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Newtonsche Axiome

1.1 Formulierung der Newtonschen Axiome

Im Folgenden müssen wir zwei Begriffe einführen: Kraft und Masse.


Die Kraft wird über ihre Wirkung definiert, also die Änderung des Bewe-
gungszustands oder der Gestalt eines Körpers. Sie ist eine vektorielle Größe.1 1
Vektorielle Größen haben einen
Wir definieren zudem einen kräftefreien Körper als einen Körper, der jeder Betrag und eine Richtung. Sie
werden häufig durch einen Pfeil
äußeren Einwirkung entzogen ist. über dem jeweiligen Symbol oder
durch Fettdruck gekennzeichnet:
~v = v.

1.1.1 1. Newtonsches Axiom (Galileisches Trägheitsgesetz)

Definition 1: Inertialsysteme

Es gibt Koordinatensysteme, in denen ein kräftefreier Körper sich


geradlinig gleichförmig bewegt oder ruht. Diese Koordinatensysteme
werden als Inertialsysteme bezeichnet.

historische Formulierung
Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der geradlinig gleichför-
migen Bewegung, solange keine Kraft auf ihn einwirkt.

Problem: Begriff der Kraft noch nicht eingeführt und Angabe des Koordina-
tensystems fehlt.

Wir betrachten ab jetzt Inertialsysteme, in denen die Einwirkung einer


Kraft zu einer Bewegungsänderung führt. Zudem betrachten wir idealisier-
te, punktförmige Systeme (Massenpunkte), für die wir die exakte Position im
Inertialsystem, sowie ihre Geschwindigkeit und Beschleunigung zu einer
bestimmten Zeit t exakt bestimmen können.2 2
Hierauf werden wir im nächsten
Die Trägheit eines Körpers wird durch die träge Masse mt bestimmt. Damit Kapitel genauer eingehen.

können wir nun den Impuls einführen.3 3


Umgangssprachlich wird der
Impuls häufig als Wucht oder
Schwung bezeichnet.
8 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Definition 2: Impuls

~p = mt~v
~p: Impuls, mt : träge Masse, ~v: Geschwindigkeit

1.1.2 2. Newtonsches Axiom (Bewegungsgesetz)

Definition 3: Bewegungsgesetz

Die zeitliche Änderung des Impulses eines Körpers ist gleich der auf
ihn wirkenden Kraft
~F = d ~p = ~p˙
dt

Für den Fall, dass mt zeitlich konstant ist (ṁt = 0,)


4
Wir haben hier den Ortsvektor ~r gilt ~F = mt ~r¨ = mt ~a.4
eingeführt, der die Positions eines
Körpers in einem Koordinatensys- Bemerkung
tem angibt. Die Geschwindigkeit
~v und die Beschluunigung ~a, sind
als zeitliche Ableitungen dieses • gilt nur im Inertialsystem
Ortsvektors definiert:
~v = ~r˙ • Masse m und Kraft ~F sind noch nicht definiert
~a = ~r¨

1.1.3 3. Newtonsches Axiom (actio = reactio)

Definition 4: actio = reactio

Übt ein Körper 1 auf einen Körper 2 die Kraft ~F12 aus, so übt der
Körper 2 auf den Körper 1 die Kraft ~F21 aus, wobei gilt ~F12 = −~F21

Beispiel: Kugel auf Boden

1
~F21

2
~F12

Abbildung 1.1 – Eine Kugel (Körper 1) übt auf den Boden (Körper 2) die Kraft
~F12 aus. Das 3. Newtonsche Axiom lehrt uns, dass die Kugel die Kraft ~F21 erfährt,
welche der von ihr ausgeübten Kraft genau entgegengesetzt ist.
newtonsche axiome 9

Folgerung: Damit ist nun die Definition der Masse möglich!


Für zwei konstante Massen mt,1 und mt,2 :

~F12 = mt,2~a2 = −~F21 = −mt,1~a1


mt,1 |~a |
⇒ = 2
mt,2 |~a1 |

Wir können das Verhältnis der Massen nun über eine Messung der Be-
schleunigungen der Körper 1 und 2 messen. Damit ist nun eine Definition
der Kraft über das 2. Newtonsche Axiom möglich.
Dass lediglich das Massenverhältnis zugänglich ist, ist bei physikalischen
Größen mit einer Einheit normal. Die Angabe m = x kg z.B. bedeutet ein
Verhältnis von x zur Referenzmasse Kilogramm (bis 20.05.2019 durchs Urki-
logramm, ein Platin-Iridium-Zylinder, definiert).

1.1.4 4. Newtonsches Axiom (Superpositionsprinzip)

Definition 5: Superpositionsprinzip

Kräfte addieren sich wie Vektoren


~FGes = ∑in=1 ~Fi

1.2 Wichtige Kräfte

• Gewichtskraft, Schwerkraft5 5
Aus der Erfahrung wissen wir
ms = mt := m. Äquivalenz von
träger und schwere Masse.
~F = ms~g
ms : schwere Masse, ~g: Erdbeschleunigung | g| = 9.81 sm2

Die resultierende Beschleunigung eines Körpers der trägen Masse mt ist


damit gemäß dem 2. Newtonschen Axoim
ms
~a = ~g .
mt
Wären die eigentlich konzeptionell verschiedenen Massebegriffe (mt :
Widerstand gegen Beschleunigung, ms : „Gewichtsladung“) tatsächlich
unabhänigige Eigenschaften, so müsste man Körper finden können,
die (ohne Luftreibung) unterschiedlich schnell fallen. Schon Galileis
Experimente kamen zum gegenteiligen Ergebnis, welches bis heute Gül-
tigkeit hat: Im Vakuum fallen alle Körper (am selben Ort auf der Er-
de) gleich schnell. Daher ab jetzt keine Unterscheidung mehr, sondern
mt = ms = m. (s. auch https://www.einstein-online.info/spotlight/
traegeschwere)
10 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

• Gravitationskraft
Kraft, welche von einem im Ursprung (~R = ~0) befindlichen Körper mit
Masse M auf einen bei ~r befindlichen Körper der Masse m ausgeübt
wird.

~F = − G Mm ~r
r2 r
2
Gravitationskonstante G = 6.673 · 10−11 Nm2 und r = |~r |
kg

• Coulombkraft zwischen Punktladungen


Kraft, welche von einer im Ursprung (~R = ~0) befindlichen Ladung Q auf
eine bei ~r befindlichen Ladung q ausgeübt wird.

~F = 1 Qq ~r
4πe0 r2 r
C2
Dielektrizitätskonstante e0 = 8.85 · 10−12
Nm2

• Reibungskräfte (siehe Abschnitt 2.2.3)

~F = − f (~v)~v
mit f (~v) > 0 → Kraft ist der Geschwindigkeit entgegengerichtet

Körper im Medium
6
Den Betrag der Geschwindigkeit Stokessche Reibung:6 f (~v) = α ⇒ |~F | = αv
|~v| haben wir hier mit v abgekürzt. Newtonsche Reibung: f (~v) = βv ⇒ |~F | = βv2
Vergleiche: |~r | = r.
Körper auf Oberfläche
7
Später werden wir sehen, dass Gleitreibung:7 f (~v) = γv ⇒ |~F | = γ
γ = µmg ist, wobei µ der Gleitrei-
bungskoeffizient, m die Masse des
Körpers und g die Erdbeschleuni-
gung kennzeichnen. Anders als die Naturkonstante G enthalten die Koeffizienten α, β, γ Eigen-
schaften der beteiligten Körper, Materialien bzw. Bedingungen.

1.3 Beispiele für Nicht-/Inertialsysteme

(wird nachgeliefert)
newtonsche axiome 11

1.4 Beispiele für die Anwendung der Newtonschen Axiome

~FG = m~g : Gewichtskraft auf Klotz


~FHK
~FH
~FH : Kraft auf Halterung an Decke
m
~FHK : Kraft der Halterung auf Klotz
~FG

Abbildung 1.2 – Beispiel eines Systems bei dem ein Klotz der Masse m an einem
Seil von der Decke hängt.

Wenn sich der Klotz in Ruhe befindet haben wir ein Kräftegleichgewicht
und es muss gelten: ~FG + ~FHK = ~0 .
Mit dem 3. Newtonschen Axiom (actio = reactio) ergibt sich
~FH = −~FHK .

Definition 6: Seilspannung

Die Seilspannung FS ist definiert als FS = |~FH | = |~FHK |.

Sie beschreibt den Betrag der Kraft


des einen Seilstücks auf das andere

In einem masselosen Seil (Idealisierung) ist sie überall gleich.

m~g
−m~g actio = reactio

Seilspannung konstant

m~g/2 m~g/2
actio = reactio
−m~g/2 −m~g/2

m~g
12 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Abbildung 1.3 – Beispiel eines Systems, bei dem ein Klotz der Masse m über eine
masselose Rolle und Seile mit der Decke verbunden ist.

Die auf den Klotz wirkende Kraft berechnet sich zu


~F = m~g − m~g/2 − m~g/2 = ~0 . Der Klotz befindet sich also in Ruhe.
Sobald die Seile jedoch durchgeschnitten werden ist die wirkende Kraft
~F = m~g → ~a = ~F/m = ~g (der Klotz beschleunigt)
2
Eindimensionale Bewegung eines Massen-
punktes

Zunächst genügen wir uns mit der Betrachtung der Bewegung eines Mas-
senpunktes in nur eine Raumrichtung.1 1
Durch die Betrachtung nur einer
Raumrichtung haben wir es nun
x wieder mit skalaren statt mit
0 vektoriellen Größen zu tun.

Wir definieren nun folgende Größen, die wir für die Beschreibung der Be-
wegung benötigen:
Ort: x (t)
d
Geschwindigkeit: v(t) = dt x (t) = ẋ (t)
Beschleunigung: a(t) = v̇(t) = ẍ (t)
Impuls: p(t) = mv(t) = m ẋ (t)
Zudem rufen wir uns das 2. Newtonsche Axiom in Erinnerung
F (t) = ṗ(t)
Da unsere Raumkoordinate x wie oben angegeben von links nach rechts
gerichtet ist bedeuten
v, a, p, F > 0 nach rechts gerichtete Größen und
v, a, p, F < 0 nach links gerichtete Größen.

2.1 M: Grenzwert, Stetigkeit, Differenzieren und Integrieren einer Funk-


tion

Bevor wir uns intensiver mit der Mechanik der eindimensionalen Bewegung
eines Massenpunktes befassen können, müssen wir einige mathematische
Begriffe einführen.

2.1.1 M: Zahlbereiche und Mengen


Wir teilen die Menge aller Zahlen in verschiedene Zahlbereiche ein. Unter
einer Menge wollen wir die gedankliche Zusammenfassung unterscheid-
barer Elemente verstehen, wobei die Elemente in unserem Fall Zahlen sind.
14 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Mengen kennzeichnen wir entweder mit Großbuchstaben oder sie bekom-


men eigene Bezeichnungen. Wenn wir ausdrücken wollen, dass ein Element
m zur Menge M gehört schreiben wir m ∈ M, ist m hingegen nicht in M
enthalten kennzeichnen wir dies mit m ∈
/ M.
Folgende Zahlbereiche erhalten eigene Symbole

• Die Menge N der natürlichen Zahlen (exklusive 0) {1, 2, 3, . . .}.


Addition: n, m ∈ N → (n + m) ∈ N
Subtraktion: x = n − m. Im Allgemeinen ist n − m ∈ /N

• Die Menge N0 der natürlichen Zahlen (inklusive 0) {0, 1, 2, 3, . . .}.

• Die Menge Z der ganzen Zahlen {. . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . .}.


Multiplikation: n, m ∈ Z → (n · m) ∈ Z
n
Division: x = m (für m 6= 0). Im Allgemeinen ist n
m /Z

• Die Menge Q = m | n ∈ Z, m ∈ N der rationalen Zahlen, also aller


n

Zahlen, die sich als Bruch, dessen Zähler und Nenner eine ganze Zahl
sind, schreiben lassen.
Potenzierung: q ∈ Q → q2 ∈ Q
√ √
Wurzel: x = ± q (für q ≥ 0). Im Allgemeinen ist q ∈ /Q

• Die Menge R der reellen Zahlen, die neben den rationalen Zahlen auch die
irrationalen Zahlen, beinhalten, die wir hier nicht separat aufführen. Die
Kreiszahl π = 3, 1416 . . . und die Eulersche Zahl e = 2, 7183 . . . sind für die
Physik bedeutende Beispiele reeller (und irrationaler) Zahlen. Die reellen
Zahlen bilden eine kontinuierliche Zahlengerade.
Für x ∈ R → x2 = −1 gibt es keine Lösung x ∈ R

• Zudem werden wir in Abschnitt 2.3.2.2 die komplexen Zahlen kennen


lernen, deren Menge wir mit C kennzeichnen.

Damit haben wir auch schon die Mengenklammer {. . .} eingeführt, die wir
verwenden, um die Elemente einer Menge aufzulisten. Wenn wir die Teil-
menge aller Elemente x ∈ M kennzeichnen möchten, für die eine Aussage
E( x ) erfüllt ist, schreiben wir:
{ x ∈ M | E( x )}.
Beispiele hierfür sind:

1. { x ∈ R | x2 − 4x = 0} = {0, 4}

2. { x2 | x ∈ Z} = {0, 1, 4, 9, . . .}

Im zweiten Beispiel haben wir den Fall eingeführt, dass f ( x ) ein Funktions-
ausdruck ist (hier: f ( x ) = x2 ), so dass der Ausdruck { f ( x ) | x ∈ M } die
Menge aller Zahlen der Form f ( x ) beschreibt, wobei x ∈ M gilt.
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 15

2.1.2 M: Zahlenfolgen und Grenzwerte


Eine Folge von reellen Zahlen

a1 , a2 , a3 . . . a n , . . . mit an ∈ R , (2.1)

welche mit einer Vorschrift f für jedes n ∈ N erzeugt werden, bezeichnen


wir als Zahlenfolge und verwenden die Schreibweise ( an ). Damit is eine
Zahlenfolge eine Abbildung der natürlichen Zahlen N auf den Körper der
reellen Zahlen R

f : n ∈ N → an ∈ R . (2.2)

Beispiele für Zahlenfolgen sind


1 1
• an = n ( n +1)
→ a1 = 1·2 = 12 , a2 = 1
2·3 = 16 , a3 = 1
3·4 = 1
12 ...

1 1 1
• an = 1 + n → a1 = 1 + 1 = 2, a2 = 1 + 2 = 32 , a3 = 1 + 1
3 = 4
3 ... .

Strebt eine Zahlenfolge ( an ) für n → ∞ gegen einen endlichen Wert a,


so bezeichnen wir a als Grenzwert oder Limes. Dies können wir wie folgt
schreiben

lim an = a (2.3)
n→∞

oder in Kurzform
n→∞
an −→ a .

Definition 7: Grenzwerte von Zahlenfolgen

Die Zahlenfolge (an ) konvergiert gegen den Grenzwert a,


n→∞
an −→ a bzw. lim an = a, wenn für alle Werte e > 0 ein n0 existiert,
n→∞
so dass für alle n mit n ≥ n0 gilt: | an − a| < e .

Definition 8: Divergenz von Zahlenfolgen

Eine Zahlenfolge ist divergent, wenn sie nicht konvergent ist.

Beispiele

• (n) = (1, 2, 3, 4, . . .) divergent (geht gegen ∞)


   
• n1 = 1, 12 , 13 , 41 , . . . → 0 (Nullfolge)

• ((−1)n ) = (−1, 1, −1, 1, . . .) divergent

• (2) = (2, 2, 2, . . .) → 2 (konstante Folge)


16 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

• (qn ) = (q, q2 , q3 , q4 , . . .)
→ 0 für |q| < 1
→ 1 für q = 1
divergent für q = −1
divergent für |q| > 1
n  

1
  4 3 5 4
3 2
• 1+ n = 2, 2 , 3 , 4 , . . .

→ e = 2, 71828 . . . (Eulersche Zahl)

Rechenregeln für Zahlenfolgen


Sei lim an = a und lim bn = b, dann gilt:
n→∞ n→∞

• lim ( an ± bn ) = a ± b
n→∞

• lim (can ) = c · a für c ∈ R


n→∞

• lim ( an · bn ) = a · b
n→∞
 
an a
Wir erinnern uns, dass die Division • lim bn = b für b, bn 6= 0
n→∞
durch 0 nicht definiert ist.
Beispiel:
3n2 +2n+1
1
3+ n2 + 3+0+0
n2
lim 2 = lim 2 3 = 1+0+0 =3
n→∞ n +2n+3 n → ∞ 1+ n + n2

2.1.3 M: Reihen und Grenzwerte


Wir beginnen mit der Einführung einiger Begriffe:
m
(Partial-)Summe Sm = ∑ a n = a1 + a2 + a3 + . . . + a m (m Summanden)
n =1
Summenfolge: ( Sm ) = (∑mn =1 a n )

Reihe: ∑ an = „Summe mit unendlich vielen Summanden“
n =1
= Grenzwert der Folge (Sm )

Definition 9: Konvergenz und Divergenz von Reihen

Reihe ∑∞ m
n=1 an konvergiert gegen S, wenn lim ∑n=1 an = S. m→∞
Reihe ∑∞ m
n=1 an ist divergent, wenn die Folge ( Sm ) = ( ∑n=1 an ) diver-
giert.

Dazu eine Anmerkung:


Wenn ∑∞
n=1 an konvergent ist, dann gilt nlim an = 0 (Nullfolge).
→∞
Die
 Umkehrung gilt hingegen
 nicht, wie das Beispiel der harmonischen Reihe
∑∞
n =1
1
n = 1 + 21 + 13 + . . . zeigt. Diese Reihe ist divergent obwohl der
1
Grenzwert der harmonischen Folge gegen Null geht ( lim = 0).
n→∞ n
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 17

2.1.3.1 Beispiele:

• Zerlegung eines Quadrats

1
Fläche
1 = 2 + 41 + 18 + 1
16 + ...
1/2
→ 1 = ∑∞
n =1
1
2n
1
1/8
1/4
1/32
1/16

• Achilles und die Schildkröte

In diesem Paradoxon, welches auf den griechischen Philosophen Zenos


von Elea zurückgeht, versucht Achilles (A) eine Schildkröte (S) einzuho-
len, die mit einem Vorsprung s0,S startet.2 Wir setzen natürlich voraus, 2
Strecken kennzeichnen wir mit
dass Achilles schneller als die Schildkröte ist, also dass das Verhältnis s oder auch `, Geschwindigkeiten
mit v und Beschleunigungen mit
der Geschwindigkeiten q = vvS < 1 ist. Betrachten wir die Abstände a. Die Indizes werden wir je nach
A
zwischen Schildkröte und Achilles nun zu beliebigen Zeitintervallen t, Situation anpassen. Hier verwenden
wir einen Index für die jeweilige
scheint Achilles die Schildkröte nie einholen zu können, da die Schild- Teilstrecke, sowie einen Index (S
kröte ja zu dem Zeitpunkt, wo er an dem Punkt angekommen ist an dem oder A) für die Schildkröte oder
die Schildkröte gestartet ist, erneut einen Weg zurückgelegt hat. Somit Achilles.

wird der Abstand zwar immer kürzer, aber es scheint, als ob Achilles die
Schildkröte niemals einholen könnte. Dies ist natürlich ein Trugschluß
wie wir im Folgenden sehen werden und wir können für ein beliebiges
Verhältnis der Geschwindigkeiten q die Gesamtstrecke S berechnen, nach
der Achilles die Schildkröte eingeholt hat.
Start

`1,A `2,A `3,A `4,A


1 2 3 4 5
Achilles
Start

Vorsprung `0,S `1,S `2,S `3,S


0 1 2 3 4
Schildkröte

Um die Gesamtstrecke S zu berechnen, nach der Achilles die Schildkröte


einholt, schauen wir uns zunächst die einzelnen Teilstrecken genauer an.
18 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Schritt 0: Die Teilstrecke `0,S beschreibt den Vorsprung der Schildkröte


und damit gleichzeitig die erste Strecke die Achilles zurücklegen muss.

Schritt 1: Achilles legt die Teilstrecke `1,A und die Schildkröte die Teil-
3
Wir nutzen hier die Konstanz der strecke `1,S zurück. Mit `1,A = `0,S ergibt sich damit 3
Geschwindigkeiten. `1,S
`1,A = q ⇒ `1,S = q · `1,A = q · `0,S .

Schritt 2: Achilles legt die Teilstrecke `2,A und die Schildkröte die Teil-
strecke `2,S zurück. Mit `2,A = `1,S ergibt sich damit:
`2,S
`2,A= vvAS tt = q ⇒ `2,S = q · q · `1,A = q2 · `0,S , was erneut die Einheit einer
Strecke hat.

Wir erkennen, dass sich Achilles’ Gesamtstrecke über folgende Reihe


ergibt
(1 + q + q2 + q3 + ..)`0,S = `0,S · ∑∞
n =1 q
n −1 = ` ∞ n
0,S · ∑n=0 q = L A .
Die Teilstrecken (und damit die Abstände zwischen Achilles und Schild-
kröte) werden immer kürzer und ihre Summe läuft gegen den Grenzwert
L A , an dem Achilles die Schildkröte eingeholt hat. Die gezeigte Reihe ist
als geometrische Reihe bekannt und ist divergent für |q| ≥ 1. Da wir aber
vorausgesetzt hatten, dass Achilles schneller als die Schildkröte ist, gilt
immer q = vvS < 1 und die Reihe ist konvergent.
A
Wir könne einen Ausdruck für die Summe Sm = ∑m n−1 gewinnen:
n =1 q

S m + q m = S m +1 = 1 + q (1 + q + q 2 + · · · + q m −1 ) = 1 + q Sm
1 − qm
⇔ Sm (1 − q ) = 1 − q m ⇔ Sm =
1−q
Daraus ist noch mal ersichtlich, dass Konvergenz nur für q < 1 gegeben
ist, so dass limm→∞ qm = 0 gilt, und somit:

L A = `0,S · ∑∞ n −1 = `0,S
n =1 q 1− q für q < 1

Anschaulich ist an dem Ergebnis auch, dass je weniger sich die Ge-
schwindigkeiten unterscheiden (q nahe an 1, also 1 − q  1), der Nenner
immer kleiner und so die Strecke bis zum Überholpunkt immer größer
wird. Im gegenteiligen Extrem, der stationären Schildkröte (q = 0), wird
L A = `0,S , d.h. Achilles ist nach dem Durchlaufen des Vorsprungs bereits
am Überholpunkt.

• Riemannsche Zetafunktion

ζ (s) = ∑∞
n =1
1
ns konvergiert für s > 1

z.B. ζ (2) = ∑∞
n =1
1
n2
= 1 + 14 + 91 + 1
16 +... = π2
6
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 19

2.1.4 M: Funktionen und Grenzwerte, Stetigkeit


Im Folgenden möchten wir definieren, was genau eine Funktion ist, sowie
die Begriffe des Definitionsbereichs und des Wertebereichs einer Funktion
einführen. Im Anschluß führen wir dann die Begriffe des Grenzwertes und
der Stetigkeit einer Funktion ein. Das Symbol ⊆ kennzeichnet eine
Teilmenge/Untermenge.
Definition 10: Funktion f

Eine Funktion f ist die eindeutige Abbildung x → y = f ( x )

Definitionsbereich Wertebereich

x y = f (x)

x ∈ D ⊆ R, f : x → y = f (x) , y ∈ W ⊆ R

Definition 11: Grenzwert einer Funktion

Eine Funktion f ( x ) besitzt bei x0 einen Grenzwert f 0 , lim f ( x ) = f 0 ,


x → x0
wenn für jede Folge ( xn ) mit xn ∈ D und ( xn ) → x0 gilt,
dass ( f ( xn )) → f 0 . Diese Definition gilt auch für x0 = ±∞.

Definition 12: Stetigkeit einer Funktion

Eine Funktion f ( x ) ist stetig bei x0 , wenn lim f ( x ) existiert und


x → x0
dieser Grenzwert mit dem Funktionswert an dieser Stelle überein-
stimmt: lim f ( x ) = f ( x0 )
x → x0
20 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Beispiel:

f (x)

−∞ xa xb xc xd xe xf ∞ x

+ + + – + + – – Grenzwert existiert

+ + – – – – stetig

Die angegebene Funktion hat eine endliche Sprungstelle bei xc (xc ∈ D und
4
Die Superskripte + und − ge- lim 6= lim ),4 eine hebbare Unstetigkeitsstelle bei xd (xd ∈ D und lim =
ben an, ob wir den Grenzwert x → xc+ x → xc− x → xd+
von rechts kommend (also von lim aber lim 6= f ( xd )), eine Definitionslücke bei xe , sowie eine unendliche
positiven Werten) oder von links x → xd− x → xd
kommend (also von negativen Sprungstelle bei x f .
Werten), bestimmen.

weitere Beispiele:
√ √ √
x 2 +1−1 ( x 2 +1− 1)( x2 +1+1) x√2 +1−1
• lim = x 2 = lim √ = lim
x →0 x →0 x 2 ( x 2 +1+1 ) x →0 x 2 ( x 2 +1+1 )
1 1
= lim 2 √ =2
x →0 x +1+1

2
• lim = x x+21−1 = lim √ 2 1 =0
x →±∞ x →±∞ x +1+1

x 2 +1−1 x
• lim = x = lim √ = ±1
x →±∞ x →±∞ x 2 +1+1
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 21

2.1.5 M: Differenzieren einer Funktion

Definition 13: Differenzierbarkeit einer Funktion

Eine Funktion f ( x ) ist differenzierbar an der Stelle x0 , wenn der Diffe-


f ( x )− f ( x0 )
rentialquotient lim x − x0 existiert.
x → x0

f ( x ) − f ( x0 )

x0 x

x − x0 = ∆x

f ( x0 +∆x )− f ( x0 )

df f ( x )− f ( x0 )
f 0 ( x0 ) = dx x = lim x − x0 = lim ∆x heißt Ab-
0 x → x0 ∆x →0
leitung von f ( x ) and der Stelle x0 und beschreibt die Steigung der
Tangente.

Beispiele:

1−1
• f ( x ) = 1 −→ lim = lim 0
= 0 −→ f 0 ( x ) = 0
∆x →0 ∆x ∆x →0 ∆x

x0 +∆x − x0
• f ( x ) = x −→ lim ∆x = lim 1 = 1 −→ f 0 ( x ) = 1
∆x →0 ∆x →0

( x0 +∆x )2 − x02 x02 +2x0 ∆x +(∆x )2 − x02


• f ( x ) = x2 −→ lim ∆x = lim ∆x
∆x →0 ∆x →0

= lim (2x0 + ∆x ) = 2x0 −→ f 0 ( x ) = 2x


∆x →0

Höhere Ableitungen:

• y = f ( x ) = f (0) ( x )

• y0 = f 0 ( x ) = d
dx f ( x ) = f (1) ( x )
 
d2 0
• y00 = f 00 ( x ) = dx2
f ( x ) = f (2) ( x ) = d
dx f (1) ( x ) = ( y 0 )

bis zu
   0
dn +1 d
• y ( n +1) = f ( n +1) ( x ) = dx n+1
f (x) = dx f (n) ( x ) = y(n)

Übliche Notation bei Ableitungen nach der Zeit:


d2
f˙(t) = dt
d
f ( t ), f¨(t) = dt 2 f ( t ), etc.
22 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Vorgriff: Differentiationsregeln:

• konstanter Faktor

d f (x)
d
dx (c · f ( x )) = c dx mit c ∈ R

• Summenregel

d d f (x) dg( x )
dx ( f ( x ) + g( x )) = dx + dx

• Produktregel

d d f (x) dg( x )
dx ( f ( x ) · g( x )) = dx g ( x ) + f (x) dx

• Quotientenregel

d f (x) dg( x )
g( x )· dx − f ( x )· dx
 
d f (x)
dx g( x )
= g( x ) 2 mit g( x ) 6= 0

• Kettenregel
Die Hintereinanderausführung von y = g( x ), z = f (y) = f ( g( x ))
bezeichnet man als Verkettung der Funktionen, auch als f ◦ g geschrieben.

d df dg
dx f ( g( x )) = dy · dx
y= g( x )

df dg
Die Faktoren dy und dx bezeichnet man als äußere bzw. innere Ableitung.

Anwendungsbeispiele der Kettenregel:


Vorgriff:
d 1 1 d x
=− 2 , e = ex
dx x x dx
• Wir können aus der Produktregel und der Kettenregel die Quotientenre-
gel herleiten:
   
d f (x) d 1
= f (x)
dx g( x ) dx g( x )
P.-R. 0 1 d 1
= f (x) + f (x)
g( x ) dx g( x )
f 0 (x) − 1
K.-R.
= + f (x) g0 ( x )
g( x ) g( x )2 | {z }
| {z } innere
äußere
f 0 ( x ) g( x ) − f ( x ) g0 ( x )
=
g ( x )2
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 23

• Die Kettenregel ermöglicht die Berechnung der Ableitung von Umkehr-


funktionen, wie z.B.:

– g( x ) = ln( x ) (für x > 0) ist die Umkehrfunktion zu f ( x ) = e x

Die Ableitung können wir nun wie folgt berechnen:


d
f ( g( x )) = eln( x) = x | dx
d
→ eln(x) · dx (ln x ) =1 Siehe oben: d x
dx e = ex

d
→ x dx (ln x ) = 1

d 1
→ dx (ln x ) = x


– g( x ) = x (für x > 0) ist die Umkehrfunktion zu f ( x ) = x2

Auch hier können wir die Ableitung der Umkehrfunktion mit Hilfe
der Kettenregel berechnen:
√ 2 d
f ( g( x )) = x =x | dx
√ d √ 
→ 2 x dx x =1 Denn wir wissen: d 2
dy y = 2y

d √  1
→ dx x = √
2 x
24 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

2.1.6 M: Integrieren einer Funktion

Definition 14: Stammfunktion

Als Stammfunktion F ( x ) einer Funktion f ( x ) bezeichnen wir eine


Funktion für die gilt: F 0 ( x ) = f ( x ).

Differenzieren

F(x) f (x)

Integrieren
(Umkehrung der Differentiation)

Bemerkung: Die Stammfunktion F ( x ) ist für eine gegebene Funktion


d
f ( x ) nicht eindeutig bestimmt, da gilt dx ( F ( x ) + c ) = f ( x ),
wobei c eine beliebige Konstante sein kann.

Beispiele:

f (x) F(x)
1
xn n +1 x n +1 + c für n 6= −1
1
x ln | x | + c
ex ex + c

Definition 15: Bestimmtes Integral

Als bestimmtes Integral definieren wir


Rb
a dx f ( x ) = orientierter Flächeninhalt unter f ( x ) von a bis b

f (x)
Fläche oberhalb
der x-Achse:
positiv

0
a b x
Fläche unterhalb
der x-Achse:
negativ

Rb
Die Schreibweisen a dx f ( x )
Rb
und a f ( x ) dx sind äquivalent,
Erstere ist an der hiesigen Fakultät
verbreiteter.
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 25

Es gilt
Z b Z b Z b Z b
dx f ( x ) = dy f (y) = du f (u) = dq f (q) = . . .
a a a a

d.h. der Name der Integrationsvariablen spielt keine Rolle. Er darf aller-
dings nicht schon vergeben sein, a und b wären hier als Namen also nicht
zulässig (so genannte „gebundene Variablen“). Ebenso, wollten wir für die
obere Grenze den Namen x statt b verwenden, darf die Integrationsvariable
nicht mehr x heißen. Oft wählt man dann ein ähnlich aussehendes Sym-
bol (x 0 , x̃, x2 , ξ, . . . , wobei mit x 0 nicht die Ableitung gemeint ist) oder ein
„benachbartes“ wie y.

Damit können wir nun den wichtigen Hauptsatz der Differential- und Integral-
rechnung formulieren.

Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung


Rx
1. Das bestimmte Integral a dx 0 f ( x 0 ) als Funktion seiner oberen
Grenze ist eine Stammfunktion von f ( x ):5
d
Rx 0 0
dx a dx f ( x ) = f ( x )

2. Wenn F ( x ) Stammfunktion von f ( x ) ist, gilt für das bestimmte


Integral:
Rb b : b
a dx f ( x ) = F ( b ) − F ( a ) = [ F ( x )] a = F ( x )| a
:
5
Teil 1 gilt nicht an etwaigen
Unstetigkeitsstellen von f ( x ).
Definition 16: Unbestimmtes Integral

Als unbestimmtes Integral definieren wir


R
dx f ( x ) = F ( x ) + c ,
mit einer Stammfunktion F ( x ) und beliebigem c ∈ R.

Hier wird also die Menge aller Stammfunktionen zu einer Funktion f ( x ) In puncto Nomenklatur besteht
betont. eine gewisse Inkonsistenz zum
bestimmten Integral, da hier der
Integrationsvariable eine Rolle
zukommt, nämlich die Variable
zu benennen, bezüglich der das
unbestimmte Integral eine (bzw.
unendlich viele wegen der Wahl-
freiheit von c) Stammfunktion
ist.
26 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Integrationsregeln:

• konstanter Faktor

mit c ∈ R
R R
dx c f ( x ) = c dx f ( x )

• Summenregel

R R R
dx ( f ( x ) + g( x )) = dx f ( x ) + dxg( x )

6
engl. integration by parts • partielle Integration6

dx f ( x ) g0 ( x ) = f ( x ) g( x ) − dx f 0 ( x ) g( x )
R R

=
b Produktregel der Differentiation, denn Ableiten ergibt:
f g0 = ( f g)0 − f 0 g ⇒ ( f g)0 = f g0 + f 0 g

Beispiele:
e x = |{z} e x − dx |{z} e x = xe x − e x + c
R R
x |{z}
dx |{z} x |{z} 1 |{z}
f g0 f g f0 g
R R R 1
dx ln x = dx |{z} ln x = |{z}
1 |{z} ln x −
x |{z} x
dx |{z}
x
g0 f g f g |{z}
f0
= x ln x − x + c

• Substitution
Wir wechseln von x als unabhängiger Variable zu einer neuen unabhän-
gigen Variablen u, die mit der alten durch die Funktion g zusammenhän-
ge: x = g(u)
Wir wenden auf F ( g(u)) die Kettenregel an:

d dF dg
F ( g(u)) = ·
du dx x= g(u)
du
| {z } |{z}
innere A,
äußere A.
dg
= f ( g(u)) ·
du
dg
Z
d.h. F ( g(u)) = f ( g(u)) du
du

Im günstigen Fall vereinfacht sich f ( g(u)) zusammen mit dg/du zu ei-


ner Funktion (von u), deren Stammfunktion bekannt ist. Die ist dann
F ( g(u)), woraus wir mittels der Umkehrfunktion u = g−1 ( x ) das ur-
Tatsächlich ist es oft g−1 , mit sprünglich gesuchte F ( x ) erhalten.
dessen Wahl/Konstruktion wir im
konkreten Fall beginnen, da ja f als
Funktion von x gegeben ist.
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 27

Ebenso sind beim bestimmten Integral die Grenzen zunächst als Werte
für x gegeben:
Z x2 Z u2
dg
f ( x ) dx = F ( x2 ) − F ( x1 ) = F ( g(u2 )) − F ( g(u1 )) = f ( g(u)) du
x1 u1 du
mit x i = g ( u i ) ⇔ u i = g −1 ( x i )

Tatsächlich muss hier im Integrationsintervall [ x1 , x2 ] bzw. [u1 , u2 ] der


Zusammenhang zwischen x und u eindeutig sein, eine Bijektion.

In der Physik bedient man sich meist einer verkürzten Schreibweise:


Es wird kein extra Name g eingeführt, sondern x bezeichnet nach der
Substitution eine Funktion, eben x (u). Dann lautet der Integrand

dx
f ( x (u)) · du
du
d.h. die Substitution stellt sich einfach als

7 Z dx
Z
f ( x ) dx = f ( x (u)) du
du
7
Auf der linken Seite steht eigent-
dar, was sich gut über „Kürzen des du“ merken lässt. lich eine Funktion von x, auf der
rechten Seite eine von u. In ihre
Gleichheit fließt abermals x = g(u)
ein.
Beispiele:

dx x22x+1 = du u1 = ln |u| + c = ln( x2 + 1) + c


R R
◦ Substitution
√ dx √1
x = u−1 ⇒ du = 2 u −1

dx lnxx = du u = 12 u2 + c = 12 (ln x )2 + c
R R
◦ Substitution
dx
x = eu ⇒ du = eu
R p√ √ R
◦ dx du u 2(u − 1)
x+1 = Substitution
dx
  x = ( u − 1)2 ⇒ du = 2( u − 1)
= du 2u3/2 − 2u1/2 = 45 u5/2 − 43 u3/2 + c
R

4 √ 5/2 4 √ 3/2
= 5 x+1 − 3 x+1 +c
28 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

2.2 Verschiedene Formen der Beschleunigung

2.2.1 Bewegung im homogenen Schwerefeld


Ein Körper der Masse m erfährt im homogenen Schwerefeld der Erde eine
Beschleunigung g (die Erdbeschleunigung) in Richtung des Massenschwer-
punkts der Erde. Daraus ergibt sich eine Kraft ~FG = m~g. Eine übliche Kon-
vention zur Verwendung der Vorzeichen zeigen wir hier schematisch.

m
x Richtung des
Koordinatensystems ~FG = m~g ~g = (− g, 0, 0)
mit
Für den Fall ohne Reibung erhalten wir
Wir erinnern uns: p = m ẋ = mv ṗ = FG ⇒ ma = −mg
⇒ ṗ = m ẍ = mv̇ = ma

a = −g
Unabhängig von der Masse m!

Da v̇ = a, ist v also die Stammfunktion von a (bezüglich der Zeit), d.h.


Z t Z t
dt0 a(t0 ) = v(t) − v(t0 ) ⇔ v ( t ) = v ( t0 ) + dt0 a(t0 )
t0 t0

Meist wählt man t0 = 0 und nennt die Anfangsgeschwindigkeit v(0) = v0 ,


und da hier a(t0 ) tatsächlich die simple Konstante − g ist, wird das Integral
einfach Z t
v ( t ) = v0 − dt0 g = v0 − gt .
0
Wegen ẋ = v ist x gleichermaßen die Stammfunktion von v, d.h.
Z t Z t
dt0 v(t0 ) = x (t) − x (t0 ) ⇔ x ( t ) = x ( t0 ) + dt0 v(t0 )
t0 t0

und mit wieder x0 = x (t0 =0) als Anfangsort und dem obigen v:
Z t Z t Z t
x ( t ) = x0 + dt0 (v0 − gt0 ) = x0 + dt0 v0 − g dt0 t0
0 0 0
t
t02 t2
= x0 + v0 t − g = x0 + v0 t − g
2 0 2
Dass wir 2 freie Parameter (x0 und
v0 ) haben, hängt damit zusammen,
dass wir zwei Mal integriert haben. a) freier Fall aus Höhe h
Anfangsbedingungen: x0 = h, v0 = 0 ⇒ x (t) = h − 21 gt2

Fallzeit tF : x (tF ) = 0 ⇒ h − 21 gt2F = 0

q
2h
⇒ tF = g (Fallzeit)
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 29

Aufprallgeschwindigkeit vA = |v(tF )|
p
v(tF ) = ẋ (tF ) = − gtF = − 2gh x

p H
⇒ vA = 2gh (Aufprallgeschwindigkeit)

b) senkrechter Wurf nach oben


Anfangsbedingungen: x0 = 0, v0 > 0
⇒ x (t) = v0 t − 12 gt2 ⇔ ẋ (t) = v0 − gt

Flughöhe H wird erreicht bei tH t

mit ẋ (tH ) = 0 tH tF

v0
⇒ tH = g (Zeit, bei der max. Flughöhe erreicht wird)

 2
H = x (tH ) = v0 vg0 − 12 g v0
g

2
1 v0
⇒H= 2 g (Flughöhe)

Flugzeit tF : x ( tF ) = 0  
1 2
⇒ v0 tF − 2 gtF = 0 ⇔ tF v0 − 12 gtF = 0
⇒ tF = 0 oder v0 = 21 gtF

⇒ tF = 2 vg0 = 2tH (Flugzeit)

Behandlung von a 6= const.

Sind mit dem zweifachen Integrieren von a, was für da dt 6 = 0 i.A. natürlich
schwieriger ausfallen wird als für obiges a = − g, alle Fälle abgedeckt?
Nein, denn a = F/m ist in den seltensten Fällen eine Funktion der Zeit
t allein, sondern hängt vor allem vom Ort x selbst und manchmal auch von
der Geschwindigkeit v ab:
1
ẍ (t) =
F ( x (t), ẋ (t), t)
m
RR 0
kann icht einfach mit dt „hochintegriert“ werden, da die rechte Seite
von der noch unbekannten Lösung abhängt.

2.2.2 M: Differentialgleichungen
Für Ableitungen nach der Zeit schreiben wir in Kurzform:
dn x (n) ( t ) = ....
dtn = x x (mit n Punkten über der Variablen).
30 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

2.2.2.1 M: allgemeine Differentialgleichungen n-ter Ordnung

Eine allgemeine Differentialgleichung n-ter Ordnung können wir formal so


schreiben

Definition 17: Allgemeine DGL n-ter Ordnung

G ( x (n) , x (n−1) , . . . , ẋ, x, t) = 0


Die höchste Ableitung x (n) bestimmt dabei die Ordnung der DGL.

Beispiele:
ẍ + g = 0 → 2. Ordnung
...
( x )2 + α ẋx + β = 0 → 3. Ordnung

Satz 1: Allgemeine Lösung einer DGL n-ter Ordnung

Die allgemeine Lösung einer DGL n-ter Ordnung ist eine Lösungsschar
mit n unabhängigen Parametern γ1 , . . . γn
→ x (t) = xγ1 ,γ2 ,...,γn (t).

Wenn γ1 , γ2 , . . . , γn vorgegeben ist, bezeichnen wir diese Lösung als


spezielle oder partikuläre Lösung.

Beispiel:
Lösung für ẍ + g = 0:

2.2.2.2 M: lineare Differentialgleichungen

Jede Ableitung x (i) geht nur linear in DGL ein

αn (t) x (n) (t) + αn−1 (t) x (n−1) (t) + . . . + α1 (t) ẋ (t) + α0 (t) x (t) = β(t)

für β(t) = 0: homogene lineare DGL


β(t) 6= 0: inhomogene lineare DGL

Beispiele:
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 31

• ẍ = − g → inhomogen, linear

• ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = 0 → homogen, linear

• m ẍ + β( ẋ )2 = 0 → nicht linear

Satz 2: Superpositionsprinzip für homogene, lineare DGLn

Sind x1 (t) und x2 (t) Lösungen einer homogenen, linearen DGL,


dann ist auch x3 (t) := c1 x1 (t) + c2 x2 (t) Lösung dieser DGL.

Beispiel:
ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = 0 → homogen, linear

x1 und x2 sind Lösungen


→ ẍ1 + 2γ ẋ1 + ω02 x1 = 0 | · c1 (1)
ẍ2 + 2γ ẋ2 + ω02 x2 = 0 | · c2 (2)

(1)+(2): → (c1 ẍ1 + c2 ẍ2 ) +2γ (c1 ẋ1 + c2 ẋ2 ) +ω02 (c1 x1 + c2 x2 ) = 0
| {z } | {z } | {z }
ẍ3 ẋ3 x3
⇒ ẍ3 + 2γ ẋ3 + ω02 x3 = 0 → x3 = c1 x1 + c2 x2 ist auch Lösung der DGL.

Aber Achtung: Das Superpositionsprinzip gilt nicht für inhomogene


oder nichtlineare DGLn.

Beispiele:

• ẍ = − g → inhomogen, linear

x1 und x2 sind Lösungen


→ ẍ1 = − g | · c1 (1)
ẍ2 = − g | · c2 (2)

(1)+(2): → ((c1 ẍ1 + c2 ẍ2 )) = −(c1 + c2 ) g


| {z } | {z }
ẍ3 i.A.6=− g
→ x3 = c1 x1 + c2 x2 ist i. A. keine Lösung

• m ẍ + β( ẋ )2 = 0 → nicht linear

x1 und x2 sind Lösungen


→ m ẍ1 + β( ẋ1 )2 = 0 | · c1 (1)
m ẍ2 + β( ẋ2 )2 = 0 | · c2 (2)

(1)+(2): → m(c1 ẍ1 + c2 ẍ2 ) + β(c1 ( ẋ1 )2 + c2 ( ẋ2 )2 ) = 0


| {z } | {z }
m ẍ3 i.A.6= β(c1 ẋ1 +c2 ẋ2 )2
→ x3 = c1 x1 + c2 x2 ist i. A. keine Lösung
32 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Satz 3: Allgemeine Lösung der inhomogenen, linearen DGL n-ter


Ordnung

Die allgemeine Lösung der inhomogenen, linearen DGL n-ter Ordnung


D [ x (t)] = β(t) mit D [ x (t)] := αn (t) x (n) (t) + . . . + α0 (t) x (t)
setzt sich zusammen aus

• einer speziellen Lösung xsp (t) der inhomogenen DGL


D [ xsp (t)] = β(t)

• und den n linear unabhängigen Lösungen xhom,b (t) mit


b = 1, 2, . . . , n der zugehörigen homogenen DGL D [ xhom,b (t)] = 0.

Die allgemeine Lösung können wir somit schreiben als


x (t) = xsp (t) + γ1 xhom,1 (t) + . . . + γn xhom,n (t) mit den Parametern
γ1 , . . . , γn .

Beispiel:
ẍ = − g → inhomogene, lineare DGL 2. Ordnung

• spezielle Lösung: xsp (t) = − 21 gt2

• Lösungen der homogenen DGL ẍ = 0:


xhom,1 (t) = 1, xhom,2 (t) = t.

Diese Lösung hatten wir bereits Damit ergibt sich die allgemeine Lösung zu: x (t) = γ1 + γ2 t − 21 gt2
in Kapitel 2.2.1 verifiziert. Die
unabhängigen Parameter hießen
dort γ1 = x0 und γ2 = v0 .
2.2.2.3 M: Lösungsstrategien für allgemeine Differentialgleichungen

a) direkte Integration
Wir betrachten hier als Beispiel DGLn der Form

ẋ =v F (t)
m ẍ (t) = F (t) → v̇(t) = m

Wir integrieren diese DGL nun direkt von 0 bis t


Rt Rt F (t0 )
0 dt0 v̇(t0 ) = v(t) − v(0) = 0 dt0 m
|{z} |{z}
ẋ (t) : = v0
Rt F (t0 )
→ ẋ (t) = v0 + 0 dt0 m

Mit einer weiteren direkten Integration erhalten wir die Lösung der DGL
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 33

Z t
Rt Rt R t̃ F (t0 )
0 dt̃ ẋ (t̃) = x (t) − x (0) = v0 dt̃ + 0 dt̃ 0 dt0 m
|{z} 0
: = x0 | {z }
=v0 ·(t−0)
Rt R t̃ 0
→ x ( t ) = x0 + v0 t + dt̃ 0 F (t )
0 0 dt m

Diese allgemeine Lösung wollen wir nun für verschiedene Kräfte F (t)
ansehen.

• F (t) = −mg = const.


 
→ 0 dt̃ 0 dt0 −mmg = − g 0 dt̃ t̃ = − 21 gt2
R t R t̃ Rt

Lösung → x (t) = x0 + v0 t − 12 gt2

• F (t) = F0 e−αt dx e−ax = − 1a e−ax + c


R

0 t̃
Rt R t̃ 0 Rt h i
→ 0 dt̃ 0 dt0 Fm0 e−αt = F0
m 0 dt̃ − α1 e−αt
0
Rt   h it
F0 F0
= − mα 0 dt̃ e−αt̃ − 1 = − mα − α1 e−αt̃ − t̃
0
 
F0 F0
− α1 e−αt − t + 1
e−αt + αt − 1

= − mα α +0 = mα2

F0
e−αt + αt − 1

Lösung → x (t) = x0 + v0 t + mα2

• F (t) = F0 cos(ωt)
Rt R t̃ Rt h it̃
→ 0 dt̃ 0 dt0 Fm0 cos(ωt0 ) = 0 dt̃ F0
mω sin(ωt0 )
0
Rt h it
F0 F0
= mω 0 dt̃(sin(ω t̃) − sin(0)) = mω − ω1 cos(ω t̃)
| {z } 0
=0

F0
= mω 2
(1 − cos(ωt))
F0
Lösung → x (t) = x0 + v0 t + mω 2
(1 − cos(ωt))
34 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

b) Trennung der Variablen


Hier betrachten wir als Beispiel die folgende DGL

m ẍ + β( ẋ )2 = 0

Mit ẋ = v formen wir um


1 dv(t) β
mv̇ + βv2 = 0 ⇔ =−
v2 (t) dt m

Im folgenden Schritt trennen wir die Variablen, so dass v auf der linken
Seite der Gleichung und t auf der rechten Seite der Gleichung stehen:

m dv
R
v2
= − βdt | . . .
Rv Rt
→ v0 dv0 (vm0 )2 = − β 0 dt0
v
⇔ − vm0 v = − β[t0 ]0t

0

⇔ − mv + m
v0 = − βt

1 1 βt
⇔ v − v0 = m

1 1 βt m+ βv0 t
⇔ v = v0 + m = v0 m

v0
→ v(t) = βv0 (Ausdruck für die Geschwindigkeit)
1+ m t
Rt Rt Rt v0
0 dt v(t0 ) = 0 dt ẋ (t0 ) = 0 dt0 βv0 0
1+ m t

Von diesem Zwischenergebnis geht es weiter mit direkter Integration:


h  it
ln(1) = 0 → [ x (t0 )]0t = mβ ln 1 + βv
m
0 0
t
0
 
m βv0
→ x ( t ) − x0 = β ln 1 + m t
 
m βv0
Lösung → x (t) = x0 + β ln 1 + m t

c) Überprüfen eines Ansatzes (Raten)


Hier betrachten wir als letztes die DGL

m ẍ + α ẋ = 0

Wir verwenden den


Ansatz: x (t) = eλt
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 35

und überprüfen, ob der Ansatz

1. die DGL erfüllt (und für welche λ), und

2. die allgemeine Lösung liefert, also eine Lösungsschar mit 2 unabhängi-


gen Parametern.8 8
Diesen Ansatz, den sogenannten
Euler-Ansatz, können Sie bei
1. Ableitung des Ansatzes: ẋ (t) = λeλt linearen DGL mit konstanten
Koeffizienten verwenden.
2. Ableitung des Ansatzes: ẍ (t) = λ2 eλt

Dies setzen wir nun in die DGL ein:


mλ2 eλt + αλeλt = 0 ⇔ (mλ2 + αλ)eλt = 0
→ (mλ2 + αλ) = 0
→ λ(mλ + α) = 0
→ λ = 0 oder λ = − mα → 2 Lösungen

Die allgemeine Lösung setzt sich nun aus den beiden Lösungen zusammen,
wobei wir nun die Integrationskonstanten nicht vergessen dürfen:
→ x ( t ) = c1 + c2 e − m t
α
Die Integrationskonstanten kön-
nen wir wieder mit geeigneten
Anfangsbedingungen bestimmen.
2.2.3 Eindimensionale Bewegung mit Reibung
(In der Vorlesung übersprungen, da lediglich Wiederholung von bereits
bekannten Lösungen von DGLn.)

2.2.3.1 Gleitreibung zwischen Festkörpern

~FR
x ~v
Die Reibungskraft ~FR wirkt antiparallel zu ~v
~FG (Reibung bremst)

~F⊥
Den Betrag der Reibungskraft können wir wie folgt schreiben:
|~FR | = µ|~F⊥ | = µ|~FG | = µmg und er ist unabhängig vom Betrag |~v|.Im Wir bezeichnen hier den Gleitrei-
Folgenden bezeichnen wir mit FR und v nicht die Beträge der entsprechen- bungskoeffizienten mit µ.

den Vektoren, sondern ihre Komponenten entlang der einzigen Bewegungs-


richtung (positiv = ˆ nach rechts).

−µmg für v > 0


FR = −µmg sgn(v) = 0 für v = 0


für v < 0

µmg

Damit ergibt sich die DGL:

m ẍ + µmg sgn(v) = 0 (Gleitreibung zwischen Festkörpern)


36 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Wir betrachten nun den Fall einer endlichen Geschwindigkeit in positiver


x-Richtung (ẋ (t = 0) = v0 > 0):
Wir können die DGL durch die → ẍ + µg = 0
Masse m teilen und sehen, dass die
Bewegung mit Reibung in der Tat Die Lösung dieser DGL lautet:
unabhängig von der Masse ist.
x (t) = x0 + v0 t − 12 µgt2

ẋ (t) = v(t) = v0 − µgt

Damit können wir nun die endliche Zeit ts berechnen, nach der der Festkör-
per zum Stillstand kommt (v(ts ) = 0):

v0
ts = µg (Zeit bis zum Stillstand bei Gleitreibung)

Mit diesem Ergebnis können wir nun auch die Reichweite R des Festkör-
pers unter Einfluss der Gleitreibung bestimmen:

R = x ( t s ) − x0
 2
v 1 v0
= x0 + v0 0 − µg − x0
µg 2 µg
v20 1 v20
= −
µg 2 µg

2
1 v0
R= 2 µg (Reichweite bei Gleitreibung)

Vergleichen Sie diese Ergebnisse


einmal mit denen des senkrechten
Wurfs.
2.2.3.2 Reibung in Gasen und Flüssigkeiten

Auch hier ist die Reibungskraft ~FR antiparallel zu ~v. Allerdings ist der Be-
trag |~FR | nun abhängig vom Betrag |~v|. Wieder bezeichnen wir mit FR und
v nicht diese Beträge, sondern die Vektorkomponenten entlang der einzigen
Bewegungsrichtung.

a) Stokes-Reibung

< 0 für v > 0


FR = −αv = 0 für v = 0



> 0 für v < 0
Den Reibungskoeffizienten der Die Stokes-Reibung ist ein gutes Modell für kleine Geschwindigkeiten
Stokes-Reibung bezeichnen wir mit (laminare Strömung) und liefert die folgende DGL
α.

m ẍ + α ẋ = 0 (homogene DGL der Stokes-Reibung)


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 37

Die allgemeine Lösung dieser DGL haben wir uns schon in Abschnitt
2.2.2.3 d) angesehen:

x ( t ) = c1 + c2 e − m t
α

ẋ (t) = v(t) = −c2 mα e− m t


α

Die Konstanten c1 und c2 können wir nun für gegebene Anfangsbedin-


gungen ausrechnen. Wir betrachten hier den Fall x (t = 0) = x0 und
ẋ (t = 0) = v0 > 0.

Daraus ergibt sich


→ c1 + c2 = x0 und −c2 mα = v0 → c2 = − mα v0
m
→ c1 = x0 − c2 = x0 + α v0

Und eingesetzt in die allgemeine


 Lösung erhalten wir
x (t) = x0 + mα v0 1 − e− m t
α

v ( t ) = v0 e − m t
α

Wir sehen, dass ein Stillstand nie erreicht wird (v(ts ) = 0 → ts = ∞).
Die Reichweite können wir über eine Betrachtung des Grenzwertes bestim-
men
 
R = lim ( x (t) − x0 ) = mα v0 lim 1 − e− m t
α

t→∞ t→∞

m
R= α v0 (Reichweite bei Stokes-Reibung)

b) Newton-Reibung

< 0 für v > 0


2
FR = − βv sgn(v) = 0 für v = 0



>0 für v < 0
Den Reibungskoeffizienten der
Die Newton-Reibung ist ein gutes Modell für Strömungen mit großen Ge- Newton-Reibung bezeichnen wir
mit β.
schwindigkeiten (turbulente Strömung).
Wir betrachten den Fall einer positiven Anfangsgeschwindigkeit ẋ (0) =
v0 > 0:

m ẍ + β( ẋ )2 = 0 (nichtlineare DGL der Newton-Reibung)

Die allgemeine Lösung dieser Gleichung haben wir uns bereits im Abschnitt
2.2.2.3 b) angesehen:
 
x (t) = x0 + mβ ln 1 + m0 t
βv
38 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

v0
ẋ (t) = v(t) = βv0
1+ m t

Bei Newton-Reibung wird Stillstand ebenfalls nie erreicht (v(ts ) = 0 → ts =


∞), allerdings ist im Unterschied zur Stokes-Reibung auch die Reichweite
unendlich
 
R = lim ( x (t) − x0 ) = mβ lim ln 1 + m0 t = ∞
βv
t→∞ t→∞

Bemerkung: Für große t wird die Geschwindigkeit v so klein, dass die


Newton-Reibung kein gutes Modell mehr ist. Für diese kleinen Geschwin-
digkeiten ist dann die Stokes-Reibung wieder die bessere Näherung.

2.3 Harmonischer Oszillator

Der harmonische Oszillator ist ein wichtiges Modellsystem der Physik, wel-
ches Ihnen an unterschiedlichsten Stellen Ihres Studiums wieder begegnen
wird. Kernelement des harmonischen Oszillators ist eine lineare Rückstell-
kraft F = −kx, wobei k eine Konstante ist. Ein Beispiel für ein solches
System ist eine Masse an einer elastischen Feder.
~F

F < 0 für x > 0


m
F > 0 für x < 0
x

0
Ruheposition
(entspannte Feder)

2.3.1 Freier, ungedämpfter harmonischer Oszillator

Wir betrachten nun zunächst den Fall des freien, ungedämpften harmonischen
Oszillators wobei frei bedeutet, dass das System nicht von außen getrieben
wird und wir mit ungedämpft meinen, dass keine Reibung existiert. Die
zugehörige DGL lautet
k
m ẍ + kx = 0 → ẍ + mx =0
q
k
Wir können die DGL mit der Definition der Eigenfrequenz ω0 = m auch
schreiben als ẍ + ω02 x
= 0.
Die allgemeine Lösung dieser DGL lautet:
Hier verwenden wir A für die
Amplitude und ϕ bezeichnet die x (t) = A sin(ω0 t + ϕ)
Phasenverschiebung.
ẋ (t) = Aω0 cos(ω0 t + ϕ)
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 39

ẍ (t) = − Aω02 sin(ω0 t + ϕ)

→ ẍ + ω02 x = − Aω02 sin(ω0 t + ϕ) + ω02 sin(ω0 t + ϕ) = 0.

Alternativ könnten wir auch die folgenden Darstellungen wählen:


x (t) = A cos(ω0 t + ϕ)
oder
x (t) = A sin(ω0 t) + B cos(ω0 t).

Ebenso ist ein Lösungsansatz mit einer Exponentialfunktion möglich:


x (t) = ceλt → ẍ (t) = cλ2 eλt Das Quadrat der Eigenfrequenz ist
Einsetzen in die DGL liefert positiv, weshalb −ω02 negativ sein
muss.
→ cλ2 
eλt + ω 2 c e 2
 = 0 → λ = −ω < 0.
λt
0
2
0

Die Wurzel einer negativen Zahl hat keine reelle Lösung. Um dieses Pro-
blem zu lösen, müssen wir uns im Folgenden mit komplexen Zahlen be-
schäftigen. Zudem lernen wir nun die trigonometrischen Funktionen besser
kennen.

2.3.2 M: Trigonometrische Funktionen, komplexe Zahlen, Eulersche Formel

2.3.2.1 M: Trigonometrische Funktionen


π
2
Winkel in Radiant (rad)
s
ϕ= r
s

ϕ 0
π
r 2π

3

Im Folgenden betrachten wir den Einheitskreis (r = 1) und führen darüber
die Sinus- und Kosinusfunktion ein.

Sinus:
Die Sinusfunktion hat folgende Eigenschaften:

• −1 ≤ sin ϕ ≤ 1 → beschränkt

• sin( ϕ + 2π ) = sin ϕ → 2π-periodisch

• sin(− ϕ) = − sin ϕ → ungerade (punktsymmetrisch zum Ursprung)


40 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

3
 
• spezielle Werte: sin(0) = 0, sin π
2 = 1, sin(π ) = 0, sin 2π = −1

Kosinus:

Die Kosinusfunktion hat folgende Eigenschaften:

• −1 ≤ cos ϕ ≤ 1 → beschränkt

• cos( ϕ + 2π ) = cos ϕ → 2π-periodisch

• cos(− ϕ) = cos ϕ → gerade (achsensymmetrisch zur y-Achse)

3
 
• spezielle Werte: cos(0) = 1, cos π
2 = 0, cos(π ) = −1, cos 2π =0

Zudem gilt sin ϕ = cos ϕ − π
2 . Der Kosinus ist ein verschobener Sinus.

Additionstheoreme:

sin(α ± β) = sin α cos β ± cos α sin β


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 41

cos(α ± β) = cos α cos β ∓ sin α sin β

Die Anwendung der Additionstheoreme wird es uns häufig erlauben


diverse Rechnungen zu vereinfachen.9 9
Der Beweis der Additionstheo-
So können wir zum Beispiel eine Beziehung herleiten, die als trigonometri- reme kann entweder über geo-
metrische Betrachtungen erfolgen
scher Pythagoras bekannt ist: oder mit Hilfe der Euler-Formel in
→ 1 = cos(0) = cos( ϕ − ϕ) = cos( ϕ) cos( ϕ) + sin( ϕ) sin( ϕ) = Kapitel 2.3.2.3.
cos2 ϕ + sin2 ϕ

sin2 ϕ + cos2 ϕ = 1 (trigonometrischer Pythagoras)

Ableitungen von Sinus und Kosinus:

d d
dϕ sin ϕ = cos ϕ, dϕ cos ϕ = − sin ϕ

Umkehrfunktionen von Sinus und Kosinus:

Ableitungen der Umkehrfunktionen von Sinus und Kosinus:


d
sin(arcsin y) = y | dy
d
→ cos(arcsin y) dy arcsin y = 1
Kettenregel der Differentiation
d 1 1
→ dy arcsin y = cos(arcsin y)
= √ = √1
1−sin2 (arcsin y) 1− y2 trig. Pythagoras und Zeile 1
42 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

d
dy arcsin y = √ 1 (Ableitung des Arkussinus)
1− y2

Auf analoge Weise erhalten wir:

d
dy arccos y = − √ 1 (Ableitung des Arkuskosinus)
1− y2

Tangens:

sin ϕ
tan ϕ := cos ϕ (Tangensfunktion)

Die Tangensfunktion hat folgende Eigenschaften:

• −∞ < tan ϕ < ∞ → unbeschränkt

• tan( ϕ + π ) = tan ϕ → π-periodisch

• tan(− ϕ) = − tan ϕ → ungerade (punktsymmetrisch zum Ursprung)


π 3
• spezielle Werte: tan(0) = 0, π, 2π, . . . divergent für ϕ = 2 , 2 π, . . .

Ableitung des Tangens:


Die Ableitung können wir über die Definition des Tangens bestimmen:
 
sin ϕ −sin ϕ(− sin ϕ)
Quotientenregel d
dϕ tan ϕ = d
dϕ cos ϕ = cos ϕ cos ϕcos 2ϕ

cos2 ϕ+sin2 ϕ 1
trigonometrischer Pythagoras = cos2 ϕ
= 1 + tan2 ϕ = cos2 ϕ

d 1
dϕ tan ϕ = 1 + tan2 ϕ = cos2 ϕ
(Ableitung des Tangens)
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 43

Umkehrfunktion des Tangens:

Ableitung der Umkehrfunktion des Tangens:


d
tan(arctan y) = y | dy

[1 + tan2 (arctan y)] dy


d
arctan y = 1
| {z }
y2

d 1
→ dy arctan y = 1+ y2
(Ableitung des Arkustangens))

Kotangens:
Der Vollständigkeit halber möchten wir hier noch die Kotangensfunktion
einführen:

cos ϕ 1
cot ϕ := sin ϕ = tan ϕ (Kotangensfunktion)

2.3.2.2 M: Komplexe Zahlen

Wir hatten bereits in Abschnitt 2.1.1 festgestellt, dass es für x2 = −1 keine


Lösung mit x ∈ R (reelle Zahlen) gibt. Wir können eine solche Gleichung
jedoch durch Einführen der komplexen Zahlen lösen. Dazu definieren wir
zunächst die imaginäre Einheit i:

Definition 18: Imaginäre Einheit i

i 2 = −1
Für i gelten die gleichen Rechenregeln wie für reelle Zahlen.

Damit können wir nun die komplexen Zahlen definieren

Definition 19: Komplexe Zahlen

C = {z = x + iy | x ∈ R, y ∈ R}

Anmerkung: C 6= R × R = R2 , da x + iy 6= ( x, y). Die Verwandschaft zwi-


44 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

schen beiden Mengen ist jedoch sehr eng, ihre grafische Veranschaulichung
ist identisch:

Gaußsche Zahlenebene:

Die Gaußsche Zahlenebene veranschaulicht die komplexen Zahlen als Summe


aus Real- und Imaginärteil. Sie hilft uns zudem zwei äquivalente Darstel-
lungen komplexer Zahlen, nämlich die kartesische Darstellung und die polare
Darstellung einzuführen.

Definition 20: Kartesische Darstellung komplexer Zahlen

z = x + iy
Realteil: Re z = x
Imaginärteil: Im z = y

Definition 21: Polare Darstellung komplexer Zahlen

z = r (cos ϕ + i sin ϕ)
Betrag: |z| = r
Argument: arg z = ϕ (−π < arg z ≤ π )

Rechnen mit komplexen Zahlen:


Im Folgenden sei: z = x + iy = r (cos ϕ + i sin ϕ)
z0 = x 0 + iy0 = r 0 (cos ϕ0 + i sin ϕ0 )

• Gleichheit

z = z0 ⇔ x = x 0 und y = y0 Real- und Imaginärteil gleich


z = z0 ⇔ 10 r = r 0 und ϕ = ϕ0 Betrag und Argument gleich
10
Streng genommen gilt die Rich-
tung „⇒“ nicht für z = z0 = 0.
• Addition und Subtraktion

z ± z0 = ( x ± x 0 ) + i (y ± y0 ) Real- und Imaginärteile addieren/-


subtrahieren

• Multiplikation
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 45

z · z0 = r (cos ϕ + i sin ϕ)r 0 (cos ϕ0 + i sin ϕ0 )


Additions-
= rr 0 (cos ϕ cos ϕ0 + |{z}
i2 sin ϕ sin ϕ0 + i sin ϕ cos ϕ0 + i cos ϕ sin ϕ0 )
−1
= rr 0 [cos( ϕ + ϕ0 ) + i sin( ϕ + ϕ0 )]

Wir müssen also die Beträge multiplizieren und die Argumente addie-
ren.11 11
Achtung: Um im Definitionsbe-
reich von arg z zu bleiben, müssen
wir gegebenenfalls ±2π zur Sum-
|z · z0 | = |z| · |z0 | und arg (z · z0 ) = arg z + arg z0 . me hinzufügen. Dies ändert den
Wert jedoch nicht, da sowohl
In kartesischer Darstellung: der Sinus als auch der Kosinus
2π −periodisch sind.
z · z0 = xx 0 − yy0 + i ( xy0 + yx 0 )

• Komplexkonjugation
Die zu z komplex konjugierte Zahl z∗ definieren wir als:

Definition 22: Komplexkonjugation

z∗ := Re z − i Im z

Schreiben wir z∗ in Polardarstellung erkennen wir


z∗ = r (cos ϕ − i sin ϕ) = r [cos(− ϕ) + i sin(− ϕ)]

|z∗ | = |z| Der Betrag bleibt gleich.



arg(z ) = −arg z Das Vorzeichen im Argument wird umgedreht.

Mit dieser Definition (hier in kartesischer Darstellung)


z = Re z + i Im z und z∗ = Re z − i Im z

ergeben sich folgende Beziehungen


z+z∗ z−z∗
Re z = 2 und Im z = 2i sowie

z · z∗ = |z| |z∗ | [cos(arg(z) + arg(z∗ )) +i sin(arg(z) + arg(z∗ ))] Der Imaginärteil verschwindet.
|{z} | {z } | {z }
|z| =0 =0
| {z } | {z }
=1 =0


z · z∗ = |z|2 und weil dieses Produkt reell ist: |z| = zz∗

Außerdem sehen wir mit Hilfe der kartesischen Darstellung:

zz∗ = (Re z + i Im z)(Re z − i Im z)


= (Re z)2 + (i Im
(z(Re z −( i Re
(z(Im z − i2 (Im z)2
(
( ((
46 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

z · z∗ = |z|2 = (Re z)2 + (Im z)2

2.3.2.3 M: Eulersche Formel

Zur Herleitung der Eulerschen Formel betrachten wir zunächst die kom-
plexwertige Exponentialfunktion f (z) = ez .
Diese Funktion ist eine Erweiterung der uns bekannten Exponentialfunktion
vom reellen ins komplexwertige und sie ist daher definiert durch
d
f (0) = 1 und dz f ( z ) = f ( z ).
Im Folgenden betrachten wir eine Spezialform der gerade eingeführten
komplexwertige Exponentialfunktion bei der der Realteil gleich Null ist
f ( ϕ) = eiϕ und der uns aus der Polardarstellung der komplexen Funktionen
bekannten Funktion g( ϕ) = cos ϕ + i sin ϕ.

Funktion: f ( ϕ) = eiϕ g( ϕ) = cos ϕ + i sin ϕ

Wert bei 0: f (0) = 1 g(0) = cos(0) + i sin(0) = 1


d d
Ableitung: dϕ f ( ϕ) = ieiϕ = i f ( ϕ) dϕ g ( ϕ ) = − sin ϕ + i cos ϕ
= i (cos ϕ + i sin ϕ) = ig( ϕ)

Wir sehen, dass beide Funktionen gleich sind f ( ϕ) = g( ϕ).

eiϕ = cos ϕ +i sin ϕ Eulersche Formel


| {z } | {z }
Re eiϕ Im eiϕ

Bemerkungen:

• für ϕ = π gilt: eiπ = cos


| {zπ} +i sin
| {zπ} → eiπ + 1 = 0
−1 0

• Beweis der Additionstheoreme

cos(α + β) + i sin(α + β) = ei(α+ β) = eiα eiβ


= (cos α + i sin α)(cos β + i sin β)
= cos α cos β − sin α sin β + i (sin α cos β + cos α sin β)

• Alternative Darstellung von sin ϕ und cos ϕ

eiϕ +e−iϕ eiϕ −e−iϕ


cos ϕ = 2 und sin ϕ = 2i

• für z = x + iy gilt zudem: ez = e x eiy = e x (cos y + i sin y)


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 47

2.3.2.4 M: Hyperbelfunktionen

Die Definition über die e-Funktion


ist analog zum sin und cos, aller-
dings ohne die imaginäre Einheit.
e x +e− x
cosh x := 2 Kosinus Hyperbolicus

e x −e− x
sinh x := 2 Sinus Hyperbolicus

(↑ Gleiches Vorzeichen wie bei sin/cos.)

sinh x 1
tanh x := cosh x
:= coth x (Ko-)Tangens Hyperbolicus

Additionstheoreme:

sinh( x ± y) = sinh x cosh y ± cosh x sinh y

(↑ Gleiches Vorzeichen wie bei sin/cos.)

cosh( x ± y) = cosh x cosh y ± sinh x sinh y

(↑ Anderes Vorzeichen als bei sin/cos.)

cosh2 x − sinh2 x = 1

(↑ Anderes Vorzeichen als bei sin/cos.)


48 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Herleitung über die Definition der Hyberbelfunktionen:

2  x 2
e x + e− x e − e− x

2 2
cosh x − sinh x = −
2 2
1 h i
(e x)2 + 2e x e− x + (e− )2 + 2e x e− x − (e−
HHx 2
(e x
HHx 2
=  ) −  )
4  H H
= e x e − x = e x − x = e0 = 1

Ableitungen:

d
dx sinh x = cosh x d
dx cosh x = sinh x d
dx tanh x = 1 − tanh2 x

(↑ Anderes Vorzeichen als bei sin/cos.)

Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen:

y = sinh x für x ∈ R x = arsinh y Areasinus


hyperbolicus
y = cosh x für x ∈ R x = arcosh y Areakosinus
y≥1 hyperbolicus
y = tanh x für x ∈ R x = artanh y Areatangens
y ∈ (−1, 1) hyperbolicus
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 49

2.3.3 Freier, gedämpfter harmonischer Oszillator


Zu den uns bereits bekannten Termen, welche den freien, ungedämpften
harmonischen Oszillator (HO) beschreiben, fügen wir nun eine Dämpfung
hinzu, welche durch die Stokes-Reibung beschrieben werden soll:

m ẍ + α ẋ + kx = 0

→ ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = 0
q
mit ω0 = mk (Eigenfrequenz des ungedämpften HOs)
α
und γ = 2m (Dämpfungsparameter)

Lösungsansatz:

x (t) = c eλt
ẋ (t) = c λ eλt
ẍ (t) = c λ2 eλt

→ ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = cλ2 eλt + 2γcλeλt + ω02 ceλt


!
= ceλt (λ2 + 2γλ + ω02 ) = 0

→ λ2 + 2γλ + ω02 = 0
→ λ2 + 2γλ + γ2 = γ2 − ω02

< 0 für γ < ω0


→ ( λ + γ )2 = γ2 − ω02 = 0 für γ = ω0



> 0 für γ > ω0

Wir können also drei Fälle unterscheiden, die wir im Folgenden genauer
betrachten wollen:
q
• γ < ω0 : (λ + γ)2 = −(ω02 − γ2 ) → λ + γ = ±i ω02 − γ2
q
→ λ = −γ ± i ω02 − γ2 ∈ C

• γ = ω0 : ( λ + γ )2 = 0 → λ = −γ ∈ R
q
• γ > ω0 : (λ + γ)2 = γ2 − ω02 → λ = −γ ± γ2 − ω02 ∈ R

2.3.3.1 Schwache Dämpfung (Schwingfall)

Für den Fall γ < ω0 erhalten wir den sogenannten Schwingfall, einen HO
mit schwacher
q Dämpfung. Wenn wir die reduzierte Eigenfrequenz
ω= ω02 − γ2 einführen, erhalten wir
λ1,2 = −γ ± iω
50 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

und damit die beiden linear unabhängigen Lösungen

x1 (t) = e−γt eiωt und x2 (t) = e−γt e−iωt

Vorfaktoren c1,2 haben wir hier Beide Lösungen x1 (t) und x2 (t) = x1∗ (t) sind komplex.
weggelassen, wir fügen Sie eh Wir können jedoch reelle Lösungen erhalten, wenn wir die folgenden Line-
bei der Linearkombination als
allgemeiner Lösung ein. arkombinationen betrachten:

x1 − x2 x1 + x1∗
2 = 2 = Re x1 (t) = e−γt cos ωt

x1 − x2 x1 − x1∗
2 = 2 = Im x1 (t) = e−γt sin ωt

Wir erhalten auch automatisch reelle Lösungen, wenn wir die reellen An-
fangswerte

x (0) = c1 + c2 = : x0 ẋ (0) = −γ(c1 + c2 ) + iω (c1 − c2 ) =: v0


x v + γx0 x0 v + γx0
⇔ c1 = 0 − i 0 c2 = +i 0
2 2ω 2 2ω

vorgeben. Dann wird

exp(iωt) − exp(−iωt)
 
exp(iωt) + exp(−iωt) v0 + γx0
xs (t) = exp(−γt) x0 + (−i )
2 ω 2
 
v0 + γx0
= exp(−γt) x0 cos(ωt) + sin(ωt) reell.
ω

Allgemeine Lösung des HO mit schwacher Dämpfung

x (t) = e−γt (c1 sin ωt + c2 cos ωt)

und unter Berücksichtigung der Additionstheoreme erhalten wir mit


c1 = A cos ϕ0 und c2 = A sin ϕ0 die Form

x (t) = Ae−γt sin(ωt + ϕ0 )


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 51

Die Dämpfung γ bewirkt also

• eine exponentiell (e−γt ) abfallende Amplitude A sowie


q
• eine Verringerung der Eigenfrequenz ω0 , denn ω = ω02 − γ2 < ω0 .

2.3.3.2 Starke Dämpfung (Kriechfall)

γ > ω0 haben wir die reellwertigen Koeffizienten


Für den Fall q
λ1,2 = −γ ± γ2 − ω02 < 0 und können die allgemeine Lösung damit direkt
aufschreiben.

Allgemeine Lösung des HO im Kriechfall:

 √ 2
√ 2 2 q
2
x (t) = e−γt c1 e γ −ω0 t + c2 e− γ −ω0 t , κ = γ2 − ω02
 
= e−γt c1 +2 c2 cosh(κt) + c1 −2 c2 sinh(κt)
Das System schwingt nicht mehr, zeigt also kein periodisches Verhal-
ten und hat maximal einen Nulldurchgang.

Es ist nicht unbedingt die


cosh/sinh-Form die bessere, die
Exponentialform betont die Tren-
2.3.3.3 Kritische Dämpfung (aperiodischer Grenzfall) nung in einen ansteigenen und
einen abfallenden Term.
Für den Fall γ = ω0 erhalten wir wegen λ = −γ nur eine Lösung x1 (t) =
ce−γt . Dies ist für eine DGL 2. Ordnung zu wenig, hier wären x (0) und v(0)
nicht mehr unabhängig wählbar, sondern müssten v(0) = γx (0) erfüllen.
Eine zweite, linear unabhängige Lösung der DGL können wir über einen
ähnlichen Ansatz wie dem oben beschriebenen erhalten.

Lösungsansatz:
52 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

x (t) = cteλt
ẋ (t) = c(1 + λt)eλt
ẍ (t) = c(2λ + λ2 t)eλt
 !
Die Exponentialfunktion nimmt → ẍ + 2γ ẋ + γ2 x = ceλt 2λ + λ2 t + 2γ(1 + λt) + γ2 t = 0
niemals den Wert 0 an! → 2λ + 2γ + (λ2 + 2γλ + γ2 )t = 0
→ 2( λ + γ ) + ( λ + γ )2 t = 0

Diese Gleichung kann nur für λ = −γ erfüllt sein und wir erhalten die
zweite Lösung x2 (t) = cte−γt .

Allgemeine Lösung des HO im aperiodischen Grenzfall:

x (t) = e−γt (c1 + c2 t)

Auch hier schwingt das System nicht mehr und es gibt maximal einen
q Null-
durchgang. Wir sehen im Vergleich zum Kriechfall, dass γ > γ − γ2 − ω02
gilt, d.h. der aperiodische Grenzfall stellt die schnellste nicht-schwingende
Je kleiner der Koeffizient β in Bewegung des HOs dar.
exp(− βt), desto langsamer die
Zeitentwicklung.

2.3.4 Getriebener harmonischer Oszillator

Im Unterschied zum freien, gedämpften HO mit der zugehörigen homo-


genen Differentialgleichung wollen wir nun eine periodische äußere Kraft
F (t) = F0 cos(Ωt) anlegen. Damit erhalten wir eine inhomogene DGL der
Form

m ẍ + α ẋ + kx = F0 cos(Ωt) oder äquivalent dazu


F0
ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = f cos(Ωt) mit f = m >0
und der Dämpfung γ sowie der Eigenfrequenz ω0 , wie zuvor definiert.
Wir erinnern uns, dass sich die Lösung der inhomogenen DGL aus der Lö-
sungsschar xhom der zugehörigen homogenen DGL und einer speziellen
12
Siehe Kapitel 2.2.2.2, Satz 3. Lösung xsp der inhomogenen DGL ergibt.12 Da wir die Lösungen der ho-
mogenen DGL bereits aus dem letzten Kapitel kennen, müssen wir nun
noch eine spezielle Lösung finden. Um diese spezielle Lösung zu finden,
bedienen wir uns eines Tricks. Wir stellen zunächst fest, dass wir die äußere
13
Zur Erinnerung: Kraft mit Hilfe der Eulerschen Formel 13 auch als Realteil einer Exponenti-
eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ alfunktion schreiben können

f cos(Ωt) = Re f eiΩt .


Wir können die inhomogene DGL nun als komplexwertige Gleichung für
die komplexe Variable z schreiben

z̈ + 2γż + ω02 z = f eiΩt .


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 53

Der Realteil der Lösung dieser Gleichung x = Re(z) ist dann die Lösung
der reellwertigen Gleichung. Wir verwenden nun den folgenden Ansatz für
eine spezielle Lösung der komplexwertigen DGL.
Lösungsansatz:

z(t) = AeiΩt = aei(Ωt− ϕ)


ż(t) = iAΩeiΩt
z̈(t) = − AΩ2 eiΩt

mit der komplexen Konstante A = ae−iϕ , der Amplitude a > 0 und der
Phasenverschiebung ϕ.
Damit erhalten wir

(− AΩ2 + i2γAΩ + ω02 A)eiΩt = f eiΩt | : eiΩt

⇔ (ω02 − Ω2 + i2γΩ) A = f (A = ae−iϕ )

⇔ (ω02 − Ω2 + i2γΩ) a = f eiϕ

Mit Hilfe der Eulerschen Formel können wir nun den reellen und den ima-
ginären Part getrennt schreiben und erhalten damit zwei Gleichungen für
zwei Parameter

Re: (ω02 − Ω2 ) a = f cos( ϕ)

Im: 2γΩa = f sin( ϕ) Da die Amplitude a positiv sein


muss, muss auch die rechte Seite
Quadrieren beider Gleichungen und Addition liefert mit sin2 x + cos2 x = 1 der Gleichung für den imaginären
Teil positiv sein. Dies ist nur
einen Ausdruck für die Amplitude möglich, wenn 0 < ϕ < π.
f
Diese Gleichung bestimmt daher
a= √ . den Definitionsbereich für ϕ.
(ω02 −Ω2 )2 +4γ2 Ω2

Division der Gleichung des imaginären Anteils durch die für den realen
Anteil ergibt hingegen einen Ausdruck für die Phasenverschiebung:

2γΩ
tan( ϕ) = ω02 −Ω2
.

Die spezielle Lösung, die wir nun zu einer der drei im Kapitel zuvor
gefundenen homogenen Lösungen (Schwingfall, Kriechfall, aperiodischer
Grenzfall) hinzuaddieren können um die Lösung der inhomogenen DGL zu
erhalten, ist damit durch den Realteil unseres Ansatzes gegeben

Re(z(t)) = Re( aei(Ωt− ϕ) ) = a cos(Ωt − ϕ) .

Nun diskutieren wir die Grenzfälle der Amplitude für verschiedene Werte
der Frequenz Ω
54 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie


f

ω02
für Ω → 0
a(Ω) →
0 für Ω → ∞

Zudem stellen wir fest, dass a(Ω) maximal groß wird, wenn der Ausdruck
unter der Wurzel (ω02 − Ω2 )2 + 4γ2 Ω2 minimal wird. Wir berechnen dieses
Minimum über die Ableitung

! d h 2 i
0= (ω0 − Ω2 )2 + 4γ2 Ω2
dΩ
= 2(ω02 − Ω2 )(−2Ω) + 4γ2 2Ω
= 4Ω(−ω02 + Ω2 + 2γ2 )
→ Ω2res = ω02 − 2γ2 .

Damit ergibt sich die Resonanzfrequenz, also die Frequenz der äußeren Kraft,
bei der die Amplitude des getriebenen harmonischen Oszillators maximal
wird, zu

q
Resonanzfrequenz: Ωres = ω02 − 2γ2 für γ < ω0

2

Die Resonanzfrequenz
q ist damit kleiner als die reduzierte Eigenfre-
quenz ω = ω02 − γ2 des gedämpften HOs.

Die Amplitude bei dieser Resonanzfrequenz ist dann

f
a(Ωres ) = q
(ω02 − Ω2res )2 + 4γ2 Ω2res
f
= q
4γ4 + 4γ2 (ω02 − 2γ2 )
f
= q
4γ2 ω02 − 4γ4
f 1
= q .
2γ ω 2 − γ2
0

f
Für γ << ω0 folgt: a(Ωres ) ≈ 2γω0 ∝ γ1 → ∞ für γ → 0.
Für sehr geringe Dämpfungen geht die Amplitude gegen unendlich.
Dies wird als Resonanzkatastrophe bezeichnet.
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 55

Nun schauen wir uns noch die Phasenverschiebung an:

Wir erkennen, dass die Amplitude a der treibenden Kraft hinterherhinkt.


Für den Fall, dass die Frequenz der treibenden Kraft Ω genau der Eigen-
frequenz des harmonischen Oszillators ω0 entspricht, ist die Phasenver-
schiebung ϕ unabhängig von der Dämpfung γ immer genau π/2. Ohne
Dämpfung springt die Phasenverschiebung bei ω0 von 0 auf π, für γ > 0 ist
ϕ eine stetige Funktion der treibenden Frequenz Ω.

2.3.5 M: Taylorreihenentwicklung
Mit Hilfe der Taylorreihenentwicklung können wir eine Funktion f ( x ) an
einem Punkt x0 annähern. Dafür verwenden wir ein Polynom vom Grad n
Tn ( x ) = a0 + a1 ( x − x0 ) + a2 ( x − x0 )2 + · · · + an ( x − x0 )n .
56 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Für die Koeffizienten finden wir



f ( x0 ) = Tn ( x0 ) → f ( x0 ) = a0 



f 0 ( x0 ) = Tn0 ( x0 ) → f 0 ( x0 ) = a1





f 00 ( x0 ) = Tn00 ( x0 ) → f 00 ( x0 ) = 2 · a2

f ( k ) ( x0 )


→ ak =
..  k!
. 




( n ) 
f (n) ( x0 ) = Tn ( x0 ) → f (n) ( x0 ) = 1| · 2 ·{z
· · · · n} an 




n!

Auf diese Weise können wir die Koeffizienten bestimmen und erhalten
als Ausdruck für das Taylor-Polynom
n
f k ( x0 )
Tn ( x ) = ∑ k!
( x − x0 ) k
k =0
f 00 f ( n ) ( x0 )
= f ( x0 ) + f 0 ( x0 )( x − x0 ) + ( x − x0 )2 + · · · + ( x − x0 ) n .
2 n!
Wenn wir diese Summe nicht beschränken (n → ∞) erhalten wir eine
Reihe, welche wir als Taylor-Reihe bezeichnen.

f ( k ) ( x0 )
Tn ( x ) = ∑∞
k =0 k! (x − x0 ) k Taylor-Reihe

Wir definieren einen Konvergenzradius | x − x0 | < R, in dessen Bereich gilt,


dass das Restglied Rn ( x ) := f ( x ) − Tn ( x ) für n → ∞ gegen Null geht. Dieser
Konvergenzradius R kann auch gleich Null (die Taylor-Reihe konvergiert
nicht für x 6= x0 ) oder unendlich sein (die Taylor-Reihe konvergiert für alle
x ∈ R).
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 57

Beispiele:

f ( x ) = sin( x ), x0 = 0, n=1
f ( x ) = sin x → f (0) = 0
f 0 ( x ) = cos x → f 0 (0) = 1
→ sin x = x + O( x2 )

O( x2 ) bedeutet, dass in diesem


Term alle Terme der Ordnung
x2 und höher zusammengefasst
sind.
Die Entwicklung des Taylorpolynoms bis zur 1. Ordnung bezeich-
nen wir auch als Linearisierung. Reihen um den Entwicklungspunkt
x0 = 0 werden auch Maclaurin-Reihen genannt.

f ( x ) = ln( x ), x0 = 1, n=2

f ( x ) = ln x → f (1) = 0
1
f 0 (x) = → f 0 (1) = 1
x
1
f 00 ( x ) = − → f 00 (1) = −1
x2

→ ln x = ( x − 1) − 12 ( x − 1)2
+O(( x − 1)3 )

f ( x ) = ln(1 + x ), x0 = 0, n=2

x2
→ ln(1 + x ) = x − 2 + O( x3 )

2
f ( x ) = e− x , x0 = 0, n=2

2
f ( x ) = e− x → f (0) = 1
− x2
f 0 ( x ) = −2xe → f 0 (0) = 0
2
f 00 ( x ) = (−2 + 4x2 )e− x → f 00 (0) = −2
2
→ e− x = 1 − x2 + O( x3 )
58 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

1
f (x) = x2
− 1x , x0 = 2, n=2

1 1 1 1 1
f (x) = − → f (2) = − = −
x2 x 4 2 4
2 1 2 1
f 0 ( x ) = − 3 + 2 → f 0 (2) = − + = 0
x x 8 4
00 6 2 00 6 2 1
f ( x ) = 4 − 3 → f (2) = − =
x x 16 8 8

1 1
→ x2
− x = − 14 + 16
1
( x − 2)2
+O(( x − 2)3 )

Auf diese Weise können wir auch Reihendarstellung uns bereits bekann-
ter Funktionen finden.

f (x) = ex , x0 = 0, n→∞

f (x) = ex f 0 (x) = ex f 00 ( x ) = e x f 000 ( x ) = e x . . .


↓ ↓ ↓ ↓
0 00 000
f (0) = 1 f (0) = 1 f (0) = 1 f (0) = 1 . . .

xk x2 x3
→ ex = ∑ k! = 1+x+ 2 + 3! +...
k =0

Die Exponentialreihe konvergiert für alle x ∈ R.


eindimensionale bewegung eines massenpunktes 59

f ( x ) = sin x, x0 = 0, n→∞

f ( x ) = sin x f 0 ( x ) = cos x f 00 ( x ) = − sin x f 000 ( x ) = − cos x . . .


↓ ↓ ↓ ↓
0 00 000
f (0) = 0 f (0) = 1 f (0) = 0 f (0) = −1 . . .
∞ 2k+1
x x3 x5
→ sin x = ∑ (−1)k (2k +1) !
= x− 3! + 5! +...
k =0

Wir sehen, dass der Sinus eine ungerade Funktion ist, da seine Rei-
henentwicklung ausschliesslich aus ungeraden Termen in x besteht.
Analog finden wir für den Kosinus
∞ 2k x2 x4
→ cos x = ∑ (−1)k (x2k)! = 1 − 2! + 4! −...
k =0
Der Kosinus ist offensichtlich eine gerade Funktion. Beide Reihen
konvergieren für x ∈ R.

f ( x ) = (1 + x )α , x0 = 0, n = 1, α ∈ R
f 0 ( x ) = α(1 + x )α−1 → f (0) = 1 und f 0 (0) = α
→ (1 + x )α = 1 + αx + O( x2 )

Diese Näherung werden wir häufiger verwenden:


√ x
• 1+x = 1+ 2 +...
√ x
• 3 1+x = 1+ 3 +...

• 1
1+ x = (1 + x ) −1 = 1 − x + . . .


f ( x ) = x, x0 = 0
f 0 ( x ) = 2√
1
x
→ f 0 (0) = √1
2 0
In diesem Fall ist keine Taylorentwicklung um x0 = 0 möglich.

Wir können die Taylor-Reihen auch verwenden, um Grenzwerte zu be-


stimmen
3
x − x6 +...
 
x2
• lim sinx x = lim x = lim 1 − 6 + . . . =1
x →0 x →0 x →0
√ √
n
1+ x − n
1− x 1+ nx +···−(1− nx +... ) 2
• lim x = lim x = n .
x →0 x →0

2.3.6 Kleine Schwingungen


Wir betrachten im Folgenden ein Fadenpendel.
60 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Wir nehmen die Fadenlänge l als konstant an und finden, dass die Ge-
samtkraft ~F damit immer senkrecht zur Kraft des Fadens auf die Masse m
ist
~Fges ⊥ ~FF .
Das Fadenpendel beschreibt also eine eindimensionale Bewegung entlang
Vergleichen Sie den Ausdruck für des Kreisumfangs.
den Winkel mit der Betrachtung
des Einheitskreises bei der Ein- 
führung der trigonometrischen
x < 0 für x>0
Funktionen in Kapitel 2.3.2.1. |~F | = |~FG | sin ϕ → F = −mg sin
l > 0 für x<0

Die Differentialgleichung lautet daher

x
m ẍ + mg sin =0
l

und ist aufgrund der nicht-linearen Rückstellkraft kein harmonischer Oszil-


lator!  
|x|
Allerdings können wir für kleine Auslenkungen l << 1 den Sinus mit
der uns mittlerweile bekannten Taylorreihe entwickeln und diese nach dem
ersten Term abbrechen

sin xl ≈ xl .
Damit erhalten wir die Differentialgleichung

g
ẍ + x = 0,
l
q
g
welche nun wieder eine harmonische Schwingung mit der Frequenz ω0 = l
zur Lösung hat.
Die Näherung, die wir durch Abbruch der Taylorreihe nach dem ersten
Term einführen, hat wegen xl > sin xl zur Folge, dass die Rückstellkraft und
damit auch die erhaltene Frequenz größer ist als in der Realität.
eindimensionale bewegung eines massenpunktes 61

2.4 Beliebige ortsabhängige Kraft

Eine Kraft F ( x, ẋ, t) = F ( x ), die also nur abhängig vom Ort x, aber nicht von
ẋ (keine Reibung) oder t (nicht getrieben) ist, bezeichnen wir als konservativ.
Für konservative Kräfte existiert ein Potential V ( x ) welches wie folgt mit der
Kraft zusammenhängt

d
F(x) = − V (x)
dx
Zx
V (x) = − dx 0 F ( x 0 ) .
x0

Das negative Vorzeichen ist dabei Konvention. Wir erhalten nun für die
Bewegungsgleichung

d
m ẍ = F ( x ) → m ẍ + V (x) = 0 .
dx
Wenn wir diese Gleichung nun mit der Geschwindigkeit ẋ multiplizieren
erhalten wir
dV ( x )
m ẋ ẍ + ẋ = 0
 dx 
d 1 2
→ m ẋ + V ( x ) = 0
dt 2
| {z }
muss konstant sein!
1 2
→ m ẋ + V (x) = E = const.
2 | {z }
potentielle Energie V
| {z }
kinetische Energie T

Wir erhalten damit die Gesamtenergie E als Summe aus kinetischer Energie
T und potentieller Energie V und sehen, dass dies eine Erhaltungsgröße ist,
da die Ableitung nach der Zeit gleich Null ist. Dieses Ergebnis haben wir bereits
Diese Differentialgleichung können wir durch Trennung der Variablen bei der Energiemethode zur Lö-
sung von Differentialgleichungen
für die Zeit t lösen verwendet (s. Kapitel 2.2.2.3 c).
1 2
m ẋ = E − V ( x )
2 r
dx 2
⇒ ẋ = =± [ E − V ( x )]
dt m
dx
⇔q = ±dt
2
m [ E − V ( x )]
Zx Zt
dx 0
⇒ q =± dt0
2 0
x0 m [ E − V ( x )] 0
Zx
dx 0
⇒t = ± q
2 0
x0 m [ E − V ( x )]
62 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Wir betrachten nun ein fiktives ortsabhängiges Potential V ( x ):

Für T = E − V ( xU ) = 0 finden wir Umkehrpunkte Ui . Es entstehen


klassische verbotene Bereiche für die bei gegebener Energie E negative
14
In der Quantenmechanik werden kinetische Energien folgen würden, was klassisch nicht erlaubt ist.14 Das
wir sehen, dass ein System mit System wird also zur Umkehr der Bewegungsrichtung gezwungen.
endlicher Wahrscheinlichkeit auch
in diese Bereiche vordringen kann.
Wir können zudem drei Bereiche definieren

1 Hier finden wir beschränkte Oszillationen für unser System, deren Dauer
wir über den gerade hergeleiteten Ausdruck für die Zeit t( x ) berechnen
xU3
dx 0
R
können tosc = 2 q
2
.
0 )]
xU2 m [ E −V ( x

2 Dieser Bereich erlaubt unbeschränkte Bewegung und wir finden


lim x (t) = +∞ .
t→±∞

3 Auch hier haben wir einen Bereich unbeschränkter Bewegung mit


lim x (t) = −∞ .
t→±∞

In der Abbildung finden wir zudem diverse Gleichgewichtspunkte, an


denen keine Kraft ausgeübt wird, wobei wir stabile Gleichgewichtspunkte
(Minima von V ( x )) mit einem ◦ und instabile Gleichgewichtspunkte (Maxima
von V ( x )) mit einem ⊗ kennzeichnen.
3
Mehrdimensionale Bewegung eines Mas-
senpunktes

In diesem Kapitel werden wir nun die gefundenen Beziehung für die eindi-
mensionale Bewegung auf die Bewegung in drei Raumdimensionen übertra-
gen. Dazu müssen wir uns zunächst mit Vektoren, vektorwertigen Funktio-
nen und Feldern beschäftigen.
Vektoren haben Betrag und Richtung, während die bislang betrachteten
Skalare zwar einen Betrag, aber keine Richtung haben. Die Newtonsche
Bewegungsgleichung in drei Raumdimensionen lautet nun

m~r¨ = ~F (~r,~r,
˙ t) (Newtonsche Bewegungsgleichung in 3D)

3.1 M: Vektoren, vektorwertige Funktionen und Felder

3.1.1 M: Vektoren

3.1.1.1 M: Vektorraumaxiome

Axiom 1: Addition zweier Vektoren

~a,~b ∈ V → ~a + ~b ∈ V (V : Vektorraum )

• assoziativ: (~a + ~b) +~c = ~a + (~b +~c)

• kommutativ: ~a + ~b = ~b +~a

• Nullelement ~0: ~a + ~0 = ~a

• inverses Element −~a zu ~a: ~a + (−~a) = ~0


64 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Axiom 2: Multiplikation mit Skalar

~a ∈ V, α ∈ R → α~a ∈ V

• distributiv: (α + β)~a = α~a + β~a


α(~a + ~b) = α~a + α~b

• assoziativ: α( β~a) = (αβ)~a

• Einselement 1: 1 ·~a = ~a

Beispiele:

• stetige Funktionen f ( x ) auf dem Intervall [ a, b] bilden einen Vektorraum


Die Schreibweise C [ a, b] kennzeich- V = C [ a, b]
net die Menge aller stetigen (engl.:
continuous) Funktionen auf dem
Intervall [ a, b]. ( f + g)( x ) = f ( x ) + g( x ); Nullelement f ( x ) = 0;

−( f )( x ) = − f ( x ); (α f )( x ) = α f ( x ).

3.1.1.2 M: Skalarprodukt und Norm

Definition 23: Skalarprodukt (Innenprodukt)

~a · ~b ∈ R

• positiv definit: ~a ·~a > 0 für alle ~a 6= ~0

• distributiv: (α~a + β~b) ·~c = α~a ·~c + β~b ·~c

• kommutativ: ~a · ~b = ~b ·~a

Der Vektorraum mit Skalarprodukt wird als Innenproduktraum bezeichnet.


Für derartige Vektorräume gilt

~0 ·~a = (~a −~a) ·~a = ~a ·~a −~a ·~a = 0 .


mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 65

Definition 24: Euklidische Norm (Betrag des Vektors)



|~a| := ~a ·~a ∈ R

p
Hier gilt |~0| = ~0 · ~0 = 0 und |~a| > 0 für ~a 6= ~0.

Schwarzsche Ungleichung: |~a · ~b| ≤ |~a| · |~b|

Definition 25: Einheitsvektor

Einheitsvektor êa zu ~a 6= ~0: êa = |~~aa| .


Der Einheitsvektor hat die gleiche Richtung wie ~a aber den Betrag 1.

Definition 26: Winkel zwischen zwei Vektoren

Der Winkel θ = 6 (~a,~b) zwischen ~a und ~b ist definiert über


~a · ~b = |~a| · |~b| cos θ

Definition 27: Orthogonalität zwischen Vektoren

~a ⊥ ~b (~a orthogonal zu ~b), wenn ~a · ~b = 0 (d.h. θ = π


2 oder θ = 3π
2 ). Es
gilt ~0 ⊥ ~a für alle ~a, denn ~0 ·~a = 0.

Beispiele:

• V = E3 → Pfeile im 3-dimensionalen Anschauungsraum


(Euklidischer Raum):


~ ~
+|~a| |b|, falls ~a, b parallel


~a ·~b = −|~a| |~b|, falls ~a,~b antiparallel

 ~
|~a| |b| · cos θ, andernfalls, denn |~bk | = |~b| · cos θ

• V = Rn : ~a · ~b := a1 b1 + a2 b2 + . . . an bn
q
|~a| = a21 + a22 + · · · + a2n

Rb
• V = C [ a, b] mit f · g := a dx f ( x ) g( x )
66 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

3.1.1.3 M: Komponentendarstellung von Vektoren

Definition 28: Basis B des Vektorraums V

Die Teilmenge B des Vektorraums V heißt Basis, wenn

• jedes ~a ∈ V als Linearkombination ~a = α1~b1 + α2~b2 + · · · + αr~br mit


~b1 ,~b2 , . . . ,~br ∈ B dargestellt werden kann

• kein Vektor aus B weggelassen werden kann (d.h. jede echte Teil-
menge von B ist keine Basis von V).

Definition 29: Dimension des Vektorraums V

Die Dimension r des Vektorraums V entspricht der Zahl der Basis-


vektoren. Diese kann auch unendlich sein!

Definition 30: Orthogonalbasis und Orthonormalbasis

Die Basis B heißt

• Orthogonalbasis, wenn für alle ~b,~b0 ∈ B mit ~b 6= ~b0 gilt: ~b · ~b0 = 0.

• Orthonormalbasis, wenn zusätzlich für alle ~b ∈ B gilt: |~b| = 1.

Komponentendarstellung für n-dimensionale Vektorräume:


n
~a = ∑ αi~bi mit den Komponenten αi und den Basisvektoren ~bi
i =1
→ ~a = (α1 , α2 , . . . , αn ) (Zeilenvektor) oder
 
α1
 α2 , 
 
→ ~a =  ..  (Spaltenvektor).

 . 
αn
Die Komponenten hängen dabei von der Wahl der Basis ab!
Ist die Basis festgelegt, so ist die Zuordnung zwischen Vektor ~a ∈ V
und seinem Tupel aus n Komponenten (also Zeilen- bzw. Spaltenvektor)
eindeutig. Dann ist es nicht unüblich (so auch in diesem Skript), den Vektor
mit seinem Komponententupel gleichzusetzen.

Beispiel: V = E3 mit Orthonormalbasis {ê1 , ê2 , ê3 }


mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 67

→ Komponentendarstellung1
     
1 0 0
ê1 =  0 , ê2 =  1 , ê3 =  0  Sie ist Ausdruck der Tautolo-
      1

giewn: ê1 = 1 ê1 + 0 ê2 + 0 ê3 ,


0 0 1
ê2 = 0 ê1 + 1 ê2 + 0 ê3 und
ê1 = 0 ê1 + 0 ê2 + 1 ê3 .
b R3
→ E3 =
Von nun an betrachten wir hauptsächlich V = R3 .

3.1.1.4 M: Vektorprodukt (Kreuzprodukt)

Definition 31: Vektorprodukt (Kreuzprodukt)


     
a1 b1 a2 b3 − a3 b2
~a × ~b =  a2  ×  b2  :=  a3 b1 − a1 b3  ∈ V = R3
     
a3 b3 a1 b2 − a2 b1

Eigenschaften:

• anti-kommutativ: ~a × ~b = −~b ×~a

• distributiv: (~a + ~b) ×~c = ~a ×~c + ~b ×~c

• homogen: (α~a) × ~b = α(~a × ~b) = ~a × (α~b)


i.A.
• Achtung nicht assoziativ: ~a × (~b ×~c) 6= (~a × ~b) ×~c

• Richtung: (~a × ~b ⊥ ~a) und (~a × ~b ⊥ ~b)


denn:
   
a1 a2 b3 − a3 b2
~a · (~a × ~b) =  a2  ·  a3 b1 − a1 b3 
   
a3 a1 b2 − a2 b1
=a1  b3 − X
a2  a1 X b2 + 
a3 X a2 X
X b1 − 
a3 
 X a2  b3 + X
a1  a3 X b2 − 
a1 X a3 X
X b1 = 0
a2 
 X

Betrag: |~a × ~b| = |~a| · |~b| · | sin θ | mit θ = 6 (~a,~b)


Denn es gilt: (~a × ~b)2 = |~a|2 · |~b|2 − (~a · ~b)2 . Hier ohne Beweis, aber Sie können
sich leicht durch Nachrechnen
davon überzeugen.
q
→ |~a × ~b| = |~a|2 |~b|2 − |~a|2 |~b|2 cos2 θ
p
= |~a| |~b| 1 − cos2 θ = |~a| |~b|| sin θ |

|~a × ~b| = |~a| |~b|| sin θ | = |~a||~b⊥ |


| {z }
|~b⊥ |
Flächeninhalt des Parallelogramms
68 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

3.1.1.5 M: Spatprodukt

Spatprodukt: ~a · (~b ×~c)

A = |~b ×~c| (Fläche des Parallelogramms)

~b×~c
n̂ = (Einheitsvektor senkrecht zu ~b und ~c)
|~b×~c|

 
~b×~c
→ ~a · (~b ×~c) = ~a · |~b ×~c| = ~|{z}
a · n̂ A = hA = V (Spatvolumen)
|~b×~c|
Höhe h

Veranschaulichung des 3.1.1.6 M: Kronecker- und Levi-Civita-Symbole


Levi-Civita Symbols
Definition 32: Kronecker-Symbol

1 falls i = j
δij =
0 falls i 6= j

Definition 33: Levi-Civita-Symbol (e-Tensor)



+1 falls (i, j, k ) = (1, 2, 3) oder (2, 3, 1) oder (3, 1, 2)


eijl = −1 falls (i, j, k) = (3, 2, 1) oder (2, 1, 3) oder (1, 3, 2)


0 sonst

mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 69

Für die Orthonormalbasis ê1 , ê2 , ê3 gilt


3
êi × ê j = ∑ eijk êk
êi · ê j = δij k =1
und
denn:
         
1 1 1 0 0
 0  ·  0  = 1 → ê1 · ê1 = 1  0 × 1  =  0 
         

0 0 0 0 1


1
 
0
 → ê1 × ê2 = ê3
 0  ·  1  = 0 → ê1 · ê2 = 0
         
1 1 0
0 0
 0 × 0  =  0 
     

.. 0 0 0
.
→ ê1 × ê1 = ~0
     
0 1 0
 1 × 0  =  0 
     
0 0 −1

→ ê2 × ê1 = −ê3


..
.
70 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Sei ein Vektor ~a in einer Orthonormalbasis dargestellt, d.h.

n n n
~a = ∑ ak~ek ⇒ ~e j ·~a = ~e j · ∑ ak~ek = ∑ ak ~e|j{z·~e}k = a j
k =1 k =1 k =1
δjk

Das heißt, um die j. Komponente eines Vektors ~a in einer bestimmten Or-


thonormalbasis zu erhalten, brauchen wir lediglich sein Skalarprodukt mit
dem j. Basisvektor dieser Orthonormalbasis zu bilden.

Wir führen nun die Einsteinsche Summenkonvention ein, die es uns erlaubt
Gleichungen deutlich kompakter zu schreiben. Diese Konvention wird
vielfach verwendet und in vielen weiterführenden Lehrbüchern und Veröf-
fentlichungen vorausgesetzt, ohne dass dies explizit erwähnt wird.

Einsteinsche Summenkonvention:
Wir lassen das Summenzeichen weg, summieren jedoch über doppelt auf-
tauchende Indizes.

3
z.B. ∑ eijk êk → eijk êk (Summation über k)
k =1

Damit können wir nun das Skalar-, Vektor, und Spatprodukt in kompakter
2
Auch wir setzen ab jetzt die Ein- Form in Komponentenschreibweise formulieren. 2
steinsche Summenkonvention als
bekannt voraus und verwenden sie
wann immer sie eine kompaktere Skalarprodukt in Komponentenschreibweise:3
Schreibweise erlaubt. ~a · ~b = ( ai êi ) · (b j · ê j ) = ai b j êi · ê j = ai bi
3
Diese Skalarprodukt-Darstellung | {z }
über die Komponenten in einer δij
Orthonormalbasis gilt in allen
→ ~a · ~b = ai bi
Vektorräumen.

Vektorprodukt in Komponentenschreibweise:
~a × ~b = ( ai êi ) × (b j · ê j ) = ai b j (êi × ê j ) = ai b j eijk êk
| {z }
eijk êk

Wir betrachten nun eine Komponente l des resultierenden Vektors:


(~a × ~b)l = (~a × ~b) · êl = ai b j eijk êk · êl = ai b j eijl = ai b j elij
| {z }
δkl
→ (~a × ~b)l = elij ai b j

Spatprodukt in Komponentenschreibweise:
~a · (~b ×~c) = ai eijk b j ck = eijk ai b j ck = e jki b j ck ai = ekij ck ai b j
→ ~a · (~b ×~c) = ~b · (~c ×~a) = ~c · (~a × ~b) = eijk ai b j ck
mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 71

Zudem gilt die häufig verwendete Relation

eijk eilm = δjl δkm − δjm δkl

Beispiel: bac-cab-Regel

~a × (~b ×~c) = ~b(~a ·~c) −~c(~a · ~b)

Denn es gilt 4 4
Analog können wir (~a × ~b)2
beweisen. (Vgl. Kapitel 3.1.1.4).

[~a × (~b ×~c)]i = eijk a j (~b ×~c)k = eijk a j eklm bl cm


= ekij eklm a j bl cm = (δil δjm − δim δjl ) a j bl cm
= a j bi c j − a j b j ci = bi (~a ·~c) − ci (~a · ~j)

3.1.2 M: Vektorwertige Funktionen

Bislang haben wir uns mit skalarwertigen Funktionen beschäftigt: Die Funk-
tionswerte waren stets skalare Größen wie zum Beispiel die x-Position des
Körpers, die eindimensionale Kraft oder die Energie. Bei den vektorwertigen
Funktionen ist der Funktionswert nun ein Vektor. Ein Beispiel ist die Trajek-
torie oder Bahnkurve ~r (t) eines Teilchens in drei Dimensionen.

3.1.2.1 M: Parametrisierung von Raumkurven

Definition 34: Raumkurve

Raumkurve := {~r (t); ta ≤ t ≤ te }

~r (t) ist eine(!) mögliche Parametrisierung


der Raumkurve, aber nicht die einzige.

Beispiel: Kreisbewegung
72 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Drei mögliche Parametrisierungen sehen wie folgt aus:


     
R cos(ωt) R cos ϕ x
 √
~r (t) =  R sin(ωt) , ~r ( ϕ) =  R sin ϕ , ~r ( x ) =  ± R2 − x2 .
    
0 0 0

3.1.2.2 M: Stetigkeit, Ableitung, Integral vektorwertiger Funktionen


 
x (t)
Wir schreiben zunächst ~r (t) =  y(t)  bzw. ~r (t) = x (t)~ex + y(t)ê2 +
 
z(t)
z(t)ê3 .

• ~r (t) ist stetig, wenn x (t), y(t) und z(t) stetig sind.

• Ableitung:

 
ẋ (t)
~r˙ (t) =  ẏ(t)  bzw. ~r˙ (t) = ẋ (t)~ex + ẏ(t)ê2 + ż(t)ê3
 
ż(t)

 
ẍ (t)
~r¨(t) =  ÿ(t)  bzw. ~r¨(t) = ẍ (t)~ex + ÿ(t)ê2 + z̈(t)ê3
 
z̈(t)

• Integral:

 R 
dt x (t)
R  R R
dt~r (t) =  dt y(t)  bzw. dt~r (t) = ( x (t)~ex + y(t)ê2 + z(t)ê3 )

R
dt z(t)

Ableitung und Integral werden also komponentenweise bestimmt.


mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 73

3.1.2.3 M: Bogenlänge

Wir bezeichnen die Bogenlänge mit s(t).

s ( ta ) = 0
s(te ) = Gesamtlänge der Raumkurve

Geschwindigkeit: ~v(t) = ~r˙ (t) (Vektor)


Geschwindigkeit entlang der q Raumkurve: v(t) = |~v(t)| (Skalar)
ds
dt = v → ds = |~v(t)|dt = (~r˙ (t))2 dt

Rt q
→ Bogenlänge: s(t) = dt0 (~r˙ (t0 ))2
ta
s(t) ist damit eine mit t monoton wachsende Funktion, die wir damit
auch nach t(s) auflösen können. Damit können wir auch schreiben
~r (t) → ~r (t(s)) = ~r (s).
~r (s) bezeichnen wir als natürliche Parametrisierung der Raumkurve.

Beispiel: Kreisbewegung

   
R cos(ωt) − Rω sin(ωt)
~r (t) =  R sin(ωt)  , ~r˙ (t) =  Rω cos(ωt) 
   
0 0
q
→ |~r˙ (t)| = (− Rω sin(ωt))2 + ( Rω cos(ωt))2
q
= R2 ω 2 [sin2 (ωt) + cos2 (ωt)] = Rω
Zt
→ s(t) = dt0 Rω = Rωt
0
s
→ t(s) = (Ausdruck für die Zeit als Funktion der Bogenlänge)
Rω  
R cos( Rs )
→ natürliche Parametrisierung:~r (s) =  R sin( Rs )  .
 
0
74 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

3.1.2.4 M: Begleitendes Dreibein

Wir können ein System orthonormaler Basisvektoren definieren, deren Rich-


tungen in jedem Punkt der Raumkurve anders sind. Sie sind damit Funkti-
on der gerade eingeführten Bogenlänge s. Der Vektor ~r˙ (t) = dtd
~r (t), also der
Geschwindigkeitsvektor, ist immer tangential zur Bahnkurve orientiert und
wir können einen Tangenteneinheitsvektor t̂(t) wie folgt definieren

Der Tangenteneinheitsvektor
hat dieselbe Richtung wie die d~r (t) d~r (t)
Geschwindigkeit. t̂(t) = dt = dt
ds
.
d~r (t)
dt dt

Parametrisieren wir ~r wieder nach der Bogenlänge s, indem wir t(s) einset-
zen und leiten nach s ab, so finden wir mittels Kettenregel und der Regel
zur Ableitung von Umkehrfunktionen

d dt ~r˙
~r (t(s)) = ~r˙ = ds ,
ds ds
dt

also den selben Ausdruck. Die Ableitung des Ortsvektors nach der Bogen-
länge s liefert somit unmittelbar den Tangenteneinheitsvektor t̂(s) (deshalb
auch „natürliche Parametrisierung“), welcher also auch in Richtung wach-
Das musster wegen ds/dt = |~r˙ | > 0 sender Bogenlänge orientiert ist.
so herauskommen.
mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 75

Der Betrag der Änderung des Tangenteneinheitsvektors mit s entlang


dieser Richtung ist die Krümmung κ der Bahnkurve

dt̂(s)
κ = (Krümmung)
ds
ρ = κ −1 (Krümmungsradius) .

Die beiden verbleibenden orthonormalen Basisvektoren des begleitenden


Dreibeins müssen nun in der Ebene senkrecht zur Tangente liegen. Die Ab-
leitung eines Einheitsvektors nach einem unabhängigen Parameter ist im-
mer senkrecht zu diesem Vektor und wir können den Normaleneinheitsvektor
n̂(s) bestimmen zu
dt̂(s)
1 dt̂(s)
n̂(s) = ds = .
dt̂(s)
ds κ ds

Die von t̂(s) und n̂(s) aufgespannte


Den dritten Basisvektor des begleitenden Dreibeins, den Binormalenein- Ebene heißt Schmiegeebene.

heitsvektor b̂(s), erhalten wir aus dem Vektorprodukt der beiden anderen
Einheitsvektoren

b̂(s) = t̂(s) × n̂(s) .

Das begleitende Dreibein ist ein orthonormiertes Rechtssystem und zy-


klische Vertauschungen für die zuletzt genannte Gleichung sind ebenfalls
Der Normaleneinheitsvektor
zulässig. ist orthogonal zum Tangenten-
Frenetsche Formeln: einheitsvektor in Richtung des
Die Frenetschen Formeln geben die Änderung der Basisvektoren des beglei- Schmiegekreismittelpunkts.

tenden Dreibeins mit der Bogenlänge s an. Aus der Definition des Norma-
leneinheitsvektors können wir direkt die erste Frenetsche Formel gewinnen

dt̂(s)
= κ n̂(s) .
ds
Für den Binormaleneinheitsvektor finden wir
db̂(s) dt̂(s) dn̂(s) dn̂(s)
= × n̂(s) + t̂(s) × = κ n̂(s) × n̂(s) +t̂(s) × Der Binormaleneinheitsvektor
d( s ) ds ds | {z } d( s ) vervollständigt das begleitende
=~0 Dreibein.
dn̂(s)
= t̂(s) ×
d( s )
db̂(s) db̂(s)
Daraus folgt ds ⊥ t̂(s) und weil b̂(s) ein Einheitsvektor ist ds ⊥ b̂(s).
Die Ableitung des Binormaleneinheitsvektors nach s ist damit – genau wie
der Normaleneinheitsvektor n̂(s) – senkrecht zu t̂(s) und b̂(s). Wir können
daher schreiben
db̂(s) Rechtssystem des begleitenden
= −τ n̂(s) mit τ : Torsion der Raumkurve Dreibeins. Alle Basisvektoren
ds sind orthonormiert und zyklische
σ = τ −1 : Torsionsradius Vertauschung
Das Vorzeichenististmöglich.
hier so gewählt,
dass sich die Raumkurve für positi-
ve Torsion in dieselbe Richtung aus
der Schmiegeebene herauswindet
wie b̂(s).
76 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

Damit haben wir mit der Torsion τ neben der Krümmung κ eine zweite
Kenngröße der Bahnkurve eingeführt. Nun fehlt noch die Änderung des
Normaleneinheitsvektors n̂(s) mit der Bogenlänge s

dn̂(s) db̂(s) dt̂(s)


n̂(s) = b̂(s) × t̂(s) ⇒ = × t̂(s) + b̂(s) ×
ds ds ds
= −τ n̂(s) × t̂(s) + κ b̂(s) × n̂(s)
= τ b̂(s) − κ t̂(s) ,

wobei wir die homogene Eigenschaft des Vektorprodukts und dessen Anti-
Kommutativität verwendet haben. Zusammengefasst finden wir für die
Frenetschen Formeln:

dt̂(s)
= κ n̂(s)
ds
db̂(s)
= −τ n̂(s)
ds
dn̂(s)
= τ b̂(s) − κ t̂(s) .
ds
Eine Bahnkurve ist also bis auf ihre absolute Position vollständig durch ihre
Krümmung und Torsion bestimmt.

3.1.3 M: Felder

Wir haben zum Beispiel bereits das Kraftfeld ~F (~r ) kennen gelernt. Die Funk-
tionsvariable (hier: ~r) eines Feldes ist also ein Vektor. Wir unterscheiden

• Skalarfelder: Der Funktionswert ist ein Skalar (z.B. bei einer Temperatur-
verteilung T (~r) und

• Vektorfelder: Der Funktionswert ist ein Vektor (z.B. beim Kraftfeld ~F (~r )).

Wir betrachten nun zunächst ein Skalarfeld φ(~r ) = φ( x, y, z) = φ( x1 , x2 , x3 ).

Partielle Ableitung:

∂φ( x0 , y0 , z0 ) φ( x, y0 , z0 ) − φ( x0 , y0 , z0 )
= lim .
∂x x → x0 x − x0

Höhere Ableitungen:

∂2 φ

∂ ∂φ
=
∂x2 ∂x ∂x
2
∂ φ
 
∂ ∂φ ∗ ∂ ∂φ
 
∂2 φ
= = = ,
∂x∂y ∂x ∂y ∂y ∂x ∂y∂x
mehrdimensionale bewegung eines massenpunktes 77

wobei das mittlere Gleichheitszeichen (*) in der zweiten Zeile nur gilt, wenn
die 2. Ableitungen stetig sind.
Durch das Vorkommen mehrerer Variablen wird auch die Kettenregel ver-
allgemeinert. Seien z.B. x, y und z von t abhängig, dann gilt:

d ∂φ ∂φ ∂φ
φ( x (t), y(t), z(t)) = ẋ + ẏ + ż
dt ∂x ∂y ∂z

Die 3 Einzelbeiträge addieren sich also. Dies findet auch im totalen


 Differen-

dx
tial, der Änderung von φ um dφ bei Änderung von ~r um d~r =  dy ,
 
dz
Ausdruck:

∂φ ∂φ ∂φ
dφ = ∂x dx + ∂y dy + ∂z dz (totales Differential)

Betrachten wir φ nicht auf dem ganzen Raum, sondern auf der Geraden
~r0 + λ~e, mit festem ~r0 und fester Richtung, gegeben durch den Einheitsvek-
tor ~e, so ist das Ergebnis φ̃(λ) = φ(~r0 + λ~e) eine Funktion von nur einer
Variablen, λ. Bilden wir die Ableitung auf dieser Geraden, kommt noch mal
die mehrdimensionale Kettenregel zur Anwendung:

dφ̃(λ) d ∂φ ∂φ ∂φ
= φ( x0 + λex , y0 + λey , z0 + λez ) = ex + ey + ez
dλ dλ ∂x ∂y ∂z

Die 3 partiellen Ableitungen sind dabei am Punkt ~r0 + λ~e ausgewertet. Für
λ = 0 erhält man also die Ableitung der Funktion φ entlang der Richtung ~e
am Punkt ~r0 , auch als Richtungsableitung bezeichnet.

Definition 35: Gradient eines Skalarfeldes φ(~r )


 ∂φ 
∂x
 ∂φ

gradφ := 
 ∂y
 (gradφ ist ein Vektorfeld)

∂φ
∂z

Damit können wir obige Ausdrücke kürzer schreiben, nämlich als die Ska-
larprodukte
Gradient der Funktion
d
φ( x (t), y(t), z(t)) = gradφ ·~r˙ f ( x, y) = 1+ x12 +y2 an der Stelle ~r0 .
dt
dφ̃(λ)
bzw. = gradφ ·~e ,

wobei wir aus der Richtungsableitung (zweite Zeile) auch eine anschauliche
Bedeutung des Gradienten ablesen können:

• gradφ zeigt in Richtung des steilsten Anstiegs von φ


78 newtonsche mechanik und spezielle relativitätstheorie

• die Steigung in diese Richtung ist |gradφ|

• gradφ steht senkrecht auf den Höhenlinien, für die gilt φ = const.

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