinen ausgeführt, die von den Arbeitern lediglich bedient werden.

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94 2 Die Güterwirtschaft

 Auf der folgenden Stufe steht die automatisierte Fertigung. Hier werden die Verrichtun-
gen selbsttätig von den Maschinen durchgeführt, die von den Arbeitern lediglich be-
schickt und überwacht werden. Sämtliche Handhabungs- und Transportvorgänge wäh-
rend des Fertigungsprozesses sowie die Werkstückzuführung und -weiterleitung werden
auf die Maschine verlagert.
 Bei der computergesteuerten Fertigung sind sämtliche Vorgänge vollständig automati-
siert, alle Fertigungs- und Transportaufgaben sind auf Maschinen übertragen, die ihre
Abläufe weitgehend selbstständig steuern und überwachen. Manuelle Eingriffe finden le-
diglich bei Störfällen statt.

2.2.4 Fertigungsorganisation
Von großer Bedeutung für einen reibungslosen Produktionsablauf ist die Fertigungsorganisa-
tion, d.h. die Ausgestaltung und die räumliche Anordnung der Fertigungsanlagen. Diese
hängt von mehreren Einflussfaktoren ab, unter anderem der Betriebsgröße, dem Fertigungs-
programm und der eingesetzten Technologie. Als grundlegende Fertigungstypen lassen sich
in Abhängigkeit von der Auflagengröße unterscheiden:
 Die Einzelfertigung erfolgt in der Regel auftragsorientiert. Individuelle Produkte werden
nach Kundenwunsch konstruiert und hergestellt. Die Maschinen müssen daher in der La-
ge sein, sehr unterschiedliche Bearbeitungen vorzunehmen. Reine Einzelfertigung tritt
eher selten auf, sie ist z.B. im Prototypen- und Sondermaschinenbau anzutreffen.
 Bei der Serienfertigung werden die Produkte mehrfach hergestellt. Die Produktion kann
durch Kundenaufträge ausgelöst werden oder aufgrund von Nachfrageprognosen erfol-
gen. Charakteristisch ist, dass die herzustellenden Stückzahlen zu Losen zusammenge-
fasst und gemeinsam auf Maschinen eingelastet werden, die auch für die Produktion an-
derer Produkte zur Verfügung stehen. Es besteht somit eine Konkurrenz der Produkte um
die Maschinenkapazitäten, die in der Ablaufplanung durch die Festlegung von Seriengrö-
ßen und Seriensequenzen aufgelöst wird. Die Seriengröße hängt zum einen von dem in
Abschnitt 2.1.4 behandelten Zusammenhang von Rüst- und Lagerhaltungskosten, zum
anderen von ablaufbedingten Anforderungen wie Lieferterminen oder Reihenfolgebedin-
gungen ab. Serienfertigung erfolgt in zahlreichen Industriebereichen, z.B. in der Möbel-
industrie.
 Massenfertigung liegt vor, wenn ein Produkt längerfristig in großen Stückzahlen für
einen anonymen Markt hergestellt wird. Die Fertigung erfolgt mit Maschinen, die aus-
schließlich für dieses Produkt konstruiert sind und benutzt werden. Die Höhe der Ge-
samtauflage wird nicht im Voraus festgelegt, sondern ist vom Erfolg des Produkts am
Markt abhängig. Massenfertigung tritt bei zahlreichen Gütern des täglichen Bedarfs auf,
z.B. in der Lebensmittelindustrie. Wird das Produkt in mehreren Varianten produziert,
zwischen denen die Anlagen umgerüstet werden müssen, so spricht man auch von Sor-
ten- oder Großserienfertigung.

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2.2 Produktion 95

Aus den unterschiedlichen Anforderungen der Produkte an die Fertigungsorganisation lassen


sich folgende Grundtypen ableiten:
 Der Werkstattfertigung liegt das Verrichtungsprinzip zugrunde. Dieses besagt, dass funk-
tionsgleiche oder -ähnliche Maschinen zu räumlich abgegrenzten Bereichen, den Werk-
stätten, zusammengefasst werden, an deren Anordnung sich der Materialfluss orientieren
muss. Die Werkstücke oder Aufträge durchlaufen die Werkstätten in einer durch ihre je-
weiligen technischen Anforderungen festgelegten Reihenfolge. Da bei der Werkstattferti-
gung ein Wechsel der Produktart leicht möglich ist, findet sie vor allem bei der Einzel-
und Kleinserienfertigung Verwendung. Abb. 2.31 zeigt ein Beispiel für eine Werkstatt-
fertigung, bei der drei Produkte unterschiedliche Wege durch die Maschinenhalle neh-
men.

Drehen Hobeln
Produkt 1

Produkt 2
Produkt 3

Fräsen Schleifen Bohren

Maschinenhalle

Abb. 2.31 Werkstattfertigung

 Bei der Fließfertigung folgt die Anordnung der Anlagen dem Objektprinzip. Die für eine
Produktart benötigten Maschinen werden räumlich zusammengefasst und in der Reihen-
folge angeordnet, in der sie benötigt werden. Eine typische Ausprägung der Fließferti-
gung ist das Fließband. Durch diese Anordnung ist ein kontinuierlicher, reibungsloser
Materialfluss möglich. Weiter werden bei der Fließfertigung die Leistungsquerschnitte
der Maschinen aufeinander abgestimmt. Die Werkstücke werden durch ein automatisier-
tes Transportsystem in einem festen Takt an den Maschinen vorbeigeführt. Da ein Wech-
sel der Produktart jeweils eine Umorganisation des Fließbands erfordert, wird die Fließ-
fertigung vor allem in der Massen- und Großserienfertigung eingesetzt, bei der sich das
Produktionsprogramm nur selten ändert. In Abb. 2.32 ist ein Beispiel für die Fließferti-
gung von drei Produkten dargestellt.

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96 2 Die Güterwirtschaft

Drehen Drehen Fräsen Bohren Schleifen

Produkt 1
Drehen Fräsen Hobeln Produkt 2
Produkt 3

Drehen Fräsen Hobeln Bohren

Maschinenhalle

Abb. 2.32 Fließfertigung

Offensichtlich weisen sowohl die Werkstatt- als auch die Fließfertigung jeweils spezifische
Stärken und Schwächen auf (vgl. auch Abb. 2.33):

Werkstattfertigung Fließfertigung

Produktivität gering hoch

Flexibilität hoch gering

Störanfälligkeit gering hoch

Abb. 2.33 Vor- und Nachteile der Fertigungstypen

 Eine wichtige Kenngröße eines Fertigungssystems ist die als Ausbringungsmenge je


Zeiteinheit gemessene Produktivität. Diese ist bei der Werkstattfertigung gering, da die
Herstellung unterschiedlicher Produkte jeweils Umrüstungen der Maschinen erfordert
und das Durchlaufen der Arbeitsschritte in den verschiedenen Werkstätten aufgrund von
Transport- und Wartezeiten in der Regel zu langen Durchlaufzeiten führt. Bei der Fließ-
fertigung hingegen ist die Produktivität hoch, da die Abläufe stark spezialisiert und auf
eine bestimmte Produktart ausgerichtet sind.
 Ein weiteres Kriterium, das vor dem Hintergrund steigender Kundenanforderungen im-
mer wichtiger wird, ist die Flexibilität eines Fertigungssystems, d.h. seine Fähigkeit zur
Anpassung an wechselnde Anforderungen. Diese ist bei der Werkstattfertigung mit ihren
vielfältigen Maschinen, die ein breites Spektrum an Bearbeitungen abdecken können, we-
sentlich höher als bei der auf eine bestimmte Produktart ausgerichteten Fließfertigung.

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2.2 Produktion 97

 Betrachtet man schließlich die Störanfälligkeit, d.h. das Ausmaß, in dem die Arbeitsfä-
higkeit des Gesamtsystems durch lokale Probleme beeinträchtigt wird, so ist festzustel-
len, dass diese bei der Fließfertigung mit ihrem strikten Materialfluss wesentlich höher ist
als bei der Werkstattfertigung, bei der vielfach auf eine andere Maschine ausgewichen
werden kann.
Die Gruppenfertigung versucht, die Vorteile der Fließ- und der Werkstattfertigung – d.h.
hohe Produktivität und Flexibilität bei geringer Störanfälligkeit – zu kombinieren und die
Nachteile zu vermeiden. Sie fasst die für die Komplettbearbeitung einer Produktgruppe oder
eines Bauteils benötigten Maschinen objektorientiert zusammen, während die Anordnung der
Maschinengruppen verrichtungsorientiert erfolgt. Die Umsetzung der Gruppenfertigung
findet sich insbesondere in den verschiedenen Ausprägungen der flexiblen Fertigung, d.h. in
flexiblen Fertigungszellen, flexiblen Fertigungslinien und flexiblen Fertigungssystemen.
Ein flexibles Fertigungssystem ist ein integriertes System aus Hard- und Software, das im
Wesentlichen aus den folgenden drei interdependenten Komponenten besteht:
 Das Bearbeitungssystem umfasst zumindest eine, meist mehrere numerisch gesteuerte
Maschinen, die jeweils über einen großen Satz verschiedener Werkzeuge verfügen, die in
kurzer Zeit automatisch gewechselt werden können. Daher lassen sich innerhalb des Fer-
tigungssystems verschiedene Bearbeitungen an einem Werkstück vornehmen. In der Re-
gel überlappen sich die Bearbeitungsspektren der Maschinen teilweise, so dass diese sich
bei Ausfall oder bei Auftreten von Engpässen gegenseitig ersetzen können.
 Zum Materialflusssystem zählen sämtliche Einrichtungen, die als Fördermittel oder För-
derhilfsmittel zum Lagern, Speichern, Transportieren, Bereitstellen und Handhaben von
Werkstücken, Werkzeugen und Hilfsstoffen erforderlich sind, z.B. Lagereinrichtungen,
Fahrzeuge, Verkettungseinrichtungen, Paletten, Greifer. Der Materialfluss wird durch die
automatisierte, taktungebundene Verkettung der Fertigungseinrichtungen sichergestellt.
 Das Informationssystem hat die Aufgabe, sämtliche für den Fertigungsprozess relevanten
Daten zu speichern, zu verwalten und zu verarbeiten. Es besteht aus Hardwarekomponen-
ten wie Zentral- und Arbeitsplatzrechnern, Terminals, Leitungen und den benötigten Pro-
grammen als Software.
Ein wesentliches Kennzeichen flexibler Fertigungssysteme ist die elektronische Steuerung
bzw. NC-Programmierung, die sowohl in den einzelnen Systemkomponenten eingesetzt wird
als auch ihre Integration unterstützt. Die NC-Programmierung umfasst die Beschreibung
sämtlicher Operationen, die an einem Werkstück auf seinem Weg vom Rohteil zum Fertigteil
vorgenommen werden müssen. Dabei sind insbesondere die Bearbeitungsarten und ihre
Reihenfolgen, die benötigten Maschinen und Werkzeuge und die erforderlichen Positionier-
und Transportvorgänge zu programmieren. Die Entwicklung der NC-Programmierung er-
folgte über folgende Stufen:
 Bei der einfachsten Form der elektronischen Steuerung – der NC-Maschine – werden die
für die Bearbeitung des Werkstücks erforderlichen geometrischen und technischen Daten
als fest programmierte Anweisungen in Form von Lochstreifen oder auf Magnetband be-

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98 2 Die Güterwirtschaft

reitgehalten. Eine nachträgliche Änderung des Programms ist nicht möglich, so dass je-
weils eine Neuprogrammierung erfolgen muss.
 Auf der nächsten Entwicklungsstufe stehen CNC-Maschinen, die einen leistungsstarken
Arbeitsplatzrechner mit den relevanten Steuerungsprogrammen enthalten. So können
Werkstückwechsel oder Änderungen in der Arbeitsfolge durch entsprechende
Umprogrammierung berücksichtigt werden.
 Bei den DNC-Maschinen erfolgt die Steuerung und Kontrolle der einzelnen Maschine
durch Online-Übertragung der jeweils benötigten Daten von einem Zentralrechner, der
gleichzeitig die Arbeitsvorgänge an mehreren zusammengehörigen Maschinen koordi-
niert. Dadurch ist jederzeit ein Wechsel des Bearbeitungsprogramms möglich.
Parallel zur Entwicklung elektronisch gesteuerter Fertigungsanlagen erfolgt eine Automati-
sierung der Transportsysteme, um die Maschinen innerhalb eines Fertigungssystems effizient
zu verknüpfen. Von besonderer Bedeutung sind neben Fließbändern und Transferstraßen die
fahrerlosen Transportsysteme (FTS), bei denen ein weitgehend wahlfreier Materialfluss
durch autonome, ebenfalls durch einen Zentralrechner gesteuerte Transporteinheiten, die sich
auf Schienen oder Induktionsschleifen zwischen den Maschinen bewegen, gewährleistet
wird. Die Koordination von Bearbeitungs- und Transportsystem erfolgt mithilfe von dialog-
orientierten elektronischen Leitständen, die die Werkstücke in die Fertigung einsteuern, ihren
Auftragsfortschritt verfolgen und jederzeit einen Überblick über den Zustand des Fertigungs-
systems ermöglichen.

2.3 Absatz
Der Absatz als betriebliche Funktion umfasst sämtliche Aktivitäten, die auf die Verwertung
der betrieblichen Leistungen ausgerichtet sind. Zunächst werden in Abschnitt 2.3.1 Märkte
und Marktformen erläutert. Dann wird in Abschnitt 2.3.2 auf Preis-Absatz-Funktionen als
theoretische Grundlage des Absatzbereichs eingegangen, in Abschnitt 2.3.3 schließlich wer-
den die Instrumente des Marketing behandelt, die das Zustandekommen von Absatzvorgän-
gen unterstützen.

2.3.1 Marktformen
Die Verwertung der betrieblichen Leistung erfolgt auf Märkten. Unter einem Markt versteht
man den ökonomischen Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und Leistun-
gen ausgetauscht werden. Märkte können in vielfältigen Erscheinungsformen auftreten, z.B.
als Ladengeschäft, als Wochenmarkt, als Versandhandel, als Börse, als Auktion usw. In
letzter Zeit gewinnen im Rahmen des e-Business elektronische Märkte immer mehr an Be-
deutung. Dabei wird der Verkauf von Leistungen an andere Unternehmen als Business to
Business (B2B)-Geschäft bezeichnet, der Verkauf an Endkunden als Business to Consumer
(B2C)-Geschäft (vgl. Abschnitt 4.5.3).

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2.3 Absatz 99

Die Ökonomie versucht, das Zustandekommen von Transaktionen auf Märkten, d.h. den
Abschluss von Geschäften, bei denen eine bestimmte Menge eines Gutes zu einem bestimm-
ten Preis verkauft wird, zu erklären. Dabei wird von der Vielfalt der realen Marktformen
zunächst abstrahiert. Das Idealbild ist der vollkommene Markt, bei dem folgende Bedingun-
gen erfüllt sind:
 Es herrscht vollständige Markttransparenz, d.h. alle Marktteilnehmer verfügen jederzeit
über alle relevanten Informationen.
 Die auf dem Markt gehandelten Güter sind homogen, d.h. aus Sicht der Marktteilnehmer
gleichartig, so dass außer dem Preis keine anderen Einflussfaktoren ihre Präferenzen be-
einflussen.
 Sämtliche Marktteilnehmer verhalten sich rational, d.h. nach dem ökonomischen Prinzip
(vgl. Abschnitt 1.1.3) kaufen sie das Gut stets zu dem niedrigsten Preis bzw. verkaufen es
zu dem höchsten Preis, den sie erzielen können.
 Bei der Abwicklung der Geschäfte fallen keine Transaktionskosten, d.h. Kosten der Ge-
schäftsanbahnung, Geschäftsabwicklung und der Überwachung, an (vgl. Abschnitt 1.3.3).
 Es gibt keine Marktein- und -austrittsbarrieren und keine regulierenden Eingriffe von
außen, die auf das Marktgeschehen einwirken.
 Die Reaktionen der Marktteilnehmer erfolgen unendlich schnell, da eine neue Informati-
on allen gleichzeitig zugänglich ist.
Auf einem vollkommenen Markt gilt zu jedem Zeitpunkt ein einheitlicher Preis, zu dem das
Gut gehandelt wird. Dieser Preis sorgt dafür, dass der Markt geräumt wird, d.h. dass zum
Marktpreis weder Nachfrage unbefriedigt noch Angebot unverkauft bleibt. Der vollkommene
Markt weist daher eine hohe Effizienz bezüglich der Abwicklung der Geschäfte und der
Güterversorgung auf.
Da jedoch die genannten Bedingungen allenfalls näherungsweise erfüllt sind, liegen in der
Realität lediglich unvollkommene Märkte vor. Dem Ideal des vollkommenen Marktes kom-
men elektronische Börsen am nächsten, auf denen homogene Güter von rationalen Markt-
teilnehmern mit vollständigem Marktüberblick und sehr kurzen Reaktionszeiten gehandelt
werden, jedoch unterliegen sie einer strengen Regulierung bezüglich des Marktzutritts und
der Abwicklung der Geschäfte. Die real zu beobachtenden Märkte lassen sich nach der Zahl
der Anbieter wie folgt klassifizieren:
 Im Monopol gibt es nur einen Anbieter, der seinen Preis als Aktionsparameter so setzen
kann, dass sein Gewinn maximiert wird. Da es keine Konkurrenten gibt, muss der Mono-
polist bei seinem Marktverhalten keine Konkurrenzreaktionen berücksichtigen. In der
Vergangenheit bestanden Monopole im Bereich der Gas-, Wasser- und Energieversor-
gung sowie der Post und Telekommunikation, die jedoch mehr und mehr durch markt-
wirtschaftliche Strukturen ersetzt werden.

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100 2 Die Güterwirtschaft

 Bei einem Oligopol treten wenige Anbieter auf dem Markt auf. Jeder Anbieter muss mit
Reaktionen der Konkurrenten auf seine preispolitischen Maßnahmen rechnen und diese
in sein Kalkül einbeziehen. Da die Kunden von einem Anbieter zum anderen wechseln
können, ist neben den Konkurrenzreaktionen auch das Kundenverhalten zu berücksichti-
gen. Ein Beispiel für ein Angebotsoligopol ist der Markt der Tankstellen in einer Stadt.
Durch die zunehmende Tendenz zum Zusammenschluss von Unternehmen setzen sich in
vielen Märkten sowohl regional als auch global oligopolistische Strukturen durch, z.B. in
der Fahrzeugindustrie, im Lebensmittelhandel, bei Warenhäusern usw.
 Im Polypol verteilt sich die Nachfrage auf so viele Anbieter, dass der Einzelne durch sein
Verhalten keine Konkurrenzreaktionen auslöst. Allerdings zieht er bei einer Preissenkung
die gesamte Marktnachfrage auf sich, ohne sie befriedigen zu können; bei einer Preiser-
höhung verliert er seine gesamte Nachfrage. Daher stellt sich auf einem polypolistischen
Markt ein einheitlicher Marktpreis ein, an den sich die Anbieter mit der von ihnen ange-
botenen Menge so anpassen, dass sie ihren Gewinn maximieren. Polypolistische Struktu-
ren sind am ehesten im Einzelhandel anzutreffen.

2.3.2 Preis-Absatz-Funktionen
Eine Preis-Absatz-Funktion beschreibt, wie die abgesetzte Menge und der verlangte Preis
zusammenhängen. Typischerweise geht die Nachfrage nach einem Produkt zurück, wenn
sein Preis erhöht wird. Daher verlaufen Preis-Absatz-Funktionen fallend. Die Gestalt einer
Preis-Absatz-Funktion wird durch die Art des gehandelten Produkts und durch die Markt-
form beeinflusst. Der einfachste Fall einer Preis-Absatz-Funktion für einen Monopolisten,
der lineare Verlauf, ist in Abb. 2.34 dargestellt.
p  a b x

p
Elastischer
p
Bereich

Unelastischer
Bereich

x
x

Abb. 2.34 Preis-Absatz-Funktion

Die Schnittpunkte dieser Funktion mit den Achsen lassen sich wie folgt interpretieren: Der
Ausschlusspreis p  a ist der Preis, bei dem kein potenzieller Nachfrager mehr bereit ist,

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2.3 Absatz 101

das Produkt zu kaufen. Die Sättigungsmenge x  a / b gibt die Absatzmenge an, die selbst
bei einem Preis von Null nicht überschritten werden kann.
Die Abhängigkeit zwischen Preis und nachgefragter Menge lässt sich mithilfe der Preiselas-
tizität genauer beschreiben. Diese gibt an, wie die Nachfragemenge auf eine Preisänderung
reagiert und ist definiert als relative Veränderung der Absatzmenge in Bezug auf eine relati-
ve Preisänderung.
d x
d x p
  x  
d p d p x
p

Die Kenntnis der Preiselastizität ist von großer Bedeutung für die Preispolitik eines Anbie-
ters. Ist die Preiselastizität kleiner als 1, so spricht man von unelastischer Nachfrage, die
Nachfrage reagiert unterproportional auf eine Preisänderung. Dieser Fall ist typisch für Güter
des täglichen Bedarfs wie Heizenergie oder Grundnahrungsmittel, auf deren Kauf die Nach-
frager auch bei einer Preiserhöhung nur in geringem Umfang verzichten können. Im Grenz-
fall einer starren Nachfrage beträgt die Preiselastizität Null. Bei Preiselastizitäten größer als
1 liegt eine elastische Nachfrage vor, d.h. bei einer Preiserhöhung geht die Nachfrage über-
proportional zurück. Dieses Verhalten ist z.B. bei Freizeitgütern zu beobachten, deren Kauf
bei einer Preiserhöhung häufig stark eingeschränkt oder zurückgestellt wird. Je höher die
Preiselastizität ist, desto stärker fällt die Reaktion der Nachfrage auf eine Preisänderung aus.
Im Grenzfall einer Preiselastizität von unendlich spricht man von vollkommen elastischer
Nachfrage.
Bei der linearen Preis-Absatz-Funktion in Abb. 2.34 hängt die Preiselastizität der Nachfrage
vom derzeitigen Preis ab: Bei geringen Preisen liegt unelastische Nachfrage vor, bei hohen
Preisen hingegen elastische Nachfrage. Die Grenze zwischen dem elastischen und dem une-
lastischen Bereich liegt bei der Hälfte des Ausschlusspreises, d.h. bei p / 2 .

Will der Monopolist seinen Gewinn maximieren, so muss er den Preis wählen, bei dem die
Differenz aus Erlösen und Kosten am größten ist. Die notwendige Bedingung für ein Ge-
winnmaximum lautet daher:
G ( x)  E ( x)  K ( x)  max!

G ' ( x)  E ' ( x)  K ' ( x)  0

 E ' ( x)  K ' ( x)

d.h.: Grenzerlös = Grenzkosten


Der Grenzerlös entspricht dem zusätzlichen Erlös beim Verkauf einer weiteren Einheit des
Produkts, während die Grenzkosten angeben, mit welchen zusätzlichen Kosten diese Einheit
hergestellt werden kann. Die gewinnmaximale Angebotsmenge wird somit nicht allein durch

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102 2 Die Güterwirtschaft

absatzpolitische Erwägungen, sondern auch durch die vorhandene Produktionstechnologie


beeinflusst.
Die Erlösfunktion zu der oben angegebenen linearen Preis-Absatz-Funktion lautet:

E ( x)  p ( x)  x  a  x  b  x 2

Geht man von einer ebenfalls linearen Kostenfunktion aus, wie sie z.B. bei der zeitlichen
Anpassung vorliegt (vgl. Abschnitt 2.2.1),
K ( x)  K F  k v  x

so lässt sich die als Cournot-Punkt bezeichnete Kombination aus gewinnmaximalem Preis
und zugehöriger Angebotsmenge wie folgt ermitteln:

G ( x)  a  x  b  x 2  ( K F  k v  x)

!
G ' ( x)  a  2b  x  k v  0

a  kv a  kv
x0  p0  a  b  x0 
2b 2
Dieser Zusammenhang wird in Abb. 2.35 grafisch veranschaulicht.

E,K,p

a Cournot-
Punkt K(x)

p0 •
E(x)
KF
x
x0

Abb. 2.35 Gewinnmaximierung im Monopol

Zu der linearen Preis-Absatz-Funktion gehört die umgekehrt parabelförmige Erlösfunktion


E ( x ) , deren Steigung dem Grenzerlös entspricht. Die Steigung der linearen Kostenfunktion
K ( x) entspricht den Grenzkosten. Verschiebt man nun die Kostenfunktion parallel, bis sie
die Erlösfunktion tangiert, so ist die Bedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“ grafisch erfüllt.

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2.3 Absatz 103

Die gewinnmaximale Angebotsmenge x 0 lässt sich unterhalb dieses Tangentialpunkts able-


sen, der zugehörige Preis p 0 ergibt sich über die Preis-Absatz-Funktion.
Wie man sieht, stimmt das Gewinnmaximum nicht mit dem Erlösmaximum überein, sondern
wird bereits bei einer geringeren Absatzmenge erreicht. Durch Ausweitung der angebotenen
Menge könnte der Monopolist zwar seinen Erlös noch steigern, da die Grenzkosten der zu-
sätzlich hergestellten Einheiten jedoch über dem Grenzerlös liegen, würde sein Gewinn zu-
rückgehen.
Auch für das Polypol gibt die Bedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“ die Preis-Mengen-
Kombination an, die zum maximalen Gewinn führt. Da jedoch aufgrund des einheitlichen
Marktpreises der Preis kein Aktionsparameter ist, kann sich der einzelne Anbieter lediglich
mit der von ihm auf den Markt gebrachten Menge anpassen. Der Grenzerlös einer zusätzlich
verkauften Einheit entspricht dem Marktpreis p . Liegen bei einer linearen Kostenfunktion
die konstanten Grenzkosten oberhalb dieses Preises, so wird das Unternehmen die Menge
Null anbieten. Sind die Grenzkosten geringer als der Marktpreis, so wird das Unternehmen
bis zu seiner Kapazitätsgrenze produzieren und diese Menge am Markt anbieten. Bei einer
konvexen Kostenfunktion, wie sie z.B. bei der Kombination von zeitlicher und intensitäts-
mäßiger Anpassung (vgl. Abschnitt 2.2.1) vorliegt, steigen die Grenzkosten, wie in Abb.
2.36 dargestellt, mit zunehmender Produktionsmenge an. In diesem Fall ist die gewinnma-
ximale Angebotsmenge x 0 durch den Schnittpunkt von Marktpreis p und Grenzkosten
K ' ( x) definiert.

K‘,p

K‘(x)

p •

x
x0

Abb. 2.36 Gewinnmaximierung im Polypol

In der Realität sind weder lineare Preis-Absatz-Funktionen noch monopolistische oder


polypolistische Angebotsstrukturen vorherrschend. Daher wird im Folgenden die von Erich
Gutenberg entwickelte doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion für das Oligopol betrachtet,
die den tatsächlichen Marktgegebenheiten wesentlich besser entspricht. In einem oligopolis-
tischen Markt treten wenige Anbieter auf, die nicht nur die Wirkung ihrer Preispolitik auf die

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104 2 Die Güterwirtschaft

Nachfrager, sondern auch die Reaktionen ihrer Konkurrenten berücksichtigen müssen. In


vielen Märkten lässt sich beobachten, dass derartige Reaktionen nicht immer in gleichem
Ausmaß auftreten, sondern nur dann, wenn bestimmte Preisschwellen überschritten werden.
Für jeden Anbieter existiert ein monopolistischer Bereich, in dem nur schwache Reaktionen
auf Preisänderungen erfolgen. Die in Abb. 2.37 dargestellte Preis-Absatz-Funktion weist drei
Bereiche mit unterschiedlichen Preiselastizitäten auf:

po

Monopolistischer
Bereich

pu

Abb. 2.37 Gutenberg-Oligopol

 Zwischen den beiden Knickpunkten po und pu reagiert die Nachfrage relativ unelas-
tisch auf Preisänderungen. Solange der Preis in diesem Bereich bleibt, kann sich das Un-
ternehmen wie ein Monopolist verhalten und seinen Cournot-Punkt als Preis-Mengen-
Kombination wählen. Dies liegt daran, dass weder die Stammkunden des Unternehmens
selbst noch die anderer Unternehmen bei Preisänderungen innerhalb dieses Bereiches ei-
nen Anlass sehen, den Anbieter zu wechseln. Die schwache Neigung der Preis-Absatz-
Funktion im monopolistischen Bereich ist darauf zurückzuführen, dass bei Preiserhöhun-
gen lediglich Laufkundschaft verloren geht, die Nachfrage der Stammkunden jedoch
kaum zurückgeht.
 Wird der Preis oberhalb von po angesetzt, so ist damit zu rechnen, dass auch Stamm-
kunden zur Konkurrenz abwandern, da ihnen das Produkt zu teuer geworden ist. Eine
Preiserhöhung in diesem Bereich führt aufgrund der hohen Preiselastizität zu einem er-
heblichen Rückgang der Absatzmenge.
 Unterschreitet der Preis den Wert pu , so kann das Unternehmen Stammkunden von der
Konkurrenz abziehen. In diesem Bereich besteht ebenfalls eine höhere Preiselastizität als
im monopolistischen Bereich, so dass eine geringfügige Preissenkung einen erheblichen
Nachfrageanstieg bewirkt. Das Unternehmen muss jedoch mit Preissenkungen seiner
Konkurrenten rechnen, durch die diese ihre Stammkunden zurückgewinnen wollen.

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2.3 Absatz 105

Je breiter der monopolistische Bereich ist, desto größere Preisspielräume stehen dem Unter-
nehmen zur Verfügung. Daher versuchen die Unternehmen, durch den gezielten Einsatz der
in Abschnitt 2.3.3 behandelten Marketinginstrumente die Präferenzen ihrer Zielgruppe posi-
tiv zu beeinflussen, so dass sie ihren monopolistischen Bereich und damit ihren preispoliti-
schen Spielraum ausweiten können.

2.3.3 Marketinginstrumente
Als Marketing bezeichnet man die marktorientierte Führung des Unternehmens und die da-
raus resultierende konsequente Ausrichtung seiner Aktivitäten auf den Markt und auf die
Bedürfnisse der Kunden. Die Entwicklung des Marketing wurde in den 1970er Jahren durch
den Wandel zahlreicher Märkte von Verkäufermärkten, auf denen sich fast beliebige Pro-
duktmengen absetzen ließen, zu Käufermärkten ausgelöst. Gleichzeitig stiegen die Kunden-
ansprüche nicht nur in Bezug auf die Qualität der Produkte, sondern auch im Hinblick auf
die Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse. Durch beschleunigten technischen Fort-
schritt und verschärften Wettbewerb verkürzen sich die Produktlebenszyklen, so dass ständig
neue Produkte auf den Markt gebracht werden müssen.

Produkt Preis

• Qualität • Höhe
• Design
• Preis-
• Image strate-
gie
Inter-
depen-
denzen
• Werbe-
budget • Vertriebs-
system
• Botschaft • Absatzweg
• Medien • Außendienst

Kommunikation Distribution

Abb. 2.38 Marketing-Mix

Mit zunehmender Sättigung der Märkte und steigenden Kundenansprüchen wird es immer
wichtiger, die eigenen Produkte von denen der Konkurrenz abzuheben und die Präferenzen
der Kunden gezielt zu beeinflussen. Hierzu stehen einem Unternehmen verschiedene Marke-
tinginstrumente zur Verfügung, die in den unterschiedlichen Bereichen ansetzen, in denen
das Unternehmen mit seinen Kunden in Beziehung steht. Dies sind die Produkte selbst, die

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106 2 Die Güterwirtschaft

Produktpreise, die Distribution der Produkte und die Kommunikation mit den Kunden. Die
wichtigsten Marketinginstrumente innerhalb der einzelnen Bereiche sind in Abb. 2.38 darge-
stellt. Ihr Einsatz darf nicht isoliert erfolgen, sondern muss im Rahmen einer integrierten
Marketing-Mix-Strategie aufeinander abgestimmt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
der Einsatz der Marketinginstrumente sich in der Regel nicht direkt, sondern über intervenie-
rende Konstrukte wie die Kundenbindung und die Kundenzufriedenheit auf den ökonomi-
schen Erfolg eines Produkts auswirkt. In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzel-
nen Bereiche des Marketing-Mix in Grundzügen dargestellt.

2.3.3.1 Produktpolitik
Im Mittelpunkt der Produktpolitik stehen die Produkte, die das Unternehmen am Markt an-
bietet. Im Rahmen der Produktpolitik werden Entscheidungen hinsichtlich der Entwicklung
neuer Produkte, ihrer Gestaltung in Bezug auf Form, Farbe, Verpackung, Qualität, Design
usw., der Produktvariation und schließlich der Elimination von Produkten aus dem Sortiment
getroffen. Ein wichtiges Hilfsmittel der Produktpolitik ist die Marktforschung. Sie hat die
Aufgabe, die Präferenzen der Kunden aufzudecken und dadurch einerseits Anhaltspunkte für
lohnende Produktfelder zu liefern, andererseits Hilfestellungen bei der Produktgestaltung zu
geben.
Um sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, bieten die Unternehmen nicht nur ihr Kern-
produkt an, sondern erweitern es durch eine Reihe von produktbegleitenden Dienstleistungen
zu einem Leistungsbündel, durch das die Bedürfnisse der Kunden möglichst umfassend er-
füllt werden. So besteht das Leistungsbündel von Automobilherstellern neben den Fahrzeu-
gen als dem Produktkern auch aus begleitenden Dienstleistungen wie Qualitäts- und Mobili-
tätsgarantien, Wartung, Reparaturen, Finanzierung, Zulassung und der Inzahlungnahme des
Altfahrzeugs durch die Verkaufsniederlassung. Noch weiter gehen Servicekonzepte, die
darauf abstellen, dass der Kunde im Grunde kein Fahrzeug kaufen, sondern sein Bedürfnis
nach Mobilität befriedigen will. Solche Mobilitätsangebote ermöglichen es einem Kunden,
z.B. bei Dienstreisen am Bedarfsort ein Fahrzeug zu erhalten, im Sommer ein anderes Fahr-
zeug zu fahren als im Winter oder für den Familienurlaub auf ein geräumigeres Fahrzeug
umzusteigen.
Häufig ist das Image eines Produkts, d.h. die Vorstellungen und Assoziationen, die die po-
tenziellen Kunden mit dem Produkt verknüpfen, von ebenso großer Bedeutung für den
Markterfolg wie das Produkt selbst. Zu einem positiven Produktimage tragen einerseits das
Design und der Markenname, andererseits die Positionierung des Produkts im Wahrneh-
mungsraum der Kunden bei, die durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen unterstützt
werden muss.

2.3.3.2 Preis- und Konditionspolitik


Die Aufgabe der Preispolitik besteht darin, die Verkaufspreise der Produkte so festzulegen,
dass sie von den Kunden akzeptiert werden und gleichzeitig über angemessene Gewinnspan-
nen den ökonomischen Erfolg des Unternehmens sichern. Da die in der Realität anzutreffen-

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2.3 Absatz 107

den Märkte wesentlich komplexer sind als die in den Abschnitten 2.3.1 und 2.3.2 idealty-
pisch behandelten Marktformen, geht die Aufgabenstellung der Preispolitik weit über die
schematische Festlegung z.B. eines Cournot-Punkts hinaus. So finden bei der Festlegung des
Angebotspreises nicht nur die eigene Kostenstruktur und die Preisbereitschaft des relevanten
Markts Berücksichtigung, sondern auch Sortiments- und Konkurrenzaspekte.
Im Rahmen der Preisstrukturpolitik werden die Preislagen für die verschiedenen Produkte im
Sortiment eines Unternehmens aufeinander abgestimmt und als Bandbreite für die laufenden
Preisentscheidungen vorgegeben. Durch Sonderangebote, d.h. zeitlich begrenzte Preisredu-
zierungen, die teilweise sogar mit negativen Deckungsbeiträgen verbunden sind, lässt sich
der Absatz eines Produkts nicht nur kurzfristig erhöhen, sondern über die Gewinnung neuer
Kunden häufig auch langfristig steigern. Weiter wird versucht, durch Preisempfehlungen für
den nachfolgenden Handel (vertikale Preisbindung) über das Preisniveau positiv auf das
Image eines Produkts einzuwirken.
Von großer Bedeutung im Rahmen der Preispolitik ist die Preisdifferenzierung. Hierbei wird
versucht, die bei verschiedenen Kundensegmenten bestehenden Unterschiede in der Preisbe-
reitschaft für ein Produkt auszunutzen, indem der Gesamtmarkt in entsprechende Teilmärkte
aufgespaltet wird, auf denen für gleiche oder nur geringfügig differierende Produkte ver-
schiedene Preise verlangt werden. Die Preisdifferenzierung kann nach folgenden Kriterien
vorgenommen werden:
 Räumliche Preisdifferenzierung: Das Produkt wird auf geografisch getrennten Märkten
zu verschiedenen Preisen verkauft. Zum Beispiel werden Kraftfahrzeuge in den Ländern
der EU zu unterschiedlichen Grundpreisen angeboten, um die bestehenden Unterschiede
in der Besteuerung des Endkunden auszugleichen.
 Zeitliche Preisdifferenzierung: Das Produkt wird zu unterschiedlichen Zeiten zu ver-
schiedenen Preisen angeboten. Beispiele sind nach Tageszeiten gestaffelte Telefontarife,
die Preisunterschiede zwischen Tag- und Nachtstrom oder Saisonstaffelungen bei Ur-
laubsreisen.
 Sachliche Preisdifferenzierung: Die Preise differieren in Abhängigkeit vom Verwen-
dungszweck, z.B. ist Heizöl billiger als Dieselkraftstoff und Streu- oder Viehsalz billiger
als Speisesalz.
 Abnehmerorientierte Preisdifferenzierung: Die unterschiedliche Preisbereitschaft in ver-
schiedenen Kundensegmenten wird ausgenutzt, z.B. durch das Angebot von hochpreisi-
gen Premiummarken. Auch die höheren Preise von First- und Business-Class-Flügen ge-
genüber der Economy Class sind auf Kurz- und Mittelstrecken nicht allein durch Quali-
tätsunterschiede zu erklären.
Ergänzt wird die Preispolitik durch die sonstigen Konditionen, mit deren Hilfe das Unter-
nehmen versucht, sein Angebot für den Markt attraktiv zu machen. Hier lassen sich z.B.
Zugaben, Werbegeschenke, Kundenclubs, großzügige Umtausch- und Rückgaberechte, Ga-
rantieversprechen über die gesetzliche Gewährleistung hinaus, Lieferbedingungen oder auch
Lieferantenkredite (vgl. Abschnitt 3.3.2) und Teilzahlungsgeschäfte nennen. Eine große

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108 2 Die Güterwirtschaft

Rolle im Bereich der Konditionen spielt die Rabattpolitik. Ein Rabatt ist ein prozentualer
Nachlass auf den Listenpreis, der dem Kunden in Abhängigkeit von bestimmten Tatbestän-
den gewährt wird.
 Ein Mengenrabatt kommt zur Anwendung, wenn der Kunde eine bestimmte Abnahme-
menge überschreitet.
 Durch einen Treuerabatt werden langfristige Geschäftsbeziehungen belohnt.
 Der Gesamtumsatzrabatt ist ein nachträglicher Bonus, der bei Überschreiten eines be-
stimmten Geschäftsvolumens gewährt wird.
 Ein Listungsrabatt wird dem Handel dafür eingeräumt, dass er die Produkte des Unter-
nehmens in sein Sortiment aufnimmt.
 Der Sortimentsrabatt kommt zum Einsatz, falls ein Händler das gesamte Sortiment eines
Unternehmens führt.
 In Abhängigkeit von der Handelsstufe können Funktionsrabatte eingeräumt werden.
 Ein Zeitrabatt findet Anwendung, wenn eine Bestellung besonders frühzeitig aufgegeben
wird.
 Schließlich können Sonderrabatte zum Tragen kommen, z.B. ein Einführungsrabatt, ein
Jubiläumsrabatt usw.
 Einen Preisnachlass bei frühzeitiger Zahlung bezeichnet man als Skonto, er wird zu den
Finanzierungsinstrumenten gezählt (vgl. Abschnitt 3.3.1).
Der Vorteil von Rabatten besteht darin, dass sie eine sehr feine, auf die Kunden abgestimmte
Differenzierung der Preise erlauben. Eine stark differenzierte Rabattpolitik kann aber dazu
führen, dass die Preisgestaltung des Unternehmens nicht nur für die Kunden, sondern auch
für die Außendienstmitarbeiter intransparent wird.

2.3.3.3 Distributionspolitik
Die Distribution hat die Aufgabe, die räumliche Distanz zwischen dem Unternehmen und
seinen Abnehmern zu überbrücken und dabei eine sichere Belieferung der Abnehmer zu
geringen Kosten sicherzustellen. Der physische Aspekt des Transports der Produkte wird im
Zusammenhang mit der Distributionslogistik (vgl. Abschnitt 2.5) behandelt. Im Rahmen der
hier im Vordergrund stehenden Distributionspolitik spielen vor allem Entscheidungen über
die Ausgestaltung des Vertriebssystems eine Rolle. Weiter sind Entscheidungen über die
Anzahl und die Struktur der Absatzmittler, d.h. der in den Vertrieb eingeschalteten Handels-
unternehmen, und der Absatzhelfer, d.h. von Hilfsbetrieben wie Speditionen und Lagerhäu-
sern, sowie über den Außendienst und den Kundendienst zu treffen.
Das Vertriebssystem kann als direkter oder indirekter Vertrieb organisiert sein. Beim direk-
ten Vertrieb setzt das Unternehmen seine Produkte selbst, d.h. ohne Einschaltung des Han-

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2.3 Absatz 109

dels, an seine Kunden ab. Indirekter Vertrieb liegt vor, wenn die Distribution über den Han-
del erfolgt. Beim einstufigen Vertrieb wird lediglich der Einzelhandel eingeschaltet, beim
mehrstufigen Vertrieb treten zwischen das Unternehmen und den Einzelhandel zusätzlich
eine oder mehrere Großhandelsstufen. Nach der Intensität der Distribution lassen sich unter-
scheiden:
 Bei intensiver Distribution wird ein flächendeckender Absatz des Produkts angestrebt,
indem eine große Zahl von Verkaufspunkten eingerichtet oder beauftragt wird. Diese
Form des Vertriebs wird z.B. für Güter des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel oder
Presseerzeugnisse, eingesetzt.
 Die selektive Distribution beschränkt sich bewusst auf eine bestimmte, nach produktbe-
zogenen Kriterien ausgewählte Zahl von Verkaufspunkten. So werden z.B. hochwertige
Porzellanwaren nicht in jedem Haushaltswarengeschäft, sondern nur in speziell einge-
richteten Fachgeschäften verkauft.
 Bei exklusiver Distribution ist das Produkt nur in wenigen Verkaufspunkten erhältlich.
Ein Beispiel ist Designermode, die in ausgesuchten Städten nur in eigenen Läden vertrie-
ben wird.
Im Bereich des Außendienstes besteht die Wahl zwischen dem Einsatz von Reisenden und
Handelsvertretern. Ein Reisender ist ein Angestellter des Unternehmens, der weisungsge-
bunden Besuche bei vorgegebenen Kunden vornimmt und dafür ein festes Grundgehalt zu-
züglich einer Umsatzprovision bezieht. Ein Handelsvertreter hingegen ist ein selbstständiger
Gewerbetreibender, der im Namen des Auftraggebers in einem bestimmten Gebiet auf Provi-
sionsbasis die Produkte des Unternehmens vorstellt und verkauft. Typischerweise ist der
Einsatz von Reisenden erst ab einem bestimmten Geschäftsvolumen lohnend, so dass ten-
denziell bei kleinen Unternehmen und neuen Produkten vor allem Handelsvertreter beauf-
tragt werden. Weitere Entscheidungen hinsichtlich des Außendienstes beziehen sich auf
seine Größe, die Besuchszeiten- und Tourenplanung, die Aufteilung der Außendienstaktivitä-
ten auf die verschiedenen Produkte und die Motivation der Außendienstmitarbeiter durch
Wettbewerbe oder spezielle Provisionsgestaltungen.
Schließlich gehört bei Investitionsgütern sowie bei langlebigen Verbrauchsgütern zur Distri-
bution auch der Kundendienst, der durch Zusatzleistungen über das eigentliche Produkt hin-
aus den Absatz der Produkte fördern soll. Zu den Aufgaben des Kundendienstes zählen die
Annahme von Bestellungen oder auch von Reklamationen, produktbezogene technische
Leistungen wie die Installation, Inspektion, Wartung, Reparatur usw. sowie die Beratung der
Kunden bei der Produktauswahl und die Schulung des Kundenpersonals im Hinblick auf die
Bedienung von neuen Anlagen.

2.3.3.4 Kommunikationspolitik
Die Kommunikationspolitik umfasst alle absatzpolitischen Maßnahmen, mit denen ein Un-
ternehmen die potenziellen Kunden über seine Produkte informieren will. Die Aufgabe der
Kommunikationspolitik besteht in der aktiven Gestaltung der auf die Märkte gerichteten

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110 2 Die Güterwirtschaft

Informationen. Dabei werden als Instrumente die Werbung, die Verkaufsförderung und die
Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt.
Bei der Werbung tritt das Unternehmen über verschiedene Medien mit den Kunden in Kon-
takt, um in einer Werbebotschaft verschlüsselte Informationen zu übermitteln und dadurch
über die Präferenzen in der Zielgruppe letztlich den Absatz seiner Produkte zu erhöhen.
Während Produktwerbung direkt auf ein bestimmtes Produkt bezogen ist, z.B. eine Automo-
bil- oder Zigarettenmarke, wird bei der Firmenwerbung das Unternehmen selbst mit der
Gesamtheit seiner Produkte in den Mittelpunkt gestellt, z.B. bei der Werbung für Versiche-
rungen oder für Chemieunternehmen. Weiter unterscheidet man informierende Werbung, bei
der den Kunden interessierende Fakten, z.B. technische Daten von Fahrzeugen, übermittelt
werden, und suggestive Werbung, die darauf abzielt, bestimmte Assoziationen mit dem Pro-
dukt zu verbinden, z.B. Freiheit und Abenteuer in der Zigarettenwerbung. Einzelaufgaben im
Bereich der Werbung sind die Auswahl der Werbebotschaft, ihre Ausgestaltung und Reali-
sierung auf den Werbemitteln, die Auswahl der Werbemedien bzw. Werbeträger (Mediase-
lektion) und die Verteilung des Werbebudgets auf die Werbemedien.
Die Verkaufsförderung ergänzt die langfristig angelegten Werbekampagnen durch kurzfristig
eingesetzte Maßnahmen, die zusätzliche oder außergewöhnliche Kaufanreize für die Ziel-
gruppe bieten. Dazu zählen z.B. Warenproben, Zugaben, Gutscheine, Preisausschreiben,
Sonderangebote und Treueaktionen. Aufgrund der zeitlichen Befristung der Aktionen besteht
für die Kunden ein Anreiz, das Produkt vorzeitig oder zusätzlich zu kaufen, so dass sich
zumindest kurzfristig der Absatz erhöht.
Ein weiteres Kommunikationsinstrument ist die Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations).
Während Werbung und Verkaufsförderung direkt auf den Absatz der Produkte ausgerichtet
sind, ist es das Ziel der Öffentlichkeitsarbeit, durch die besondere Pflege der Beziehungen zu
den wichtigsten gesellschaftlichen Einflussgruppen eine positive Haltung der Öffentlichkeit
gegenüber dem Unternehmen herzustellen, die sich auf indirekte Weise positiv auf den Ab-
satz auswirken soll. Dazu werden Presseinformationen, besondere PR-Veranstaltungen,
Unternehmensinformationen in Form von Broschüren, Filmen, Anzeigen usw., aber auch
Betriebsbesichtigungen und öffentliche Vorträge durch Mitarbeiter des Unternehmens einge-
setzt.

2.4 Entsorgung
Die ordnungsgemäße Entsorgung der bei der betrieblichen Tätigkeit anfallenden Rückstände
ist eine Aufgabe, die am Ende der betrieblichen Wertschöpfungskette angesiedelt ist. Ihre
Bedeutung für die Unternehmen nimmt in dem Maße zu, wie die Rechtsnormen im Bereich
des Umweltschutzes und der Abfallwirtschaft dichter und strenger werden, der Deponieraum
knapper wird und die Entsorgungskosten ansteigen. In Abschnitt 2.4.1 wird zunächst ein
Überblick über die im Rahmen der Entsorgung zu berücksichtigenden Rückstandsarten und
die zugehörigen Entsorgungswege gegeben. Abschnitt 2.4.2 befasst sich mit dem Recycling

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2.4 Entsorgung 111

als einer Entsorgungsstrategie, die den Übergang von einer Durchfluss- zu einer Kreislauf-
wirtschaft unterstützt.

2.4.1 Rückstandsarten
Rückstände entstehen als unerwünschte Kuppelprodukte der vom Unternehmen hergestellten
Zielprodukte aufgrund einer unvollständigen Umsetzung der Ausgangsstoffe. Sie treten auf
sämtlichen Stufen der Wertschöpfungskette auf: Bereits die Rohstoffgewinnung verursacht
Rückstände, z.B. in Form von Abraum, wie er beim Bergbau anfällt. Auf jeder Produktions-
stufe fallen produktbedingte und produktionsbedingte Rückstände und Abfälle an, deren Art
und Menge unter anderem von den eingesetzten Rohstoffen, der Organisation der Produkti-
onsabläufe, der Prozessführung oder auch der Qualifikation des Personals abhängen. Beim
Absatz entstehen Abfälle in Form von Produktverpackungen, Einwegpaletten, Abdeckpla-
nen, Transportkisten oder Säcken in erster Linie durch logistische Prozesse wie den Trans-
port, den Umschlag und die Lagerung von Produkten. Auch die Zielprodukte werden nach
ihrem Gebrauch zu Abfall, der in den Haushalten anfällt. Schließlich verursacht auch die
Entsorgung selbst Abfälle in Form von Transportbehältern und nicht weiter umsetzbaren
Rückständen aus Verwertungsprozessen.
Nach ihrer Form lassen sich Rückstände wie folgt einteilen:
 Unter Abluft versteht man durch Gase, Dämpfe, Stäube usw. verunreinigte Luft. Nach
den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes muss Abluft am Ort ihrer Entste-
hung so gereinigt werden, dass sie bei Eintritt in die Atmosphäre die vorgegebenen
Grenzwerte einhält.
 Abwasser ist physikalisch, chemisch oder biologisch verunreinigtes Wasser. Das Abwas-
serabgabengesetz gibt für die einzelnen Schadstoffe vor, in welcher Konzentration sie in
die Oberflächengewässer eingeleitet werden dürfen.
 Feste Abfälle fallen als Späne, Granulate, Verschnittreste, Ausschuss usw. in Produkti-
onsprozessen oder als Verpackungsabfall an. Nach dem Ort des Abfallanfalls ergibt sich
eine Einteilung in Haushaltsabfälle, Sperrabfall, haushaltsähnlichen Gewerbeabfall, pro-
duktionsspezifische Abfälle und Sonderabfall.
§ 3 Abs. 1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW/AbfG) definiert Abfall als „... alle
beweglichen Sachen, [...] deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen
muss.“ Das Gesetz unterscheidet zwischen einem subjektiven Abfallbegriff, der auf den
Entledigungswillen des Abfallbesitzers abstellt, und einem objektiven Abfallbegriff, der auch
Gegenstände umfasst, die z.B. eine Gefährdung für die Umwelt darstellen und daher entsorgt
werden müssen. Zusätzliche Anforderungen werden an die Entsorgung von überwachungs-
bedürftigen bzw. besonders überwachungsbedürftigen Abfällen (Sonderabfällen) gestellt.
Dies sind Abfälle, die das Gesetz in einer früheren Version als „... nach Art, Beschaffenheit
oder Menge in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosiv oder
brennbar [...] oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten[d] ...“ bezeichnet.

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112 2 Die Güterwirtschaft

Energie

Rohstoffe

Produktion Recycling

Produkte Abfall
Thermische
Ausschuss Verwertung
Reste

Abfallvermeidung Deponie Abfallverwertung

Abfallbeseitigung

Abb. 2.39 Entsorgungsstrategien

Um ein weiteres Anwachsen der Abfallmengen zu begrenzen, gibt das Kreislaufwirtschafts-


und Abfallgesetz den Unternehmen die folgende Rangfolge von abfallwirtschaftlichen Maß-
nahmen vor: Die Abfallvermeidung hat Vorrang vor der Abfallverwertung, und diese wiede-
rum hat Vorrang vor der Abfallbeseitigung. Diese Maßnahmen beziehen sich auf verschie-
dene, in Abb. 2.39 dargestellte, Phasen des Produktionsprozesses:
 Abfallvermeidung lässt sich in erster Linie durch am Produktionsprozess selbst ansetzen-
de Maßnahmen erreichen, die den Anfall von prozessbedingten Rückständen oder von
Ausschuss reduzieren.
 Bei der Abfallverwertung wird die stoffliche Verwertung, d.h. die Aufbereitung und
Nutzung der im Abfall enthaltenen Stoffe als Sekundärrohstoffe, über die thermische
Verwertung in Müllverbrennungsanlagen, bei der die im Abfall enthaltene Energie ge-
nutzt wird, gestellt. Die Abfallverwertung ist eine inputorientierte Maßnahme, da die
verwerteten Rückstände zum Input weiterer Produktionsprozesse werden.
 Die Abfallbeseitigung setzt am Output eines Produktionsprozesses an. Sie hat so zu er-
folgen, dass von den Abfällen keine Gefährdungen der Umwelt ausgehen können. Dies
ist in der Regel durch die Verbringung auf eine geeignete Deponie sichergestellt.
Das Ziel der betrieblichen Abfallwirtschaft besteht darin, die im Abfallbereich entstehenden
Kosten bei Einhaltung der relevanten gesetzlichen Vorschriften so gering wie möglich zu

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2.4 Entsorgung 113

halten. Die behördlichen Anforderungen umfassen neben Zertifizierungs- und Mitteilungs-


pflichten auch die Verpflichtung zur regelmäßigen Vorlage eines detaillierten Abfallwirt-
schaftskonzepts sowie bei Überschreiten bestimmter Abfallmengen die Vorlage von umfas-
senden Abfallbilanzen mit Angaben über Art, Menge und Verbleib der jeweiligen Stoffe. Die
von den Kommunen und Genehmigungsbehörden erlassenen Vorschriften und Gebühren-
ordnungen sind somit die Parameter, an denen ein Unternehmen seine Entsorgungsstrategie
ausrichtet: Je unerwünschter und damit je teurer ein Rückstand oder Abfallstoff wird, desto
größer werden die Bemühungen, dessen Anfall zu reduzieren.

2.4.2 Recycling
Unter Recycling versteht man die Rückführung von Material und Energie, die bei der Pro-
duktion als Rückstand oder beim Konsum als Hausmüll anfallen, als Einsatzstoffe in Produk-
tionsprozesse. Dabei wird aus Sicht des Gesetzgebers das Ziel verfolgt, einerseits natürliche
Rohstoffe zu substituieren und dadurch zu schonen, andererseits die entstehenden Rück-
stands- und Abfallmengen zu verringern, um Umweltbelastungen zu reduzieren und knappen
Deponieraum einzusparen. Recycling bringt also positive Umweltwirkungen sowohl auf der
Input- als auch auf der Outputseite der Produktion mit sich.
Durch Recycling lässt sich eine teilweise Umstellung von der derzeitigen Durchflusswirt-
schaft zu einer Kreislaufwirtschaft erreichen. Die Kreislaufführung von Stoffen ist ein grund-
legendes Prinzip der Ökologie, durch das sich eine maximale Stoffausnutzung erreichen
lässt. In einem Wirtschaftssystem lassen sich durch den Aufbau von Wiederverwertungs-
kreisläufen und -kaskaden sowohl der Grad der Stoffausnutzung als auch die Verweildauer
der Stoffe erhöhen; damit wird zugleich die Effizienz der Produktion gesteigert.
Folgende Formen des Recycling lassen sich unterscheiden:
 Nach dem Ort, an dem die zu verwertenden Stoffe entstehen, unterscheidet man das Pro-
duktionsabfallrecycling, bei dem Rückstände aus Produktionsprozessen – z.B. Schneide-
reste, Späne, Ausschuss, aber auch energetische Rückstände wie Abwärme und Prozess-
energie – erneut in industriellen Prozessen eingesetzt werden, und das Altproduktrecyc-
ling, das nach Ablauf der üblichen Nutzungsdauer eines Produkts die in ihm enthaltenen
Wertstoffe einer weiteren Nutzung zuführt. Die Verpflichtung von Unternehmen, ihre
gebrauchten Produkte zurückzunehmen und geordnet zu entsorgen, wird in verschiedenen
Rücknahmeverordnungen geregelt.
 Nach dem Ort des Wiedereinsatzes der Stoffe lässt sich Recycling einteilen in innerbe-
triebliches Recycling, bei dem im Unternehmen entstehende Reststoffe in den Ur-
sprungsprozess oder einen anderen Produktionsprozess zurückgeführt werden, und das
interindustrielle Recycling, bei dem mehrere Unternehmen am Aufbau eines Verwer-
tungskreislaufs beteiligt sind. Hier stellt sich häufig das Problem, geeignete Marktpartner
zu finden, die den anfallenden Stoff abnehmen bzw. den benötigten Stoff in der ge-
wünschten Menge anbieten.

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114 2 Die Güterwirtschaft

 Eine weitere Einteilung orientiert sich daran, ob der Stoff überarbeitet oder direkt ver-
wendet und ob er im Ursprungsprozess oder in einem anderen Prozess eingesetzt wird.
Daraus ergeben sich die in Abb. 2.40 dargestellten Recyclingformen.

Einsatz in
Ursprungsprozess anderen Prozess
(primäres Recycling) (sekundäres Recycling)

ohne Überarbeitung Wieder- Weiter-


(direktes Recycling) verwendung verwendung

mit Überarbeitung Wieder- Weiter-


(indirektes Recycling) verwertung verwertung

Abb. 2.40 Recyclingformen

– Bei der Wiederverwendung wird ein Stoff ohne größere Überarbeitung für den ur-
sprünglichen Zweck wieder benutzt. Ein Beispiel dafür sind Pfandflaschen, die nach
einer Reinigung wieder befüllt werden können.
– Weiterverwendung liegt vor, wenn Abfallstoffe, die in einem Produktionsprozess
anfallen, ohne Überarbeitung in einem anderen Prozess eingesetzt werden, z.B. wird
der Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen im Hoch- und Tiefbau eingesetzt.
– Ein Stoff wird wiederverwertet, wenn er nach einer Überarbeitung für seinen ur-
sprünglichen Zweck erneut eingesetzt wird. Dies ist z.B. bei der Papierherstellung aus
Altpapier oder bei der Verwendung runderneuerter Autoreifen der Fall.
– Bei der Weiterverwertung schließlich wird ein Stoff nach Überarbeitung in einem
anderen Prozess oder für einen anderen Zweck eingesetzt, z.B. bei der Herstellung
von Parkbänken aus Kunststoffgranulat. Auch die thermische Verwertung von Abfäl-
len zum Zweck der Nutzung der in den Stoffen enthaltenen Energie wird zur Weiter-
verwertung gezählt.
Diese Recyclingarten erfordern in der genannten Reihenfolge einen immer größeren
Bearbeitungs-, Transport- und Energieaufwand. Aus ökologischer Sicht ist daher die
Wiederverwendung der Weiterverwendung, diese der Wiederverwertung und diese
schließlich der Weiterverwertung vorzuziehen, falls für einen bestimmten Stoff mehrere
Recyclingmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
 Die Wirtschaftlichkeit des Recycling hängt wesentlich davon ab, in welchem Umfang vor
dem Wiedereinsatz eines Stoffes eine Aufbereitung erforderlich ist. Nach dem Umfang

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2.4 Entsorgung 115

der Aufbereitung unterscheidet man das Produkt-, das Komponenten- und das Material-
recycling.
– Beim Produktrecycling wird ein Erzeugnis, das der bisherige Besitzer aus techni-
schen, wirtschaftlichen oder modischen Gründen nicht mehr nutzen will, mit oder oh-
ne Überarbeitung im Ganzen einer erneuten Nutzung zugeführt, z.B. Gebrauchtwa-
gen.
– Beim Komponentenrecycling werden einem abgenutzten Produkt bestimmte Bauteile
entnommen und – in der Regel nach einer Überarbeitung – als Ersatzteile für Geräte
gleicher Bauart verwendet, z.B. Austauschmotoren.
– Beim Materialrecycling wird das Produkt in seine Bestandteile zerlegt, die möglichst
sortenrein erfasst und jeweils getrennt einer stofflichen oder thermischen Verwertung
zugeführt werden, z.B. die Trennung der verschiedenen Stofffraktionen beim Shred-
dern von Automobilen.
Die ökologischen und wirtschaftlichen Einsparungspotenziale durch das Recycling sind
umso größer, je vollständiger das Produkt erhalten bleibt, denn einerseits ist der Zerle-
gungsaufwand geringer, andererseits bleibt die im Produkt enthaltene Wertschöpfung er-
halten. Daher ist dem Produktrecycling der Vorzug vor dem Komponentenrecycling und
diesem wiederum vor dem Materialrecycling zu geben.
Auch wenn Recycling sicherlich zur besseren Stoffausnutzung und zu einer Reduktion von
Umweltbelastungen beitragen kann, stößt es auf Widerstände und Grenzen verschiedener
Art. Jeder der im Folgenden genannten Bereiche kann zum Engpassfaktor werden, der die
Möglichkeiten der Kreislaufführung von Stoffen begrenzt.
 Eine technische Grenze des Recycling ist dadurch gegeben, dass meist keine vollständige
Verwertung der Stoffe möglich ist, sondern nur ein bestimmter, prozessbedingter Anteil
von Altstoffen zugegeben werden kann. So sind bei einer Recyclingquote von 50% nach
der vierten Aufbereitung nur noch 6,25% des ursprünglichen Materials im Umlauf. Ein
weiteres Problem ergibt sich daraus, dass die Qualität der beim Recycling entstehenden
Produkte häufig unterhalb der Qualität der ursprünglichen Produkte liegt (Downcycling).
Stoffe, die stark vermischt oder verunreinigt sind, eignen sich in der Regel gar nicht für
das Recycling. So können z.B. als Lösungsmittel eingesetzte chlorierte Kohlenwasser-
stoffe wieder aufbereitet und im Kreislauf geführt werden, solange sie sortenrein sind.
Ein Lösungsmittelgemisch hingegen kann nur noch verbrannt werden.
 Aus ökonomischer Sicht muss sich das Recycling wirtschaftlich lohnen, d.h. die Erlöse
der Sekundärrohstoffe, die ersparten Entsorgungskosten und eventuelle Subventionen
müssen zumindest die durch den Recyclingvorgang anfallenden Kosten abdecken. Falls
somit hohe Transport- und Aufbereitungskosten auftreten, ist – zumindest in einer kurz-
fristigen Betrachtung – eine weitere Grenze für das Recycling gegeben. Aus einer strate-
gischen Sichtweise heraus sollte auch ein nicht kostendeckendes Recyclingverfahren ein-
geführt werden, wenn für die nahe Zukunft ein Anstieg der Rohstoffpreise, Abfallgebüh-
ren oder Schadstoffabgaben zu erwarten ist.

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116 2 Die Güterwirtschaft

 Das ökologische Ziel von Recycling besteht in der Verringerung der negativen Umwelt-
wirkungen von Rückständen, der Reduktion des Energieverbrauchs in der Produktion
sowie der Erhaltung von natürlichen Ressourcen. Aus ökologischer Sicht ist Recycling
daher abzulehnen, wenn die bei der Erfassung, Sortierung, Aufbereitung oder Umwand-
lung eingesetzten Stoff- und Energiemengen den Nutzen für die Umwelt übersteigen
bzw. wenn die im Recyclingprozess entstehenden Reststoffe und Emissionen die Umwelt
stärker belasten als eine direkte Entsorgung des Ausgangsstoffs. Für eine solche ökologi-
sche Folgenabschätzung müssten sämtliche durch ein Recyclingverfahren ausgelösten
Umweltwirkungen erfasst und durch eine geeignete Bewertung gegeneinander abgewo-
gen werden. Überwiegen bei der stofflichen Nutzung einer Abfallart die negativen ökolo-
gischen Wirkungen, so sollte auf die Kreislaufführung verzichtet und die thermische
Verwertung oder die Deponierung vorgezogen werden.
 Schließlich stößt das Recycling auf eine Reihe von psychologischen Widerständen: Eine
umfassende Kreislaufführung von Produktionsrückständen ist nur möglich, wenn sich die
Mitarbeiter konsequent an der sortenreinen Sammlung der Stoffe beteiligen. Um beim
Altproduktrecycling zufriedenstellende Rücklaufquoten zu erreichen, müssen die Ver-
braucher z.B. durch Appell an ihr Umweltbewusstsein zur Rückgabe der Produkte moti-
viert werden. Auf Konsumentenseite wird bei Produkten aus Sekundärrohstoffen häufig
eine geringere Qualität vermutet, wodurch es zu Kaufzurückhaltung oder Preisabschlägen
kommt.
Für die Zukunft ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber den Unternehmen verstärkt eine um-
fassende Verantwortung für ihre Produkte und Rückstände auferlegen wird. Auch der Ge-
danke einer nachhaltigen Wirtschaftsweise (Sustainability) wird zu einer weiteren Zunahme
von Kreislaufwirtschaftskonzepten beitragen.

2.5 Logistik
Angesichts der globalen Vernetzung von Unternehmen und Märkten kommt der Logistik, die
sich mit der Gestaltung und Steuerung von raum-zeitlichen Transformationsprozessen in und
zwischen Unternehmen befasst, eine immer größere Bedeutung zu. Die Logistik ist eine
Querschnittsfunktion, die in sämtlichen Phasen des güterwirtschaftlichen Transformations-
prozesses benötigt wird. Abschnitt 2.5.1 gibt einen Überblick über das Logistikkonzept, d.h.
die Aufgaben, Teilbereiche und Ziele der Logistik. In Abschnitt 2.5.2 werden Möglichkeiten
zur Ausgestaltung von Transportsystemen dargestellt und in Abschnitt 2.5.3 wird auf die
Koordination von überbetrieblichen Logistikketten im Supply Chain Management eingegan-
gen.

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2.5 Logistik 117

2.5.1 Logistikkonzeption
Objekte der Logistik sind auf der physischen Ebene die materiellen Güter, an denen logisti-
sche Prozesse vorzunehmen sind, insbesondere das Fertigungsmaterial, Roh-, Hilfs- und
Betriebsstoffe, Zuliefer- und Ersatzteile, Handelswaren, Halbfertig- und Fertigerzeugnisse
sowie Retouren, Abfälle und andere Rückstände, für deren ordnungsgemäße Beseitigung
oder Rückführung in das Wirtschaftssystem ein Unternehmen verantwortlich ist. Abb. 2.41
zeigt die verschiedenen Formen, in denen Logistikobjekte auftreten können. Da das Handling
von Stückgütern besonders leicht fällt, ist es sinnvoll, andere Güter, an denen logistische
Transformationen vorgenommen werden sollen, durch Abfüllen, Verpacken usw. in die
Form von Stückgütern zu bringen. So können Schüttgüter in Säcke oder Kisten verpackt
werden, Flüssigkeiten werden in Flaschen, Kanister oder Tanks abgefüllt und für Gase
kommen Druckbehälter zum Einsatz.

Logistikgüter

Feste Flüssige Gasförmige


Güter Güter Güter

Unbeständige Hoch kompri-


Stückgüter Flüssigkeiten mierte Gase

Schüttgüter Beständige Niedrig kompri-


Flüssigkeiten mierte Gase
Halbflüssige
Massen
Säcke, Kisten
Druckbehälter

Flaschen, Kanister,
Tanks

Abb. 2.41 Logistikobjekte

Durch logistische Prozesse werden Transformationen an den Logistikobjekten bewirkt. Die


wichtigsten Logistikprozesse mit den durch sie bewirkten Gütertransformationen sind in
Abb. 2.42 dargestellt.

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118 2 Die Güterwirtschaft

Logistik-
Prozess Bündelung Sortierung
Lagerung Transport Verpackung
Gütertrans- Verteilung Mischung
formation
Zeitänderung X
Ortsänderung X
Mengenänderung X
Sortenänderung X
Änderung der Um-
schlageigenschaften X

Abb. 2.42 Logistikprozesse und Gütertransformationen

 Lagerung: Durch einen Lagerungsprozess wird der Zeitpunkt der Verfügbarkeit eines
Logistikobjekts auf der Zeitachse nach hinten verschoben, d.h. es findet eine zeitliche
Transformation statt.
 Transport: Bei einem Transportvorgang wird eine Ortsänderung des Logistikobjekts
vorgenommen, d.h. seine räumliche Verfügbarkeit wird vom Ausgangspunkt zum End-
punkt des Transports verlagert.
 Bündelung bzw. Verteilung: Bei der Bündelung werden meist gleichartige, selten auch
verschiedene logistische Einheiten zu einer neuen logistischen Einheit zusammengefasst;
bei der Verteilung wird eine logistische Einheit in einzelne Logistikobjekte aufgelöst. Die
hierbei erfolgende Transformation ist eine Änderung der Menge der zu handhabenden lo-
gistischen Einheiten.
 Sortierung bzw. Mischung: Durch die Sortierung findet eine Sortenänderung des Logis-
tikobjekts statt, indem miteinander vermischte Einheiten nach bestimmten Eigenschaften
sortiert werden; beim Mischen werden umgekehrt sortenrein vorliegende Einheiten zu-
sammengefügt.
 Verpackung: Beim Verpacken wird ein Logistikobjekt, das Packgut, durch das Umhüllen
mit Packstoffen so verändert, dass es für die nachfolgenden logistischen Prozesse günsti-
gere Umschlageigenschaften aufweist.
Diese logistischen Prozesse werden in Abhängigkeit von der Art der Güter und von ihren
logistischen Eigenschaften sehr unterschiedlich ausgestaltet. So erfordern Schüttgüter, Flüs-
sigkeiten oder Gase ein anderes Verpackungssystem als Stückgüter, Einzelanfertigungen
werden anders transportiert als Massengüter, im Lebensmittelbereich werden besondere
hygienische Anforderungen an die Durchführung der Prozesse gestellt, Frisch- und Tief-
kühlware benötigt andere Lager- und Transportsysteme als Trockenware.

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2.5 Logistik 119

Bezeichnet man alle logistischen Prozesse, die Transport- und Lagerungsvorgänge miteinan-
der verbinden, als Umschlag, so lassen sich die logistischen Aktivitäten auf die so genannten
TUL-Prozesse Transport, Umschlag und Lagerung reduzieren. Gemeinsam ist allen logisti-
schen Tätigkeiten ihr Dienstleistungscharakter, daher werden sie – vor allem im zwischen-
betrieblichen Bereich – häufig von auf bestimmte Aufgaben spezialisierten Logistikdienst-
leistern, z.B. Speditionen, Frachtführern, Lagerhäusern, Umschlagstellen, Güterverkehrszen-
tren, erbracht. Durch die gezielte Zusammenfassung von Transport-, Umschlag- und Lagertä-
tigkeiten mit logistischen Zusatzleistungen wie Versicherungen, Kreditgewährung, Inkasso,
Zollabfertigung, Kundendienst oder Informationsversorgung können diese Unternehmen
erhebliche Spezialisierungsvorteile erzielen.
Logistische Prozesse kommen – wie in Abb. 2.43 dargestellt – entlang der gesamten betrieb-
lichen Wertschöpfungskette zum Einsatz. Man unterscheidet daher als Teilbereiche der Lo-
gistik die Beschaffungs-, Fertigungs-, Distributions- und die Entsorgungslogistik, die jeweils
spezifische Aufgaben übernehmen.

Materiallogistik

Beschaffungs- Fertigungs- Distributions-


logistik logistik logistik

Beschaffungs- Lager Produktion Lager Absatz-


markt markt
Sekundär-
stoffe Recycling-
güter

Deponie
Abfälle Rückstände Retouren

Ents orgungs logist ik

Abb. 2.43 Teilbereiche der Logistik

 Auf der Inputseite des Unternehmens ist die Beschaffungslogistik auf die Materialversor-
gung des Unternehmens ausgerichtet. Zu ihren Aufgaben zählen unter anderem die Ge-
staltung von Lagersystemen, die Lager- und Fördertechnik, das Lagerhausmanagement,
die Pflege der Beziehungen zu den Lieferanten, die Bedarfsprognose, die Losgrößenbe-
stimmung und die Bestellabwicklung.
 Die Fertigungs- bzw. Produktionslogistik befasst sich mit der Gestaltung des zwischen
Beschaffung und Distribution angesiedelten innerbetrieblichen Materialflusses. Dazu ge-
hören die Gestaltung von Fertigungsstrukturen und Fertigungsverfahren, die Layout-

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120 2 Die Güterwirtschaft

Planung, die Optimierung des innerbetrieblichen Material- und Informationsflusses, die


Qualitätssicherung und die Gestaltung von innerbetrieblichen Verkehrssystemen.
 Auf der Outputseite sorgt die Distributionslogistik für den Transport der Produkte und
ihre Verteilung auf die Abnehmer. Bei der Pflege der Kundenbeziehungen ist der Liefer-
service ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. In diesem Bereich sind Entscheidungen
über die Distributionsstruktur, die Lagerstandorte, das Transportsystem, die Auswahl von
Verkehrsmitteln, die Gestaltung der Verpackungen, die Transport- und Tourenplanung,
die Sicherstellung der Lieferbereitschaft sowie die Inanspruchnahme logistischer Dienst-
leistungen zu treffen.
 Die Entsorgungslogistik ist am Ende der betrieblichen Wertschöpfungskette angesiedelt.
Während sich die drei erstgenannten Teilbereiche der Logistik auf den Versorgungsbe-
reich beziehen, läuft der Güterfluss der Entsorgungslogistik in umgekehrter Richtung. Ih-
re Aufgaben bestehen in der Gestaltung von Entsorgungssystemen und der Durchführung
der entsorgungsspezifischen Transformationsprozesse, d.h. der Sammlung, der Behand-
lung, der Verwertung und der Deponierung von Rückständen aus Produktion und Kon-
sum (vgl. Abschnitt 2.4.1).
Das oberste Ziel der Logistik ist das Serviceziel, das auf die Sicherstellung der bedarfsge-
rechten Verfügbarkeit von Objekten zum Zweck der Befriedigung von Kundenbedürfnissen
abstellt: Das richtige Gut (in Bezug auf Sorte und Menge) soll im richtigen Zustand, d.h. in
der gewünschten Qualität, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort bereitgestellt werden (4R-
Konzept). Weiter sollen die mit der Güterbereitstellung verbundenen Logistikkosten mini-
miert werden. Das Kostenziel steht typischerweise im Konflikt mit dem Serviceziel.
Der Servicegrad gibt an, welcher Anteil der Nachfrage aus dem vorhandenen Lagerbestand
sofort befriedigt werden kann. Nicht befriedigte Nachfrage bezeichnet man als Fehlmengen.
Sie führen nicht nur zur Verärgerung von Kunden, die eventuell endgültig verloren gehen,
sondern können auch bei Nichteinhaltung fester Lieferzusagen mit Konventionalstrafen be-
legt werden.
Da sich die Nachfrage in der Regel nicht exakt prognostizieren lässt, hält ein Unternehmen
einen Sicherheitsbestand, der die Lieferfähigkeit auch bei nicht vorhersehbaren Nachfrage-
schwankungen sicherstellen soll. Je höher der Sicherheitsbestand ist, desto geringer wird die
Wahrscheinlichkeit, lieferunfähig zu sein, d.h. desto höher ist der Servicegrad. Bei normal-
verteilter Nachfrage mit dem Mittelwert x und der Standardabweichung  gilt der statisti-
sche Zusammenhang, dass der Bedarf in 15,9% der Fälle den Wert x   übersteigt, in 2,3%
der Fälle einen Wert von x  2 und nur in 0,1% der Fälle einen Wert von x  3 . Geht
man beispielsweise von einer Nachfrage mit dem Mittelwert x  500 und der Standardab-
weichung   125 aus, so ergibt sich aus den Eigenschaften der Normalverteilung der in
Tab. 2.6 dargestellte Zusammenhang von gewünschtem Servicegrad und dafür erforderli-
chem Lagerbestand. Während für die Steigerung des Servicegrads von 80% auf 85% der
Bestand lediglich um 24,3 Stück erhöht werden muss, ist für die Steigerung von 90% auf
95% bereits ein zusätzlicher Sicherheitsbestand von 45,4 Stück erforderlich. Um den Ser-
vicegrad von 98% auf 99% zu erhöhen, müssen 34,1 Stück zusätzlich gelagert werden.

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2.5 Logistik 121
Tab. 2.6 Zusammenhang von Servicegrad und Lagerbestand

Servicegrad Lagerbestand
80% 605,2 Stück
85% 629,5 Stück
90% 660,2 Stück
95% 705,6 Stück
98% 756,7 Stück
99% 790,8 Stück
99,5% 822,0 Stück

Allerdings bedeutet ein höherer Lagerbestand eine höhere Kapitalbindung im Lager und
damit auch höhere Zinskosten. Aufgrund der oben erläuterten Zusammenhänge steigen die
Lagerhaltungskosten – wie in Abb. 2.44 veranschaulicht – progressiv mit dem Servicegrad
an. Somit ist eine Abwägung zwischen diesen beiden Zielen erforderlich. Ein Servicegrad
von 100% lässt sich meist nur mit prohibitiv hohen Lagerhaltungskosten erreichen. Daher
wird vielfach ein geringerer, als sinnvoll angesehener Servicegrad vorgegeben und versucht,
diesen zu möglichst geringen Kosten zu erreichen.

Lagerhaltungskosten

90% 95% 100%


Servicegrad

Abb. 2.44 Lagerhaltungskosten in Abhängigkeit vom Servicegrad

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122 2 Die Güterwirtschaft

2.5.2 Transportsysteme
Eine wichtige logistische Leistung ist die Überbrückung von räumlichen Distanzen durch
Transportprozesse. Dabei lassen sich außerbetriebliche und innerbetriebliche Transporte
unterscheiden. Außerbetriebliche Transporte erfolgen von den Lieferanten zum Unternehmen
oder vom Unternehmen zu seinen Kunden, innerbetriebliche Transporte bewirken den Mate-
rialfluss innerhalb des Unternehmens, z.B. vom Wareneingang zum Lager, aus dem Lager in
die Fertigung, von der Endmontage zum Versand. In Abhängigkeit von der zu transportie-
renden Menge und der zu überbrückenden Entfernung kommen in beiden Bereichen sehr
unterschiedliche Transportsysteme und Transportmittel zum Einsatz.
Der außerbetriebliche Transport kann als Land-, Luft- oder Wasserverkehr durchgeführt
werden. Die jeweils zugehörigen Verkehrssysteme und Verkehrsmittel sind in Abb. 2.45
dargestellt.

Außerbetrieblicher
Transport

Landverkehr Luftverkehr Wasserverkehr

Straßengüterverkehr Luftfrachtverkehr Binnenschifffahrt


- Fernverkehr - Motorschifffahrt
- Nahverkehr - Schleppschifffahrt
- Werksverkehr - Schubschifffahrt
Seeverkehr
Schienengüterverkehr
- Linienverkehr
- Wagenladungsverkehr
- Bedarfsverkehr
- Stückgutverkehr
- Expressgutverkehr
- kombinierter Verkehr

Rohrleitungsverkehr
- Rohölpipelines
- Produktpipelines

Abb. 2.45 Verkehrssysteme

 Für den Landverkehr kommen die Transportwege Straße, Schiene und Rohrleitung in
Betracht. Der Straßengüterverkehr lässt sich in den Fernverkehr, der die Distanz zwi-
schen Fertigungs- und Bedarfsregion überbrückt, den Nahverkehr, der die Belieferung
der Kunden in einem bestimmten Bereich übernimmt, und den Werksverkehr einteilen.
Beim Schienengüterverkehr kommen der Transport ganzer Wagenladungen bzw. Contai-

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2.5 Logistik 123

ner oder die Aufgabe einzelner Packeinheiten im Stückgutverkehr bzw. bei eiligen Gü-
tern im Expressgutverkehr zur Anwendung. Der kombinierte Verkehr ist eine Spezial-
form des Schienengüterverkehrs, bei der der Hauptlauf mit der Bahn und der Vor- und
Nachlauf mit LKW bewältigt werden. Rohrleitungen werden in dem speziellen Fall ein-
gesetzt, dass zwischen zwei Werken langfristig und kontinuierlich Flüssigkeiten oder Ga-
se in großen Mengen transportiert werden müssen.
 Der Luftverkehr wird als Luftfrachtverkehr mittels Flugzeugen durchgeführt. Die Fracht
wird entweder im Transportraum von Passagierflugzeugen mitgeführt oder in speziellen
Frachtflugzeugen transportiert.
 Beim Wasserverkehr unterscheidet man die Binnenschifffahrt und den Seeverkehr. Die
Binnenschifffahrt ist auf das Wasserstraßennetz einer Region beschränkt, sie kann als
Motorschifffahrt, als Schleppschifffahrt oder als Schubschifffahrt durchgeführt werden.
Beim Seeverkehr besteht die Wahl zwischen dem Linienverkehr, bei dem die Güter ei-
nem regelmäßig verkehrenden Schiff mitgegeben werden, und dem Bedarfsverkehr, bei
dem Frachtraum gechartert wird.
Die genannten Verkehrswege und Transportmittel unterscheiden sich stark hinsichtlich ihrer
Kosten, der möglichen Transportvolumina, der Transportdauer und -geschwindigkeit, ihrer
Flächenabdeckung und der Anforderungen an die Verpackung. In der Praxis werden die
Transportmittel häufig kombiniert eingesetzt. Zum einen sind der Vor- und Nachlauf zu bzw.
von Bahnhöfen, Flughäfen oder Häfen mit LKW durchzuführen, es sei denn, ein Unterneh-
men verfügt über einen eigenen Gleisanschluss, Flughafen oder See- bzw. Binnenhafen. Zum
anderen hat sich eine Reihe von Systemen entwickelt, die verschiedene Transportmittel
kombinieren. Neben dem kombinierten Verkehr Schiene – Straße, bei dem die Transportgü-
ter umgeladen werden müssen, wird der Huckepackverkehr angeboten, bei dem der gesamte
LKW per Bahn befördert wird. Im Containerverkehr lässt sich auch die Schifffahrt mit der
Schiene oder der Straße kombinieren. Schließlich werden für interkontinentale Transporte
auch Kombinationen von Seeschiff und Flugzeug eingesetzt.
Der innerbetriebliche Materialfluss lässt sich wie folgt organisieren (vgl. Abb. 2.46):
Flurgebundene Transportsysteme sind an den Boden gebunden und ermöglichen lediglich
Transporte in der Fläche, flurfreie Systeme hingegen nutzen auch die vertikale Dimension
aus und entlasten dadurch die Verkehrswege am Boden. In beiden Kategorien lassen sich
stetige und unstetige Materialflusssysteme unterscheiden. Unstetige Transportsysteme sind
jeweils bei Bedarf und sehr flexibel einsetzbar, sie dienen vor allem der Bewältigung von
stark schwankenden Transportanforderungen. Stetige Transportsysteme hingegen verfügen
über ein kontinuierlich bewegtes Transportmittel, das einen festgelegten Weg in regelmäßi-
gen Zeitabständen abfährt. Sie ermöglichen die kontinuierliche Bewältigung eines großen
Transportaufkommens, weisen jedoch nur eine geringe Flexibilität auf. Teilweise lassen sich
über Verzweigungen und Weichen auch unterschiedliche Materialflüsse bewältigen.

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124 2 Die Güterwirtschaft

Innerbetrieblicher
Transport

Flurgebundener Flurfreier
Transport Transport

Unstetiger Stetiger Unstetiger Stetiger


Materialfluss Materialfluss Materialfluss Materialfluss

Rollenbahn Kran Paternoster

Feste Freie Kettenförderer Aufzug Hängebahn


Wege Wege Gurtband Regalbedien- Kreisförderer
gerät
Schienen- Stapler Plattenband
bahn
Schlepper
FTS
Hubwagen
Luftkissen-
förderer

Abb. 2.46 Materialflusssysteme

Die flurgebundenen unstetigen Transportsysteme lassen sich nochmals unterscheiden in


solche mit fest vorgegebenen Wegen, wie die Schienenbahn oder die Fahrerlosen Transport-
systeme (FTS), die auf optisch oder magnetisch gekennzeichneten Fahrwegen verkehren,
und in Systeme, die beliebige Wege zurücklegen können, wie Stapler, Schlepper, Hubwagen
und Luftkissenförderer. Feste Wege ermöglichen eine weitgehende Automatisierung des
Transports und damit erhebliche Personaleinsparungen, während die Transportmittel mit
freier Wegewahl regelmäßig manuell bedient werden müssen.
Flurgebundene Transportsysteme mit stetigem Materialfluss sind z.B. Rollenbahnen, Ketten-
bahnen, Gurtbänder oder Plattenbänder. Sie werden in der Fließ- und Reihenfertigung oder
auch bei der automatisierten Kommissionierung eingesetzt.
Einen flurfreien Transport mit unstetigem Materialfluss erlauben z.B. Kräne, Aufzüge und
Regalbediengeräte. Sie können häufig große Lasten tragen, erlauben jedoch lediglich eine
geringe Transportfrequenz.
Für den flurfreien Transport mit stetigem Materialfluss werden z.B. Paternoster, Hängebah-
nen oder Kreisförderer eingesetzt. Während der Paternoster lediglich einen vertikalen Trans-
port erlaubt, können die Wege von Hängebahnen oder Kreisförderern sowohl horizontale als
auch vertikale Ortsveränderungen vorsehen.

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2.5 Logistik 125

Bei der Auswahl eines innerbetrieblichen Materialflusssystems müssen neben den bereits
genannten Aspekten der Flexibilität und des Transportaufkommens auch die mit ihrer Instal-
lation und dem Betrieb verbundenen Kosten berücksichtigt werden. Das vielseitigste und
kostengünstigste Transportmittel ist der Gabelstapler, der in sehr vielen Unternehmen einge-
setzt wird. Er kann jeden Punkt am Boden erreichen, innerhalb und außerhalb der Maschi-
nenhalle eingesetzt werden und alle Lasten bewegen, die sich auf Paletten transportieren
lassen. Je höher der Automatisierungsgrad eines Transportsystems ist, desto höher werden
tendenziell die Installationskosten. Daher lohnen sich Fließbänder oder Fahrerlose Trans-
portsysteme erst bei einem regelmäßigen und hohen Transportaufkommen.

2.5.3 Supply Chain Management


Unter Supply Chain Management versteht man die integrierte Planung, Steuerung und Kon-
trolle der einzelnen Stufen der Leistungserstellung sowie der logistischen Prozesse, die in
den an einer Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen auftreten. Durch die zunehmende
Tendenz zum Outsourcing von Wertschöpfungsaktivitäten, die nicht zu den Kernkompeten-
zen eines Unternehmens zählen, wird die Abstimmung zwischen den Wertschöpfungspart-
nern immer wichtiger.
Auch wenn der Begriff der Supply Chain einen linearen Aufbau der Wertschöpfungskette
nahe legt, herrschen netzwerkartige Strukturen vor, durch die die Beschaffungs-, Produkti-
ons- und Absatzaktivitäten eines Unternehmens mit denen auf den vor- und nachgelagerten
Wertschöpfungsstufen verknüpft werden. Die Struktur der Supply Chain hängt unter ande-
rem von den Produkten, von den beteiligten Lieferanten und Kunden, von der Machtvertei-
lung zwischen den Unternehmen und von deren strategischen Erwägungen ab. Abb. 2.47
zeigt den vereinfachten Aufbau einer solchen Supply Chain.

Beschaf- Produk- Beschaf- Produk- Beschaf- Produk-


Absatz Absatz Absatz
fung tion fung tion fung tion

Lieferant Kunde
UNTERNEHMEN

Abb. 2.47 Aufbau einer Supply Chain

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126 2 Die Güterwirtschaft

Zu beachten ist, dass sich die Begriffe „Lieferant“ und „Kunde“ nicht nur auf externe Partner
beziehen, mit denen das betrachtete Unternehmen in marktlichen Austauschprozessen steht,
sondern auch andere Einheiten des eigenen Unternehmens bezeichnen können, von denen die
betrachtete Einheit Material erhält oder an die sie Material liefert. Auch innerbetriebliche
Lieferbeziehungen werden somit als Teil der Supply Chain angesehen und mit ähnlichen
Methoden wie die externen Lieferbeziehungen geplant und gesteuert.
Das Ziel des Supply Chain Management besteht darin, vor allem über die Senkung von La-
gerbeständen die im Gesamtsystem entstehenden Kosten zu reduzieren. Dazu ist es erforder-
lich, die in den einzelnen Lieferbeziehungen bestehenden Bedarfsunsicherheiten zu reduzie-
ren, indem die Material- und Informationsflüsse sinnvoll abgestimmt und koordiniert wer-
den. Durch die Orientierung aller internen und externen Wertschöpfungsstufen am Just-in-
Time-Prinzip, das auf die Reduzierung des in unproduktiven Zwischenlagern gehaltenen
Materials abstellt, können weiter die Lieferzeiten verkürzt und dadurch ebenfalls die im
Gesamtsystem gehaltenen Lagerbestände reduziert werden.
Durch die Abstimmung der Bedarfsmengen und Bedarfstermine lässt sich beim Supply
Chain Management der in mehrstufigen Lieferketten häufig auftretende Bullwhip-Effekt
vermeiden. Mithilfe von Simulationsmodellen lässt sich zeigen, wie sich in einer aus den
Stufen Teilefertiger, Produzent, Großhandel, Einzelhandel und Endverbraucher bestehenden
Lieferkette Schwankungen des Endverbrauchs und zeitliche Verzögerungen beim Material-
und Informationsfluss auf die Bedarfsmuster und damit letztlich auf die Bestell- und Produk-
tionsmengen der Beteiligten auswirken. Bereits geringfügige Schwankungen bei der Nach-
frage nach Endprodukten können zu erheblichen und von Stufe zu Stufe zunehmenden Pro-
duktionsschwankungen auf den vorgelagerten Stufen der Lieferkette führen. Diesem uner-
wünschten Effekt wird im Supply Chain Management durch die Reduktion der Verzöge-
rungszeit für den Informationsaustausch zwischen zwei Stufen oder auch durch die Elimina-
tion kompletter Stufen entgegengewirkt. So wird die in Abb. 2.48 dargestellte Lieferkette
dadurch verkürzt, dass der Produzent unter Auslassung des Großhandels direkt an den Ein-
zelhandel liefert.

Teilefertiger Produzent Großhandel Einzelhandel Endverbraucher

Teilefertiger Produzent Einzelhandel Endverbraucher

Abb. 2.48 Lieferkette

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2.5 Logistik 127

Im Rahmen des e-Business (vgl. Abschnitt 4.5.3) geht auch die Bedeutung des Einzelhandels
zurück, da immer mehr Produzenten direkt an den Endverbraucher liefern. Gleichzeitig steigt
die Bedeutung der physischen Logistik, um die Belieferung der Kunden auf einem hohen
Serviceniveau zu gewährleisten.
Durch die Koordination von Lieferanten, Produzenten und Kunden in einer Supply Chain
lassen sich Kosten-, Zeit- und auch Qualitätsvorteile erzielen. Dafür bestehen folgende An-
satzpunkte:
 Die Verstetigung des Materialflusses entspricht dem logistischen Grundprinzip der
Flussorientierung. Hierfür müssen Informationssysteme zum Einsatz kommen, die nicht
nur das Verfolgen von Materiallieferungen über Tracking und Tracing ermöglichen, son-
dern auch ein abgestimmtes Bestandsmanagement ermöglichen.
 Durch Lagerbestandssenkungen wird eine Reduktion des Umlaufvermögens angestrebt,
die eine kostenreduzierende Wirkung entfaltet. Wie in Abschnitt 2.5.1 herausgearbeitet
wurde, ist bei der Bestandsreduktion darauf zu achten, dass der gewünschte Servicegrad
erhalten bleibt.
 Ein Ansatzpunkt zur Bestandsoptimierung ist die Verbesserung der Materialdisposition,
so dass sie die Interessen der gesamten Lieferkette berücksichtigt. Neben leistungsfähi-
gen Prognosetools sind exakte Kenntnisse über die Materialbestände innerhalb der ge-
samten Lieferkette hinsichtlich Menge, Ort und frühester Verfügbarkeit erforderlich.
 Eine Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeit beeinflusst sowohl den Servicegrad als auch
die Kosten positiv. Ansatzpunkte zur Durchlaufzeitverkürzung sind die Transportzeiten,
die Umschlagzeiten sowie Wartezeiten bei der Zollabfertigung usw.
 Die effiziente Auslastung der im Gesamtsystem zur Verfügung stehenden logistischen
Kapazitäten wirkt ebenfalls kostenreduzierend, da systemimmanente Bedarfsschwankun-
gen vermieden werden können. Neben geeigneten Informationssystemen ist ein großes
Maß an Vertrauen zwischen den Beteiligten erforderlich, um auf die kurzsichtige Opti-
mierung der eigenen Abläufe zugunsten einer Kostensenkung in der gesamten Lieferkette
zu verzichten.
Durch folgende Maßnahmen lässt sich die Logistikkette im Rahmen des Supply Chain Ma-
nagement gestalten:
 Von großer Bedeutung ist die Gestaltung des Materialflusses. Grundsätzlich können die
Logistikprozesse zwischen den Wertschöpfungsstufen einstufig oder mehrstufig aufge-
baut sein. Ein einstufiger Logistikprozess ermöglicht einen direkten Materialfluss zwi-
schen Liefer- und Empfangspunkt und unterstützt damit die Durchlaufzeitreduktion. Ist
hingegen eine Unterbrechung des Materialflusses zur zeitlichen oder räumlichen Konso-
lidierung erforderlich, so wird die Verbindung der Liefer- und Empfangspunkte indirekt,
d.h. durch einen mehrstufigen Materialfluss sichergestellt. Hierbei resultieren Kostenvor-
teile nicht aus der Verkürzung der Durchlaufzeit, sondern aus Degressionseffekten.

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128 2 Die Güterwirtschaft

 Ein weiterer Entscheidungsbereich ist die Struktur der Logistikkette. Die vertikale Struk-
tur bezieht sich auf die Anzahl der Wertschöpfungsstufen, die horizontale Struktur auf
die Anzahl der Wertschöpfungspartner auf den einzelnen Stufen.
 Häufig ist eine Segmentierung der Logistikkette sinnvoll. Dabei wird diese in voneinan-
der entkoppelte Abschnitte eingeteilt, für die den jeweiligen Anforderungen entsprechen-
de Planungs- und Steuerungskonzepte implementiert werden. Als Grundsegmente bieten
sich häufig die marktnahen, dezentral gestalteten Distributionsprozesse und die marktfer-
nen, zentral organisierten Beschaffungs- und Produktionsprozesse an.
Die konkrete Gestaltung einer Logistikkette hängt von zahlreichen Faktoren ab, zu denen die
Höhe, die Zusammensetzung und der Verlauf der Nachfrage, die geforderten Lieferzeiten,
die Produktbeschaffenheit, die zu überbrückenden Entfernungen und die dafür erforderlichen
Zeiten zählen.

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