Sie sind auf Seite 1von 12

Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

Ravel – Pour une infante défunte


Eines der beliebtesten Klavierstücke als Einführung in die Musikwelt Ravels

Ravels „Pavane pour une infante dèfunte” wird seit seiner Entstehung von Kennern
und Liebhabern der Musikwelt Ravels, als auch von „Laien“ aufgrund seiner leicht
zugänglichen, aber gut durchdachten und sehr strukturierten Musiksprache
geschätzt. Dabei bleibt nicht nur die ursprüngliche Fassung für Klavier solo, sondern
auch die vom Komponisten selbst verfasste Bearbeitung für Orchester seit jeher im
allgemeinen Musikgeschehen präsent. Im Folgenden sollen Struktur, Tonsprache
und Rhythmik sowie Hintergrund für diese Komposition untersucht werden, um der
zeitlosen Faszination für dieses sowie das Gesamtwerk Ravels näher auf den Grund
zu gehen.

Bedeutung des Titels

Die Pavane war ein im Zeitalter der Renaissance praktizierter langsamer Schreittanz.
Neben ihrem gemächlichen Tempo zeichnet sich die zugehörige Begleitmusik durch
ihr geradzahliges Metrum aus, das den erhabenen Charakter dieser Musikform
unterstreicht. Der Tanz wurde bei Feierlichkeiten in adliger Gesellschaft praktiziert,
und aufgrund der sehr minimalistischen Tanzschritte eignete er sich vor Allem zur
Präsentation prunkvoller Kleider und Gewänder.1 Der Bezug zum Adel manifestiert
sich im von Ravel gewählten Untertitel: „pour une infante défunte“ lässt sich
übersetzen als „für eine verstorbene Prinzessin“. Weiters findet sich eine Widmung:
„à Madame la Princesse E. de POLIGNAC“. Damit ist Winaretta Singer, Prinzessin
von Polignac, gemeint, eine damalige Mäzenin von Maurice Ravel. (Larner, pp. 60
and 227). In der Wahl dieser Musikform, die ursprünglich v.A. in Italien und Spanien
praktiziert wurde, manifestiert sich außerdem Ravels Vorliebe für Spanien (anderes
Beispiel: „Bolero“, „Rapsodie espagnole“), die sich auch bei anderen Künstlern der
Spätromantik bis zum Fin de siècle zeigte (z.B. Bizet – „Carmen“).

1
Johann Gottfried Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig: 1732.
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

Analyse von Form, Melodik und Tonsprache

Das Stück ist im 4/4 Takt und in der Tonart G-Dur notiert. Formal ergibt sich eine
Rondoform a – b – a‘ – c – a‘‘.

Die Pavane beginnt direkt mit ihrem Hauptthema, das sich über 12 Takte erstreckt
und in gleicher melodischer Form in dem insgesamt nur 72 Takte langem Stück
dreimal auftreten wird (Teil a). Dieses Thema lässt sich wiederum in zwei Teile zu 7
und 5 Takten aufgliedern. Zu Beginn steht im Notentext die Angabe „Assez doux,
mais d’une sonorité large“ (= „ziemlich weich, aber von breitem Klang“). Diese
Anweisung beschreibt einerseits den zarten Charakter des Stückes, der als
musikalisches Pendant zu der titelgebenden verstorbenen Prinzessin verstanden
werden könnte. Andererseits stellt die Anweisung nach „breitem“/“großem“ Klang die
Verbindung zur feierlichen Tanzform der Pavane her. Der erste Teil lässt sich als
satzartig beschreiben: Er beginnt mit einer zweitaktigen Melodie in G-Dur, die sich
durch ein prägnantes rhythmisches Muster aus längeren Noten und sanften Achtel-
Verbindungen auszeichnet. Trotz des Starttons g‘ hat der weitere Melodieverlauf
durch ihre Terz- und Sekundfortschreitungen einen starken Anklang an eine
pentatonische Collection auf D, in welche sie sich (bis auf das g‘) auch problemlos
einordnen lässt. Der harmonische Rhythmus bewegt sich halbtaktig: In der rechten
Hand befindet sich unter der Melodielinie ein ständiger „Motor“, der mit konstanten
Achtelbewegungen einen Stillstand der Musik (vor allem bei längeren Melodietönen)
verhindert. Diese Schicht bildet jeweils einen Teil der Harmonie, der in der linken
Hand durch Basstöne ergänzt wird, die sich im Viertelnoten-Rhyhtmus auf und ab
bewegen. Insgesamt wird dadurch die harmonische Fortschreitung G – Cmaj7 – hm7
(als 56-Akkord) – em7 gebildet.

Abb. 1: Takt 1-2 mit Vorstellung der verschiedenen „Schichten“

Diese Schichtweise Stimmverteilung sowie die Melodieführung, die durch ihre legato-
Melodik eher an ein Blasinstrument oder Streicher erinnert, zeigen bereits die
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

orchestrale Denkweise Ravels, die sich durch seine eigene Orchesterbearbeitung 11


Jahre später bestätigen soll. Es folgt eine diatonisch angepasste Imitation der
Melodie auf h (dadurch nun mit einem etwas weniger pentatonischen Charakter), die
ab der Hälfte des 4. Taktes in eine Verdichtung bzw. Fortspinnung bis Takt 6 mündet.
Charakteristisch für diese 3 Takte ist einerseits der harmonische diatonische
Quintfall, der sich ab der zweiten Hälfte von Takt 3 von am 7 bis f#Ø am Ende von Takt
5 erstreckt. Des Weiteren fällt die charakteristische Bassfigur auf, die ab der 3.
Zählzeit in Takt 2 jeweils auf die unbetonten Zählzeiten die Harmonien durch
akkordeigene Septimen einfärbt.

Abb.2: Takt 3-6, Harmonischer Quintfall in Septakkorden

Die Fortspinnung endet in Takt 6 mit der Harmonie hm, wobei durch das diatonische
Umfeld von G-Dur ein modaler Charakter (h-phrygisch) erzeugt wird. Dieser
kadenzartige Teilschluss deutet bereits voraus auf den folgenden Teil b, in dem h-
moll ein zentraler Bestandteil sein soll. Anschließend wird die melodische Wendung
a‘-f#‘-e‘-f#‘ mit den stark verdichteten begleitenden Harmonien F#Ø – Gmaj7 - F#Ø –
hm wiederholt. Bei Takt 7 handelt es sich um eine Art „eingeschobenen“ Takt, in dem
die Melodie nach dem f#‘ auf h‘ verweilt und auch der stetige Achtelpuls erstmals
stillsteht. Danach wird über einen schnell arpeggierten Cmaj7-Akkord auf den zweiten
Teil des Themas übergeleitet. Durch den Basston A1 ergibt sich mit der Cmaj-
Harmonie in der rechten Hand und dem zentralen Melodieton h‘ insgesamt am 9.
Diese Harmonie wird durch die parallele Führung der übrigen Stimmen zunehmend
verunklart (bzw. anhand des Tonvorrates zu am11 erweitert). Der Rhythmus der
Melodie erinnert wiederum stark an den Anfang, nimmt aber im folgenden Takt einen
Viertelnoten-Rhythmus an; außerdem erhält die Melodie nun eine
„Tenorverdopplung“, die in Takt 8 und 9 eine Oktave tiefer mitläuft. Durch den
Bordun-Bass auf D entsteht in Takt 9 eine D9-Harmonie. Es fällt also auf, dass die
anfängliche Septakkord-Harmonik zunehmend erweitert wird bzw. in den
Oberstimmen die Harmonien zunehmend unklarer zu bestimmen werden, jedoch mit
langen und tiefen Basstönen wiederum eine Ordnung geschaffen wird. In Takt 10
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

folgt ein Trugschluss auf e-moll. Im pianissimo bewegt sich die Melodie anschließend
in 3 Oktaven (Große, kleine und eingestrichene Oktave) weiter mit der Phrase E-D-
G-F#-E, wobei die Melodie nun nicht mehr die Oberstimme bildet. In Verbindung mit
der dezenten Oberstimme bildet diese Phrase eine mehrfache Reminiszenz an den
vorhergegangenen Trugschluss, wobei die mehrfache (Quasi-) Wiederholung von D
und e-moll in Verbindung einen modalen Charakter erzeugt, der an e-dorisch
erinnert. In Takt 11 folgt nun der bis dahin dynamische Höhepunkt, der außerdem die
vorherige dorische Phrase zu einer Entwicklung führt: Auf die dritte Zählzeit wird ein
E9-Akkord gebildet, wobei die None durch den Ton fis, der in der Oberstimme liegt,
besonders hervorgehoben wird. Die Terz gis des Akkordes stellt des Weiteren die
erste nicht diatonische Note im Stück dar, was diesem Takt zunehmend Gewicht
verleiht. Dieser Akkord wird darauf nach der Dauer einer Viertelnote um einen
Ganzton nach unten verschoben, woraus sich ein D9 ergibt. Von diesem aus bildet
die unter der Melodie liegende Mittelstimme mit einer den Ton h umkreisenden
Achteltriole die Verbindung zur Harmonie hm, die in Takt 12 eine halbe Note lang
stehen bleibt. Auch triolische Bewegungen waren bis hier im Stück nicht vorhanden,
und sind neben der Angabe „En élargissant“ (in etwa „Weit“/“Langgezogen“) ein
weiterer Indikator für die Bedeutung dieses letzten Thementaktes und den Umbruch,
der hier stattfindet.

Abb. 3: Takt 11-12, dynamischer Höhepunkt und Ende des Themas

In Takt 12 leitet ein in Achtelnoten gebrochener, aufsteigender h-moll-Akkord in den


nächsten Teil (b) über. Dieser Teil wird mit der Anweisung „Très lointain“ begonnen,
was mit „sehr entfernt“ übersetzt werden kann. In Verbindung mit der
Dynamikangabe „pp“ wird damit wird bereits auf die melancholische, getrübte, etwas
ungewisse Stimmung hingedeutet, die in den folgenden Takten durch verschiedene
Mittel etabliert wird. In Takt 13 bildet der Bass mit halbtaktig angeschlagenen
Oktaven auf H1 einen Orgelpunkt, der mit wechselndem Rhythmus von zwei halben
und einer ganzen Note bis Takt 16 bestehen bleibt. Über diesem bewegen sich die
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

mit engen Akkorden im Achtelpuls treibende Harmonie und die eng in der
zweigestrichenen Oktave geführte Melodie zunächst zwischen h-moll und G-Dur,
wobei durch den Bass stehts der Eindruck von hm7 (mit verschiedenen
Vorhalten/Zwischentönen) bestehen bleibt. Im folgenden Takt 14 wechselt die
Harmonie zu einem e-moll-Quartsextakkord, der in der Melodie zunächst durch die
Septime, anschließend durch die große Sexte c#‘‘ erweitert wird. Cis suggeriert als
nicht diatonischer Ton eine „Wegbewegung“ vom G-Dur-Umfeld; naheliegend wäre
h-moll als neue, temporäre Tonart. Der nächste Takt schwankt harmonisch zwischen
hm7 und em, während die Melodie in kleinen Schritten um d‘‘ kreist. Takt 16 bestätigt
wiederum cis als festen Bestandteil der tonalen Umgebung; diesmal in den
Mittelstimmen, wodurch ab der dritten Zählzeit in Kombination mit h-moll wieder eine
Erweiterung der Septakkord-Harmonik (hm9) stattfindet. Im folgenden Takt 17 bewegt
sich der Orgelpunkt im Bass nun abwärts zu A-1; darüber bilden sich die Harmonien
Dmaj7 sowie hm7. Nach diesen 5 etwas „dahintreibenden“ Takten folgt nun ein 2-
taktiger, einerseits kadenzartiger und andererseits recht thematischer Abschnitt. Alle
Stimmen bilden hierbei einen homophonen Satz: Im Bass parallele
Quintbewegungen als Fundament, und in den Oberstimmen dreistimmige Akkorde,
die sich stets in Gegenrichtung bewegen. Die Harmonien em 9 – A9 – D bilden gleiche
eine sehr eindeutige authentische Kadenz, die damit im starken Kontrast zu den
vorhergegangenen Takten steht. Die Dominante A9 ist zwar terzlos, aufgrund des
starken Fundamentes und der vorher mehrfachen Einführung des Tones cis aber
recht eindeutig als solche zu deuten. Nach einer Rückwärtsbewegung dieser
Harmonieverbindung in Achtelnoten folgt im auf zwei Viertelnoten verkürzten Takt 19
die erneute Bestätigung A9 – D.
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

Abb. 4: Takt 13-19, Beginn von Abschnitt b mit Orgelpunkten, engen Harmonien und abschließender
Kadenz

Ab Takt 20 folgt eine Wiederholung der Takte 13-14, wobei sich nur die Bassführung
unterscheidet: In Takt 20 bleibt dieser entsprechend der Harmonie ebenfalls auf H
liegen (ganze Note anstatt zweier halben). In Takt 21 jedoch bewegt er sich nach E,
wodurch jetzt e-moll als Grundstellung statt als Quartsextakkord auftritt. Der folgende
Takt beinhaltet durch den veränderten Basston A nun eine terzlose A 9-Harmonie
entsprechend der Kadenz in Takt 18/19. Takt 23 bringt nun erstmals einen
Dominantseptakkord auf A inklusive Terz, der sich nach D7 auflöst. Dieser Quintfall
wird fortgeführt nach Gmaj7, das mit Quartvorhalt (und Auflösung) in Takt 24 erscheint.
Die Oberstimmen bleiben nach wie vor gleich entsprechend den Takten 13-17; alle
neuen Harmonien ergeben sich nur aufgrund der veränderten Basstöne. Der
Abschnitt wirkt daher wie eine Auflösung der vorher etwas rätselhaften Passage, die
durch die „erklärende“ Kadenz dazwischen in ein klareres Licht gerückt wurde. Über
h-moll wird nun in Takt 25 in die Wiederholung des kadenziellen Abschnittes geführt,
der aber nun mit volleren, kräftigeren Harmonien erscheint. Nun besteht die Kadenz
aus E9 – A9 – D6, wobei E9 das vorher fehlende cis bereits ankündigend für A9
bereithält. Durch das auf die Kadenz hinführende, eingeschobene h-moll bildet sich
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

mit hm - E9 - A9 außerdem eine Art zweite Kadenz, die den A9-Akkord noch
zusätzlich hervorhebt. Nach dem bereits bekannten harmonischen Einpendeln der
Kadenz tritt diese ab der zweiten Hälfte von Takt 26 nochmals in veränderter Form
auf: Nun bewegen sich alle Stimmen parallel und bilden mit E9 – D9 – C9 – D9 – E9
eine Kette von ganztönig verschobenen Nonenakkorden. Diese münden in die mit
chromatischen Durchgangsnoten verbundenen Harmonien G7 – D7, die Teil b
abschließen. Diese abschließenden Takte 26/27 bilden sowohl einen zweiten
dynamischen Höhepunkt als auch den am dichtesten mit Akzidenzien gefüllten
Abschnitt; die Angabe „un peu plus lent“ („etwas langsamer“) gibt der Passage
zusätzliches Gewicht. Trotz aller Vorzeichen und Chromatik wird cis in diesem
schleichend wieder durch ein aufgelöstes c ersetzt, um auf den folgenden Teil a‘
hinzuleiten, der wieder mit dem melodischen und harmonischen (diatonischen)
Material des Themas vom Anfang arbeitet.

Abb. 5: Kadenzartiger Abschluss von Abschnitt b

Ab Takt 28 wird nun das 11(,5) -taktige Thema vom Anfang in aufwärts oktavierter,
aber ansonsten identischer Fassung wiederholt; die Begleitung unterscheidet sich
allerdings in deutlicher Form vom Anfang. Das harmonische Fundament in der linken
Hand gestaltet sich nun deutlich weniger minimalistisch: es werden Akkorde in weiter
Lage notiert, die im Viertelrhythmus abwechselnd in tiefer Lage arpeggiert und in
etwas höherer (Tenor-) Lage non arpeggio gespielt werden.

Abb. 6: Takt 28-29, Reprise des Themas mit variierter Begleitung (a‘)
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

Gemeinsam mit dem nun ebenfalls aufwärts oktavierten „Achtelnoten-Motor“ und der
neuen Unterstimme in der rechten Hand, die sich ebenfalls im Viertelrhythmus
bewegt, bilden sie zunächst die gleichen Harmonien wie in Teil a, die sich nun aber
über einen größeren Ambitus erstrecken. Ab der zweiten Hälfte von Takt 30 findet
sich nun eine Veränderung in den Harmonien: anstelle der diatonischen
Quintfallsequenz, die sich ursprünglich über 2,5 Takte von am 7 bis hm erstreckte, tritt
nun eine harmonische Sequenz aus aufsteigenden Sekunden und absteigenden
Terzen (jeweils diatonisch) in stetiger Abwechslung, wobei Ausgangspunkt und Ziel
der Sequenz gleich bleiben.

Abb. 7: Takt 30-33, variierte harmonische Sequenz

Die folgenden 4 Takte 34-37 entsprechen harmonisch wieder Teil a, wobei die nun
oftmals volleren Harmonien die Akkorde deutlicher und weniger verschwommen
erscheinen lassen (z.B. a-moll in Takt 35). Takt 38 bringt mit fortissimo einen neuen
(und nach dem pianissimo im vorausgehenden Takt sehr plötzlichen) dynamischen
Höhepunkt (als Steigerung des forte in Teil a). Hier wird nun auch der Ton d‘‘ mit
anschließender Achteltriole c‘‘-h‘-a‘ als fester Melodiebestandteil herausgearbeitet,
die vorher durch ihre Lage nicht klar als solcher festzustellen waren. Die
Themenwiederholung endet nun auf einem Gmaj7-Akkord. Die abweichende
Schlussharmonie lässt sich mit dem Anschluss an den nächsten Teil c erklären:
dieser beginnt in Takt 40 mit einer pentatonischen Linie in g-moll, die in hoher Lage
(ein- und zweigestrichene Oktave) aufsteigt und zusammen mit begleitenden
Intervallen nach und nach eine gm7-Harmonie bildet. Ab der Takthälfte tritt vermehrt
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

der Ton e‘‘ auf, wodurch in Verbindung mit der g-moll-Umgebung ein Gefühl von g-
dorisch entsteht. In der linken Hand, die nun auch recht hoch in zwei- und
eingestrichener Oktave gesetzt ist, erscheint währenddessen ein kleines Motiv, das
aus zwei Viertelnoten und einer Achteltriole besteht. Ab ca. der Hälfte von Takt 41
setzt nun ein (wieder tieferer) Bordun-Bass auf g ein. Darüber bewegt sich die rechte
Hand in dreistimmigen Akkorden zwischen F-Dur und d-moll, wobei auch das Motiv
der 2 geraden Viertel (hier 2 Achtelpaare) und der anschließenden Achteltriole
rhythmisch wieder aufgegriffen wird. Die Kombination von F-Dur-Harmonik über dem
G-Bordun (der aufgrund des Vorhergegangenen g-moll suggeriert) verstärkt die
modale Wirkung der Passage. In Takt 42 tritt ein aufgelöstes h auf, wodurch man nun
g-mixolydisch anstelle von g-dorisch vermuten könnte.

Abb. 8: Takt 40-43 (Beginn Teil c) mit neuer Motivik und neuem harmonischen Umfeld

Diese harmonische Zwiespältigkeit von linker und rechter Hand führt sich fort bis zur
Hälfte von Takt 43, wo nun durch die Auflösung von Generalvorzeichen f# und durch
die Harmonien, die stark an eine Kadenz G9 – C erinnern, ein diatonisches Umfeld
von C-Dur suggeriert wird. Dieses wird in Takt 44 direkt widerlegt: in der rechten
Hand bildet sich eine cm7-Harmonie, entsprechend der gm7-Harmonie ab Takt 40.
Die linke Hand bewegt sich in Gegenläufigen Achtelnoten-Linien abwärts. Wiederum
wird ein modales Umfeld von c-dorisch erzeugt; dieses wirkt außerdem wie eine
Bekräftigung der vorher omnipräsenten g-moll-Harmonie, die sich nun als temporäre
Tonart g-moll manifestiert. Entsprechend zu vorher wird durch einen Bordun-Bass
auf C in der linken und abwechselnde g-moll- und B-Dur-Harmonien in der rechten
Hand das modale Umfeld „bestätigt“; auch die Auflösung der Mollterz es nach e
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

wiederholt sich im neuen Kontext von c-dorisch (-> c-mixolydisch). In Takt 47 beginnt
eine Absteigende Linie in Oktaven, die von Harmonien auf schweren Zählzeiten
ergänzt wird. Insgesamt ergibt sich als harmonisches Gerüst der Quintanstieg B – F
– C (B wird durch einen Bordun auf C nachträglich zu C9 umgedeutet, durch den
vorherigen Kontext kann der Akkord aber noch als B verstanden werden), der mit
zahlreichen Vorhalten und chromatischen Durchgängen ausgeschmückt ist. Im
verkürzten Takt 49 resultiert diese in der authentischen Kadenz D7 – gm, welche die
Wiederholung des Anfangs von Teil b einleitet. Die Angabe „Très grave“ („sehr
schwer“) manifestiert den abschließenden Charakter dieser sehr klaren
authentischen Kadenz, die im Kontrast zur starken Vorhalts-Harmonik und Chromatik
im vorherigen Takt steht.

Abb. 9: Takt 47-48, Harmonischer Quintantstieg mit anschließender Kadenz

Die 10 vorhergegangenen Takte werden nun relativ exakt wiederholt; entscheidender


Unterschied sind eingeschobene, weitläufige und schnell arpeggierte Akkorde, die
sich vereinzelt innerhalb der Harmonien „einfädeln“. Diese erzeugen in Verbindung
mit der sehr leisen Dynamik einen zerbrechlichen, harfenähnlichen Klang. Ab Takt 60
beginnt nun der letzte Teil a‘‘ des Stückes. Dieser wiederholt zum dritten Mal das
Thema, wiederum mit variierter Begleitung: Die nach oben oktavierte Melodie sowie
die (teils arpeggierten) Akkorde in der linken Hand werden von Variante a‘
übernommen. Entscheidend ist die Begleitstimme in der rechten Hand; diese bewegt
sich nun anstelle von Achtelnoten im Sechzentelrhythmus. Diese Beschleunigung auf
bisher nicht dagewesenes Sechzehntel-Tempo in Kombination mit den weiten
Begleitakkorden stellt eine Kulmination dar, die das nun bereits gut bekannte Thema
etwas fließender und versierter darstellt als z.B. die noch etwas zögerlichere Variante
am Anfang.
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

Abb. 10: Takt 60-61, zweite Themenreprise a‘‘ mit beschleunigter Begleitung

Nach 6 Takten Thema kommt die Melodie wiederum auf dem Ton h zur Ruhe. Nach
diesem h-moll-Takt, der auch schon bei den vorherigen Themeneinsätzen als
Ruhepol und Bindeglied zwischen den Thementeilen fungierte, werden die restlichen
5 Takte des Themas wiederholt, nun allerdings wieder in gewohntem Achtelrhyhtmus
und zunächst identisch wie in a‘. Beim dynamischen Höhepunkt in Takt 70 (nun
zunächst wieder forte anstelle von fortissimo) treten die Harmonien E9 und D9 nun in
„größerer“ Form als je zuvor auf: Die Akkorde erstrecken sich nun über 3,5 und 4
Oktaven, wobei die Melodie in den Mittelstimmen in 2 Oktaven verläuft. Nach einem
arpeggierten Gmaj7-Akkord, der sich über 4,5 Oktaven erstreckt, wird nun mit den
letzten beiden Melodietönen e und f, die im fortissimo und in 3 tiefen Oktaven
platziert werden, das Thema beendet. Anschließend beendet eine ebenso groß
aufgefächerte Quinte G-D das Stück mit einer Fermate.

Abb. 11: abschließende Takte 69-72

Fazit

Die Pavane dient als wunderbare Demonstration für Ravels sehr eigene
Musiksprache. Die etwas verwaschenen Akkorde, bei denen z.B. durch Orgelpunkte
die Grenze zwischen Akkorderweiterungen und Durchgangstönen verschwimmt, sind
ebenso charakteristisch wie die teils modale, teils in pentatonischen Collections
gedachte und durchgeführte harmonische Sprache. Im historischen Musikverlauf
betrachtet erinnert die konsequente Septakkord-Harmonik ein wenig an die
Musiksprache des Jazz, der kurze Zeit später seine Erfolgsgeschichte beginnt; daran
Seminararbeit Analyse II Veit Vergara

kann die große Zukunftstauglichkeit für ein großes Publikum bereits abgelesen
werden. Zudem steht die Musik in impressionistischer Tradition, welche für das
Publikum eine traditionellere, etwas gediegenere Richtung entgegen dem
Expressionismus und avantgardistischen Strömungen darstellt. Ravel schafft es
zudem alles, was ihn auszeichnet, in einem relativ leicht zu spielenden Klavierstück
zu verpacken, was der großen Beliebtheit nur zugutekommt.

Literaturverzeichnis
Walther, Johann Gottfried: Musicalisches Lexicon Oder Musicalische Bibliothec. Darinnen nicht allein
Die Musici, welche so wol in alten als neuern Zeiten, ingleichen bey verschiedenen Nationen, durch
Theorie und Praxin sich hervor gethan, und was von jedem bekannt worden, oder er in Schrifften
hinterlassen, mit allem Fleisse und nach den vornehmsten Umständen angeführet, Sondern auch Die
in Griechischer, Lateinischer, Italiänischer und Frantzösischer Sprache gebräuchliche Musicalische
Kunst- oder sonst dahin gehörige Wörter, nach Alphabetischer Ordnung vorgetragen und erkläret,
Und zugleich die meisten vorkommende Signaturen erläutert werden, Leipzig: 1732.

Das könnte Ihnen auch gefallen