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2022/4/30 下午9:13 Abitur – Mehr lernen aus der Pandemie | Meinung

Abitur

Mehr lernen aus der Pandemie


27. April 2022, 12:45 Uhr | Lesezeit: 3 min

Trotz Unterrichtsausfalls hat sich der Notendurchschnitt der Corona-Jahrgänge


verbessert. Das liegt auch an den Kultusministerien - die nun eine Konsequenz
ziehen sollten.

Kommentar von Paul Munzinger

In den meisten Bundesländern stehen seit dieser Woche die schriftlichen Abiturprüfungen an.
In Bayern beginnt es mit Deutsch am Mittwoch, Mathe dräut dann am 3. Mai. Es ist bereits das
dritte Corona-Abitur. Die Abiturientinnen und Abiturienten des Jahres 2022 haben ihre gesamte
Oberstufe unter Pandemie-Bedingungen erlebt, in einem Ausnahmezustand also, der langsam
zur Routine wird und dennoch ein Ausnahmezustand bleibt. Und genau wie seine beiden Vor-
gänger stellt dieser Jahrgang deshalb die Gerechtigkeitsfrage: Ist das fair, ein Abitur unter die-
sen Bedingungen? Ist das zumutbar, ein Abitur in diesen Zeiten?

Wenn die Abiturienten von heute sich benachteiligt fühlen gegenüber den Abiturienten der Vor-
Corona-Zeit, dann haben sie natürlich recht. Die Pandemie hat sie benachteiligt, ob es um die
beschränkten Möglichkeiten ihrer Schulzeit oder um die beschränkte Freiheit ihrer Jugend ganz
allgemein geht. Aber mit Blick auf die Noten sind sie es nicht. An ihrem Durchschnitt gemessen
haben die Abiturjahrgänge 2020 und 2021 alle ihre Vorgänger übertroffen. Sie sind, um eines
der beliebtesten Abi-Mottos der vergangenen zwei Jahre zu zitieren: mit Abstand die besten. In
Bayern zum Beispiel lag der Schnitt vor zehn Jahren bei 2,35, 2019 dann bei 2,32 und 2021 bei
2,18. Nicht ausgeschlossen, dass der aktuelle Jahrgang das noch einmal unterbietet. Und das
trotz Corona? Nein, deswegen.

Die Jahrgänge hatten mehr Zeit zu lernen - auch mangels


Freizeitalternativen
Erklären lässt sich dieser Sprung - der den Aufwärtstrend der vergangenen Jahre noch mal be-
schleunigt hat - durch das Zusammenspiel von mindestens drei Faktoren. Erstens: Die Corona-
Jahrgänge hatten mangels Freizeitalternativen einfach mehr Zeit zum Lernen. Zweitens: Die

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2022/4/30 下午9:13 Abitur – Mehr lernen aus der Pandemie | Meinung

Kultusministerien - in der berechtigten Annahme, dass ihnen niemand einen Notenabsturz un-
ter diesen Umständen verziehen hätte - kamen den Absolventen weit entgegen: Sie strichen in
der Oberstufe Klausuren, schoben die Abiturprüfungen nach hinten und gaben den Prüflingen
mehr Zeit und mehr Aufgaben zur Auswahl. Womöglich kamen sie ihnen sogar etwas weiter ent-
gegen als nötig. Denn die Abschlussklassen durften - drittens - nach Schulschließungen zumeist
als Erste zurück in die Klassenzimmer. Und verpassten so weniger Unterricht als manche Siebt-
klässler oder Grundschüler.

Anstatt nun aber ausgerechnet auf dem Rücken der Corona-Jahrgänge die leidige Diskussion
über "Noteninflation" und "Akademisierungswahn" neu zu entfachen, sollte man sich lieber die
Botschaft der verblüffend guten Corona-Noten genauer ansehen. Sie lautet: Schüler, die unter-
wegs weniger Klausuren haben, haben am Ende mehr Zeit, um auf ihre Abi-Prüfungen zu ler-
nen. Und Schülerinnen, die mehr Zeit zum Lernen haben, schreiben bessere Noten, weil sie den
Stoff nicht nur inhalieren, sondern im Idealfall verstehen. Und darum geht es doch, oder?

Noten und Prüfungen sind keine schöne und schon gar keine perfekte Einrichtung. Aber sie sind
notwendig, solange niemand ein besseres System erfindet. Das gilt auch und gerade für das Ab-
itur, das Absolventen Druck und Stress verschafft, aber eben auch eine Möglichkeit, sich durch
Einsatz selbst zu belohnen - zum Beispiel mit einem Studienplatz ihrer Wahl. Das Abitur auch in
der Pandemie durchzuziehen, ist deshalb richtig - solange die Politik die Nachteile ausgleicht.

Die Pandemie hat gezeigt: Das Korsett aus Prüfungen und Noten ist
zu eng
Doch Corona hat auch deutlich gemacht, dass Noten und Prüfungen in der Schule eine zu große
Rolle spielen. Schüler werden buchstäblich über-bewertet. Lehrer mussten in den vergangenen
zwei Jahren erleben, dass es nicht der Lehrplan ist, der sie einschnürt und ihnen die Freiheit
nimmt, auf die Herausforderungen der Pandemie flexibel zu reagieren. Sondern das enge Kor-
sett von Prüfungen und Noten. Und Schüler und ihre Eltern mussten die Erfahrung machen,
dass an der Schule fast alle Systeme ausfallen können - doch die Leistungsnachweiserhebungs-
maschine braucht immer neues Futter. Die Notensammelwut einer strengen Prüfung zu unter-
ziehen, ist ein Auftrag der Pandemie an die Kultusministerien. Und das Abitur zeigt: Das muss
nicht auf Kosten des Anspruchs gehen.

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