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Textinterpretation von „Verdienen“

Die folgende Textinterpretation bezieht sich auf den Kurzprosatext „Verdienen“ von 1919, der von
Peter Altenberg verfasst wurde. Der Text behandelt das Thema Geld verdienen und weist auf den
Zwang des Verdienens hin, der zu einem reinen Selbstzweck geworden ist. Es geht nicht mehr darum,
mit dem verdienten Geld etwas zu erreichen, sondern man verdient um des Verdienens willen, „bis
man tot ist“ (Zeile 10).
Bei der formalen Analyse des Textes fällt auf, dass er abgesehen von Satzzeichen keine Gliederung
aufweist. Es kommen weder Absätze noch Überschriften oder Einrückungen vor. Hervor sticht die
Kursivschrift von einigen Wörtern, wie z.B. „besondere“ (Z. 5, 5 – 6), „[v]erdienen“ (Z. 7, 8, 9, 14),
„Andere“ (Z. 8) oder „nichtssagendste, inhaltsloseste“ (Z. 8 – 9).

Betrachtet man die sprachlichen Merkmale des Textes, so ist unter anderem der Einsatz der
Personalpronomen auffällig: Vor allem durch den Wechsel von 2. und 3. Person Singular wird der
Eindruck erweckt, dass der Text eine dialogische Struktur hat: Die sprechende Instanz wendet sich an
den Verdiener, der mit „er“ (Z. 4), aber auch mit „Du“ (Z. 3, 11) angesprochen wird, an anderer Stelle
antwortet die Sprechinstanz aber auch für den Verdiener in der 3. Person Singular (Z. 13).

Was die Wortwahl betrifft, lassen sich einerseits zwei Diminutive („Nestchen“ -Z. 11 und
„Fremdenzimmerchen“ - Z. 12) sowie Superlative „nichtssagendste, inhaltsloseste“ (Z. 8 – 9)
feststellen. Dazu kommt die Darstellung der Vielfalt an Möglichkeiten, die das verdiente Geld bieten
würde: Es werden Beispiele für mögliche Freizeitgestaltung, Vergnügungen und Luxusgüter genannt,
z. B. „Oper“ (Z. 4), „zur Sommerszeit ins ,Gesäuse‘“ (Z. 5), „besondere Bücher“ (Z. 5), „Frauenwelt“
(Z. 7). Das Wort „verdienen“ kommt ausschließlich mit negativen Konnotationen vor, so zum Beispiel
in Zusammenhang mit „Taumel“ (Z. 2), „tot“ (Z. 10), „Pflicht“ (Z. 10), „aufgebürdet“ (Z. 10) und
„Ruhe-los“ (Z. 14).

Beim Satzbau stechen auf einen Blick die zahlreichen Fragesätze, die gleichzeitig als Ausrufesätze mit
Fragezeichen und Rufzeichen gekennzeichnet sind ins Auge. Am Ende folgen drei Ausrufe(sätze)
unmittelbar aufeinander. Außerdem kommen zahlreiche Ellipsen (z. B. „Aber wofür, […]“ (Z. 3 – 4);
„Oder zur Sommerszeit ins ,Gesäuse‘?“ (Z. 5)) und ein Parallelismus (Z. 5 – 6). Ganz am Ende kommt
ein grammatikalisch auffällig unvollständiger Satz vor (Z. 11-13).

Die Untersuchung der rhetorischen Mittel ergibt unterschiedliche Figuren: So findet sich eine Anapher
(Z. 5-6), mehrere Anreden (z.B. Z. 3, „mein Lieber“ oder Z. 11, „Verdiener“), ein Klimax, „so viele,
so unzählige, wirklich aber nicht mehr zählbare Menschen“ (Z. 1) und auffällig viele Wiederholungen
des Wortes „verdienen“ in unterschiedlichen Variationen.

Versucht man eine Deutung des Textes, kommt man nicht umhin, die deutliche Kritik des Textes an
dem weitverbreiteten sinnentleerten Zwang zu verdienen, zu erkennen (=Interpretationshypothese).
Das wird unter anderem daran deutlich, dass das Wort „verdienen“ im Text in einem fast nicht enden
wollenden Kreislauf ständig wiederholt wird, in den unterschiedlichsten Variationen. Dieser Kreislauf
des Verdienens endet im Text erst mit dem Tod (= 1. Argument). Und auch wenn viele Möglichkeiten
aufgezählt, wie man das verdiente Geld genießen könnte, diese werden nicht genutzt. Das Besondere,
auch Lebenswerte, Erlebnisreiche wird zugunsten eines Zwangs zum Verdienen aufgegeben. Die
„Verdiener“ im Text verdienen ohne Sinn und Zweck (= 2. Argument). Die Kritik an dem Verdienen-
Zwang wird auch dadurch deutlich, wie auch schon in der Analyse erwähnt, dass das Wort verdienen
ausschließlich im Zusammenhang mit negativen Bedeutungen vorkommt (= 3. Argument). Nicht
zuletzt wird durch die unterschiedlichen Anreden des Verdieners bzw. die Bezeichnungen für den
Verdiener auch deutlich, dass dieser Text sich auch an die Leser/innen richtet, die möglicherweise
ebenso zu den Verdienern zählen, und so zum Nachdenken angeregt werden sollen (= 4. Argument).

So ist der Kurzprosatext eine scharfe Kritik an einer Gesellschaft, die sich dem Verdienen verschrieben
und dabei vergessen hat, warum man überhaupt verdient. Ob der Leser / die Leserin sich angesprochen
fühlen muss, hängt in erster Linie davon ab, ob man lebt, um zu arbeiten oder arbeitet, um zu leben.
Diese Frage muss dann wohl jeder am Ende für sich selbst beantworten (= Zusammenfassung der
Interpretation am Schluss).

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