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Quart-Sext-Klänge und Quartsextakkorde

1. „Quartsext-Klänge“ im Kontrapunktsatz
Beim sogenannten „Quartsextakkord“ handelt es sich um eine ursprünglich kontrapunktische
Klangbildung, die in der Musik ab dem 16.Jahrhundert bedeutsam wird. Sie entsteht im Rahmen
einer Klausel und ist möglich im 3-stimmigen Satz mit contraténor bassus und natürlich im 4-
und höherstimmigen Satz. Quart-Sext-Klänge entstehen, wenn eine reguläre 7-6- oder 2-3-
Syncopatio von Ténor und Diskant über dem bereits liegenden und zeitlich gedehnten
Penultima-Ton, d.h. einem „Orgelpunkt“ einer Baßklausel stattfindet. Vom Baß aus gerechnet
ergibt sich dann auf einer leichten Zeit eine primäre „konsonierende Quarte“, die sich in eine
Terz und eine Sexte, die sich in die Quinte auflöst. Die 7-6- bzw. 2-3-Syncopatio erscheint, auf
den Baß bezogen, als 6 – 5
4 – 4 – 3- Bewegung

Aber der Baß ist hier noch keine Fundamentstimme, sondern eine Zusatzstimme zu einem
Stimmführungsmodell, das sich zwischen den beiden kontrapunktischen Hauptstimmen abspielt.
Dementsprechend handelt es bei der „quarta consonans“ um ein streng geregeltes
Stimmführungsmodell, das aus vier Schritten besteht. Eine genaue Beschreibung liefert Thomas
Daniel, Kontrapunkt, Köln 1997, S.308f.

Die tonale „Umdeutung“ dieses Stimmführungsmodells erfolgt in der italienischen „Partimento“-


Lehre: die Baßklausel wird hier bereits als Quintfall von Grundtönen zweier Akkorde begriffen
der V. und I.Stufe einer Tonart. Die Akkordfolge kann unterschiedlich „auskomponiert“ werden:
in der „cadenza semplice“ steht über der V.Stufe der einfache Dreiklang, in der „cadenza
composta“ steht über der doppelt so langen V.Baßstufe zunächst entweder ein Quart- oder
Quartsextvorhalt, der sich in den Akkord der Dominante auflöst. Das bedeutet:
- der Quartsext-Klang wird nicht als (konsonanter) Umkehrungsakkord, sondern als dissonanter
Vorhalts-Quartsext-Klang betrachtet. Er kommt zustande, indem der dissonante Quartvorhalt
durch eine Sexte begleitet wird; darin ist er eine Variante zum einfachen dissonanten
Quartvorhalt.
- der Quartsext-Vorhalt tritt genauso wie der einfache Quartvorhalt auf schwerer Zeit ein.
Cadenza semplice Cadenza composta

Die „cadenza doppia“ schließlich, in der die Dauer des dominantischen Baßtons im Verhältnis
zur „semplice“ vervierfacht ist, ist dann die fast wörtliche Übernahme des kontrapunktischen
Kadenzmodells mit der „quarta consonans“. Sie ist aber nun nicht mehr das „ursprüngliche“
Modell, sondern die „Auskomponierung“ einer tonalen Dominant-Tonika-Kadenz, in der ein
dissonanter Quartsext-Klang (hier auf einer leichten Taktzeit) und eine Quartsynkope (auf
schwerer Zeit) miteinander verschränkt sind: eine Häufung von Dissonanzen im
Kadenzzusammenhang.

Cadenza doppia

.
2. „Quartsext-Klänge“ und „Quartsextakkorde“ im harmonisch-tonalen Satz

In allen Harmonielehren werden Quart-Sext-Klänge primär als Quartsext-Akkorde behandelt, d.h.


als Resultat der „zweiten“ Umkehrung von Dreiklängen in Grundstellung. In dieser Logik sind
die drei möglichen „Stellungen“ eines Dreiklangs so charakterisiert, daß sie in ihrer Stabilität
sukzessive abnehmen: die „Grundstellung“ gilt als unzweifelhaft stabil, der Quartsextakkord als
instabil, während der Sextakkord sozusagen einen Mittelwert verkörpert.
Tatsächlich aber liegt, wenn man den satztechnischen Gebrauch und den formalen Ort von
Akkordstellungen genau betrachtet, zwischen der Stabilität von Sextakkorden und
Quartsextakkorden nicht nur ein gradueller, sondern ein grundsätzlicher Unterschied; oder
anders gesagt: hinsichtlich ihrer Stabilität liegen Sextakkorde viel näher bei den
Grundstellungsakkorden. Während es daher sehr wohl Sextakkorde in Grundstellung geben
kann, schließt bei Quart-Sext-Klängen die primäre Quartrelation des einen Akkordtons zum Baß
jedwede Möglichkeit einer auch nur leidlich stabilen Akkordsschichtung von vornherein aus.
Auch in tonalen Akkorden wirken Intervallqualitäten fort und deswegen kann es keine
„Quartsextakkorde in Grundstellung“ geben.
Deswegen sind auch im harmonischen-tonalen Satz Quart-Sext-Bildungen in den
meisten Fällen keine Akkorde, sondern kontrapunktisch entstehende Quart-Sext-Klänge
und gerade keine Dreiklangs-Umkehrungen! Der häufigste Fall im tonalen Satz ist daher
nach wie vor die Verwendung des Quart-Sext-Klangs als

a. Vorhaltsklang auf der Position der Dominante, um den Eintritt des Leittons, durch eine
dissonante Quarte auf betonter Zeit hinauszuzögern; dabei wird die dissonierende Quarte durch
die Sexte begleitet, so daß ein „kadenzierender“ oder „dominantischer“ oder Vorhalts-Quartsext-
Klang entsteht. Der Klang steht auf einer relativ schweren Zeit.

7
6 – 5
D4 – 3 T
Mozart, Klaviersonate A-Dur, KV 331, T.7 -8

Außerdem entstehen Quartsext-Klänge


b. als Wechselklang in den Oberstimmen über liegendem Baßton: ein gerne gebrauchter
Eröffnungstopos

6-5
T 4-3

Carl Philipp Emanuel Bach, Klaviersonate C-Dur, W.48/5, Beginn des ersten Satzes
c. als Durchgangsklang im Rahmen einer Bewegung zweier Stimmen in parallelen Sexten um eine
Liegestimme herum:
↓ ↓

Schubert, Streichtrio in B-Dur, D.471

oder im Rahmen einer diatonischen Gegenbewegung zweier Stimmen um eine Liegestimme


Mozart, Klaviersonate C-Dur, KV 330, 2.Satz T.1 -4

bzw. im Rahmen einer chromatischen Gegenbewegung zweier Stimmen um zwei Liegestimmen


herum: der „Voglersche Tonkreis“ oder die sogenannte „Teufelsmühle“, ein chromatisches
Sequenzmodell:

↓ ↓ ↓

Die sogenannte „Teufelsmühle“ aus E.A. Försters Anleitung zum Generalbaß, (1805)

d. als Antizipationsklang auf leichter Taktzeit


e. „Echte“ Umkehrungs-Quartsextakkorde kommen so gut wie ausschließlich nur beim tonikalen
Dreiklang der I.Stufe vor – und selbst hier nur in einer ganz bestimmten Situation: auf leichte(n)
Zählzeit(en) im „Durchgang“, genauer gesagt bei einer Baßbrechung, wie sie z.B. typischerweise
am Ende von Menuettsätzen der Wiener Klassik auftaucht:
abwärts: VIII-V-I bzw. I-V-iii-I bzw.
aufwärts I -V- VIII bzw. I-iii-V-I

In der folgenden Kadenz tauchen zwei Quartsextklänge auf, die aus denselben Tönen bestehen,
aber eine unterschiedliche Funktion ausprägen: der Klang im ersten Takt ist ein auf schwerer
Taktzeit eintretender, dissonanter Vorhalts-Quartsextklang mit Grundton ´d´, während im letzten
Takt auf der leichten Zählzeit 2 ein konsonanter Umkehrungsquartsextakkord mit Grundton ´g´
entsteht.

6 – 5
D4 – 3 T8 - 5 - 3 - 1

Haydn, Menuett in G-Dur

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