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Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Fachbereich: Allgemeine Studien


Seminar: Am Anfang war die Formel – Eine Geschichte der Formalisierung
Modul: Kompetenzbereich 2: Wissenschaftstheorie
Dozent: Dr. Jens Salomon
Sommersemester 2020

C (Sinn und Bedeutung)


Warum hält Bertrand Russell seine Theorie der Beschreibung in On Denoting der
Theorie Freges über Sinn und Bedeutung für überlegen?

Name: Kolja Sand


Studiengang: Zwei-Fach-Bachelor in Soziologie und Philosophie
Matrikelnummer: 439 516
Bertrand Russell verfolgte wie auch Gottlob Frege das Ziel eine klare, formale
Sprache zu entwickeln. Beide Philosophen hielten unsere „gewöhnliche“ Sprache für zu
unsauber, um philosophische Probleme sinnvoll behandeln zu können. Frege hatte schon im
Jahre 1892 in seinem Aufsatz Über Sinn und Bedeutung hierzu eine Idee entwickelt. Diese
wurde von Russell 1905 in seinem bekannten Aufsatz On Denoting (Über das Kennzeichnen)
angefochten.
Die Auseinandersetzung Russells mit Frege und sein eigener Ansatz sind Thema
dieses Essay. Dabei konzentriere ich mich auf die beiden genannten Aufsätze, die
fundamental für die moderne Logik waren bzw. sind. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es
sich hierbei nicht um eine kritische Reflektion der Theorie Russells oder Freges handelt,
sondern um die Darstellung seiner Kritik an Frege und seinem Gegenentwurf.
Im ersten Schritt liegt dazu der Fokus auf Freges Unterscheidung von Sinn und
Bedeutung. Im Zweiten wird die Kritik Russells an dieser Unterscheidung erläutert, woraufhin
drei Probleme eingeführt werden, die eine Theorie der Beschreibung nach Russell lösen
können muss. Schließlich wird gezeigt, wie Russells Theorie diese löst.

Sinn und Bedeutung bei Frege


Frege führt die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung ein, um ein Problem zu lösen,
dass entsteht, wenn wir über „Gleichheit“ (a = a oder a = b) sprechen. Wenn wir sagen „der
Morgenstern ist der Abendstern“ („a = b“), dann ist diese Gleichheit verschieden zur
Gleichheit in der Aussage „der Morgenstern ist der Morgenstern“ („a = a“).1 Die erste
(synthetische) Aussage hat einen erkenntniswert. Es ist vorstellbar, dass jemand der Aussage
widersprechen könnte, auch wenn dieser damit falsch läge. Die Zweite (analytische) Aussage
hingegen ist trivial und es ergibt aus der Aussage selbst, dass sie notwendigerweise wahr sein
muss. Obwohl also „Morgenstern“ und „Abendstern“ dasselbe bezeichnen (die Venus) und
wir sie als identisch bezeichnen, können wir die beiden Bezeichnungen nicht füreinander
einsetzten, ohne dass damit etwas anderes ausgedrückt würde. Wenn wir also von
„Gleichheit“ sprechen, können wir damit nach Frege nicht nur die Gleichheit der konkreten,
bezeichneten Gegenstände meinen, da auf diese Weise „Gleichheit“ so viel meint wie: etwas
ist mit sich selbst identisch („a = a“). Doch worin genau liegt nun der Unterschied von „a = b“
zu „a = a“ (gesetzt dem Fall, dass beide Aussagen wahr sind)? (vgl. Frege (1892) S.5f)
Zur Beantwortung dieser Frage konzentriert Frege sich auf die Bezeichnungen (bzw.
Namen, Eigennamen, Zeichen, Wortzusammensetzungen) dieser Gegenstände und führt die
1
„Morgenstern“ (Stern, der am Morgen als letzter erlischt) wie „Abendstern“ (Stern, der am Abend als letzter
erlischt) bezeichnen denselben Himmelskörper Venus.
1
Unterscheidung von Sinn und Bedeutung ein. „Bedeutung“ ist der bestimmte Gegenstand, auf
den eine Bezeichnung referiert (vgl. ebd. S.5ff). Im Beispiel des Morgen- oder Abendsterns
war die Bedeutung bzw. das Bezeichnete dieser Zeichen die Venus. Der Ausdruck „Sinn“
unterscheidet sich an dieser Stelle von unserem alltäglichen Umgang mit diesem Wort. Frege
schreibt:

„Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung,


Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens
heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens
nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. […] Es würde
die Bedeutung von „Abendstern“ und „Morgenstern“ dieselbe sein, aber nicht
der Sinn.“ (S. 6f, Hervorhebung durch den Autor)
Gleichheit findet bei Frege auf Ebene der Bedeutung wie auf Ebene des Sinnes statt.
Die Aussage „Der Morgenstern ist der Abendstern“ enthält zwei Bezeichnungen, die dieselbe
Bedeutung haben, aber nicht denselben Sinn, womit die Aussage „Der Morgenstern ist der
Morgenstern“ einen anderen Erkenntniswert haben kann. Der Sinn einer Bezeichnung
beleuchtet die Bedeutung nur aus einer gewissen Perspektive (z.B. „Stern, der am Morgen als
letzter erlischt“, „Stern, der am Abend als letzter erlischt“) und „wird von jedem erfaßt, der
die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört“ (ebd. S.
7).
Zudem erklärt Frege, dass Bezeichnungen (wie bspw. „der gegenwärtige König von
Frankreich“) einen Sinn besitzen, jedoch keine Bedeutung haben (, da es gegenwärtig keinen
französischen König gibt). Also haben auch Bezeichnungen Sinn, die auf nichts referieren.
Russells Kritik setzte an diesem Punkt an, wie wir im Folgenden sehen werden.

Russells Kritik
Der Aufsatz On Denoting bespricht grob zwei Kritikpunkte (vgl. Russell (1905) S. 9 –
11 & S. S. 12 - 15)) an der Unterscheidung von Sinn und Bedeutung. Die zweite Kritik (das
sogenannten „Grays-elegy-Argument“) kann an dieser Stelle leider nicht beleuchtet werden,
da dies den Rahmen dieses Essays sprengen würde.2
Russell spricht statt von „Bezeichnung“ oder „Eigenname“ von „denonting phrase“
(„Kennzeichnung“). Darunter versteht er zum Beispiel: „ein Mensch, irgendein Mensch, jeder
Mensch, alle Menschen, der gegenwärtige König von England, der gegenwärtige König von
Frankreich, der Massenmittelpunkt des Sonnensystems im ersten Augenblick des 20

2
Es gibt eine große Diskussion zu diesem Argument (vgl. u.a. Strauss (1978), Brogaard (2006), Makin (2000)
Levin (2004))
2
Jahrhunderts […]“ (ebd. S. 3). Die Schwierigkeit in Freges Konzeption sieht Russell in
ebenjenen Fällen, in denen Kennzeichnungen keine Bedeutung zu haben scheinen. Er gibt
dafür folgendes Beispiel (vgl. ebd. S. 9f):
Betrachten wir die beiden Sätze „Der König von England hat eine Glatze“ 3 (1) und
„Der König von Frankreich hat eine Glatze“ (2). Nach Frege hat (1) eine Bedeutung, (2)
nicht. Satz (1), so Russell, bezieht sich auf den „wirklichen Mann, der vom Sinn bedeutet
wird“ (vgl. ebd. S. 9). Obwohl nun (1) und (2) von der Form her gleich sind, kann (2)
offensichtlich keine Aussage über den wirklichen Mann treffen, da der König von Frankreich
nicht existiert. Laut Russell müsste aus der Theorie Freges daher folgen, dass (2) Unsinn sei,
d.h. dass dieser für uns unverständlich sei. Beispielsweise ist der Satz „König Katze Grün
Ampel Maske“ für uns sinnlos und wir können nicht sagen, ob dieser wahr oder falsch ist.
Russell argumentiert, dass (2) kein Unsinn sein kann, da wir offensichtlich sagen können,
dass (2) falsch ist, und daher die Theorie Freges nicht zutreffend sei.
Ebenso würde die Kennzeichnung „mein einziger Sohn“ in dem Satz „Wenn
Ferdinand nicht ertrunken ist, ist Ferdinand mein einziger Sohn“ (3) nicht unsinnig werden,
wenn Ferdinand tatsächlich ertrunken wäre. Die Kennzeichnung „mein einziger Sohn“ könne
seine Bedeutung im Sinne Freges verlieren, indem dieser Sohn ertrinke, jedoch würde damit
der Satz mit enthaltener Kennzeichnung nicht unsinnig werden (ebd.).
Russell hält daher Freges Analyse für ungenau und erklärt, dass Frege an dieser Stelle
„offensichtlich künstliche“ Bedeutungen einführe, um zu verhindern, dass (2) und (3) Unsinn
würden (vgl. ebd. S. 10).

Drei Rätsel
Russell führt drei Probleme an, die eine „Theorie der Beschreibung“ lösen bzw.
sinnvoll theoretisch einordnen können sollte (vgl. ebd. 11).
1. Das erste Problem ist uns schon durch Frege bekannt. Russell erklärt, dass George
IV. wissen wollte, ob Scott der Autor von Waverly war. Da Scott tatsächlich der
Autor von Waverly war, können wir „Scott“ für „der Autor von Waverly“
einsetzten und sagen, dass George IV. wissen wollte, ob Scott Scott war. Doch
erscheint diese Frage nun sehr trivial und verschieden zur erstgenannten Frage.
(vgl. ebd. S. 11)
2. Wenn wir sagen „Der König von Frankreich hat eine Glatze“ oder „Der König von
Frankreich hat keine Glatze“ muss einer der beiden Sätze wahr sein und der andere
falsch. Andernfalls, so Russell, wird der Satz des ausgeschlossenen Dritten
verletzt, der besagt, dass ein Satz oder sein Gegenteil wahr sein muss (und nichts
Drittes möglich ist). Für Russell sind jedoch beide Sätze über den König von
3
Von 1901 bis 1910 gab es tatsächlich ein König von England, der eine Glatze hatte.
3
Frankreich falsch – Wie ist dies in Einklang mit dem Satz des ausgeschlossenen
Dritten zu bringen? (vgl. ebd. S. 11)
3. Die Aussage „Das runde Quadrat ist rund“ ist nach Russell falsch. Doch wie
können wir von einer Entität bzw. Nicht-Entität sprechen, die keine Bedeutung hat.
Nehmen wir nicht ein „rundes Quadrat“ an, um darüber zu sprechen. Wie also
können wir über etwas sprechen bzw. auf etwas referieren, das eine Nicht-Entität
ist, also keine Referenz besitzt? (vgl. ebd. S. 11f.)

Das erste Problem erklärte Frege durch die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung.
Doch weist diese Konzeption nach Russell offensichtlich Probleme und endet in einem
„Knäul aus Widersprüchen“ (ebd. S. 15). Es brauche daher eine andere Theorie, um diese
Probleme zu lösen.

Russells Theorie der Beschreibung

„Kennzeichnungen haben für sich nie eine Bedeutung [„Denotation“], aber


jede Aussage, in deren verbalem Ausdruck sie vorkommen, hat eine
Bedeutung.“ (ebd. S. 5)
So bezeichnet Russell das wesentliche Prinzip seiner Theorie. Eine Kennzeichnung ist
an sich bedeutungslos bzw. völlig unbestimmt, erst im Zusammenhang eines Satzes kommt
der Kennzeichnung eine Bedeutung zu. Sie verhält sich wie eine unbestimmte Variable, die in
einer Aussagefunktion eingesetzt erst ihre Bedeutung erhält. Diese Aussagefunktion
beschreibt Russell folgendermaßen: C (x). Die unbestimmte Variable x stellt hier die
Kennzeichnung da und C ist die Aussage. Über diese Form ist es nach Russell möglich die
logische Struktur einer Aussage darzustellen. (vgl. ebd. S. 4)
Betrachten wir den Satz: „Alle Menschen sind sterblich“. Dieser enthält die
unbestimmte Kennzeichnung „Alle Menschen“ (C (alle Menschen)) und wird von Russell wie
folgt interpretiert: „Wenn x menschlich ist, dann ist x sterblich“. Etwas völlig unbestimmtes x
hat die Eigenschaft „menschlich zu sein“ und sollte dies der Fall sein, dann hat dieses x
ebenso die Eigenschaft „sterblich zu sein“ (, welche in C enthalten ist). Da wir nun in der
Kennzeichnung von allen Menschen sprechen, gilt dieser Satz für jedes x bzw. alles, das x ist.
Um diesen Umstand zu formulieren, lautet die logische Form von „Alle Menschen sind
Sterblich“: „„Wenn x menschlich ist, dann ist x sterblich“ ist immer wahr“. Oder allgemeiner:
C (alle Menschen) bedeutet „„Wenn x menschlich ist, dann ist C (x) wahr“ ist immer wahr“.
Hier steckt die Zuschreibung „sind sterblich“ in C und sollte ein x menschlich sein, dann trifft
die Zuschreibung zu. Sollte hingegen kein Mensch sterblich sein, dann würde die
Interpretation heißen: C (kein Mensch) bedeutet „„Wenn x menschlich ist, dann ist C (x)
4
falsch“ ist immer wahr“. Ebenso könnte nur von einem Menschen die Rede sein. In diesem
Fall ist die logische Struktur: Es gibt ein x und dieses x ist sterblich. Oder: C (ein Mensch)
bedeutet „Es ist falsch, dass „ C(x) und x ist menschlich“ immer falsch ist“. (vgl. ebd. S.5f)
Die fundamentale Struktur hinter diesen formalen Sätzen ist stets: „C (x) ist immer
wahr“. Diesen können wir derart modifizieren, dass jedes x, kein x („„C(x) ist falsch“ ist
immer wahr“) oder mindestens ein x („Es ist falsch, dass „C(x) ist falsch“ immer wahr ist“)
ausgedrückt wird. 4
Bisher haben wir nur unbestimmte Kennzeichnungen betrachtet und wollen nun zu
bestimmten Kennzeichnungen übergehen. Die bestimmte Kennzeichnung „Der Vater von
Karls II“ (C (Der Vater Karls II)) analysiert Russell so:
„Es ist nicht immer falsch von x, dass, „wenn y Karl II zeugte, ist y identisch mit x“
immer wahr von y ist“ (K).
Die bestimmte Kennzeichnung wird ergänzt durch eine Identitätsaussage (kursiv
geschrieben), welche bedeutet, dass es nur eine bestimmte Person gibt, die Vater Karls II ist.
Der Ausdruck „wenn y Karl II zeugte, ist y identisch mit y“, bedeutet, dass alles, das
verschieden zu x (also y) ist, und das Karl II zeugte, identisch mit diesem x ist.
Die Kennzeichnung (K) findet sich in jedem Satz, in welchem die Rede vom „Vater
Karls II“ ist. Und sollten es kein x geben, welches derart beschaffen ist, dann ist
notwendigerweise die Aussage C(der Vater von Karls II) falsch (vgl. ebd. S. 7).
So ist z.B. jede Aussage der Form „C (der gegenwärtige König von Frankreich)“
falsch. (vgl. ebd. S. 7f.). Denn kein x erfüllt die Bedingung „gegenwärtig der König von
Frankreich zu sein“.
Die Theorie Russells führt also Aussagen, die Kennzeichnungen enthalten, zurück auf
ihre logische Form, in welchen die Kennzeichnungen eliminiert sind. Mithilfe dieser Theorie
sieht sich Russell nun in der Lage die drei Probleme bewältigen.

Russells Lösung
Beginnen wir mit dem ersten Problem. Die Aussage „Scott ist der Autor von
Waverly“, welche wahr ist, lässt sich nach Russell wie folgt interpretieren: „Eine und nur eine
Entität x schrieb Waverly und Scott war identisch mit dieser“. Oder allgemeiner: „[(1)] Es ist
nicht immer falsch von x, dass x Waverly schrieb, [(2)] dass es immer wahr von y ist, dass
wenn y Waverly schrieb, y mit x identisch ist, und [(3)] dass Scott mit x identisch ist“ (ebd. S.

4
Im Folgenden werde ich jedoch, wie auch Russell, verkürzte Versionen dieser allgemeinen Formulieren
verwenden (z.B: ist manchmal Wahr“ oder „Es gibt eine Entität x…“). Hier soll nur ein Einblick in die
Tiefenstruktur seiner formalen Sprache gegeben werden.
5
16). In dieser Form sehen wir, dass drei Aussagen (über Existenz, Identität und Zuschreibung)
getätigt werden: (1) Es gibt (mindestens) eine Entität, die Waverly geschrieben hat, (1) es gibt
höchstens eine Person, die Waverly geschrieben hat und (3) jede Entität, die Waverly
geschrieben hat, ist Scott.
In Bezug auf Georges IV. lautete der Satz nach Russell folgendermaßen: „George IV.
wollte wissen, ob ein und nur ein Mensch Waverly schrieb und Scott dieser Mensch war“
(S.17). Der Einfachheit halber spricht Russell hier von „Mensch“ und nicht „Entität“ bzw.
„x“. In dieser Form lässt sich nun „der Autor von Waverly“ nicht mehr durch „Scott“ ersetzen,
da sich die Kennzeichnung „der Autor von Waverly“ auflöst. Somit ist die Frage Georges IV.
auf der formalen Ebene Russells nicht identisch mit „George IV wollte wissen, ob Scott Scott
ist“. Oder anders: Gerade da Kennzeichnungen erst in einer Aussage ihre Bedeutung in
Russells Theorie erhalten, können wir nicht einfach Kennzeichnungen austauschen, weil diese
isoliert keinerlei Bedeutung haben. (vgl. ebd. 16)
Um das zweite Problem zu lösen, führt Russell die Unterscheidung vom primärem und
sekundärem Gebrauch von Kennzeichnungen ein. Betrachten wir dies an der Aussage „Der
gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze“, die nach Russells Analyse
folgendermaßen lautete: „Es gibt eine Entität x, die jetzt König von Frankreich ist und eine
Glatze hat“ (P). Die logische Form offenbart, dass, solange es keine Entität x gibt, die gerade
König von Frankreich ist, der gesamte Satz falsch ist, egal ob das Prädikat bzw. die
Zuschreibung „hat eine Glatze“ oder auch „hat keine Glatze“ hinzugefügt wird. Der Satz ist
nach Russell also falsch, da ausgesagt wird, dass es solch eine Entität gibt.
In diesem Fall wird die Kennzeichnung „der gegenwärtige König von Frankreich“ (K)
nach Russell in (P) primär verwendet, da wir uns mit dieser auf die gesamte Aussage
beziehen.

„Ein sekundärer Gebrauch einer Kennzeichnung kann als Gebrauch definiert


werden, bei dem der Ausdruck in einer Aussage p vorkommt, die nur ein
Bestandteil der gerade untersuchten Aussage ist, und die Ersetzung der
Kennzeichnung in p geschieht, nicht in der vollständigen Aussage.“ (ebd. S.
17)
Damit wird in der Aussage „Es ist falsch, dass es eine Entität gibt, die jetzt König von
Frankreich ist und eine Glatze hat“ (S) die Kennzeichnung (K) sekundär gebraucht. Denn die
Aussage (P), die hier kursiv dargestellt ist, ist in diesem Fall nur Bestandteil der
Gesamtaussage (S) und die Kennzeichnung (K) kommt nur in (P) vor.

6
Die Negation von (P) können wir laut Russell nun bilden, indem wir (K) sekundär
gebrauchen, d.h. wir bilden einen Satz über P, nämlich (S).
So ist die Aussage (P) stets falsch (unabhängig von den Eigenschaften, die (K)
zugesprochen werden), während die Aussage (S) stets wahr ist, wobei der Satz vom
ausgeschlossenen Dritten nicht verletzt wird.
Die Unterscheidung von primärem und sekundärem Gebrauch ist auch entscheidend
für die Lösung des letzten Problems: Wie können wir über Nicht-Entitäten sprechen?
Betrachten wir die Aussage „Das runde Quadrat ist rund“. Analysiert lautet diese: „Es
gibt eine und nur eine Entität x, die rund und quadratisch ist, und diese Entität ist rund“ (ebd.
S. 21). Die Aussage ist nach Russell offensichtlich falsch. Dies drückt sich logisch wie folgt
aus: „Es ist falsch, dass es eine Entität x gibt, die rund und quadratisch ist, und diese Entität x
ist rund“ (ebd. S.19). Die Kennzeichnung wird in diesem Fall sekundär verwendet, womit
negiert wird, dass es eine solche Entität gibt wie auch dass sie rund ist. So reden wir über eine
Nicht-Entität, ohne zu behaupten, dass es diese gibt.

Schluss
Freges Fragestellung bzw. das erste genannte Problem Russells kann dadurch erklärt
werden, dass wir einem Zeichen eine Bedeutung aber auch einen Sinn zuschreiben. Wie
gesehen hielt Russell in On Denoting diesen Weg für falsch. Kennzeichnung ohne
Bedeutungen zuzulassen, wie Frege es tut, führt nach Russell zu Problemen in der
Formalisierung und so lehnt Russell die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung ab. Freges
untersuchte Problem von Identitätsaussagen löst Russell auf seine eigene Weise, indem er
Kennzeichnungen an sich jegliche Bedeutung aberkennt. Formalsprachlich lösen
Kennzeichnung sich in Russells Theorie auf. Das zweite wie dritte Problem erklärt Russell
durch die Unterscheidung von primärem und sekundärem Gebrauch von Kennzeichnungen.
So können wir nach Russell über Nicht-Entitäten reden, ohne ihre Subsistenz (Russell
vermeidet den Ausdruck „Existenz“) zu behaupten oder in Widerspruch mit dem Satz vom
ausgeschlossenen Dritten zu geraten. Da seine Theorie uns befähigt diese Probleme zu lösen
und Freges Konzeption schwerwiegende Probleme in sich birgt, hält Russell seinen Ansatz für
überlegen.
Ob Russell nun korrekt liegt, ob er unter Umständen Frege falsch auslegt oder ob der
Ansatz einer formalen Sprache grundsätzlich verfehlt ist, sind spannende Fragen, die es sicher
lohnt, weiter zu verfolgen. Dieser Essay konnte jedoch nur ein kleines Licht auf die Anfänge

7
der modernen Logik werfen und eine Bewertung der Argumentation Russells, halte ich, an
dieser Stelle für zu früh.

8
Literaturverzeichnis

Russelll, Bertrand (1905). Über das Kennzeichnen. In: Ulrich Steinvorth (Hrsg.).
Philosophische und Politische Aufsätze. Reclam, Stuttgart. S. 3-21
Frege, Gottlob (1892). Über Sinn und Bedeutung. Reclam, Stuttgart
Strauss, Michael (1978). Über Russellls Kritik an Freges Unterscheidung zwischen
Sinn und Bedeutung. In: Wissenschaftstheorie / Journal of General Philosophy of Science. Jg.
9(1). S. 106-111
Brogaard, Berit (2006). The Gray’s Elegy’ Argument, and The Prospects for the
Theory of Denoting Concepts. In: Synthese. Jg. 152(1). S. 47-79
Levine, James (2004). On the “Gray’s Elegy” Argument and its Bearing on Frege
Theory of Sense. In: Philosophy and Phenomenological Research. Jg. 69(2). S. 251-295
Makin, Gideon (1954). The metaphysicians of meaning. Russelll and Frege on sense
and denotation. Routledge, London

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