Sie sind auf Seite 1von 490

1

1 Einführung – Zusammenhalt schaffen (Hauptgruppe 1),


– Zusammenhalt beibehalten (Hauptgruppe 2),
– Zusammenhalt vermindern (Hauptgruppe 3),
– Zusammenhalt vermehren (Hauptgr. 4 und 5).
Die Aufgabe der Fertigungstechnik besteht in der
wirtschaftlichen Herstellung eines durch eine Zeich- Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Unterscheidung
nung oder einen anderen Informationsträger vorge- zwischen Formgeben und dem Ändern derStoffei-
gebenen Werkstücks. In diesen »Konstruktionsun- genschaften. Damit ergibt sich eine zweidimensio-
terlagen« sind Anweisungen und Einzelheiten festge- nale Ordnungsmatrix der in sechs Hauptgruppen
legt, die die Fertigung des Werkstücks ermöglichen. eingeteilten Fer tigungsverfahren, Tabelle 1-1. In
Dazu gehören u. a. die Abmessungen, die Werkstof- diesem Ordnungssystem wird jedes Fertigungsver-
fe, die erforderlichen Maßtoleranzen, die Oberflä- fahren mit einer mehrstelligen Ordnungsnummer
chengüten sowie die Prüf- und Messmittel während (ON) bezeichnet:
bzw. nach der Fertigung. – Hauptgruppen (1. Stelle der ON: Einteilung)
– Gruppen (2. Stelle der ON: Unterteilung)
Damit sind schon weitgehend (zusammen mit den – Untergruppen (3. Stelle der ON: Verfahren)
betrieblichen Möglichkeiten) die zum Herstellen
des Bauteils geeigneten Fertigungsverfahren vor- In Bezug auf die jeweilige Bearbeitungsaufgabe bie-
gegeben. ten sich in der Regel mehrere Fertigungsverfahren
bzw. Kombinationen von Fertigungsverfahren an.
Die in der Zeiteinheit zu fertigenden Teile und der Von den zu bearbeitenden Formelementen, den form-
zeitliche, wirtschaftliche und (oder) personelle Auf- elementspezifischen Abmessungen, Toleranzen und
wand bestimmen den Automatisierungsgrad der Oberflächenmerkmalen, vom Werkstückstoff und
Fertigung. Die Möglichkeiten reichen von handbe- von den Stoffeigenschaften ist es unter anderem ab-
dienten Universalmaschinen über nummerisch ge- hängig, wie sich Anwendungsgrenzen von Ferti-
steuerte Maschinen, bei denen die Wirkinformatio- gungsverfahren verschieben.
nen in Form von Programmen gespeichert sind, und
über flexible Fertigungssysteme, bei denen mehrere Fertigungsverfahren und Fertigungssysteme sind so
CNC-gesteuerte Fertigungssysteme (Bearbeitungs- zu wählen, dass die Werkstücke in ausreichender
zentren, Fertigungszellen, -inseln und Einzelmaschi- Ausbringung und Qualität bei minimalen Kosten
nen) durch eine übergeordnete Werkstück- und Werk- sowie unter ergonomischen und umweltverträgli-
zeugversorgung sowie integrierte Auftragsablauf- chen Bedingungen gefertigt werden können.
steuerung mit Anschluss der Zellenrechner an über-
geordnete Leitrechner miteinander verbunden sind. Die fortwährende Verbesserung der bestehenden Fer-
Eine Folge der zunehmenden Automatisierung ist tigungsverfahren vollzieht sich i. Allg. als komple-
die kontinuierliche Verschiebung der Tätigkeit der xer Prozess. So werden die in der industriellen Fer-
Menschen von der handwerklich ausführenden zur tigung erreichbaren Genauigkeiten urformend oder
geistig anspruchsvollen, planenden Arbeit. umformend vorgefertigter Werkstücke zunehmend
größer, und in vielen Fällen wird nur noch ein spa-
Die Vielzahl der Fertigungsverfahren zwingt zur nendes Fertigungsverfahren für die Endbearbeitung
Einordnung der einzelnen Bereiche in ein überschau- erforderlich sein. Die Forderungen nach kürzeren
bares, widerspruchsfreies System, in dem die be- Durchlaufzeiten und geringerer Kapitalbindung ver-
kannten und die in der Zukunft entwickelten Ver- langen zudem, dass die klassischen Fertigungsfol-
fahren Platz finden. gen mit dem Ziel der Kostensenkung und mit teil-
weise erhöhten Anforderungen an die Qualität der
Die Norm DIN 8580 enthält die systematische Ein- gefertigten Werkstücke neu überdacht werden. Zu-
teilung der Fertigungsverfahren, Tabelle 1-1. Ein we- kunftsorientierte Fertigungsstrategien haben neben
sentliches Ordnungsprinzip ist das Ändern des Zu- den bekannten Forderungen nach höherer Produkti-
sammenhalts. Es bezieht sich sowohl auf den Zu- vität auch verstärkt die Flexibilität und Zuverlässig-
sammenhalt der Teilchen eines festen Körpers als keit der Fertigung zu berücksichtigen. Es wird künf-
auch auf den Zusammenhalt der Teile eines kom- tig weniger darum gehen, die einzelnen Arbeitsvor-
plexen Bauteils: gänge selbst zu optimieren. Technologische Prozes-
2 1 Einführung

Tabelle 1-1. Einteilung der Fertigungsverfahren (nach DIN 8580). In Klammern: Beispiele.

1. Stelle der ON Hauptgruppen

1 Urformen 2 Umformen 3 Trennen 4 Fügen 5 Beschichten 6 Stoffeigenschaft


ändern

Definitionen

Fertigen eines festen Plastisches Ändern Formändern eines fes- Zusammenbringen Aufbringen einer Ändern der Eigenschaften
Körpers aus formlo- der Form eines festen ten Körpers durch örtli- von Werkstücken fest haftenden des Werkstoffes, z. B.
sem Stoff Körpers ches Aufheben des auch mit formlosem Schicht aus formlo- durch Diffusion, chem.
Zusammenhaltes Stoff sem Stoff Reaktion,
Gitterversetzungen
Zusammenhalt der Teilchen bzw. Bestandteile wird

geschaffen beibehalten vermindert oder aufge- vermehrt


hoben

2. Stelle der ON Gruppen (mit Beispielen)

1.1 2.1 3.1 4.1 5.1 6.1


aus dem flüssigen Druckumformen Zerteilen Zusammensetzen aus dem flüssigen Verfestigen durch
Zustand (Walzen, Fließpres- (Scherschneiden) (Einlegen) Zustand Umformen
(Gießen) sen, Schmieden) (Lackieren) (Schmieden)

1.2 2.2 3.2 4.2 5.2 6.2


aus dem plastischen Zugdruckumformen bestimmten Füllen aus dem plastischen Wärmebehandeln
Spanen mit geometrisch

Zustand (Drahtziehen, (Drehen, (Einfüllen) Zustand (Glühen, Härten)


(Spritzgießen) Tiefziehen) Bohren, (Spachteln)
Schneiden

Fräsen)

1.3 2.3 3.3 4.3 5.3 6.3


aus dem breiigen Zu- Zugumformen unbestimm- An- und Einpressen aus dem breiigen Thermomechanisches
stand (Gießen von (Längen, Weiten, ten (Schlei- (Schrumpfen) Zustand Behandeln
Keramik) Tiefen) (Verputzen)
fen, Honen,
Läppen)
1.4 2.4 3.4 4.4 5.4 6.4
aus dem körnigen Biegeumformen Abtragen Fügen durch Urfor- aus dem körnigen Sintern,
oder pulverförmigen (mit drehender (thermisches Trennen, men (Ausgießen, oder pulverförmi- Brennen
Zustand Werkzeugbewegung) chem. Abtragen) Umgießen mit gen Zustand
(Pressen, Sintern) Kunststoff) (Wirbelsintern)

1.5 2.5 3.5 4.5 6.5


aus dem span- oder Schubumformen Zerlegen Fügen durch Umfor- Magnetisieren
faserförmigen (Verdrehen) (Lösen von men
Zustand Verbindungen) (Nieten, Bördeln)

3.6 4.6 5.6 6.6


Reinigen Fügen durch Schwei- durch Schweißen Bestrahlen
(Reinigungsstrahlen) ßen (Schmelzauftrag-
(Schmelzverbin- schweißen)
dungsschweißen)

4.7 5.7 6.7


Fügen durch Löten durch Löten Photochemische
(Weichlöten, (Auftrag- Verfahren
Hartlöten) weichlöten) (Belichten)

1.8 4.8 5.8


aus dem gas- oder Kleben aus dem gas- oder
dampfförmigen dampfförmigen Zu-
Zustand stand (Vakuum-
bedampfen)

1.9 4.9 5.9


aus dem ionisierten Textiles Fügen aus dem ionisierten
Zustand (elektrolyti- Zustand
sches Abscheiden, (Galvanisieren)
Galvanoplastik)

Kombinationen zwischen den Gruppen sind möglich


1 Einführung 3

Fertigungsverfahren erreichbare Genauigkeiten

IT-Qualitäten Rautiefe Rz [ µm]


5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 0,25 1 2,5 4 10 16 63 250 1000

Gießen
Sintern
Gesenkschmieden
Präzisionsschmieden
Kaltfließpressen
Walzen
Schneiden
Drehen
Bohren
Planfräsen
Hobeln
Räumen
Rundschleifen

normal erreichbar durch Sondermaßnahmen erreichbar

Bild 1-1
Erreichbare Genauigkeiten bei verschiedenen Fertigungsverfahren.

se lassen sich deshalb nicht mehr isoliert betrachten, Entsorgung, z. B. von Spänen und Kühlschmier-
sondern müssen als Kette von vor- und nachgela- stoffen, beeinflusst.
gerten Teilvorgängen beurteilt werden. Eine zentrale
Forderung in der Produktion ist die Reduzierung der Waren früher vor allem Kostensenkung und Produk-
Anzahl notwendiger Fertigungsschritte. Unter Aus- tivitätserhöhung die Zielsetzungen, so geht es heute
nutzung der größer werdenden Anwendungsbreite und zukünftig in der industriellen Produktion darum,
und Formgebungsmöglichkeiten von Fertigungsver- zusätzlich die Bestände zu senken, die Flexibilität
fahren und bei weitgehender Annäherung der Aus- und Qualität zu erhöhen und die human- und um-
gangsform (Rohteil) an das Fertigteil (»Near-Net- weltzentrierten Aspekte in der Zielsetzung höher zu
Shape«-Technologie) konnten durch Substitution, In- gewichten, Bild 1-2.
tegration und Elimination von Fertigungsverfahren
Kosten und Durchlaufzeiten innerhalb von Prozess- Produktivität
ketten insgesamt verringert und die Qualität von Pro-
duktion und Produkt erhöht werden. Zeiten Bestände

Bild 1-1 gibt eine Übersicht der erreichbaren Genau-


heutige
igkeiten wichtiger Fertigungsverfahren. Durch die Gewichtung
Erweiterung der Leistungsbereiche urformender und der Ziel-
umformender Fertigungsverfahren werden sich da- Kosten setzungen Flexibilität

bei zugleich Möglichkeiten ergeben, die Bearbei-


tungszugaben und damit auch den Anteil der Nach- zukünftige
bearbeitung erheblich zu reduzieren. Gewichtung

Arbeitsschutz Qualität
Neben der Einhaltung vorgegebener Maß-, Form-,
Lage- und Rauheitstoleranzen bestimmen jedoch Umweltverträglichkeit
noch eine Vielzahl von weiteren Kriterien die Ver- Bild 1-2
fahrensauswahl. So wird diese unter Umweltverträg- Gewichtung der Zielsetzungen zur Entwicklung von wettbe-
lichkeitsgesichtspunkten zunehmend von Fragen der werbsfähigen Produktionskonzepten (nach Westkämper).
5

2 Urformen Im Vergleich verschiedener Verfahren der Teilefer-


tigung nach Bild 1-1 lassen sich durch Gießen folg-
lich nur Rohteile herstellen. Fertigteile mit hohen Ge-
2.1 Urformen durch Gießen nauigkeiten werden durch spanende oder umfor-
mende Fertigungsverfahren erzeugt.
Nach dem Fertigungsverfahren Gießen werden aus
Metallen und Legierungen Gussstücke erzeugt. Aber Um zu erkennen, welche Verfahren der Teileferti-
auch zahlreiche andere Werkstoffe erhalten durch gung zu Kostenvorteilen führen, sind neben der be-
Gießverfahren ihre endgültige Form, z. B. triebswirtschaftlichen Kostenanalyse volkswirtschaft-
– Porzellan und Reaktionsharzbeton, liche Überlegungen notwendig, die alle Teilschritte der
– Gläser und Produktion und des Recyclings erfassen müssen.
– Kunststoffe.
Dazu werden wichtige Verfahren der Teilefertigung
Im Folgenden werden ausschließlich metallische in Bild 2-1 verglichen, nachdem zuvor für jedes Fer-
Gusswerkstoffe und deren Gießverfahren betrachtet. tigungsverfahren Material- und Energiebilanzen
aufgestellt wurden. Die Verwendung von Gussstü-
Durch Gießen lassen sich metallische Werkstücke cken nutzt das Werkstoffvolumen besser aus und
dann besonders wirtschaftlich fertigen, wenn mit senkt den Energieaufwand erheblich.
Gießverfahren wie
– Sandformguss, Bei vergleichbaren Werkstücken kommt Gießen dem
– Kokillen- und Druckguss sowie Bestreben am nächsten, diese in einem Arbeitsgang
– Präzisions- oder Feinguss in ihre endgültige Form zu bringen und dabei ver-
bessere Werkstückeigenschaften erzielt werden als lustarm herzustellen.
mit konkurrierenden Formgebungsverfahren (z. B.
spangebende Verfahren: Drehen, Fräsen, Hobeln; Das bedeutet für die Teilefertigung: Rohteile unter
Schweißverfahren). Die Werkstücke lassen sich mit Reduzierung der Anzahl notwendiger Fertigungs-
genügender Genauigkeit durch die gewünschten Ei- schritte nur an Funktionsflächen so wenig wie mög-
genschaften und Besonderheiten den verschiedenen lich spanlos oder spanend fertig bearbeiten.
Fertigungsverfahren zuordnen, wie Bild 1-1 zeigt.
Die Zuordnung ist von einer Reihe unterschiedli- 2.1.1 Grundbegriffe der
cher Faktoren abhängig: Gießereitechnologie
– Maßgenauigkeit, z. B. IT-Qualitäten,
– Oberflächengüte, z. B. Rautiefe, Die Beschreibung der gießtechnischen Fertigung, al-
– Wanddicke, so des Verfahrensablaufs im Gießereibetrieb von der
– Stückzahl, Konstruktionszeichnung bis zum fertigen Gussstück,
– Stückmasse (Stückgewicht), erfordert die Kenntnis von Grundbegriffen, die i. Allg.
– Abmessungen u. a. durch ein Gießereipraktikum erworben werden.

Werkstoffausnutzung Fertigungsverfahren Energieaufwand

90 Gießen 30 - 38

95 Sintern 28,5

85 Kalt- oder Halbwarmfließpressen 41

75 - 80 Warmgesenkschmieden 46 - 49

Bild 2-1 40 - 50 spanende Fertigungsverfahren 66 - 82


Werkstoffausnutzung und Ener-
gieaufwand verschiedener Ferti- 100 75 50 25 % 0 0 25 50 MJ/kg 100
gungsverfahren (nach Lange). Werkstoffausnutzung Energieaufwand
6 2 Urformen

Die Konstruktionszeichnung wird der Gießerei zur A C


Angebotsabgabe zugesandt entweder als
– Rohteilzeichnung oder als
– Fertigteilzeichnung.

95
Die Rohteilzeichnung enthält die vom Besteller gefor-
derten (gewünschten) Aufmaße, Bearbeitungszuga-
ben und Formschrägen mit Längen-, Dicken- und
Winkeltoleranzen. Es ist üblich, in Rohteilzeichnun-
D B
gen für Seriengussstücke die Spannflächen (sog.
Erstaufnahmeflächen) für die erste spanende Bear- Bild 2-2
beitung zu kennzeichnen. Ferner sind die Flächen Zum Begriff der Formteilung an einem Lagerdeckel für einen Pkw.
für Beschriftungen und Herstellerzeichen wahlweise
vertieft oder erhaben – teilweise sogar die Lage der Der Deckel wird spanend bearbeitet. Es sollen der
Anschnitte (Bild 2-4) – eingezeichnet. Wälzlagersitz feingedreht und die Deckelfläche als
Dichtfläche plangefräst oder planüberdreht werden.
Die bei der Einzelfertigung und bei Kleinserien üb- Zum Befestigen des Deckels durch Schrauben ist
liche Fertigteilzeichnung wird in der Arbeitsvorbe- der Flansch an den Ecken mit vier Bohrungen zu
reitung der Gießerei durch Angabe der vorgegebe- versehen. Dabei ist die Zentrierung für die Bohrer
nen, vereinbarten oder erforderlichen Aufmaße, möglichst auszuformen, da Bohrungen unter etwa
Formschrägen und Toleranzen in eine Rohteilzeich- 15 mm Durchmesser durch Kerne nicht wirtschaft-
nung umgewandelt. lich hergestellt werden können. Sie sollten gebohrt
werden!
2.1.1.1 Formen und Formverfahren
Die Fertigungseinrichtungen, z. B. Modelle, Modell- Alle Bearbeitungsvorgänge können von einer Seite
platten, Schablonen oder Kokillen, werden nach der in einem Aufspannen erfolgen, wenn das Rohrende
Rohteilzeichnung im Modell- oder Formenbau an- des Deckels als Erstaufnahmefläche dient.
gefertigt und sind Eigentum des Bestellers; hierbei
sind kleinere Änderungen fast bis zur Fertigstel- Zum Sichern des Lagers gegen Herauswandern aus
lung möglich. Dies ist von besonderer Bedeutung dem Deckel wird der Innendurchmesser rohrseitig
für Neuentwicklungen. als Sicherungsbund ausgeführt. Die Formteilung in
Bild 2-3 soll zunächst in die zu bearbeitende Deckel-
Zunächst werden in Zusammenarbeit zwischen Ar- fläche gelegt werden. Dadurch liegt der Lagerdeckel
beitsvorbereitung und Gießereibetrieb dem Modell- praktisch nur in einer Formhälfte.
oder Formenbau folgende Angaben gemacht:
– Formteilung, Der Innendurchmesser des Deckels wird kernlos
– Zahl und Lage der Anschnitte sowie durch hängende und stehende Ballen ausgeformt.
– Kerne und Kernlagerung. Dabei ist es vorteilhaft, die Ballenteilung auf der
Mitte der Lagersitztiefe zu wählen, weil dadurch
Die Formteilung ist diejenige gedachte Fläche, die
am Gussstück – sie ist außen und innen als Teilungs- obere Formhälfte Bohrzentrierung
grat sichtbar – die Formhälften anzeigt. Die Wahl
Form-
der Formteilung bestimmt meistens auch die An- X X teilung
hängender
zahl und Lage der Kerne und ist deshalb von gro- Ballen
ßer wirtschaftlicher Bedeutung. Bei Serienguss ist
stehender
es zweckmäßig, Lage und Anordnung der Formtei- Ballen
lung mit Hilfe einer formtechnischen Analyse zu Teilungsgrat
untere Formhälfte Gussstück (übertrieben)
ermitteln.
Bild 2-3
Am Beispiel eines einfachen Lagerdeckels gemäß Lagerdeckel, Schnitt C – D in Bild 2-2, kernlos geformt in der
Bild 2-2 sollen verschiedene mögliche Lagen der unteren Formhälfte mit Formteilung X – X, die in der Deckel-
Formteilung erläutert werden. hälfte beginnt.
2.1 Urformen durch Gießen 7

beide Ballenhälften mit minimalen Formschrägen auftretende Teilungsgrat kann mit Putzmaschinen
auskommen. Der zwischen den Ballen entstehende vollständig entfernt werden.
geringe Teilungsgrat liegt auf einer Fläche, die spa-
nend bearbeitet wird. Der hängende Ballen sollte Höhe obere Formhälfte Speiser
allerdings nicht tiefer als 60 – 80 mm sein. Die Bohr-
zentrierungen lassen sich problemlos ausformen. Teilungs-
grat hängender
Ballen
Teilungs-
Zum Entfernen der Speiser oder Steiger sowie zum ebene
Gussputzen ist die Formteilung in Bild 2-4 geeigne-
X Kern X
ter. Die Formteilung beginnt außen auf der Flansch-
mitte und teilt die Lagerbohrung zur Hälfte in einen Kernlager
hängenden und stehenden Ballen auf. Die bei den stehender
(scheiben-
Ballen
förmig)
meisten Gusswerkstoffen zum Volumenausgleich
Anschnitt mit
erforderlichen Speiser müssen in der Formteilung Tiefe untere Formhälfte Sollbruchstellen
durch Anschnitte, genauer mittels Anschnittflächen,
mit dem Gussstück verbunden werden. Vom Einguss- Bild 2-5
trichter aus lassen sie sich über Stangen, die sich Zum Begriff der Formfläche: Lagerdeckel als Doppelmodell
in der Teilung überlappen, mit Schmelze füllen. mit Kern und Formteilung X – X in der Kernteilung.

obere Formhälfte Eingusstrichter Aus formtechnischer Sicht ist die Lage der Formtei-
Speiser oder Steiger lung in Bild 2-4 noch unbefriedigend, da die Form-
fläche – dies ist die Projektion der durch die Form-
hängender Ballen teilung erzeugten Ebene des Gussstücks in die Tei-
X X
lungsebene – durch den flachen Lagerdeckel nach
der Tiefe hin nur ungenügend ausgenutzt ist. In Bild
Stangen 2-5 können auf einer nur wenig vergrößerten Form-
fläche bedingt durch den Kern und die Kernlagerung
stehender Ballen zwei Lagerdeckel gegossen werden. Die Teilung zwi-
schen Kern und Ballen im Innendurchmesser kann
Anschnittquerschnitt
mit Sollbruchstelle untere Formhälfte auch unsymmetrisch ausgeführt werden, wenn da-
durch der Kern kleiner und damit preiswerter wird
Bild 2-4 oder wenn der rohrseitige Sicherungsbund angegos-
Kernlos geformter Lagerdeckel mit Anschnittsystem und Form- sen werden soll. Falls es erforderlich ist, können am
teilung X – X auf Flanschmitte beginnend.

obere Formhälfte
Durch das Ausformen einer stark gekerbten Soll-
bruchstelle zwischen Anschnitt und Speiser kann
bei spröden Gusswerkstoffen nach dem Erstarren
das gesamte Anschnittsystem, bestehend aus
– Speiser oder Steiger,
– Verteilerstangen und Ringsteg Hohlkern
X X
– Eingusstrichter Lagerdeckel Teilungsebene x - x
durch einfaches Abschlagen vollständig entfernt wer-
den. Soll auch der rohrseitige Sicherungsbund gleich
angegossen werden, wie in Bild 2-2 dargestellt, so
muss der hängende Ballen bis zum Beginn des Siche-
rungsbundes verlängert werden, darf aber nicht hö-
her als 40 bis 60 mm sein. Diese elegante Möglich- untere Formhälfte
keit der Trennung des Anschnittsystems vom Guss-
stück kann bei duktilen, d. h. zähen Gusswerkstoffen, Bild 2-6
nicht angewandt werden. Es entstehen dann erheb- Lagerdeckel mit Diagonalteilung gemäß Schnittebene CD in
liche Putzkosten. Der in Bild 2-4 in Flanschmitte Bild 2-2, mit Hohlkern geformt.
8 2 Urformen

Rechteckflansch bis zu vier Doppelspeiser angeschnit- durch Kerne oder Kernschieber abzubilden. Werkstof-
ten werden. fe für Dauermodelle sind
– Modellholz,
Weitere Variationen der Formteilung, dargestellt z. – Gießharze und
B. in Bild 2-6, als Mitten- oder Diagonalteilung – Metalle.
nach Bild 2-2, Schnitt CD, ausgeführt, bringen be-
reits Nachteile für die Anschnitt- und Speisertech- Je nach Beanspruchung werden Dauermodelle nach
nik. Auch das Formen der Zentrierungen für die Modellgüteklassen gemäß DIN EN 12890 mit auf
Flanschbohrungen wird schwieriger, weil der Kern Nennmaßbereiche bezogenen Maßabweichungen
als kostengünstiger Hohlkern mit geringem Sand- angefertigt. Für die drei Nennmaßbereiche zwischen
verbrauch und guter Gasableitung unvorteilhaft ho- 50 mm und 180 mm sind als Beispiel in Tabelle 2-1
he Stege haben müsste. die zulässigen Maßabweichungen am Gussstück an-
gegeben für
Der optimalen Wahl der Formteilung kommt bei – H: Holzmodelle,
Seriengussstücken große Bedeutung zu, weil damit – M: Metallmodelle und
auch evtl. erforderliche Kerne, die Hohlräume oder – K: Kunststoffmodelle.
nicht formbare Flächen – Hinterschneidungen – ab-
bilden sollen, beeinflusst werden. Die Formteilung DIN EN 12890 macht auch Angaben über Form-
ist am Gussstück als dünner Grat innen und außen schrägen an inneren/äußeren Modellflächen und
auch nach dem Putzen noch sichtbar und erhöht die bei Holzmodellen über Anstrich- und Farbkennzeich-
Masse, das Stückgewicht. nungen. Für den Nennmaßbereich 50 mm bis 80 mm
nach Tabelle 2-1 sind etwa 1° Formschräge für Me-
Da bei allen Seriengießverfahren die Formfläche tallmodelle M1 erforderlich. Auch Formschrägen er-
durch die vorhandene Formmaschine vorgegeben höhen das Stückgewicht und sollten deshalb mög-
und nicht variabel ist, muss versucht werden, diese lichst an den zu bearbeitenden Flächen liegen.
kostengünstig mit geringerem Sandverbrauch nach
der Tiefe hin auszunutzen. An Hand der Rohteil- 2.1.1.2 Formverfahren mit verlorenen Formen
zeichnung wird in der Gießerei über das wirtschaftli- Die verlorenen Formen oder Kerne werden aus Gie-
che Herstellverfahren (Form- und Gießverfahren s. ßereisanden, siehe Abschn. 2.5.1.1, im bildsamen
Abschn. 2.5) entschieden. Je nach Zustand meist auf Vorrichtungen, wie z. B. Formma-
– Kompliziertheit, schinen, Kernblas- oder Kernschießmaschinen her-
– Maßtoleranzen, gestellt. Näheres ist in Abschn. 2.5 erläutert. Die
– Stückmasse, Formen (Kerne) bestehen aus Quarz-, Silica-, Chro-
– Losgröße, mit- oder Zirkonsand mit natürlichen oder chemi-
– Werkstoff schen Bindemitteln, sowie Zugaben wie z. B.
und verschiedenen anderen Faktoren wird im Mo- – Ton (Bentonit),
dellbau ein sogenanntes – Wasserglas, Zement, Gips,
Dauermodell für Formverfahren mit verlorenen – Kunstharze auf Phenol-, Kresol-, Furan- und
Formen oder im Formenbau eine Polyurethanbasis und
Dauerform (Kokille) für ein Dauerformverfah- – Zusätzen (Wasser, Kohlenstaub).
ren angefertigt.
Der Ausdruck verlorene Formen oder verlorene Ker-
Bei beiden Verfahren ist es möglich, Hohlräume ne bezieht sich dabei auf den Zustand unmittelbar
und nicht formbare Flächen, Hinterschneidungen, nach der Erstarrung des Gussstücks. Zu diesem Zeit-

Tabelle 2-1. Zulässige Maßabweichungen ± Δl in mm für drei Nennmaßbereiche (nach DIN EN 12890).

Modellgüteklasse H1a/H1 H2/3 M1 M2 K1 K2

50 mm bis 80 mm 0,3 0,6 0,15 0,25 0,25 0,3


Nennmaß-
bereich

80 mm bis 120 mm 0,4 0,7 0,2 0,3 0,3 0,45

120 mm bis 180 mm 0,5 0,8 0,2 0,3 0,3 0,5


2.1 Urformen durch Gießen 9

Tabelle 2-2. Formverfahren mit verlorenen Formen und Dauer- Auch Dauerformen unterliegen erheblichem Ver-
formen.
schleiß und haben eine von der Beanspruchung (Ent-
verlorene Formen Dauerformen formung und Temperaturwechsel) abhängige Le-
bensdauer. Das Entformen, d. h., das Ausstoßen oder
das Auswerfen der Gussstücke aus den Kokillen er-
Dauermodelle verlorene Modelle Kokillen
fordert z. T. aufwändige Vorrichtungen.

Handformen Feingießen Druckgießen Bei den Verfahren mit verlorenen Formen gemäß
Maschinenformen Vollformgießen Kokillengießen Tabelle 2-2 lassen sich mit Dauermodellen auch Ker-
Maskenformen Schleudergießen
Keramikformen Stranggießen ne für alle anderen Formverfahren mit Ausnahme
Verbundgießen des Druckgießens herstellen. Der Gießdruck ist beim
Druckgießen so hoch, dass nur Kernschieber oder
punkt soll die Form mit den Kernen durch die ther- Kerne aus Metallen zur Abbildung von Hohlräu-
mische Beanspruchung zerfallen. men oder Hinterschneidungen verwendbar sind.

Das Gussstück lässt sich dadurch leicht entformen, Die Wahl eines bestimmten Formverfahrens nach
d. h. auspacken. Der Formstoff ist aber nicht verlo- Tabelle 2-2 für ein Gussstück an Hand der Rohteil-
ren. Er dient als Kreislaufsand nach einer Aufbe- zeichnung ist nur in wenigen Fällen eindeutig mög-
reitung zur Herstellung neuer verlorener Formen. lich. Vor allem bei Seriengussstücken sind oft ver-
schiedene Formverfahren aus wirtschaftlichen Grün-
Die Formverfahren mit verlorenen Formen werden den dann von Interesse, wenn die geforderten Werk-
sowohl bei der Einzelfertigung als auch bei Großse- stückeigenschaften auch durch andere Gusswerkstof-
rien, z. B. in der Automobilindustrie, angewendet. fe erreicht werden können. Zum Beispiel werden
Zylinderkurbelgehäuse und Zylinderköpfe sowohl
Bestimmte Gussstücke lassen sich günstiger ferti- aus Gusseisen in verlorenen Formen als auch aus
gen, wenn gleichzeitig mit verlorenen Modellen und Leichtmetall in Dauerformen hergestellt.
verlorenen Formen gearbeitet wird. Die verlorenen
Modelle für den Fein- oder Präzisionsguss werden
aus synthetischen Wachsen oder thermoplastischen
Kunststoffen mit Hilfe des Spritzgießen in einer ge-
teilten Dauerform erzeugt oder für Mittel- und Groß-
gussmodelle aus Hartschaumblöcken geschnitten
und miteinander verklebt. Durch Erwärmen (Bren-
nen) der ungeteilten Form vor dem Abguss schmilzt
das Wachs oder der Kunststoff heraus, oder der Hart-
schaum verbrennt beim Eingießen der Schmelze.

Eine Übersicht der gebräuchlichen Formverfahren


zeigt Tabelle 2-2.

2.1.1.3 Dauerformverfahren
Die Dauerformen oder Kokillen für die Dauerform-
verfahren können nur aus Metallen gefertigt wer-
den. Werkstoffe für Kokillen sind
– verschleißfeste, hitze- und zunderbeständige
Stähle,
– niedrig- oder hochlegiertes Gusseisen,
– Kupfer und Kupferlegierungen.

Da Dauerformen in der Herstellung lohnintensiv Bild 2-7


und somit teuer sind, werden nur Seriengussstücke Heißwindkupolofen im Duplexbetrieb mit einem Netzfrequenz-
in Kokillen vergossen. Induktionstiegelofen, schematisch.
10 2 Urformen

2.1.1.4 Schmelzen 2.1.1.5 Gießen


Parallel zur Form- und Kernherstellung werden im Das Gießen, Abgießen oder Füllen der Form ist der
Schmelzbetrieb der Gießerei die Gusswerkstoffe er- nächste Schritt einer gießtechnischen Fertigung.
schmolzen. Dies geschieht werkstoffbedingt im Nach der Art des Gießdrucks unterscheidet man:
– Schachtofen, z. B. Kupolofen, – Schwerkraftgießen (Bild 2-8),
– Tiegelofen, z. B. Induktionsofen, – Druckgießen und
– Herdofen, z. B. Lichtbogenofen. – Schleudergießen.

Die Öfen werden mit Koks, Öl, Gas oder elektrisch Weil Druckguss spezifisch werkstoffabhängig ist
beheizt und sind in der Regel sauer ausgekleidet. (typisch für Zink und Leichtmetalle), wird dieses Ver-
Die feuerfeste Auskleidung besteht aus Quarz (SiO2) fahren in Abschn. 2.5.2.1 zusammen mit den Druck-
oder Klebsanden (Quarz und Ton). gusswerkstoffen beschrieben. Schleuderguss als Form-
guss (Abschn. 2.5.3.3) gewinnt an Bedeutung. Bis-
Der bekannteste Gießereischachtofen ist der saure her sind hier Rohre und ringförmige Gussstücke aus
oder futterlose Kupolofen mit Heißwind. Bild 2-7 allen Gusswerkstoffen vorherrschend.
zeigt den in Eisen- und Tempergießereien vorherr-
schenden Heißwindkupolofen mit dem Netzfre- Oberkasten Eingusstrichter

quenztiegel im Verbund als Duplexbetrieb. Der Sy- FA FA FA

h
Speiser Speiser
phonabstich hält flüssiges Eisen im Ofen zurück, Teilungsgrat
das dort aufkohlen kann und über eine Rinne konti-
nuierlich dem Induktionsofen zufließt. Durch Zuga-
be von Sauerstoff durch die Düsen können Schmelz-
leistung und Eisentemperatur erhöht werden. Der Ap = d 2 p /4
Kupolofen wird auch zunehmend für das Verwer- Schwungscheibe Unterkasten
ten und Entsorgen der gießereieigenen Reststoffe Bild 2-9
genutzt. Stäube werden brikettiert oder gepresst als Pkw-Schwungscheibe als kernloser Kastenguss mit Anschnitt-
Zuschläge mit der Beschickung eingesetzt. Formstoff- system zur überschlägigen Berechnung der Abhebekraft FA.
reste, die sog. Knollen, werden durch eine Vorrich-
tung in der Düsenebene eingeblasen und verschla- Beim Schwerkraftgießen werden oben offene Sand-
cken. Das Legieren, also das Einstellen der Zusammen- oder Dauerformen mit Schmelze gefüllt. In Bild 2-8
setzung, erfolgt im Tiegel, der dazu auf Druckmess- ist der Flüssigkeitsspiegel in der oben offenen No-
dosen gelagert ist, die den Füllstand anzeigen. ckenwellenform im Einguss und im Speiser durch
Einguss A Speiser mit Lunker
die Volumendifferenz flüssig-fest wie in kommuni-
zierenden Röhren (h1 h2) als Lunker ausgebildet
und eingefallen: Einfalllunker. Diese Art der Gieß-
technik lässt sich nur mit aufgesetzten Speisern ver-
wirklichen, da anderenfalls der oben erwähnte Ein-
falllunker im Gussstück auftreten würde.
Teilungsebene
Die Formfüllung ist steigend oder fallend möglich:
– Steigender Guss, z. B. in Sandformen/Kokillen,
h2
h1

– fallender Guss, z. B. in Kokillen.

Zentrierung für Bei der steigenden Formfüllung können Verunrei-


2. Formhälfte
nigungen, wie z. B. Schlacke, lose Sandreste und
Gase, im Speiser aufsteigen. Die Form wird laminar
ohne Gefahr von Auswaschungen und ohne Spritzer
gefüllt. Keramische Filterelemente aus Glasfasern
Schnitt A - B
siehe Bild 2-12 B Anschnitt oder Korund im Eingusskanal von Dauerformen für
Bild 2-8 Leichtmetalle können auch Oxidhäute zurückhal-
Draufsicht in der Teilungsebene auf eine für das steigende ten. Beim fallenden Guss entstehen durch die tur-
Schwerkraftgießen vorbereitete Nockenwellenformhälfte. bulente Strömung Spritzer und Oberflächenfehler.
2.1 Urformen durch Gießen 11

Beschwereisen
In Schmelzen pflanzt sich der Gießdruck nach al-
len Seiten gleichmäßig fort ( hydrostatisches Para-
doxon). Bei horizontal geteilten Formen, wie z. B.
Oberkasten
bei den Formkästen der Maschinenformerei, wird
dadurch die obere Formhälfte druckbeaufschlagt.

Die Abhebekraft FA gegen den Oberkasten gemäß


Klammer Unterkasten
Bild 2-9 bei steigendem Guss beträgt
FA g ¹ Ap ¹ rS ¹ h.
Bild 2-11
Hierbei ist g die Fallbeschleunigung, Ap die in der Maschinenformkästen unterschiedlicher Tiefe, links verklam-
Formteilung gegen den Oberkasten projizierte Flä- mert und rechts im Schnitt beschwert.
che des Gussstücks, rS die Dichte der Schmelze und
h die Oberkastenhöhe. Der Druck gegen den Ober- wird bei horizontal geteilten Formen über die bei-
kasten wird bei Gussstücken mit Kernen durch de- den Kernlager in die Oberform eingeleitet.
ren Auftrieb noch zusätzlich erhöht.
Die Kernlager in Bild 2-10 sind in ihrer Länge auf
Kernmarkenabdruck obere Formhälfte Kernmarkenabdruck die Kernfestigkeit abgestimmt worden. Bei zu gerin-
Hohlkern Büchse
ger Wanddicke oder zu kurzen Kernlagern besteht
die Gefahr des Abscherens und Aufschwimmens
während der Erstarrung.
FK /2
FK /2
D

L l
Kern- Kern-
In horizontal geteilten Formen ist Gießen und un-
lager lager gestörtes Erstarren nur möglich, wenn der Gieß-
druck und der Auftrieb durch
Scherstellen untere Formhälfte
– Beschweren oder
Bild 2-10 – Verklammern
Büchse, liegend geformt, mit Hohlkern zur Bestimmung der der Oberformhälfte gemäß Bild 2-11 abgefangen
Auftriebskraft FK des Kerns. wird. In senkrecht geteilten Sandformen muss der
seitlich wirksame Gießdruck, wie Bild 2-12 zeigt,
Jeder in eine Schmelze eintauchende Kern erfährt durch
nach dem Archimedischen Prinzip einen senkrecht – Verkleben oder
nach oben gerichteten Auftrieb. Diese Kernauf- – Verklammern
triebskraft FK ist gleich der Gewichtskraft des durch und mit Hilfe von zusätzlichem Hinterfüllen, d. h.
den Kern verdrängten Schmelzvolumens und wird Stützen der Formhälften mit Formstoff, Drahtkorn
über die Kernlager in der Regel ebenfalls in die
obere Formhälfte eingeleitet, die Dichte des Kern-
materials spielt hierbei keine Rolle.
6F FA  FK.
Die Kernauftriebskraft FK soll nach Bild 2-10 für
eine Büchse berechnet werden. Das für den Auf-
trieb wirksame Kernvolumen VK ist
D2 π d2π π
VK O ◊L + ◊ l = ◊ ( D 2 L + d 2l ),
4 4 4
d. h. die Summe beider Zylindervolumen ohne die
Kernlager, die in den ausgeformten Kernmarken der
Ober- und Unterformhälften die maßgenaue Lage-
rung des Kerns ermöglichen. Die Auftriebskraft Bild 2-12
Nockenwellenmaske im Blechrahmen nach Bild 2-8, Schnitt
FK VK ¹ g ¹ rS A-B, zum Abgießen aufgestellt und mit Gusskies hinterfüllt.
12 2 Urformen

oder Gusskies, abgefangen werden (siehe auch Ab- 2.1.1.6 Putzen


schn. 2.5.1.3). Bei den Dauerformverfahren sind die Nach dem Entformen folgt als nächster Fertigungs-
Zuhaltekräfte der Kokillenhälften so groß, dass schritt im Gießereibetrieb das Putzen. Putzarbeiten
diese Maßnahmen nicht erforderlich sind. sind nur selten vollständig mechanisierbar und des-
halb teuer. Nach Untersuchungen der Verbände VDI
Die Zeit für das Erstarren von Gussstücken kann und VDG können die Putzarbeiten für mittelschwe-
sehr unterschiedlich sein. So beträgt die Erstarrungs- ren Maschinenguss bis zu 30 % der Herstellkosten
zeit z. B. mehrere betragen. Eine gute Gusskonstruktion muss darum
unbedingt putzgerecht sein, d. h., der Umfang der
Sekunden bei Druckguss, Kokillenguss, Schleu- Putzarbeit sollte möglichst gering sein. Putzarbeiten
derguss, werden durch
Minuten bei Sandguss, Maskenguss, Maschi- – Formteilung,
nenformguss und – Zahl und Lage der Anschnitte,
Stunden bzw. Tage bei Großguss. – Kerne,
– Formstoffe
Bei Seriengussstücken gibt die Erstarrungszeit die und andere Faktoren beeinflusst.
Taktzeit für den nächsten Fertigungsschritt, das Ent-
formen vor. Für die Lagerdeckel in Bild 2-4 und 2-5 sind die
Putzarbeiten gering, weil sich die vier Speiser bei
Je kürzer die Erstarrungszeiten werden, desto schnel- Temperguss und Gusseisen durch einfaches Abschla-
ler müssen die Gussstücke entformt oder ausgepackt gen entfernen lassen. Die Bruchfläche des Anschnitt-
werden. Erstarrende und abkühlende Gussstücke querschnitts kann entweder am Gussstück verblei-
schwinden und schrumpfen (Abschn. 2.4.2). Allge- ben oder wird mit der Schleifscheibe überschliffen.
mein wird ein möglichst frühes Entformen bevor- Der Teilungsgrat im Bereich der Ballen liegt in ei-
zugt, da dann der Schwindungs- und Schrumpfungs- ner Fläche, die ausgedreht wird. Form und Größe
vorgang weniger behindert wird. des Lagerdeckels erlauben maschinelles Putzen in
Schleuderstrahlputzmaschinen. Die Gussstücke wer-
In Dauerformen werden die Gussstücke mit Hilfe den dabei lose auf Drehtischen oder in Trommeln
von Auswerfern automatisch zwangsentformt, um liegend oder auch in Kabinen hängend durch ein
die Kokillentemperatur in einem als vorteilhaft er- Schleuderrad, wie es Bild 2-13 zeigt, mit Gusskies
kannten, engen Temperaturbereich zu halten. Auch oder Drahtkorn unter verschiedenen Winkeln be-
wird versucht, beim Entformen Teile des Anschnitt- strahlt. Die inneren und äußeren Oberflächen wer-
systems, wie z. B. Speiser, Stangen und Einguss- den von den Formstoffresten und den dünnen mes-
trichter, gleich mit zu entfernen. serscharfen Teilungsgraten befreit und sind danach
metallisch blank. Peenen ist ein Festigkeitsstrahlen,
bei dem durch Verfestigung der Oberfläche die Dau-
erfestigkeit um 30 % bis 50 % erhöht wird.

Die Schwungscheibe in Bild 2-9 erfordert größere


Putzarbeit. Der Gusswerkstoff Gusseisen mit Kugel-
grafit ist duktil, d. h. zäh und fest. Die Speiser (vier
oder zwei Stück) lassen sich nicht durch Abschlagen
vom Gussstück trennen. Sie müssen durch Abbre-
chen, Abdrücken, Sägen oder Brennen entfernt wer-
den. Der Anschnittquerschnitt muss mit unterbroche-
nem Schnitt vorgedreht werden. Der Teilungsgrat zwi-
schen den Ballen liegt in der später zu bearbeitenden
Fläche für die Reibkupplung und kann bleiben. Die
Öffnung der Scheibe ermöglicht ein Einhängen in ei-
Bild 2-13 ne Hängebahnputzmaschine. Gegenüber dem Lager-
Schleuderstrahlen zum Gussputzen und Festigkeitsstrahlen deckel (Bild 2-4) ist diese Form- und Gießtechnik
(Peenen) in Trommeln, Drehtischen und Kabinen. der Schwungscheibe nicht besonders putzgerecht.
2.1 Urformen durch Gießen 13

Tabelle 2-3. Qualitätsmanagement für Pkw-Pleuel (nach Gut und Trapp).

Wareneingang Metallischer Einsatz:


Stahlschrott, Roheisen, Ferrolegierungen und
Form- und Hilfsstoffe

Schmelzen Gattierung, Analyse, Temperatur


Ofendaten, Probestäbe

Formen Formsandkontrolle
Gießen Gießtemperatur

Versatzprüfung (Stichprobenprüfung)
Hartguss Sichtkontrolle (Stichprobenprüfung)
Rissprüfung (Stichprobenprüfung)
Dichtheit (Stichprobenprüfung)
Modellverschleiß (Stichprobenprüfung)

Glühen Ofentemperaturen, Glühatmosphären


Werkstoffprüfung Ölbadtemperaturen, Gefüge

Rohguss Maßprüfung (Stichprobenprüfung)


Prüfung des Festigkeitsverhaltens (Stichprobenprüfung)

Sichtkontrolle (Vollprüfung)
Maßkontrolle (Vollprüfung)
Endkontrolle (Durchbiegung, Verdrehung, Dicke)
Härteprüfung (Vollprüfung)
Magnetische Rissprüfung (Vollprüfung)
Rissprüfung mittels Ultraschall (Vollprüfung)
Versandkontrolle (Stichprobenprüfung)

Das Nassputzverfahren gewinnt bei mittleren bis gro- – Temperguss und Gusseisen mit Kugelgrafit gra-
ßen Teilen an Bedeutung. Die Formstoffreste am fitisierend geglüht,
Gussstück werden dabei in einer Kabine durch ei- – Stahlguss normalgeglüht und (oder) vergütet,
nen Druckwasserstrahl staubfrei entfernt. Nach dem aber auch einsatzgehärtet,
Putzen ist das Gussstück fertig für die Endkontrolle. – NE-Gusswerkstoffe homogenisiert und (oder)
ausgehärtet.
2.1.1.7 Wärmebehandlung
Zum normalen Fertigungsablauf gehört bei einigen 2.1.1.8 Qualitätsmanagement
Gusswerkstoffen noch eine Wärmebehandlung. Da- Die Endkontrolle ist der letzte Teil einer Reihe von
durch lassen sich Eigenschaften, wie z. B. Festigkeit, Maßnahmen, die den Fertigungsablauf und die Qua-
Härte und Dehnung, im Gussstück beeinflussen. Die lität der Gussstücke garantieren. In einer Fertigung
Art der Wärmebehandlung ist vom Gusswerkstoff hoch beanspruchter Serienteile aus dem Fahrzeug-
abhängig. bau wie z. B.
– Pkw-Pleuel,
Gusseisen mit Lamellengrafit, der mengenmäßig – Kurbel- und Nockenwellen,
bedeutendste Eisengusswerkstoff, wird nur in Aus- – Radnaben und Felgen,
nahmefällen geglüht. Zum Beispiel werden – Gelenkwellenflansche,
14 2 Urformen

Tabelle 2-4. Fertigungsschritte im Gießereibetrieb mit geschlossenem Formstoff- und Werkstoffkreislauf.

Rohteilzeichnung
oder
Fertigteilzeichnung

Modellbau Formen- oder Kokillenbau

Form- und Kernmacherei Schmelzbetrieb

Gießen

Erstarren

Formstoffkreislauf Entformen

Reststoffverwertung Putzen Werkstoffkreislauf

gegebenenfalls Glühen

Endkontrolle

versandfertiges Gussstück

muss z. B. durch eine zwei- bis dreifache Einzel- notwendigen Maßnahmen und Prüfgrößen sind pro-
prüfung das Ausfallrisiko auf ein Verhältnis vermin- duktbezogen und werden mit dem Oberbegriff Qua-
dert werden, das kleiner ist als 1:100 000. Die dazu litätsmanagement bezeichnet.
2.2 Metallkundliche Grundlagen des Gießens 15

In Tabelle 2-3 ist ein Kontrollschema für Pkw-Pleuel zelfertigung oder der Kleinserie können legierte Son-
dargestellt. Die Rohstoffe werden im Wareneingang derwerkstoffe zweckmäßig sein.
bereits erstmals geprüft. Die Daten der Schmelz-,
Form- und Gießanlagen werden kontinuierlich er-
fasst und zur sicheren und gleichmäßigen Prozess-
führung eingesetzt. Im Hartguss- und (oder) Rohguss- 2.2 Metallkundliche Grundlagen
bereich lassen sich durch Stichprobenprüfungen zu- des Gießens
lässige Abweichungen in einem so frühen Stadium
erkennen, dass Gegenmaßnahmen rechtzeitig mög- Urformen durch Gießen metallischer Gusswerkstof-
lich sind. Der Modellverschleiß lässt sich z. B. durch fe bedeutet Einflussnehmen auf die Zustandsände-
regelmäßige Messungen an Rohgussstücken nach rung flüssig  fest, die in einer Gussform in Abhän-
einem Stichprobenplan exakt feststellen. gigkeit von der Zeit abläuft. Die dabei auftretenden
metallphysikalischen Probleme sind sehr komplex
Bei Sicherheitsteilen, wie z. B. Felgen und Gelenk- und nur in Teilbereichen bis heute erforscht. Auch
wellen, kann auf Vollprüfungen in der Endkontrolle entzieht sich das Geschehen nach dem Abguss, z.
nicht verzichtet werden. Die produktbezogenen Prüf- B. das Kristallwachstum oder das Formstoffverhal-
größen werden dabei unterschiedlich sein, z. B. ten, einer direkten Beobachtung, so dass bisher nur
– Sichtkontrollen an äußeren und inneren Ober- Modellvorstellungen zur Erklärung der beobach-
flächen, teten Phänomene bekannt sind.
– Maßkontrollen mit Messmaschinen,
– zerstörungsfreie und automatische Härteprü- In diesem Hauptabschnitt werden nur die wichtigs-
fungen oberflächennaher Zonen, ten metallkundlichen Begriffe des Gießens erläu-
– teil- und vollautomatische Rissprüfungen. tert. Der Einfluss der Gusswerkstoffe auf die gieß-
technischen Fertigungsverfahren kann so deutlich
Die einzelnen Fertigungsschritte von der Zeichnung gemacht werden.
bis zum fertigen Gussstück im Gießereibetrieb zeigt
Tabelle 2-4. Für einen wirtschaftlichen und umwelt-
freundlichen Betrieb ist ein geschlossener Form- 2.2.1 Entstehung der Gussgefüge
stoff- und Werkstoffkreislauf von großem Vorteil.
Eine Risikoanalyse solcher Fertigungen durch die Die Entstehung des Gussgefüges bei der Herstellung
Fehler-Möglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) von Gussstücken ist ein der »Geburt« vergleichbarer
ist Stand der Technik für Serienteile des Fahrzeug- Vorgang. Wesentliche Werkstück- und Werkstoffei-
baus und verursacht steigende Qualitätskosten. genschaften des Gussstücks werden hier festgelegt.
Nur wenige Eigenschaften können nachträglich und
2.1.1.9 Konstruieren mit Gusswerkstoffen nur unter erheblichen Kosten geändert werden.
Beim Entwurf eines Gussstücks nach den allgemei-
nen gießtechnischen Gestaltungsrichtlinien (Abschn. Deshalb sollte der Konstrukteur von Gussteilen
2.6) sollte sich der Konstrukteur zunächst nicht auf durch die Formgebung gestaltenden Einfluss auf
ein bestimmtes Gießverfahren festlegen. Die Kombi- diesen »Lebensbeginn« nehmen und in Zusammen-
nationsmöglichkeiten mit Gusswerkstoffen auf der arbeit mit dem Hersteller die sog. gelenkte Erstar-
Basis Eisen- und Nichteisenmetalle sind groß. rung von Gussstücken (Abschn. 2.2.4) anstreben.

Die Optimierung des Gussstücks nach den techni-


schen Erfordernissen und den wirtschaftlichen Ge- 2.2.2 Stoffzustände
sichtspunkten erfolgt zweckmäßig erst in Zusam-
menarbeit mit der Gießerei. Dabei kann meist siche- Zum Gießen müssen Legierungen oder Reinmetal-
rer die Entscheidung für verlorene Formen oder für le zunächst vom festen in den flüssigen Aggregatzu-
ein Dauerformverfahren getroffen werden, wobei stand gebracht werden. Die Gusswerkstoffe können
Überlegungen zum Recycling schon bei der Entwick- aufgebaut sein aus
lung des Gussstücks beginnen müssen. Für Serien- – Mischkristallen: Eisen, Messing, Bronze,
gussstücke sollten z. B. möglichst nur genormte – intermediären Verbindungen: Fe3C, Al3Mg2,
Standardlegierungen ausgewählt werden. In der Ein- – nichtmetallischen Phasen: Grafit, Schwefel.
16 2 Urformen

800 Das Entformen oberhalb der Raumtemperatur bie-


°C JG
700 JL
tet eine Reihe von Vorteilen; z. B. können metalli-
sche Formen, sog. Dauerformen, sofort wieder mit
Temperatur J

600
Erstarrungs- Schmelze gefüllt werden. Außerdem werden da-
500 zeit durch die rissbegünstigenden Schrumpfspannungen
400
vermieden bzw. klein gehalten. Das Gussstück kühlt
dann auf dem Weg zur Putzmaschine von der Aus-
300 JA
flüssig
flüssig
fest
packtemperatur JA bis auf Raumtemperatur JR ab.
und fest
200
1600
100 °C
JR
0 1400 JG
JL

Temperatur J
t1 t2 t3 JE
Zeit t 1200

Bild 2-14 1000 Erstarrungs-


Abkühlschaubild für Aluminium von Gießtemperatur JG bis zeit
auf Raumtemperatur JR . 800

600 JA
flüssig
Sie müssen aus dem festen Zustand durch Zufuhr flüssig
und fest
fest
400
von Energie in die gießfähige Schmelze überführt
werden. Untersuchungen zeigten, dass derartige 200
Schmelzen amorphe, homogene Flüssigkeiten ohne JR
0
kristalline Anteile sind. Beim Abkühlen einer Schmel- t1 t2 t3 t4
ze in der Form läuft die Zustandsänderung Zeit t

flüssig (amorph) æææææ


Erstarren oder
Kristallisieren
Æ fest (kristallin) Bild 2-15
Abkühlschaubild einer Gusseisenschmelze mit dem Erstar-
ab. Die Zustandsänderung wird als Erstarrung oder rungsintervall DJ = JL - JE.
Kristallisation bezeichnet. Dabei muss die Form
nicht nur die Geometrie des Gussstücks abbilden, Bild 2-15 zeigt das Abkühlverhalten der Eisen-Koh-
sondern auch den größeren Teil der bei der Erstar- lenstoff-Legierung Gusseisen GJL. Untereutekti-
rung frei werdenden Kristallisationswärme aufneh- sches Gusseisen wird mit einer typischen Gießtem-
men und weiterleiten. peratur JG von etwa 1400 ’C vergossen. Die Kristal-
lisation beginnt zum Zeitpunkt t1 bei etwa 1270 ’C
Beim Phasenübergang flüssig-fest ändern sich vie- und ist bei der tieferen eutektischen Temperatur JE
le Eigenschaften sprunghaft. Insbesondere kann die von 1200 ’C zur Zeit t3 beendet. Die Temperaturdif-
Dichteänderung zu schwer beherrschbaren Fehlern ferenz zwischen der Liquidustemperatur JL und der
wie Lunkern, Warmrissen und Poren führen. Die JG JG
mit der Erstarrung verbundene Entmischung kann
Seigerungen und Gasblasen zur Folge haben.
Temperatur J

JS
Im Abkühlschaubild, das die Abhängigkeit der Tem-
D JU

J´S
peratur von der Zeit gemäß Bild 2-14 und 2-15 wie-
JO
dergibt, unterscheidet man nichteutektische Legie-
rungen und eutektische Legierungen (letztere erstar-
ren wie reine Metalle). In Bild 2-14 ist die Abkühlung
einer Aluminiumschmelze dargestellt. Eine typische
Gießtemperatur ist z. B. JG 730 ’C. Zum Zeitpunkt ➊ ➋
JR JR
t1 beginnt die Kristallisation bei dem Schmelzpunkt
JL 660 ’C, die nach der Zeit t2 beendet ist. Die Alu- Zeit t
miniumschmelze ist jetzt vollständig erstarrt, soll
Bild 2-16
aber weiter bis auf die Raumtemperatur JR abküh- Zum Begriff der Unterkühlung (DJU ) von Schmelzen.
len. Dies kann in der Form oder schneller nach dem Abkühlschaubilder: ➊: Schmelze sehr langsam abgekühlt,
Auspacken bei der Temperatur JA erfolgen. ➋: Schmelze schnell abgekühlt.
2.2 Metallkundliche Grundlagen des Gießens 17

eutektischen Temperatur JE wird Erstarrungsinter- Durch die fortschreitende Erstarrung und die dadurch
vall 'J genannt. freiwerdende Kristallisationswärme steigt die Tem-
peratur der Schmelze erneut bis JS’ an, erreicht den
In Bild 2-15 beträgt das Erstarrungsintervall Schmelzpunkt JS aber nicht. Dadurch ist eine große
Anzahl von Keimen in unterkühlten Schmelzen sta-
'J = JL  JE 1270 ’C  1200 ’C 70 ’C.
bil, d. h., sie werden nicht mehr aufgeschmolzen.
Der Gusswerkstoff befindet sich während des Erstar-
typische Gefüge
rungsintervalls in dem für das Gießen bedeutsamen
teigigen Zustand. Während der Erstarrungszeit t2 bis

Kristallisationsgeschwindigkeit vKG
t3 kristallisiert die restliche Schmelze bei der eutek-
tischen Temperatur JE. Man nennt diesen Vorgang Gießbedingung
die eutektische Reaktion. ➊ ➋ vKG

Keimzahl NKZ
Auch in Bild 2-14 liegt der teigige Zustand während
der Erstarrungszeit t1 bis t2; die Kristallisation fin-
det in diesem Fall bei konstanter Temperatur statt. NKZ

Kennzeichnender Unterschied im Erstarrungsver- JS


halten sind die Temperaturen: Unterkühlung D JU

– Konstante Temperatur bei eutektischen und pe- Bild 2-17


ritektischen Legierungen und Reinmetallen, Keimzahl NKZ und Kristallisationsgeschwindigkeit vKG in Ab-
– Temperaturintervall bei Legierungen. hängigkeit von der Unterkühlung DJU.

Die Abkühlung einer Schmelze in einer dickwandi-


2.2.3 Keimbildung und Impfen gen, getrockneten Sandform kommt der Kurve 1
nahe. Die Abkühlung der Schmelze in einer dünnwan-
In Gussstücken werden verschiedenartige Gussge- digen, gekühlten, metallischen Dauerform, Kokille
füge beobachtet, die durch Wachstumsprozesse von genannt, entspricht der Kurve 2, Bild 2-16.
Erstarrungszentren aus entstehen, die auch Keime
genannt werden. Im Folgenden sollen zwei Möglich- Messungen der Unterkühlung von Schmelzen haben
keiten betrachtet werden, wie Keime in Schmelzen gezeigt, dass die Temperaturdifferenz ' JU größer
zu erzeugen oder in diese einzubringen sind. wird, wenn die Schmelze vorher stärker erwärmt
oder länger bei höheren Temperaturen aufbewahrt
2.2.3.1 Homogene Keimbildung – der Gießer sagt, überhitzt oder gehalten – wurde.
Die Keimbildung bezeichnet man als homogen,
wenn die Schmelze selbst eigene Keime, sog. artei- Eine überhitzte, d. h., eine in der Regel keimarme
gene Keime, in der flüssigen Phase bilden kann. In Schmelze ist also ein geeigneter Ausgangszustand
Bild 2-16 der Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit zur Bildung arteigener Keime.
auf die Unterkühlung ' JU metallischer Schmelzen
dargestellt. Kurve 1 zeigt das schon bekannte Ab- Nach der kinetischen Keimtheorie müssen Schmel-
kühlverhalten einer Schmelze. Die Erstarrung be- zen, die kurzzeitig überhitzt wurden, unterhalb ih-
ginnt und endet bei der konstanten Schmelztempe- res Schmelzpunktes JS ein Maximum für die sich
ratur JS, wenn die Abkühlgeschwindigkeit sehr klein in ihnen bildenden Keime besitzen. Die Kristallisations-
ist. Bei zunächst hoher Abkühlgeschwindigkeit nach geschwindigkeit vKG nimmt mit steigender Abkühlge-
Kurve 2 beginnt die Kristallisation an arteigenen schwindigkeit zu und nähert sich einem Grenzwert.
Keimen erst bei der Temperatur JO unterhalb von Keimzahl NKZ und Kristallisationsgeschwindigkeit
JS. Die Erstarrungszentren werden in der Schmel- vKG sind also abhängig von der Unterkühlung ' JU.
ze in um so größerer Anzahl gebildet, je stärker sie Dieser Zusammenhang ist in Bild 2-17 dargestellt.
unterkühlt ist. Die Unterkühlung 'JU einer Schmel-
ze ist gemäß Bild 2-16 die Temperaturdifferenz Mit der Wahl des Form- und Gießverfahrens wird
in der Gießereipraxis die Abkühlungsgeschwindig-
' JU JS  JO. keit festgelegt und damit die erzielbare Unterküh-
18 2 Urformen

lung der Schmelze bestimmt. Das Gussstück be- In Bild 2-19 sind die den Bedingungen ➊ und ➋ aus
kommt dadurch ein typisches Gefüge. Der Vorgang Bild 2-17 entsprechenden Gefüge in ein Gussstück
wird Primärkristallisation, das Gefüge Primärge- eingezeichnet. Da die Abkühlgeschwindigkeit durch
füge genannt. Er wird von der Keimzahl und der Kris- das Form- und Gießverfahren vorgegeben ist, entste-
tallisationsgeschwindigkeit bestimmt, die von der hen im gleichen Gussstück zwischen ➊ und ➋ unter-
Abkühlgeschwindigkeit des Gussstücks abhängt. schiedliche Primärgefüge.

In Bild 2-18 sind die Gefüge für die Abkühlbedin- Eine einfache Konstruktionsregel lautet:
gungen ➊ und ➋ aus Bild 2-17 schematisch darge- Nach Möglichkeit sollten Gussstücke etwa glei-
stellt. Geringe Keimzahlen und kleine bis mittlere che Wanddicken haben. Stark abweichende Ab-
Kristallisationsgeschwindigkeiten führen zu einem kühlbedingungen erzeugen beim Gießen Primär-
groben Gussgefüge, einem Grobkorngefüge. gefüge mit sehr unterschiedlicher Korngröße.
Gießbedingung
➊ ➋ 2.2.3.2 Impfen der Schmelze
Das Primärgefüge von Gussstücken lässt sich auch
durch Impfen beeinflussen. Darunter versteht man
das Einführen und Verteilen von Impfmitteln in
Schmelzen. Das sind artfremde, heterogene Keime,
da die Impfmittel nicht der Zusammensetzung des
Grobkorn Feinkorn
Gusswerkstoffs entsprechen. Man nennt sie deshalb
Primärgefüge auch Fremdkeime. Durch Impfen kann die Keimzahl
Bild 2-18 NKZ der Schmelze gesteuert werden, ohne die che-
Unterschiedliche Primärkristallisation durch Formen mit mische Zusammensetzung merklich zu ändern.
geringer (➊) und hoher Unterkühlung (➋).
Die Mehrzahl der empirisch – durch sinnvolles Pro-
Dagegen werden durch große Keimzahlen bei gro- bieren – gefundenen Impfmittel besteht aus Legie-
ßen Kristallisationsgeschwindigkeiten feine Primär- rungen mit Grafit. Sie haben meist einen höheren
gefüge, das günstige Feinkorngefüge, erzeugt. Schmelzpunkt als der Gusswerkstoff selbst. Bekann-
te Impfmittel, die feinkörnig oder stückig den Schmel-
Kokillenguss und das Gießen in wasserhaltige Form- zen kurz vor dem Vergießen oder sogar direkt in
stoffe, Nassguss genannt, sind Beispiele für die Be- der Form zugesetzt werden, sind z. B.
dingung ➋. Dickwandiger Guss in gebrannten, vor- ❒ Ferrolegierungen wie: FeSi, FeMn, FeCr, FeP,
geheizten Formstoffen entspricht der Bedingung ➊. ❒ Kohlenstoff als Grafit, Ruß, Pech,
Zwischen diesen Extremwerten sind viele Zwischen- ❒ Verbindungen wie etwa
stufen möglich, die auch tatsächlich beobachtet wer- – Oxide: Al2O3, ZrO2, Fe2O3,
den. Sie entstehen durch die unterschiedlichen Wand- – Nitride: Bor- und Eisennitrid,
dicken, Versteifungen und Durchdringungen der – Carbide: Bor- und Chromcarbid,
Gusskonstruktionen. – Legierungen: Ca-Si, Al-Si.

Über die Theorie der Impfwirkung selbst ist wenig


Abkühlbedingung
bekannt, obwohl die verhältnismäßig teuren Impf-
➋ ➊ mittel häufig eingesetzt werden.

Die Impfwirkung wird in den Gießereien mit Hilfe


thermischer Analysen und Gefügeuntersuchungen
überprüft, um die optimalen Bedingungen von
– Menge und Art der Zugabe, der
– Verteilung in der Form /Schmelze und dem
– Zeiteffekt (Abklingverhalten)
Bild 2-19 zu ermitteln. Handelsübliche Impfmittel können auch
Einfluss einer geringeren (➊) und einer höheren Abkühlge- Gemenge sein, wie z. B. eine Mischung aus Ferrole-
schwindigkeit (➋) auf die Korngröße im Gussstück. gierung, Grafit und Leichtmetall.
2.2 Metallkundliche Grundlagen des Gießens 19

Einige wenige, aber besonders wichtige Impfmittel Zusammenfassend betrachtet sind also zwei Verfah-
haben Schmelzpunkte, die erheblich niedriger lie- ren zur Einstellung der Primärgefüge in Gusswerk-
gen, als die der damit behandelten Gusswerkstoffe. stoffen üblich:
Ihre Impfwirkung muss deshalb anders geartet sein, – Impfen mit verschiedenen Impfmitteln,
da sie im Gusswerkstoff aufschmelzen, Verbindun- – Überhitzen von Schmelzen (homogene Keim-
gen bilden oder sogar verdampfen. bildung wird erleichtert).

Solche Impfmittel sind die Metalle: In der Gießereipraxis werden meist beide Verfahren
– Natrium JS 98 ’C, angewendet, denn auch wenn keine Impfmittel di-
– Magnesium JS 650 ’C, rekt zugegeben werden, wirkt bereits der Formstoff
– Aluminium JS 660 ’C, oder die Wand als Fremdkeim auf die Schmelze.
– Cer JS 797 ’C.

Mit Natrium werden viele Aluminium-Silicium- 2.2.4 Kristallformen


Legierungen geimpft, man sagt veredelt. Dabei wird
die kurzzeitige Impfwirkung nicht durch Natrium- Zunächst sei der fortschreitende Erstarrungsablauf
fremdkeime herbeigeführt, sondern durch die jetzt einer Schmelze näher betrachtet. Die Frage, wie aus
größere Unterkühlung der Schmelze. Eine Langzeit-
Keimen æææææ
durch Wachstum
Æ Gussgefüge
veredlung mit Strontium erfolgt zweckmäßiger im
Schmelz-, Gieß- oder Warmhalteofen. entstehen, ist für das Gießen von besonderem Inter-
esse, weil hierbei Möglichkeiten zum Beeinflussen
Mit Magnesium oder Cer kann die Kristallisation der Erstarrung, die sog. gerichtete Erstarrung, er-
von Grafit in hochkohlenstoffhaltigen Eisenguss- kannt werden. Untersuchungen an verschiedenen
werkstoffen (2,4 % C bis 4,3 % C) beeinflusst wer- Gusswerkstoffen haben gezeigt, dass die Kristall-
den. Soweit bisher bekannt ist, kommt dies durch formen, die zu einem Gussgefüge zusammenwach-
Verbindungsbildung dieser Elemente mit Schwefel sen, von mehreren Einflussgrößen abhängen. Dabei
und Sauerstoff zustande. Als Fremdkeim für den ist die Abkühlgeschwindigkeit von größter Bedeu-
Grafit wirkt Kieselsäure, deren Ausscheidung aus tung. Sie wird deshalb auch vom Konstrukteur und
der Schmelze aber ebenfalls nicht ohne Fremdkei- nicht nur vom Gießer durch Wahl des Form- und
me möglich zu sein scheint. Die Erstarrung von Gießverfahrens festgelegt.
Gusseisen ist zwingend auf kieselsäurehaltige Kei-
me angewiesen. Aus den genannten Gründen ist die In Bild 2-20 ist schematisch eine geteilte Form mit
Beeinflussung der Erstarrung zum Vermeiden von der Schmelze in drei Phasen der Erstarrung darge-
Gussfehlern eine ständige Aufgabe der Praxis. stellt. Die geteilte, dünne Gussform wird Formmas-

t1 Zeitpunkt t2 Volumenelement D V
Temperatur T

1 2

t3 2

Keime

Körner oder 1
Wärmefluss Kristallite Schmelze

Zeit t

Bild 2-20 Bild 2-21


Formmasken mit radial gleicher Abkühlgeschwindigkeit zum Temperaturgefälle in einer gefüllten Form: Das Volumen-
Zeitpunkt t1 der Keimbildung, t2 des Kristallwachstums und element der Schmelze DV kann abhängig von seiner Lage nach
t3 des gerade erstarrten Primärgefüges. Kurve 2 langsam oder nach Kurve 1 schneller erstarren.
20 2 Urformen

ke genannt, weil sie sich ähnlich einer Maske der Kon- (Globulitisches) Korn
oder Kristallit
tur des Gussstücks anschmiegt.
Keim
Der Wärmefluss während der Erstarrung in einer
Maske ist in Bild 2-20 zum Zeitpunkt t1 durch Pfei-
le in radialer Richtung angedeutet. Durch die fast
gleiche Dicke der Form fließt die Wärme nach allen Korngrenze
Seiten gleichmäßig ab. Es tritt kein Wärmestau auf. Bild 2-23
Die Körner oder Kristallite zu der Zeit t2 wachsen Globulares Gefüge mit Keim, Kristalliten und Korngrenzen,
gleichmäßig zu einem Gussgefüge bei t3 zusammen. schematisch.
Die Erstarrungsdauer wird außer vom Gusswerk-
stoff und von der Gießtemperatur auch durch das Die Kristallformen der Gusswerkstoffe werden nicht
Temperaturgefälle zwischen Kern- und Randzone durch die kristallinen Hauptachsensysteme vorbe-
der Form bestimmt. stimmt, die als
– trikline,
Dazu ist in Bild 2-21 der Einfluss der Wärmeablei- – monokline,
tung durch den Formstoff skizziert. Das Volumenele- – rhombische,
ment 'V der Schmelze kann nach Kurve 2 bei fla- – hexagonale,
chem oder nach Kurve 1 bei steilem Temperatur- – tetragonale und
gefälle erstarren. – kubische
Elementarzellen oder Gitter aus der Werkstoffkun-
de bekannt sind, sondern sie hängen hauptsächlich
vom Werkstofftyp und dem Temperaturgefälle bei
der Primärkristallisation ab.
krz
a - Eisen in Gusseisen Die Kristallbasis der Hauptatomsorte der Gussge-
Temperguss
Stahlguss
füge wird Matrix genannt. Für die technischen Guss-
b - Messing werkstoffe sind praktisch nur zwei Kristallsysteme
a)
von Bedeutung, das kubische und das hexagonale
Kristallsystem:
krz (kubisch-raumzentriert),
kfz (kubisch-flächenzentriert) und
kfz
hdP (hexagonal dichteste Packung).
Kupfer
Kupferlegierungen mit In der Bildfolge 2-22 sind die Elementarzellen darge-
Zink, Zinn und Aluminium
Aluminiumlegierungen stellt und einigen häufig verwendeten Gusswerk-
Austenitisches Gusseisen stoffen zugeordnet.
Austenitischer Stahlguss
b)
Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die wichtigs-
ten Eisengusswerkstoffe und Kupfer-Zink-Legie-
rungen im Wesentlichen aus der gleichen Kristallba-
sis entwickelt werden können. Außerdem ist zu be-
Grafit - Sphärolithe

hdp
Magnesium
Zink legierungen
c)

Bild 2-22
Gusswerkstoffe mit Eisenglobulite
a) kubisch-raumzentrierter Matrix Bild 2-24
b) kubisch-flächenzentrierter Matrix und Globulitische Eisenkristalle mit eingelagerten Grafit-Sphäro-
c) mit hexagonal dichtester Packung. lithen, schematisch.
2.2 Metallkundliche Grundlagen des Gießens 21

achten, dass man aus Werkstoffen mit gleicher Ma- 2.2.4.2 Säulenförmige Kristalle
trix unterschiedliche Gussgefüge (Primärgefüge) Säulenförmige oder auch prismatische Kristallfor-
entwickeln kann. Die für die Qualität des Gussteils men entstehen, wenn die Kristalle z. B. in einer Rich-
entscheidende Art der Erstarrung (Abschn. 2.2.5) tung bevorzugt wachsen, in den beiden anderen
wird nicht so sehr vom Kristallaufbau, sondern von Richtungen dagegen weniger schnell, aber beide an-
der Form- und Gießtechnik bestimmt. nähernd gleichmäßig.

2.2.4.1 Globulare Kristallformen


Treibende Kraft des Kristallwachstums ist die Ab-
kühlgeschwindigkeit der Schmelze in der Form. Sie
führt in Abhängigkeit vom Legierungsaufbau, der
Konstitution, zu einer unterschiedlichen Unterküh-
lung und damit zu verschiedenen Kristallformen.
Bei Gefügeuntersuchungen an Gusswerkstoffen kön-
nen drei Kristallformen sicher unterschieden wer-
den. Globulare Kristallformen entstehen durch annä-
hernd gleiche Erstarrungsgeschwindigkeiten in den
0,1 mm
drei Achsrichtungen x, y und z des Kristallsystems.
Sie werden auch als Globulite oder Sphärolithe be-
Bild 2-26
zeichnet. Im Schema gemäß Bild 2-23 besteht das Primärgefüge von Temperrohguss GTS, bestehend aus Den-
Gussgefüge nur aus einer Kristallart. Im mittleren driten (dunkel) und globularen zum Teil fein verästelten Kris-
Korn ist der Keim angedeutet, der jedoch nicht be- tallen entstanden aus der Restschmelze (hell).
obachtet werden kann. Die globularen Kristallfor-
men führen in Gussgefügen zu besonders guten Fes- Bild 2-25 zeigt den Schnitt eines gegossenen Sta-
tigkeits- und Zähigkeitseigenschaften. bes in einer Maskenform. Man erkennt die vom
Formstoff ausgehende nadel- oder stängelartige
Bild 2-24 zeigt zwei globulare Kristallformen, die Kristallform, die streng entgegen dem Wärmefluss
sich nebeneinander gebildet haben. In einer globuliti- gerichtet ist. Dabei werden meist Verunreinigungen
schen Matrix sind rundliche Sphärolithe eingelagert. in der Restschmelze angereichert, so dass diese mit
hoher Keimzahl globular erstarrt.
Globulare Kristallformen verhalten sich beim Gie-
ßen sehr vorteilhaft, da sie die Restschmelze beim Nadelstrukturen werden an Gussstücken bei mittle-
Kristallwachstum vor sich her schieben und nicht ren Abkühlgeschwindigkeiten beobachtet und ha-
einschließen. Gussstücke mit globulitischem Gefü- ben bei einer Beanspruchung quer zu den Nadeln
ge entstehen meist durch große Abkühlgeschwin- wegen der konzentrierten Anhäufung der Verunreini-
digkeiten der Schmelze. gungen an den Nadelkorngrenzen geringere Festig-
A Formstoff keits- und Verformungseigenschaften.
Lunkervolumen
wird mit dem
Radius größer
2
R1
R4

A
Lunker

B
Dichtfläche

a) exogen b) endogen
Schnitt A - B
B
Bild 2-27
Bild 2-25 Gießtechnisch nachteilige Flanschkonstruktion mit
Randzone mit Säulenkristallen und globulitisch erstarrter a) exogener (Schnitt A – B, siehe Bild 2-30) sowie mit
Restschmelze in der Mitte. b) endogener Erstarrung bei vergrößertem Radius.
22 2 Urformen

2.2.4.3 Dendritische Kristallformen Die Erstarrungsfronten, die sich beim Hineinwach-


Dendritisches Erstarrungsgefüge ähnelt der Form ei- sen der Kristalle in die Schmelze ausbilden, sind in
ner Tanne. Die Kristallformen nennt man daher auch Bild 2-28 dargestellt. Das Nachfließen der Schmel-
Tannenbaumkristalle. Sie entstehen als Folge einer ze wird durch glattwandige oder ebene Erstarrungs-
großen Erstarrungsgeschwindigkeit in einer bevorzug- fronten im Gussstück erleichtert.
ten Richtung. Bild 2-26 zeigt ein Rohgussgefüge mit
dendritischen Eisencarbiden, wie es für dünnwandi- Bei der exogenen Erstarrung am Flansch (Bild 2-27,
ge Gussstücke mit großem Erstarrungsintervall und linkes Teilbild) ist durch die raue, nicht ebene Erstar-
hoher Unterkühlung der Schmelze charakteristisch rungsfront das Nachfließen der Restschmelze in der
ist. Auch bei der dendritischen Erstarrung können Wandmitte behindert. Dies führt an Materialanhäu-
sich die Dendriten nach dem Wärmefluss ausrich- fungen zur Lunkerbildung, weil sie langsamer erkal-
ten. Da die Schmelze in den feinen Seitenästen und ten als die anschließenden Wandbereiche.
Gängen abgeschnürt wird, erstarrt sie nicht dicht ge-
nug, wodurch häufig Mikrolunker entstehen. Dendri- Die Lunkerbildung tritt auch bei endogener Erstar-
tische Strukturen weisen meist schlechte Festigkeits- rung auf, wenn durch große Radien der Werkstoff-
und Zähigkeitseigenschaften auf. querschnitt so vergrößert wird, dass die Schmelze
dort zuletzt erstarrt. Zu beachten ist die besonders
nachteilige Lage der Lunkerstellen. Durch Beanspru-
2.2.5 Erstarrungstypen chung des Flansches im geschwächten Werkstoff kön-
nen leicht zusätzlich Kaltrisse entstehen.
Untersuchungen an Gussstücken zeigen, dass die be-
schriebenen Kristallformen teilweise gleichzeitig auf- In Gussstücken mit dickeren Wänden werden noch
treten und auch unterschiedlich im Werkstückquer- kompliziertere Erstarrungsformen beobachtet. Man
schnitt verteilt sein können. In Bild 2-27 soll der nennt sie Mischtypen.
Einfluss der Kristallform an einem bei Gussstücken
häufig vorkommenden Detail gezeigt werden. Dazu
sind Stängelkristalle, links, und Globulite, rechts,
in gegossene Flanschstücke eingezeichnet. Flansche
können konstruktiv an der späteren Dichtfläche nicht
mit Radien versehen werden. Ein zu großer Radius
R (rechts) ergibt eine unerwünschte Werkstoffan-
häufung. Die Stängelkristalle (links) wachsen entge-
gen dem Wärmefluss in Richtung der geometrischen Kokille aus Stahl
Mitte des Gussstücks. Diese Art der Erstarrung wird Rand endogen Übergang exogen Kern endogen oder Gusseisen
als exogener Typ bezeichnet und tritt besonders bei Bild 2-29
säulenförmigen und dendritischen Kristallen auf. Exogen-endogene Kristallisation bei Kokillenguss.

Der endogene, also ungerichtete Erstarrungstyp Ein exogen-endogener Mischtyp, wie er häufig bei
tritt bei globularen Kristallen auf. Obwohl der Wär- Kokillenguss entsteht, ist in Bild 2-29 skizziert. Die
mefluss, bedingt durch gleiche Geometrie und Form- unmittelbar an der Kokillenwand stark unterkühlte
stoffe, fast identisch ist, erfolgt die Erstarrung meist Zone erstarrt feinkörnig endogen. Die Übergangs-
breiartig. zone ist säulenförmig ausgebildet und schiebt durch
die unebene Erstarrungsfront Fremdkeime in die
Mitte. Der Keimreichtum in der zuletzt erstarren-
globular dendritisch den wenig unterkühlten Mittelzone bewirkt dort die
oder Schmelze und
sphärolithisch prismatisch breiartige, endogene Kristallisation. Mischtypen wer-
den auch bei Gusswerkstoffen beobachtet, die in was-
serhaltigen Formstoffen erstarren (Nassguss).
Beschaffenheit der Erstarrungsfront
eben uneben
Bild 2-28 Eine Messmöglichkeit, mit der die Festigkeitseigen-
Ebene oder unebene Erstarrungsfronten beeinflussen das schaften indirekt über die Härte ermittelt werden
Nachfließen der Restschmelze. können, ist in Bild 2-30 angegeben. Die ungünstige
2.2 Metallkundliche Grundlagen des Gießens 23

Art des Zusammenwachsens gerichteter Kristalle gelingt es mehr oder weniger, aus richtungsabhän-
in der thermischen Mitte in Bild 2-30, in diesem Fall gigen, anisotropen Werkstücken fast richtungsunab-
gleichzeitig auch Werkstückmitte, ist durch Här- hängige, quasiisotrope Werkstoffeigenschaften in
temessungen über dem Werkstoffquerschnitt (Schnitt Gussstücken zu erzeugen.
A – B in Bild 2-27) einfach nachweisbar. Die Härte
und damit auch andere Festigkeitseigenschaften fal- Eine einfach zu merkende, aber schwer zu realisie-
len zur Mitte hin ab und zeigen dadurch die dort rende Konstruktionsregel hierzu lautet:
herrschende geringere Werkstoffdichte an. Ursache
sind die beim Zusammenwachsen rauer Erstarrungs- Gussteile beanspruchungsgerecht entwerfen.
fronten auftretenden kleinen Hohlräume, die Mikro-
lunker genannt werden. Sie erschweren die Herstel- Dies bedeutet, dass die anisotropen Werkstoffeigen-
lung druckdichter Gussstücke (Abschn. 2.3.2.1). Des- schaften von Gussstücken bereits bei den Entwurfs-
halb versucht man, die Erstarrung von Schmelzen so überlegungen berücksichtigt werden müssen. Bild
zu beeinflussen, dass feinkörnige, ungerichtete Guss- 2-31 zeigt, wie die Flanschkonstruktion gemäß Bild
gefüge entstehen. Diese weisen bessere Festigkeits- 2-27 beanspruchungsgerecht ausgeführt wird. Flan-
und Zähigkeitswerte auf. sche werden auf Biegung beansprucht. Im Über-
gangsbereich Rohr-Flansch muss deshalb die Festig-
keit des ungeschwächten Werkstoffs zur Verfügung
2.2.6 Isotropes, anisotropes und stehen. Um Lunker zu vermeiden, sollte in diesen
quasi-isotropes Verhalten von Bereichen daher kein Material angehäuft sein.
Gusswerkstoffen
Als gießgerecht gelten Übergänge von 1 zu 5 mit
Gussstücke sollen den vom Konstrukteur oder An- entsprechenden von der Werkstückdicke s abhängi-
wender vorgegebenen Anforderungen genügen. Da- gen Radien R:
bei sollen die Werkstoffeigenschaften im Gussstück 1 1
in der Regel unabhängig von der Beanspruchungs- ◊ s > R > ◊ s.
richtung und der Geometrie des Gussstücks sein. 3 4
Solche Werkstoffe besitzen isotrope, d. h. unabhän- Das schematische Gefügebild (Bild 2-31, rechts) zeigt,
gig von der Richtung gleiche Stoffeigenschaften. dass der Anteil der unerwünschten Stängelkristalle
besonders gering ist.
Die bisherigen Erläuterungen (Abschn. 2.2.3 und
Schnitt Gefüge
2.2.4) zeigten, dass Gussstücke von Natur aus aniso-
trop sind, also richtungsabhängige Stoffeigenschaf- R
ten haben. Markante Beispiele sind die Zonen, in de-
nen Kristalle zusammenwachsen. Auch die Gussober-
fläche ist als Randzone des Werkstücks mit abwei-
chenden Eigenschaften ein solcher Bereich.
5

Mittels einer Reihe von Nachbehandlungsverfah-


ren, z. B. durch 1
– Wärmebehandlungen: Normalglühen, Vergüten,
– Oberflächenverfestigen: Rollen,
Härte HB Bild 2-31
180 190 Gießgerechter Flansch: Die Art der Formgebung drängt den
Anteil prismatischer Kristalle zurück.

Thermische Mitte Eine Reihe von Gusswerkstoffen weist ein von der
Wanddicke abhängiges Festigkeitsverhalten auf, wie
Bild 2-32 zeigt. Enthält ein Gussstück Wände mit
Schnitt A - B nach Bild 2 - 27 stark abweichender Dicke, dann kann dies zu Schwie-
Bild 2-30 rigkeiten führen. Deshalb sei noch einmal an die Ge-
Nachweis von Mikrolunkern durch Härtemessungen. staltungsrichtlinie erinnert:
24 2 Urformen

Gussstücke nach Möglichkeit mit annähernd Bei den Nichteisen-Gusswerkstoffen haben eutek-
gleichen Wanddicken ausführen. tische Legierungen des Aluminiums wegen der gu-
ten Gießbarkeit überragende Bedeutung. Magnesium-
Der Sinn dieser Konstruktionsregel wird an Hand legierungen mit geringen Gehalten an Aluminium
von Bild 2-32 verständlich: Das anisotrope Festig- und Zink, Mangan oder Silicium stehen besonders
keitsverhalten tritt dann nicht in Erscheinung. im Fahrzeugbau vor einer Renaissance. Kupfer-Zink-
400 Legierungen mit oder ohne Blei sind bei den Schwer-
N metallen sehr gut gießbar. Auch die Feinzinklegie-
mm2
300 rungen verhalten sich gießtechnisch einwandfrei.
Zugfestigkeit Rm

250
perli
tisch
200 2.3.1 Eisengusswerkstoffe
ferritis
ch
150 Über die Gusserzeugung in wesentlichen Ländern
der Welt wird vom Deutschen Gießereiverband im
März eines jeden Jahres berichtet. Die Statistik für
100 das Jahr 2007 (2006) ergab für die Bundesrepublik
20 30 40 50 100 150 200 mm 300
Deutschland folgende Aufteilung:
Wanddicke s
Bild 2-32 – Gusseisen mit Lamellengrafit 57 %, (57 %),
Zugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wanddicke bei Kokillen- – Gusseisen mit Kugelgrafit 38 %, (37 %),
grauguss GGK nach VDG-Merkblatt W 43. – Temperguss 1 %, (1 %),
– Stahlguss 4 %, (5 %).
Bei beanspruchungsgerechten Entwürfen für Guss-
stücke aus Gusseisen wird man auch die drei- bis Für die Eisengusswerkstoffe wird nur beim Gussei-
vierfach höhere Druckfestigkeit gegenüber der Zug- sen mit Kugelgrafit ein Zuwachs vorausgesagt. Die
festigkeit ausnutzen. prozentuale Verteilung der Eisengusswerkstoffe ist
auf die Jahresproduktion von 4,8 Mill. t bezogen.
Typische Anwendungen für druckbeanspruchtes Ko-
killengusseisen GGK sind z. B. Bremshydraulikguss- 70 % aller Gussstücke werden im Fahrzeug- und
teile für Fahrzeuge. Je nach Sorte wird eine Druckfes- Maschinenbau verwendet. Die zukünftige Entwick-
tigkeit zwischen 700 N/mm2 und 1000 N/mm2 er- lung wird als konstant vorhergesagt.
reicht.
Die Wirtschaftlichkeit einer Gusskonstruktion wird
nicht nur vom Kilopreis des Gusswerkstoffs be-
2.3 Gusswerkstoffe stimmt. Entscheidend ist meist der Preisvergleich
mit anderen konkurrierenden Gusswerkstoffen.
Das gießgerechte Gestalten von Gussstücken ist oh-
ne Beachtung der Gießeigenschaften der Gusswerk- Die mittleren Preise für Gussstücke aus Gusseisen
stoffe (Abschn. 2.4) kaum möglich. Wegen der Viel- mit Lamellengrafit (GJL) zu Gusseisen mit Kugelgra-
zahl metallischer Gusswerkstoffe ist es bei einer Ein- fit (GJS) zu Temperguss (GJM) und Stahlguss (GS)
führung in gießtechnische Fertigungsverfahren zu- lassen sich etwa in folgendes Verhältnis setzen:
nächst erforderlich, die Legierungen in der Reihen- GJL : GJS : GJM : GS = 1:1,3 : 2,3 : 3.
folge ihrer mengenmäßigen Bedeutung im Maschi-
nen- und Fahrzeugbau zu nennen. Tabelle 2-5 zeigt Tabelle 2-5. Metallische Gusswerkstoffe.
einige wichtige metallische Gusswerkstoffe. Man
unterscheidet Eisengusswerkstoffe und Nichteisen-
Gusswerkstoffe. Von den Eisengusswerkstoffen sind
besonders die hochkohlenstoffhaltigen Legierun-
gen ausgezeichnet gießbar. Darunter versteht man
Schmelzen, die zwischen 2,4 % und 4,3 % Kohlen-
stoff als Legierungselement enthalten. Der Stahl- Gusseisen, Temperguss Leichtmetalle: Al, Mg, Ti
guss zählt nicht zu diesen Legierungen. Stahlguss, Sonderguss Cu, Zn, Pb, Sn
2.3 Gusswerkstoffe 25

2.3.1.1 Gusseisen Die Gebrauchseigenschaften des Gussstücks werden


Die naheutektischen Eisen-Kohlenstoff-Silicium- durch die lamellaren, blättchenförmigen Ausschei-
Legierungen werden als Gusseisen bezeichnet. Form- dungen des Grafits und die damit verbundene Kerb-
guss hat etwa folgende Zusammensetzung: wirkung durch Unterbrechung der Eisengrundmas-
– 3 % bis 4 % Kohlenstoff, se bestimmt. Dadurch ergibt sich zwar eine gerin-
– 2 % bis 3 % Silicium. ge Festigkeit, die aber für viele Anwendungen aus-
reicht. In Bezug auf die Gebrauchseigenschaften hat
Hinzu kommen noch geringe Gehalte an Mangan, nicht nur die Festigkeit allein, sondern vor allem die
Schwefel und Phosphor. Beim Gusseisen werden Kombination von Festigkeit mit weiteren Werkstoff-
die drei genormten Sorten eigenschaften, z. B.
– Gusseisen mit Lamellengrafit, – Zerspanbarkeit,
– Gusseisen mit Vermiculargrafit und – Dämpfungsfähigkeit,
– Gusseisen mit Kugelgrafit – Formstabilität,
unterschieden. Das in ISO 16112 genormte Gussei- – Verschleißbeständigkeit sowie
sen mit Vermiculargrafit (»Würmchengrafit«), wird – Gleit- und Notlaufeigenschaften
in der Gussstatistik zum Lamellengrafit gezählt. größte Bedeutung.

Gusseisen mit Lamellengrafit Gusseisen ist eine Mehrstofflegierung. Die wichtigs-


Der älteste und auch heute mengenmäßig am häu- ten Legierungselemente sind außer Kohlenstoff die
figsten verwendete Eisengusswerkstoff ist das Guss- Grundstoffe Silicium, Mangan, Phosphor und Schwe-
eisen mit Lamellengrafit. Seine Bedeutung beruht fel. Den Einfluss der Legierungselemente versucht
auf den für das Gießen von Formguss wichtigen man durch eine charakteristische Zahl, den Sätti-
– Gießeigenschaften und gungsgrad SC (Legierungselemente sind in Prozent
– Gebrauchseigenschaften anzugeben) auszudrücken:
der Gussstücke aus lamellarem Gusseisen. Durch
C
das Legieren von Eisen mit Kohlenstoff und Sili- SC = .
cium wird die Schmelztemperatur bei naheutekti- 4,23 - 0,31◊ Si - 0,33 ◊ P + 0,07 ◊ Mn
scher Erstarrung bis auf etwa 1200 ’C erniedrigt. Die Kennzahl SC bestimmt die Lage der Mehrstoff-
Dies ist vorteilhaft für folgende Gießeigenschaften legierung zum eutektischen Punkt des Zweistoffsys-
und Anforderungen: tems, d. h., sie ist ein Maß für die Änderung des eu-
– Geringe Temperaturbelastung des Formstoffs, tektischen Kohlenstoffgehalts durch die Wirkung der
– saubere Oberfläche, anderen Legierungselemente.
– hohe Maßgenauigkeit,
– geringe Schwindung, Gusseisen mit SC l erstarrt wie eine reine Eisen-
– sehr gutes Fließvermögen, Kohlenstoff-Legierung mit dem eutektischen Koh-
– einfachste Speisungsmöglichkeiten, lenstoffgehalt von 4,23 %. SC  1 bedeutet eine unter-
– geringe Lunker- und Rissneigung, eutektische, SC ! 1 eine übereutektische Erstarrung,
– hohe Wärmeableitung. d. h. die zunehmende Neigung zur Grauerstarrung
7
infolge Primärausscheidung von Grafit und zur Aus-
Bereich für I: Ledeburit
tenitumwandlung nach dem stabilen System.
% Formguss IIa: Ledeburit + Perlit
C + Si - Gehalt

II: Perlit
6 IIb: Ferrit + Perlit Die neuere EURO-Norm EN 1561 folgt in allen we-
III: Ferrit sentlichen Punkten, vor allem was die Zahlenwer-
te angeht, der 7. und letzten Ausgabe der DIN 1691
5 (Mai 1985). Die Werkstoffkurzzeichen und -num-
mern sind gewöhnungsbedürftig. Die Norm unter-
I IIa II IIb III scheidet sechs Sorten von Gusseisen mit Lamellen-
4
0 10 20 30 40 50 60 70 mm grafit, die in Sandformen oder Formen mit vergleich-
Wanddicke s barem Temperaturverhalten hergestellt wurden. Die
Bild 2-33 Sorten werden in zwei Hauptgruppen danach un-
Gusseisendiagramm nach Greiner-Klingenstein mit dem für terteilt, ob für die Weiterverarbeitung oder Verwen-
Formguss üblichen Bereich. dung der Gussstücke die Zugfestigkeit oder die Här-
26 2 Urformen

te die entscheidende Kenngröße ist. Die Zahlenan- – Fläche II: Perlit und Grafit,
gaben im Werkstoffkurzzeichen nach DIN EN 1561 – Fläche IIb: Perlit, Ferrit und Grafit,
für die Zugfestigkeit, Tabelle 2-6, entsprechen einer – Fläche III: Ferrit und Grafit.
maßgebenden Wanddicke von 15 mm. Sie werden er-
mittelt mit Proben, die aus Die den Flächen I und IIa entsprechenden Gefüge
– getrennt gegossenen Probestücken, sind sehr hart und dürfen in lamellarem Gusseisen
– angegossenen Probestücken oder aus nach DIN EN 1561 nicht vorkommen. Sie werden
– Gussstücken entnommen wurden. als Weißeinstrahlung bezeichnet und gelten als Guss-
fehler. Das Mischgefüge gemäß Fläche IIb ist in
Getrennt gegossene Probestäbe besitzen einen Roh- Bild 2-34 als Mikrogefüge wiedergegeben. In der
gussdurchmesser von 30 mm. Angegossene Probe- perlitisch-ferritischen Grundmasse sind Grafitlamel-
stäbe sollen nur dann verwendet werden, wenn das len eingelagert. Je nach Wanddicke sind dazu ver-
Gussstück eine größere Wanddicke als 20 mm und schiedene Gehalte an Kohlenstoff und Silicium erfor-
eine größere Masse als 200 kg hat. Das Bild 2-33 zeigt derlich. Es ist nicht möglich, in einem Gussstück mit
in Abhängigkeit von der Wanddicke im Bereich des sehr unterschiedlichen Wanddicken isotrope Festig-
Formgusses drei verschiedene Gussgefüge: keitseigenschaften zu erreichen.
Tabelle 2-6. Zugfestigkeit von Gusseisen mit Lamellengrafit nach DIN EN 1561.

Werkstoffbezeichnung Maßgebende Wanddicke Zugfestigkeit Rm Zugfestigkeit Rm


einzuhaltende Werte

Kurzzeichen Nummer über bis Im getrennt Im ange- Erwartungswerte


gegossenen gossenen im Gussstück
Probestück Probestück

mm mm N/mm2 N/mm2, min. N/mm2, min.

EN-GJL-100 EN-JL 1010 5 40 100 bis 200 − −


2,5 5 − 180
5 10 − 155
10 20 − 130
EN-GJL-150 EN-JL 1020 20 40 150 bis 250 120 110
40 80 110 95
80 150 100 80
150 300 90 −
2,5 5 − 230
5 10 − 205
10 20 − 180
EN-GJL-200 EN-JL 1030 20 40 200 bis 300 170 155
40 80 150 130
80 150 140 115
150 300 130 −
5 10 − 250
10 20 − 225
20 40 210 195
EN-GJL-250 EN-JL 1040 250 bis 350
40 80 190 170
80 150 170 155
150 300 160 −
10 20 − 270
20 40 250 240
EN-GJL-300 EN-JL 1050 40 80 300 bis 400 220 210
80 150 210 195
150 300 190 −
10 20 − 315
20 40 290 280
EN-GJL-350 EN-JL 1060 40 80 350 bis 450 260 250
80 150 230 225
150 300 210 −
2.3 Gusswerkstoffe 27

und der Zusammenhang zwischen Zugfestigkeit und


Härte ist nicht linear und kein enger mathemati-
scher, sondern aus Streuungsanalyse und Regressi-
onsrechnung ermittelt. Eine direkte Zuordnung der
Zugfestigkeit zur Härte wird deshalb in EN 1561
strikt vermieden, was im Anhang B dieser Norm
ausführlich begründet wird. Nach Tabelle 2-7 kann
aus dem jeweiligen Härtebereich ein eingegrenzter
Toleranzbereich abgeleitet werden, der nicht kleiner
als 40 HB 30 sein sollte.

Im Kundenguss für den Fahrzeugbau werden häufig


0,1 mm
noch engere Härtetoleranzen vereinbart.
Bild 2-34
Gusseisengefüge mit Lamellengrafit: Grundmasse überwiegend Ein besonders interessantes Serienteil ist die als Ver-
perlitisch (grau gestreift, mit einigen Ferritkörnern (hell)). bundguss ausgeführte und seit Jahrzehnten bewähr-
te Bremstrommel der Adam Opel GmbH, Bild 2-35.
Nach EN 1561 ist in Tabelle 2-7 der Zusammenhang Ein umgeformter und mit allen Montagebohrungen
zwischen Sorte, maßgebender Wanddicke und Här- einbaufertiger Trommelboden aus Stahlblech von
te für eine vereinbarte Prüfstelle des Gussstücks 2 mm Wanddicke wird in die Unterkastenform ein-
festgelegt. gelegt und mit einem Reibring aus Gusseisen mit La-
mellengrafit durch Abgießen verbunden. Die Verbund-
Die Sorten EN-GJL-HB155 bis EN-GJL-HB255 stim- gusstrommel hat einen Durchmesser von 242 mm
men annähernd mit den Sorten EN-GJL-100 bis und wird in der Teilungsebene am Bund mittels vier
EN-GJL-350 überein. Die Wanddickenabhängigkeit Speiser angeschnitten, die nach dem Guss abge-

Tabelle 2-7. Brinellhärte von Gussstücken aus Gusseisen mit Lamellengrafit nach DIN EN 1561.

Werkstoffbezeichnung Maßgebende Wanddicke mm Härte HB 30

Kurzzeichen Nummer über bis min. max.

40 80 − 155
20 40 − 160
EN-GJL-HB155 EN-JL 2010 10 20 − 170
5 10 − 185
2,5 5 − 210
40 80 100 175
20 40 110 185
EN-GJL-HB175 EN-JL 2020 10 20 125 205
5 10 140 225
2,5 5 170 260
40 80 120 195
20 40 135 210
EN-GJL-HB195 EN-JL 2030 10 20 150 230
5 10 170 260
4 5 190 275
40 80 145 215
20 40 160 235
EN-GJL-HB215 EN-JL 2040
10 20 180 255
5 10 200 275
40 80 165 235
EN-GJL-HB235 EN-JL 2050 20 40 180 255
10 20 200 275
40 80 185 255
EN-GJL-HB255 EN-JL 2060
20 40 200 275
28 2 Urformen

schlagen werden. Die Reibfläche für den Bremsbe- füge an dieser Stelle härter als Tabelle 2-7 erlaubt.
lag wird von dem hängenden Ballen abgebildet und Dies ist auf die Kühlwirkung des Blechbodens zu-
muss auf Fertigmaß gedreht werden. Die Außenkon- rückzuführen. Die relativ hohe Härte an dieser Stel-
tur bleibt bis auf die Anschnittquerschnitte unbear- le ist für die ordnungsgemäße Funktion der Brems-
beitet. Die metallurgische Qualität der Verbundguss- trommel unkritisch, solange keine Ledeburitbildung
zone kann durch Härtemessungen in der Messebene auftritt – das ist die sog. Weißeinstrahlung nach Bild
dokumentiert und mit der EURO-Norm 1561 vergli- 2-33, Flächen I und IIa – und eine spanende Bear-
chen werden, siehe Einzelheit »Z«, Bild 2-35. beitung nicht erfolgt.

Der Messpunkt »1« oberhalb des Stahlblechs liegt in Gusseisen mit Kugelgrafit
einer maßgebenden Wanddicke von über 10 mm bis Nach dem Auslaufen der Schutzrechte stieg ab 1970
20 mm und weist eine Vickershärte von 235 HV 10 der Anteil von Gusseisen mit Kugelgrafit bis heute
auf, die für die Sorte EN-GJL-HB215 nach Tabelle auf über 30 % der Gesamtgusseisenerzeugung. Da-
2-7 kennzeichnend ist. Messungen nach Brinell mit von entfallen 57 % Gussstücke für den Maschinen-
der Messbedingung HB 30, wie in der Norm gefor- und Fahrzeugbau.
dert, sind wegen der einzuhaltenden Abstände zwi-
schen diesen Messpunkten nicht möglich. Sphäroguss ist eine geschützte Bezeichnung der Fir-
ma Metallgesellschaft AG für Gusseisen mit Kugel-
Der Messpunkt »2« mittig im Stahlblech ergibt einen grafit. Meehanite-Gusseisen ist eine geschützte Be-
Wert von 100 HV 10, der typisch für weichen Bau- zeichnung der Firma Int. Meehanite Co. für Gussei-
stahl ist. Dem Messpunkt »3« unterhalb des Stahl- sen mit Lamellen- und Kugelgrafit sowie legiertes
blechbodens lässt sich keine maßgebende Wanddi- Gusseisen mit einem sehr gleichmäßigen Gefüge,
cke zuordnen. Mit 300 HV 10 ist das Werkstoffge- selbst bei unterschiedlichen Wanddicken.

Tabelle 2-8. Mindestwerte für die mechanischen Eigenschaften von Gusseisen mit Kugelgrafit, gemessen an mechanisch
bearbeiteten, getrennt gegossenen Probestäben.

Werkstoffbezeichnung Zugfestigkeit Rm 0,2%-Dehngrenze Rp0,2 Bruchdehnung A

Kurzzeichen Nummer N/mm2 N/mm2 %

EN-GJS-350-22-LT EN-JS1015 350 220 22


EN-GJS-350-22-RT EN-JS1014 350 220 22
EN-GJS-350-22 EN-JS1010 350 220 22
EN-GJS-400-18-LT EN-JS1025 400 240 18
EN-GJS-400-18-RT EN-JS1024 400 250 18
EN-GJS-400-18 EN-JS1020 400 250 18
EN-GJS-400-15 EN-JS1030 400 250 15
EN-GJS-400-10 EN-JS1040 450 310 10
EN-GJS-500-7 EN-JS1050 500 320 7
EN-GJS-600-3 EN-JS1060 600 370 3
EN-GJS-700-2 EN-JS1070 700 420 2
EN-GJS-800-2 EN-JS1080 800 480 2
EN-GJS-900-2 EN-JS1090 900 600 2

Tabelle 2-9. Mindestwerte für die Kerbschlagarbeit von Gusseisen mit Kugelgrafit, gemessen an ISO-V-Proben, die aus
getrennt gegossenen Probestücken durch mechanische Bearbeitung hergestellt wurden.

Werkstoffbezeichnung Kerbschlagarbeit in J

bei Raumtemperatur bei bei


23 ± 5 °C – 20 ± 2 °C – 40 ± 2 °C

Kurzzeichen Nummer Mittelwert Einzelwert Mittelwert Einzelwert Mittelwert Einzelwert

EN-GJS-350-22-LT EN-JS1015 − − − − 12 9
EN-GJS-350-22-RT EN-JS1014 17 14 − − − −
EN-GJS-400-18-LT EN-JS1025 − − 12 9 − −
EN-GJS-400-18-RT EN-JS1024 14 11 − − − −
2.3 Gusswerkstoffe 29

ø 242

Gusskörper Messebene 1

7
2
65

3
Z
2
12

4
13 Blech

Bild 2-35
Verbundguss-Bremstrommel (Fa. Opel), bestehend aus Stahlblechboden und Gusskörper als Reibring.

Gusseisen mit Kugelgrafit besitzt sehr gute Gießei- Die sehr große Zähigkeit des Gusseisens mit Ku-
genschaften. Der gegenüber lamellarem Gusseisen gelgrafit zeigt sich besonders deutlich bei den Sor-
höhere Kohlenstoff- und Siliciumgehalt führt nach ten EN-GJS-350-22-LT und EN-GJS-400-18-LT
einer kombinierten Entschwefelung und Desoxida- beim Vergleich der Kerbschlagarbeit bei  40 ’C
tion in Verbindung mit einer Schmelzbehandlung mit den Werten bei Raumtemperatur nach Tabelle
durch Rein-Magnesium oder Magnesiumlegierungen 2-9. Die Werte für die Bruchdehnung A erreichen
zu der Grafitausscheidung in Kugelform. Damit wird praktisch die Werte üblicher Massenbaustähle.
die innere Kerbwirkung des Grafits verringert und
die Festigkeits- und Dehnungswerte erhöht. Die Brinellhärte wird den 8 Festigkeitsklassen der
13 Sorten nur zur Information angegeben. Sie wird
Die Gießeigenschaften werden durch die naheutekti- nach Siefer aus der Beziehung
sche Erstarrung im Schmelzbereich von etwa 1120 ’C
Rm (N / mm 2 )
bis 1180 ’C positiv beeinflusst. Im Vergleich zum Brinellhärte HB =
Gusseisen mit Lamellengrafit ergeben sich Unter- 3,2
schiede hinsichtlich der als Mittelwert gebildet. 90 % aller Werte liegen hier-
– Wärmeleitfähigkeit und des bei zwischen den Faktoren 2,64 und 3,4. Besondere
– Speisungsverhaltens (Abschn. 2.4.2). Bedeutung haben Guss-Schweiß-Verbundkonstruk-
tionen als Vorder- oder Hinterachsbrücken für den
Infolge der Kugelform des Grafits wird die Wärme- Sonderfahrzeugbau erlangt, wenn sie etwa länger
leitfähigkeit herabgesetzt und das Speisungsverhal- als 2400 mm sein müssen, Bild 2-36. Kleinere Achs-
ten merklich verbessert. Gusseisen mit Kugelgrafit brücken werden einteilig aus Sphäroguss für Nutz-
gilt als nicht rissempfindlicher Eisengusswerkstoff. fahrzeuge gegossen.
Weiterhin werden höhere Festigkeits-, Dehnungs-
und Zähigkeitswerte erreicht als bei Gusseisen mit Das flanschlose Achsgehäuse (EN-GJS-400-18-LT)
Lamellengrafit. wird beidseitig mit Rohrabschnitten aus S355J2N
(St 52-3) durch Reibschweißen verbunden. Die Ver-
Gemäß Tabelle 2-8 nach DIN EN 1563 unterschei- fahrensparameter werden so eingestellt (Schmelze
det man 13 Gusseisensorten mit Kugelgrafit, deren muss aus Spalt herausgedrückt werden), dass in der
mechanische Eigenschaften an getrennten oder an- Fügezone weder Martensit noch Ledeburit entste-
gegossenen, bearbeiteten Probestäben ermittelt wer- hen kann und die Grafitkugeln erhalten bleiben.
den. Wegen seiner stahlähnlichen Eigenschaften
wird das Gusseisen mit Kugelgrafit zu den duktilen Auch bei Gusseisen mit Kugelgrafit muss bei schwe-
Gusswerkstoffen gezählt. ren, dickwandigen Gussstücken der Wanddicken-
30 2 Urformen

Schmelzschweißung Reibschweißung
S355J2+N (S355J2G3) EN - GJS - 400 - 18 - LT/S355J2 + N (S355J2G3)

Bild 2-36
Hinterachsbrücke aus Gehäuse, Rohrabschnitten und Achszapfen, Länge > 2400 mm (nach von Hirsch).

einfl uss beim Entwerfen berücksichtigt werden. zeichnung GJS-XSiMo5-1 mit Kugelgrafit in einer
Nach DIN EN 1563 werden drei Bereiche der maßge- ferritischen Grundmasse enthält 5 % Silicium und
benden Wanddicke t unterschieden: 1 % Molybdän. Dieser Gusswerkstoff ist
– t 30 mm, – hitzebeständig bis 820 ’C,
– t 30 mm bis 60 mm, – warmfest (Rp0,2 120 N/mm2 bei 600 ’C),
– t 60 mm bis 200 mm. – korrosionsbeständig und
– zerspanbar bei Härten von 200 bis 240 HB.
Die Vielseitigkeit der Werkstoffgruppe Gusseisen
soll noch am Beispiel eines legierten Gusseisens Wegen der Legierungsbestandteile Silicium und Mo-
mit Kugelgrafit erläutert werden. Von wirtschaftli- lybdän lässt sich legierter Gusswerkstoff so gut wie
chem und technischem Interesse ist die Kombinati- Gusseisen vergießen. Gegenüber den teuren warm-
on wichtiger Gebrauchseigenschaften – duktil, hitze- festen austenitischen Sonderwerkstoffen bieten diese
beständig, korrosionsbeständig, warmfest, zerspan- Gusswerkstoffe erhebliche Preisvorteile, z. B. bei
bar – mit den guten Gießeigenschaften von Guss- Auspuffkrümmern etwa gemäß Bild 2-37, und bei
eisen. Das gilt besonders dann, wenn diese Eigen- Turboladern für Motoren.
schaftskombination ohne die teuren Legierungsele-
mente Chrom und Nickel, d. h. ohne die austeniti- Die Möglichkeiten der Werkstoffgruppe Gusseisen
schen Gusswerkstoffe erreichbar ist. Der warmfes- sollen auch am Beispiel einer wärmebehandelten
te, duktile hochlegierte Gusswerkstoff mit der Be- Sorte erläutert werden. Die DIN EN 1564 »Bainiti-
sches Gusseisen mit Kugelgrafit« ist eine neue Norm,
die vier hochfeste Sorten mit gleichzeitig hohen Kenn-
werten für die Festigkeit und Zähigkeit enthält, Ta-
belle 2-10. Die bisherige Bezeichnung: Zwischen-
stufenvergütetes Gusseisen mit Kugelgrafit, sollte
nicht mehr verwendet werden. Im angelsächsischen
Sprachgebiet ist die Bezeichnung ADI – Austem-
pered Ductile lron – gebräuchlich. Die chemische
Zusammensetzung der Gusseisenschmelze und die
Einstellung der Wärmebehandlungsparameter müs-
sen sorgfältig aufeinander abgestimmt werden. Rad-
naben und Kettenräder für Lkw und Baumaschinen
sind bekannte Anwendungen im Fahrzeugbau.

Gusseisen mit Vermiculargrafit


Bild 2-37 Die Grafitausscheidung in Gusseisenschmelzen wird
Auspuffkrümmer verschiedener Pkw-Motoren aus warmfestem ganz wesentlich durch die chemische Zusammen-
Gusseisen mit Kugelgrafit. Werkfoto Georg Fischer AG. setzung und die Schmelzbehandlung beeinflusst.
2.3 Gusswerkstoffe 31

Seit etwa 1995 wurde bei der Fertigung von Brems- dadurch ein beachtlicher Preisvorteil, weil der Guss-
klötzen für Eisenbahnen ein besonderes Gusseisen werkstoff ISO/JV nicht duktil, damit besser putz-
mit entartetem, »würmchenförmigem« (vermiculus bar ist und eine Gewichtsersparnis von ca. 10 %
Würmchen) Grafit verwendet, welches zu einer gegenüber Gusseisen mit Lamellengrafit entsteht.
neuen, im August 2006 genormten Gusseisensorte, Das VDG Merkblatt W50 Gusseisen mit Vermicular-
weiterentwickelt wurde. grafit ist die Basis für die neue ISO-Norm ISO 16112.
Unterschieden werden fünf Sorten mit den Kurz-
Durch eine unvollständige Schmelzenbehandlung, zeichen ISO/JV/300 bis ISO/JV/500. Die Festig-
ähnlich wie bei der Herstellung von Gusseisen mit keitsstufung beträgt bei allen Sorten einheitlich
Kugelgrafit, wird die Sphärolithenbildung nicht er- 50 N/mm2, mit einer Streubreite von 75 N/mm2, die
reicht, aber die lamellare Grafitbildung stark gestört. durch den Einfluss der Wanddicke und den thermi-
Es entsteht ein kleinerer würmchenförmiger Grafit. schen Modul, vgl. Bild 2-54, verursacht wird.
Die neue Werkstoffbezeichnung nach ISO TR 15931
ist ISO/JV. Aus den geringen Bruchdehnungswerten (d. h. der
geringen plastischen Verformbarkeit) ist der nicht-
Gegossen werden in kleineren Serien Motorkurbel- duktile Werkstoffzustand klar erkennbar, der mit
wellengehäuse und Zylinderköpfe für Dieselmotoren steigender Festigkeitsstufe kleinere Brinellhärte-
von Lkw und auch Pkw, weil die vermiculare Grafit- spannen, gemessen als HBW 30, aufweist. Dies ist
ausbildung in ferritisch-perlitischer Matrix höhere für die meist erhebliche spanende Bearbeitung von
Drücke bei einer vergleichbaren Spanbarkeit erlaubt. Motorkurbelgehäusen und Zylinderköpfen von be-
Bei gleicher Beanspruchung kann bei einem Guss- sonderer wirtschaftlicher Bedeutung.
eisen mit Vermiculargrafit die Wanddicke bis auf
3,5 mm in Zylinderkurbelgehäusen vermindert wer- 2.3.1.2 Temperguss
den. Der Werkstoff ist fester als Gusseisen mit La- Eine Legierung aus Eisen mit Grafit in flockiger oder
mellengrafit, weil die Kerbwirkung geringer ist. Ge- knotiger Form, die durch Auflösung von spröden Ei-
genüber dem sphärolithischen Gusseisen entsteht sencarbiden entsteht, heißt Temperguss.

Tabelle 2-10. Mechanische Eigenschaften von bainitischem Gusseisen mit Kugelgrafit (ADI), nach DIN EN 1564.

Werkstoffbezeichnung Zugfestigkeit 0,2%-Dehngrenze Bruchdehnung Härtebereich


Rm Rp0.2 A HB
2 2
Kurzzeichen Nummer N/mm N/mm % Einheiten
EN-GJS-800-8 EN-JS1100 800 500 8 260 bis 320
EN-GJS-1000-5 EN-JS1110 1000 700 5 300 bis 360
EN-GJS-1200-2 EN-JS1120 1200 850 2 340 bis 440
EN-GJS-1400-1 EN-JS1130 1400 1100 1 380 bis 480

Tabelle 2-11. Mechanische Eigenschaften (ermittelt an getrennt gegossenen Probestücken, Kennzeichen »S«) von Gusseisen
mit Vermiculargrafit, nach ISO 16112.
1)
Werkstoffbezeichnung Zugfestigkeit 0,2%-Dehngrenze Bruchdehnung Brinellhärte, Richtwerte
(Kurzzeichen) nach
Rm, min. Rp0.2, min. A, min. HBW 30
2 2
ISO/TR 15931 W50 N/mm N/mm % Einheiten
2)
ISO/JV/300/S GJV-300 300 bis 375 220 bis 295 1,5 140 bis 210
ISO/JV/350/S GJV-350 350 bis 425 260 bis 335 1,5 160 bis 220
ISO/JV/400/S GJV-400 400 bis 475 300 bis 375 1,0 180 bis 240
ISO/JV/450/S GJV-450 450 bis 525 340 bis 415 1,0 200 bis 250
ISO/JV/500/S GJV-500 500 bis 575 380 bis 455 0,5 220 bis 260
1)
Zum Zweck der Annahme muss die Zugfestigkeit einer gegebenen Sorte zwischen ihrem Nennwert n (Position 5 des Werkstoffkurzzei-
chens) und (n + 75) N/mm2 liegen.
2)
Die sich an die Bezeichnung anschließenden Buchstaben haben folgende Bedeutung:
S: for separatly casting sample (getrennt gegossene Proben), z. B. ISO/JV/450/S.
U: for cast on (angegossen), z. B. ISO/JV/300/U.
32 2 Urformen

– Gutes Fließverhalten ist nur mittels einer hö-


heren Gießtemperatur möglich;
– die grafitfreie Primärerstarrung ist auf Wanddi-
cken kleiner als 45 mm beschränkt;
– Dichtspeisung und Schwindung sowie die Riss-
anfälligkeit werden durch das breite Erstarrungs-
intervall größer und schwieriger.

Die werkstofflichen Eigenschaften von Temperguss


sind in DIN EN 1562 genormt. Je nach Bruchausse-
0,1 mm hen des duktilen Rohgusses unterscheidet man den
– entkohlend geglühten weißen Temperguss (Mal-
Bild 2-38
Primärgefüge von Temperhartguss mit dunkleren Dendriten leable White GJMW) und den
aus zerfallenen Austenitkristallen (Perlit) und Zementit (hell), – nicht entkohlend geglühten schwarzen Temper-
entstanden aus Restschmelze. guss (Malleable Black GJMB).

Aus dem spröden Temperhartguss wird durch eine Der ältere weiße Temperguss wird auch europäi-
Wärmebehandlung in neutraler oder entkohlender scher Temperguss genannt. Der schwarze oder auch
Atmosphäre duktiler Temperrohguss hergestellt, der amerikanischer Temperguss hatte erst ab etwa 1960
gut mechanisch bearbeitbar ist. Um eine grafitfreie mit den Serienteilen für die Autoindustrie den wei-
Primärerstarrung zu erreichen, wird mittels Bismu- ßen Temperguss mengenmäßig überholt. Seine Be-
timpfung und bestimmter Gehalte an deutung ist aber seit Jahrzehnten stark rückläufig,
– Kohlenstoff (2,3 % bis 3,4 %) und weil das Eigenschaftsspektrum durch Gusseisen mit
– Silicium (1,5 % bis 0,4 %) Kugelgrafit preiswerter erfüllt wird.
eine Zusammensetzung des Hartgusses nach Bild
2-33 als Weißer Temperguss
– Ledeburit/Perlit, Bereich IIa oder Bei einer Wärmebehandlung in entkohlenden Gas-
– Ledeburit, Bereich I gemischen, wie z. B. in
eingestellt. Das Mikrogefüge des Temperhartgusses, – Kohlenmonoxid/Kohlendioxid oder
gemäß Bild 2-38, besteht aus dunklen, exogenen – Wasserdampf/Wasserstoff
Dendriten, zwischen denen die helle eutektische entsteht aus Temperhartguss ein sehr anisotropes
Restschmelze breiartig endogen erstarrt. Gefüge. Dies ist in Bild 2-39 als Gießkeil dargestellt,
um den Wanddickeneinfluss zu betonen. Die rein
Die Kristallisation erfolgt in einem Erstarrungsinter- ferritische Randzone wird bei einer Wanddicke un-
vall zwischen etwa 1300 ’C und 1140 ’C. Dies bedeu- ter 8 mm erreicht, wobei die Kernzone aus aufgelocker-
tet hinsichtlich der wichtigsten Gießeigenschaften: tem Perlit mit Temperkohleknoten besteht, Bild 2-40.
Bereich Gefügeausbildung
Kernzone: Perlit (+ Ferrit) + Temperkohle
Übergangszone: Perlit + Ferrit + Temperkohle
Randzone: Ferrit

0,1 mm
Bild 2-39 Bild 2-40
Weißer Temperguss GJMW (GTW) wegen der Wanddickenab- Kernzone von weißem Temperguss (entspricht etwa der Sorte
hängigkeit als Keil dargestellt (nach EN 1562). EN-GJMW-350-4) mit Perlit und Knotengrafit.
2.3 Gusswerkstoffe 33

Weißer Temperguss ist nach EN 1562 in fünf Werk-


stoffsorten eingeteilt mit den Normbezeichnungen
EN-GJMW-350-4 für die Grundsorte und für die
höchste Festigkeitsstufe EN-GJMW 550-4. Das »M«
steht für Malleable ( verformbar) und das »W« für
White. Durch die Wärmebehandlung, das Tempern,
werden die Zugfestigkeiten in N/mm2 und die pro-
zentuale Bruchdehnung gemessen als A3/4 zuverlässig
und in engen Streubreiten eingestellt.
Rohrrundnaht

Bild 2-42
Einbaufertiges Kardangelenk, bestehend aus Gabelflansch,
Gabelkopf und Stahlrohr in Gussverbund-Schweißkonstruk-
tion. Werkfoto Georg Fischer AG.

Wanddicke des Gabelkopfes, der mit einem Stahl-


rohr durch eine umlaufende Schutzgasschweißnaht
Stahlrohr P235G1TH Gabelkopf EN-GJMW-360-12W verbunden ist, muss kleiner als 8 mm sein. Bild 2-42
(St 35.8) (GTW - S 38 - 12)
zeigt ein einbaufertiges Kardangelenk, bestehend
Bild 2-41 aus einem Gabelflansch (EN-GJMW-450-7), einem
Rohrgelenkwelle in Gussverbund-Schweißkonstruktion. Gabelkopf (EN-GJMW-360-12W) und dem ange-
schweißten Stahlrohr (P235G1TH). Auch gegossene
Die Sorte EN-GJMW-360-12W wird mit besonders Radträger für Hinterachsen von Pkws werden zu-
großer Entkohlungstiefe hergestellt und ist für Festig- sammen mit Stahlpressteilen zu kompletten Achs-
keitsschweißungen ohne thermische Nachbehand- schwingen geschweißt (Näheres s. DIN EN 1011-8).
lung vorgesehen. Bei Wanddicken  8 mm beträgt
der Restkohlenstoffgehalt … 0,30 %. 2.3.1.3 Stahlguss
Stahl zu Formguss vergossen heißt Stahlguss, der
Eine Anwendung der gut schweißgeeigneten Sorte je nach Beanspruchung
EN-GJMW-360-12W bei der Fertigung von Kar- – unlegiert oder
dan- oder Gelenkwellen ist in Bild 2-41 skizziert. Die – legiert, d. h. niedrig- oder hochlegiert sein kann.

Tabelle 2-12. Mechanische Eigenschaften der Stahlgusssorten für allgemeine Verwendung nach DIN EN 10293, Auszug.

Stahlgusssorte Streck- Zug- Bruchdehnung Kerbschlagarbeit Beispiele für Anwendung


grenze festigkeit (L0 = 5 d0) (ISO-V-Proben)

Kurzname N/mm2 N/mm2 Prozent, min. Mittelwert J, min.

GE200 200 380 bis 530 25 27 (bei RT)


GS200 200 380 bis 530 25 35 (bei RT) Maschinenbau, Bautechnik, Hochbau, Tief-
GS240 240 450 bis 600 22 27 (bei RT) bau für geringer belastete Bauteile
GE300 300 600 bis 750 15 27 (bei RT)

Legierter Stahlguss

G17Mn5 240 450 bis 600 24 70 (bei RT) Gute Schweißeignung durch geringen Koh-
G20Mn5 300 480 bis 620 20 50 (bei RT) lenstoffgehalt
G15CrMoV6-9 700 850 bis 1000 10 27 (bei RT) Warmgehende Bauteile und Behälter

G35CrNiMo6-6 700 800 bis 950 12 45 (bei RT) Prägewerkzeuge, Schmiedegesenke


G9Ni19 380 500 bis 650 20 100 (bei RT) Tieftemperaturanwendungen

GX3CrNi13-4 500 700 bis 900 15 27 (bei −120°C) Chemischer Apparatebau


34 2 Urformen

Stahlguss wird dort eingesetzt, wo Festigkeit, Zähig- Nach DIN EN 10293 unterscheidet man drei Fes-
keit oder spezielle Eigenschaften der bisher beschrie- tigkeitsklassen von Stahlguss für allgemeine Verwen-
benen hochkohlenstoffhaltigen Eisengusswerkstoffe dung. Dies sind die unlegierten Normalsorten GE200
nicht ausreichen. Der Anwendungsbereich von Stahl- bis GE300, Tabelle 2-12. Sie werden durch Legie-
guss ist deshalb sehr groß, z. B. bei großen hoch be- ren mit Kohlenstoff eingestellt, die Sorten GS200
anspruchten Gussstücke bis 100 t oder bei Wanddi- und GS300 (… 0,23 % C) sind gut schmelzschweißge-
cken von 8 bis 800 mm. Aus Kostengründen wird eignet. Diese Sorten eignen sich für Fertigungs- und
Stahlguss aber nur dann eingesetzt, wenn die gefor- Konstruktionsschweißungen. Zum Verbessern der
derten Gebrauchseigenschaften keine andere Lö- Schweißeignung wird der Kohlenstoffgehalt etwas
sung zulassen. Zum Beispiel wird für ein Pumpenge- abgesenkt und der Mangangehalt erhöht (G17Mn5,
häuse aus dem (hochlegierten) austenitischen Stahl- G20Mn5). Für größere Wanddicken steht der (nied-
guss GX6CrNiMo18-10 die Kombination der Eigen- rig-)legierte Feinkornstahlguss G8MnMo7-4 zur Ver-
schaften korrosionsbeständig und warmfest bei ei- fügung, der sich wegen seines geringen Kohlenstoff-
ner Stückmasse von 31 t und Wanddicken bis 70 mm äquivalents ohne Vorwärmen und ohne Wärmenach-
gefordert. behandlung rissfrei schweißen lässt. Die Anwendung
der unlegierten Stahlgusssorten für allgemeine Ver-
Ein besonders schwieriges Problem bei Stahlguss ist wendung nach DIN EN 10293 ist wegen der ungüns-
die geforderte warmrissfreie Primärerstarrung in der tigen Gießeigenschaften seit Jahren rückläufig.
Randschale. Ursache der Warmrisse sind meistens
metallurgische Vorgänge in der Schmelze (niedrig- Die Schweißeignung ist bei Stahlguss von großer
schmelzende Verunreinigungen). Risse können so- praktischer Bedeutung. Nach der Fehlerortung in den
wohl bei glattwandiger, als auch bei großen und klei- Stahlgussstücken werden durch Reparaturschwei-
nen Wanddicken und Abkühlungsgeschwindigkeiten ßungen – man spricht in diesem Fall vom Fertigungs-
auftreten. Nur mit Hilfe gießtechnischer Erfahrung, schweißen – Lunker, Risse und Oberflächenfehler be-
der Sekundärmetallurgie und dem Fertigungsschwei- seitigt. Das Stahlgussstück wird zunächst normal-
ßen in Verbindung mit zerstörungsfreien Prüfverfah- geglüht und im Anschluss an das Fertigungsschwei-
ren sind Warmrisse zu beherrschen. ßen spannungsarm geglüht.

Die weniger guten Gießeigenschaften von Stahlguss Nicht nur die Schweißeignung von Stahlguss wird
werden durch den geringen Kohlenstoffgehalt und hauptsächlich vom Kohlenstoffgehalt beeinflusst.
Legierungselemente verursacht, die nur in Verbin- In Bild 2-43 sind die einstellbaren Festigkeits- und
dung mit hohen Gießtemperaturen gut gießfähige Verformungskennwerte in Abhängigkeit vom Kohlen-
Schmelzen liefern. Nachteilig sind folgende Eigen- stoffgehalt aufgetragen. Der durch Widmannstätten-
schaften von Stahlgussschmelzen: 800 80
– Hohe Gießtemperatur (etwa 1580 ’C bis 1680 ’C), N
mm2 %
– Oberflächenanbrennungen am Formstoff, 700 70
Widmannstätten sches Gefüge
Zugfestigkeit Rm und Streckgrenze Rp0,2

Dehnung A5 und Einschnürung Z

Zugfestigkeit
– große Speiser zur Formfüllung erforderlich,
600 60
– Gefahr der Warmrissbildung,
– großer Aufwand beim Trennen der Angüsse, 500 50
– große flüssige und feste Schwindung und Streckgrenze

– Treiben der Formen. 400 40


Einschnürung
300 30
Die zahlreichen Stahlgusssorten sind in verschiede-
nen DIN-Normen, in Stahl-Eisen-Werkstoffblättern 200 20
oder ersten EURO-Normen beschrieben.
100 10
Bruchdehnung
DIN EN 10213 vom Januar 2008 z. B. enthält die
0 0,2 0,4 0,6 % 0,8
technischen Lieferbedingungen für Druckbehälter
Kohlenstoffgehalt
aus Stahlguss mit den Stahlgusssorten für den Ein-
Bild 2-43
satz bei Raumtemperatur und die austenitischen und Festigkeitswerte von unlegiertem, normalgeglühtem Stahlguss
ferritischen kaltzähen (warmfesten) Sorten für den in Abhängigkeit vom Kohlenstoffgehalt (nach Roesch). Durch
Einsatz bei tieferen (höheren) Temperaturen. Widmannstättensches Gefüge gefährdeter Bereich.
2.3 Gusswerkstoffe 35

cherheit oft erhöht. Ein Beispiel zeigt Bild 2-44. Die


Herstellung eines Pumpengehäuses für den Sekun-
därkreislauf eines Wärmekraftwerks wurde durch
eine Gussverbund-Schweißkonstruktion sehr ver-
einfacht. Der Gusswerkstoff GX12Cr14 ist an bei-
den Vorschuhenden mit artgleichen nahtlosen Roh-
ren und geschmiedeten Ringen durch Schmelzschwei-
ßen zu Flanschen verbunden.

2.3.2 Nichteisen-Gusswerkstoffe

Bild 2-44 Nur für den Leichtmetallguss werden Zuwachsraten


Pumpengehäuse als Gussverbund-Schweißkonstruktion wäh- prognostiziert. Die insgesamt erzeugten Mengen
rend der Ultraschallprüfung. Werkfoto Georg Fischer AG. von 775 000 t im Jahr 2000 verteilen sich auf 73 %
Leichtmetall- und 27 % Schwermetallguss.
sches Gefüge stark gefährdete Bereich zwischen et-
wa 0,25 % C und 0,35 % C ist hervorgehoben. Für Ein Vergleich der Dichten von Aluminium-Magnesi-
höhere Festigkeiten verwendet man niedriglegierte um-Legierungen im Verhältnis zu den Kupfer-Zink-
Stahlgusssorten mit geringen Kohlenstoffgehalten Blei-Zinn-Legierungen von etwa 1 zu 3 macht aber
verbunden mit guter Schweißeignung, Tabelle 2-12. deutlich, dass das vergossene Werkstoffvolumen der
Leichtmetalllegierungen etwa zwölfmal größer ist.
Große Bedeutung haben die zahlreichen niedrigle-
gierten und hochlegierten Stahlgusssorten, wie z. B. Die Beschreibung von NE-Gusswerkstoffen ist we-
– Stahlguss für Druckbehälter nach DIN EN 10213, gen der Vielfalt der Legierungen in diesem Rahmen
– Stahlguss für allgemeine Verwendungszwecke nur begrenzt möglich. Die wichtigsten Legierungs-
nach DIN EN 10293, typen seien nach den erzeugten Mengen den Gießver-
– nichtrostender Stahlguss nach DIN EN 10283, fahren an Hand weniger Beispiele zugeordnet. Von
– nichtmagnetisierbarer Stahlguss nach Stahlei- den Leichtmetall-Gusswerkstoffen Al, Mg, Ti hat
sen-Werkstoffblatt SEW 390-91, der schwieriger zu gießende Werkstoff Titan noch
– Stahlguss für Erdöl- und Erdgasanlagen nach keinen größeren Anteil erreichen können. Der Mag-
SEW 595-76, nesium-Leichtmetallguss konnte im Jahre 2000 um
– hitzebeständiger Stahlguss nach DIN EN 10295, 28 % erhöht werden. Das Mengenverhältnis Al- zu
– kaltzäher Stahlguss nach SEW 685-89 und Mg-Guss beträgt etwa 98 % zu 2 %. Mg ist ca. 33 %
– Flamm- und induktionshärtbarer Stahlguss. leichter als Al und 75 % leichter als Stahl.

Die Gebrauchseigenschaften dieser Sorten zeigen, Den Mg-Gusswerkstoffen wird erneut eine bedeu-
dass der verhältnismäßig teure Stahlguss ein mengen- tende Zukunft vorhergesagt, wenn es gelingt, die für
mäßig begrenztes, aber genau bestimmtes Einsatz- Gusslegierungen verfügbaren Mg-Mengen zu ver-
gebiet bei Großguss- und Seriengussstücken mit be- vielfachen und den Preis auf die Höhe der Al-Guss-
sonderen Eigenschaften hat. werkstoffe zu senken. Bei einem Verhältnis der Dich-
ten von Al- zu Mg-Guss von 2,7 zu 1,8 sind Mg-Guss-
Da sich die Gießeigenschaften bei steigenden Gehal- legierungen für Anwendungen im Fahrzeugbau bei
ten an Legierungselementen i. Allg. zunehmend ver- etwa 2 €/kg preisgleich, kosteten aber Ende 2000
schlechtern, werden häufig Verbundkonstruktionen über 4 €/kg bei eingeschränkter Verfügbarkeit durch
hergestellt, d. h. Gießen und Schweißen mit den großen Bedarf an Mobiltelefonen. Ein Schrottrück-
– Walzprofilen, z. B. Rohren, lauf, wie bei den Eisen- und NE-Metallen üblich, ist
– Schmiedestücken, z. B. Ringen, Flanschen, und bei Mg erst im Aufbau. Bei den Schwermetallen Cu,
– umgeformten Grobblechen, z. B. Kümpelböden Zn, Pb, Sn sollen die in geringeren Mengen hergestell-
kombiniert. Die Gussstücke bzw. die Schweißkon- ten Cu-Ni-Legierungen – relativ teure, korrosionsbe-
struktionen kann man auf diese Weise einfacher ständige und warmfeste Gusswerkstoffe – in die-
oder billiger fertigen, außerdem wird die Bauteilsi- sem Buch nicht näher betrachtet werden.
36 2 Urformen

2.3.2.1 Leichtmetall-Gusswerkstoffe – Niedrige Gießtemperaturen,


Die wichtigsten Leichtmetall-Gusswerkstoffe sind – gutes Formfüllungsvermögen, optimal bei 12 % Si,
Aluminiumlegierungen, die nach ihrem Hauptle- – geringe Lunkerneigung, minimal bei 6 bis 8 % Si,
gierungselement eingeteilt werden in – geringes Schwindmaß von etwa 1,25 %,
– Aluminium-Silicium-Legierungen, – geringe Warmrissneigung bis  6 % Si,
– Aluminium-Magnesium-Legierungen und – Wanddickeneinfluss gering, bei Sandguss größer.
– Aluminium-Kupfer-Legierungen.
Eine feinkörnige Erstarrung durch Impfen mit Titan
Gussbereich
900
und Bor abgebenden Salzgemischen oder Titan und
°C S Bor enthaltenden Vorlegierungen und eine rasche Ab-
Temperatur J

800 kühlung vermindern die Warmrissbildung und be-


S + Si
günstigen druckdichte Gussgefüge mit nahezu wand-
dickenunabhängigen Gebrauchseigenschaften.
660
S+ a
600
a
577 °C Die Leichtmetalle werden hauptsächlich nach vier
Gießverfahren zu Formguss vergossen:
a + Si Druckguss, Kurzzeichen D,
400
Kokillenguss, Kurzzeichen K,
Al 10 20 30 40 % 50 (bei Cu-Gusswerkstoffen M, s. Tabelle 2-17),
Siliciumgehalt Sandformguss, Kurzzeichen S,
Bild 2-45 Feinguss, Kurzzeichen L.
Zustandsschaubild Aluminium-Silicium mit dem für Formguss
bevorzugten Konzentrationsbereich. Druckguss ist mit einem Anteil von über 60 % das
wichtigste Gießverfahren.
Wegen der besonders vorteilhaften Kombination
der Gieß- und Gebrauchseigenschaften kommt den Druckgusslegierungen
naheutektischen Aluminium-Silicium-Legierungen Die wichtigsten Leichtmetall-Druckgusslegierun-
die größte Bedeutung zu. Bild 2-45 zeigt den alumi- gen sind
niumseitigen Ausschnitt des Al-Si-Zustandsschau- Aluminium-Silicium-Legierungen und
bilds. Das Eutektikum liegt bei etwa 12 % Silicium Magnesium-Aluminium-Legierungen.
und 577 ’C. Es ist die Legierung mit dem besten Er-
starrungsverhalten. Mit größer werdendem Erstar- Tabelle 2-13 enthält die mechanischen Eigenschaf-
rungsintervall sind einige Gießeigenschaften beein- ten der vier wichtigsten Druckgusslegierungen nach
trächtigt, so dass für Formguss nur Siliciumgehalte EN 1706. Die neuen Werkstoffkurzzeichen den al-
zwischen 6 % und 17 % verwendet werden. Eine Aus- ten Bezeichnungen nach DIN 1725-2 gegenüber-
nahme bilden die Kolbenlegierungen, die eine mi- gestellt. In den Bezeichnungen steht AC für Alumi-
nimale Wärmedehnung bei 25 % Silicium aufweisen. nium Casting. Die Legierungen werden in 11 Le-
Zwecks Erhöhung der Warmfestigkeit werden Legie- gierungsgruppen eingeteilt. Probestäbe mit einem
rungselemente wie Kupfer und Nickel zugesetzt. Querschnitt von 20 mm² und einer Mindestwanddi-
cke von 2 mm werden getrennt gegossen. Der Zu-
Die Gießeigenschaften der Aluminium-Silicium- stand »F« kennzeichnet den Gusszustand, der meist
Legierungen lassen sich wie folgt beschreiben: durch Kaltauslagern nach Lösungsglühen und Ab-
Tabelle 2-13. Mechanische Eigenschaften von Aluminium-Druckgusslegierungen (F = Gusszustand).

DIN EN 1706 alt: DIN 1725-2 Werkstoff- Zugfestigkeit Dehngrenze Bruch- Brinell-
zustand dehnung härte
Legierungsbezeichnung Werkstoff- Rm, min. Rp0,2, min. A50, min. HBW, min.
chemisches Symbol Kurzzeichen
N/mm2 N/mm2 % Einheiten

EN AC-Al Si12(Fe) GD-AlSi12 F 240 130 1 60


EN AC-Al Si10Mg(Fe) GD-AlSi10Mg F 240 140 1 70
EN AC-Al Si8Cu3 GD-AlSi9Cu3 F 240 140 1 80
EN AC-Al Mg9 GD-AlMg9 F 200 130 1 70
2.3 Gusswerkstoffe 37

L1 so gut gießbar, aber härter und ermöglicht dadurch


660
S
beim Spanen bessere Oberflächen. Auf die Umschmelz-

Al3Mg2
600 legierung EN AC-Al Si8Cu3 (r 2,75 kg/dm3) ent-
Temperatur J

°C fallen mehr als 80 % der Druckgusserzeugung.


S+ a
500 S+ b
451 °C
Si und Cu sind innerhalb bestimmter Grenzen ge-
a geneinander austauschbar, ohne dass sich die Eigen-
13,35 % 34,5 %
400 schaften wesentlich ändern, wenn Si und Cu zusam-
men etwa 10 % betragen, z. B. EN AC-Al Si6Cu4.
300 a+ b b b+ g
Die preisgünstigste Gusslegierung des Aluminiums
ist EN AC-Al Si6Cu4, Tabelle 2-15. Sie ist gut gieß-
200 bar und wird vielseitig dort angewendet, wo keine
erhöhten Ansprüche an Festigkeit, Zähigkeit und Kor-
0
rosionsbeständigkeit gestellt werden, z. B. bei Gehäu-
Al 10 20 30 40 % 50 sen aller Art, auch bei Getriebegehäusen und Ge-
Magnesiumgehalt
triebedeckeln für Pkw.
Bild 2-46
Zustandsschaubild Aluminium-Magnesium mit der Druck- Die Al-Mg-Legierung EN AC-Al Mg9 ist bei gerin-
gusslegierung GD-AlMg9 (L1). gen Cu-Gehalten (< 0,05 %) beständig gegen Seewas-
ser und ausgezeichnet polierbar. Bild 2-46 zeigt, dass
schrecken, Kurzzeichen »T4«, oder Warmauslagern die Erstarrung der Schmelze zu a -Mischkristallen
nach Lösungsglühen und Abschrecken, Kurzzei- bei einem Mg-Gehalt von 9 % (L1) in einem breiten
chen »T6«, erheblich verändert werden kann. Temperaturintervall von etwa 100 ’C erfolgt. Die
Schmelz- und Gießtechnik muss das Auftreten der
Die eutektische Al-Si-Legierung mit 12 % Si eignet b -Phase (Al3Mg2) vermeiden, die bevorzugt an den
sich für komplizierte, druckdichte Gussstücke und Korngrenzen zu interkristallinem Korrosionsangriff
ist mit Cu-Gehalten kleiner als 0,5 % korrosionsbe- führt. Bei Druckguss ist es durch eine Wärmebehand-
ständig gegen Salzwasser. Die Legierung mit 10 % lung – wie z. B. bei Halbzeug – nicht möglich, eine
Si und einigen Zehnteln Prozent Mg ist nicht ganz feindisperse Verteilung der b -Phase zu erreichen.
Tabelle 2-14. Mechanische Eigenschaften von Magnesium-Druckgusslegierungen (F Gusszustand).

DIN EN 1706 alt: DIN 1729-2 Allgemeine Werkstoff- Zug- Dehn- Bruch- Brinell-
Bezeichnung zustand festigkeit grenze dehnung härte
Legierungsbezeichnung Werkstoff-
chemisches Symbol Kurzzeichen Rm Rp0.2 A50 HBW

N/mm2 N/mm2 % Einheiten


EN MC-MgAl9Zn1(A) GD-MgAl9Zn1 AZ 91 F 200 − 260 140 − 170 1−6 65 − 85
EN MC-MgAl6Mn GD-MgAl6Mn AM 60 F 190 − 250 120 − 150 4 − 14 55 − 70
EN MC-MgAl12Mn GD-MgAl2Mn AM 20 F 150 − 200 80 − 100 8 − 18 40 − 55
EN MC-MgAl4Si GD-MgAl4Si1 AS 41 F 200 − 250 120 − 150 3 − 12 55 − 80

Tabelle 2-15. Mechanische Eigenschaften von Aluminium-Kokillen- und Sandgusslegierungen (F Gusszustand, T6 lösungs-
geglüht und warmausgelagert).

DIN EN 1706 alt: DIN 1725-2 Werkstoff- Zug- Dehn- Bruch- Brinell-
zustand festigkeit grenze dehnung härte
Legierungsbezeichnung Werkstoff-
chemisches Symbol Kurzzeichen Rm, min. Rp0.2, min. A50, min. HBW, min.

N/mm2 N/mm2 % Einheiten


EN AC-AlSi12Mg G-AlSi12(Cu) F 170 100 2 75
EN AC-AlSi10 G-AlSi10Mg T6 260 220 1 90
EN AC-AlSi107Mg0,3 G-AlSi7Mg T6 290 210 4 90
EN AC-AlSi6Cu4 G-AlSi6Cu4 F 170 100 1 75
38 2 Urformen

Die Druckgusslegierungen des Magnesiums, Tabel- Die drei Magnesium-Grundtypen mit Zink, Mangan
le 2-14 und Bild 2-84, enthalten als Hauptlegierungs- und Silicium als Legierungselemente zusammen
element Aluminium. Je nachdem, ob zusätzlich noch mit Aluminium besitzen eine geringere Festigkeit,
Zink, Mangan oder Silicium legiert werden, unter- Härte und Duktilität als vergleichbare Aluminium-
scheidet man die handelsüblichen Bezeichnungen Druckgusslegierungen. Der geringere Elastizitätsmo-
AZ-, AM- und AS-Standardgusslegierungen. In der dul von ca. 45 000 N/mm2 wird im Leichtbau durch
neuen EN 1753 werden die Legierungen sieben Le- örtliche Versteifungen und Rippen ausgeglichen.
gierungsgruppen zugeordnet, was noch gewöhnungs-
bedürftig ist. Kokillengusslegierungen
Die Kokillengusslegierungen des Aluminiums unter-
Die Legierung EN MC-MgAl9Zn1(A) (alt: AZ 91 scheiden sich in ihren Gießeigenschaften und in der
bzw. GD-MgAl9Zn1) ist der universelle Werkstoff chemischen Zusammensetzung nur wenig von den
für Sand-, Kokillen- und Druckguss und wird am häu- Druck- und Sandgusslegierungen, wie Tabelle 2-15
figsten vergossen. Sie weist im warmausgehärteten zeigt. Die naheutektischen Legierungen mit Silici-
Zustand eine Zugfestigkeit bis 300 N/mm2 auf bei um und Kupfer sind überwiegend wie die Druckguss-
einer Bruchdehnung bis zu 3 %. Die hervorragen- legierungen in Tabelle 2-13 zusammengesetzt.
den Gleiteigenschaften und die ausgezeichnete Gieß-
barkeit auf Warm- und Kaltkammer-Druckgießma- Von besonderer Bedeutung für den Einsatz von
schinen haben zu vielfältigen Anwendungen bei dünn- Leichtmetall-Kokillenguss ist die Möglichkeit, Ko-
wandigen Gehäusen für Pkw-Getriebe, Schaltgehäu- killengussstücke nachzubehandeln durch
se, Kettensägen und Mobiltelefonen, in der Elekt- – Galvanotechnik und
ro- und Apparateindustrie bei Gehäusen, Verscha- – Aushärtung.
lungen und Haltern geführt. Die Magnesiumlegie-
rungen mit Aluminium und Mangan besitzen im Beim Druckguss ist das wegen der Blasenbildung
Vergleich zu den AZ- und AS-Legierungsvarianten durch eingeschlossene Luft nicht möglich. Die sehr
die besten Zähigkeitseigenschaften. Sie werden im glatten und feinkörnig erstarrten Oberflächen ge-
Fahrzeugbau für Instrumententafelträger, Sitzge- statten eine Beschichtung mit zahlreichen Metallen
stelle und Felgen eingesetzt. Die langzeitig wärmebe- und den unterschiedlichsten Farbtönen.
lastbare Legierung AS 41 mit guter Kriechfestigkeit
kann bei Temperaturen bis 150 ’C im Motorenraum Der Aushärtungseffekt beruht auf der Ausscheidung
für Kurbelgehäuse, Ölwannen und Deckel verwen- von Vorstufen der intermediären Verbindung Mg2Si
det werden. aus dem a -Mischkristall nach einer dem Lösungs-
glühen bei ca. 520 ’C folgenden Wärmebehandlung
Die Neigung der Magnesium-Druckgusslegierungen zwischen 125 ’C und 175 ’C (»Aushärten«). Die Fes-
zur interkristallinen Korrosion kann durch verringer- tigkeitswerte der Gussstücke, z. B. aus der Legierung
te Gehalte an Nickel ( 0,003 %), Eisen ( 0,005 %) G-AlSi12(Cu), lassen sich dadurch nahezu verdop-
und Kupfer ( 0,015 %) weitgehend ausgeschlossen peln (Kurzzeichen »T6«).
werden. An HP-Legierungen (High Purity) wird im
Salzsprühnebeltest für die Legierung AZ 91 eine Kor- Sandgusslegierungen
rosionsrate bis zu 2 mg/cm2 und Tag gemessen. Sie Alle Leichtmetalllegierungen lassen sich grundsätz-
ist damit nur halb so groß wie die Korrosionsrate bei lich auch in Sandformen vergießen (Tabelle 2-13 bis
der wichtigsten Aluminium-Umschmelzlegierung 2-15). Bei Sandguss existieren jedoch zahlreiche nicht-
EN AC-AlSi8Cu3 (GD-AlSi9Cu3). genormte Legierungen mit speziellen Gebrauchsei-
Tabelle 2-16. Mechanische Eigenschaften von Zink-Druckgusslegierungen.

DIN EN 17 alt: DIN 1725-2 Farb- Zug- Dehn- Bruch- Brinell-


kodierung festigkeit grenze dehnung härte
Kurzbezeichnung Kenn- Werkstoff-
zeichen Kurzzeichen Rm Rp0.2 A50 HBW
2 2
N/mm N/mm % Einheiten
ZP3 Z400 GD-ZnAl4 weiß/gelb 280 200 10 83
ZP5 Z410 GD-ZnAl4Cu1 weiß/schwarz 330 250 5 92
2.3 Gusswerkstoffe 39

genschaften, z. B. die Kolbenlegierungen. Leichtme- Zink-Druckgusslegierungen


tallsandguss aus Aluminiumlegierungen kann wie Die wichtigsten mechanischen Gütewerte der bei-
Kokillenguss oberflächlich oder vollständig nachbe- den Hauptlegierungen der neuen Norm EN 12844, die
handelt werden mit Hilfe der auch mit den Schlagzeichen Z400 oder GD-ZnAl4
– galvanischen Verfahren und der und Z410 oder GD-ZnAl4Cu1 bezeichnet wurden,
– Aushärtung. zeigt Tabelle 2-16. Die neuen Kurzzeichen »ZP3«
und »ZP5« sind noch gewöhnungsbedürftig. Um im
2.3.2.2 Schwermetall-Gusswerkstoffe Schmelzbetrieb Verwechslungen zu vermeiden, wird
Schwermetalle, sog. Börsenmetalle, wie z. B. Kup- die Vorlegierung als Massel mit der Farbkodierung
fer, Zink, Zinn, Blei und Nickel, werden an den Me- weiß/gelb oder weiß/schwarz gekennzeichnet.
tallbörsen gehandelt. Der Preis und die Verfügbar-
keit bestimmen die Konkurrenzfähigkeit des Guss- Die aluminiumhaltige Legierung GD-ZnAl4 wird
werkstoffs. Die Austauschbarkeit – die Substitution für hochwertige, maßbeständige Genaugussstücke
– unterschiedlicher metallischer Gusswerkstoffe ist bevorzugt eingesetzt. Die kupferhaltige Legierung
in diesem Fall bei gleichen Gebrauchseigenschaften aus Schrott- und Umschmelzzink (GD-ZnAl4Cu1)
oft nur eine Frage des Preises. dagegen ist billiger und besitzt höhere Festigkeits-
und Härtewerte. Beide Druckgusslegierungen enthal-
In Deutschland wurden im Jahre 2008 folgende ten 4 % Aluminium. Sie sind naheutektisch und aus-
Mengen Gusswerkstoffe erzeugt: gezeichnet gießbar. Das Eutektikum liegt bei 5 %
– Kupferlegierungen 93 000 t Aluminium und der eutektischen Temperatur von
– Zinklegierungen 68 000 t 380 ’C. Ein geringer Magnesiumgehalt von 0,02 %
– z. Vgl. Aluminiumlegierungen 790 000 t bis 0,06 % und streng begrenzte Gehalte für Zinn,
Blei und Kadmium machen die Legierung auch bei
Zinklegierungen werden praktisch nur als Druck- hoher Luftfeuchtigkeit unempfindlich gegen inter-
guss vergossen. kristalline Korrosion.

Messing, Rotguss und Zinnbronze sind die wichtigs- Zum Ermitteln der Wanddicke von ständig statisch
ten Kupfergusswerkstoffe, die nach allen Gießverfah- oder wechselnd beanspruchten Gussstücken wird
ren vergossen werden. Auf die Dauerformverfahren nicht die Zug- oder Dauerfestigkeit verwendet. Die
Kokillenguss (GM) Verwendung der 10 000-Stunden-Zeitdehngrenze
(bei Leichtmetall-Gusswerkstoffen: GK), für eine maximale 0,2%-Dehnung von 30 N/mm2
Schleuderguss (GZ), bis 50 N/mm2 vermeidet das Kriechen und Abwei-
Strangguss (GC) chungen der eng tolerierten Gussmaße durch Bean-
entfallen mehr als zwei Drittel der Erzeugung. Das spruchung.
Druckgießen, Kurzzeichen »GP«, von Kupferlegie-
rungen auf Kaltkammermaschinen hat noch keine Die mechanischen Eigenschaften der in Tabelle 2-16
größere Bedeutung gewinnen können. Entsprechend aufgeführten Zinklegierungen (ZP3, ZP5) wurden
ihrer Wichtigkeit werden von den Schwermetall- an getrennt gegossenen Probestäben mit einer Dich-
Gusswerkstoffen deshalb nur die Zinklegierungen te r von 6,7 kg/dm3 ermittelt. Die Werte streuen in
und einige wenige Kupferlegierungen für Kokillen- Abhängigkeit von der Wanddicke, der Gestalt und
und Sandguss erläutert. der Gießtechnik z. T. erheblich.
Tabelle 2-17. Mechanische Eigenschaften der Kupferwerkstoffe Gussmessing, Gussbronze und Rotguss.

DIN EN 1982 alt: DIN 1709 Gießverfahren Zug- Dehn- Bruch- Brinell-
festigkeit grenze dehnung härte
Werkstoff- Werkstoff-
Kurzzeichen Kurzzeichen Rm, min. Rp0.2, min. A50, min. HBW, min.

N/mm2 N/mm2 % Einheiten


CuZn33Pb2-C G-CuZn33Pb GS (Sandguss) 180 70 12 45
CuZn39Pb1Al-C GK-CuZn37Pb GM (Kokillenguss) 280 120 10 70
CuSn10-C G-CuSn10 GC (Strangguss) 280 170 10 80
CuSn5Zn5Pb5-C G-CuSn5ZnPb GC (Strangguss) 250 210 13 65
40 2 Urformen

Kupfergusswerkstoffe 2.4 Gießbarkeit


Gusswerkstoffe aus Kupferlegierungen lassen sich
nach allen Gießverfahren vergießen. Die Gussmes- Im Begriff Gießbarkeit sind eine Reihe von Eigen-
singe, Legierungen des Kupfers mit Zink, sind mit schaften zusammengefasst, die die Gussqualität ent-
ungefähr 50 % die größte Gruppe. Sie werden zu scheidend bestimmen. Für ein »gutes« Gussstück ist
mehr als 90 % in Kokillen und in Sand vergossen. die Zuordnung von
Die Gussteile werden in den meisten Fällen noch spa- – Gusswerkstoff,
nend bearbeitet, daher enthalten die Legierungen i. – Form- und Gießverfahren,
Allg. geringe Mengen Blei (0,5 % bis 3,5 %). Die- – Schmelz- und Erstarrungsbedingungen
ses Element wird zur besseren Spanbildung zule- und den in der Rohteilzeichnung festgelegten Ge-
giert. Die Hauptlegierung CuZn39PbAl-C (alte Be- brauchseigenschaften des Gussstücke erforderlich.
zeichnung: GK-Ms 60) enthält etwa 2 % Blei. Vom Gussstück wird in der Regel verlangt:
– Eine saubere, glatte Oberfläche,
Armaturen mit Gussmassen unter 5 kg für Wasser, – Maßhaltigkeit,
Gas und Dampf in Voll- oder Gemischtkokillen mit – Freiheit von Lunkern, Einschlüssen und Poren,
Sandkernen bilden den überwiegenden Anteil der – Freiheit von Rissen und Spannungen.
Gussstücke. Ein bedeutender Anteil wird als horizon-
taler Strangguss (GC) zu Halbzeugen mit Rund-, Da diese und weitere Eigenschaften des Gussstücks
Sechskant-, Vierkantquerschnitt vergossen. Daraus durch die gießtechnischen Bedingungen beeinflusst
lassen sich preisgünstige Massendrehteile, sog. Fas- werden, fasst man im Begriff Gießbarkeit messbare
sondrehteile, fertigen. Hohlkörper wie Rohre, Rin- Einzelkriterien zusammen, denen typische Gussfeh-
ge, Büchsen werden in rotierenden Dauerformen als ler am Gussstück zugeordnet werden. Das Schema
Schleuderguss (GZ) gegossen. in Tabelle 2-18 zeigt, dass eine besondere Einteilung
der Gießeigenschaften nach chemischen oder physi-
Klassische Gussbronzen sind Kupfer-Zinn-Legie- kalischen Gesichtspunkten nicht erfolgt. Gießbar-
rungen, mit meist 10 % bis 20 % Zinn. Sie besitzen keit ist also ein Sammelbegriff für Gießeigenschaf-
höhere Festigkeiten und bessere Gleiteigenschaften ten, die für die Gießereipraxis von Bedeutung sind.
als Messing und sind ausgezeichnet korrosionsbe-
ständig und warmfest. Die Legierung mit 20 % Zinn So werden z. B. die Eigenschaften, die das Fließen
ist als Glockenbronze bekannt. Sie ist für techni- und Füllen von Schmelzen in Formen beschreiben,
sche Anwendungen meist zu teuer und zu spröde. unter den Begriffen Fließ- und Formfüllungsvermö-
gen zusammengefasst.
Rotguss ist eine Kupfer-Zinn-Zink-Gusslegierung,
in der ein Teil des teuren Zinns durch Zink ersetzt Alle Vorgänge, die Volumen- oder Längenänderun-
wird. Daraus werden u. a. korrosionsbeständige und gen an den erstarrenden und erkaltenden Gussstü-
verschleißfeste Lager und Getriebe als Kokillen-, cken bewirken, werden mit den Begriffen Schwin-
Schleuder- und Sandguss gefertigt. Eine Zusammen- dung (flüssig/fest) oder Schrumpfung (fest/fest) be-
stellung der mechanischen Eigenschaften dieser drei schrieben.
wichtigsten Kupfer-Gusswerkstoffe
4
– Gussmessing,
– Gussbronze und
– Rotguss
zeigt Tabelle 2-17. Die Streuung der mechanischen
Gütewerte bei den zinnhaltigen Gusswerkstoffen
15

wird durch eine spröde, intermediäre Cu-Sn-Verbin-


1

dung verursacht, die sich durch ein Homogenisie-


5

rungsglühen bei 600 ’C auflösen lässt.


10
Die Gussbronzen – dies sind Cu-Al- und Cu-Mn-
Legierungen – sind bei hohen Festigkeiten gegen Bild 2-47
Seewasser und Salzlösungen beständig und durch Profil der Gießspirale zur Messung des Formfüllungsvermö-
geringe Zusätze von Eisen und Nickel aushärtbar. gens (nach Patterson und Brand).
2.4 Gießbarkeit 41

Warmrisse sind während der Erstarrung auftreten- Gussstücken ist die Schmelzeneigenschaft »Formfül-
de Werkstofftrennungen, die durch niedrigschmelzen- lungsvermögen« oft wichtiger als das Fließvermögen.
de Bestandteile entstehen. Zu den Gießeigenschaf- Die Gießspirale mit Mitteleinguss nach Sipp zeigt
ten der Schmelzen gehört auch die Neigung, Gase Bild 2-48. Die Schmelze wird über einen Siebkern
aufzunehmen (»Gasaufnahme«). Das unerwünsch- (1) mit konstanter Druckhöhe eingegossen. Die Aus-
te Verhalten zahlreicher Gusswerkstoffe, sich bei der lauflänge ist ein Maß für das Fließvermögen. Die An-
Erstarrung zu entmischen, wird als Seigerung bezeich- zahl der konturenscharf abgebildeten Warzen (2) ist
net (siehe Abschn. 2.4.6, S. 49). ein Maß für das Formfüllungsvermögen und wird in
Prozent der Auslauflänge angegeben.
Tabelle 2-18. Gießbarkeit: Gießeigenschaften und davon
abgeleitete typische Gussfehler.
Untersuchungen mit der Gießspirale haben ge-
Gießbarkeit
zeigt, dass das Fließ- und Formfüllungsvermögen
von zahlreichen legierungsspezifischen Einflüssen
Gießeigenschaften Gussfehler bestimmt wird, hauptsächlich von der
Fließ- und Formfüllungs- Nichtauslaufen, Kaltschweißen,
– Gießtemperatur, der
vermögen Lunker – Kristallisationswärme, dem
Schwindung,
– Wärmeinhalt der Schmelze, der
Lunker, Kaltrisse, nicht maßhaltig – Zusammensetzung der Schmelze, dem
Schrumpfung
Warmrissneigung Warmrisse, Lunker
– Erstarrungstyp und -intervall, den
– Strömungsverhältnissen, der
Gasaufnahme Gasporosität, Schwammgefüge
Rauigkeiten, Schülpen
Penetrationen
»Rattenschwänze«
Nicht maßhaltig bearbeitbar,
Seigerungen
Korrosion

Unter Penetration versteht man das Eindringen von


Schmelze in oberflächennahe Schichten des Form-
stoffs, der bei der Bildung von Schülpen in charak-
teristischer Weise aus der Formstoffoberfläche her-
ausbricht und bei linearer Ausdehnung als Ratten-
schwanz bezeichnet wird.

2.4.1 Fließ- und Formfüllungsvermögen

Das Fließvermögen einer Schmelze kann als deren


Lauflänge in einem beliebig geformten Kanal ge-
kennzeichnet /gemessen werden. Man hat verschie-
dene Probeformen vorgeschlagen, die sich durch
– konstante Laufquerschnitte oder
– variable Laufquerschnitte wie Keil oder Menis-
kusspitzen, Gitter-, Bogen- oder Harfenprofile
unterscheiden. Formen mit konstantem Laufquer-
schnitt sind als Gießspirale aufgerollt mit Mittelein-
guss oder mit Außeneinguss als Maskenform herge-
stellt worden. Genauere Messungen sind in Stabkokil-
len möglich. Der konstante Laufquerschnitt in Gieß-
spiralen oder Stabkokillen kann nach Bild 2-47 so
Bild 2-48
gestaltet werden, dass man auch die Wiedergabe von Spiralprobe nach Sipp zur Bestimmung des Formfüllungsver-
Konturen und Kanten, also die fehlerfreie Formfül- mögens; 1: Einlaufsieb aus Kernsand mit drei Öffnungen von
lung prüfen und messen kann. Bei komplizierten 6 mm Durchmesser; 2: 30 Warzen im Abstand von 50 mm.
42 2 Urformen

– Druckhöhe, der nutzt dazu bei Seriengießverfahren zweckmäßiger


– Wärmeleitfähigkeit der Form und von der die Erfahrungen aus der laufenden Gussprodukti-
– Benetzbarkeit der Form. on. Durch Ändern der
– Gießtemperatur, der
Untersuchungen über den Einfluss von Temperatur – Formtemperatur, des
und Legierungselementen auf das Formfüllungsver- – Formstoffsystems und des
mögen von Gusseisen mit Lamellengrafit zeigen, – Anschnittsystems
dass diese Eigenschaft verbessert wird mit lässt sich erfahrungsmäßig ein optimales Formfül-
– steigender Überhitzung, lungsvermögen einstellen. Kaltgusszonen und Kalt-
– zunehmendem Kohlenstoffgehalt, schweißstellen an Gussteilen führen zu Ausschuss.
– zunehmendem Phosphorgehalt und Eine Beeinflussung des Fließvermögens durch Le-
– kleinerem Erstarrungsintervall. gierungselemente ist in der Regel nicht möglich,
da die Gebrauchseigenschaften der Gussstücke und
Untersuchungen an Al-Si-Legierungen mit dem die Zusammensetzung mit der Rohteilzeichnung
scharfkantigen Spezialprofil nach Bild 2-47 sind in vorgegeben sind.
Bild 2-49 zusammengestellt. Für das Zweistoffsys-
tem Al-Si sind die Spirallänge als Maß des Fließver-
mögens und das Formfüllungsvermögen für Silici- 2.4.2 Schwindung (Schrumpfung)
umgehalte bis 25 % gemessen worden. Das gute
Gießverhalten der naheutektischen Legierungen ist Beim Übergang vom flüssigen in den festen Zustand
sehr deutlich erkennbar. Das geringere Fließ- und ändern sich sprunghaft viele Eigenschaften der Le-
Formfüllungsvermögen im größer werdenden Erstar- gierungen. Das spezifische Volumen zahlreicher Guss-
rungsintervall wird durch dendritische Kristallisa- werkstoffe verkleinert sich beim Abkühlen von der
tion verursacht, die das ungehinderte Nachfließen Gießtemperatur JG auf die Raumtemperatur JR zu-
der Schmelze stört. Messungen an mit Natrium ver- nächst im flüssigen Zustand, Bild 2-50. Der Volu-
edelten Legierungen zeigen bis 14 % Silicium ein we- mensprung während der Erstarrung im Erstarrungs-
sentlich schlechteres Fließvermögen gegenüber den intervall 'J ist besonders groß. Bei eutektischen Le-
unbehandelten Schmelzen (s. a. Abschn. 2.2.3.2 und gierungen und reinen Metallen erfolgt diese Kontrak-
2.3.2.1). tion bei konstanter Erstarrungstemperatur JS. Auch
das Volumen des festen Gussstücks nimmt bis zum
In den Gießereibetrieben werden Fließ- und Form- Erkalten auf Raumtemperatur weiter ab, es schrumpft
füllungsvermögen nicht an Proben ermittelt. Man be- meist nicht linear, wie Messungen an stark schwin-
dungsbehinderten Gussstücken, z. B. Nocken- oder
800
°C
Kurbelwellen, nach unterschiedlich hohen Auspack-
Zustandsschaubild Al - Si temperaturen gezeigt haben. Es bedeuten:
700
Vfl flüssige Schwindung,
Temperatur J

660
100
VE Erstarrungsschwindung,
600
%
VK kubische Schwindung oder Schrumpfung,
VG Vfl  VE  VK gesamte Volumenkontraktion.
80 500
Formfüllungsvermögen

Formfüllungs- Spirallänge Die Größe VG wird als Lunkerung bezeichnet. Die


60 vermögen
60 gesamte Volumenkontraktion in Prozent vom Form-
cm volumen beträgt z. B. bei
40 40
Spirallänge l

Tabelle 2-19. Heuversfaktoren kH von Eisengusswerkstoffen


20 20
für Nass- und Sandguss.
Eisengusswerkstoff Heuversfaktor kH
0 0
Al 5 10 15 20 % 25 Gusseisen, lamellar 1,0 bis 1,1
Siliciumgehalt Gusseisen, globular 1,1 bis 1,2
Bild 2-49 Gusseisen, vermicular 1,1 bis 1,2
Temperguss, weiß und schwarz 1,2 bis 1,3
Fließ- und Formfüllungsvermögen von Aluminium-Silicium-
Stahlguss 1,3 bis 1,5
Legierungen (nach Patterson und Brand).
2.4 Gießbarkeit 43

fest D J flüssig Innenlunker bei exogenem Erstarrungstyp heißen


Mikrolunker (3). Die feste Randschale beginnt eben-
spezifisches Volumen V

falls zu schrumpfen und löst sich dabei oben und seit-

Vfl
lich von der Formstoffoberfläche: Es tritt die kubi-
sche Schwindung (4) ein. Glatte, ebene Flächen, kon-
vex nach innen gezogen, werden Einfallstellen (5)
genannt.

VE

VG
Gussstücke mit Lunkern sind Ausschuss, da diese
– die Festigkeit vermindern sowie zu einem

VK
– nicht maßhaltigen und
– nicht druckdichten Guss
JR JS JL JG
führen. Deshalb sollten Konstrukteure und Gießer
Temperatur J
zusammenarbeiten und eine Lösung finden, um die
Bild 2-50
Volumenkontraktion zu vermeiden. Der Ausgleich
Abhängigkeit des spezifischen Volumens von Gusswerkstoffen
von der Temperatur: Lunkerung VG als Summe von kubischer im flüssigen Zustand erfolgt durch Füllkörper, die
Schwindung VK , flüssiger Vfl und Erstarrungsschwindung VE , Speiser, Steiger oder Druckmasseln genannt wer-
schematisch. D J = Erstarrungsintervall. den und den Anteil der flüssigen Schwindung Vfl und
der Erstarrungsschwindung VE durch die Wirkung
– Aluminium-Silicium-Legierungen ca. 9 %, bei kommunizierender Röhren dem Gussstück nachspei-
– Messinglegierungen etwa 13 % und bei sen.
– Stahlguss etwa 13 %.
Der Anteil der kubischen Schwindung im festen Zu-
Von besonderer Bedeutung für den Gießereibetrieb stand wird durch Aufmaße am Modell, den sog.
ist die Verteilung der verschiedenen Schwindungs- Schwindmaßen, ausgeglichen.
anteile, die technische Volumenkontraktion im Guss-
stück. Sie kann durch Lunkerproben ermittelt wer- Die gelenkte Erstarrung eines Keils durch einen
den. Eine anschauliche Lunkerprobe ist die Quader- Speiser ist in Bild 2-52 dargestellt. Der Speiser hat
probe gemäß Bild 2-51. Bei Gießtemperatur JG ist die Aufgabe, das Nachspeisen des Gussstücks zu
der Formenhohlraum vollständig mit Schmelze ge- ermöglichen. Dazu muss er richtig bemessen und
füllt. Durch den Füllvorgang hat sich die Deckelflä- angeordnet werden. Er darf erst erstarren, wenn das
che infolge der Wärmestrahlung stärker erwärmt. Gussstück bereits fest ist, d. h., er soll am dicksten
Die Erstarrung beginnt zuerst unten und an den Sei- Querschnitt (nach Möglichkeit in der Formteilung)
ten. Hierbei kann zunächst Schmelze von oben nach- angebracht sein.
fließen und bildet den Außenlunker (1). Wenn die Er- Außenlunker im Speiser
starrungsfronten weiter zur Mitte vorgedrungen sind
und keine Schmelze von oben nachfließen kann, Anschnitt-
Druckhöhe D h querschnitt
werden Innenlunker (2) gebildet. Besonders kleine
Oberkastenform
X A1 A2 A3 A4 A5 A6 X
1
2
A6 flächengleiche
Sollbruchstelle

Bild 2-52
Gelenkte Erstarrung am Keil: Der Speiser gleicht das Volumen-
3
defizit durch einen Außenlunker aus und stellt die Druckhöhe
4
D h zum Nachspeisen zur Verfügung.

Unterkastenform 5 Eine einfache Wanddicken- und Speiserbemessung


Bild 2-51 ist als Heuverssche Kreismethode bekannt. Ausge-
Lunkerarten an Quaderproben: 1 Außenlunker, 2 Innenlunker, hend von der geringsten Wanddicke bei A1 (Bild
3 Mikrolunker, 4 kubische Schwindung und 5 Einfallstellen. 2-52) werden sich berührende Kreise in den Wand-
44 2 Urformen

querschnitt eingezeichnet, deren Kreisflächen sich ge 1 cm. Zum Dichtspeisen dieses Würfels wird ein
um einen konstanten Faktor kH bis zum Speiser A6 Speiservolumen mit einer größeren Erstarrungszeit t
vergrößern. Tabelle 2-19 gibt die für Nass- und Sand- benötigt. Die Chvorinovsche Konstante kCh ist werk-
guss zum Dichtspeisen bewährten Heuversfaktoren stoff-, temperatur- und formstoffabhängig.
kH für Eisengusswerkstoffe an. Man erkennt, dass
mit größer werdendem Heuversfaktor der Aufwand Somit ist die einfache Heuverssche Kreismethode
zum Dichtspeisen zunimmt, d. h. die wirksame Spei- eine grobe Näherung der Chvorinovschen Formel
sungslänge abnimmt. für ebene Erstarrungsprobleme. Die Modultheorie
erlaubt eine verfeinerte mathematische Berechnung
Die Verbindung zwischen Speiser und Gussstück, des Erstarrungsverhaltens und der Speiserbemes-
der Anschnittquerschnitt, muss so ausgebildet sein, sung von Gussstücken. Sie wurde besonders von
dass der Speiser durch Abschlagen, Sägen, Trennen Wlodawer an Stahlguss entwickelt.
oder Brennschneiden hinreichend einfach zu entfer-
nen ist. Ein effektiver Speiser zeigt nach dem Guss Die Erstarrungszeit des Speisers in Bild 2-53 kann
einen tiefen Außenlunker und Einfallstellen. In der mit Hilfe exothermer, also wärmeabgebender Stof-
Speiserhöhe muss eine ausreichende Druckhöhe 'h fe verlängert werden, ohne den Modul des Speisers
zum Gussstück als treibende Kraft zum Speisen und das Ausbringen zu verschlechtern. Mit der Gold-
verfügbar sein. schmidtschen Thermitreaktion
Fe2O3  2 ¹ Al  2 ¹ Fe  Al2O3  Q
Nicht zweckmäßig ist das Eingießen der Schmelze
direkt in den Speiser. Größere und komplizierte lässt sich ein kleinerer Speiser durch die Reaktions-
Gussstücke haben meist mehrere Speiser, die von wärme Q ( 760 kJ) aufheizen, er kann so länger
einem zentralen Einguss über Stangen gespeist wer- nachspeisen.
den. Bild 2-53 fasst die Elemente des Anschnittsys-
tems für Sandguss in Formkästen zusammen. Da Die kubische Schwindung oder Schrumpfung an
Gießzapfen und Stangen nur wenig verkleinert wer- Gussstücken muss durch ein Aufmaß am Modell –
den können, versucht man, das wirksame Speiservo- dieses entspricht dem linearen Schwindmaß – ausge-
lumen durch verzögerte Erstarrung im Speiser zu er- glichen werden. In Tabelle 2-20 sind die Schwind-
höhen. Nach der Formel von Chvorinov ist die Er- maße nach DIN EN 12890 für einige Gusswerkstof-
starrungszeit t eines Gussstücks in der Form propor- fe zusammengestellt. Sie können nur als Anhaltswer-
tional dem Quadrat seines Erstarrungsmoduls M: te dienen; denn Schwindmaße sind keine Werkstoff-
2 konstanten, sondern sie sind abhängig von dem
Ê Volumen ˆ
t = kCh ◊ M 2 = kCh ◊ Á in min. – Erstarrungsmodul M des Gussstücks, der
Ë Oberfläche ˜¯ – Wärmeleitfähigkeit des Formstoffs, dem
Der Erstarrungsmodul M in cm ist das Verhältnis – Wärmeinhalt des Gusswerkstoffs
von Gussstückvolumen in cm3 zu wärmeabführender
Gussoberfläche in cm2. Bild 2-54 zeigt die Berechnung Tabelle 2-20. Lineare Schwindmaße einiger Gusswerkstof-
fe nach DIN EN 12890 mit Ergänzungen.
des Erstarrungsmoduls am Würfel mit der Kantenlän-
Werkstoff lineares Schwindmaß in Prozent
Siebkern Einguss Gießzapfen Oberkastenform exothermer
Speiser
Sand Kokille Druckguss
Stahlguss 1,5 bis 2,5
Temperguss, weiß 0,0 bis 1,0
Gusseisen, lamellar 0,7 bis 1,3
Gusseisen, globular 0,8 bis 1,6
X X Al-Legierungen 1,5 bis 2,0
AlSi 0,9 bis 1,1 0,6 bis 0,8 0,5 bis 0,7
AlMg 1,0 bis 1,5 0,5 bis 0,9 0,6 bis 1,0
Form- MgAl-Legierungen 1,0 bis 1,4 0,8 bis 1,2 0,8 bis 1,2
Unterkastenform Stangen Gussstück teilung
Cu-Legierungen 1,8 bis 2,2 1,5 bis 1,9
Bild 2-53 CuSn 1,2 bis 1,8 1,0 bis 1,4
Anschnittsystem, bestehend aus Einguss mit Siebkern und Gieß- CuZn 0,8 bis 1,6 0,8 bis 1,2 0,7 bis 1,2
zapfen, Stangen und exothermem Speiser für eine horizontal CuAl 1,8 bis 2,2 1,4 bis 2,0
ZnAl 1,0 bis 1,5 0,6 bis 1,0 0,4 bis 0,6
geteilte Sandgussform.
2.4 Gießbarkeit 45

1
Wie schwierig das Problem Schwindung zu lösen
ist, soll an einigen Gusseisensorten gezeigt werden.
1 M= 1 in cm
6 Gusseisen unterscheidet sich von anderen Gusswerk-
2
stoffen vor allem dadurch, dass während des Erstar-
t = kCh 1 in min
6 rens Kohlenstoff als Lamellen- oder Kugelgrafit aus-
1

geschieden wird. Daher misst man bei diesen Le-


gierungen je nach ausgeschiedener Grafitmenge kei-
Bild 2-54 ne oder nur eine geringe Schwindung. Manche Guss-
Erstarrungsmodul M und Erstarrungszeit t am Würfel mit der eisensorten dehnen sich beim Erstarren sogar aus.
Kantenlänge 1 cm (nach Wlodawer). Man sagt, Gusseisen ist selbstspeisend, und bezeich-
net damit die Fähigkeit, Gussstücke ohne Speiser
und vielen anderen Faktoren. Bei Serienguss wer- mit hohem Ausbringen lunkerfrei zu gießen. In Bild
den Schwindmaße durch Probeabgüsse ermittelt. 2-55 sind Schwindungsmesswerte von Gusseisen-
Anschließend wird danach das Modell geändert. sorten mit verschiedenem Sättigungsgrad SC (Ab-
Bei Großguss und Einzelfertigung müssen Erfahrun- schn. 2.3.1.1) über der Erstarrungszeit aufgetragen.
gen mit ähnlichen Stücken berücksichtigt werden. Da sich das Volumen mancher Gusseisensorten beim
Der Erstarrungsablauf und das Entstehen unzuläs- Erstarren kaum verringert, können die für das Nach-
siger Eigenspannungen und Verformungen in Gusstü- fließen der Schmelze erforderlichen Speiser kleiner
cken lassen sich durch Computersimulation berech- und ihre Anzahl geringer sein. Gusseisen mit Kugel-
nen. Softwarepakete zur Erstarrungssimulation von grafit GJS mit SC 1,14 und ferritisches, lamellares
Gussstücken nach verschiedenen Gießverfahren und Gusseisen GJL treiben in der Form, d. h. erstarren
mit üblichen Gusswerkstoffen sind einsatzbereit. unter Ausdehnung. Die perlitischen Sorten besitzen
geringe Schwindung. Der grafitfreie Hartguss (wei-
+ 0,75
ßes Gusseisen) schwindet in großem Maß.
(Ausdehnung)

+ 0,50 Gusseisen mit Kugelgrafit SC = 1,14


2.4.3 Warmrissneigung
+ 0,25 GJL, ferritisch Risse, die zwischen der Liquidus- und der Solidus-
SC = 1,19
Längenänderung

temperatur auftreten, werden Warmrisse genannt.


0
Sie bilden sich kurz vor dem Ende der Erstarrung.
Der Unterschied zu den Kaltrissen kann bei frischer
GJL, perlitisch SC = 1,13
SC = 1,10 Bruchfläche an ihrem Aussehen erkannt werden:
- 0,25 SC = 1,02 Warmrisse: interkristallin, Dendriten, Anlauf-
farben, Zunder;
(Schwindung)

Kaltrisse: transkristallin, feinkörnig, blank.


- 0,50

Beim Erstarren des Gusswerkstoffs in der Form wird


Gusseisen, meliert
- 0,75 SC = 1,00 bereits die erste kristalline Randschale durch die Er-
starrungsschwindung und die Schrumpfung bean-
sprucht. Wenn das Gussstück sehr unterschiedliche
- 1,00
Wanddicken mit ungünstig gestalteten Übergängen
Gusseisen, weiß SC = 0,96 aufweist, oder wenn Form und Kerne das freie Schwin-
- 1,25 den des Gussstücks behindern, können diese Spannun-
gen die niedrige Warmstreckgrenze des Gusswerk-
SC = 0,93 stoffs überschreiten und so zu Werkstofftrennungen
- 1,50 führen. Die noch vorhandene geringe Menge Rest-
0 3 6 9 min 12
Zeit t schmelze umgibt die primär erstarrten Körner mit ei-
nem dünnen Film, der bei geringsten Beanspruchun-
Bild 2-55
Freie lineare Schwindung von Gusseisen mit Lamellengrafit gen »reißt«. Korngrenzenfilme können auch niedrig-
GJL und Gusseisen mit Kugelgrafit GJS in Abhängigkeit vom schmelzende Verbindungen (bzw. Eutektika) sein,
Sättigungsgrad SC (nach Vondrak). z. B. Eisensulfid (FeS) bei Stahlguss und Stahl.
46 2 Urformen

Die Warmrissneigung wird grundsätzlich mit zu- Sandkanten erstarren die Knotenpunkte zuletzt un-
nehmendem Erstarrungsintervall größer. Die Guss- ter Lunkerbildung. Lage und Form der hier entste-
werkstoffe sind unterschiedlich warmrissempfind- henden Lunker erleichtern die Warmrissbildung.
lich. Bekannt ist die schwierige rissfreie Primärer- Tritt bei der Warmrissbildung ein Lunker auf, so
starrung von Stahlguss. Auch Eisenwerkstoffe, die kann der Luftdruck den Warmriss aufweiten, da im
überwiegend grafitfrei und ledeburitisch zu Temper- Lunker ein Vakuum herrscht.
hartguss oder Kokillengusseisen erstarren, sind warm-
rissempfindlich. Die Warmrissbildung an einem ausgesteiften De-
ckel oder einer Platte zeigt Bild 2-57. Wenn die Rip-
Auch die naheutektischen Druck- und Kokillenguss- pendicke überdimensioniert ist und die Erstarrungs-
legierungen des Aluminiums, Magnesiums und des front stängelförmig entgegen dem Wärmefluss zur
Kupfers neigen zur Warmrissbildung. thermischen Mitte hin wächst, können leicht Warm-
risse durch den Schwindwiderstand des Formstoffs
Die Formstoffe beeinflussen durch ihre Wärmeab- in den Rundungen entstehen. Durch Umgestaltung
leitung und ihre Festigkeit erheblich die Warmriss- der Rippen nach Bild 2-58 unter Anwendung der
bildung. Bei den Dauerformverfahren können wäh- Heuversschen Kreismethode kann man die Warmriss-
rend der Erstarrung besonders neigung vermindern.
– Druckgießformen und Restschmelze Schwindkraft Warmriss
– Voll- und Gemischtkokillen
den durch das Schwinden und Schrumpfen des Guss- Warmriss
werkstoffs verursachten Spannungen nur elastisch
ausweichen. Eine möglichst gleichbleibende Tem-
peratur in der Dauerform und ein möglichst frühes
Entformen sind bewährte Vorbeugungsmaßnahmen
gegen Warmrisse. Erstarrungsfronten

Bild 2-57
Die Warmrissneigung von Gusswerkstoffen kann Warmrissbildung bei Stängelkristallisation unter dem Einfluss
mit verschiedenen Proben wie Rippenkreuzen, Span- von Schwindungskräften.
nungsgittern u. a. festgestellt werden. Bild 2-56 zeigt
einen Schnitt durch ein Rippenkreuz. Unter der Wir- In Serienfertigungen werden zum Verhindern der
kung der Schwindungskräfte treten Warmrisse vor Warmrissneigung Kühleisen als örtlich begrenzte
allem an Querschnittsübergängen auf, die hier nicht Kokillen mit eingeformt, wie dies Bild 2-59 zeigt.
gespeist werden. Infolge des Wärmestaus in den Das Angießen von Reißrippen, sog. Federn, die statt
des Gussstücks die Warmrisse aufnehmen, ist teu-
er, weil dies mit hohen Putzkosten verbunden ist.
Bei einigen dünnwandigen Gehäusen, z. B. bei Pkw-
Hinterachsgehäusen, können die Federn am bearbei-
teten, einbaufertigen Gussstück verbleiben.

Die Reißrippen vergrößern die Oberfläche für den


Wärmeübergang. Sie werden deshalb auch als Kühl-
rippen bezeichnet.

Eine Kühlrippe ist eine dünne Platte mit sehr kurzer


Erstarrungszeit. Sie ist am Gussstück angegossen oder
kann, wie neuere Versuche an Aluminiumlegierun-
gen zeigen, auch nur als Kokille angelegt werden.

Nach Wlodawer soll der Modul der Kühlrippe MK


Bild 2-56
Warmrisse und Lunker am Rippenkreuz: Schwindungskräfte kleiner als ein Viertel des Gussstückmoduls MG sein:
beanspruchen geschwächte Knotenpunkte, die durch den
Sandkanteneffekt langsamer als die Stege abkühlen. MK  0,25 ¹ MG.
2.4 Gießbarkeit 47

2.4.4 Gasaufnahme schädlich ist, sondern weil zusätzlich das Nachspei-


sen der Erstarrungsfronten vom Speiser aus behin-
Gusswerkstoffe nehmen beim Schmelzen, Warmhal- dert wird.
ten, Vergießen, Erstarren und Glühen Gase auf. Die
Löslichkeit der zweiatomigen Gase, die in der Luft Der Einfluss des Drucks p auf die im Metall gelö-
enthalten sind, sowie die des Wasserstoffs, Chlors ste Gasmenge V ( Gasvolumen) für zweiatomige
und Kohlenoxids (O2, N2, H2, Cl2, CO) ist sehr tempe- Gase definiert Sieverts gemäß der Beziehung
ratur- und druckabhängig. Bild 2-60 zeigt schema-
V = Ks ◊ p.
tisch die Abhängigkeit der Gaslöslichkeit metalli-
scher Werkstoffe von der Temperatur. Schmelzen bei Hierin bedeuten V die Gaslöslichkeit, p der Druck
der Gießtemperatur JG können große Gasmengen des Gases im Metall und Ks eine von der Gasart und
gelöst enthalten. Bei der Abkühlung aus dem flüs- der Legierung abhängige Konstante.
sigen Zustand nimmt die Gaslöslichkeit nach Unter-
schreiten der Liquidus- (JL) und der Solidustempe- Nach dieser Beziehung lässt sich die Gasausschei-
ratur (JS) sprunghaft ab. Auch im festen Zustand dung durch Anwendung niedrigster Drücke vor dem
verringert sich die Gaslöslichkeit messbar. Vergießen (Vakuumbehandlung) wirksam verstär-
ken, d. h. der Gasgehalt erheblich verringern.
Heuvers sche Kreise
Beispiel: Eine Schmelze wird bei Gießtemperatur unter Nor-
maldruck p1 vergossen. Eine zweite Schmelze gleicher Zusam-
mensetzung wird vorher bei p2 0,04 bar vakuumentgast. In
Speisen Speisen welchem Verhältnis stehen die Gasvolumina V1 Gas und V2 Gas
in den Schmelzen zu einander?
Bild 2-58 V1 Gas p1 1 1 5
Gießgerechte Verrippung, von außen nachspeisbar. = = = = .
V2 Gas p2 0 , 04 0,2 1

Die in Gussstücken ausgeschiedenen Gase führen Die im Erstarrungsintervall freiwerdende Hauptgas-


zur Bildung von Gussfehlern in Form von Gasbla- menge lässt sich mittels Vakuumgießen entfernen.
sen und Gaslunkern. Im Speiser kann nur ein Teil Dieses Verfahren konnte sich bei Massengussstü-
'VSp der in der Schmelze gelösten Gasmenge 'Vges cken in verlorenen Formen oder Dauerformen noch
ausgeschieden werden (Bild 2-60). Kleine Gasbla- nicht durchsetzen. Bei Druckguss in Dauerformen
sen, die nicht oder nur langsam in der erstarrenden aus Stahl lasten große hydraulische Drücke auf den
Schmelze aufsteigen können, werden in der Erstar- erstarrenden Schmelzen und verhindern die Bildung
rungsfront eingeschlossen und verursachen die un- größerer, aufsteigender Gasblasen.
erwünschten Mikroporen. Man nennt Gussgefüge
mit Mikroporositäten auch Schwammlunker. Die- Die unterdrückte Gasausscheidung beim Druckgie-
ser Fehler ist schwer feststellbar. Er führt zu Aus- ßen wird durch thermische Nachbehandlungsver-
schuss, wenn das Gussstück druckdicht sein muss.

Bei Dauerformverfahren ist die Erstarrungszeit oft flüssig


so kurz, dass sich größere Gasmengen nicht ausschei-
Gaslöslichkeit V

den können. Allgemein gilt, dass die Gasausschei-


D VSp

dung in der Form nicht nur wegen der Gasblasen


D Vges

flüssig/fest
Kühleisen Reißrippen Kühleisen

fest D J

JS JL JG
Temperatur J
Restschmelze Schwindkraft
Bild 2-60
Bild 2-59 Gaslöslichkeit metallischer Werkstoffe in Abhängigkeit von
Anordnung von Reißrippen (Federn) und Kühleisen. der Temperatur, schematisch. DJ = Erstarrungsintervall.
48 2 Urformen

fahren wie Glühen, Aushärten, galvanische Oberflä- B. Grafit, Ruß, Quarz oder Zirconiummehl, die in
chenbehandlungen u. a. aufgehoben und führt zu cha- Wasser, Alkohol oder anderen Flüssigkeiten fein
rakteristischen Fehlern. Schmelzschweißen an Bau- verteilt sind.
teilen aus Druckguss ist wegen der sich ausdehnen-
den Gasblasen nicht porenfrei möglich. Eine alkoholische, flüssige (lackähnliche) Schlich-
te lässt sich durch Tauchen oder Sprühen auf der
Die Maßnahmen zum Verhindern von Gaslunkern Form- oder Kernpartie oder dem Kühleisen vertei-
in Gussstücken lassen sich wie folgt gliedern: len. Nach dem Abflammen ist die Beschichtung so-
❒ Vorbeugende Maßnahmen gegen Gasaufnahme fort gießfertig.
während des Schmelzens, Warmhaltens und Ver-
gießens, wie z. B. Raue Oberflächen sind Vorstufen für angebrannte
– Schutzabdeckungen durch Schlacken, Salze, oder vererzte Gussstücke, bei denen Formstoff und
– Schutzgase, eingedrungene Schmelze an der Oberfläche ver-
– Vakuumschmelzen, Vakuumentgasen, Vaku- schweißt sind.
umgießen.
❒ Maßnahmen zum Entfernen von Gasen aus der Auch mit guten Putzmaschinen gelingt es nicht, die
Schmelze vor dem Vergießen durch spezielle Ver- Fehler restlos zu entfernen. Die Gussstücke sind au-
gießungsmaßnahmen und pfannenmetallurgische ßerdem auch nicht maßhaltig.
Reaktionen, wie z. B.
– Sauerstoffentzug durch Desoxidation mit Alu- An Formstoffen und Kernen, die beim Gießen von
minium oder Silicium, der einfließenden oder aufsteigenden Schmelze auf-
– Wasserstoffentzug durch Spülen mit chlorab- geheizt oder angestrahlt wurden, entstehen Quarz-
spaltenden Verbindungen. ausdehnungsfehler in Form von Rissen oder flächi-
❒ Maßnahmen während der Erstarrung, z. B. gen Abplatzungen. Wegen der nicht geraden Riss-
– Druckgießen, Schleudergießen. form und des schuppigen Aussehens nennt man sie
Rattenschwänze. Schülpen oder Warzen heißen die
flächenartigen Fehlererscheinungen.
2.4.5 Penetrationen
Auch bei den Dauerformverfahren (Kokillen-, Druck-
Penetrieren heißt Eindringen der Gusswerkstoffe oder Schleuderguss) können Oberflächenfehler an
in oberflächennahe Formstoffpartien. Gussstücken entstehen. Brandrisse breiten sich netz-
förmig an den thermisch und mechanisch hoch be-
Diese Erscheinung wird bei Formverfahren mit ver- anspruchten Teilen der Kokille aus, bilden sich auf
lorenen Formen durch bestimmte Fachausdrücke den Gussstücken ab und erschweren das Entformen.
gekennzeichnet, z. B. Kleine Risse in den Kokillen können zunächst durch
– raue Oberflächen, Zuhämmern oder Verstemmen nachgearbeitet wer-
– Vererzungen, Anbrennungen, den. Durch Einbringen von Schlichten wird die Riss-
– Rattenschwänze, gefahr herabgesetzt oder bereits vorhandene klei-
– Schülpen. nere Risse »zugeschlichtet«.

Da sich gute Formstoffe von metallischen Schmel-


zen nicht benetzen lassen, kann durch Bestimmen
des Randwinkels 4 gemäß Bild 2-61 die Eignung
eines Formstoffs für gießtechnische Zwecke ermit-
telt werden. Randwinkel von etwa 180 ’ haben z. B.
Sand, Quarz, Zirconiumsand, Lehm, Ton, Grafit. Formstoff

Thermisch besonders hoch beanspruchte Formstoff-


partien oder Kühleisen müssen zusätzlich mit dün-
nen Überzügen – sog. Schlichten – gegen Benetzen
durch den Gusswerkstoff geschützt werden. Schlich- Bild 2-61
ten bestehen aus nicht benetzbaren Stoffen, wie z. Randwinkel Q eines idealen Formstoffs.
2.4 Gießbarkeit 49

aufgeschwommener loser Sand


2.4.6 Seigerungen
Schlackenstellen

Seigerungen sind Entmischungen der Legierungs- Kernversatz


elemente im Gussstück mit vom Gusswerkstoff und
getriebene Stellen
vom Gießverfahren abhängigen, typischen Konzen- schlecht verdichtet
trationsunterschieden. Sie entstehen bei der Erstar-
rung durch beschleunigtes Abkühlen, d. h. beim Ab-
weichen vom Gleichgewichtszustand.
obere aufge-
Formhälfte schwommene Schülpen
Sphärolithen

Kaltschweißung

X X
Teilungsversatz,
Formteilung dicker Grat
ausgebrochene
Anschnitte
untere Druckstellen durch
Formhälfte angebrannter Formstoff Teilungs- oder Kernversatz

Bild 2-62 Bild 2-63


Seigerungen als Folge der Schwerkraft bei dickwandigem Sandgussfehler an typischen Stellen einer Festsattelbremsklaue
Gusseisen mit Kugelgrafit. aus Gusseisen mit Kugelgrafit.

Bei der Kristallseigerung entstehen unterschiedlich möglich. Die hohen Glühtemperaturen und langen
zusammengesetzte Körner. Hiervon ist die Blocksei- Haltezeiten führen aber meistens zum Verzug der
gerung zu unterscheiden, die den gesamten Quer- Gussstücke und zur Grobkornbildung.
schnitt erfasst. Verunreinigungen oder unerwünsch-
te (niedrigschmelzende) Verbindungen reichern sich Dichteunterschiede in den erstarrenden Kristall-
in der Restschmelze an und können so die Warmriss- arten verursachen eine weitere Seigerungsform, die
bildung begünstigen. Großgussstücke aus legiertem Schwereseigerung. Dieser Fehler tritt bei übereu-
Stahlguss und NE-Metallguss verlieren dadurch z. tektischem Gusseisen mit Lamellen- und Kugelgra-
B. ihre Korrosionsbeständigkeit und lassen sich fit auf. Die primär erstarrenden Grafitkristalle (als
außerdem schlechter bearbeiten und schweißen. Die Garschaumgrafit oder als Sphärolithen bezeichnet)
Fehlererscheinung wird durch große Erstarrungsin- schwimmen in der eutektischen Restschmelze z. T.
tervalle, hohe Gießtemperaturen, große Wanddi- auf. Das Bild 2-62 zeigt ein liegend gegossenes, ge-
cken und damit geringe Abkühlgeschwindigkeiten schnittenes Kurbelwellenhauptlager, das durch die
begünstigt, z. B. bei Trockenguss. aufgeschwommenen Sphärolithen bei der späteren
spanenden Bearbeitung infolge schwankender Schnitt-
Ein Homogenisieren von Kristallseigerungen und kräfte – die als Folge unterschiedlicher Oberflächen-
Zonenmischkristallen ist durch Diffusionsglühen härten entstehen – nicht rund wird.
Tabelle 2-21. Verfahren zur Form- und Kernherstellung, geordnet und ausgewählt nach der Bindung des Formstoffsystems
im formbaren Zustand.

Mechanische Physikalische
Chemische Verfahren zur Form- und Kernherstellung
Verfahren Verfahren

Zuführen von Kalthärtend in der Heißhärtend in der Magnetfeld,


Verdichtungsarbeit Form oder Kernbüchse Form oder Kernbüchse Vakuum

formgerecht, formgerecht, formgerecht, feucht trocken und formgerecht, trocken und


feucht feucht und begasen rieselfähig feucht rieselfähig
Synthetischer Bentonitsand, Zementsand, Magnetform-
Natursand, Polyphosphat, Wasserglasverfahren, Verfahren,
Croning-Verfahren Hot-Box-Verfahren
Schamotte, Ton, Magnesia, Gips, Cold-Box-Verfahren Vakuumform-
Lehm, Mergel Sand Verfahren
50 2 Urformen

2.4.7 Fehlerzusammenstellung bei an wenigen Funktionsflächen meist geringfügig spa-


Sandguss nend oder umformend bearbeitet werden.

Die bei Sandguss häufig vorkommenden und an der Noch nicht eingeführt ist bei den Form- und Gießver-
Oberfläche sichtbaren Gussfehler sind in Bild 2-63 fahren der kostengünstige Genauguss – im Angel-
lagerichtig gekennzeichnet. Loser Sand und Schla- sächsischen Präzisionsguss genannt –, der Funk-
cke sind leichter als Gusseisen und befinden sich tionsflächen ermöglicht, die nicht mehr bearbeitet
deshalb bevorzugt an dickeren Wänden in der Ober- werden. Großverbraucher von Massenteilen hätten
kastenformhälfte des Gussstücks. Ungleiche Wand- dann Preisvorteile, weil man auf einen Teil der teu-
dicken von Bohrungen, die durch einen Kern vorge- ren spanenden Fertigung verzichten würde.
gossen werden, entstehen durch Kernversatz. Tei-
lungsversatz verursacht einen dicken Teilungsgrat Als billiger Massenguss für alle denkbaren Gusswerk-
und meistens auch Druckstellen. Die Form wird stoffe ist Genauguss mit verlorenen Formen und
beim Zulegen bevorzugt in der Teilung auch durch Modellen als Feinguss (Abschn. 2.5.2.1) bisher nicht
den Kern eingedrückt. konkurrenzfähig.

Weit in die Formhälfte hineinragende Wände sind Durch Überwachen des Kokillenverschleißes ist bei
»getrieben«, weil der Formstoff dort nicht ausrei- Dauerformverfahren für Leichtmetall- und Zinkdruck-
chend stark verdichtet wurde. Durch zu schwach ge- guss eine Annäherung an Genauguss möglich. Nach
kerbte Anschnittquerschnitte brechen beim Abschla- den bisherigen Erfahrungen geht dadurch aber die
gen der Speiser Teile des Gussstücks mit heraus. An Anzahl der möglichen Abgüsse beträchtlich zurück,
weit von den Angüssen entfernten Stellen können so dass auch bei den Dauerformverfahren Genau-
Metallströme soweit abgekühlt sein, dass sie beim guss bisher nicht wirtschaftlich erscheint.
Aufeinanderstoßen nicht mehr verschweißen und
rinnenartige Vertiefungen auf der Oberfläche, d. h.
Kaltschweißungen bilden. Schülpen (Sandausdeh- 2.5.1 Formverfahren mit
nungsfehler) können an allen Oberflächenpartien verlorenen Formen
außen und innen am Gussstück vorkommen. Ange-
brannter Formstoff sitzt bevorzugt an den heißes- Alle Einzelgussstücke und der größere Teil der Se-
ten Stellen des Gussteils fest, z. B. dicht neben den riengussstücke werden nach Form- und Gießver-
Anschnitten. fahren mit verlorenen Formen gefertigt.

Da die Form nach jedem Abguss verloren ist, be-


2.5 Form- und Gießverfahren steht die Möglichkeit, aus dem wieder aufbereite-
ten Formstoff eine wiederholbar gleiche, neue Form
Fertigungsverfahren, die Werkstücke verlustarm, in herzustellen. Das Abformen des Formstoffs am Mo-
einem Arbeitsgang und in der sog. ersten Hitze her- dell und der dabei auftretende Modellverschleiß ist
stellen können, werden als Urformverfahren bezeich- eine relativ geringe Beanspruchung, da nur der Form-
net, weil diese Verfahren den kürzesten Weg von stoff und nicht die Schmelze das Modell berührt.
den Urstoffen zu fertigen Werkstücken haben. Zu ih-
nen gehören die Form- und Gießverfahren und das Bei den Dauerformverfahren ist die metallische
Sintern (Abschn. 2.7). Dauerform ( Kokille) Modell und Formstoff zu-
gleich. Mit jedem Abguss wird die Form durch die
Seit langem sind Entwicklung und Forschung bei Schmelze maximal beansprucht. Deshalb wird die
den Urformverfahren darauf gerichtet, die Werk- Formoberfläche durch nicht benetzbare Überzüge,
stücke noch die Schlichten, gegen den Kontakt mit der Schmel-
– verlustärmer, ze geschützt. Schlichten lassen sich nur schwer mit
– maßgenauer und wiederholbar gleichmäßiger Schichtdicke auf einer
– massengleicher zu fertigen. nicht ebenen Kokillenoberfläche auftragen. Jeder
weitere Abguss verschleißt die Kokillenoberfläche,
Bei der Weiterentwicklung der Urformverfahren wird die Gussstücke werden zunehmend ungenauer. Ver-
die Herstellung von Werkstücken angestrebt, die nur gleicht man schematisch die beiden Möglichkeiten:
2.5 Form- und Gießverfahren 51

Modell  verlorene Form  Gussstück, oder heißhärtenden Bindemitteln. Bei zwei Verfah-
Kokille  verschleißende Form  Gussstück, ren sind Vorrichtungen erforderlich, um Reaktions-
die zur Massenfertigung von wiederholbar maß- gase zuzuführen. Es ist besonders wirtschaftlich,
und massengleichen Gussstücken führen sollen, so wenn der Formstoff rieselfähig dem Formwerkzeug
fällt die günstige Ausgangslage der Formverfahren zugeführt werden kann. Dies ist jedoch nur bei dem
mit verlorenen Formen auf. Modelle und Kokillen Croning-Verfahren und den beiden neueren Entwick-
sind mit genügender Genauigkeit herstellbar. Am lungen, dem Magnetformverfahren und dem Vaku-
Beispiel der tongebundenen Nassgussformstoffe ist umformverfahren der Fall.
in Abschn. 2.5.1.1 erläutert, warum der kostenspa-
rende Genauguss noch aussteht. Wegen der stark gestiegenen Deponiekosten für
kunstharzgebundene Gießereialtsande hat das Inter-
Für verlorene Form- und Gießverfahren verwendet esse an billigen anorganischen, selbsthärtenden Bin-
man im Allgemeinen Formstoffe, die aus einer kör- demitteln für Formen und Kerne zugenommen. Ze-
nigen Grundmasse – diese ist meist Sand mit einem ment, polymere Phosphate, kaustische Magnesia und
Bindemittel – bestehen. Das wichtigste Bindemit- Gips können aber – abhängig vom Gusswerkstoff –
tel für Modellsand ist der Bindeton. Kernsande wer- nur bedingt an Stelle organischer Binder eingesetzt
den vorteilhafter mit verschiedenen organischen werden. Tabelle 2-22 zeigt, abgegrenzt gegenüber
Bindern wie Kunstharzen, Abfallzucker, Ölen oder den Dauerformverfahren, die wichtigsten Form- und
Sulfitablauge gebunden. Gießverfahren mit verlorenen Formen. Sie werden
in dieser Reihenfolge, beginnend mit dem Handfor-
Die besonderen Eigenschaften des jeweiligen Form- men, in Abschn. 2.5.1.1 erläutert.
stoffsystems sind in den entsprechenden folgenden
Abschnitten erläutert. Das Verbundgießen ist sowohl mit verlorenen For-
men als auch mit Dauerformen möglich und hat bei
Tabelle 2-21 zeigt eine Übersicht der Verfahren zur einigen Serienteilen des Fahrzeugbaues größere Be-
Form- und Kernherstellung mit verlorenen Formen deutung erlangt. Beispiele sind die gusseisernen
je nach Art der Bindung des Formstoffgemisches, Bremstrommeln mit Stahlblechboden als Kasten-
die mechanischer, chemischer oder physikalischer formteile, Bild 2-35, S. 29, und die mit Stahl verstärk-
Natur sein kann. Die mechanische Bindung wird bei ten Radnaben als Aluminiumgussteile bei den Dauer-
den Nassguss- und Trockengussformstoffen durch formverfahren.
Verdichten, z. B. durch Stampfen, Rütteln oder Pres-
sen erreicht. Die gebundenen Formen oder Ker ne 2.5.1.1 Tongebundene Formstoffe
kann man je nach Art der zahlreichen Bindemittel Zum Abformen der Außenkonturen von Gussstü-
unterscheiden. Die Werkzeugkosten sind sehr ab- cken haben sich Formsande bestens bewährt, die
hängig von einer Unterteilung nach kalthärtenden aus der feinkörnigen Grundmasse Quarzsand und

Tabelle 2-22. Die wichtigsten Form- und Gießverfahren für verlorene Formen mit Dauermodellen und verlorenen Modellen,
abgegrenzt gegenüber den Dauerformverfahren.

Form- und Gießverfahren

Verlorene Formen Dauerformen

Dauermodelle Verlorene Modelle Ohne Modelle

Handformen, Druckgießen:
Herdformen, Warmkammerverfahren
Schablonenformen Kaltkammerverfahren
Feingießen
Maschinenformen,
Kokillengießen:
Kastenformen,
Voll-, Halb-, Gemischtkokillen
kastenloses Formen
Maskenformen,
Schleudergießen und Stranggießen horizontal
Croning-Verfahren Vollformgießen
Verbundgießen Verbundgießen
52 2 Urformen

dem Bindemittel Ton bestehen. Weil dieser Form- stand gegen das Verdichten erhöht. Gröbere Körner
stoff unmittelbar am Modell anliegt, nennt man ihn können in der Kastenformerei (Bild 2-69) zu so har-
Modellsand. ten Formen verdichtet werden, dass sich die Quar-
zausdehnung nach dem Gießen nur durch Warmris-
Quarzsand, der Hauptbestandteil der Formsande, se im Gussstück ausgleichen lassen. Mit feineren
besteht zu mehr als 99 % aus Siliciumdioxid SiO2. Sanden verbessert man das konturenscharfe Abfor-
men des Modells und damit die Wiedergabe feins-
Kornform, Korngröße und Kornverteilung des San- ter Oberflächen und Kanten. Für thermisch hoch
des beeinflussen wichtige Eigenschaften des Form- beanspruchte Kernsande wählt man meist eine mitt-
stoffsystems, wie z. B. den lere Korngröße über 0,27 mm.
– Verbrauch an Bindemittel, die
– Verdichtbarkeit, die In der betrieblichen Praxis ist die Gasdurchlässig-
– Rauheit der Gussoberfläche, die keit des bei formgerechtem Wassergehalt verdich-
– Gasdurchlässigkeit und die teten Formsands ein Maß für die optimale Sandkör-
– Feuerfestigkeit. nung; denn bereits durch Verringern der mittleren
Korngröße von etwa 0,3 mm auf 0,2 mm halbiert sich
Für Formsande sind annähernd kugelförmige Quarz- der Wert für die Gasdurchlässigkeit von tongebunde-
körner am besten geeignet, weil die Kugel die kleins- nen Nassgusssanden.
te Oberfläche je Körpervolumen hat.
Die Gasdurchlässigkeit wird durch geringe Gehal-
In den natürlichen Sandlagerstätten versucht man, te an Feinkorn unter 0,063 mm, Schlämmstoff und
durch gleichmäßigen Abbau und eine Aufbereitung, Staub beträchtlich vermindert. Die Gussstückoberflä-
die aus Mischen, Schlämmen und Sieben besteht, che wird rauer, weil der Feinanteil mit der Schmel-
die Kornverteilung konstant zu halten. Aus dem Bal- ze leichter verschlackt. Die Feuerfestigkeit des Form-
kendiagramm der fünf Siebstufen gemäß Bild 2-64 stoffs nimmt ab.
kann als Kennwert des Sandes die mittlere Korngrö-
ße berechnet werden. Ein typischer Wert ist eine mitt- Kennzeichen eines guten Formsands ist außerdem
lere Korngröße von 0,27 mm. ein möglichst geringer Gehalt an Calciumcarbonat
(CaCO3). Beim Abguss zerfällt das Carbonat, wo-
Bei gleicher Verdichtungsarbeit lässt sich ein grö- bei sich Kohlendioxid bildet. Der zurückbleibende
berer Sand stärker verdichten als ein feinerer. Durch gebrannte Kalk (CaO) setzt sich im feuchten (H2O)
die mit zunehmender Feinheit sich sehr vergrößern- Formstoff zu Calciumhydroxid [Ca(OH)2] um und
de spezifische Oberfläche wird der Reibungswider- vermindert damit die Feuerbeständigkeit.
50
Für den mittleren und schweren Stahlguss reicht die
%
Feuerbeständigkeit von Quarzsand (etwa 1760 °C
Prozentgehalt

40 bis 1790 ’C nach DIN EN 993-12) nicht aus. Als


feuerfeste Grundmasse ist Schamottesand geeignet,
den man aus gebranntem Ton durch Zerkleinern und
30
Absieben gewinnt. Der Formstoff aus Schamot-
tesand und Binderton wird durch Aufbereiten mit
20
Wasser bildsam gemacht, und die fertige Form vor
dem Abguss gebrannt und geschlichtet.

10 Gute Formsandlagerstätten sind selten. Beim Natur-


sand bilden die tonigen Binder bereits in der Lager-
stätte mit dem Sand ein natürliches Gemenge.
0
0,063 0,125 0,250 0,355 0,500 mm 0,710
Siebmaschenweite nach DIN ISO 3310-1 Synthetischer Formsand entsteht durch Mischen
Bild 2-64 von gewaschenem und gesiebtem Sand und Binde-
Kornverteilung von Quarzsand der Grube Haltern mit einer ton als Reinsubstanz in der Sandaufbereitung der
mittleren Korngröße von etwa 0,22 mm. Gießerei.
2.5 Form- und Gießverfahren 53

Ein Formsand ist nur dann ein guter Formstoff, Den Verfahren mit tongebundenen Formstoffen
wenn die Sandkörnung zur Menge und Qualität des kommt auch aus Umweltschutzgründen steigende
tonigen Binders in vorgegebenen sehr engen Gren- Bedeutung zu, weil Ton und Bentonit im Gegensatz
zen liegt. Durch Zugabe von 2,5 % bis 3,5 % Was- zu allen anderen Formstoffbindern durch die Form-
ser (Massengehalt) wird der für das Verdichten nöti- herstellung und den Abguss nur teilweise unwirk-
ge bildsame Zustand eingestellt. Der Formsand bil- sam – totgebrannt – werden. Der wesentliche Grund
det dabei eine krümelige Masse. Formsande enthal- für die Wirtschaftlichkeit besteht darin, dass fast der
ten werkstoffabhängig meist außerdem noch gerin- gesamte Altsand als Umlaufsand wieder verwendet
ge Mengen an weiteren Zusätzen, wie z. B. Kohlen- werden kann. Das Aufbereiten besteht nur aus den
staub, Perlpech, Sulfitablauge, Schwefelpulver und Schritten Entstauben, Kühlen und Ausgleichen der
Borsäure. totgebrannten Bentonitmenge und des verdampften
Wassers beim Mischen.
Bentonite sind hochbindefähige Tone aus wasser-
haltigen Aluminiumsilicaten nicht einheitlicher Zu- Bei den anderen bekannten Bindemitteln laufen irre-
sammensetzung (etwa ein Teil Al2O3 auf vier Teile versible chemische Umwandlungen beim Aushärten
SiO2), die als kolloidale, geschichtete Teilchen unter der Formen oder der Kerne und beim Abguss ab.
2 Pm Schichtdicke vorliegen. Die wichtigste Eigen-
schaft der Bentonite ist die Fähigkeit, im Kristallgit- In Nassgussformen aus tongebundenem, feuchtem
ter Wasser unter 6- bis 8facher Volumenvergröße- Quarzsand werden bis auf den schweren Stahlguss
rung sowie Metallionen einzulagern. Sie gehen auf- alle Gusswerkstoffe vergossen, hauptsächlich
grund dessen in den plastisch formbaren, gequolle- – Gusseisen und Temperguss,
nen Zustand über. – Stahlguss mit Massen unter 25 kg,
– Schwer- und Leichtmetalle.
Chemisch verhalten sich Bentonite wie Ionenaus-
tauscher; sie können z. B. ihre Calciumionen gegen Alle Formstoffe dehnen sich als Folge des direkten
Natriumionen austauschen: Kontakts mit der Schmelze und aufgrund der Wär-
mestrahlung aus. Das nachteilige Ausdehnungsver-
Ca2   2 ¹ Na.
halten von Quarzsand zeigt Bild 2-65. Ein Verän-
Weil die Wasseraufnahme im Kristallgitter und an dern der Körnung und des Bindemittels kann die li-
der Oberfläche mit der Anzahl der eingelagerten neare Ausdehnung nicht wesentlich verringern. Im
Metallionen größer wird, ist ein Natriumbentonit Vergleich zu Schamotte- und Zirconiumsand dehnt
hochquellfähig, ein Calciumbentonit dagegen nur sich Quarzsand mehr als dreimal stärker aus. Im ton-
sehr wenig. Das Umwandeln der in der Natur vor- gebundenen Quarzsand tritt das Maximum bei etwa
handenen Calciumbentonite mittels Soda (Na2CO3) 630 ’C auf. Sandausdehnungsfehler – die Schülpen
in Natriumbentonite wird als Aktivieren bezeichnet. gemäß Bild 2-63 und Rattenschwänze (s. Abschn.
Dadurch werden zahlreiche, wichtige Eigenschaf- 2.4.5) – lassen sich darauf zurückführen.
ten des Formstoffs beeinflusst: Die Quellfähigkeit
2,0
des Bentonits nimmt z. B. zu und damit auch seine
Bindefähigkeit, während sich die Feuerbeständig- % Quarz

keit verringert. 1,5


Lineare Ausdehnung

Von großer praktischer Bedeutung ist das Tempe-


1,0
raturverhalten des Bentonits. Die Wirkung als rever-
sibler Ionenaustauscher ist oberhalb von etwa 700 ’C
Schamotte
nicht mehr vorhanden. Das Kristallwasser verdampft 0,5
und sprengt den Bentonitkristall. Der Ton wird totge-
brannt. Im Formstoffkreislauf muss man durch mög- Zirkonium
lichst frühes Entformen verhindern, dass größere 0
0 200 400 600 800 1000 °C 1200
Mengen des tongebundenen Formstoffs länger als Temperatur J
nötig erhitzt werden, da der totgebrannte Tonanteil Bild 2-65
(etwa 2 %) durch Zugabe von neuem, aktiviertem Ausdehnungsverhalten verschiedener Formsande, die mit 5 %
Bentonit ausgeglichen werden muss. Bentonit gebunden sind (nach Hofmann).
54 2 Urformen

Handformen Beschwereisen Eingusstümpel Doppel -T - Träger Formkasten

Handformen ist ein Formverfahren für kleinere bis


größte Gussstücke in kleineren Serien. Die Formfül-
lung erfolgt bei allen Gusswerkstoffen als Folge der
Schwerkraft steigend oder fallend.

Für den offenen oder den gedeckten Herdguss ist ± 0


ein ungeteiltes Modell erforderlich, das in mit dem
Formstoff gefüllten Gießgruben, den Herden, abge-
formt wird. Beim offenen Herdguss, z. B. von deko-
rativen Kamin- oder Ofenplatten, kann die Obersei-
te der Form in Bild 2-66 offen bleiben und das Gie-
ßen über eine schmale Rinne vom Einguss aus erfol-
gen. Das ungeteilte Modell wird zunächst im Mo- Füllsand Modellsand Speiser
dellsandbett ausgerichtet. Das Verdichten des Form- Bild 2-67
stoffs erfolgt je nach Modellgröße durch einfaches Gedeckte Herdgussform mit aufgesetztem und beschwertem
Eindrücken, Einpressen oder Stampfen von Hand Formkasten vor dem Gießen.
mit Pressluft oder Handstampfern. Zum Ziehen des
Modells lassen sich auf der Rückseite Zieheisen ein- Ein spezielles Verfahren zum Herstellen rotations-
schrauben, die bei Großmodellen ein Abheben mit symmetrischer Gussstücke ist das Schablonenfor-
dem Hallenkran ermöglichen. men (Bild 2-68). Man arbeitet hierbei mit einfachen
Dreh- oder Ziehschablonen. Die Modellkosten sind
Modell mit Zieheisen
am Kranhaken daher gering. Die Außenkontur der Schlackenpfanne
formt man im Herd mit einer Holzschablone (links
Schablonenständer Kerneisen Schoren schwerer
(Drehvorrichtung) Formkasten
Eingusstümpel
Gießereiflur
± 0

Gießereiflur
± 0

Modellsand Füllsand

Bild 2-66
Modellziehen beim offenen Herdguss.

Der gedeckte Herdguss ist mit ungeteilten oder ge-


teilten Modellen möglich. Die Modelloberseite in
Bild 2-67 wird an einem aufgesetzten, mit Form-
stoff gefüllten, stabilen Formkasten abgebildet, der
meist auch den Einlauf und den Eingusstrichter ent-
hält. Eine Spezialität des gedeckten Herdgusses sind
stark verrippte Werkzeugmaschinenbetten bis zu den
Schablone für hängender
größten Abmessungen. Die großvolumigen Kerne Außenkontur Ständerfuß Modellsand Ballen
lassen sich meist seitlich nicht ausreichend in Kernla-
gern abstützen. Sie werden durch Kerneisen vom auf- Schablone für Bodenkontur Füllsand
gesetzten Oberkasten aus in ihrer Lage gehalten, Bild 2-68
ähnlich wie in Bild 2-68 rechts der an Kerneisen Bildteil links: Schablonenformen einer Schlackenpfanne,
und Schoren hängende Ballenkern. Bildteil rechts: Zum Gießen fertige Form.
2.5 Form- und Gießverfahren 55

Modellplatte
Unterkasten

X X C D

Formteilung

Schnitt A - B B
a) b)

Bild 2-69 (I)


Maschinenformen mit Kästen: a) Modell links und Gusstraube rechts, b) Draufsicht: Modellplatte Unterkasten.

X X

Spannrahmen
Unterkasten

Modellplatte Rollgang
Schnitt C - D Unterkasten
c) d)
Bild 2-69 (II)
c) Verdichten des Formstoffs im Unterkasten, d) Unterkasten gewendet auf dem Rollgang.

Oberkasten

Spannrahmen

X X X X

Unterkasten

Modellplatte
Rollgang
e) Oberkasten f)

Bild 2-69 (III)


e) Verdichten des Formstoffs im Oberkasten, f) Zulegen der Kästen.

im Bild 2-68). Der Formstoff wird segmentweise zu- Das Schablonenformen wird auch örtlich mit dem
gegeben und durch Drehen oder Ziehen der Schablo- Handformen nach Modellen kombiniert, wenn sich
ne verdichtet. Man baut die Innenkontur der Pfan- dadurch die Kosten der Modelle oder der Kernkäs-
ne mit einer zweiten, kleineren Schablone auf dem ten verringern lassen.
zu- nächst gewendeten Formkasten auf und versteift
sie mit Kerneisen, die an den Schoren im Kasten Die Formstoffe für das Handformen reichen vom
eingehängt sind. Nur drei Schablonen, je eine für tongebundenen Nassgusssand über die Lehmform,
die Außenkontur, die Innenkontur und für den Bo- den Zementsand bis zu den schnellhärtenden, kunst-
den, sind außer der Drehvorrichtung, die auch für harzgebundenen Kaltharzsanden. Durch Mischen
weitere Gussstücke eingesetzt werden kann, nötig. von Sand mit Harz und Härtern in fahrbaren Durch-
56 2 Urformen

Beschwereisen

X X X X

Rollgang Rollgang
g) h)

Bild 2-69 (IV)


g) Beschweren, h) Gießen.
Auspackrüttler

Kastenrücklauf

Rohguss
Schwingrost

Sandrücklauf

Bild 2-69 (V)


i) Auspacken.

laufmischern wird der Formstoff meist direkt an Hälfte auf je einer Modellplatte für den Unterkas-
der Gießgrube hergestellt und sofort in die Form ten und den Oberkasten fest verschraubt. Die Anord-
oder den Kernkasten eingeleitet. Auf das Pressluft- nungen in Bild 2-69a) bis 69i) verdeutlichen das
stampfen kann verzichtet werden, wenn sich das Verfahren. Die Arbeitsgänge in der Kastenformerei
Formstoffsystem durch gutes Fließvermögen unter erfolgen in der Reihenfolge:
der Wirkung der Schwerkraft oder mit Vibratoren – Verdichten des Formstoffs im Unterkasten,
am Form- oder Kernkasten vor der chemischen Re- – Abheben und Wenden des Unterkastens,
aktion wie ein Fließsand selbst verdichtet. – Verdichten des Formstoffs im Oberkasten,
– Abheben des Oberkastens,
Die Gusstoleranzen bei den Handformverfahren – Kerneinlegen von Hand in den Unterkasten,
sind werkstoffabhängig den Nennmaßbereichen zu- – Zulegen, Beschweren und Abgießen,
geordnet und werden zwischen dem Besteller und – Abkühlen der Gussstücke,
der Gießerei vereinbart. – Auspacken.

Maschinenformen mit Kästen Das Verdichten des Formstoffs in den Kästen ge-
Das wichtigste Verfahren für die Gussstückferti- mäß Bildfolge 2-69a) bis 69i) erfolgt gleichzeitig an
gung in mittleren Serien bis millionenfache Stück- verschiedenen Orten. Die glockenförmige Schwung-
zahlen nach verlorenen Formen ist die Kastenfor- scheibe ist kernlos mit hängendem Ballen geformt.
merei. Die Modelle aus Holz, Kunststoff oder Me- Zum maschinellen Verdichten des Formstoffs wird
tall sind geteilt und werden nach Möglichkeit zur die Rüttel-Press-Abhebeformmaschine, etwa wie in
2.5 Form- und Gießverfahren 57

Bild 2-70 dargestellt, verwendet. Auf dem massiven Das Maschinenformen kann mit unterschiedlichem
Formmaschinentisch wird die Modellplatte für den Mechanisierungsgrad bis hin zur vollautomatischen
Oberkasten von dem Spannrahmen gehalten. Form- und Gießanlage ausgebaut werden. Nur das
Kerneinlegen erfolgt noch von Hand, weil bei kernin-
Formkasten eingeschwenkte
Pressplatte mit tensiven Formen mit wechselnden Kassettenmodell-
Einguss und platten, etwa gemäß Bild 2-71, ein Mechanisieren
Gießzapfen
bisher zu aufwändig ist. Das Aufteilen der Modell-
Kastenführung Kastenführung platte in Kassettenelemente erlaubt den Gießereien,
(Rundlochdübel) (Langlochdübel)
Losgrößenschwankungen auszugleichen und die
Anzahl der Platten im Modellager zu verringern.
Spannrahmen
Zum Kastenformen verwendet man hauptsächlich
Tisch tongebundenen, synthetischen Formsand, der inner-
halb von Sekunden hoch verdichtbar ist. Natursande
und Wasserglas-Sande sind speziellen Gussstücken
Kassetten-
modellplatte vorbehalten, sie sind aber ebenfalls gut verdichtbar.
elektrische
Vibrator oder Rüttler Heizplatten Die Formfläche liegt nur bei wenigen Großanlagen
Bild 2-70 über 1 m2; hierbei werden rechteckige Kastenforma-
Rüttel-Press-Formmaschine in Position Ende Verdichten des te gegenüber quadratischen bevorzugt. Durch die zu-
Formstoffs im Oberkasten. nehmende Fertigung von Motorenblöcken und Kur-
belwellen auf Kastenformanlagen hat sich die mitt-
Mit elektrischen Heizplatten an der Unterseite wer- lere Stückmasse der Eisengusswerkstoffe bis auf et-
den die Modelle auf etwa 40 ’C bis 70 ’C beheizt, wa 25 kg erhöht.
damit man sie konturenscharf abheben kann.
Die Sandgusslegierungen der Leichtmetalle werden
Führungselemente des Formkastens sind die im erst dann in der Kastenformerei gefertigt, wenn fol-
Spannrahmen fest verschraubten Dübel, links als gende Bedingungen erfüllt sind:
Rundloch- und rechts als Langlochdübel ausgebil- – Große Stückmassen bis 1000 kg,
det, um ein Klemmen der Kästen beim Auflegen – großes Verhältnis Oberfläche/Volumen,
und Abheben zu verhindern. Der Formsand wird – schwierige Innen- und Außenkerne,
bei ausgeschwenkter Pressplatte von oben aus dem – Änderungsmöglichkeit des Modells,
Sandbunker mit einer Dosiervorrichtung (z. B. mit- – kurze Lieferzeiten.
tels »Fischmaul« oder »Jalousie«) locker in den Form-
kasten gefüllt. Meist werden Serien- und Einzelteile vergossen, de-
ren Formkosten gegenüber Druck- und Kokillen-
Das Verdichten beginnt meist zweistufig zunächst guss erheblich niedriger sind. Deshalb werden z. B.
mit dem Vorrütteln oder Vibrieren und endet bei
eingeschwenkter Pressplatte mit dem Pressen. Weil
bei unterschiedlichen Modellhöhen im Formkasten
die Sanddichte nicht homogen ist, kann das Pressen 1
2 1 1
mit Vielfachstempeln, die einzeln druckbeaufschlagt 3 3
werden, zu einer annähernd homogen verdichteten längs längs
Kastenform führen. Bei neueren Kastenformanla-
gen erfolgt die Verdichtung nicht mehr mittels Rüt-
1
teln und Pressen, sondern durch Vibrieren und Gas- 8
Impulspressen. Ein dosierbares Gas-Luftgemisch 1
4 1
wird im Presszylinder elektrisch gezündet und der 3
1
Gasstoß auf einen oder mehrere Pressstempel ver- 8 quer
teilt. Durch diese Verbesserung konnten die uner-
träglichen Schallemissionen in Kastenformereien Bild 2-71
erheblich vermindert werden. Rechteckige Modellplatte mit verschiedenen Kassettenformaten.
58 2 Urformen

Neuteile für Druck- und Kokillenguss zunächst als Mit automatisierten Formanlagen kann die in der
Nullserie in Sandguss gefertigt. Erst nach dem Ab- Norm DIN 1688-1 festgelegte Genauigkeit von Sand-
schluss der Entwicklungs- und Änderungsarbeiten gussstücken unterboten werden, da das Trennen
stellt man auf ein Dauerformverfahren um. der Form vom Modell und das Zulegen wiederhol-
bar genau erfolgen. Damit lassen sich im Sandguss
Bild 2-72 zeigt ein Sandgussstück aus dem Werkstoff diejenigen Kokillengussstücke, deren Innenpartien
EN AC-Al Si10Mg mit großen Außenabmessungen, von Sandkernen abgebildet werden, z. T. kostengüns-
mittlerer Masse, Innen- und Außenkernen sowie un- tiger fertigen. Das Umstellen der Zylinderkopffer-
terschiedlichen Wanddicken. Das Lagergehäuse ist tigung von Gemischtkokillen auf automatisch ge-
für elektrische Bahnsysteme bestimmt. formten Sandguss zeigt diese Entwicklungsrichtung.

Bei den naheutektischen Aluminium-Silicium-Le-


gierungen können dichtere Gussgefüge und damit
bessere Gebrauchseigenschaften durch Veredeln der
Schmelzen erreicht werden. Durch Zufügen von we-
nigen Gramm Natrium, eingewickelt in Aluminium-
folie, direkt in das Gießgefäß oder in den Ofen wird
die Unterkühlung der Schmelze beträchtlich erhöht.
Die in der Schmelze bereits vorhandenen Keime
sind daher unwirksam. Deshalb wird das Verfahren
auch als Keimvergiftung bezeichnet. Die Veredlung
von Schmelzen wird nur bei größeren Wanddicken
durchgeführt, da die Gießbarkeit negativ beeinflusst
Bild 2-72 wird (Abschn. 2.4.1).
Sandguss-Radlagergehäuse aus EN AC-Al Si10Mg,
Werkfoto Georg Fischer AG. Ein bisher ungelöstes Problem bei der Kastenforme-
rei ist der Gussversatz. Die verschiedenen Versatz-
Die Sandform (verlorene Form) wird durch den Ab- möglichkeiten des Oberkastens zum Unterkasten
guss zwar zerstört und ist damit verloren, nicht aber
Winkelversatz
der Sand. Dieser läuft im Kreislauf um und wird mit Z´
Oberkasten
Grünton (Bentonit) und Wasser zu neuem Formsand
aufbereitet. Für die Außenkontur verwendet man
bevorzugt den Nassgusssand. Die Innen- und Außen-
kerne werden mit wasserfreien Bindemitteln aus Y´

trockenem, gewaschenem Quarzsand hergestellt.


Wegen des Zerfalls der Kerne nach dem Abguss
wird dem Kreislaufsand dadurch immer wieder Neu- X´
sand zugeführt. Der gemischte Formaufbau, d. h.
– außen Nasssand und
– innen Trockenkerne, Z
Ebener Versatz
bringt Vorteile für die von außen nach innen gerich- D Y
Unterkasten
tete Erstarrung sowie für das Speisen der Gussstü-
cke und die Nachgiebigkeit der gesamten Form. Der
Wassergehalt des Nassgusssands bewirkt eine gro- Y
ße Abkühlgeschwindigkeit und damit ein feinkörni-
D X
ges, dichtes (porenfreies) Gefüge. Längenänderun-
D Z

gen der Kerne beim Gießen der Wände und beim


Erstarren können durch Nachgeben aufgefangen Transportwagen
X
werden. Deshalb sind auch im Sandguss Legierun-
gen (und Konturen) gießbar, die wegen ihrer star- Bild 2-73
ken Warmrissneigung nicht nach den Dauerform- Versatzmöglichkeiten zweier Formkästen, bezogen auf die
verfahren vergossen werden können. Rundlochführung im Unterkasten.
2.5 Form- und Gießverfahren 59

zeigt Bild 2-73. Als Koordinatenmittelpunkt wird Eine neue Variante der Kastenformerei stellt das in
willkürlich die Mitte der linken Führungsbüchse Japan entwickelte Vakuum-Formverfahren dar. Als
(Rundloch) des Unterkastens angenommen. Dabei Formstoff wird binderfreier, reiner Quarzsand, der
liegt der Unterkasten auf dem Transportwagen, der hervorragend fließfähig ist, in die Kästen eingefüllt
in y-Richtung stetig fördert. Der Oberkasten kann und durch Unterdruck bei leichtem Vibrieren verdich-
gegen den Unterkasten in x- oder y-Richtung ver- tet. Das Abdichten der Kästen in der Teilungsebene
setzt oder in jeder Drehrichtung verkantet sein. Beim und auf den Kastenrückseiten erfolgt durch 0,1 mm
Zulegen (Bild 2-69f) wird der Oberkasten in verlän- dicke Kunststofffolien. Die Formherstellung beginnt
gerten Rundloch- und Langlochdübeln gehalten und mit dem Auflegen der zugeschnittenen Folie auf die
langsam entlang der z-Achse abgesenkt. mit Luftschlitzen versehene Modellplatte bei aufge-
setztem Kasten. Infolge einer Flächenbeheizung und
Nach dem Zulegen liegt der Oberkasten auf dem eines geringen Unterdrucks von etwa 0,5 bar legt
Unterkasten planparallel auf und kann einen Ver- sich die Folie konturenscharf an das Modell. Das
satz in x- und y-Richtung und durch Verdrehen um Vakuum wird beim Abheben, Kerneinlegen, Zule-
die Vertikale aufweisen. Außerdem können beim Zu- gen und Gießen über Schlauchverbindungen des
legen noch leicht Druckstellen, besonders an Kern- Formkastens mit der Vakuumpumpe aufrecht erhal-
marken, erzeugt werden (Bild 2-63). ten und darf erst nach dem Erstarren aufgehoben
werden. Diesem verfahrenstechnischen Nachteil ste-
Danach kann ein noch so genaues Zulegen den Ver- hen Vorteile durch Wegfall des Binders und der Form-
satz nicht ausgleichen, der bereits durch die Positio- stoffaufbereitung sowie durch Verminderung der
nier- und Fertigungsungenauigkeiten zwischen Mo- Putzkosten gegenüber.
dellplatte, Spannrahmen, Zentrierdübel und Führun-
gen in die Kastenformhälfte übertragen wird. In Europa werden Gussteile für Lkws in Vakuumkäs-
ten mit bis zu 4 m2 Formfläche vergossen.
Als Grenze der Genauigkeit von Kastenformanla-
gen wird von Praktikern für ein Nennmaß von etwa Kastenloses Formen
500 mm eine Toleranz von “ 0,3 mm angesehen, ob- Auch für das kastenlose Formen wird mindestens
wohl das Modell auf der Modellplatte mit einer To- ein Formkasten oder Maschinenrahmen benötigt,
leranz von kleiner als “ 0,1 mm angefertigt wurde. aus dem der verdichtete Formstoff als Formstoffbal-
Ziel der Weiterentwicklung von Kastenformanla- len herausgedrückt wird, wie es Bild 2-74 zeigt. Mo-
gen ist das Verkleinern der Gusstoleranzen durch dellplatte und Spannrahmen sind mit dem Presszy-
modellgenaues Positionieren und Zulegen. linder verbunden, der gegen den von der Formma-
schine gehaltenen Rahmen nach oben verdichtet und
Ausdrücken nach unten abhebt. Beim Ausdrücken wird der Ein-
gusstrichter vom Ausdrückrahmen im Oberballen
geformt.
Ausdrück-
rahmen mit
Eingusstrichter Die kastenlose Form kann waagerecht oder senk-
recht geteilt hergestellt werden mit einer nutzbaren
Formkasten Beschwereisen
im Maschinen-
rahmen
Oberballen

Spannrahmen
Kern
Verdichten
Abheben
Formteilung

Unterballen
Modellplatte mit zwei
Modellen und Einlauf
Bild 2-74 Bild 2-75
Kastenlose Formmaschine mit dem Oberballen in der Position Kastenlose, waagerecht geteilte Form für zwei Büchsen vor
Ende Verdichten. dem Abguss.
60 2 Urformen

Formfläche von meist kleiner als 0,6 m2. Für Formen Als Bindemittel für den Quarzsand dient Wasser-
mit vielen Kernen wird die waagerechte Formtei- glas Na2O ¹ xSiO2 ¹yH2O mit einem Massenverhält-
lung entsprechend Bild 2-75 bevorzugt, da die Ker- nis, (dem Modul M SiO2/Na2O) von 2,3 bis 2,6.
ne von Hand sorgfältig eingelegt werden können. Im Formstoffmischer wird Sand mit etwa 3 % bis
4 % Wasserglas gemischt und anschließend zu For-
Die senkrechte Formteilung gemäß Bild 2-76 führt men oder Kernen verdichtet. Da der Formstoff gut
zu besonders geringem Formstoffumlauf, weil der gasdurchlässig ist, erfolgt das Aushärten durch Bega-
Ballen auf der Vorder- und Rückseite die doppelte sen mit Kohlendioxid. Wasserglas und Kohlensäure-
Formfläche abbildet. Das Aneinanderreihen der Bal- gas reagieren sekundenschnell und härten die Form
len zu einem theoretisch endlosen Formstoffstrang durch feinverteiltes Kieselsäuregel nach der Sum-
macht das Beschweren der Formen überflüssig, da menformel:
sich die Ballen gegenseitig abstützen und direkt auf
Na 2 O ◊ x SiO2 ◊ y H 2 O + CO2 Æ
dem Transportrost abgegossen werden können. Das  
Einlegen der Kerne erfolgt von Hand in horizonta- flüssig gasförmig
ler Lage auf einer Hilfsvorrichtung außerhalb der x SiO2 ◊ y H 2 O + Na 2 CO3 .
Formteilung. Mit Hilfe von Unterdruck werden die  
fest fest
Kerne festgehalten und durch Schwenken der Vor-
richtung automatisch in die senkrechte Teilungsebe- Für das CO2-Verfahren wurden Formmaschinen und
ne übertragen. Kernschießmaschinen entwickelt, die das Verdichten
und Begasen nacheinander in der Form am gleichen
Bei den Seriengussstücken der Beschlagindustrie Ort oder an verschiedenen Stationen vornehmen.
ist das kastenlose Formen mit senkrechter Formtei-
lung weit verbreitet. In die Modellplatte mit dem Kurbelwellenmodell in
Bild 2-77 sind Schlitzdüsen eingelassen, die nach
2.5.1.2 Kohlensäure-Erstarrungsverfahren dem Verdichten der Mischung auf einer normalen
(CO2-Verfahren) Rüttel-Press-Formmaschine vor dem Abheben des
Nassgussformen aus tongebundenen Formstoffen Formkastens den Sand begasen. Die Formen werden
trocknen rasch aus, sind nicht lagerfähig und müs- nach dem Zulegen verklammert und in senkrechter
sen deshalb bald abgegossen werden. Das kann von Lage abgegossen. In Frankreich wird der größere
Nachteil sein, wenn das personalaufwändige For- Teil der Pkw-Kurbelwellen nach diesem Verfahren
men einschichtig und das mechanisierbare Gießen, in Kastenformen vergossen.
Erstarren und Auspacken kontinuierlich sowie das
Putzen zwei- oder dreischichtig erfolgen sollen.

Mit dem 1952 entwickelten CO2-Verfahren können


Kastenformen, kastenlose Formen und besonders
Kerne gefertigt werden, die fast unbegrenzt lager-
fähig sind, weil sie chemisch gebunden sind.
Kern

Bild 2-77
Kastenform mit verdichtetem, wasserglashaltigem Sand beim
Begasen mit Kohlendioxid.

Form- Für die Kernherstellung gemäß Bild 2-78 wird das


teilung
Verdichten vom Begasen getrennt, um kürzere Ferti-
gungszeiten zu erreichen. Den Formstoff verdich-
tet man durch Einschießen mit Druckluft von etwa
Transportplatte für den Formstoffstrang Ballen mit Eingusstrichter 7 bar in die Kernbüchse, und in einer zweiten Sta-
Bild 2-76 tion wird durch Einstechen einer CO2-Sonde oder
Kastenlose, senkrecht geteilte Formen. Anlegen einer CO2-Dusche ausgehärtet.
2.5 Form- und Gießverfahren 61

Das Kohlensäure-Erstarrungsverfahren ist beson- halb von 100 ’C zu schmelzen. Je nach der Dicke der
ders dann kostengünstig, wenn das Kohlendioxid- Maske erweicht in etwa 6 s bis 12 s eine Harz-Sand-
gas für das Begasen der Formen als Nebenprodukt schicht von 5 mm bis 8 mm durch die höhere Mo-
der Schutzgaserzeugung von Gasglühöfen nahezu dellplattentemperatur. Der überschüssige Formstoff
kostenlos anfällt. Die Gießereien erzeugen den Stick- wird durch Wenden um 180 ’ und Abkippen zur Wei-
stoff für ihre Gasglühöfen durch vollständigen Sauer- terverarbeitung entfernt, wie Bild 2-79b) zeigt.
stoffentzug der Luft, d. h. durch Verbrennen von Gas
oder Öl in einer Schutzgasanlage. Das dabei konti-
nuierlich anfallende Kohlendioxid kann direkt der
Formerei oder Kernmacherei zugeleitet werden.

2.5.1.3 Maskenformverfahren
Aushärtbare Kunstharze als Sandbinder ergeben so
große Formstofffestigkeiten, dass man statt kompak-
ter Formen und Kerne leichte, nur wenige Millimeter
dicke Formschalen, so genannte Masken und Hohl-
kerne mit einer sehr guten Abbildbarkeit herstellen
kann. Das erste Patent für dieses Verfahren erhielt
1944 Johannes Croning für Formstoffmischungen
aus Quarzsand und feingemahlenen Phenol-Kresol-
Kunstharzpulvern.

Das rieselfähige Formstoffgemisch wird entspre-


chend Bild 2-79a) auf die etwa 250 ’C warme Me-
tallmodellplatte geschüttet, die außer den Modellen
und dem Anschnittsystem auch die Zentrierflächen
für die zweite Halbschale abbildet.

Der Phenol-Kresol-Harzanteil (wegen der Kosten


nur 4 % bis 6 % vom Gesamtformstoff) beginnt ober-
Sandbunker Bewegung der
CO2 - Sonde

Schlauch zur
Schießkopf CO2 - Leitung
Druckluft

Magnetventil

Schießkopf-
platte Bild 2-79
Maskenformverfahren:
a) Schütten und Aufbacken von Croningsand
Kernbüchse
b) Wenden der Modellplatte
c) Aushärten und Abheben
d) Fertige Form zum Gießen

Drehtisch Die Phenol-Kresol-Kunstharze lassen sich mit pul-


verförmigem Hexamethylentetramin in der Wärme
Bild 2-78
Rundtischkernschießmaschine mit den Stationen Kernschießen rasch aushärten. Die Modellplatte mit dem in Mas-
links, Kern begasen und aushärten rechts (Kernbüchse öffnen kendicke aufgebackenen Formstoff setzt man zu die-
ist nicht sichtbar; schematisch). sem Zweck für etwa 30 bis 40 s unter eine Heizhau-
62 2 Urformen

be, so dass der Formstoff bei Temperaturen von et- sand. Durch sorgfältiges Mischen, Sieben und Ver-
wa 450 ’C aushärtet. Diesen Vorgang verdeutlicht dunsten des Lösungsmittels wird ein wirtschaftli-
Bild 2-79c). cher Harzanteil von unter 3 % in der Formstoffmi-
schung dann erreicht, wenn jedes einzelne Sandkorn
Die fertige, noch warme Maskenhälfte, wird nun gerade ausreichend mit einem dünnen Lackfilm um-
durch Abhebestifte in der Modellplatte angehoben hüllt ist. Der harzumhüllte, trockene und rieselfähi-
und mit der zweiten Hälfte von Hand nach dem Kern- ge Croningsand wird von den Großverbrauchern
einlegen gemäß Bild 2-79d) zugelegt und verklebt von Masken- und Kernsanden in eigenen Anlagen
(s. a. Bild 2-8). Zum Abgießen wird die Maske in ei- erzeugt oder zugekauft.
nem oben und unten offenen Blechrahmen mit Stahl-
kies hinterfüllt. Das Hot-Box-Verfahren dient hauptsächlich zur
sehr genauen Fertigung von Kernen für Zylinder-
Das klassische Croning-Verfahren mit pulverförmi- köpfe, Motoren, Getriebe- und Lenkgehäuse. Der
gem Phenol-Kresol-Harz und Hexamethylentetra- flüssige Resolharzbinder wird mit sauren Härtern
min als Härter ist kaum noch in Gebrauch, da der er- – dies sind wässrige Ammoniumsalze starker Säu-
forderliche teure Harzanteil zu hoch ist. ren – und mit Kernsand gemischt. Das Verdichten in
der 200 ’C bis 250 ’C warmen, geteilten Metallkern-
Das Maskenschüttverfahren, bei dem der Form- büchse erfolgt mit Druckluft bis 7 bar. Hot-Box-Sand
stoff von oben auf die Modellplatte geschüttet wird, ist preisgünstiger als harzumhüllter Croningsand und
ist die wichtigste Verfahrensvariante. lässt sich als feuchter, nicht rieselfähiger Formstoff
auch in komplizierten und kleinen Kernbüchsen
Vier Varianten mit veränderten Phenolharzbinder- verdichten. Das Aushärten wird durch thermisches
systemen zeigt Tabelle 2-23 für Serienteile der Au- Spalten der Ammoniumsalze spontan eingeleitet und
tomobilgießereien. durch die dabei entstehende Säure noch außerhalb
der warmen Kernbüchse fortgesetzt, z. B.
Für das Croning-Maskenformverfahren werden ver-
schiedene harzumhüllte Sande hergestellt. Dabei
(NH 4 )2 SO4 æææææ
Zerfall bei
200 ∞ C bis 250 ∞ C
Æ H 2SO4 + 2 ◊ NH 3 ≠
werden zunächst flüssige Resolharze in meist alko- d. h., Ammoniumsulfat zerfällt zu Ammoniak und
holischen Lösungsmitteln, sog. Novolake, als dün- Schwefelsäure.
ner Lackfilm mit oder ohne Härter auf der einzel-
nen Sandkornoberfläche verteilt. Das Hot-Box-Verfahren erlaubt kürzere Taktzeiten
als das Croning-Verfahren. Den Kernsanden wer-
Je nach der Temperatur im Sandmischer unterschei- den oft noch geringe Mengen Stärke oder Melasse
det man kalt-, warm- oder heißumhüllten Croning- zugemischt, um den Kernzerfall nach dem Abguss

Tabelle 2-24. Phenolharzgebundene Form- und Kernherstellverfahren im Fahrzeugbau nach Gardziella und Müller.

Croning- Kaltharz
Verfahren Hot-Box Cold-Box
Maskenformverfahren (No-Bake)

Anteil in Prozent 35 20 30 15
modifizierte Novolake, Phenolresole und
Harz-Härter-System Novolake und flüssige Resole
Resole, Diisocyanate, aromatische
bestehend aus Hexamethylentetramin und saure Härter
Begasen mit Aminen Sulfonsäuren
Sandtemperatur bei
250 °C bis 300 °C 200 °C bis 250 °C Raumtemperatur Raumtemperatur
der Verarbeitung

Sandbinder-Zustand trocken, rieselfähig formgerecht, feucht formgerecht, feucht feucht, fließend

Anwendung des Formmasken und


Kerne und Hohlkerne Formen und Kerne Formen und Kerne
Verfahrens für Hohlkerne
Kurbelwellen,
Wassermantel, kleinere Kerne für
Nockenwellen, Motorblöcke für
Typische Beispiele Gehäusekerne, Naben, Lagerdeckel,
Zylinderköpfe, den Lkw-Bereich
Auslasskrümmerkerne Differenzialgehäuse
Gehäuse
2.5 Form- und Gießverfahren 63

e) Schalenbildung durch mehrmaliges Tauchen und Besanden i) Abtrennen der Gussstücke


Bild 2-80
64 2 Urformen

Sprachraum Kaltharzverfahren genannt wird. Der


Formstoff wird in der häufig fahrbaren Füll-Misch-
maschine formgerecht selbstfließend eingestellt und
direkt in den Kernkasten bzw. die Kasten- oder Herd-
form gefüllt. Der Härter besteht aus einer wässrigen
aromatischen Sulfonsäure, z. B. Benzolsulfonsäure,
und kann so eingestellt werden, dass die Mischung
bis zu vier Stunden formbar bleibt. Das Verdichten
wird meist nur durch Vibrieren der Kernkästen er-
reicht. Dieses Verfahren ist bei größeren Kernen und
Formen für Werkzeugmaschinenguss und beim Guss
von Motorenblöcken für Lkws verbreitet. Formmas-
ken aus Kaltharzsand sind wegen des verhältnismä-
ßig langen Aushärtens bisher nicht üblich.
k) Beschleifen des Angusses
Danach lässt sich die Maskenform mit Phenolharz-
Bild 2-80 (Fortsetzung) bindern im Vergleich zur tongebundenen Kasten-
Fertigungsschritte für Feinguss nach dem Schalenformverfah- form oder zur kastenlosen Form abgrenzen durch
ren, Fachausschuss Feinguss im VDG und ZfG.
– Gussmassen kleiner als 100 kg,
a) Modellherstellung
b) Montieren von Hand – Wanddicken kleiner als 60 mm,
c) Tauchen – fast halbiertes Toleranzfeld,
d) Besanden – Gussrauheit zwischen 25 m und 160 m.
e) Schalenbildung durch mehrmaliges Tauchen und Besan-
den Die größten Maskenformanlagen in Europa haben
f) Wachs ausschmelzen und Form brennen
nutzbare Formflächen von etwa 1 m2 und werden über-
g) Gießen
h) Ausklopfen wiegend zum stehenden Gießen von Pkw-Kurbel-
i) Trennen wellen aus Gusseisen mit Kugelgrafit eingesetzt.
k) Schleifen des Gussteils
Die Einhaltung der MAK-Werte z. B. für Phenol
zu erleichtern und die Putzarbeit zu verringern. Der und Formaldehyd bei der Kern- und Formherstel-
stechende Ammoniakgeruch deutet schon aus grö- lung sowie in der Abluft einschließlich der karzino-
ßerer Entfernung auf dieses Verfahren hin. genen Pyrolyseprodukte wie Benzol und Benzpyren
macht Absaugsysteme an jeder Maschine und die
Mit dem Cold-Box-Verfahren nach Ashland wer- Kapselung der abgegossenen Formen erforderlich.
den meist Kerne für Seriengussstücke, aber auch
Formmasken gefertigt. Der Ablauf bei der Kernferti- Der Rücklauf der gebrauchten Sande ist bisher nur
gung ist vergleichbar mit den Arbeitsschritten beim teilweise möglich und verursacht stark steigende
CO2-Verfahren (Abschn. 2.5.1.2, Bild 2-78). Das or- Deponiekosten. Die Deponierbarkeit von Altsanden
ganische Zweikomponentenbindersystem wird als wird zzt. nach der Trinkwasserverordnung beurteilt.
formgerechter, nicht rieselfähiger Formstoff durch Gemessen werden als Summenwert die Konzentra-
den gasförmigen Katalysator bei Raumtemperatur in tionen von sechs verschiedenen polyzyklischen aro-
Sekunden im Kernkasten ausgehärtet. matischen Kohlenwasserstoffen im Altsand selbst
und in dessen wässrigem Auszug.
Der besondere Verfahrensvorteil liegt in der kalten
Kernbüchse – Cold-Box – oder Modellplatte, die Jährlich müssen etwa 2 Mill. t nicht deponiefähiger
damit aus Modellholz oder Kunststoff sein kann Gießereialtsande gießereiintern oder gießereiextern
und bei gleicher Genauigkeit preiswerter als die Me- regeneriert werden. Der Harzanteil im Altsand wird
tallausführung ist. in einer Aufbereitungsanlage bei hohen Temperatu-
ren im Drehrohr abgebrannt. Dabei entstehen ca.
Eine weitere wichtige Variante des Bindersystems 90 % Kernsand, den die Gießerei zurücknimmt und
mit Phenol-Kresol-Harzen ist das No-Bake-Verfah- etwa 10 % (Fein-)Staub, der in der Bauindustrie als
ren oder Cold-Set-Verfahren, das im deutschen Rohstoff eingesetzt wird.
2.5 Form- und Gießverfahren 65

Der Altsand von Monoformstoffsystemen, z. B. ei- Der erste Verfahrensschritt beginnt mit dem Ferti-
ner Maskenformanlage, lässt sich einfacher regene- gen des teuren Ur- oder Muttermodells in Stahl oder
rieren als ein bentonithaltiger Mischsand einer Kas- Aluminium auf Werkzeugmaschinen. Das Mutter-
tenformanlage mit z. B. vier verschiedenen Kernbin- modell ist geteilt und berücksichtigt die beim For-
dersystemen in variablen Mengen. Die Verträglich- men und Gießen auftretenden Volumenänderungen.
keit der Bindersysteme im geschlossenen Formstoff- Diese sind werkstoff- und geometrieabhängig. Sie
kreislauf ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. werden an Hand der Ergebnisse von meist mehre-
ren Probeabgüssen ermittelt.

2.5.2 Formverfahren mit verlorenen Vom Muttermodell formt man die geteilten Kokil-
Formen nach verlorenen Modellen len für die Wachsmodelle. Die Teilung ist nötig, da-
mit das Wachsmodell entnommen werden kann. Die
Aus der Römischen Kaiserzeit sind Kleinbronzen beiden Kokillenhälften werden in einem Stützrah-
und Reiterstandbilder erhalten, die ohne Formtei- men aus Stahl oder Gusseisen durch niedrigschmel-
lung nach dem damals aus dem Orient bekannten zende, naheutektische Blei-Zinn-Bismut-Legierun-
Wachsausschmelzverfahren gegossen wurden. gen schwindungsfrei vervielfältigt. Das Urmodell
wird mit der Acetylenflamme geschwärzt oder mit
Im Mittelalter wurden von den Glockengießern einer vorgespannten etwa 5 Pm dicken Gummifolie
außer der Glockenschablone Wachsmodellplatten vom Weißmetall getrennt, weil flüssige Trennmittel
für Inschriften und Verzierungen verwendet. An sich in den feinsten Konturen leicht festsetzen. Boh-
den ältesten gusseisernen Geschützen und Stein- rungen, Kerne und Hinterschneidungen können mit-
büchsen, die im 14. Jahrhundert aufkamen, wurden tels Schieber und Abzugsteile ausgeführt werden.
schwierige Formteile, wie Ösen, Ring und schmü-
ckende Verzierungen mit Schriften durch Wachs oder Das Herstellen der Wachsmodelle ist der Spritzgieß-
Tierfette, wie z. B. Talg (»Unschlitt«), ausgeformt. technik der Kunststoffe entlehnt. Die Beanspruchun-
gen beim Füllen unter der Wachspresse sind so ge-
Als Seriengießverfahren führte man ein Wachsaus- ring, dass Weißmetall ausreichend verschleißbestän-
schmelzverfahren unter dem Namen Präzisionsguss dig ist und die Wärme schnell genug ableitet.
zum Fertigen von chirurgischen Instrumenten aus
Kobaltlegierungen in New York ein (ab etwa 1930). Modellwachse sind Gemische aus verschiedenen
Der Durchbruch gelang vor und während des Zweiten natürlichen und synthetischen Wachsen mit Zusät-
Weltkrieges, als Präzisionsgussteile ohne spanende zen. Der Schmelzbereich liegt bei den niedrigschmel-
Nacharbeit in Serien gefertigt wurden. zenden Typen zwischen 60 ’C und 65 ’C, bei den
höher schmelzenden zwischen 65 ’C und 90 ’C. Sie
Die genormte Bezeichnung Feinguss wurde einge- sollen im festen Zustand bei Raumtemperatur genü-
führt, um von der durch mechanische Verfahren gend hart und fest, aber nicht zu spröde sein, damit
möglichen Präzision beim unzulässigen Vergleich beim Entformen aus der Kokille und beim Befesti-
mit spanenden oder spanlosen Bearbeitungsverfah- gen an der Modelltraube keine Deformationen oder
ren abzugrenzen, Bild 1-2. Brüche auftreten. Bild 2-80a) und b) zeigen die ers-
ten Verfahrensschritte. Modellwachs soll rückstands-
2.5.2.1 Feingießverfahren frei verdampfen und verbrennen. Die Schwindung
Das hochentwickelte Feingießverfahren gestattet die im festen Zustand soll gering sein, ebenso die Volu-
Herstellung von Gussteilen mit gegenüber anderen menzunahme beim Übergang vom festen in den
Gießverfahren höherer Maßgenauigkeit und gerin- flüssigen Zustand, um die luftgetrocknete Formscha-
gerer Oberflächenrauheit. Die einteilige keramische le beim Ausschmelzen gemäß Bild 2-80f) nicht zum
Form und das Modell gehen dabei stets verloren. Reißen zu bringen.
Alle Gusswerkstoffe sind nach diesem Verfahren
gießbar. Die Feingussstücke haben keine Formtei- Mischen und Verarbeiten der Kreislaufwachse und
lung und sind gratfrei. Feinguss ist ein Seriengieß- die Herstellung von Gussstücken mit wiederholbar
verfahren mit Stückmassen zwischen etwa 2 g und gleicher Genauigkeit sind außer dem Aufbringen
9 kg. Die große konstruktive Freizügigkeit wird durch der Formschalen nach Bild 2-80e) die Präzisions-
den einteiligen Formenaufbau erreicht. arbeiten in der Feingießerei.
66 2 Urformen

Tabelle 2-24. Maßtoleranzen nach VDG-Merkblatt P 690 für Längen, Breiten, Höhen und Mittenabstände in Millimeter für
Feinguss.

Nenn- bzw. Länge, Breite, Höhe Mittenabstand


Grenzmaßbereich
Genauigkeitsgrad

D1 (ohne Toleranzen) D2 (allg. Genauigkeit) D3 (erhöhte Genauigkeit) D1 D3

über bis Abmaß Feld Abmaß Feld Abmaß Feld Abmaß Abmaß

6 ± 0,10 0,20 ± 0,08 0,16


± 0,06 0,12
6 10 ± 0,12 0,24 ± 0,10 0,20
± 0,25 ± 0,16
10 14 ± 0,15 0,30 ± 0,12 0,24
± 0,09 0,18
14 18 ± 0,20 0,40 ± 0,14 0,28

18 24 ± 0,25 0,50 ± 0,17 0,34 ± 0,12 0,23


± 0,32 ± 0,20
24 30 ± 0,30 0,60 ± 0,20 0,40 ± 0,14 0,27

30 40 ± 0,37 0,74 ± 0,25 0,50 ± 0,17 0,33


± 0,50 ± 0,30
40 50 ± 0,44 0,88 ± 0,30 0,60 ± 0,20 0,39

50 65 ± 0,52 1,04 ± 0,38 0,76 ± 0,23 0,46


± 0,71 ± 0,45
65 80 ± 0,60 1,20 ± 0,46 0,92 ± 0,27 0,53

80 100 ± 0,68 1,36 ± 0,53 1,06 ± 0,30 0,60


± 0,90 ± 0,60
100 120 ± 0,76 1,52 ± 0,60 1,20 ± 0,33 0,66

120 140 ± 0,84 1,68 ± 0,65 1,30 ± 0,36 0,71

140 160 ± 0,92 1,84 ± 0,72 1,44 ± 0,38 0,76 ± 1,15 ± 0,85

160 180 ± 1,02 2,04 ± 0,80 1,60 ± 0,42 0,81

180 200 ± 1,12 2,24 ± 0,88 1,76 ± 0,43 0,86

200 225 ± 1,28 2,56 ± 0,95 1,90 ± 0,47 0,93 ± 1,80 ± 1,00

225 250 ± 1,44 2,88 ± 1,05 2,10 ± 0,51 1,02

250 280 ± 1,64 3,28 ± 1,15 2,30 ± 0,56 1,12


± 2,20 ± 1,25
280 315 ± 1,84 3,68 ± 1,25 2,50 ± 0,63 1,26

315 355 ± 2,10 4,20 ± 1,40 2,80 ± 0,71 1,42


± 2,60 ± 1,60
355 400 ± 2,40 4,80 ± 1,60 3,20 ± 0,80 1,60

400 450 ± 2,70 5,40 ± 1,80 3,60 ± 0,90 1,80


± 3,10 ± 2,00
450 500 ± 3,00 6,00 ± 2,00 4,00 ± 1,00 2,00

500 Sind bei Bedarf mit dem Feingießer abzustimmen

In Handarbeit werden die Modelle mit dem Trich- Durch Tauchen in eine breiige, feinkeramische Mas-
ter, den Verteilerstangen und den Läufen zu Modell- se gemäß Bild 2-80c) erhält die Modelltraube den
trauben oder Modellbäumen montiert. Dazu wird hochtemperaturbeständigen Überzug, die sog. Fein-
das Modell am Anguss mit dem erwärmten Spatel schicht. Sie wird beim Gießen unmittelbar mit der
örtlich angeschmolzen und gegen den Gießlauf ge- Schmelze in Berührung kommen und entscheidend
drückt, wie es Bild 2-80b) verdeutlicht. Die Wachs- die Oberflächengüte des Gussstücks beeinflussen.
modelle werden so montiert, dass sie nach dem Gie-
Die Feinschicht besteht aus feingemahlenen feuerfesten Stof-
ßen noch gut mit Hilfe von Trennscheiben oder Band- fen, wie z. B. Quarz, Zirconiumoxid, Korund oder Mullit mit
sägen vom Angusssystem entsprechend Bild 2-80i) Korngrößen kleiner 40 Pm, sowie aus dem Bindemittel Tetra-
abtrennbar sind. ethylsilicat – Si(OC2H5)4 – einem Ester der Orthokieselsäure.
2.5 Form- und Gießverfahren 67

Tetraethylsilicat ist unlöslich in Wasser, in Methanol-Etha- Der erhöhte Genauigkeitsgrad D3 ist den Großseri-
nolgemischen aber gut löslich. Durch Hydrolyse in mit Was- en vorbehalten und entspricht ungefähr der Streu-
ser verdünnten Alkoholen wird das Bindemittel aufgespalten
nach der Gleichung
ung, die gleiche Feingussstücke verschiedener Se-
rien untereinander aufweisen.
Si(OC2H5)4  4 ¹ H2O  Si(OH)4  4 ¹ C2H5OH.
Tetraethylsilicat  Wasser  Kieselgel  Ethanol Die riefenfreie Gussoberfläche hat eine (gemittelte)
Rautiefe Rz 5,9 Pm bis 32 Pm.
Als Ergebnis der Reaktion entsteht das Bindemit-
tel Kieselgel und der sehr leicht verdunstende Alko- Um komplizierte Werkstücke nach dem Feingießver-
hol. fahren wirtschaftlich herstellen zu können, müssen
mehrere der folgenden Voraussetzungen gleichzei-
Die Modelltraube, dünn mit der Feinschicht überzo- tig erfüllt sein:
gen, wird nach dem Abtropfen und Vortrocknen zu- – Das Gussstück wird als Serienteil benötigt.
nächst besandet. Durch sechs- bis zehnmaliges Tau- – Der Fertigungsaufwand muss gering sein, eine
chen und Besanden werden die Schichten aufge- mechanische Bearbeitung sollte nicht mehr er-
backen, bis man bei einer Schalendicke von 5 mm folgen. Der Werkstoff lässt sich nur unter hohem
bis 8 mm eine nach der Erfahrung ausreichende Fes- Aufwand bearbeiten.
tigkeit der Formschale erreicht. – Nichtebene Funktionsflächen und Durchbrüche
mit geforderter hoher Maßgenauigkeit erschwe-
Die Modelltraube wird danach für acht bis zehn ren oder verhindern eine spanende Bearbeitung.
Stunden zum Trocknen bei Raumtemperatur aufge- – Für Bauteile aus Werkstoffen mit besonderen
hängt, hierbei verdunstet der durch Hydrolyse ge- Eigenschaften, z. B. Werkstücke aus hochlegier-
bildete Alkohol. ten Stählen, die eine nur geringe Wanddicke auf-
weisen.
Beim Brennen der Formen wird das Wachs bei Tem-
peraturen um 120 ’C flüssig und fließt aus der Form, Das im Detail nicht einfach lösbare Kombinations-
wie in Bild 2-80f) angedeutet. Es kann zum größ- problem zeigt der bisher geringe Feingussanteil in
ten Teil aufgefangen werden. der Pkw-Fertigung: Zum Beispiel werden aus dem
warmfesten Stahl GX20CrCoMoV12-2 Wirbelkam-
Bei üblichen Brenntemperaturen zwischen 650 ’C mern für Dieselmotoren im Gewicht von ca. 53 g ge-
und 1000 ’C wird das Hydratwasser der Kieselsäu- gossen. Der martensitische Gusszustand erlaubt kei-
re ausgetrieben: ne Bearbeitung der Innenkontur der Wirbelkammer.
Die Einbaumaße in den Zylinderkopf werden durch
Si(OH)4  Wärme  SiO2  2 ¹ H2O.
Außenrundschleifen eingestellt.
Die Formschale ist damit keramisch gebunden. Sie
wird noch warm, freistehend ohne Hinterfüllen ge- Hauptanwendungen für Feinguss sind maßgenaue
mäß Bild 2-80g) abgegossen. Serienteile mit glatten Oberflächen sowie mit ein-
baufertigen Funktionsflächen bei geringstem Bear-
Die Genauigkeit beim Feingießen erreicht man durch beitungsaufwand. Es handelt sich meist um Sonder-
die aufwändige Modell- und Formherstellung. Bei werkstoffe.
den Feingusstoleranzen werden die Genauigkeits-
grade D1 bis D3 unterschieden, Tabelle 2-24. Es gel- Im Bereich des Allgemeinen Maschinenbaus, für
ten die folgenden Abhängigkeiten: Werkzeuge und Armaturen, für Strömungsmaschi-
– D1 für Maße ohne Toleranzangaben, nen und Pumpen, im Chemieanlagenbau, in der
– D2 für allgemeine Genauigkeiten, Feinwerk- und Medizintechnik wird der Feinguss
– D3 für erhöhte Genauigkeiten. zunehmend verwendet.

Den Nennmaßbereichen bis 500 mm ist der Genau- 2.5.2.2 Vollformgießverfahren


igkeitsgrad D1 als Allgemeintoleranz zugeordnet. Im Das Gießen der Schmelze in eine ungeteilte Form, in
Genauigkeitsgrad D2 kann bis zu dem Größtmaß der sich noch ein Schaumstoffmodell befindet, wird
100 mm das Toleranzfeld 1,06 ohne Einschränkung Vollformgießen genannt. Der Modellwerkstoff, ge-
angewendet werden. schäumtes Polystyrol (bekannt als Verpackungs- und
68 2 Urformen

Wärmedämmmaterial), wird in der Modelltischlerei ses sog. Trockensand-Vollformgiessen wird auch als
durch Sägen oder mit dem Heizdraht zugeschnitten. Lost Foam Process bezeichnet. Versuchsweise wer-
Modell und Angusssystem aus Schaumstoff werden den zzt. Zylinderköpfe, Saugrohre, Labyrinthgehäuse
nach dem Handformverfahren (Abschn. 2.5.1.1), z. und sogar komplette Kurbelgehäuse aus Aluminium-
B. mit Kaltharzsand oder Zementsand, eingeformt. legierungen gegossen.
Nach dem Abbinden des Formstoffs verbrennt man,
soweit von außen möglich, einen Teil des Schaum- Das im Jahr 1968 entwickelte Magnetformverfahren
stoffs mit der Gasflamme. Beim vorsichtigen Ein- formt eine geschäumte Modelltraube mit Angusssys-
gießen der Schmelze vergast und verbrennt der Rest tem in rieselfähigem, feinkörnigem Eisenpulver als
vollständig und rückstandsfrei. Die Form muss zu- Formstoff (Teilchendurchmesser betragen 0,1 mm
nächst so langsam gefüllt werden, dass die kohlen- bis etwa 0,5 mm) mittels eines Magnetfelds von et-
wasserstoffhaltigen Zersetzungsgase explosionsfrei wa 1000 Gauß in dem oben offenen Formkasten ein.
in oder außerhalb der Form verbrennen. Das Magnetfeld verdichtet den Formstoff um den
geschlichteten Schaumstoff herum und wird erst
Vollformgießen bietet Kostenvorteile bei mittleren nach dem Erstarren der Gießtraube abgeschaltet.
bis größten Gussstücken in der Einzelfertigung, bei
kleinen Serien und bei Versuchsteilen, da Formarbeit Aus dem wieder rieselfähigen Eisenpulver wird die
und Modellkosten eingespart werden können. Der noch rotwarme Gusstraube entnommen. Der Form-
Käfigläufer gemäß Bild 2-81 kann z. B. nach dem stoff gelangt nach dem Kühlen und Reinigen wieder
Schablonenformverfahren mit Kernen im Herd ein- in den Kreislauf. Hergestellt werden kleine, meist
geformt werden. Für die Alternative, die Vollform, kernlose Seriengussstücke.
werden Schaumstoffblöcke ringförmig zugeschnit-
ten, aneinander geklebt und an den Durchbrüchen Beim Unterdruck-Vollformgießen wird die geschlich-
ausgeschnitten. Kerne sind nicht erforderlich. tete Modelltraube in binderfreiem Quarzsand wie
beim Vakuumformen (Abschn. 2.5.1.1) behandelt.
Das Gussstück ist gratfrei und hat keine Formschrä-
gen. Es wird überwiegend Gusseisen, aber auch Die Wirtschaftlichkeit der Verfahren lässt sich nur
Stahlguss nach dem Vollformverfahren vergossen. schwer beurteilen und muss im Einzelfall am Serien-
gussstück im Vergleich zu konkurrierenden Form-
Neben der Möglichkeit mit mechanisch oder che- verfahren nachgeprüft werden.
misch verfestigtem Formstoff gibt es beim Vollform-
gießen eine weitere Alternative. Dabei wird ein trok-
kener und rieselfähiger Formsand verwendet, der 2.5.3 Formverfahren mit Dauerformen
nur durch leichtes Vibrieren seine optimale Schütt-
dichte erreicht. Beim Einfüllen der Schmelze zer- Die wichtigsten Dauerformverfahren, besonders der
setzt sich das Modell durch Depolymerisation. Die- Druckguss, aber auch der Kokillenguss sind werk-
stoffspezifische Form- und Gießverfahren für weni-
Schaumstoffmodell
ge ausgewählte Legierungen in größeren Serien. Die
Verfahren lassen sich meist zweckmäßiger zusam-
men mit den speziellen Gusswerkstoffen darstellen
(Abschn. 2.3.2.1 Druckgusslegierungen und Abschn.
2.3.2.2 Zink-Druckgusslegierungen). Allgemeine
Kaltharzsand Angaben über Kokillenwerkstoffe und deren Bean-
spruchungen enthält Abschn. 2.1.1.3.

2.5.3.1 Druckgießverfahren
Man unterscheidet das Warm- und das Kaltkammer-
verfahren. Beim Warmkammerverfahren (Bild 2-82)
ist der Warmhalteofen mit der Gießkammer und dem
Bild 2-81 Saugrohr Bestandteil der Druckgießmaschine. Nur
Schaumstoffmodell eines Käfigläufers; die Durchbrüche wer- wenige Zinklegierungen (Abschn. 2.3.2.2) und Ma-
den mit Kaltharzsand kernlos geformt. gnesiumlegierungen (Abschn. 2.3.2.1) können außer
2.5 Form- und Gießverfahren 69

Zinn- und Bleiwerkstoffen nach dem Warmkammer- – Feinschleifen und Läppen,


verfahren vergossen werden, denn einige Schmel- – Hartverchromen und
zen jener Legierungen greifen die Eisenwerkstoffe – Nitrieren
der Pumpe und des Warmhalteofens an. weiter erhöhen. Wichtig ist vor allem bei Leichtme-
tallen das Vorwärmen der Formen auf 200 ’C bis
Nach dem Kaltkammerverfahren werden hauptsäch- 260 ’C und ein Halten der Form beim Gießtakt auf
lich Aluminium- und wenige Magnesiumlegierungen
vergossen. Die Druckgießmaschine und der Warm-
halteofen mit dem Schöpftiegel als Dosiergefäß sind
stets getrennt, wie Bild 2-83 zeigt. Beim Druckgießen
presst man die flüssige oder teigige Druckgusslegie-
rung unter hohem Druck rasch in metallische Dauer-
formen. Der Arbeitsdruck wird durch einen unmit-
telbar wirkenden Kolben auf den Gusswerkstoff
übertragen. Dabei werden auf die Schmelzen Drü-
cke zwischen 70 bar und etwa 1000 bar ausgeübt.

Von den teuren Dauerformen werden lange Haltbar-


keit, hohe Maßgenauigkeit und Oberflächengüte
verlangt. Aus diesem Grund werden sie aus niedrig-
oder hochlegierten dreidimensional durchgeschmie-
deten Warmarbeitsstählen gefertigt, die folgende Ei-
genschaften besitzen sollen:
– Gut bearbeitbar,
– anlassbeständig,
– warmfest,
– verschleißbeständig (Erosion), Bild 2-83
– nicht warmrissanfällig. Waagerechte Kaltkammer-Druckgießmaschine, schematisch.

Die Lebensdauer einer Druckgießform von 50 000 möglichst hoher Temperatur, aber kleinem Tempe-
Abgüssen und mehr kann man mit Verfahren zur raturintervall durch Verwenden geeigneter Kühlsys-
Oberflächenbehandlung, wie z. B. teme.
Gießkammer Aufspannplatte feste Formhälfte Vakuumventil

Gießkolben

bewegliche
Formhälfte

Aufspannplatte

Ventilsteuerung
Saugrohr

Vakuumpumpe

Warmhalteofen Vakuumtank

Bild 2-82
Warmkammergießmaschine Vacural (nach Ritter).
70 2 Urformen

Für Aluminiumlegierungen und Magnesiumguss- Druckgusslegierungen sind nach Ruge und Lutze i.
werkstoffe ist die Kaltkammer-Druckgießmaschine Allg. nicht porenfrei schweißbar. Die Poren werden
(Bild 2-83) besonders geeignet, da der Gusswerkstoff vor allem von dem unter hohem Druck eingeschlosse-
während der kurzen Verweilzeit in der nicht beheiz- nen Wasserstoff verursacht. Die Erfahrung zeigt,
ten Kammer am wenigsten Gelegenheit zur schädli- dass mit schweißtechnischen Maßnahmen jeder Art
chen, qualitätsmindernden Eisenaufnahme hat. keine porenfreien Schweißverbindungen herstellbar
sind. Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten
Bild 2-83 zeigt die Bauart mit waagerecht liegen- führten aber zu einer entscheidenden Verbesserung
der nichtbeheizter Kaltkammer und senkrecht geteil- der Schweißeignung von Druckgusslegierungen.
ter Druckgussform. Der Kolben drückt das flüssige
Metall durch das Anschnittsystem in den Formhohl- Die durch den Gießprozess in den Druckgusswerk-
raum. Die eingeschlossene Luft kann über Kanäle, stoff eingeschleppte Gasmenge muss danach auf un-
z. B. an den Auswerferstiften entweichen. Der erste terkritische Werte verringert werden. Dazu gehört
Teil der Schmelze, der mit der Luft und den Schmier- eine möglichst effektive Entlüftung der Form, die
mitteldämpfen Oxide und Schlieren gebildet hat, relativ einfach realisierbar ist, sowie die Wahl ge-
wird über das Gussstück hinaus in einer Überlauf- eigneter Formtrenn- und Kolbenschmierstoffe und
bohne aufgefangen. Durch Verschieben der Auswer- eine effektive Spülgasbehandlung der Aluminium-
ferplatte werden das Gussstück und das Anschnitt- schmelze. Aluminiumwerkstoffe mit Wasserstoff-
system nach dem Erstarren aus der geöffneten Druck- gehalten … 3 ppm lassen sich erfahrungsgemäß prak-
gießform entfernt. Nach dem Abkühlen auf Raum- tisch porenfrei schutzgasschweißen.
temperatur soll sich das Anschnittsystem mit den
Überlaufbohnen möglichst durch einfaches Abbre- Druckgießen ist das wirtschaftlichste gießtechnische
chen entfernen lassen, so dass nur der Gießgrat in Urformverfahren für Großserien von Gussteilen mit
der Formteilung und die Bruchstellen durch Putzen kleinsten bis mittleren Abmessungen bei Stück-
oder Schleifen geglättet werden müssen. massen unter 40 kg. Es kommt aber sehr darauf an,
Druckgussteile form- und gießgerecht zu konstruie-
Druckgießmaschinen werden mit in der Formtei- ren. Die Freizügigkeit der Gestaltung ist begrenzt,
lung wirksamen Schließkräften zwischen 0,3 MN weil folgende Bedingungen einzuhalten sind:
und 15 MN automatisch und programmgesteuert be- – Stückmassen  40 kg,
trieben. Der Gießtakt läuft dabei wie folgt ab: – mittlere Abmessungen: 100 cm2 bis 1800 cm2,
– Form schließen, Sprengfläche in der Teilungsebene,
– Kerne einfahren, – gleichmäßige Wanddicken von 1 bis 25 mm,
– Entlüften oder Vakuum, – geometrisch einfache Grundkörper,
– Schießen, – keine Hinterschneidungen oder Schieber.
– Halten und Nachdrücken,
– Kerne ausfahren, Hinterschneidungen sind ausschließlich durch Än-
– Form öffnen, dern der Formteilung möglich, weil Sandkerne den
– Gussstück auswerfen. hohen Gießdrücken nicht standhalten. Losteile und
Kernschieber verteuern die Form und machen sie
Der bei kleinen Wanddicken bereits im Anschnitt- störanfälliger. Auch bei dünnwandigen Druckguss-
system erstarrende Gusswerkstoff wird durch den ho- stücken ist in der Formteilung eine Dichtfläche von
hen Gießdruck in 1/100 s bis 1/1000 s z. T. im teigi- 20 mm bis etwa 25 mm Randabstand nötig.
gen Zustand mit Geschwindigkeiten bis zu 100 m/s
im Anschnittquerschnitt in die Form gepresst. Da- Feinkörnige Gussgefüge entstehen durch Überhit-
bei werden unter Wirbelbildung große Gasmengen zen der Schmelze auf etwa 900 ’C und Wahl einer
aus den sich zersetzenden Trennmitteln und dem Kol- möglichst niedrigen Gießtemperatur (630 ’C bis
benfett im Gussstück eingeschlossen. Die Formfül- 650 ’C). Diese Temperaturdifferenz fördert die homo-
lung einer Al-Legierung auf einer Kaltkammerma- gene Keimbildung. Wegen der geringen Löslichkeit
schine wurde von Hansen über ein eingebautes Fens- für Eisen ist es möglich, im Gießofen in einem Eisen-
ter aufgezeichnet. Gefilmt wurden Füllvorgänge mit tiegel unter Schutzgas, d. h. in einem Schwefelhexa-
Kolbengeschwindigkeiten bis 50 m/s durch eine Hoch- fluorid-Kohlendioxid-Luftgemisch zu schmelzen
geschwindigkeitskamera bei 1500 Bildern/s. und mit einer Genauigkeit von “ 7 ’C zu vergießen.
2.5 Form- und Gießverfahren 71

Die Oberflächen der Gussstücke sind nicht korro- – größere Schwindung und hohe Auswerfertempe-
sionsbeständig und oxidieren. Durch eine Nachbe- ratur, einen
handlung, wie z. B. – größeren Speisungsaufwand und große Gießge-
– Beizen mit Salpetersäure, schwindigkeit und eine
– Bichromatisieren mit Kaliumdichromat, – zunehmende Warmrissneigung.
– Anstreichen mit Dispersionen oder
– Beschichten mit Kunststoffen Auch bei Druckguss sind z. B. Festigkeit, Härte und
werden die Oberflächen chemisch beständiger. Viele Zähigkeit wanddickenabhängig. Die oberen Grenz-
Druckgussstücke neigen zur Selbstaushärtung. Dar- werte in Tabelle 2-13 und 2-14 werden bei mittleren,
unter versteht man die meist unerwünschte Ände- gleichmäßigen Wanddicken von 3 mm bis 5 mm er-
rung der Bauteileigenschaften Festigkeit, Härte, Zä- reicht. Dünne und dickere Wände haben, als Folge
higkeit und Maßbeständigkeit in Abhängigkeit von des Herstellverfahrens, ein unregelmäßigeres Werk-
der Auslagerungszeit. stoffgefüge mit Luftblasen, Oxideinschlüssen und
Schlieren. Wegen der freiwerdenden Blasen kann
Ein noch zu lösendes Druckgussproblem ist die Se- man Druckgussstücke i. Allg. nicht schweißen, aus-
rienherstellung öldichter, dünnwandiger Getriebege- härten oder dekorativ oberflächenbehandeln.
häuse. Bei der spanenden Bearbeitung werden Ein-
schlüsse, Lunkerzonen, poröse und schwammige Die Weiterentwicklung der Druckgießtechnik wird
Stellen unter der Gusshaut angeschnitten. Jedes Ge- bei Gussteilen mit mittleren bis dickeren Wänden
häuse wird mehrfach im Fertigungsprozess abge- vorangetrieben durch
drückt oder durch Vakuumimprägnierverfahren mit – Nachdrückverfahren: Die unter dem Druck des
Reaktionsharzen nachgedichtet. Hauptkolbens stehende Schmelze wird mittels
eines Nebenkolbens nachverdichtet.
Die Gießeigenschaften der Magnesium-Alumini- – Thermische Analyse von Druckgießformen: Die
um-Legierungen lassen sich aus dem Zustandsschau- Bestimmung der Temperaturverteilung in einer
bild Mg-Al, Bild 2-84, abschätzen. Die Schmelzen Form ermöglicht – in Verbindung mit Wanddi-
erstarren in einem breiten Temperaturintervall und ckenänderungen – eine gerichtete Erstarrung bei
bilden magnesiumreiche b-Mischkristalle. Wegen gleichmäßigerem Gefüge.
des auf das gleiche Volumen bezogenen und gegen- – Vakuumverfahren: Sie ermöglichen eine Hybrid-
über Aluminiumlegierungen nur halb so großen technik (siehe Bild 2-82), d. h. Verdichten und
Wärmeinhalts der Magnesiumlegierungen werden Nachdrücken der erstarrenden Schmelze erfolgt
die Gießformen thermisch geringer belastet. Die wie beim Kaltkammerverfahren. Die Metalldo-
Standzeiten sind deshalb länger als bei Aluminium- sierung durch das mit dem Warmhalteofen ver-
legierungen. Magnesium-Druckguss ist gekennzeich- bundene Saugrohr ist ein typisches Element des
net durch eine Warmkammerverfahrens.
– größere Lunkerneigung, eine
Mit der Hybridtechnik lässt sich hochwertiger Druck-
700
Druckgussbereich guss erzeugen, der bei weiter verringerten Wanddi-
650 ckentoleranzen durch die Freiheit von eingeschlosse-
Mg3Al2

600
°C
S ner Luft, Kolbenfettdämpfen und Dämpfen von Trenn-
Temperatur J

500 S+ d mitteln auch aushärtbar und schweißbar ist.


436 °C
d 12,6 % 32 %
400
Besonders wirtschaftliche Druckgussserien mit bis
300
d+ g g
zu 1 000 000 Abgüssen je Form lassen sich mit Zink-
200 legierungen auf Warm- oder Kaltkammermaschi-
100 nen herstellen (Abschn. 2.3.2.2). Etwa 50 % der Zink-
0
druckgussstücke werden in Fahrzeuge eingebaut.
0 10 20 30 % 40
Mg Aluminiumgehalt
Der Aluminiumgehalt der Legierungen ermöglicht
Bild 2-84 das Vergießen auf Warmkammergießmaschinen.
Zustandsschaubild Magnesium-Aluminium mit dem für Druck- Denn abweichend von der Kaltkammertechnik (Bild
guss vorteilhaften Konzentrationsbereich. 2-83) bilden beim Warmkammerverfahren (Bild 2-82)
72 2 Urformen

Gießvorratsgefäß und Druckkolben aus Eisenwerk- Die Zuordnung eines Nennmaßes zu den Toleranz-
stoffen mit der Zinkschmelze eine Baueinheit. Der gruppen kann aus Bild 2-85 ermittelt werden. Zur
Aluminiumgehalt der Schmelze begrenzt die Eisen- Gruppe »a« gehören alle Maße, die in einer Form-
aufnahme auf weniger als 0,05 % Eisen. (Bekannt- hälfte liegen, zur Gruppe »b« alle Maße, die von der
lich verbindet sich Eisen beim Feuerverzinken begie- Form- oder Kernteilung durchschnitten werden.
rig mit Zink zu Mischkristallen.)
Beispiel: Eine runde, schmale Abdeckblende mit einer Raum-
diagonalen von 68 mm kann in der Gruppe »a« ein tolerier-
Die Warmkammertechnik erlaubt ein feinfühliges tes Nennmaß von 25 “ 0,1 mm oder von 25 “ 0,26 mm in der
Regeln der Gießtemperatur. Sie ist notwendig, weil Gruppe »b« besitzen.
durch eine Schmelzüberhitzung von etwa 30 ’C be-
Kern Auswerf - Formhälfte Schieber
reits riss- und lunkerhaltige Gussstücke entstehen
können. Günstige mechanische Eigenschaften er- b

zielt man mit einer Schmelzüberhitzung von etwa


20 ’C bei möglichst hohen Formtemperaturen. b

b
a

b
a
Die Gießtemperaturen und Wärmeinhalte der Druck-

a
gusslegierungen GD-AlSi, GD-MgAl und Z410 sind X X
a a
in Tabelle 2-25 der möglichen Anzahl der Abgüsse a
Form- Form-
je Form gegenübergestellt. teilung a teilung
a

Die Formhaltbarkeit, d. h. die Wirtschaftlichkeit


a
des Druckgießens ist demnach in erster Linie von
Einguss - Formhälfte a
der Wärmemenge abhängig, die die Form abzufüh-
ren hat. Die Einflüsse der Strömungsmechanik durch Bild 2-85
den Formenaufbau stehen erst an zweiter Stelle. Einzuhaltende Toleranzen für Zinkdruckguss (nach VDG-
Merkblatt P 680).
Für die werkstoffgerechte Konstruktion von Druck-
gussteilen aus Zinklegierungen sind die ausgezeich- Die Massen von Zinkdruckgussteilen betragen etwa
nete Gießbarkeit und der niedrige Schmelzpunkt zwischen 1g und 3000 g. Auch dickwandige, kom-
 419 ’C bestimmend. Es werden vier übliche Wand- pakte Gussstücke können bei längeren Gießtakten
dickenbereiche unterschieden, die sich hauptsäch- hergestellt werden. Der Hauptvorteil des Zinkdruck-
lich aus Größe, Gestalt, Formschrägen und Radien gusses gegenüber dem Leichtmetalldruckguss sind
des Gussstücks ergeben: die verschiedenen Möglichkeiten der dekorativen
Oberflächenbehandlung. Zinkdruckguss kann nach
Gussstückgröße Wanddickenbereich einem Entfetten und Beizen
– glanzverkupfert und vermessingt,
Kleinstteile 0,3 mm bis 0,6 mm, – vernickelt und verchromt,
Kleinteile 0,6 mm bis 1,0 mm, – versilbert und vergoldet werden.
Mittelteile 1,0 mm bis 1,5 mm,
Großteile 1,5 mm bis 2,5 mm. Dekorative Effekte in abgestuften Brauntönen wer-
den durch Phosphatieren, Patinieren und Teilbürs-
Für Druckgussteile wird im VDG-Merkblatt P 680 ten erreicht. Farbanstriche, Hammerschlaglacke und
der Begriff der einhaltbaren Toleranzen definiert. Beschichtungen mit Kunststoffen lassen sich einbren-
Tabelle 2-26 ist ein Auszug dieser Richtlinie für nen. Die große Menge der dekorativen Massenteile,
Zinkdruckguss. Vier Bereichen von Raumdiagona- wie z. B.
len sind 16 Nennmaßbereiche zugeordnet. – Bau- und Möbelbeschläge,
– Fahrzeug- und Haushaltsmaschinenteile und
Für jede mögliche Kombination werden die Tole- – Spielzeug
ranzgruppen »a« und »b« unterschieden: werden vorzugsweise aus Zinkdruckguss hergestellt.
– a für formgebundene Maße in einer Formhälfte, Die Gussstücke sind auf den ersten Blick meist nur
– b für nicht formgebundene Maße, Formteilung vom Fachmann zu erkennen, z. B die mattverchrom-
überschreitend. ten Schermesserträger bestimmter Trockenrasierer
2.5 Form- und Gießverfahren 73

aus ZP5 mit Wanddicken von 0,9 mm bis 2,9 mm. reicht. Nur für Verschleißteile der Dauerform werden
Die Tür des Miele-Waschautomaten mit einem Außen- an thermisch hoch beanspruchten Eingüssen oder
durchmesser von 385 mm und einem Innendurchmes- Kernen warmfeste Stähle verwendet. Kokillenguss
ser von 255 mm liegt in der Nennmaßgruppe 315 mm wird vergossen in
bis 400 mm nach Tabelle 2-26 und kann in der Tole- – Vollkokillen,
ranzgruppe »a« ohne mechanische Bearbeitung das – Gemischtkokillen oder
Bullauge aus Pressglas geklemmt halten. Angegos- – Halbkokillen.
sen sind das Türscharnier und der Türschlosskas-
ten mit den die Formteilung überschreitenden Ma- Alle Teile der Form bestehen bei Vollkokillen aus
ßen der Toleranzgruppe »b«. Dieses hoch integrier- Gusseisen oder Stahl. Gemischtkokillen bieten die
te relativ große Gussstück ist durch Glanzverchro- Möglichkeit, durch Sandkerne die Gestaltungsfrei-
men dekorativ oberflächenveredelt und verleiht die- heit zu vergrößern. Halbkokillen bilden eine Form-
ser Tür im Vergleich zu anderen Mischbauweisen hälfte an der Dauerform ab, die andere an einer Sand-
eine besonders hohe Steifigkeit. form, meist um Warmrisse zu vermeiden. Das Kokil-
lengießen ist ein Seriengießverfahren, dessen Ent-
2.5.3.2 Kokillengießverfahren wicklung zu
Beim Kokillenguss werden Schmelzen unter dem – höheren Stückmassen ( 100 kg),
Einfluss der Schwerkraft oder geringer Drücke in – druckdichten Gussgefügen,
Dauerformen steigend oder fallend vergossen. Die – glatten Oberflächen (Galvanik) und
Dauerformen bestehen aus dem perlitischen lamel- – hohen Gießleistungen (Mechanisierung)
laren Gusseisen, dem Hämatit. Sie sollen mehr als geführt hat. Das Füllen der Kokillen kann mittels
10 000 Abgüsse aushalten. Durch Cr- und Mo-Zu- Schwerkraftgießen, Niveauverschiebung der Schmel-
sätze sowie niedrige P- und S-Gehalte werden Tem- ze wie in kommunizierenden Röhren oder durch ge-
peraturwechselbeständigkeit und Formstabilität er- ringen Gasdruck auf die Schmelze erfolgen.

Tabelle 2-25. Mögliche Anzahl der Abgüsse von Druckgießformen für Al-, Mg- und Zn-Legierungen (nach Schmidt).

EN AC-AlSi... EN MC-MgAl... ZP5


Druckgusslegierungen
alt: GD-AlSi... alt: GD-MgAl... alt: GD-ZnAl4Cu1

Gießtemperatur °C 650 bis 700 650 bis 700 390 bis 420
Formtemperatur °C 200 bis 280 250 bis 380 150 bis 180

Wärmeinhalt im Bereich kJ/kg 1062 1162 268


von Form- bis
Gießtemperatur kJ/103 cm3 2759 2090 1764

Anzahl der Abgüsse je Form 50 000 bis 120 000 80 000 bis 200 000 200 000 bis 1 000 000

Tabelle 2-26. Auszug aus dem VDG-Merkblatt P 680; Toleranzen in Pm für Zink-Druckgusslegierungen.

Bereich Tole- Nennmaß in mm


der Raum- ranz-
diagonalen gruppe bis über über über über über über über über über über über über über über
6 6 10 18 30 50 80 120 180 250 315 400 500 630 800
bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis bis
mm 10 18 30 50 80 120 180 250 315 400 500 630 800 1000

a 50 60 70 85 100
bis 50
b 120 150 180 210 250
a 60 75 90 105 125 150 175 200
50 bis 180
b 150 180 215 260 310 370 435 500
a 75 90 110 130 160 190 220 250 290 320 360 400
180 bis 500
b 180 220 270 330 390 460 540 630 720 810 890 970
a 90 110 135 165 195 230 270 315 360 405 445 485 550 625 700
über 500
b 240 290 350 420 400 600 700 800 925 1050 1150 1250 1400 1600 1800
74 2 Urformen

Beim mechanisierten Schwerkraftgießen werden Beim Niederdruck-Kokillengussverfahren – Bild


meist mehrere Kokillen zu einem Gießkarussell ver- 2-88 zeigt schematisch das Gießen einer Pkw-Felge
einigt und aus einem Vorrats- und Gießgefäß im – erfolgt die Formfüllung mit Hilfe eines geringen
Takt mit Schmelze gefüllt. Das Gießgefäß in Bild Überdrucks von 0,2 bar bis 0,4 bar auf die Schmelze.
2-86 kann auch als Warmhalteofen mit einer zeit-, Die Kokille ist mit dem Gießofen durch ein Steig-
massen- oder füllstandgesteuerten Gießvorrichtung rohr direkt mit der Schmelze verbunden. Die Form
ausgerüstet werden. Für jedes Kokillengussteil stimmt wird langsam steigend ohne Turbulenz gefüllt. So
man durch sinnvolles Probieren (»Einfahren«) Gieß- entsteht ein Gussgefüge mit ausgezeichneten Ge-
und Kokillentemperatur sowie die Erstarrungszeit brauchseigenschaften. Die Erstarrung ist dabei von
aufeinander ab. oben nach unten gerichtet, damit der Ofen gleichzei-
tig die Funktion eines zentralen, unendlich großen
Beim Kipptiegelgießen wird die Form durch Nive- Speisers übernimmt. Das Ausbringen liegt dann meis-
auverschiebung der Kokille gefüllt. Die Form ist tens über 95 %. Der Anguss wird mit einem Fräser
mit dem Gießgefäß entsprechend Bild 2-87, das entfernt. Die Bohrungen für die Radmuttern lassen
gleichzeitig Vorratsbehälter und Gießofen ist, fest sich gleich mitgießen. Bild 2-89 zeigt ein Beispiel für
verschraubt. In der Stellung »2« wird die Kokille mit die Möglichkeit, das Werkstück durch Verrippun-
Schmelze gefüllt. Der Einguss in die Kokille ist so gen dekorativ zu gestalten.
bemessen, dass die gesamte Schmelze als Speiser Stellung 1: Entformen
wirksam wird. Während der Stellung »1« erstarrt Kokille Füllöffnung
das Gussstück. Die Schmelze im Anschnitt ist noch
flüssig und fließt in den Gießofen zurück.

Das Kokillengießen nach dem Kipptiegelverfahren


Einguss Drehrichtungen
ermöglicht ein hohes Ausbringen. Darunter versteht des Gießgefäßes
man das Verhältnis von Gussstückmasse zur Gesamt-
masse; diese ist die Gussstückmasse einschließlich
Schmelze
der zum Gießen erforderlichen Speiser, Stangen, Gra-
te und Aufmaße. Es gilt:
Stellung 2: Gießen
Gussstückmasse
Ausbringen = ◊100 %.
Gesamtgussmasse
Das Ausbringen und der mögliche Grad der Mecha-
nisierung bestimmen weitgehend die Wirtschaftlich-
keit eines Gießverfahrens. Einfacher Aluminium-
Kokillenguss kann ein Ausbringen bis zu 95 % errei-
chen, Gusseisen bei komplizierter Gestalt des Guss-
teils nur knapp 70 %.
Schmelze Gießgefäß als Bild 2-87
Stopfenbehälter Kipptiegelverfahren in Position »Entformen« (Stellung »1«)
und in Position »Gießen« (Stellung »2«).

Kokille offen zum: Wegen der vorteilhaften Art der Formfüllung und
Auswerfen, Wärmeabfuhr in Kokillen lassen sich feinkörnige,
Reinigen,
Kokille Sprühen blasen- (poren-) und lunkerfreie Gussgefüge erzie-
geschlossen len, die druck- und vakuumdicht sind. Diese Ergeb-
in Gießposition
nisse beruhen im Einzelnen auf den folgenden Tat-
sachen:
– Turbulenzarmes Gießen,
– steigend oder fallend,
Gießkarussell Förderrost – hohe Kokillentemperaturen 250 ’C bis 350 ’C,
Bild 2-86 – Wanddicken 1 mm bis 25 mm,
Mechanisiertes Schwerkraftkokillengießen auf dem Karussell. – Sandkerne und Losteile.
2.5 Form- und Gießverfahren 75

Bewährte Niederdruck-Kokillengussteile sind Fel- lange Muffenrohre für Gas- und Wasserleitungen
gen, Saugkrümmer und Kurbelgehäuse mit sechs aus duktilem Gusseisen mit Kugelgrafit geschleu-
und acht Zylindern. Für Erstausrüstungen werden dert, außerdem Zylinderlaufbüchsen und Kolbenrin-
in Europa mehr als 10 Mill. Felgen je Jahr gegos- ge aus Sondergusseisen. Der Vorteil der Heißkokille
sen. Etwa 5 % günstigere Herstellkosten entstehen, besteht im Wegfall der energieaufwändigen Zer-
wenn die Gießerei im Flüssigverbund mit einem fallsglühung, bei der der unerwünschte Ledeburit
Elektrolysewerk arbeitet. in Eisen und Grafit »zerfällt« (s. Bild 2-33).
Felge Oberform
Die möglichen Durchmesser liegen zwischen et-
wa 65 mm und 600 mm bei Wanddicken von etwa
X X
5 mm bis 50 mm.
Losteil Losteil
Bei den horizontalen Schleudergießmaschinen ist
zum Überwinden des Schwerefelds der Erde gegen-
über anderen Winkellagen die geringste (kritische)
X X Mindestdrehzahl nkr erforderlich, Bild 2-90.
Beispiel:
Für einen Hohlzylinder aus dem Werkstoff Gusseisen mit der
Teilung 3 x 120° Dichtung Unterform
Dichte r O7 g/cm3 und einem Außendurchmesser D 100 mm
Schmelze vom Schmelze mit Überdruck ermittelt man aus Bild 2-90 eine theoretische kritische Dreh-
Gießofen D p = 0,2 bis 0,4 bar zahl nkr von etwa 1300 min 1.
Bild 2-88
Niederdruckkokille für Pkw-Felgen in Position Gießen, sche- Aus gießtechnischen Gründen (Lunker-, Schlacken-
matisch. freiheit und Verdichtung) arbeitet man mit Dreh-
zahlen bis zu 4000 min -1. Die Zentrifugalkraft er-
Bei den Eisengusswerkstoffen sind die Teile für die zeugt den Gießdruck p, der drehzahlabhängig auf
Fahrzeughydraulik, insbesondere Bremszylinder, Werte bis zu 50 bar ansteigen kann.
Bremssattel oder -klaue, typische Kokillengusstei-
le für das Schwerkraftgießen im Karussell. Der Ar- Für die Güte von Schleuderguss ist das Verhalten
maturenguss, vor allem in Messing und in großen von unerwünschten, kleinen Sand- und Schlacken-
Serien in Form von Schwermetall-Kokillengussstü- teilchen unter dem Einfluss der Fliehkraft von beson-
cken, ist weit verbreitet. derem Interesse. Diese spezifisch leichteren, sehr fes-
tigkeitsmindernden Bestandteile der Schmelze kön-
2.5.3.3 Schleudergießverfahren nen sich unter der Wirkung der Zentrifugalkraft nur
Beim Schleudergießen gießt man die Schmelze in
eine um die Mittelachse drehende rohr- oder ring-
förmige Kokille. Der Gusswerkstoff wird als Folge
der drehzahlabhängigen Zentrifugalkraft gegen die
Kokillenwand gepresst und nimmt beim Erstarren
außen deren innere Form an. Diese kann auch pro-
filiert sein. Im Inneren bildet sich symmetrisch zur
Drehachse ein zylindrischer Hohlkörper. Die Wand-
dicke des Hohlzylinders kann durch genaues Ab-
messen oder Abwiegen der Schmelze verkleinert
oder vergrößert werden. Die Drehachse kann hori-
zontal, vertikal oder auch geneigt sein.

Die ersten horizontalen Schleudergießmaschinen


wurden in Deutschland ab 1926 für gusseiserne
Druckrohre mit wassergekühlter Kokille nach de Bild 2-89
Lavaud gebaut. Heute werden in de Lavaud-Kokil- Felgen mit dekorativer Verrippung aus dem dauerveredelten
len, aber auch in Heißkokillen hauptsächlich 6 m Niederdruck-Kokillenwerkstoff GK-AlSi12Mg dv.
76 2 Urformen

an der inneren Oberfläche des Hohlkörpers abschei- 2.5.3.4 Stranggießverfahren


den und sind nicht wie bei allen anderen Gießverfah- Wie schon bei den Kupferwerkstoffen erwähnt, wird
ren im Gussstück regellos verteilt. ein erheblicher Anteil von ihnen als horizontaler
1800
Strangguss (GC) zu Halbzeugen mit Rund-, Sechs-
1
und Vierkantquerschnitt vergossen. Daraus lassen
min sich dann preisgünstige Massendrehteile herstellen.
kritische Drehzahl nkr

1400 Halbzeuge aus Stahl dienen meist als Vorprodukte


1200 für die Umformverfahren. Gießereitechnisch unter-
1000
scheidet sich das Verfahren deutlich von der Form-
gussherstellung. Beim Stranggießen mit Durchlauf-
800
r = 4 g /cm3
Kokille wird die Schmelze einem ortsfesten Urform-
600 werkzeug zugeführt. Je nach Arbeits- und Bauwei-
400 se unterscheidet man dis- und kontinuierlich arbeiten-
r = 8 g /cm3
200
de vertikale und horizontale Stranggießanlagen.
0
0 200 400 600 800 1000 mm 1400 Die Erstarrung der Schmelze beginnt bereits in der
Büchsendurchmesser D Kokille, Bild 2-92. Nach dem Austritt wird der Strang
Bild 2-90 als Voll- oder Hohlprofil bis zur vollständigen Erstar-
Kritische Drehzahl nkr in Abhängigkeit vom Büchsendurchmes- rung durch Wasserduschen gekühlt. Nach dem Ab-
ser D für verschiedene Werkstoffdichten r (nach Hurst). längen werden die Abschnitte ähnlich wie gegosse-
ne Blöcke durch Umformen weiter verarbeitet.
Eine Kokillenanordnung zum Schleudergießen für Warmhalteofen
drei Räder zeigt Bild 2-91. Der Kokillenträger ist
mit dem Antriebsflansch einer Schleuderspindel fest Kaltkreissäge
verbunden, die auch den Ausstoßer enthält. Die vor-
dosierte Schmelze wird über das verschiebbare Gieß-
horn in die sich bereits drehende Kokillenanord- Kokille Wasserkühlung
nung eingegossen. Sobald die erste Kokille gefüllt
ist, wird die Schmelze durch das Gießhorn in Axial-
richtung verschoben und füllt zunächst die zweite
und dann die dritte Kokille. Die Restschmelze wird
vom sog. Überlauf aufgenommen und erstarrt als Einlaufgefäß Abziehvorrichtung
dünner Ring. Bild 2-92
Prinzip einer horizontalen kontinuierlichen Stranggießanlage
Ausstoßer Kokillenträger Kokillen Erstarrter Schmelzenring
(nach Spur).

Die in den Stahlwerken hergestellten Strangguss-


formate liegen bei Knüppelanlagen zwischen 100 mm
Gießhorn
und 550 mm Vierkant und bei Brammenanlagen zwi-
schen 300 mm x 2500 mm. Auf horizontalen Strang-
gießanlagen lassen sich Rundstangen von 30 mm
bis 350 mm Durchmesser, Hohlstangen bis 120 mm
Außendurchmesser und 30 mm bis 60 mm Innen-
durchmesser sowie Sonderprofile aus Gusseisen mit
Überlauf Lamellen- oder Kugelgrafit gießen.

Ein noch neues Anwendungsgebiet ist das senkrech-


te Stranggießen mit elektromagnetisch gerührter
Antriebsflansch Gussringe Fliehkraftverschluss Schmelze (sog. Rheogießen). Dabei wird z. B. bei
Bild 2-91 Aluminiumlegierungen ein feinkörniges, globuliti-
Kokillenanordnung zum Schleudergießen von Gussringen sches Stranggefüge als Voraussetzung für das Thixo-
bzw. Gussrädern, schematisch. gießen erreicht. Bei diesem Verfahren wird der Werk-
2.6 Gestaltung von Gussteilen 77

stoff bei einer Temperatur verarbeitet, die zwischen 2.6.2 Gestaltungsregeln


der Liquidus- und der Solidustemperatur liegt, also
innerhalb des Erstarrungsintervalls. Der Werkstoff ❒ Das Gussstück sollte wegen der einfacheren Mo-
wird somit im halbfesten Zustand verarbeitet. Diese dellgestaltung aus geometrischen Grundkörpern
Technik wird auch als »Semi-Solid Metal Casting« zusammengesetzt sein (z. B. Zylinder, Kegel, Ku-
oder »Thixoforming« bezeichnet. Das nur teilweise bus, Kugel).
(30 %bis 40 %) geschmolzene Rohteil verhält sich ❒ Ebene Flächen sind nach Möglichkeit zu bevor-
wie ein Festkörper und kann mit Roboterzangen in zugen.
die Gießkammer einer Druckgießmaschine einge- ❒ Los- und Ansteckteile sollten nach Möglichkeit
setzt werden. Unter dem Druck des Gießkolbens be- vermieden werden.
wirken die Scherkräfte ein flüssigkeitsähnliches Ver- ❒ Man achte auf eine Spannmöglichkeit für die
halten des Materials (»Thixotropie« 1)). Vorausset- Bearbeitung.
zung für das Thixogießen (es wird gegenwärtig noch ❒ Zu bearbeitende Flächen müssen gut zugänglich
in einem geringen Umfang eingesetzt) ist aber ein sein (Werkzeugauslauf vorsehen).
geeignetes, globulitisches Vormaterial, weil dendriti- ❒ Man wähle die beste Form hinsichtlich der Be-
sche Gefüge das vollständige Einfüllen des halbge- anspruchung (z. B. bei GJL Zugbeanspruchun-
schmolzenen Materials in die verzweigten, dendri- gen vermeiden, s. Abschn. 2.6.4).
tischen Hohlräume (Druckanstieg!) verhindern. ❒ Bei schlag- oder stoßartigen Beanspruchungen
sollte nicht der spröde GJL verwendet werden.
❒ Kerne bei Dauerformverfahren sollte man nach
2.6 Gestaltung von Gussteilen Möglichkeit vermeiden.
❒ Kerne sollten einfach gestaltet und sorgfältig ge-
2.6.1 Allgemeines lagert werden.
❒ Gussstücke aus Gusseisen und (oder) Druckguss
Die Gestaltung eines Gussstücks wird bestimmt vom sollten nach Möglichkeit gleiche Wanddicken
Gießverfahren und dem davon abhängigen Arbeits- haben.
aufwand. Daher beeinflussen auch gießtechnische ❒ Bei Wanddickenänderungen sorge man für all-
Überlegungen die konstruktive Gestaltung. Vom Ent- mähliche Übergänge (Heuverssche Kreismetho-
wurf eines Gussstücks hängen ab die de, Bilder 2-52, 2-96 und 2-97).
– Herstellung des Modells, ❒ Scharfe Kanten, Kerbungen und Materialanhäu-
– anzuwendende Formmethode, fungen sollte man vermeiden.
– erforderlichen Kerne, ❒ Die Rippendicke sr sollte kleiner als die Wanddi-
– Methode des Anschnitts und des Speisens des cke sW (sr O 0,6¹sW bis sr O 0,8¹sW) sein. Auf Ab-
Gussstücks, das rundungen (R O 1/4¹sW bis R O 1/3¹sW) und Form-
– Putzen, die schrägen ist zu achten (Hinweise zu finden in
– Prüfbarkeit und DIN 250, DIN EN 12890).
– Art und Umfang der mechanischen Bearbeitung. ❒ Eingezogene Formen (Unterschneidungen), An-
steckteile am Modell und geschlossene Hohlräu-
Die von der Gießerei zu treffenden Entscheidungen me sollte man nach Möglichkeit vermeiden.
über das Einformen werden weitgehend an Hand ❒ Abweichungen für Maße ohne Toleranzangabe
der Konstruktionsunterlagen vorgenommen. Daher (Allgemeintoleranzen) sind zu beachten. Für die
muss der Konstrukteur wissen, welche Maßnahme folgenden Werkstoffe gelten die nachstehenden
diese oder jene Ausbildung eines Gussstücks erfor- Normen:
dert, um das Werkstück für das einfachste Einfor- – Schwermetalle: DIN 1687,
men und Abgießen gestalten zu können. – Leichtmetalle: DIN 1688,
– Stahlguss (GE, GS, GX): DIN EN 10293,
1)
Der Begriff der Thixotropie (griechisch: thixis »das Berüh- – Temperguss (GJMW, GJMB): DIN 1684,
ren« und trepo »ich ändere«, d. h. Ändern durch Berüh- – Gusseisen mit Kugelgrafit (GJS): DIN 1685,
ren Beanspruchen) bezeichnet bei Nicht-Newtonschen
– Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL):
Fluiden eine Abhängigkeit der Fluid-Viskosität von der
mechanischen Krafteinwirkung und deren Dauer. Bei kons- DIN 1686.
tanter Scherspannung wird im Laufe der Zeit ihre Visko- ❒ Bei komplizierten Teilen wende man die Guss-
sität geringer, d. h. sie werden dünnflüssiger. Verbundschweißung an (Bild 2-41).
78 2 Urformen

2.6.3 Gießgerechte Gestaltung Gestaltung


unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-93
Infolge unterschiedlicher Abkühlgeschwindigkeit
erstarrt der flüssige Werkstoff im Inneren einer örtli-
chen Materialanhäufung später als in den anschlie-
Lunker
ßenden dünneren Partien. Da das Volumen der Guss-
werkstoffe im flüssigen Zustand größer ist als im
festen, bilden sich in Werkstoffanhäufungen Hohl-
stellen, sog. Lunker. Gießtechnische Maßnahmen,
wie z. B. das Anbringen geschlichteter Kühlplatten Kühlplatten
(Abschn. 2.4.3), zusätzlicher Steiger oder Kerne, ver-
teuern das Gussstück. Bild 2-93

Lunker

Bild 2-94
Durch einfache konstruktive Änderungen lassen
sich die im Text zu Bild 2-93 beschriebenen Mate-
rialanhäufungen in vielen Fällen ohne großen Mehr-
aufwand schon bei der konstruktiven Gestaltung
vermeiden, Bild 2-94. Bild 2-94

s s

R = 0,25 s
°
30

Lunker bis
R = 0,30 s
Bild 2-95
Auch an Übergangsstellen, die zu große Abrundun-
gen aufweisen, entstehen Werkstoffanhäufungen
(Lunkergefahr). Außerdem verteuern große Abrun-
dungen die Herstellung des Modells. Die Rundungs-
halbmesser (R) sollen ein Viertel bis ein Drittel der
Wanddicke (s) betragen. Bild 2-95

A2 = 1,00

Bild 2-96
Ein einfaches Hilfsmittel zur Kontrolle von Material-
anhäufungen ist die Heuverssche Kreismethode. Bei
einer gießgerechten Konstruktion soll das Verhältnis
(A1 /A2) jeweils benachbarter einbeschriebener Kreis- A1 = 2,13 A1 = 1,48

querschnitte nahe bei eins liegen (Tabelle 2-19). Bild 2-96


2.6 Gestaltung von Gussteilen 79

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-97
Um Gussstücke aus Werkstoffen mit großer Erstar-
rungskontraktion (z. B. Stahlguss GS bzw. GE) dicht
speisen zu können, sind die Wanddicken besonders
sorgfältig auszulegen. Auch in diesen Fällen wer-
den die Heuversschen Kontrollkreise angewendet.
Bei einer gießgerechten Konstruktion müssen die
Flächen der Kreise zum Speiser hin größer werden
(gelenkte Erstarrung).

Bild 2-97

Bild 2-98

5
Riss Lunker
Bei Übergängen von einer dünnen Wand in eine di-
ckere besteht bei einer zu kleinen Ausrundung Riss-
gefahr, bei zu großer Rundung Gefahr der Lunker- 1
bildung. In diesem Fall ist ein allmählicher Über-
gang mit einer Steigung von etwa 1:5 vorzusehen. Bild 2-98

s2
Bild 2-99

R
i
Bei Übergängen mit Rundungen zwischen unglei-
Ra
chen Wanddicken sollten folgende Werte angestrebt
werden: s1
Ri (sl  s2) / 2 und
Ra sl  s2. Bild 2-99

Lunker
s
s

Bild 2-100
a
R

Ri
Bei Übergängen mit Rundungen zwischen gleichen
Wanddicken sollten sein:
Ri 0,5 ¹ s bis 1,0 ¹ s und s s
Ra Ri  s,
anderenfalls besteht die Gefahr der Lunkerbildung. Bild 2-100

Bild 2-101
Werkstoffanhäufungen (und damit Lunker) lassen Lunker Rippe
sich häufig auch durch Aussparung und Verrippung
vermeiden. Bild 2-101
80 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-102
Rippen zwischen Wand und Nabe vermindern die Rippe
Rissgefahr.

Bild 2-102

Bild 2-103
Zum Vermeiden einer Luftblasenbildung – sie er-
zeugt eine unansehnliche Oberfläche – sollten Schei-
benflächen schräg angeordnet werden. Bild 2-103

Lunker

s
Bild 2-104
Rippen sollen zur Herabsetzung der Gussspannung
stets dünner als die Wanddicke ausgeführt werden.
Die Rippendicke sollte das 0,8fache der Wanddicke
0,8 s
s betragen. Bei beiderseits angeordneten Rippen ist
zur Verringerung der Werkstoffanhäufung (Lunker-
gefahr) ein Versatz erforderlich. Bild 2-104
Schnitt A - B Schnitt C - D

Bild 2-105 A B C D

Versteifung in einem Gussfundament. Materialan-


häufung wird durch Auseinanderlegen zweier Rip-
penanschlüsse und Durchbruch der Rippe in der
Ecke des Gehäuses vermieden. Bild 2-105
2.6 Gestaltung von Gussteilen 81

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-106
Knotenpunkte, in denen Rippen oder Wände aufein-
ander treffen, bilden Werkstoffanhäufungen, die
man durch besondere Gestaltung, durch das Einle-
gen von Kernen oder durch Speisung auflösen kann.
Anderenfalls besteht die Gefahr der Lunkerbildung.

Lunker

Kern

Bild 2-106

Bild 2-107
Die Sternverrippung (links) ist derart starr, dass für
das Abkühlen des Gussteils nach dem Gießen kein
Schwindungsspielraum bleibt und dadurch erhebli-
che Spannungen auftreten können (Rissgefahr).

Die Wabenverrippung (rechts) behindert das Schwin-


den des Gussstückes in der Form nur wenig. Daraus
resultiert ein niedriger Eigenspannungszustand, so
dass die Gefahr des Auftretens von Rissen nicht
mehr gegeben ist. Trotzdem wird eine hohe Bauteil-
festigkeit erreicht. Bild 2-107

Bild 2-108
Hinweise für das Anordnen von Verrippungen. Bild 2-108
82 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-109
Komplizierte Gussstücke erfordern mehrere Teilungs-
ebenen oder zusätzliche Kerne. Durch eine bessere
Gestaltung kann man Teilungsebenen und Kerne
einsparen.

Kern
Teilungsebene

Bild 2-109

Bild 2-110
Teilungsebenen sollten so gelegt werden, dass Flä-
chen, die unbearbeitet bleiben und maßhaltig sein
sollen, nicht durch die Formteilung getrennt wer-
den. Man vermeidet dadurch außerdem einen mög-
lichen Versatz. Bild 2-110

Grat Grat

Bild 2-111
Die Teilungsebene ist so zu legen, dass das Werk-
stück entgratet werden kann. Liegt die Formteilung
unzweckmäßig, so wird das Entgraten erschwert
und verteuert. Bild 2-111
Grat Grat Rippe Rippe

Bild 2-112
Beim Ventilgehäuse in konventioneller Ausführung
(links im Bild) sind die Grate zwischen den beiden
Flanschen nur schwierig zu entfernen; mit Hilfe von
Rippen (rechts im Bild) werden die Grate nach au-
ßen gelegt und lassen sich problemlos entfernen. Bild 2-112

Bild 2-113
Gebrochene Formteilungsebenen sind möglichst zu
vermeiden und durch gerade Teilungsebenen zu er-
setzen. Bild 2-113
2.6 Gestaltung von Gussteilen 83

Bild 2-114
Ist die Formteilungsebene festgelegt, dann ist da-
rauf zu achten, dass die Außenflächen in Aushebe-
richtung schräg liegen. Sonst lassen sich die Model-
le nicht aus der Form heben, ohne dass diese beschä-
digt wird.

Bild 2-114

Bild 2-115
Nach DIN EN 12890 sind die Formschrägen (a ) in
der Zeichnung in Winkelgraden anzugeben. Bei feh-
lenden Innenschrägen benötigt man Innenkerne. Bild 2-115

l 1°

Bild 2-116
Auch Querrippen und Augen sind so zu gestalten,
dass sich die Modelle leicht aus der Form heben las-
sen (Hinterschneidungen vermeiden, weil sie An-
steckteile erfordern). Bild 2-116

Bild 2-117
Kerne sind teuer und erschweren das Einformen.
Sie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. An-
zustreben sind offene Querschnitte. Notwendige
Öffnungen sind so zu legen, dass Kerne nicht erfor-
derlich sind. Bild 2-117
84 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-118
Kerne möglichst einfach gestalten, um den Aufwand
bei der Kernherstellung gering zu halten, d. h. die
Wirtschaftlichkeit des Prozesses zu verbessern.

Bild 2-118

Kern

Aushebung Aushebung

Bild 2-119
Bearbeitungsleisten werden häufig so gestaltet, dass
Kerne eingelegt werden müssen. In vielen Fällen
kann auf die Arbeitsleisten verzichtet und ins Vol-
le gearbeitet werden. Bild 2-119

Bild 2-120
Sind Kerne notwendig, dann müssen sie sorgfältig Kernstützen
gelagert werden, weil sie durch das flüssige Metall
einen großen Auftrieb erhalten. Einseitige Kernlage-
rungen sind zu vermeiden, da die in diesem Fall not-
wendigen Kernstützen zur Bildung von Poren und
Fehlstellen beitragen. Deshalb ist eine zweiseitige
Kernlagerung oder eine seitliche Abstützung anzu-
streben. Bild 2-120

Bild 2-121
Kerne müssen nach dem Abguss entfernt werden.
Hierfür sind ausreichende und genügend große Putz- 4 Kernmarken
öffnungen vorzusehen, die auch zur Kernlagerung
(Kernmarken) dienen. Dadurch werden Kernstützen
und damit undichte Stellen im Guss vermieden. Öff-
nungen mit einem Durchmesser d  30 mm sind für
Putzarbeiten unzureichend. Sie können mit Kern-
stopfen wieder verschlossen werden. Bild 2-121
2.6 Gestaltung von Gussteilen 85

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-122 und 2-123
Scharfe Kanten sind zu vermeiden, da sie gießtech-

R
nisch schwer zu verwirklichen sind und zu Rissen
führen. Die Rundungshalbmesser R sollten ein Drit-

s
tel bis ein Viertel der Wanddicke s betragen. Nur R
bearbeitete Flächen bilden mit der rohen Gusswand
scharfe Kanten. Bild 2-122

R
R

R
R
Bild 2-123

2.6.4 Beanspruchungsgerechte
Gestaltung
Bei der Konstruktion von Gussteilen müssen die im
Betrieb und bei der Bearbeitung auftretenden Bean-
spruchungen zugrunde gelegt werden. Zug- und Bie-
gebeanspruchungen sollten – besonders bei GJL –
zugunsten von Druckbeanspruchungen vermieden
werden. Gusswerkstoffe (vor allem GJL!) sind au-
ßerdem besonders kerbempfindlich. Daher sind Ker-
ben, d. h. Querschnittssprünge unbedingt zu vermei-
den.

Bild 2-124 F Zug F Zug


Für die Aufnahme von Biegemomenten, wie z. B.
bei einem Wandlagerarm, soll die neutrale Faser so
gelegt werden, dass der Zugspannungsbereich klei-
ner ist als der Druckspannungsbereich, damit die
Druck Druck
gefährlichen Zugspannungen (besonders bei GJL)
gering gehalten werden. Bild 2-124

Zug Druck

p p
p p

Bild 2-125
Durch richtige Formgebung kann die in einem Zylin-
derdeckel durch den Innendruck bewirkte Zugspan-
nung in eine Druckspannung umgewandelt werden. Bild 2-125
86 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-126
Auch die im Fuß des Lagerbocks auftretende Biege-
spannung (Gefahr der Rissbildung!) lässt sich mit
Hilfe einer beanspruchungsgerechten Gestaltung er-
heblich vermindern.

Riss

Bild 2-126

Bild 2-127
Die Beanspruchung eines offenen Profils auf Tor-
sion ist wenig sinnvoll, da man zur Aufnahme der
Verdrehkräfte sehr große Querschnitte benötigt.
Trotz der teureren Kernarbeit ist in diesem Fall ein
Hohlprofil vorteilhafter. Bild 2-127

Bild 2-128

Bild 2-128 und 2-129


Lagerböcke und Hebel werden in der Regel nicht
auf Torsion beansprucht. Deshalb ist hierfür eine
offene Rippenbauweise zur Aufnahme der Zug- und
Druckkräfte ausreichend. Außerdem sind geschlos-
sene Bauteile (Hohlprofile) extrem steif, d. h., bei ei-
ner schlagartigen oder (und) dynamischen Beanspru-
chung sind sie sehr rissempfindlich. Bild 2-129
2.6 Gestaltung von Gussteilen 87

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-130 h
Rippen mit konisch auslaufender und abgerundeter R
w

Form sind bei einer Biegewechselbeanspruchung


anrissgefährdet. R
s
An Durchbrüchen entstehen hohe Randspannungen.
Zum Vermindern dieser Spannungen an den Rippen-
enden und Durchbrüchen werden Wülste vorgese-
hen. Die Wulsthöhe h, der Wulstradius Rw und der

w
R
Ausrundungsradius R werden durch folgende Wer- R
te bestimmt:

h
h (0,5 ... 0,6) ¹ s;

s
Rw 0,5 ¹ s;
R (0,25 ... 0,35)¹ s. Bild 2-130

2.6.5 Fertigungsgerechte Gestaltung

Bild 2-131
Wichtige Voraussetzung für die nachfolgende spa-
nende Fertigung ist ein gutes und sicheres Spannen
des Werkstücks. Gussstücke müssen häufig auf zum
Spannen ungeeigneten Flächen aufliegen. In solchen
Fällen sind Stützen anzugießen, die man nach dem
Bearbeiten leicht abtrennen kann. Bild 2-131

Bild 2-132
Um Bearbeitungszeit zu sparen, sollten Standflä-
chen von Maschinen so unterteilt werden, dass nur
schmale Leisten oder Füße spanend zu bearbeiten
sind. Spart man die Fläche nur aus, so wird die Be-
arbeitungszeit oft nicht verringert, da das Werkzeug
auch in diesem Fall die gesamte Fläche mit der Vor-
schubgeschwindigkeit durchlaufen muss. Bild 2-132

a a
R
R

Bild 2-133
Befestigungsschrauben erfordern ausreichende Wand-
abstände a, damit sie mit Schraubenschlüsseln ange-
zogen werden können und nicht von den Gussrun-
dungen R behindert werden. Bild 2-133
88 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-134
Befestigungsschrauben dürfen nicht an unzugängli-
chen Stellen, z. B. zwischen Rippen, sondern nur auf
freiliegenden Augen oder Flanschen angeordnet
werden.

Bild 2-134

Bild 2-135
Rippen sollten möglichst niedriger als die Wandung
ausgeführt werden, um die Bearbeitung ihrer Stirnflä-
chen zu sparen. Bild 2-135

Wälzfräser

Bild 2-136
Stirnfräser
Bei zu bearbeitenden Flächen ist auf einen ausrei-
chenden Auslauf für das verwendete Werkzeug zu
achten. Die Flächen sollen gut zugänglich sein, weil
das Werkzeug diese auch erreichen muss. So kann
in der gezeigten zweckmäßigen Ausführung sowohl
mit dem Wälz- als auch mit dem Stirnfräser gearbei-
tet werden. Bild 2-136

Bild 2-137
Bei Drehkörpern muss der Drehmeißel auch bei un-
a a
rund ausgefallenen Gussstücken (z. B. durch Kern-
versatz) auslaufen können. Die Bearbeitungsflächen
sind daher ausreichend von den unbearbeiteten Flä-
chen abzusetzen, damit das Maß »a« nicht zu klein
wird (Allgemeintoleranzen beachten). Bild 2-137
2.6 Gestaltung von Gussteilen 89

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-138
Bearbeitungszugabe
Bei Werkstücken mit langer Bohrung sollte der Kern
so gestaltet werden, dass eine durchgehende Bearbei-
tung des Innendurchmessers nicht nötig ist. Bei der
Bemessung des Kerns sind die jeweiligen Allgemein-
toleranzen (Kernversatz) zu berücksichtigen.

Bild 2-138

Bild 2-139
Dicht nebeneinanderliegende Flächen sollte man zu
einer zusammenfassen, um die Anschnittmöglich-
keiten zu erweitern. Bild 2-139
h

Bild 2-140
Wenn die Funktion es zulässt, sollten mehrere Be-
arbeitungsflächen auf einer Höhe liegen (h 0), um
die Bearbeitung zu vereinfachen. Beim Einsatz von
NC-Maschinen kann man darauf verzichten. Bild 2-140

Bild 2-141
Schräg liegende Bearbeitungsflächen sind zu ver-
meiden, da die Werkstücke schwieriger zu spannen
sind und deshalb häufig Sondervorrichtungen benö-
tigt werden. Bearbeitungsflächen ordne man daher
möglichst rechtwinklig zueinander an. Bild 2-141

Bild 2-142
Beim schrägen Anbohren von Flächen brechen die
Werkzeuge leicht oder verlaufen. Dem kann durch
Umgestaltung der Wände oder durch Anbringen von
Augen abgeholfen werden. Bild 2-142
90 2 Urformen

2.6.6 Normung von Erzeugnissen aus 31690 Gehäusegleitlager


Gusseisen EN 118 Steh-Gleitlager für allg. Maschinenbau
ISO 6280 Gleitlager; Anforderungen an Stützkör-
Im Folgenden sind einige wichtige DIN-Normen per für dickwandige Verbundgleitlager.
für Erzeugnisse aus Gusseisen aufgeführt.
Transmissionen
DIN Bezeichnung 111 Flachriemenscheiben, Maße

Flansche Ventile
2500 Flansche – Allgemeine Angaben, Über- 86251 Absperrventile aus Gusseisen mit La-
sicht mellengrafit, mit Flanschen
2501-1 Flansche, Anschlussmaße 86252 Absperrbare Rückschlagventile aus
EN 1092-2 Flansche und ihre Verbindungen – Gusseisen mit Lamellengrafit, mit Flan-
Runde Flansche für Rohre, Armaturen schen
EN 1591 Berechnung von Flanschverbindungen EN 593 Klappen
EN 12334 Rückflussverhinderer aus Gusseisen
Handräder
390 Handräder, gekröpft, Nabenloch ge-
rader Vierkant 2.6.7 Normung von Erzeugnissen aus
950 Handräder, gekröpft, Nabenloch rund Stahlguss
3220 Handräder, flach, Nabenloch gerader
Vierkant Für Stahlguss sind u. a. die folgenden DIN-Normen
3319 Handräder, gekröpft, Nabenloch ver- wichtig:
jüngter Vierkant
DIN Bezeichnung
Kupplungen
116 Scheibenkupplungen, Maße Flansche
EN 115-1 Schalenkupplungen, Maße 79 Vierkante für Spindeln und Bedien-
teile
Lager 2548 Stahlgussflansche, Nenndruck 160
189 Sohlplatten, Hauptmaße 2549 Stahlgussflansche, Nenndruck 250
502 Flanschlager, Befestigung mit 2 Schrau- 2550 Stahlgussflansche, Nenndruck 320
ben 2551 Stahlgussflansche, Nenndruck 400
503 Flanschlager, Befestigung mit 4 Schrau- 3220 Handräder, flach – Nabenloch mit ver-
ben jüngtem Vierkant
504 Augenlager EN 1092-1 Flansche, Übersicht
505 Deckellager, Befestigung mit 2 Schrau-
ben Handräder
506 Deckellager, Befestigung mit 4 Schrau- 950 Handräder, gekröpft
ben
736 Stehlagergehäuse für Wälzlager der Ventile
Durchmesserreihe 2 mit kegeliger Boh- 3160 Durchgang-Absperrventile für Kälte-
rung und Spannhülse, Hauptmaße mittelkreislauf, Nenndruck 25
737 Stehlagergehäuse für Wälzlager der 3161 Eck-Absperrventile für Kältemittel-
Durchmesserreihe 3 mit kegeliger Boh- kreislauf, Nenndruck 25
rung und Spannhülse, Hauptmaße 3163 Durchgang-Regelventile für Kältemit-
738 Stehlagergehäuse für Wälzlager der telkreislauf, Nenndruck 25
Durchmesserreihe 2 mit zylindrischer 3356-1 Ventile, allgemeine Angaben
Bohrung, Hauptmaße 3356-5 Nichtrostende Stahlgussarmaturen,
739 Stehlagergehäuse für Wälzlager der Schrägsitz-Durchgangventile mit Bü-
Durchmesserreihe 3 mit zylindrischer gelaufsatz
Bohrung, Hauptmaße EN 593 Klappen
2.7 Urformen durch Sintern (Pulvermetallurgie) 91

2.7 Urformen durch Sintern – Man benötigt beim Pressen große Kräfte, gro-
ße Pressen und hochwertige Presswerkzeuge.
(Pulvermetallurgie) Sintern ist also nur für Serien wirtschaftlich.
– Nur einfache Grundkörper (Prismen, Kegel,
Die Entwicklung der Pulvermetallurgie begann Quader) ohne Hinterschneidungen und mit mög-
vor etwa 80 Jahren mit Sonderwerkstoffen aus den lichst geringem Höhen/Durchmesser-Verhält-
hochschmelzenden Metallen Wolfram und Molyb- nis sind gut pressbar.
dän, die schmelzmetallurgisch nicht herstellbar wa- – Mit bestimmten Pulvern oder Pulvermischun-
ren. Die daraus entwickelte Fertigungstechnik wur- gen lassen sich porenfreie und schwindungsar-
de zunächst vor etwa 40 Jahren auf im flüssigen Zu- me Sinterteile bisher nicht herstellen.
stand nicht mischbare Legierungen wie Gleitlager
aus Kupfer-Zinn-Blei, Kontaktwerkstoffe aus Kup- Der Einteilung der Fertigungsverfahren in DIN 8580
fer-Grafit und Schneidstoffe aus Wolframcarbid- entsprechend ist die Pulvermetallurgie der Teil der
Kobalt übertragen. Werkstücke mit einer definiert Metallurgie, der sich auf die Herstellung von Metall-
porigen Struktur für Dichtungen, Filter und war- pulvern oder Gegenständen durch Formgebungs-
tungsfreie Tränklager wurden durch unterschiedlich und Sinterprozesse bezieht. Die dafür erforderliche
starkes Verdichten der Pulver entwickelt. Fertigungstechnik, auch Sintertechnik genannt, um-
fasst mindestens drei Verfahrensstufen:
Heute bieten pulvermetallurgisch hergestellte Sin- – die Pulvererzeugung,
terteile gegenüber den konkurrierenden Urform- – die Presstechnik und
und Umformverfahren wie – das Sintern.
– Feinguss und Druckguss,
– gratfreies Schmieden und
– Warm- und Kaltfließpressen 2.7.1 Pulvermetallurgische
eine Reihe von Vorteilen: Grundbegriffe
– Der weitgehend mechanisierte Fertigungsablauf
führt zu maßhaltigen Sinterfertigteilen, die meist Der Hersteller von Sinterteilen, der meist nicht Pul-
nicht weiter bearbeitet werden. vererzeuger ist, benötigt möglichst reine Pulver ei-
– Der eingesetzte Pulverwerkstoff wird nahezu ner vorgegebenen Zusammensetzung. Die Verarbei-
100%ig ausgenutzt, weil Anschnitte, Speiser, tungseigenschaften des Pulvers, hauptsächlich die
Grate und Zugaben fehlen. Pressbarkeit, das Sinterverhalten und die Schwin-
– Beim Sintern entsteht keine Schlacke. Das Sin- dung, müssen gleichbleibend sein.
terteil ist deshalb reiner als Guss- oder Schmie-
destücke. Tiegel oder Zuschläge ähnlich wie in Für eine Serienfertigung von Sinterteilen muss für
der Schmelzmetallurgie werden nicht benötigt. die Presseneinstellung zunächst der Füllfaktor er-
– Das sorgfältige Mischen verschiedener Metall- mittelt werden. Dieser ist der Rauminhalt des lose
pulver führt zu Werkstoffen, die sonst wegen ei- eingeschütteten Pulvers, bezogen auf das Volumen
ner Mischungslücke im flüssigen Zustand nicht des fertigen Presslings. Für den Füllfaktor in einem
herzustellen sind. Werkzeug gilt:
– Die Erzeugung von Verbundwerkstoffen und nicht
Füllhöhe
legierbaren sog. Pseudolegierungen, bestehend Füllfaktor = .
aus Metallen und Nichtmetallen, ist möglich. Fertighöhe
– In Sinterwerkstoffen werden keine Seigerungen Bild 2-143 verdeutlicht den Zusammenhang. Füllfak-
beobachtet. toren zwischen 1,9 und 2,5 sind z. B. bei Eisenpul-
– Bei Sinterformteilen sind Energieeinsparungen ver mit einem spezifischen Füllvolumen von unge-
von etwa 50 % gegenüber spanend hergestellten fähr 40 cm3/100 g und einer Einfülldichte, der Schein-
Teilen aus Profilen, Schmiede- oder Gussstü- dichte, von 2,5 g/cm3 zu erreichen. Für den automati-
cken möglich. sierten Pressvorgang ist das Fließverhalten der Pul-
ver eine wichtige Verarbeitungseigenschaft. Die Pul-
Diesen Vorteilen stehen allerdings auch heute noch vermischung soll den Presswerkzeugen aus einem
einige Nachteile gegenüber: im Allgemeinen erhöhten Zwischenbehälter mög-
– Die Pulver und Pulvergemische sind teuer. lichst ohne Entmischung zufließen.
92 2 Urformen

Das Fließverhalten misst man als Ausflusszeit in Se- Gesinterte Bronzezahnräder und -ritzel haben als
kunden von z. B. 50 g Pulver aus einem Trichter mit Hauptsiebfraktion Teilchen mit einer Größe von et-
60 ’ Kegelwinkel und einer Ablaufbohrung von 5 wa 50 Pm. Feinstpulvermischungen aus Hartstoffen
mm Durchmesser. Im Auffangbehälter kann das spe- wie Wolframcarbid oder Bornitrid und Sonderme-
zifische Füllvolumen gemessen werden. tallen wie Kobalt oder Nickel mit Teilchengrößen
unter 5 Pm sind nur mit Presshilfsmitteln – dies sind
Die Raumerfüllung des Pulvers und die Fließ- und Stearate der Metalle Lithium und Zink sowie synthe-
Presseigenschaften sind hauptsächlich von der Teil- tisches Mikrowachs – verarbeitbar. Ohne Hilfsstof-
chengrößenverteilung des Pulvers, der sog. Siebli- fe klemmen sie im Werkzeugsatz.
nie, und von der Teilchenform abhängig. Modellver-
suche mit Glaskugeln gleicher Größe haben gezeigt, Haufwerke von Teilchen werden allgemein gemäß
dass die dichteste Kugelpackung, Bild 2-144a), die DIN EN ISO 3252 nach ihrem mittleren Teilchen-
maximal mögliche Raumerfüllung, bei losem Ein- durchmesser D wie folgt bezeichnet:
füllen in ein Gefäß oder Werkzeug nicht von selbst – Granulate: D > 1 mm,
erfolgt. Die Hohlräume und die zu brückenartigen – Pulver: D < 1 mm,
Anordnungen abgestützten Teilchen – angedeutet – Kolloide: D < 1 Pm.
in Bild 2-144b) – müssen zunächst durch Klopfen,
Rütteln oder Stampfen beseitigt werden. Aus dem
dadurch entstehenden Klopfvolumen ergibt sich ei- 2.7.2 Pulvererzeugung
ne größere Dichte, die Klopfdichte.
Durch den Werkstoff, die Art der Herstellung beson-
Pulver mit unterschiedlicher Korngröße füllen i. Allg. ders aber durch die Teilchenform und -größe, wird
einen Raum besser aus, wie Bild 2-145 zeigt, als Pul- die Verdichtung des Pulvers zu Presslingen stark be-
ver mit etwa gleicher Teilchengröße. Von der Kugel- einflusst. Die unterschiedlichen Verfahren der Pul-
form sehr abweichende Teilchenformen wie eckig, verherstellung erzeugen ein typisches Kornspekt-
spratzig oder flitterförmig zeigen keine lineare Be- rum. Mittels Sieben oder bei Feinstpulver mittels
ziehung zwischen Sieblinie und Raumerfüllung. Schlämmen teilt man das Korngemenge in Fraktio-
nen auf. Durch sorgfältiges Mischen bestimmter
Für Tränklager sind Eisenteilchengrößen von etwa Kornfraktionen wird ein synthetisches Teilchenge-
150 Pm nötig, um gleichbleibend 25 % Porenraum misch eingestellt, das sich in vorausgegangenen
für das Schmiermittel (Volumengehalt etwa 22 % Pressversuchen als gut verdichtbar erwiesen hat.
Öl) zu schaffen.
Die wichtigsten Verfahren zur Pulvererzeugung kön-
Oberstempel nen grob in mechanische Verfahren und physikalisch-
chemische Verfahren eingeteilt werden:

Matrize

mechanisch physikalisch-chemisch
Füllhöhe

Fertighöhe Zerkleinern Zerstäuben Reduktion elektrolytische


in Mühlen von Schmelzen von Oxiden Abscheidung

Mechanisches Zerkleinern von Metallen und Verbin-


dungen in Mühlen mit Hämmern, Kugeln oder Stamp-
fern ergibt ein Gemenge mit einem Teilchendurch-
messer von 50 Pm bis herab zum Feinststaub (5 Pm
Durchmesser). Es lassen sich spröde Verbindungen,
Unterstempel Carbide, Nitride, Boride, aber auch zähe Metalle, Ei-
Bild 2-143 sen und Stahl, Aluminium, Bronze sowie Folienab-
Zum Begriff Füllfaktor am Presswerkzeug zum einseitigen fälle mahlen bzw. zerkleinern. Es wird trocken, un-
Pressen. ter Schutzgas oder auch nass gemahlen.
2.7 Urformen durch Sintern (Pulvermetallurgie) 93

Das Zerstäuben einer Metallschmelze durch Press- nyleisen, Carbonylnickel und Kohlenmonoxid. Da
luft, Druckwasser oder inerte Gase unter Druck wird die Begleitelemente des Eisens und Nickels keine
als Granulieren, Zerstäuben, Verspritzen oder auch Carbonyle bilden, sind die Pulver hochrein, aber teu-
Verdüsen bezeichnet. Pulver aus Stahl, Eisen, Chrom- er. Magnetwerkstoffe und hochwarmfeste Nickelle-
Nickel-Stahl, Magnesium und Nichteisen metall- gierungen für Gasturbinen werden aus Carbonylpul-
Legierungen lassen sich auf diese Weise schnell und vern hergestellt.
wirtschaftlich herstellen.
Nach dem Reduktionsverfahren werden hauptsäch-
lich Wolfram-, Molybdän- und auch ein bedeuten-
der Teil der Eisenpulver erzeugt. Ausgehend von den
festen, reinen Oxiden WO3, MoO3, Fe3O4 und Fe2O3
wird das Oxidpulver im Wasserstoffstrom bei 900 °C
reduziert. Die Reduktionspulver sind schwammig
und lassen sich gut pressen.

Die elektrolytische Gewinnung von Metallpulvern


Bild 2-144
Glaskugelmodell. als poröse, an einer Kathode lose anhaftende Nieder-
a) Dichteste Kugelpackung schläge hat für Edelmetalle, Kupfer aber auch für
b) Brückenbildung Eisen Bedeutung. Aus wässrigen Kupfersalzlösun-
gen wird bei großer Stromdichte Kupfer elektroly-
Eine wichtige Variante zum Erzeugen von nahezu tisch an der Kathode abgeschieden. Der bei dieser
sauerstoff- und kohlenstofffreiem Reineisenpulver großen Stromdichte gleichzeitig entstehende Was-
ist das Roheisen-Zunder-Verfahren, RZ-Verfahren serstoff lockert den Niederschlag auf und macht ihn
genannt. Gusseisen, aus reinem Stahlschrott und porös schwammartig. Die Kathoden zerkleinert man
Koks im Kupolofen erschmolzen, wird mit Pressluft in Feinmühlen, und das Pulver stellt man auf die
über Wasser zerstäubt. Ein Teil des Gussstaubs, der gewünschte Sieblinie ein. Die durch das Mahlen er-
aus Zementit (Fe3C) besteht, bildet mit der Luft zeugte Kaltverfestigung wird in einer kurzen Rekris-
Zunder (Fe3O4). Eine Wärmebehandlung bei etwa tallisationsglühung in Anwesenheit von Wasserstoff
1000 ’C – wie beim historischen Erztempern – redu- beseitigt.
ziert den Zunder durch den Zementitanteil. Es ent-
stehen Reineisenschwamm und ein Gasgemisch aus Elektrolytisch erzeugte Kupferpulver sind rein und
Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Das poröse RZ- haben sehr gute Press- und Sintereigenschaften. Das
Pulver lässt sich sehr gut pressen. elektrolytisch gewonnene Eisenpulver ist billiger als
das Carbonyleisenpulver.
Hochreine Eisen- und Nickelpulver mit gleichmäßi-
gen, kugeligen Teilchen von etwa 0,5 Pm bis 10 Pm
Durchmesser werden chemisch nach dem Carbonyl- 2.7.3 Presstechnik
verfahren erzeugt. Bei etwa 200 ’C bildet Kohlen-
monoxidgas unter Druck mit Eisen und Nickel die Sinterteile aus Metallpulvern werden nach verschie-
flüssigen Carbonyle Fe(CO)5 sowie Ni(CO)4. Unter denen Verfahren gefertigt. Das einfachste Vorgehen
Normaldruck zerfallen die Verbindungen zu Carbo- besteht darin, das Pulver in eine Form aus Grafit
oder Stahl lose einzufüllen, durch Klopfen oder Vi-
brieren zu verdichten und die gefüllte Form in ei-
nem Ofen zu sintern. Durch Schüttsintern lassen
sich unterschiedliche Formteile herstellen. Die einfa-
che Formgebung erlaubt es, z. B. hohe Zylinder und
Töpfe gemäß Bild 2-146a), auch mit Gewinden,
durch einfaches Schütten und Sintern zu fertigen.
Die Größe der Bronzeteilchen kann so eingestellt
Bild 2-145 werden, dass Filterfeinheiten zwischen 200 Pm und
Zum Begriff Raumerfüllung: Glaskugeln mit verschiedenen 8 Pm Durchmesser, je nach dem gewünschtem Fil-
Durchmessern als Modell. trierstoff, entstehen, wie Bild 2-146b) zeigt.
94 2 Urformen

Das wichtigste Verfahren ist das Pressen von Pulvern Durch Verdichten bei Raumtemperatur, das Kalt-
zu sog. Presslingen oder Grünlingen, die anschlie- pressen, soll der Pressling i. Allg. bei niedriger Press-
ßend gesintert werden. kraft eine große Dichte erreichen. Angestrebt wird
eine möglichst gleichmäßige, homogene Verdich-
In Pulvern gilt nicht wie in der Flüssigkeitsmechanik tung. Durch eine einseitig wirkende Presskraft wie
das Gesetz der gleichmäßigen Druckfortpflanzung. in Bild 2-143 wird selbst bei hohen Drücken keine
Pulver sind ganz unterschiedlich verpressbar. Die gleichmäßige Raumerfüllung erreicht. Die meisten
Pressbarkeit ist der Quotient aus der Scheindichte Werkzeuge arbeiten deshalb mit gegenläufig wirken-
r’ (Gründichte) und dem Pressdruck p. Es ist ein dem Ober- und Unterstempel, wie Bild 2-148 zeigt.
einfach zu bestimmender Vergleichswert: Das Pulver wird bei abgehobenem Oberstempel in
die Matrize eingefüllt, durch Vibrieren vorverdichtet
Scheindichte ru
Pressbarkeit = . und durch gleichzeitigen Druck auf Ober- und Un-
Pressdruck p terstempel beidseitig gegenläufig nach dem Matri-
Dieser Zusammenhang ist in Bild 2-147 für drei ver- zenabzugsverfahren verdichtet.
schiedene Pressbedingungen dargestellt. Die Press-
barkeit kann z. B. bei einem konstanten Pressdruck Nach Erreichen der Höchstkraft, die nur 1 s bis 1,5 s
von 60 kN/cm3 (Kurve 1) bei mechanisch erzeug- gehalten wird, fährt zunächst der Oberstempel zu-
tem Eisenpulver durch Glühen unter Wasserstoff rück, während die Matrize durch eine kleine Hubbe-
verbessert werden. Durch mechanisches Zerkleinern wegung den Grünling freilegt. Der Werkzeugaufbau
werden die Teilchen kaltverfestigt. Nach einer Re- ist auch mit profiliertem Ober- und Unterstempel
kristallisationsglühung (Kurve 2) werden sie bei und mit Lochdorn möglich. Für eine Serienfertigung
gleichem Pressdruck stärker verdichtet. Zusätze von kann die Taktzeit verkürzt werden, wenn durch ei-
0,5 % Lithiumstearat als Gleitmittel wirken noch nen vom Hauptantrieb unabhängigen Hubantrieb
stärker (Kurve 3). der Matrize mit etwa 5 % bis 25 % der Hauptkraft
das Freilegen erfolgt. Üblich sind Presskräfte bis
Bezieht man die erreichte Gründichte (Scheindichte) 300 kN auf mechanischen und bis 4000 kN auf hy-
auf die theoretisch mögliche Dichte (Linie 4), erhält draulischen Pressen. Nur mit großen Pressdrücken
man den Begriff Raumerfüllung. Für den Pressdruck bis 100 kN/cm2 gelingt es beim koaxialen Kaltpres-
von 60 kN/cm3 ergibt sich als Quotient der Schnitt- sen, ein Porenvolumen von unter 5 % zu erzeugen.
punkte von 3 und 4 eine Raumerfüllung von ca. 83 %,
ausgehend von einer Fülldichte von etwa 2,5 g/cm3 8
4
und einer Klopfdichte von etwa 3,2 g/cm3. Als Faust- g
formel gilt, dass die Höhe der Presslinge den Durch- cm3 3
Dichte nach dem Pressen

2
messer nicht wesentlich überschreiten soll. 6
1
5

Klopfdichte
3
Fülldichte
2

0
0 20 40 60 kN/cm2 100
Pressdruck

Bild 2-147
Pressverfahren von Eisenpulver mit Korngrößen kleiner als
0,3 mm (nach Eisenkolb).
Bild 2-146 1: ungeglüht ohne Zusatz
a) Bronzefilter mit Sechskantflansch und Gewinde für Ölbren- 2: geglüht
nerdüsen 3: mit 0,5 % Lithiumstearat
b) durch Schüttsintern erzeugtes Porenvolumen für Filter. 4: Dichte des porenfreien Eisens
2.7 Urformen durch Sintern (Pulvermetallurgie) 95

Pressdrücke von 60 kN/cm2 gelten bei Serienfertigun- ver. Der Formling wird in einer elastischen Kunst-
gen als Grenze der Wirtschaftlichkeit. Die Haltbar- stoffhaut allseitig und gleichmäßig isostatisch mit-
keit der Werkzeuge nimmt bei höheren Drücken sehr tels einer Ölemulsion verdichtet. Nach diesem Ver-
ab. Zum Verbessern der Maßgenauigkeit, der Ober- fahren wird Halbzeug aus Metallen hergestellt, das
fläche und der Werkstoffeigenschaften kann nach dem nach dem Sintern durch Spanen seine Form erhält.
Sintern in einem weiteren Werkzeug koaxial nachge- Hochwarmfeste Nickellegierungen, deren Anwen-
presst werden. Beim Freilegen erfolgt je nach Dichte dung im Gusszustand durch die große Sprödigkeit
und Pulvermischung eine elastische Rückfederung, begrenzt ist, lassen sich pulvermetallurgisch z. B. zu
also eine Volumenvergrößerung der Presslinge. Feinstfilterbauteilen mit hoher Zähigkeit verarbeiten.

Zusammen mit der Sinterschwindung, d. h. der Volu- Das Pulver wird unter Vakuum in einen dünnwandi-
menverminderung beim Sintern, werden Maßabwei- gen Feinblechbehälter z. B. in der Gestalt einer einfa-
chungen bis zu “ 1,5 % gemessen. chen Lochscheibe gefüllt. Nach dem Klopfverdichten
wird der Blechbehälter vakuumdicht verschweißt
Durch Kalibrieren in einem speziellen Kalibrier- und in einem Autoklaven unter hohem Gasdruck iso-
werkzeug beseitigt man mittels Nachpressen diese statisch heißgepresst. Der Pressling ist homogen ver-
Volumenänderungen. Die dabei verbesserten Ober- dichtet, praktisch porenfrei und wird dem verform-
flächen und die durch Kaltverformung erhöhte Fes- ten Behälter entnommen. Das teure Schmiedege-
tigkeit sind i. Allg. erwünscht. senk bei kleinen Stückzahlen entfällt auf diese Wei-
se. Das Rohteil, z. B. für einen Gasturbinenläufer,
Durch Heißpressen bei erhöhter Temperatur wer- ist gegenüber dem Schmiedestück maßgenauer und
den Pulversorten verdichtet, die sich wegen ihrer spart Zerspanungsaufwand.
Sprödigkeit kalt nicht pressen lassen, oder die ei-
ne große Dichte erreichen müssen. Es werden auch
Kaltpresslinge oder fertige Sinterteile warm nachge- 2.7.4 Sintern
presst (Sinterschmieden), um eine größere Festig-
keit und Dichte zu erzielen. Ein mechanisches Verklammern der Pulverteilchen
beim Pressen erzeugt mit Hilfe der Adhäsion die
Größere Bedeutung hat das Heißpressen von Alu- Grünfestigkeit. Sie kann mittels Sintern erheblich
miniumpulver. Hochsiliciumhaltige Aluminiumpul- erhöht werden. Beim Glühen unterhalb der Schmelz-
ver mit bis zu 30 % Silicium und Zusätzen von Alu- temperatur TS in Kelvin wird ein Zusammenwachsen
miniumoxid Al2O3 sind gut warm pressbar. Gegen- der Pulverteilchen als Folge von Diffusionsprozes-
über den Guss- und Knetwerkstoffen sind sie ver- sen ermöglicht. Die Sintertemperatur TSint beträgt
schleißfester und dispersionshärtbar. Bei Alumini-
2 3
umlegierungen kann beim Heißpressen ohne Schutz- TSint O ◊ T bis ◊ TS .
gas gearbeitet werden. 3 S 4
In Pulvergemischen liegt die Sintertemperatur un-
Eine besonders wirksame, aber verhältnismäßig teu- terhalb des Schmelzpunktes der am höchsten schmel-
re Verdichtung ist das isostatische Pressen von Pul- zenden Komponente. In Eisenpulver erfolgt beim
Aufheizen zunächst ein Fließen, dann eine Oberflä-
Oberstempel Pressling chendiffusion an den Berührungsstellen, die bei Sin-
eingefülltes
tertemperaturen zwischen 1000 ’C und 1250 ’C in
Metallpulver die Gitterdiffusion übergeht, d. h. auch im Inneren
der Pulverteilchen erfolgen Platzwechselvorgänge,
Matrize es bilden sich neue Kristalle. Eine flüssige Phase ent-
steht aber nicht.

In Zwei- oder Mehrstoffsystemen, z. B. WC und Co,


Unterstempel
kann die Sintertemperatur so liegen, dass ein Stoff
Bild 2-148 schmilzt und unter schneller Legierungsbildung auf-
Koaxiales Pressen mit feststehendem Unterstempel nach dem gezehrt wird. Dadurch wird das noch vorhandene
Matrizenabzugsverfahren, schematisch. Restporenvolumen meist stark vermindert.
96 2 Urformen

Beim Sintern reiner Pulver oder Pulvermischungen Die mathematische Beschreibung von Sintervor-
wird eine geringe Volumenabnahme (Schwindung) gängen ist noch unbefriedigend, weil Transportvor-
bis zu 1,5 % beobachtet. Das Ziel der Fertigungstech- gänge, Geometrieänderungen und Atmosphäre wäh-
nik in der Pulvermetallurgie ist das Herstellen maß- rend des Sinterns von vereinfachten Betrachtungen
genauer Sinterteile in Serien. Das Schwinden beim an Modellen, z. B. den Glas- oder Kupferkugelmo-
Sintern hängt in der Hauptsache ab vom dellen, nicht genau erfasst werden können.
– Pulverwerkstoff, von der
– Dichte des Presslings, von der Im Zweiteilchenmodell gemäß Bild 2-149 sind die
– Sintertemperatur und der wichtigsten Größen zum Beschreiben des Sinterver-
– Sinterzeit. laufs die Zentrumsannäherung 2 h als Maß für das
Schwinden und der Halsradius x als Maß für den
Nur hoch und gleichmäßig verdichtete Presslinge Transportquerschnitt und die Festigkeit der Bin-
sind beim Sintern volumenkonstant. Durch Zusätze dung. Die Abweichungen der besten Näherungsbe-
von 0,5 % bis 2,0 % Kupfer kann bei Eisenpulvern ziehung zwischen diesen Größen
das Schwinden verhindert werden. Notfalls muss
h x2
der Grünling mit einem Aufmaß gepresst werden. =
a 4 ◊ a2
Sinterzeit und Sintertemperatur sind aufgrund der liegen unter 20 % der theoretisch errechneten Werte.
Diffusionsgesetze in Grenzen veränderbar. Eine wirt- Für gepresste Teilchen gibt es nach Exner keinen
schaftlich kurze Sinterzeit von etwa 30 min lässt sich einfachen Zusammenhang zwischen dem Halsra-
z. B. bei Aluminiumpulver mit einem Porenraum dius und der Zentrumsannäherung.
von 5 % mit einer höheren Sintertemperatur von et-
wa 540 ’C bis 580 ’C erreichen.
2.7.5 Verfahren zum Verbessern der
Die Atmosphäre im Sinterofen wird durch Schutzga- Werkstoffeigenschaften
se neutral oder reduzierend eingestellt. Verwendet
werden meist Wasserstoff, Stickstoff, Ammoniak Die verdichteten und gesinterten Formteile werden
und Spaltgas aus Ammoniak. häufig nach verschiedenen Verfahren weiterverarbei-
tet, um die Werkstoffeigenschaften der Sinterteile
Die großen inneren Oberflächen der Grünlinge sind zu verbessern. Beim Aufkohlen von Sintereisen zu
oxidationsempfindlich. Eine Oxidation wird auch un- Sinterstahl wird der Kohlenstoffgehalt im Sinterteil
ter Schutzgas durch die Feuchte nach der Reaktion mittels Aufkohlungsmittel erhöht. Zur Verfügung
stehen
T 1
H 2 O (aus Feuchte) ææÆ
Sint
H2 + ◊O – Gase (Kohlenmonoxid und Methan),
2 2 – fester Kohlenstoff (Grafit und Ruß),
möglich. Hochwertige Sinterteile wie Schnellstahl – Salze (Alkali- und Erdalkalicyanide).
werden deshalb in Vakuumöfen bei einem Gasdruck
von 0,05 bar gesintert. Die Salzschmelzen für das flüssige Aufkohlen ha-
ben sich bei Sinterteilen nicht bewährt, da Salzres-
te in den Poren verbleiben, die später das Metall
korrodieren.

2h Das Aufkohlen zielt entweder auf ein bestimmtes


Ferrit-Perlit-Verhältnis im Sinterstahl oder kann bis
2x

a zur Bildung von Sekundärzementit in perlitischer


Grundmasse geführt werden. Verschleißfeste und
harte Funktionsflächen kann man mit einer nachfol-
genden Martensithärtung erzeugen, z. B. bei Einstell-
platten für Ventile.
Bild 2-149
Zweiteilchenmodell zur mathematischen Beschreibung von Beim Herstellen von Sinterlegierungen kann die Le-
Sintervorgängen. gierungsarbeit durch Diffusion oder Schmelzen ei-
2.7 Urformen durch Sintern (Pulvermetallurgie) 97

nes Bestandteils der Pulvermischung erfolgen. Wich- Die Gebrauchseigenschaften der Sinterformteile
tigstes Beispiel ist die Hartmetallfertigung aus Wolf- lassen sich erheblich verbessern, wenn der Poren-
ramcarbid WC und Kobalt Co. Im vereinfachten Zu- raum, das typische Kennzeichen der nicht heiß nach-
standsdiagramm gemäß Bild 2-150 ist das System gepressten Sinterteile, durch Tränken mit Flüssigkei-
WC–Co im Temperaturbereich von 800 ’C bis 2000 ’C ten oder Metallschmelzen gefüllt wird. Untersuchun-
dargestellt. Die Feinstpulverpresslinge aus 94 % gen haben ergeben, dass bis zu einer Raumerfüllung
Wolframcarbid und 6 % Kobalt werden bei etwa von etwa 90 % ein labyrinthartig verbundenes Poren-
1400 ’C gesintert und gleichzeitig legiert. Dabei netz in Sinterkörpern vorliegt.
wird zunächst durch Diffusion bis zur Sättigung im
Punkt »a« etwa 3 % Wolframcarbid in das Kobaltgit- Durch Tränken mit Öl oder Fett als flüssige Gleit-
ter aufgenommen. Dann bildet sich im Punkt »d« mittel werden die selbstschmierenden, wartungs-
eine Schmelze aus etwa 80 % Co und 20 % WC, die freien Gleitlager mit meist 15 % bis 25 % gefülltem
sich bis zum Punkt »b« mit bis zu 38 % WC anrei- Porenraum erzeugt. Die geringe Festigkeit des Sin-
chert. Dadurch wird alles Kobalt aufgebraucht und terkörpers aus Reineisen oder Aluminiumbronze
das im Überschuss vorhandene Wolframcarbidpulver ermöglicht durch anschließendes Kalibrieren eine
porenfrei benetzt. große Maßgenauigkeit.
Pulvermischung
2000
Der Porenraum von Sinterteilen kann durch Trän-
°C ken mit Kunststoffen, wie z. B. von Epoxidharzen,
1800 die bei dem Aushärten eine geringe Volumenzunah-
WC + S S
Temperatur J

1600 me zeigen, vollständig ausgefüllt werden. Hydraulik-


C Sintertemperatur b d a teile sind bis etwa 200 bar druckdicht und lassen sich
1400
S+ a nach dem Beizen oder Strahlen galvanisch beschich-
1200 ten, so dass später durch die von innen nachfließen-
WC + 6% Co

de Elektrolytlösung keine Korrosion auftritt.


1000
WC + Co
800 Tränkkörper aus hochschmelzenden Gerüstwerk-
stoffen wie Eisen, Wolfram oder Carbide lassen sich
WC 20 40 60 80 % 100 auch mit Metallschmelzen füllen. Der Tränkwerk-
Kobaltgehalt
stoff, wie z. B. Silber, Kupfer oder Bronze, wird auf
Bild 2-150 dem vorgesinterten Gerüstkörper im festen Zustand
Zustandsschaubild Wolframcarbid-Kobalt (nach Takeda). durch einfaches Auflegen oder bei Rohren durch
Aufziehen befestigt, wie Bild 2-151 zeigt.
Nach dem gesteuerten Abkühlen auf Raumtempe-
Kupferblech ausgefüllter Kupferrohr Fertigmaß
ratur besteht das Gefüge aus scharfkantigen Wolf- Porenraum
ramcarbidkristallen, eingebettet in Kobalt, weil bei
Temperaturen unterhalb von etwa 800 ’C beide Stof-
fe nicht ineinander mischbar sind.

Durch den Sinterprozess und die Legierungsarbeit


Fertigmaß

werden die für Hartmetallwerkzeuge wichtigsten


Werkstoffeigenschaften erzielt:
– Warmhärte und hoher Verschleißwiderstand,
– große Zähigkeit und Schlagfestigkeit.
Gerüstkörper (Fe, WC)
Aus Pulvermischungen von Metallen mit Nichtme- a) b)
tallen werden Sinterkörper mit sehr unterschiedli-
chen Eigenschaften hergestellt. Bild 2-151
Fertigung von Tränkkörpern:
a) Kontaktschiene mit aufgelegtem Kupferblech, nach Wär-
Für Brems- und Kupplungsbeläge z. B. presst und mebehandlung getränkt
sintert man Eisenpulver mit Glasfasern, Grafit und b) gas- und öldichter Rotor mit aufgezogenem Kupferrohr,
weiteren Zusätzen zu Formteilen. nach Wärmebehandlung getränkt
98 2 Urformen

Tabelle 2-27. Sinterteile, nach Werkstoffgruppen mit typischen Beispielen geordnet.

Werkstoffgruppe Anwendungsgebiet Beispiele

Hartmetalle und Hartstoffe,


Zerspanung auf Werkzeug- Schneid- und Wendeplatten,
Carbide der Metalle Wolfram, Tantal,
maschinen, Werkzeugbau Gewindebohrer, Schneideisen, Messbügel
Titan mit Kobalt
Fahrzeug- und Maschinenbau, Stoßdämpferkolben, Zahnriemenräder, Ein-
Sintereisen und Sinterstahl: Waffen- und Haushaltstechnik, spritzpumpenkeile, Schnecken, Pumpenräder,
unlegiert, niedriglegiert, hochlegiert Werkzeugbau, Elektrotechnik, Ventilführungen, Lehren, Führungsleisten, Rän-
Feinmechanik und Optik delmuttern und -schrauben
Reibwerkstoffe aus Eisenpulver mit nicht- Motorräder und Fahrzeuge, Bremsbeläge, Bremsklötze,
metallischen Zusätzen, wie z. B. Glas, Grafit allgemeiner Maschinenbau Kupplungsscheiben, Synchronringe
Gleitlager, Führungsringe,
Metallkohlen-Magnetwerkstoffe für Dauer- Elektrotechnik und Elektro-
Stoßdämpferkolben, Filter, Düsen,
magnete und Weicheisenteile maschinenbau, Feinwerktechnik
Sinterelektroden, Kolbenringe
Hochschmelzende Reinmetalle, wie z. B.
Elektronische Bauteile, Lampendrähte, Elektronenröhren, Schleif-
Wolfram, Tantal, Molybdän, Kobalt
allgemeine Elektrotechnik, und Gleitkontakte, Schalterteile, Spinndüsen,
und Nickel,
Textiltechnik und Vakuumtechnik Kondensatoren
Kontaktwerkstoffe Silber, Kupfer
Sinteraluminium und Aluminium- Maschinen- und Fahrzeugbau, Gleitlager und Getriebeteile,
Siliciumpulver mit und ohne Zusatz von Hochleistungsmotorenteile, warmfeste und aushärtbare Pleuelstangen und
Aluminiumoxid Luft- und Raumfahrt Kolben

Bei der nachfolgenden Wärmebehandlung schmilzt Ein einfacher, aber für viele Sinterteile aus Eisen-
der Tränkwerkstoff und wird von den Kapillarkräf- pulver ausreichender Korrosionsschutz besteht in
ten je nach Menge örtlich oder durchgreifend im der Behandlung mit überhitztem Wasserdampf in
Porenraum verteilt. Die Fertigung von Tränkkörpern einem Druckgefäß.
mit Metallschmelzen hat für Kontaktwerkstoffe so-
wie für öl- und gasdichte Sinterteile Bedeutung. Eisen bildet bei Temperaturen über 450 ’C in An-
wesenheit von Wasserdampf genügend schnell eine
Der Gerüstwerkstoff kann neuerdings auch mit be- festsitzende und für viele Zwecke hinreichende ver-
sonderen Tränklegierungen in einem Arbeitsgang – schleißfeste Magnetitschicht (Fe3O4). Besonders in
d. h. Sintern und Tränken zugleich – während der der Randzone der Werkstücke wird dadurch die
Wärmebehandlung ausgefüllt werden. Dichte und damit die Härte erhöht.
400 60 160

N J
mm2 %
cm2
Kerbschlagzähigkeit
Zugfestigkeit Rm

Bruchdehnung

300 45 120

200 30 80

100 15 40

0 0 0
0 4 8 % 12 0 4 8 % 12 0 4 8 % 12
Porosität Porosität Porosität
Bild 2-152
Mechanische Eigenschaften von Sinterstahl (nach DIN 30910, T1 bis T4, T6: Werkstoff-Leistungsblätter WLB).
2.8 Gestaltung von Sinterteilen 99

2.7.6 Anwendungen 2.8 Gestaltung von Sinterteilen


Gemessen am Gesamtverbrauch metallischer Form- 2.8.1 Allgemeines
stücke ist die erzeugte Menge von Sinterformteilen
verhältnismäßig gering. Durch die bei pulvermetall- Die Formgebung von Sinterteilen erfolgt überwie-
urgischen Formgebungsverfahren möglichen Einspa- gend durch Kaltpressen in verschleißfesten Werkzeu-
rungen von bis zu 60 % beim Rohstoffverbrauch und gen (Gesenken). Bei der Gestaltung der Pressteile
bis zu 40 % beim Energieverbrauch – bezogen auf ist darauf zu achten, dass die Werkzeugkosten mög-
die spanende Fertigung des Werkstücks aus Halb- lichst gering gehalten werden. Die Berührung von
zeugen, Schmiedestücken oder Gussteilen – erwar- Ober- und Unterstempel muss vermieden werden,
tet man künftig erhebliche Steigerungen. Bild 2-153, eine Mindestwanddicke von s 2 mm
sollte eingehalten werden (Bild 2-154). Die Ferti-
Die wichtigsten Sinterwerkstoffe sind in Tabelle 2-27 gungsgenauigkeit entspricht (ohne Kalibrierung)
an Hand ausgewählter Beispiele den Hauptanwen- mindestens der Qualität »mittel«.
dungen zugeordnet. Die Hartmetalle sind die men-
genmäßig bedeutendste Gruppe der Sinterwerkstoffe.
Weltweit werden bereits mehr als 250 000 t Eisenpul- 2.8.2 Gestaltungsregeln
ver pro Jahr verpresst. Alle übrigen Sinterwerkstoff-
gruppen zusammen erreichen nicht diese Größen- Im Folgenden sind einige wichtige Regeln für die
ordnung. Gestaltung von Sinterteilen zusammengestellt.
– Das Pressteil möglichst im Untergesenk unter-
Für die Werkstoffauswahl stehen verschiedene Pul- bringen.
ver zur Verfügung, die einen Zugfestigkeitsbereich – Schräglaufende Kanten vermeiden.
von 80 N/mm2 bis ca. 1700 N/mm2 abdecken. Die – Scharfe Kanten durch Fasen o. Ä. ersetzen.
wichtigsten mechanischen Eigenschaften werden – Hinterschneidungen vermeiden.
stark von der relativen Dichte bzw. der Porosität be- – Verzahnungen mit ausreichend großem Modul
einflusst, Bild 2-152. (m > 0,5 mm) versehen.
– Bohrungen mit d  2 mm nachträglich spanend
herstellen.
– Sehr unterschiedliche Querschnitte sowie kon-
tinuierliche Querschnittsübergänge sind zu ver-
meiden, d. h., Kegel- und Kugelformen sollten
durch zylindrische Formen ersetzt werden.
100 2 Urformen

2.8.3 Werkstoff- und Gestaltung


werkzeuggerechte Gestaltung unzweckmäßig zweckmäßig

h
Bild 2-153
Eine Berührung zwischen Ober- und Unterstempel
soll vermieden werden. Daher ist in Pressrichtung
eine Mantelfläche geringer Höhe (h ! 0,3 mm) er-
forderlich. Das Pressteil ist möglichst nur im Unter-
gesenk unterzubringen.

Bild 2-153

s
Bild 2-154

Bild 2-155
s

Bild 2-154 bis 2-156


Um ein Aufeinanderschlagen der Gesenkhälften zu
vermeiden, muss eine Wanddicke von mindestens
s 2 mm eingehalten werden. Querschnittsübergän-
ge sind mit ausreichenden Rundungen zu versehen,
extreme Querschnittsübergänge zu vermeiden. Bild 2-156

Bild 2-157
Schräglaufende Formen sind möglichst zu vermei-
den, weil die Stempelherstellung hierfür schwierig
ist. Bild 2-157
2.8 Gestaltung von Sinterteilen 101

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-158 und 2-159
Um kräftige Pressstempel zu erhalten, dürfen kei-
ne messerscharfen Kanten vorgesehen werden. Au-
ßenkanten scharfkantig oder mit Fasen ausführen.
Innenliegende Kanten ausrunden.

Bild 2-158

Bild 2-159

Bild 2-160

Bild 2-161

Bild 2-160 bis 2-162


Hinterschneidungen und Zwischenflansche sind zu
vermeiden, da sie sehr aufwändig in der Herstellung
oder überhaupt nicht möglich sind. Einfache Kör-
per sind wirtschaftlicher herzustellen. Erforderliche
Nuten, Freistiche u. Ä. müssen spanend gefertigt
werden. Bild 2-162
102 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-163
Für eine ausreichende Werkstoffdicke ist zu sorgen;
dünnwandige Stellen sind zu vermeiden.

Bild 2-163

Pressrichtung

2.8.4 Fertigungs- und fügegerechte


Gestaltung

Bild 2-164
Um bei waagerecht gepressten Sinterstäben eine in
Pressrichtung gleichmäßige Dichte zu erhalten, sind
runde Querschnitte ungünstig und durch Profile mit
ebenen Flächen in Pressrichtung zu ersetzen. Bild 2-164

Bild 2-165

Bild 2-166

Bild 2-165 bis 2-167


Kegel- und Kugelformen ergeben kontinuierliche
Übergänge, die schwer herzustellen sind. Sie sind
besser durch zylindrische Formen oder Fasen zu
ersetzen. Bild 2-167
2.8 Gestaltung von Sinterteilen 103

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-168
Abschrägungen in Pressrichtung sind bei gedrehter
Lage im Gesenk besser herstellbar.
F F

Bild 2-168

d1

d2

Bild 2-169

Bild 2-170

Bild 2-171

Bild 2-169 bis 2-172


Kleine Absätze (d2 O d1) sind zu vermeiden. Ke-
gelvertiefungen lassen sich schwer herstellen. Bes-
ser sind stumpf auslaufende Grundlöcher. Buchsen
mit Grundloch lassen sich leichter herstellen, wenn
Boden und Flansch auf derselben Seite liegen. Bild 2-172
104 2 Urformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-173
Hohe, dünnwandige Pressteile – d. h. Werkstücke
mit extremen Querschnittsverhältnissen (L /B S1)
–sind schwer herstellbar. Günstigere Querschnitts-

L
verhältnisse sind anzustreben.

Bild 2-173

Bild 2-174
Abgerundete Ausläufe bei abgesetzten Formteilen
sind zu vermeiden und durch kantige Anschlüsse
zu ersetzen (kostengünstigere Werkzeuge). Bild 2-174

Bild 2-175
Bei Drehknöpfen und ähnlichen Bedienteilen sind
einfache Außenkonturen anzustreben und Kreuz-
rändelung zu vermeiden. Längsriffelung ist einfa-
cher herzustellen. Bild 2-175

Bild 2-176
> 60°

Bild 2-176 und 2-177


Bei Verzahnungen muss der Modul m ! 0,5 gewählt
werden. Verzahnungsausläufe sind nicht bis auf den
Buchsengrund zu führen. Riffelungen sollen einen
Öffnungswinkel ! 60 ’ aufweisen. Bild 2-177

Bild 2-178
Bei gesinterten Buchsen muss die Freimachung für
den Anschlag im Aufnahmeteil liegen. Bild 2-178
2.9 Generative Fertigungsverfahren (Rapid Manufacturing) 105

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 2-179

s > 0,2 d
Selbstschmierende Lagerbuchsen sollen kurz sein
(l  2 d). Bei großer Führungslänge sind zwei Buch-
sen vorzusehen. Die Wanddicke der Buchsen ist mit

ød
s ! 0,2 d auszuführen, um einen genügenden Ölvor-
rat aufnehmen zu können und eine definierte Pas-
sung für die Lagerung zu erhalten.
l < 2d

Bild 2-179
d

l
Bild 2-180
Bei Grundlöchern ist das Verhältnis von Durchmes-
ser d zu Länge l maximal 1: 2 zu wählen. Bohrun-
gen mit d  2 mm sollten spanend gefertigt werden. Bild 2-180

2.9 Generative Fertigung dezentral, werkzeuglos und stückzahl-


unabhängig zu gestalten und Konstruktionen zu re-
Fertigungsverfahren alisieren, die mit anderen Methoden nicht oder nur
(Rapid Manufacturing) mit einem unwirtschaftlichen Aufwand zu fertigen
waren. Das wären z. B. nicht spannbare Werkstü-
Rapid Manufacturing bezeichnet die generative Her- cke, die daher auch nicht mit spangebenden Ver-
stellung von Endprodukten und serientauglichen fahren zu bearbeiten sind. Auch interne Hohlräu-
Werkzeugen. Wenn das Ziel die Herstellung von me wie z. B. Einsätze mit integrierten Kühlkanälen
Bauteilen ist, nennt man den Prozess Direct Manu- für Spritzgusswerkzeuge könnten so wirtschaftlich
facturing. Die Verfahren basieren auf dem gleichen hergestellt werden.
Prinzip wie das Rapid Prototyping. Die Maschine,
die die Bauteile herstellt, wird Fabrikator (engl. fab- Ein bisher noch nicht beachtetes Potenzial der ge-
ricator oder fabber) genannt (Quelle: A. Gebhardt). nerativen Fertigung von Endprodukten liegt in der
Fertigungstechnisch unterscheidet man generative Ersatzteilfertigung. Zukünftig werden Ersatzteile
Verfahren nicht danach, welche Art von Bauteilen als »spare parts on demand« generativ hergestellt,
damit hergestellt wird. Die Verwendung eigenstän- brauchen also nicht auf Vorrat produziert und ge-
diger Bezeichnungen für Rapid Prototyping und Ra- lagert werden. Da generative Verfahren auf teilfer-
pid Manufacturing wird nur aus dem historischen tige Produkte aufsetzen, wird die individuelle Re-
Blickwinkel verständlich. paratur von Bauteilen möglich, wie sie schon heut-
zutage bei der Instandsetzung von Turbinenschau-
Mit der Stereolithographie wurde es 1987 möglich, feln für Flugzeugtriebwerke durch Auftragsschwei-
beliebige virtuelle dreidimensionale Datenstrukturen ßen üblich ist.
in physikalische Modelle umzusetzen, d. h. bei die-
sem Verfahren werden Bauteile direkt aus 3D-Da- Die heute industriell am weitesten verbreiteten ge-
ten erzeugt, Bild 2-181. Für welches Fertigungsver- nerativen Fertigungsverfahren sind:
fahren die dem Datensatz zugrunde liegende Konst- – Stereolithografie (SL),
ruktion optimiert worden war, spielte für den Bau – Selektives Lasersintern (SLS),
eines generativen Modells keine Rolle. Das Modell – Laminierverfahren (LLM),
ist ein Faksimile der Daten, nicht des Produktes, – Extrusionsverfahren (FDM),
ist also ein Prototyp. Ein Ziel der Erfinder war, die – 3D-Drucken (TDP).
106 2 Urformen

rechnerinternes
CAD-Modell

Umsetzung der Zusammenführung


Einzelquerschnitte der realen
in reale Schichten Einzelschichten

reales Modell

Bild 2-181
Prinzip der Modellgenerierung beim Rapid Manufacturing (nach Gebhardt).

Abdeckung der optischen Scannereinheit Abdeckung des Lasers Für alle Verfahren ist ein vollständiges 3D-CAD-
Modells absolute Voraussetzung. Diese Geometrie-
Bildschirm daten werden heute üblicherweise über eine STL-
Schnittstelle (Standard transformation language) an
den Prozess übergeben. Die CAD-Systeme verfü-
Kontroll- gen über diese Schnittstelle. Im STL-Format wird
tafel
die Körperoberfläche mit Hilfe von Facetten (Drei-
ecken) beschrieben. Je feiner die Facettierung, des-
to genauer wird die Oberfläche wiedergegeben, al-
lerdings steigt dann die Datenmenge auch sehr stark
an. Modelle im STL-Format lassen sich mit sog.
STL-Viewern im Rechner überprüfen und für die
Zwecke des Rapid Manufacturings analysieren, oh-
ne dass die Entwickler die eigentlichen Produktda-
ten außer Haus geben müssen. Aufgrund der einfa-
chen Geometrien können Modelle im STL-Format
in jedem Maßstab hergestellt (skaliert) werden.

Basierend auf der STL-Datei müssen verfahrens-


und maschinenspezifische Entscheidungen getrof-
fen und Ergänzungen vorgenommen werden. Ent-
Kammer für den Lichthärteprozess Kontrollrechner scheidungen betreffen z. B. die »Aufbaurichtung«,
da nur in der x-y-Ebene eine genaue Konturenge-
Bild 2-182 bung erfolgen kann, in der z-Richtung jedoch im-
Stereolithografie-Anlage (Typ SLA 250, Fabrikat 3D Systems). mer ein Stufeneffekt durch die Schichtung verbleibt.
2.9 Generative Fertigungsverfahren (Rapid Manufacturing) 107

Weitere Entscheidungen betreffen die erforderliche Die Scannereinheit besteht aus zwei speziell auf
Schichtdicke, die für die Genauigkeit des Bauteils die Wellenlänge des verwendeten Laserlichts ab-
und die Gesamtdauer des Prozesses bestimmend ist. gestimmten Spiegeln. Diese Einheit befindet sich
Ergänzungen betreffen die Stützstrukturen, die für über dem Flüssigkeitsbehälter und kann den Laser-
einige Verfahren erforderlich sind. Ihre Generie- strahl in der x- und y-Richtung an jeden gewünsch-
rung erfolgt (halb-)automatisch. ten Punkt auf der Polymeroberfläche umlenken. Das
monochromatische Laserlicht verhindert Nebenreak-
Danach werden die Informationen mit einem Slice- tionen im Harz und erlaubt eine sehr gute Fokussie-
Programm weiterverarbeitet, d. h., es werden die rung des Laserstrahls.
Konturen der einzelnen Schichten erzeugt.
In den Rechner sind die Produktionsdaten und Ferti-
gungsparameter einzugeben, wie z. B. die Eindring-
2.9.1 Stereolithografie tiefe des Lasers, die Wischerfunktion und die Laser-
leistung, sowie eventuelle Lagekorrekturen zur Po-
Das Prinzip der Stereolithografie ist relativ einfach: sitionierung der Modelle auf der Trägerplattform.
In einem Behälter mit flüssigem Polymer werden
durch gezieltes Einwirken von ultraviolettem Laser- Die Lichthärteprozess-Kammer ist in Bild 2-183 mit
licht beliebig geformte Werkstücke (auch Hohlkör- ihren einzelnen Elementen dargestellt:
per) schichtweise aufgebaut. Die durch Polymerisa- – Automatische Regulierung des Flüssigkeitsstan-
tion vernetzten Bauteile werden anschließend mit- des: Der Flüssigkeitsstand wird hier durch ei-
tels UV-Licht ausgehärtet. nen Verdrängungskörper automatisch reguliert.
– Hubeinrichtung: Hier wird über einen Adapter
Die Stereolithografie-Anlage (SLA) besteht nach die Trägerplattform mittels angetriebener Spin-
Bild 2-182 aus folgenden Komponenten: optische del in z-Richtung bewegt.
Scannereinheit, Laser, Bildschirm, Rechner, Kam- – Flüssigkeitsstandanzeiger: Die Spitze dieser
mer für den Lichthärteprozess. Markierung sollte nicht in das Polymer eintau-
chen.
– Gelochte Trägerplattform: Auf dieser vertikal
automatische Hubeinrichtung beweglichen, gelochten Metallplatte werden die
Flüssigkeitsstand-
regulierung Modelle aufgebaut. Die Löcher ermöglichen den
Adapter zur
Flüssigkeitsausgleich und später ein leichteres
Hubeinrichtung Ablösen der Bauteile von der Plattform.
Flüssigkeits-
– Wischerführung: Der Wischer wird je nach ein-
standanzeiger gegebener Wischhäufigkeit und Wischgeschwin-
digkeit horizontal in y-Richtung über die zuletzt
gelochte erstellte Schicht geführt, er entfernt dabei über-
Sensor 1 Trägerplattform
flüssiges Material.
Wischerführung – Sensoren: Die zwei diagonal angeordneten Sen-
Wischer
soren dienen zur Messung der Laserleistung und
Sensor 2 zur automatischen Nachjustierung des Scanners
Ausguss- nach jeder Schicht.
verschluss – Ausgussverschluss mit Ausflussrohr: Die im Be-
Flüssigkeits- hälter befindliche Flüssigkeit kann durch Schwen-
behälter ken des Rohres abgelassen werden.
Ausflussrohr – Flüssigkeitsbehälter: Behälter mit flüssigem Po-
lymerharz.
Z
Y Im Nachvernetzungsschrank werden die in der Ste-
reolithografie-Anlage gefertigten Bauteile unter Ein-
X
wirkung von UV-Licht gezielt weitervernetzt und
Bild 2-183 somit durchgehärtet. Die Werkstücke liegen dabei
Kammer für den Lichthärteprozess (nach Meurers). auf einem Drehtisch, der einmal pro Minute rotiert.
108 2 Urformen

Scanner UV-Laser
tur, die sich in dem Behälter mit flüssigem Polymer
Optik
X-Y (Helium-Kadmium) befindet, in z-Richtung angehoben bzw. abgesenkt.
Der Adapter besteht aus zwei Trägern, auf denen die
gelochte Plattform aufliegt. Auf der Plattform be-
Steuerung des Scanners (X- und Y-Achse)
findet sich das vernetzte Polymer in Form der Stütz-
konstruktion und des Werkstücks.

2.9.1.2 Fertigungsablauf
Bei Fertigungsbeginn wird die Plattform unmittelbar
unter der Oberfläche des flüssigen Polymerharzes
positioniert. Der Fertigungsablauf einer Schicht setzt
sich aus den folgenden Schritten zusammen:
Kontrollcomputer

Bauprozess
Steuerung der Z-Achse Der Laserstrahl verfährt entsprechend der Werk-
stück kontur über die Flüssigkeitsoberfläche (Ar-
beitsfläche) und härtet einen Layer (eine Schicht)
Arbeitsfläche Heben und Senken
Z komplett aus.
(Flüssigkeits- der Plattform
oberfläche)

Adapter zur Hubeinrichtung Absenkvorgang


Die Plattform wird mit dem Werkstück um den fest-
Werkstück (vernetztes Polymer)
stehenden Betrag in der z-Achse abgesenkt, so dass
die Flüssigkeit die vorherige Arbeitsfläche benetzt.
Stützkonstruktion Danach regelt sich der Flüssigkeitsstand erneut.
Plattform

Behälter mit flüssigem Polymer


Auftauchvorgang
Die Plattform mit dem Werkstück wird angehoben,
Bild 2-184 bis die Werkstückoberfläche den Betrag von einer
SLA-Funktionsschema, nach Meurers. Schichtdicke (von 0,06 mm bis 0,76 mm) zur Wischer-
unterkante aufweist.
2.9.1.1 Funktionsschema
Das Funktionsschema der Stereolithografie-Anlage Wischvorgang
ist in Bild 2-184 dargestellt. Der UV-Laser (Heli- Der Wischer bewegt sich parallel zur Arbeitsebene
um-Kadmium) wird durch eine Optik gebündelt und im Abstand von einer Schichtdicke über das Werk-
über die x-y-Scannerspiegel auf die Arbeitsfläche stück und entfernt dabei überflüssiges Material, wel-
(Flüssigkeitsoberfläche) des Behälters mit flüssigem ches durch Oberflächenspannung übrig geblieben
Polymer gelenkt. Dort wird eine dünne Schicht des ist. Nach dem Wischvorgang bleibt ein unebener
Polymers vernetzt. Flüssigkeitsrest übrig, der in etwa die Dicke einer
Schicht hat. Bei sehr empfindlichen Teilen sollte das
Anschließend wird das Werkstück mit der Plattform durch die Wischerbewegung hervorgerufene Kipp-
durch die Hubeinrichtung um eine Schichtdicke ab- moment berücksichtigt werden (also Bewegung nur
gesenkt, danach kann die nächste Schicht, die durch in Längs-, nicht in Querrichtung).
,

Überlappung mit der vorherigen verbunden ist, ver-


netzt werden. Der Kontrollcomputer, auf dessen Wartezeit
Bildschirm der jeweilige Layer optisch dargestellt Das Werkstück wird so weit abgesenkt, dass die
wird, steuert dabei den Scanner (x- und y-Achse) Differenz zwischen der Flüssigkeitsoberfläche und
und die Hubeinrichtung (z-Achse). der Oberfläche der zuletzt erzeugten Schicht genau
eine Schichtdicke beträgt. Es folgt eine intern ein-
Der schematische Schnitt durch den unteren Teil stellbare (vorprogrammierte) Wartezeit, damit die
der Prozesskammer zeigt den Bereich, in dem die durch Oberflächenspannungen entstandenen Lücken
Vernetzung der Wabenstruktur stattfindet. Mit dem von dem dickflüssigen Polymer zuverlässig ausge-
Adapter zur Hubeinrichtung wird die ganze Appara- füllt werden.
2.9 Generative Fertigungsverfahren (Rapid Manufacturing) 109

Beim Dumping (Muldenbildung) kommt es wegen


der Unebenheiten in der Flüssigkeit nach dem »Wi-
schen« zu einer unvollständigen Benetzung. Einzel-
ne Täler liegen unter der Untergrenze der nächsten
Schicht und können deshalb nicht vernetzt werden.
Es bleiben entweder größere Flüssigkeitseinschlüsse
vorhanden, oder an der Werkstückoberfläche sind
kleine Einbuchtungen zu erkennen. Auch hier wird
das nicht ausgehärtete Material ausgespült. Um diese
Fehler zu verhindern, werden dem Harz zwecks bes-
Bild 2-185 serer Benetzungsfähigkeit verschiedene Additive
Bildschirmfoto von Probekörpern für Genauigkeitsuntersu- beigemischt.
chungen.
Nach Fertigstellung des letzten Querschnittes fährt
Ist die Wartezeit zu kurz, dann können bestimmte die Trägerplattform zusammen mit dem gefertigten
geometrische Fehler auftreten, die Creasing und Bauteil aus der Flüssigkeit heraus in die obere End-
Dumping genannt werden. stellung. Das überflüssige Polymer tropft ab, und
das Werkstück kann zusammen mit der Plattform
Beim Creasing (Faltenbildung) entstehen durch die entnommen werden. Aus Kostengründen ist es vor-
Oberflächenspannung der Flüssigkeit an der Werk- teilhaft, auf einer Plattform auch unterschiedliche
stückkante Materiallücken. Dieses Material kann Werkstücke herzustellen. Bild 2-185 zeigt ein Bild-
nicht ausgehärtet werden, es wird wieder ausgewa- schirmfoto sowohl mit dem Probekörper »Rundun-
schen. An senkrechten Wänden kommt es dadurch gen« als auch andere von P. Meurers fertiggestell-
zu schlechten und unansehnlichen Oberflächen. te Probekörper.

3D-SLA-
SLA-Kunststoff- Modell
modell mit Abguss
Modell- Stützen
herstellung
SLA bearbeiten abgießen
entformen, Badmodell
aushärten evtl. polieren
o. bearbeiten

File- galvanischer
galvanisieren
Transfer Kupfer-
Slice-Prozess s tstoff - Auftrag
Kuno dell
t- m Er
se st e
m ng 3. l
u
U

lu

Software- hinter-
2.
ng
z

Prozess füttern
de
M o d el l s

r El
4.
ma t he m a tis c h e

Modell triangu-
ektro d

liert/Stützkon- Hinter-
1.

struktion fütterung
e

Prozess entformen

Erodierelektrode
3D-CAD- mit Aufnahme
Modell

Bild 2-186
Schematische Darstellung der Fertigungskette mittels Stereolithografie für eine Erodier-Elektrode (Direct Manufacturing).
110 2 Urformen

2.9.1.3 Polymerisation Beim schematischen Aufbau einer Volumeneinheit


In dem Stereolithografie-Harz findet durch das Ein- härtet das Polymer im Zentrum der Volumeneinheit
wirken des UV-Lasers eine Photopolymerisation am schnellsten aus. Aufgrund der höheren Dichte
statt. Ein solches Kettenwachstum läuft im Allgemei- wird es danach weiteres Licht absorbieren oder re-
nen nicht spontan ab, sondern muss durch Wärme, flektieren. Die Vernetzung wird dadurch im Laufe
Licht oder geeignete Chemikalien ausgelöst wer- der Belichtungszeit vom Zentrum bis zum Über-
den. Häufig werden Initiatorstoffe verwendet, die gang fest/flüssig zunehmen.
durch Energiezufuhr in Radikale zerfallen.
Die Größe (vor allem die Höhe) wird durch folgen-
Hier handelt es sich um Photo-Initiatormoleküle de Faktoren bestimmt: Transparenz, Viskosität und
(PI), die das UV-Licht des Lasers absorbieren. Die Belichtungszeit. Die Belichtungszeit wird durch die
dabei entstehenden sehr reaktionsfähigen Radika- Verweildauer (stepperiod) des Lasers an einem Punkt
le (R) lagern sich an den Acryl-Monomeren (M) an bestimmt, sie beeinflusst somit die Eindringtiefe
und bilden ein neues Radikal (RM). Dies ist der Be- bzw. die Schichtdicke.
ginn der eigentlichen Polymerisation. Das Ketten-
wachstum kommt zum Abschluss, wenn sich zwei Die Fertigungskette für eine Erodier-Elektrode ist
Radikale vereinigen. in Bild 2-186 zusammengefasst.

Der Vorgang kann solange fortgesetzt oder neu an-


geregt werden, bis vom Laser keine Energie mehr 2.9.2 Selektives Lasersintern
zugeführt wird und somit keine neuen Radikale
freigesetzt werden. Das selektive Lasersintern (SLS) ist kein klassischer
Sinterprozess in dem Sinn, dass Pulverteilchen un-
Das Werkstück wird in dem flüssigen Polymer ter hoher Temperatur bei hohem Druck über länge-
Schicht für Schicht (Layer für Layer) auf der Platt- re Zeit in einander diffundieren. Vielmehr werden
form von unten nach oben aufgebaut. Der Laser beim Lasersintern Pulverpartikel angeschmolzen
fährt dabei die Konturen, Schraffuren und die Fül- und zu einer Schicht verbunden (Bild 2-187). Ge-
lungen als scheinbare Linien ab. In Wirklichkeit bräuchlich sind Kunststoff-Pulver, vor allem aber
besteht jede Linie aus einzelnen Punkten, da sich Polyamid. Daneben kommen polyamidgebundene
die Spiegel im Scanner nur schrittweise bewegen Metallpulver zum Einsatz, die jedoch bei einem
können. verhältnismäßig hohen Materialpreis im Vergleich
zu normalen Legierungen nur sehr eingeschränkt
Die durch Aushärtung an einem Punkt entstehende ähnliche mechanische Eigenschaften haben. Inten-
Volumeneinheit wird als Voxel bezeichnet (abgelei- siv wird an der Entwicklung von Einkomponenten-
tet von Volumen und Pixel; Pixel CAD-Punkt). Die Metallpulvern gearbeitet, die Prototypen mit mecha-
Formen sind je nach Lichtbrechung unterschiedlich nischen Eigenschaften vergleichbar den konventio-
und können nicht einwandfrei (z. B. als Parabolo- nell gefertigten Serienteilen ermöglichen. Erste Er-
id) definiert werden. gebnisse sind Erfolg versprechend.

Z Laser
Spiegel
X Y

Walze Modell

Bild 2-187
Pulverversorgungssystem Modellzylinder Pulverversorgungssystem Selektives Lasersintern – Prinzip.
2.9 Generative Fertigungsverfahren (Rapid Manufacturing) 111

momentane
Sinterebene

jeweilige Laufrichtung
des Laserstrahles

Bild 2-188
Generieren von Konturen (Slices) für das Lasersintern (nach Beaman).

Die STL-Datei des Bauteils wird im Rechner der Nach dem Aufheizen wird wechselseitig einer der
Lasersinter-Maschine entsprechend der gewählten beiden Vorratsbehälter entsprechend der Schichtdi-
Orientierung rechnerisch in »slices«, d. h. einzelne cke hochgefahren, eine Walze verteilt das Pulver
Schichten zerlegt (Bild 2-188). Gleichzeitig wird der gleichmäßig im Arbeitsraum. Der Laserstrahl schmilzt
Arbeitsraum der Maschine unter Stickstoff bis auf entsprechend der vorgegebenen Kontur das Pulver
kurz unter die Schmelztemperatur des Pulvers auf- auf. Wenn die Kontur in dieser Schicht aufgeschmol-
geheizt.

Im Arbeitsraum sind rechts und links neben der ei-


gentlichen Arbeitsplattform Vorratsbehälter mit dem
Pulver angeordnet. Die Arbeitsplattform befindet
sich immer in der Mitte des Arbeitsraums.

Bild 2-189 Bild 2-190


SLS-Modell: Abgaskrümmer für Kfz (nach Wieneke). SLS-Modell: Tiefseestation im Maßstab 1:11 (nach Wieneke).
112 2 Urformen

Laser
Spiegel

Modell Erhitzte Walze

Plattform

Bild 2-191
Materialspule Spule für Restmaterial Laminierverfahren – Prinzip.

zen ist, wird die Arbeitsplattform gemäß der Schicht- 2.9.3 Laminierverfahren
dicke abgesenkt, und die nächste Schicht Pulver
wird aufgetragen. Laminierverfahren (Laser Laminate Manufacturing
LLM) benutzen Folien mit thermisch aktivierba-
Nach Abschluss des Aufbaus des Bauteils wird die ren adhäsiven Oberflächen, die auf die vorangehende
Maschine kontrolliert und sehr langsam abgekühlt. Schicht mit Hilfe von heißen Walzen geklebt wer-
Ebenso wie das Aufheizen dauert dieser Vorgang den (Bild 2-191). Laser oder Messer schneiden die
mehrere Stunden. Das Bauteil (Abgaskrümmer in Konturen aus und schneiden auch das verbleiben-
Bild 2-189) wird aus dem Pulverbett entnommen, de Material so ein, dass es während oder nach dem
und das nicht aufgeschmolzene Pulver wird wieder- Prozess leicht zu entfernen ist. Das Material kann
verwendet. Bild 2-190 zeigt das SLS-Modell einer laminiertes Papier oder Kunststoff sein.
Tiefseestation im Maßstab 1:11.

X Y Fadenvorratsspule

Hilfsmaterial Modellmaterial

Bewegliche Plattform

Bild 2-192
Extrusionsverfahren.
2.9 Generative Fertigungsverfahren (Rapid Manufacturing) 113

Möglich sind auch so genannte Green Tapes mit


gebundenem Pulver (z. B. Keramik); das Bauteil
muss anschließend an den Prozess gesintert werden.

Laminierverfahren sind i. Allg. günstig hinsichtlich


des Materials und können ohne weitere Arbeits-
schutzmaßnahmen überall durchgeführt werden.
Die Bauteile aus Papier-Material können nach dem
Prozess wie Holz weiterbearbeitet werden.

2.9.4 Extrusionsverfahren

Bei dem bekanntesten Extrusionsverfahren (Fused a)


Deposition Modeling FDM) schmelzen eine oder
mehrere beheizte Düsen den drahtförmigen Werk-
stoff (unterschiedliche thermoplastische Materiali-
en; auch Wachs für Feingussmodelle) und führen
die Schmelze gezielt über ein Bauteil, Bild 2-192. So
entstehen mit der Erstarrung der einzelnen Schichten
die Bauteile. Beim Aufbau sind für überhängende
Strukturen Hilfsstützen vorzusehen.

Ähnlich arbeiten Verfahren, die das Material nicht


kontinuierlich, sondern z. B. über piezoelektrische
Düsen tropfenweise auftragen.
b)

Bild 2-194
2.9.5 3D-Drucken Manuelle Arbeitsschritte beim Lasersintern.
a) Befüllen des Vorratsbehälters
Das 3D-Drucken (Three Dimensional Printing TDP) b) Ausbrechen des Teils
ist mit dem selektiven Lasersintern vergleichbar; die
Pulverpartikel werden aber mit einem definiert ein- weise miteinander verklebt (Bild 2-193). Nach dem
gespritzten Binder (z. B. über Druckköpfe) schicht- Prozess müssen die Teile in einem weiteren Bear-
beitungsschritt mit Kunstharz imprägniert werden,
Z um eine ausreichende Haltbarkeit und Stabilität zu
X Y erreichen.
Vorratsbehälter für das
flüssige Bindemittel Allgemein gilt für die generativen Verfahren, dass
die Qualität der Modelle trotz des vermeintlich voll-
automatisierten Prozessablaufs in hohem Maße vom
Fachwissen und den manuellen Fertigkeiten der Mit-
Druckkopf
arbeiter abhängt (Bild 2-194). Die erzielbare Maß-
Walze
Pulverbett haltigkeit und Oberflächengüte ist zudem abhängig
vom Verfahren, Material und Hersteller.

Wesentlicher Vorteil der generativen Verfahren ge-


genüber dem konventionellen Modellbau ist das
durchgängige Arbeiten mit den gleichen Daten, die
Pulverversorgungssystem Modellzylinder das Produktentwicklungsteam verwendet. Das ist
Bild 2-193 für Simultaneous oder Concurrent Engineering ei-
3D-Drucken. ne der wichtigsten Grundvoraussetzungen.
114 2 Urformen

Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum

Abschnitt 2.1 bis 2.8

DIN 1688-1: Gußrohteile aus Leichtmetallegierun- Sahm, P. R., I. Egry, u. T. Volkmann: Schmelze, Er-
gen – Sandguß – Allgemeintoleranzen, Bearbei- starrung, Grenzflächen. Vieweg-Verlag, Braun-
tungszugaben; Nicht für Neukonstruktionen, schweig/Wiesbaden 1999.
8/1998. Schal, W.: Fertigungstechnik 2. Verlag Handwerk
DIN EN 1559: Gießereiwesen – Technische Lieferbe- und Technik, Hamburg 1995.
dingungen. Schatt, W. (Hrsg.): Pulvermetallurgie, Sinter- und
Teil 2: Zusätzliche Anforderungen an Stahlguss- Verbundwerkstoffe (3. Aufl.). Dr. A. Hüthig-Ver-
stücke, 4/2000. lag, Heidelberg 1988.
DIN EN 1560: Gießereiwesen – Bezeichnungssys- Taschenbuch der Gießerei-Praxis. Fachverlag Schie-
tem für Gußeisen – Werkstoffkurzzeichen und le u. Schön, Berlin (erscheint jährlich).
Werkstoffnummern, 8/1997. VDG, DGV, GDM (Hrsg.): Taschenbuch der Gie-
DIN EN 1561: Gießereiwesen – Gußeisen mit La- ßerei-Industrie. Gießerei-Verlag, Düsseldorf (er-
mellengraphit, 8/1997. scheint jährlich).
DIN EN 1562: Gießereiwesen – Temperguß, 8/2006.
DIN EN 1563: Gießereiwesen – Gusseisen mit Ku-
Zentrale für Gussverwendung ZGV im Deutschen
gelgraphit, 10/2005.
Gießereiverband: Herausgeber und Verlag Düssel-
DIN EN 1564: Gießereiwesen – Bainitisches Guß-
eisen, 3/2006. dorf. Seit 1983 erscheinen jährlich vier Hefte der Zeit-
DIN EN 1706: Aluminium und Aluminiumlegierun- schrift Konstruieren und Gießen. Sie berichtet aus
gen – Gußstücke – Chemische Zusammensetzung allen industriellen Bereichen über konstruktions-,
und mechanische Eigenschaften, 8/2008. verarbeitungs- und anwendungsbezogene Fragen
DIN EN 10021: Allgemeine technische Lieferbedin- zum Thema »Guss«. Diese hervorragend gestaltete
gungen für Stahlerzeugnisse, 3/2007. und redigierte Fachzeitschrift ist auch für Studie-
DIN EN 10213: Stahlguss für Druckbehälter, 1/2008. rende besonders gut geeignet.
DIN EN 10283: Korrosionsbeständiger Stahlguss,
12/1998. Abschnitt 2.9
DIN EN 12890: Gießereiwesen – Modelle, Modell- Beaman, J. J. u. a.: Rapid Prototyping: Solid Free-
einrichtungen und Kernkästen zur Herstellung form Fabrication: A New Direction in Manufac-
von Sandformen und Sandkernen, 6/2000. turing. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht
Fachverband Pulvermetallurgie: Sinterwerkstoffe, 1997.
Werkstoff-Leistungsblätter und technische Liefer-
Buchmayr, B.: Werkstoff- und Produktionstechnik
bedingungen. Berlin, Köln: Beuth-Vertrieb 2000.
mit Mathcad – Modellierung und Simulation in
Hasse, S. (Hrsg.): Gießerei-Lexikon 19. Aufl., Fach-
Anwendungsbeispielen. Springer-Verlag, Berlin,
verlag Schiele u. Schön, Berlin 2008.
Heidelberg 2002.
Herfurth, K., N. Ketscher, u. M. Köhler: Gießerei-
technik kompakt. Giesserei-Verlag GmbH, Düs- Chua, Ch. K., u. K. F. Leong: Rapid Prototyping:
seldorf 2003. Principles & Applications in Manufacturing. John
Huppmann, W. J., u. K. Dalan: Metallographic At- Wiley & Sons, New York 1997.
las of Powder Metallurgy. Verlag Schmidt, Ha- Gebhardt, A.: Generative Fertigungsverfahren, 3.
gen 1986. Aufl., Carl Hanser Verlag, München-Wien 2007.
ISO 16112: Gusseisen mit Vermiculargrafit – Klas- Meurers, P.: Stereolithografie – ein neues Verfah-
sifikation, 8/2006. ren für die Modellfertigung. Dipl.-Arbeit TFH
Richter, H.: Audiovisuelles Medienzentrum der Ber- Berlin 1991, Betreuer A. H. Fritz.
gischen Universität Gesamthochschule Wupper- Wieneke-Toutaoui, B., T.-S. Kim, u. J-H. Lee: Mo-
tal. VHS-Video: Sintern, Pulvermetallurgie. Tei- dern Cars with Progressive Rapid Technology
le vom laufenden Band, 1989. Solutions – Rapid Prototyping in South-Korea.
VHS-Video: Gießen, Formgießen. Der kurze Weg In: Proceedings Rapid 2000, International User‘s
von der Idee zum fertigen Teil, 1994. Conference. Berlin 29. – 31. Mai 2000.
115

3 Fügen Die Fortschritte im Gasturbinenbau, in der Reaktor-


technik, im chemischen Apparatebau, bei Hochge-
schwindigkeitsflugkörpern, aber auch in der Mikro-
3.1 Das Fügeverfahren Schweißen elektronik wären ohne die moderne Schweißtechnik
nicht möglich geworden. Neu hinzukommende Werk-
Die Fertigungsverfahren sind nach DIN 8580 in 6 stoffe mit besonderen Eigenschaften (Korrosions-,
Hauptgruppen eingeteilt, Tab. 1-1. Die vierte Haupt- Hochtemperatur-, Festigkeitseigenschaften) stellen
gruppe betrifft das Fügen, oft auch Verbinden ge- erhöhte Anforderungen an die Schweißverfahren und
nannt. Hier werden nur die Schweiß-, Löt- und Kleb- die Fertigungstechnologie. Dabei werden die leicht
verfahren beschrieben, die für den Maschinen-, mechanisierbaren Verfahren mit hoher Reproduzier-
Fahrzeug- und Apparatebau von Bedeutung sind. barkeit an Bedeutung gewinnen (MSG-, UP-, Elekt-
ronenstrahl-, Laserstrahlschweißen).
Fügen ist das Zusammenbringen von zwei oder mehr
Werkstücken geometrisch fester Form oder von Die Kosten von Produkten und Hilfsmitteln zum
ebensolchen Werkstücken mit formlosem Stoff. Da- Schweißen (Stromquellen, Vorrichtungen, Zusatz-
bei wird jeweils der Zusammenhalt örtlich geschaf- und Hilfsstoffe) werden sich von gegenwärtig etwa
fen und im Ganzen vermehrt (DIN 1910-100). 25 € je Tonne Stahlkonstruktion auf mehr als 35 €
erhöhen. Die künftige Entwicklung in der Schweiß-
technik wird gekennzeichnet sein durch:
3.1.1 Bedeutung der Schweißtechnik – Zwang zur Kostensenkung (Rationalisierung, z.
B. Mechanisierung oder Automatisierung),
Seit der Einführung des Gas- und Lichtbogenschwei- – erweiterte Anwendung (z. B. neue Werkstoffe,
ßens in der Industrie um 1900 hat die Bedeutung neue Füge- und Trennmethoden) und
des Fügeverfahrens Schweißens erheblich zugenom- – Verfahrenssubstitution (z. B. durch einfacher
men. Die Zahl der Schweißverfahren nimmt stän- mechanisierbare Verfahren).
dig zu, wie Bild 3-1 zeigt.
Der Zwang zur Mechanisierung der Schweißverfah-
Technisch zuverlässige und wirtschaftliche Bauteile ren ist aus wirtschaftlichen Gründen dringend erfor-
lassen sich häufig nur als Schweißkonstruktion her- derlich. Der Mechanisierungsgrad 1) liegt bei etwa
stellen. Der Anteil der durch Schweißen und Löten 35 % (im Schienenfahrzeugbau bei 70 %, im Schiff-
hergestellten Metallverbindungen beläuft sich auf et- bau bei 12 %), für die nächsten Jahre wird mit 55 %
wa 50 % bis 60 %. Mechanische Verbindungen (Nie- bis 65 % gerechnet. Dies bedeutet, dass außer der An-
ten, Schrauben) werden wegen gravierender Nach- wendung geeigneter Verfahren (z. B. Schutzgas-,
teile (geringere Wertigkeit der Verbindung durch un- UP-Verfahren), eine starke Zunahme von Ein- und
günstigen Kraftfluss, höheres Gewicht durch Über- Mehrzweckvorrichtungen notwendig sein wird.
lappungen, Laschen) immer seltener verwendet.

50 Laserstrahlschweißen 3.1.2 Das Fertigungsverfahren


Plasmaschweißen
Diffusionsschweißen Schweißen; Abgrenzung und
Anzahl der Verfahren

Elektronenstrahlschweißen
40 Elektroschlackeschweißen Definitionen
Ultraschallschweißen
Kaltpressschweißen
30 Reibschweißen Schweißverbindungen sind stoffschlüssige Verbin-
Unterpulverschweißen
Schutzgasschweißen dungen, die durch die Wirkung von Adhäsions- oder
20 Gasschweißen
Widerstandsschweißen
Kohäsionskräften zwischen den Fügeteilen entste-
Lichtbogenhandschweißen hen. Die Verbindung ist unlösbar, die Fügeteile wer-
Kohlelichtbogenschweißen
10 den beim Lösen zerstört. Die Niet- und Schrauben-
verbindungen sind kraftschlüssig, also lösbar, d. h.,
die Fügeteile werden beim Lösen nicht zerstört.
1800 1850 1900 1950 1990
Jahr
1)
Bild 3-1 Dies ist das Verhältnis des durch mechanische Schweiß-
Zunahme der Anzahl der Schweißverfahren im Laufe der ver- verfahren abgeschmolzenen Schweißguts zur gesamten
gangenen Jahrzehnte. Schweißgutmenge.
116 3 Fügen

Die Stoffschlüssigkeit geschweißter Verbindungen, – Material eingespart,


die beim Schweißen entstehenden Gefügeänderun- – die konstruktive Freizügigkeit größer,
gen, sowie die oft erheblichen mehrachsigen Span- – die Gefahr des Ausschusses geringer und
nungszustände erfordern eine dem Schweißverfah- – das Ausbessern erleichtert.
ren angepasste Konstruktion. Die schweißgerechte
Konstruktion ist nicht nur einfach eine nachgeahm- Maschinenrahmen, Pressenständer, große Zahnrä-
te Guss- oder Nietkonstruktion, bei der die Nieten der, Rippenwellen, große Getriebegehäuse sind Bei-
weggelassen werden und dafür an »geeigneten« Stel- spiele für Konstruktionen, die mit beträchtlichem Er-
len geschweißt wird. Wirtschaftlich und technisch op- folg geschweißt werden.
timale Schweißkonstruktionen können nur unter Be-
achtung der schweißspezifischen Konstruktionsprin-
zipien hergestellt werden. Häufig wird übersehen, 3.1.3 Einteilung der Schweißverfahren
dass ausreichende Zähigkeitseigenschaften der zu fü-
genden Werkstoffe (und der aus ihnen hergestellten Schweißen ist das Vereinigen von Werkstoffen un-
Schweißverbindungen, d. h. vor allem der WEZ und ter Anwendung von Wärme und (oder) Kraft ohne
des Schweißguts, s. Abschn. 3.2.3, S. 124) ausschlag- oder mit Schweißzusatzwerkstoffen. Es kann mit
gebend für die Sicherheit geschweißter Bauteile sind. Hilfe von Schweißhilfsstoffen, z. B. Pasten, Pulver
Bei Nietverbindungen spielt die Zähigkeit dagegen oder Gase erleichtert werden. Das Vereinigen er-
nur eine geringere Rolle. folgt gemäß Bild 3-3 im flüssigen oder im plasti-
schen Zustand der Schweißzone (DIN 1910-100).
Bild 3-2 zeigt, dass durch geeignetere Werkstoffe, Die Verbindung ist stoffschlüssig; sie beruht auf der
bessere Werkstoffausnutzung und eine dem Schwei- Wirkung zwischenatomarer und zwischenmoleku-
ßen angepasste Konstruktionstechnik, wie z. B. im larer Kräfte.
Brückenbau, immer größere Beanspruchungen zu-
gelassen werden können. Nach Bild 3-3 unterscheidet man die Verfahren:
Schmelzschweißen
Verglichen mit Gusskonstruktionen sind geschweiß- Dies ist ein Schweißen bei örtlich begrenztem
te Bauteile gegenüber einer Schlagbeanspruchung Schmelzfluss ohne Anwendung von Kraft mit
weniger empfindlich. Dagegen sind kleinere Bautei- oder ohne Schweißzusatzwerkstoff.
le in größeren Stückzahlen nach dem Gießverfah- Pressschweißen
ren im Allgemeinen sehr viel wirtschaftlicher herzu- Es handelt sich um ein Schweißen unter Anwen-
stellen. Bei größeren Konstruktionen wird durch dung von Kraft ohne oder mit Schweißzusatz-
das Schweißen häufig werkstoff. Örtlich begrenztes Erwärmen, u. U.
bis zum Schmelzen, ermöglicht oder erleichtert
25 G = Gusseisen das Schweißen.
kN S. - Eisen = Schweißeisen 24
Kaltpressschweißen
cm2
20 21
Hierbei wird nur Kraft (Verformungsarbeit) auf-
zul. Grenzspannung s

Stahl
gewendet; die Verbindung entsteht im festen
18,2
Stahl Stahl
St 52 (plastischen) Zustand (Sprengschweißen).
15 St 48 St 52 16

14 14 Die in der Schweißtechnik verwendeten Wärme-


12,5
quellen und ihre Zuordnung zu den Schweißverfah-
10
10 ren zeigt Tabelle 3-1. Nach dem Zweck des Schwei-
ßens unterscheidet man:
5 Verbindungsschweißen (Bild 3-4) und
Auftragschweißen. In diesem Fall erfolgt das
2,5 S.- Fluss- Stahl Stahl Stahl
0 G Eisen stahl St 37 St 37 St 37 Beschichten eines Werkstücks durch Schwei-
1900 1925 1934 ab 1960
ßen. Das Werkstück vergrößert sich hierbei. Ab-
Jahr genutzte Werkstücke werden ergänzt, bei neu-
Bild 3-2 en die Verschleiß- und Korrosionseigenschaften
Anstieg der zulässigen Grenzspannung geschweißter Bau- verbessert. Die Auftragschicht kann artgleich
teile im Brückenbau seit dem Jahre 1900 (nach Kallen). (Werkstoff wird ergänzt) oder artfremd [Werk-
3.1 Das Fügeverfahren Schweißen 117

Schmelzschweißverfahren Pressschweißverfahren Kaltpressschweißen

z. B. Gasschweißen z. B. Widerstandspunktschweißen z. B. Sprengschweißen


Lichtbogenschweißen (Reibschweißen,
Schutzgasschweißen dynamische Verfahren)
F+ Q
Q

F F

Schweißzone S Schweißzone S F Schweißzone S

Die Schweißverbindung kommt zustande durch die Wirkung von:

Wärme Q Wärme Q und Kraft F Kraft F

z. B. Gasflamme z. B. Stromwärme z. B. Statischer oder dynamischer Druck,


Lichtbogen Reibung Reibung (oszillierende oder rotierende
Elektronenstrahl Relativbewegung und statischer Druck)
Lichtstrahl, z. B. Laser
Die Schweißzone S ist der örtlich begrenzte Bereich, in dem der Werkstoff während des Schweißens in einen plastisch leicht verformbaren ( )
und (oder) flüssigen Zustand ( ) gebracht wird.

Bild 3-3
Zur Deutung wichtiger Vorgänge beim (Verbindungs-)Schweißen.

Tabelle 3-1. Die Energiequellen einiger wichtiger Schweißverfahren. In Klammern sind die »Ordnungsnummern« (kenn-
zeichnende Nummern der Schweißverfahren) nach DIN EN ISO 4063 angegeben.

Energiequelle bzw. Energieträger Schmelzschweißverfahren Pressschweißverfahren


(Energieform)

Kaltpressschweißen (48)
Reibung, Schockwellen, Ultraschall
Rührreibschweißen (43) Ultraschallschweißen (41)
(mechanische Energie)
Reibschweißen (42)
Brenngas-Sauerstoff-Flamme Gasschweißen (311) Gießpressschweißen (−)
(Reaktionswärme) Aluminothermisches Schweißen (71) Gaspressschweißen (47)
Elektrischer Widerstand Widerstandsschmelzschweißen, z. B. Widerstandspressschweißen, z. B.
(elektrische Energie Q = I 2⋅R⋅ t) Elektroschlackeschweißen (72) Widerstandspunktschweißen (21)
Lichtbogenhandschweißen (111)
Lichtbogen Schutzgasschweißen, z. B. Lichtbogenpressschweißen, z. B.
(elektrische und elektromechanische Energie) WIG-Schweißen (141) Entladungsschweißen (77)
Unterpulverschweißen (12)
Strahlen
Elektronenstrahlschweißen (51)
(kinetische Energie leistungsflussdichter Strahlung, −
Laserstrahlschweißen (52)
z. B. Elektronenstrahlen, Laserstrahlen)

stoff(e) mit besonderen Eigenschaften wird (wer- chungsgerechte Bindung erzielt werden. Von
den) aufgetragen] sein. In diesem Fall unterschei- besonderer Bedeutung für die Sicherheit ist
det man das eine ausreichende Verformbarkeit (Zähigkeit)
– Auftragschweißen von Panzerungen (Schweiß- der Pufferschicht.
panzern): Die Auftragung ist gegenüber dem
Grundwerkstoff vorzugsweise verschleißfest; Der Aufschmelzgrad AS gemäß Bild 3-4 sollte in die-
– Auftragschweißen von Plattierungen (Schweiß- sen Fällen möglichst klein sein, aber noch so groß,
plattieren): Die Auftragung ist gegenüber dem dass er fertigungstechnisch ausreichend einfach rea-
Grundwerkstoff vorzugsweise chemisch be- lisierbar ist. Er ist das in Prozent ausgedrückte Verhält-
ständig; nis der Flächen- oder Mengenanteile aG von aufge-
– Auftragschweißen von Pufferschichten (Puf- schmolzenem Grundwerkstoff zum gesamten Schweiß-
fern): Mit der Pufferschicht kann zwischen gut aG  aS, d. h. zum aufgeschmolzenen Grund-
nicht artgleichen Werkstoffen eine beanspru- und Zusatzwerkstoff (s. a. Abschn. 3.2.4.3):
118 3 Fügen

Zweck des Schweißens Metallurgische und fertigungstechnische Hinweise

Verbindungsschweißen Die Verbindbarkeit ist normalerweise vorhanden, wenn sich in der Mischzone M keine in-
Zusatz = A termediären Verbindungen A mBn bilden, bzw. wenn deren Menge hinreichend gering ist.
M Metallurgische Mängel, spröde, rissanfällige Bereiche und eine verringerte Korrosionsbe-
ständigkeit wären sonst die Folge.
Schweißtechnisch ist es hierfür vorteilhaft, den Grundwerkstoff (A oder B) möglichst we-
A B nig aufzuschmelzen, d. h. den Aufschmelzgrad AS klein zu halten. Dies ist erreichbar mit
Hilfe geeigneter Schweißverfahren (z. B. Gasschweißen, UP-Bandplattieren) oder durch
a a
Auftragen von Pufferlagen. Diese Arbeitstechnik ist aber wegen der sehr geringen Ab-
S G
schmelzleistung (Aufschmelzgrad AS muss ausreichend klein sein) sehr teuer.
aG
AS = ⋅100 in %.
A B a G + aS

Auftragschweißen Die Eigenschaften der Auftragung weichen nicht wesentlich von denen des Grundwerk-
(Zusatz A »artgleich«) stoffes A ab: Es entsteht das artgleiche Schweißgut. Die Größe des Aufschmelzgrades ist
A
daher von geringerer Bedeutung. Die Eigenschaften des Gefüges der Mischzone M entspre-
chen etwa denen von A. Mit dieser Auftragtechnik werden vorwiegend verschlissene (abge-
M tragene) Werkstoffbereiche ergänzt.
A

Auftragschweißen von Panze- B ist in der Regel hochlegiert (verschleißfest bzw. chemisch beständig), A meist un- oder
rungen, Plattierungen; der Zu- niedriglegiert. M besteht daher häufig aus sprödem, rissanfälligem Martensit und (oder)
satz B ist nicht »artgleich«
B teilweise aus intermediären Verbindungen. Der Aufschmelzgrad, d. h., die Menge von M
muss gering gehalten werden. Dies ist möglich z. B. durch UP-Bandplattieren. Bei klei-
M
neren aufzutragenden Mengen ist auch das Gasschweißen sehr geeignet.
A

Auftragschweißen von Puffer- Der Pufferwerkstoff muss zwischen nicht artgleichen Werkstoffen A und B eine beanspru-
schichten (P), der Zusatz ist chungsgerechte Bindung erzeugen. Häufig wird mit Nickel oder nickelhaltigem Zusatz ge-
nicht »artgleich«
arbeitet. Wichtigste Eigenschaft ist eine möglichst große Zähigkeit. Die verformbare Zwi-
B schenschicht kann Schweißspannungen abbauen und somit eine Rissbildung weitgehend
verhindern. Diese Forderung wird durch die Tatsache unterstützt, dass Nickel mit sehr
P vielen Metallen eine lückenlose Mischkristallreihe bzw. ausgedehnte Mischkristallberei-
A che bildet.

Bild 3-4
Metallurgische Vorgänge beim Schmelzschweißen unterschiedlicher Werkstoffe, schematisch, siehe auch Bild 3-14, S. 129.

aG gänge einschließlich aller Nebentätigkeiten (Werk-


AS = ◊ 100 in %.
aG + aS stückwechsel, Werkstückzufuhr und Werkstück-
ablauf) laufen selbsttätig ab.
Nach der Art der Fertigung, d. h., im Wesentlichen
nach dem Grad der Mechanisierbarkeit, unterscheidet Bei allen Schweißverfahren ist für die einwandfreie
man entsprechend Bild 3-5: Bindung eine möglichst große Sauberkeit (Freiheit
– Das Handschweißen (manuelles Schweißen). von Rost, Fett, Öl, Farben, Feuchtigkeit, Beläge al-
Sämtliche den Verlauf des Schweißprozesses ler Art, Bewüchse) der Fügeteile im näheren Be-
kennzeichnenden Vorgänge werden von Hand reich der Schweißnaht einschließlich evtl. verwen-
ausgeführt. deter Zusatzwerkstoffe erforderlich. Durch die sehr
– Das teilmechanische Schweißen. Einige den Ab- großen Aufheiz- und Abkühlgeschwindigkeiten bleibt
lauf des Schweißens kennzeichnenden Vorgän- das Schmelzbad nur in der Größenordnung von ei-
ge laufen mechanisch ab. nigen Sekunden flüssig. Die aus den Verunreinigun-
– Das vollmechanische Schweißen. Sämtliche den gen (und der umgebenden Atmosphäre) entstehenden
Ablauf des Schweißens kennzeichnenden Vor- Gase können nicht vollständig entweichen (Abschn.
gänge laufen mechanisch ab. 3.2.2). Die Folgen sind Poren und metallurgische
– Das automatische Schweißen. Sämtliche den Mängel (z. B. Abbrand der Legierungselemente, Zä-
Ablauf des Schweißens kennzeichnenden Vor- higkeitsverlust durch gelöste Gase).
3.1 Das Fügeverfahren Schweißen 119

Benennung Beispiele Bewegungs - /Arbeitsabläufe


Schutzgasschweißen
Brenner- /
Zusatz- Werkstück-
WIG MSG Werkstück-
vorschub handhabung
(141) (13) führung

Handschweißen
(manuelles manuell manuell manuell
Schweißen)

Teilmechanisches
manuell mechanisch manuell
Schweißen

Vollmechanisches mechanisch mechanisch manuell


Schweißen

Automatisches
mechanisch mechanisch mechanisch
Schweißen

Bild 3-5
Einteilung der Schweißverfahren nach der Art der Fertigung, Beispiele aus DIN 1910-100 (DIN ISO 857-1).

Der extrem schädigende Einfluss der atmosphäri- 3.1.4 Hinweise zur Wahl des
schen Gase (Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff) er- Schweißverfahrens
fordert besonders bei den Schmelzschweißverfah-
ren einen wirksamen und zuverlässigen Schutz des Die Wahl des »optimalen« Schweißverfahrens hängt
Schmelzbades vor einem Luftzutritt. Je besser dieser von einer Vielzahl oft schwer beeinflussbarer Fakto-
Schutz ist, desto besser ist die metallurgische Quali- ren ab:
tät des Schweißgutes, d. h., die Sicherheit des Bau- – Der Art der Bauteile,
teils gegen Versagen ist größer. Dieser Gesichts- – der Stückzahl,
punkt muss bei der Wahl des Schweißverfahrens für – dem Werkstoff,
das Fügen metallurgisch empfindlicher Werkstoffe, – der Werkstückdicke sowie von
die z. B. eine große Affinität zu Sauerstoff haben – den betrieblichen Gegebenheiten.
(Legierungsabbrand z. B. bei Chrom, Aluminium,
Titan), oder bei einer Gasaufnahme leicht versprö- Das für die Anwendung »optimale« Schweißverfah-
den (z. B. Titan, Tantal, Molybdän und Zirkonium), ren ist meistens erst nach sorgfältiger Analyse aller
besonders beachtet werden. genannten Einflussgrößen zu ermitteln.
120 3 Fügen

Normallagen Zwangslagen
PA (w) PB (h) PC (q) PD (hü) PE (ü) PF (s) PG (f)

Alte Bezeichnung der Schweißpositionen nach DIN 1912-2 (neu: DIN EN ISO 6947)

w waagerecht (Wannenlage) s senkrecht q waagerecht an senkrechter hü horizontal überkopf


h horizontal f fallend Wand (»Querposition«) ü überkopf

Neue Bezeichnung der Schweißpositionen nach DIN EN 287-1

PA Wannenposition PC Querposition PE Überkopfposition


PG Fallposition
PB Horizontal-Vertikalposition PD Horizontal-Überkopfposition PF Steigposition

Ausführungszeiten in Prozent (bezogen auf die PA-Position)

100 130 180 220 bis 250 220 70

Bild 3-6
Die Schweißpositionen nach der Bezeichnungsweise der DIN 1912-2 (neu: DIN EN ISO 6947) und der DIN EN 287-1. Die zum
Schweißen in den verschiedenen Positionen erforderlichen Ausführungszeiten sind bezogen auf die PA-Position angegeben.

Art der Bauteile Stückzahl


Wesentlich für die Verfahrensauswahl sind die Grö- Bei kleinen Stückzahlen sind viele Schweißverfah-
ße der Konstruktion und die Zugänglichkeit der zu ren geeignet. Häufig wird die Wahl von den betrieb-
fügenden Teile. Die Zugänglichkeit bestimmt die lichen Gegebenheiten bestimmt. Große Stückzah-
Schweißzeit und damit in hohem Maße die Kosten. len erfordern schon aus wirtschaftlichen Gründen
Der Konstrukteur sollte darauf achten, dass Schweiß- hochmechanisierte Schweißverfahren. Der Einsatz
arbeiten möglichst nur in einer der beiden Normalla- von (Einzweck-)Vorrichtungen ist unerlässlich.
gen gemäß Bild 3-6 ausgeführt werden können. Mit
Hilfe einfacher Dreh- und (oder) Wendevorrichtun- Werkstoff
gen lassen sich Zwangslagen oft in Normallagen »um- Unabhängig von allen anderen Einflussgrößen be-
wandeln«. Außerdem muss bedacht werden, dass stimmt der Werkstoff in den meisten Fällen die Wahl
Zwangslagen in den meisten Fällen nur mit teureren des Verfahrens. In erster Linie sind folgende werk-
Handschweißverfahren (z. B. Gasschweißen, Lichtbo- stoffliche Besonderheiten zu beachten:
genhandschweißen) hergestellt werden können und – Die Gaslöslichkeit (Porenbildung, Gefahr der
überwiegend nicht mit den wirtschaftlicheren teil- Versprödung), z. B. bei Ti, Al, Mo, Stahl;
oder vollmechanischen Verfahren (WSG-, MSG-, – der Abbrand von Legierungselementen (Zähig-
UP-, EB-Schweißverfahren, Plasmaschweißen). keitsverlust, Einschlüsse), z. B. bei höherlegier-
ten Stählen und NE-Metallen;
Die Schweißzeit für ein Bauteil, das in der Zwangs- – die festhaftende Oxidhaut, z. B. bei Al, Mg, Ti
lagentechnik hergestellt wird, ist etwa um den Fak- und deren Legierungen. Die Beseitigung der Oxi-
tor 2 bis 3 größer als die, die zum Schweißen in Nor- de ist nur mit sehr aggressiven Flussmitteln oder
mallagen erforderlich ist. Die Wirtschaftlichkeit ist besser mit speziellen »flussmittelfreien« Verfah-
damit deutlich geringer. Wegen der erheblichen ma- ren (WIG- oder MIG-Verfahren) möglich.
nuellen Anforderungen kommen für Zwangslagen-
schweißungen nur hochqualifizierte und erfahrene Das Gasschweißen wird für metallurgisch empfindli-
Schweißer in Frage. Die größere Fehlerwahrschein- che Stähle und NE-Metalle praktisch nicht ange-
lichkeit dieser Schweißverbindungen führt außer- wendet, da bei Sauerstoffüberschuss leicht Abbrand,
dem zu einem bemerkenswert großen Prüfaufwand bei Acetylenüberschuss Aufkohlung (Versprödung,
(s. a. Abschn. 3.3.2.5.2). Carbidbildung) auftreten kann (Abschn. 3.3.1.2).
3.2 Werkstoffliche Grundlagen für das Schweißen 121

Werkstückdicke 3.2.1 Wirkung der Wärmequelle auf


Verbindungsschweißungen an Fügeteilen mit einer die Werkstoffeigenschaften
Werkstückdicke unter etwa 1 mm erfordern mecha-
nisierbare Verfahren und einen Badschutz, der das Für Schweißverfahren werden Wärmequellen ver-
Durchfallen des flüssigen Schweißguts verhindert wendet, die folgende Aufgaben erfüllen müssen:
und die Schweißwärme abführt. Das Schweißen von – Schmelzen des Grund- und Zusatzwerkstoffes.
Hand kann nur von hochqualifizierten Schweißern Wegen der i. Allg. großen Werkstückmasse und
ausgeführt werden und birgt außerdem die Gefahr, der großen thermischen Leitfähigkeit der Me-
dass bei ungleichmäßiger Schweißgeschwindigkeit talle sind meistens Verfahren mit hoher Leistungs-
das Schmelzbad durch den Luftspalt fällt oder die dichte erforderlich: Schmelzschweißverfahren.
Kanten der Nahtflanken nicht erfasst werden. Mit zu- – Erhöhen der Verformbarkeit der Fügeteile. Sie ist
nehmender Werkstückdicke werden schon aus wirt- für Verfahren bedeutsam, bei denen kein Fü-
schaftlichen Gründen Verfahren mit großer Wärme- geteil aufgeschmolzen wird: Reib-, Kaltpress-
zufuhr, d. h. größerer Abschmelzleistung, bevorzugt. schweißen. Die größere Verformbarkeit und ge-
Aus metallurgischen Gründen darf aber die Energie- ringere Festigkeit erleichtern den Bindevorgang.
zufuhr nie bestimmte, von der Werkstückdicke, der – Verbessern der »Reaktionsfähigkeit« der Füge-
Vorwärmtemperatur und vor allem aber von der Art teile. Eine erhöhte Temperatur der Fügeteile er-
und chemischen Zusammensetzung des Werkstoffes leichtert den Bindevorgang, weil Diffusionsvor-
abhängige Grenzwerte überschreiten. Großvolumige, gänge, metallurgische oder chemische Reaktio-
überhitzte (Abbrand) und heißrissanfällige Schweiß- nen und die Rekristallisation beschleunigt ablau-
güter mit unerwünschtem Stängelgefüge wären die fen können: Z. B. Lötverfahren, tieferer Einbrand
Folge (Abschn. 3.2.4.2). bei »heißeren« Schweißverfahren (MIG/MAG-,
UP-Verfahren). In manchen Fällen müssen stö-
Zum Schweißen dickwandiger Bauteile eignet sich rende Oberflächenschichten (z. B. Oxidfilme)
nur eine geringe Anzahl von (Hochleistungs-)Verfah- meistens mit Hilfe chemisch aktiver Substanzen
ren, nämlich das UP-, Elektroschlacke-, Elektronen- (Flussmittel) metallurgisch unwirksam gemacht
und Laserstrahlschweißen. werden. Dazu sind ausreichend hohe Tempera-
turen notwendig.
Betriebliche Gegebenheiten
In vielen Fällen müssen wohlbegründete Überlegun- Außer diesen für den Bindemechanismus erforder-
gen zur Wahl des Schweißverfahrens wegen betrieb- lichen Vorgängen bewirkt die Wärmequelle andere
licher Gegebenheiten bzw. einschränkender Möglich- – meistens negative – Eigenschaftsänderungen (s.
keiten korrigiert bzw. geändert werden. Aus wirtschaft- Abschn. 3.2.3).
lichen Gründen – das konkurrierende Fabrikat ist z.
B. billiger oder technisch hochwertiger – muss ein Wenn Verfahren mit großer Leistungsdichte 2) ver-
nicht optimales, aber ausreichendes und preiswerte- wendet werden, ist der thermisch beeinflusste Be-
res Schweißverfahren eingesetzt werden. Sind auch
notwendige Einrichtungen (z. B. Vorrichtungen al- 2)
Der Begriff »Leistungsdichte«, angegeben z. B. in W/cm2,
ler Art, Glühöfen) nicht verfügbar, dann muss man kennzeichnet die Fähigkeit der Wärmequelle, wieviel Ener-
fachgerecht improvisieren. gie sie jedem cm2 der Oberfläche zuführen kann. Davon
zu unterscheiden ist die Kenngröße Streckenenergie E.
Sie gibt die Wärmemenge an, die jedem Zentimeter der
Schweißnahtlänge von der Wärmequelle zur Verfügung
3.2 Werkstoffliche Grundlagen gestellt wird. Die tatsächlich dem Werkstoff zugeführ-
te Wärmemenge ist aber von verschiedenen physikali-
für das Schweißen schen Eigenschaften des Schweißverfahrens abhängig.
Diese Wärmeeinbringen Q genannte Wärmemenge wird
Beim Herstellen von Schweiß- und in wesentlich bei den Lichtbogenschweißverfahren aus den Einstellwer-
geringerem Umfang auch Lötverbindungen, die al- ten Lichtbogenspannung U(V), Schweißstrom I(A) und
der Vorschubgeschwindigkeit der Wärmequelle v(cm/s) be-
le notwendigen technischen und wirtschaftlichen An-
rechnet: Q k¹E k¹U¹I/v in J/cm. In dieser Beziehung
forderungen erfüllen sollen, sind eingehende Kennt- beschreibt der thermische Wirkungsgrad k die unterschied-
nisse der beim Schweißen ablaufenden Gefüge- und liche Fähigkeit der Schweißverfahren, Wärme von der Wär-
Eigenschaftsänderungen nötig. mequelle auf das Werkstück übertragen zu können.
122 3 Fügen

reich der Verbindung klein. Mit der Wahl geeigne- dichte führen sonst zu rissbegünstigenden thermi-
ter auf den zu schweißenden Werkstoff angepasster schen Spannungen. Reine Metalle besitzen die größ-
Verfahren können die geschilderten metallurgischen te Wärmeleitfähigkeit; Legierungselemente setzen
Schwierigkeiten beseitigt bzw. verringert werden. sie z. T. stark herab.

Daraus folgt: Der Wärmeausdehnungskoeffizientαbestimmt


den Umfang der beim Schweißen entstehenden Ände-
Der Werkstoff diktiert die Schweißbedingungen rungen der Bauteilabmessungen (Verzug, Schrump-
fen, Verwerfen) und die Höhe der entstehenden Eigen-
Die Schweißverfahren, die Einstellwerte (z. B. Strom, spannungen. Bei unzureichender Verformbarkeit
Spannung und Vorschubgeschwindigkeit) und die des Werkstoffes, besteht die Gefahr der Rissbildung.
davon abhängigen Temperaturfelder sind in Abhän- Geschweißte Bauteile aus Werkstoffen mit großem
gigkeit vom Werkstoff zu wählen. Von großer Bedeu- Wärmeausdehnungskoeffizienten (Kupfer, Alumini-
tung ist demnach die Einsicht, dass die Intensität um, Magnesium) erfordern daher auch oft aufwändi-
der Wärmequelle kontrolliert werden muss, um un- ge Richtarbeiten (bzw. eigenspannungsvermindern-
zulässige Werkstoffänderungen durch den Schweiß- de Vorrichtungen), wenn Abmessungen mit kleinen
prozess auszuschließen bzw. klein zu halten. Toleranzen vorgeschrieben bzw. erwünscht sind.

In Tabelle 3-2 sind einige physikalische Eigenschaf-


3.2.2 Physikalische Eigenschaften der ten ausgewählter Metalle angegeben. Bild 3-7 zeigt
Werkstoffe sehr vereinfacht den Einfluss einiger wichtiger phy-
sikalischer Eigenschaften der Werkstoffe auf das zu
Die physikalischen Eigenschaften der Werkstoffe erwartende Schweißverhalten bzw. auf die Wahl der
beeinflussen maßgebend Schweißverfahren.
– das Verhalten der Werkstoffe beim Schweißen
(Schweißeignung, Abschn. 3.2.4.4) und demzu- Die Gaslöslichkeit der Metalle verursacht beim
folge die mechanischen Gütewerte und die Si- Schweißen folgende Schwierigkeiten:
cherheit der Schweißverbindungen sowie – Vorausgesetzt, das Gas ist im Metall unlöslich:
– die Eignung und Wirksamkeit des Schweißver- Porenbildung, Gaseinschlüsse.
fahrens. – Vorausgesetzt, das Gas ist im Metall löslich. Die
Bildung von Einlagerungsmischkristallen (das
Der elektrische Widerstand R der Werkstoffe (spe- Gas wirkt wie ein »Legierungselement«!) ist häu-
zifischer Widerstand r bzw. Leitfähigkeit l) ist für fig mit einer großen Abnahme der Zähigkeit ver-
die einwandfreie Funktion verschiedener Schweiß- bunden. In vielen Fällen muss mit Rissbildung
verfahren von großer Bedeutung. Beim Widerstands- gerechnet werden. Ein typisches Beispiel für die
schweißen (Abschn. 3.4) beträgt die zwischen den schädigende Wirkung von Gasen ist die durch
zu schweißenden Werkstücken entwickelte Wärme- Wasserstoff hervorgerufene extrem gefährliche
menge Kaltrissbildung bei den hochfesten vergüteten
Feinkornbaustählen.
Q I 2 ¹ R ¹ t.
– Vorausgesetzt, das Gas bildet Verbindungen (z.
Sie ist z. B. beim Kupfer wegen des geringen spezi- B. Fe2N). Abhängig von der Temperatur und den
fischen Widerstandes sehr gering. Dieser Werkstoff Abkühlbedingungen ist die Verbindung im Grund-
ist daher sehr schlecht widerstandsschweißgeeignet. werkstoff gelöst oder nicht gelöst. Nach dem Ab-
kühlen befindet sich das Gas entweder gelöst im
Mit zunehmender Wärmeleitfähigkeit λ der Werk- Gitter, oder es liegt als Verbindung (Teilchen
stoffe sind in der Regel Schweißverfahren mit gro- bzw. Partikel) vor. In diesem Fall werden die Gü-
ßer Leistungsdichte erforderlich, um den während tewerte der Schweißverbindung durch Einschlüs-
des Schweißens entstehenden Wärmeverlust auszu- se in aller Regel nur mäßig verschlechtert.
gleichen. In der Praxis werden die Fügeteile aus gut
wärmeleitenden Werkstoffen (z. B. Cu, Al) meistens Tabelle 3-3 zeigt das Lösungsverhalten der wichti-
zusätzlich vorgewärmt. Die sehr hohen Abkühlge- gen Gase Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff in
schwindigkeiten bei Verfahren mit großer Leistungs- Metallschmelzen beim Schmelzpunkt.
3.2 Werkstoffliche Grundlagen für das Schweißen 123

3.2.3 Einfluss des Temperaturfeldes Die »Wärmebehandlung« beim Schweißprozess un-


terscheidet sich deutlich von technischen Wärmebe-
Die fachgerechte, wirtschaftliche und sinnvolle Aus- handlungen (z. B. Normalglühen oder Härten). Sie
wahl eines Schweißverfahrens ist ohne Kenntnis der ist die Ursache für eine ganze Reihe meist nachteili-
grundlegenden verfahrenstechnischen Besonder- ger metallurgischer Änderungen des Werkstoffes und
heiten und der von der Schweißwärme erzeugten unerwünschter Eigenschaften bzw. Eigenschaftsän-
Eigenschaftsänderungen des Grundwerkstoffes und derungen des geschweißten Bauteils:
der Wärmeeinflusszone nur in den wenigsten Fäl- Die Aufheizgeschwindigkeiten sind sehr groß.
len möglich. Alle Gefügeumwandlungen (beispielsweise die
für Stahl wichtige Umwandlung: a -Fe  g -Fe)
Der Werkstoff wird an der Schweißstelle durch meis- erfolgen nicht vollständig, weil die Haltezeiten
tens punktförmig wirkende, also sehr konzentrier- (z. B. »Austenitisierungszeit« tH in Bild 3-8a) zu
te Wärmequellen aufgeschmolzen. Die Folgen sind gering sind. Carbide, Nitride, Oxide, Gefügein-
sehr große Aufheizgeschwindigkeiten (bis zu etwa homogenitäten (z. B. Kristallseigerungen) kön-
1000 K/s) und Abkühlgeschwindigkeiten (einige nen daher nicht vollständig beseitigt werden. Gro-
100 K/s). Die Verweilzeit bei der jeweiligen Höchst- ße Temperaturgradienten, etwa die gemäß Bild
temperatur beträgt dabei nur einige Sekunden, wie 3-8b), führen zu größeren Spannungen und ge-
Bild 3-8a) erkennen lässt. ringerem Verzug.
Tabelle 3-2. Physikalische Eigenschaften wichtiger metallischer Werkstoffe.

Werkstoff Schmelzpcunkt ϑS spezifischer Wärmeleit- Wärme-


bzw. Schmelz- Widerstand ρ fähigkeit λ ausdehnungs-
bereich koeffizient α

°C Ωm W/(mK) 10−6 /K

Aluminium 660 2,6 ¹10 –8 238,6 23,9


Kupfer 1080 1,7 ¹ 10 –8 389 17,7
CuZn10 1050 13,5 ¹10 –8 75,4 16,4
Eisen 1530 10 ¹ 10 –8 81 12
(niedrig-)legierter Stahl 1430 bis 1500 10 ¹10 –8 bis 20 ¹10 –8 33,5 bis 50,5 11,4
austenitischer Stahl 1390 bis 1470 75 ¹ 10 –8 15 18,3
Magnesium 650 4,5 ¹ 10 –8 155 26,1
Molybdän 2610 5,2 ¹ 10 –8 142,4 5,0
Nickel 1450 7 ¹10 –8 92 13,3
NiCu 1350 48 ¹ 10 –8 25 14
Tantal 2996 12,5 ¹10 –8 50 6,5
Titanlegierungen 1550 bis 1600 50 ¹10 –8 bis 160 ¹10 –8 79,5 bis 180 5,0 bis 7,0
Wolfram 3410 5,6 ¹ 10 –8 150 4,6

Tabelle 3-3. Löslichkeit der Gase (Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff) in Metallschmelzen beim Schmelzpunkt.

Zustandsform Löslichkeit Gas

Wasserstoff Stickstoff Sauerstoff

Al, Co, Cr, Cu, Fe,


Gas bildet keine Gas löslich Fe Fe, Ag
Mn, Mo, Ni, W, Zn
Verbindung
Gas unlöslich Au Cu, Ag, Au, Platin-Metalle Au, Platin-Metalle
Verbindung
Ti, Zr, Th, V, Nb, Ta Ti, Zr, Th, V, Nb, Ta Ti, Zr, Th, V, Nb, Ta
stark löslich
Verbindung
Gas bildet Verbindung Li, Na, K, Cs, Cu Co, Cr, Fe, Mn, Mo, W Cu, Co, Cr, Fe, Mn, Mo, Ni
mäßig löslich
Verbindung
− Li, Na, K Al, Mg, Be, Zn
unlöslich
124 3 Fügen

Betrachtete Eigenschaft Einfluss auf die Schweißverbindung bzw. auf die Schweißverfahren

thermische Leitfähigkeit l λ groß: Starker Wärmeabfluss in den Grundwerkstoff, daher sind i. Allg. Schweiß-
verfahren mit hoher Leistungsdichte und (oder) Vorwärmen erforderlich. Tempera-
turgefälle ist gering, d. h., der durch die Schweißwärme beeinflusste Bereich des
T Werkstoffs (Wärmeeinflusszone WEZ, Abschn. 3.2.3) ist groß, die Schweißeigen-
spannungen sind geringer, der Verzug ist oft größer. Beispiele: Cu, Al, Mg.
λ klein: Geringer Wärmeabfluss, großes Temperaturgefälle, Breite der WEZ ge-
WEZ
ring, schärferer Eigenspannungszustand. Beispiel: austenitischer CrNi-Stahl.

groß l klein

elektrischer spez. Widerstand r ρ groß: Wichtige Eigenschaft beim Widerstandsschweißen. Erzeugen ausreichen-
der Energie zwischen den Blechen ist leichter. Beispiele: Stahl, Ti, NiCu30.
ρ klein: Zum Herstellen der Punktschweißverbindung benötigte Energie ist schwer
erzeugbar, besondere Maßnahmen sind erforderlich. Beispiel: Cu, durch große
Wärmeleitfähigkeit ist das Widerstandsschweißen zusätzlich erschwert.
groß r klein

Wärmeausdehnungskoeffizient a Bleche sind zwischen unbeweglichen Auflagern A und B eingeschweißt.


α groß: Starke Ausdehnung der Bleche beim Erwärmen, die bei kleinen Werk-
A B stückdicken zum Ausknicken (elastische und plastische Verformung), bei großen
zum Stauchen der Fügeteile führt (Verformung ist überwiegend plastisch). Beim
D l D l Abkühlen Schrumpfen um den gleichen Betrag (2¹'l), wodurch sehr hohe Schrumpf-
spannungen bzw. Risse entstehen.
α klein: Schweißeigenspannungen und Verzug sind gering, günstig vor allem bei
a groß starrer Einspannung und großer Wanddicke der Fügeteile, geringe Rissneigung der
Schweißverbindung. Bei geringen Wanddicken ist der Verzug (Schrumpfung) der
geschweißten (vor allem der großflächigen) Konstruktion gering.
a klein

Bild 3-7
Einfluss wichtiger physikalischer Eigenschaften der Werkstoffe auf ihr Schweißverhalten.

Die Maximaltemperaturen sind in der Nähe ne möglichst langsame Abkühlung ist anzustre-
der Schmelzgrenze sehr hoch (Bild 3-8a)). Trotz ben. Auch diese Maßnahmen gehören zur fach-
der sehr kurzen zeitlichen Einwirkung ist die gerechten Auswahl der Schweißverfahren.
Wirkung erheblich: Kornwachstum (Grobkorn)
und (oder) Lösung von Ausscheidungen (Carbi- Man bezeichnet den Bereich der Schweißverbindung,
den, Nitriden) sind die Folge. in dem die Schweißwärme Gefügeumwandlungen
Infolge der großen Abkühlgeschwindigkeiten oder in weiterem Sinne Gefügeänderungen hervor-
in der Nähe der Schmelzgrenze wird bei der Werk- ruft, als Wärmeeinflusszone (WEZ), Bild 3-8 und
stoffgruppe »wärmebehandelbarer Stähle« die 3-9. Bei umwandlungsfähigen Stählen reicht sie z. B.
Bildung aufgehärteter (d. h. martensitischer) riss- von der Schmelzgrenze bis zu der von der Aufheiz-
anfälliger Bereiche begünstigt, Bild 3-9. Hier- geschwindigkeit und der chemischen Zusammenset-
für ist es erforderlich, dass die nur werkstoffab- zung abhängigen Ac1-Temperatur, bei NE-Metallen
hängige obere kritische Abkühlgeschwindig- von der Schmelzgrenze bis zum Ort der ersten nach-
keit vok überschritten wird. Je größer die Leis- weisbaren Änderung des Gefüges (z. B. Kornwachs-
tungsdichte des Verfahrens ist, desto größer ist tum, Gasaufnahme, physikalische bzw. chemische Än-
die Abkühlgeschwindigkeit [Bild 3-8a), Kurve 1 derungen). Die in der Wärmeeinflusszone auftreten-
und 2]: Für aufhärtungsfreudige Stähle und an- den Änderungen der mechanischen Eigenschaften
dere empfindliche Werkstoffe sind daher derar- bestimmen zusammen mit den mechanischen Güte-
tige Verfahren nicht besonders gut geeignet. Ei- werten des Schweißgutes die Bauteilsicherheit.
3.2 Werkstoffliche Grundlagen für das Schweißen 125

2300 Verfahren mit Bild 3-9 zeigt, dass bei Stahlschweißungen eine
K zunehmender
Leistungsdichte (L) geringe (große) Leistungsdichte eine geringe (gro-
Temperatur T

ße) Härte, aber eine breite (schmale) WEZ erzeugt.


Abhängig davon, welche Eigenschaft (große Härte,

Temperatur T
Ac3
Ac1 breite WEZ) für die Bauteilsicherheit nachteiliger
1
tH ist, muss das Schweißverfahren u. a. nach der Leis-
2 L1
tungsdichte ausgewählt werden.
L2
Zeit t Abstand von Nahtmitte x

WEZ1
3.2.4 Werkstoffbedingte Besonder-
1 2 WEZ2 heiten und Schwierigkeiten beim
Schweißen
a) b)
3.2.4.1 Probleme während des Erwärmens
Bild 3-8 Umfang und Art der Schwierigkeiten hängen ent-
Temperaturverlauf in der Wärmeeinflusszone (WEZ) einer scheidend von der Aufheizgeschwindigkeit, d. h. un-
geschweißten Verbindung aus Stahl (schematisch). ter anderem von der Menge der zugeführten Energie
a) zeitlicher Verlauf an zwei »Punkten« der WEZ (Thermoele-
ab. Sie sind also stark verfahrensabhängig.
mente 1 und 2), tH = »Austenitisierungsdauer«
b) Verlauf in Abhängigkeit vom Abstand von der Schweiß-
nahtmitte für zwei Verfahren mit unterschiedlicher Leis- Die zugeführte Energie wird bei den Lichtbogen-
tungsdichte L (L1 < L2) schweißverfahren anschaulich und einfach durch
das Wärmeeinbringen Q beschrieben. Das ist die je-
dem Zentimeter Schweißnaht in der Sekunde von der
Ac3
Wärmequelle des Schweißverfahrens zur Verfügung
gestellte elektrische Leistung:
Temperatur

Ac1
Q k¹ U¹I/v in J/cm
k thermischer Wirkungsgrad, s. a. Fußnote
2, S. 121,
U¹I elektrische Leistung im Schweißstrom-
kreis in J/s,
WEZ WEZ v Schweißgeschwindigkeit in cm/s.
Härteeindrücke
Das Wärmeeinbringen Q wird in der Praxis als Maß-
stab für die thermische Beeinflussung des Werkstof-
austenitisierte Bereiche
fes beim Schweißen weitgehend angewendet.

Beim Aufheizen entstehen große thermische Span-


Härte

nungen. Sie können bei wenig verformbaren Werk-


stoffen bzw. bei größeren Werkstückdicken zu Ris-
sen führen. Je kleiner der Temperaturgradient im
Werkstück ist, desto geringer ist die Rissgefahr. Mit
Hilfe des Vorwärmens und (oder) von Schweißver-
fahren mit geringer Leistungsdichte sind kleine Tem-
kleiner Leistungsdichte größer peraturgradienten erreichbar.
geringer Härterissneigung größer
größer Breite der WEZ kleiner Die sehr große Gaslöslichkeit des schmelzflüssi-
milder Eigenspannungszustand schärfer gen Schweißgutes ist eines der Hauptprobleme der
Schweißtechnik. Die Gase – besonders Stickstoff,
Bild 3-9
Wirkung von Schweißverfahren unterschiedlicher Leistungsdich- Wasserstoff und Sauerstoff, oder aus Vergasungs-
te auf die Temperatur- und Härteverteilung in einer Schweißver- prozessen von Beschichtungen aller Art stammen-
bindung aus einem aufhärtungsfähigen Stahl (schematisch). den Gase – können sich beim folgenden raschen Er-
126 3 Fügen

starren nur unvollständig ausscheiden und verur- Temperatur erstarrenden Metalle und eutektische
sachen Porenbildung und Zähigkeitsverlust (Ab- Legierungen praktisch heißrissfrei.
schn. 3.2.2). Die atmosphärischen Gase müssen da-
her von der Schweißschmelze ferngehalten werden. Bild 3-10 zeigt die Primärkristallisation einer in ei-
Das geschieht bei den einzelnen Verfahren mit Hil- ner Lage hergestellten Schweißverbindung (s. a. Ab-
fe sehr unterschiedlicher Maßnahmen: schn. 3.2.4.3). Das Schweißgut erstarrt – beginnend
– Umhüllung bei der Stabelektrode (Lichtbogen- von den Schmelzgrenzen – in Form länglicher Kris-
handschweißen); tallite (Dendriten). Die Kristallisationsfronten schie-
– geeignete Schutzgase (WIG-, MIG-, MAG-Ver- ben die bei geringerer Temperatur erstarrende Rest-
fahren), die extern zugeführt werden; schmelze vor sich her, ehe sie sich in Nahtmitte (ge-
– Pulverschicht (UP-Verfahren), die die Schmel- nauer thermische Mitte) treffen. Da der Gehalt an Ver-
ze und den Lichtbogen abdeckt; unreinigungen in der Restschmelze am größten ist
– völliges Ausschalten der Atmosphäre (das Elekt- (z. B. in Form niedrigschmelzender eutektischer
ronenstrahlschweißen arbeitet mit Vakuum, oder Verbindungen, wie etwa FeS, NiS), muss bei großvo-
die »natürliche« Atmosphäre wird vollständig lumigen Schmelzbädern mit einer ausgeprägten Heiß-
durch ein Schutzgas ausgetauscht, z. B. Schwei- rissneigung (evtl. Wiederaufschmelzrisse in der
ßen von hochreaktiven Werkstoffen unter einer WEZ), mit sehr geringen Festigkeitswerten, vor al-
Argonatmosphäre). lem aber mit einer sehr niedrigen Zähigkeit gerech-
net werden. Die Probleme werden gravierender mit
3.2.4.2 Probleme während des Erstarrens zunehmendem
Wegen der großen Abkühlgeschwindigkeiten und der – Schmelzbadvolumen, zunehmendem
erheblichen Turbulenzen im Schmelzbad sind Ent- – Gehalt an Verunreinigungen im Grundwerk-
mischungen der Legierungselemente über größere stoff, zunehmendem
Bereiche weniger ausgeprägt. Dagegen ist die Kris- – Wärmeeinbringen beim Schweißen (Gasschwei-
tallseigerung, also die Entmischung innerhalb der ßen, u. U. UP-Schweißen) und zunehmendem
Körner, praktisch unvermeidlich. Diese Erscheinung – Erstarrungsintervall der Legierung.
ist bei unlegierten Stählen von untergeordneter Be-
deutung, bei hochlegierten Stählen und NE-Metal- Daher ist die zunächst wirtschaftlich verlockend er-
len (z. B. Bronzen, CuNi-Legierungen) können je- scheinende Möglichkeit, dickwandige Bauteile in ei-
doch große Nachteile, wie eine deutlich schlechte- ner Lage oder in wenigen Lagen zu schweißen, tech-
re Schweißeignung, eine verminderte Korrosionsbe- nisch i. Allg. nicht sinnvoll. In den meisten Fällen
ständigkeit oder sogar Rissbildung entstehen. wird daher die Mehrlagentechnik (in der Praxis oft
auch Pendellagentechnik oder Zugraupentechnik
Das größte Problem beim schnellen Abkühlen der genannt) gemäß Bild 3-10 gewählt. Die Streckenener-
Schweißverbindung ist das Entstehen von Rissen. gie jeder Lage ist ausreichend, um die jeweils darun-
Je nach ihrer Entstehungstemperatur unterscheidet ter liegende zum Teil
man Heißrisse und Kaltrisse. – aufzuschmelzen: Die Verunreinigungen werden
neu und gleichmäßiger verteilt, und
Ähnlich wie Gusswerkstoffe neigt auch das erstarren- – umzukörnen: Bei der wichtigen Werkstoffgrup-
de Schweißgut unter bestimmten Bedingungen zur pe »Stahl« entsteht ein »Normalisierungseffekt«,
Bildung von Heißrissen. Sie entstehen im Tempera- der das nachteilige Gussgefüge der Schweißnaht
turbereich zwischen Liquidus- und Solidustempera- zum Teil beseitigt.
tur kurz vor dem Ende der Erstarrung. Die die Primär-
kristalle filmartig umgebende Restschmelze wird Die Zugraupentechnik (oft auch Strichraupentech-
durch die beim Abkühlen der Schweißnaht entstehen- nik genannt) darf nicht mit der Pendellagentechnik
den Schrumpfkräfte getrennt. Die Rissbildung er- verwechselt werden. Der Nahtaufbau erfolgt bei ihr
folgt immer interkristallin, also entlang der Korn- in Form dünner und ohne größere Pendelbewegun-
grenzen. gen schnell gezogener Raupen. Der Raupenquer-
schnitt und damit auch die mitgeführte Wärme ist
Da die wesentlichste Ursache des Heißrissbildung so klein, dass keine merkliche Umkörnung der unte-
die Temperaturdifferenz zwischen der Solidus- und ren Lagen stattfinden kann. Das dendritische Guss-
der Liquidustemperatur ist, sind die bei konstanter gefüge bleibt weitgehend erhalten, d. h., eine Gefüge-
3.2 Werkstoffliche Grundlagen für das Schweißen 127

Art des Nahtaufbaus

Einlagentechnik Mehrlagentechnik

Pendellagentechnik Zugraupentechnik

Der gesamte Nahtquerschnitt wird mit Die durch jede Lage zugeführte Ener- Die einzelnen Lagen führen den darunter lie-
einer Lage gefüllt. Das Schweißgutge- gie erwärmt große Bereiche der da- genden Lagen nur so wenig Energie zu, dass
füge zeigt gussähnliche Eigenschaften. runter liegenden Lagen und der WEZ kein Umkörnen erfolgen kann. Das Gussge-
Es besteht aus langen Stängelkristallen. über Ac3. Das extrem grobkörnige füge bleibt weitgehend erhalten.
Das Gefüge ist anisotrop. Gefüge wird daher umgekörnt (»Nor-
malisierungseffekt«): Die anisotro- Das Schweißgut und die WEZ sind als Fol-
Die im Schweißgut vorhandenen Verun- pen Stängelkristalle verschwinden ge der großen Eigenspannungen der vielen
reinigungen werden in Nahtmitte ange- und das Gefüge wird wesentlich fein- schnell abkühlenden kleinvolumigen Lagen
häuft und begünstigen stark die Heißriss- körniger. bei härtbaren Stählen härter und spröder (Mar-
bildung. Die mechanischen Gütewer- tensit und Spannungsversprödung).
te sind mäßig. Die Gütewerte (insbesondere die
Zähigkeit!) sind merklich besser als Diese Technik wird bei Schweißarbeiten in
Für sehr saubere Werkstoffe mit Hand- bei einlagig geschweißten Verbin- Zwangslage angewendet. Die extrem langen
schweißverfahren bis zu Wanddicken von dungen. Bei thermisch empfindli- Schweißzeiten machen das Verfahren unwirt-
etwa 10 mm, mit Hochleistungsverfahren chen Werkstoffen (viele NE-Metal- schaftlich, wobei die erreichbaren Eigenschaf-
(z. B. UP-Verfahren) bis etwa 30 mm an- le) ist u. U. die Zugraupentechnik ten eine allgemeine Anwendung technisch
wendbar. geeigneter (aber wesentlich teurer). nicht sinnvoll machen.

Bild 3-10
Erstarrungsvorgänge (»Primärkristallisation«) bei Fe-C-Legierungen (Stahl) in Abhängigkeit von der Art des Nahtaufbaus
in einlagig und mehrlagig hergestellten Schweißverbindungen.

verbesserung wie bei der Pendellagentechnik ist nicht bar. Kaltrisse entstehen bei niedrigeren Temperatu-
möglich. Diese Methode des Lagenaufbaus muss ren meist durch das Ineinandergreifen mehrerer un-
aber bei allen Schweißarbeiten angewendet werden, tereinander wechselwirkender Ursachen:
bei denen nur geringe Schweißgutvolumina zuläs- – Aufhärtung in den schmelzgrenzennahen Berei-
sig sind. Das gilt vor allem für Schweißarbeiten in chen der Wärmeeinflusszone (Bild 3-9),
Zwangslagen, bei Wurzelschweißungen und beim – Belastungs- und (oder) Eigenspannungen,
Schweißen dünnwandiger Bleche. In Bild 3-10 ist – Versprödung z. B. durch Gasaufnahme (Wasser-
die unterschiedliche Gefügeausbildung der beiden stoff, Sauerstoff, Stickstoff) oder durch niedri-
Mehrlagentechniken schematisch dargestellt. ge Betriebstemperaturen (Sprödbruch).

Bei hohem Einschlussgehalt, z. B. bei den qualita-


tiv hochwertigen, besonders beruhigten Stählen,
können auch in der Wärmeeinflusszone Heißrisse
entstehen (»Spaltfreudigkeit«), wie Bild 3-11a) zeigt.

Die schmelzenden Einschlüsse treiben den Werkstoff


s
an der Schmelzgrenze rissartig auseinander. Eine
Werkstofftrennung kann allein durch die Wirkung
a) b)
hoher Schrumpfspannungen ausgelöst werden, wenn
die Einschlüsse zeilenförmig angeordnet sind. Bild Bild 3-11
Entstehung von Werkstofftrennungen in Stählen mit hohem
3-11b) verdeutlicht diese Zusammenhänge.
Einschlussgehalt.
a) Schmelzende Einschlüsse »spalten« das Blech
Die Ursachen der meist transkristallin verlaufenden b) große Schrumpfspannungen s führen bei Einschlusszei-
Kaltrisse sind komplexer und schwerer überschau- len zur Rissbildung (schematisch)
128 3 Fügen

Risse infolge Aufhärtung lassen sich am sichersten


durch die Wahl schlecht härtbarer, d. h. niedrigge-
kohlter (C … 0,2 %) (niedrig-)legierter Stähle vermei-
den. Je geringer die werkstofflichen und fertigungs-
technischen Schwierigkeiten eines Werkstoffes beim
Schweißen sind, desto besser ist seine Schweißeig-
nung (Abschn. 3.2.4.4). Fertigungstechnisch lässt
sich eine zu große Abkühlgeschwindigkeit sehr si-
cher mit Hilfe eines Vorwärmens (100 ’C bis 250 ’C)
der Fügeteile oder durch Schweißverfahren verrin-
gern, die mit großer Streckenenergie arbeiten kön-
nen (z. B. das UP-Verfahren).

Die Wirkung der großen Abkühlgeschwindigkeit


macht sich unangenehm bemerkbar bei Zündstellen Bild 3-12
(Lichtbogenansatzstellen): Eine Zündstelle ist ein Risse in einer Ansatzstelle beim Schweißen (»Zündstelle«);
kleinerer über Schmelztemperatur erwärmter Werk- Werkstoff AlMg4,5Zn1; V O 5:1.
stoffbereich, der durch einen auf der Werkstückober-
fläche gezündeten und sofort rasch weiterbewegten
Lichtbogen (z. B beim WIG-Schweißen) erzeugt
wird. Die folgende schnelle Abkühlung führt in vie-
len Fällen zu Schrumpfrissen. Bei höhergekohlten
Stählen (C ! 0,2 %) entstehen wegen der Bildung von
hartem, sprödem Martensit fast immer Risse. Der
Lichtbogen darf daher nur unmittelbar im Bereich
der Schweißnaht gezündet werden.

Bei martensitischen Gefügen entstehen durch Was-


serstoff leicht die wasserstoffinduzierten Kaltrisse,
die wegen ihrer Lage in der Schweißverbindung
auch Unternahtrisse genannt werden. Sie entstehen
unmittelbar an der Schmelzgrenze in der aufgehärte-
ten WEZ. Bei vergüteten Stählen können schon ge-
Bild 3-13
ringste Mengen (etwa 1 ml H2/100 g Fe) den gefährli- Riss in der Wärmeeinflusszone einer Schweißverbindung aus
chen wasserstoffinduzierten Riss 3) auslösen. Außer dem Stahl C45 unmittelbar neben der Schmelzgrenze (»Unter-
vakuumerschmolzenen Grund- und Zusatzwerkstof- nahtriss« = wasserstoffinduzierter Kaltriss); V = 400 :1.
fen sind in diesem Fall extrem sorgfältige Fertigungs-
bedingungen erforderlich. Die Eigenschaften der Verbindung bzw. Auftragung
werden weitgehend von denen der »Mischzone« bzw.
3.2.4.3 Verbindungs- und Auftragschwei- ihres Gefüges bestimmt. Sie hängen sehr ab vom
ßen unterschiedlicher Werkstoffe Grad der Löslichkeit der beteiligten Elemente inein-
Beim Verbinden zweier unterschiedlicher Werkstof- ander, der Menge und Verteilung (Korngrenzenbe-
fe durch Schmelzschweißverfahren entsteht wenigs- reich, Korninneres) entstehender spröder Gefüge-
tens örtlich eine Zone, in der sich beide Werkstoffe bestandteile, siehe Bild 3-14:
im schmelzflüssigen Zustand vermischt haben. Der ❶ Völlige Unlöslichkeit (Eutektikum). Die Gü-
Umfang des Vermischens wird mit dem Aufschmelz- te der Verbindung hängt entscheidend von den
grad AS ausgedrückt (Abschn. 3.1.3 und Bild 3-4). Eigenschaften der Komponenten ab. Durch das
schnelle Abkühlen entsteht im Allgemeinen ein
3) sehr feines, hartes eutektisches Gefüge. Niedrig-
Der wasserstoffinduzierte Kaltriss wird im englischen
Schrifttum delayed (verzögert) fracture genannt. Diese schmelzende Bestandteile (z. B. FeS bei Stahl,
Bezeichnung drückt aus, dass die Risse erst Stunden (Ta- NiS bei Nickelwerkstoffen) können zur Heißriss-
ge) nach der Wasserstoffbeladung entstehen (können). bildung führen.
3.2 Werkstoffliche Grundlagen für das Schweißen 129

lfd. Zustandsschaubild Gefüge des Schweißguts, zu erwartende Eigenschaften der


Nr. Einlagentechnik Schweißverbindung
(sehr vereinfacht)

Schweißgut Zusatzwerkstoff = A
Eutektikum E = A + B
1. Wenn A und B völlig unlöslich ineinander sind,
ist keine Bindung möglich (z. B. Fe – Pb), nur indi-
rekt über ein weiteres drittes Metall C, wenn A  C
S und B  C legierbar sind.
A B
➊ A+E E+B
A B 2. Die Gütewerte der Verbindung sind praktisch nur
von den Eigenschaften des Eutektikums und von
A bzw. B abhängig. Das Schweißgut besteht über-
Dc wiegend aus dem Zusatzwerkstoff A und E bzw.
primäre A - Kristalle
dem Zusatzwerkstoff B und E. Niedrigschmelzen-
Dc = Konzentrationsbereich der Le- de Eutektika können aber zum Heißriss führen.
gierungselemente im Schweißgut

Schweißgut Zusatzwerkstoff = A
1. Das Schweißgut besteht nur aus zähen, wenig riss-
S anfälligen Mischkristallen.
Dc
2. Die Schweißverbindung hat optimale metallurgi-
➋ A B A B
sche und mechanische Eigenschaften; aber das
Schweißgut ist meistens kristallgeseigert. Das kann
a - MK in schwierigen Fällen aber die Korrosionsanfäl-
Schweißgut besteht vollständig
aus (kristallgeseigerten) a - MK.en ligkeit des Schweißguts deutlich erhöhen.

Schweißgut Zusatzwerkstoff = A
1. Das Schweißgut enthält eine spröde intermediä-
V Eutektikum E 1 = A + V
Dc re Verbindung V. Geringe Mengen (vor allem an
den Korngrenzen!) führen meist zur vollständi-
gen Versprödung der Verbindung.
A B
A B 2. a) Verfahren wählen, mit dem geringe Aufschmelz-
grade erreichbar sind, dadurch wird V-Gehalt
E1 E2 geringer. Hartlöten ist hervorragend geeignet,
primäre A-Kristalle E2 = B + V wenn die Festigkeit ausreicht.
a1 a2 b) Sehr teuer, aber nahezu immer erfolgreich ist es,
➌ a1 a2 die Flanke mit einem Werkstoff C zu puffern,
A B der weder in der Kombination A  C noch in
der Kombination C  B intermediäre Verbin-
A C B dungen bildet. Siehe auch Bild 3-4, S. 118.
System A - C System C - B
c) Häufig wird Ni oder Ni-haltiger Zusatzwerk-
oder Zusatzwerkstoff = Ni = C stoff gewählt: Ni bildet mit vielen Elementen
a Ni,A a Ni,B a Ni,A (Ni + A) a Ni,B (Ni + B) lückenlose MK-Reihen oder ausgedehnte MK-
Bereiche Diese sind sehr zähe, risssicher und
korrosionsbeständig, aber extrem empfindlich
A C B A B für Schwefel. Das Schweißgut besteht aus Ni-
haltigen Mischkristallen.

Bild 3-14
Metallurgische Vorgänge beim Schweißen unterschiedlicher Werkstoffe A und B, schematisch, siehe auch Bild 3-4, S. 118.

❷ Völlige Löslichkeit (lückenlose Mischkristall- – Cu-Zn-Legierungen (Messinge) mit Zinkge-


reihe). Das gesamte Schweißgut besteht aus sehr halten über 50 % die Phase Cu5Zn8, bei
zähen, wenig rissanfälligen, aber meistens kris- – Cu-Sn-Legierungen (Bronzen) Cu31Sn8 und
tallgeseigerten Mischkristallen. Die Schweißver- bei den
bindung hat gute metallurgische und mechani- – Al-Fe-Legierungen Al3Fe oder Al5Fe2.
sche Eigenschaften.
❸ Spröde Gefügebestandteile. Bilden sich inter- Durch Mischen der Legierungselemente der zu ver-
mediäre Verbindungen, dann führen selbst ge- bindenden Werkstoffe (insbesondere höher kohlen-
ringste Mengen in den meisten Fällen zum Ver- stoffhaltige bzw. legierte Stähle) kann spröder, riss-
spröden der Schweißverbindung. Das gilt vor al- anfälliger Martensit entstehen. Diese vor allem beim
lem dann, wenn sich diese Phase filmartig an Panzern (Bild 3-4) zu beobachtende Erscheinung
den Korngrenzen ausscheidet. Bei entsprechen- erfordert sorgfältigste Wahl des Panzerwerkstoffes,
den Mischungsverhältnissen entsteht z. B. bei evtl. des Pufferwerkstoffes und des Schweißverfah-
130 3 Fügen

rens. Von besonderer Wichtigkeit in diesem Fall ist, – Metallurgische Eigenschaften (Erschmelzungs-
dass der Anteil des aufgeschmolzenen Grundwerk- und Desoxidationsart, Warm-, Kaltformgebung,
stoffes so klein wie möglich bleibt, d. h., das Wärme- Wärmebehandlung). Sie sind bestimmend für
einbringen beim Schweißen muss ausreichend klein Art und Umfang der Seigerungen, Einschlüsse,
gewählt werden. Mit hierfür geeigneten Schweißver- Korngröße, Gefügeausbildung.
fahren (z. B. Gasschweißen, MAG-Schweißen mit – Physikalische Eigenschaften. Die Wärmeleitfä-
Kaltdrahtzufuhr, UP-Schweißen mit Bandelektro- higkeit und das Ausdehnungsverhalten müssen
den, Flammspritzen, Plasmaauftragschweißen) wird in Sonderfällen (z. B. bei ferritischen oder auste-
dieses Ziel erreicht. In Bild 3-14 sind die Vorgänge, nitischen hochlegierten Stählen) berücksichtigt
die die Verbindbarkeit zweier Werkstoffe bestim- werden.
men, schematisch an Hand typischer (Zweistoff-)-
Zustandsschaubilder dargestellt. Die Schweißsicherheit einer Konstruktion ist vor-
handen, wenn das Bauteil aufgrund seiner konstruk-
3.2.4.4 Schweißbarkeit metallischer tiven Gestaltung unter den vorgesehenen Betriebs-
Werkstoffe bedingungen funktionsfähig bleibt. Auf diese Eigen-
Die Schweißbarkeit eines Werkstoffes ist vorhan- schaft hat also der Stahlhersteller keinen Einfluss.
den, wenn der Stoffschluss durch Schweißen mit ei- Sie wird vielmehr von verschiedenen Faktoren be-
nem gegebenen Schweißverfahren bei Beachtung stimmt, die ausschließlich vom Stahlverarbeiter (dem
eines geeigneten Fertigungsablaufes erreicht wer- Schweißbetrieb) abhängen:
den kann (nach DIN-Fachbericht ISO/TR 581). Die – Konstruktive Gestaltung: Kraftfluss, Werkstück-
geschweißten Verbindungen müssen die an sie gestell- dicke, Anordnung der Schweißnähte, Kerbwir-
ten Anforderungen (z. B. mechanische Beanspruch- kung,
barkeit, hohe bzw. tiefe Betriebstemperatur, ausrei- – Beanspruchungszustand: statisch, dynamisch,
chende Sprödbruchsicherheit gegen Korrosionsein- schlagartig, Betriebstemperatur,
wirkung) sicher erfüllen (Bewährung). – Fertigungsbedingungen: Temperatur, bei der ge-
schweißt wird (unterhalb  5 ’C Außentempera-
Dazu ist vor allem ein ausreichendes Verformungs- tur sollten z. B. aus unlegiertem Stahl bestehen-
vermögen der durch die Schweißwärme beeinflussten de Fügeteile auf Handwärme angewärmt wer-
Bereiche der Verbindung (Wärmeeinflusszone) und den), die Lage der Seigerungszonen ist zu beach-
des Schweißgutes erforderlich, um die sehr gefährli- ten, Schweißbedingungen an Eigenheiten des zu
chen verformungslosen bzw. verformungsarmen schweißenden Werkstoffs anpassen).
Trennbrüche (Sprödbrüche) mit einiger Sicherheit
auszuschließen. Die Schweißmöglichkeit ist vorhanden, wenn die
vorgesehenen Schweißungen bei den gewählten Fer-
Die Schweißbarkeit, Bild 3-15, hängt ab vom tigungsbedingungen fachgerecht hergestellt werden
– Werkstoff (Teileigenschaft Schweißeignung), der können. Sie wird u. a. bestimmt von der
– Konstruktion (Teileigenschaft Schweißsicher-
heit) und der Schweißeignung
– Fertigung (Teileigenschaft Schweißmöglichkeit). Werkstoff

Die Schweißeignung eines Werkstoffs ist vorhan-


den, wenn bei der Fertigung aufgrund der chemi- Schweiß-
it

schen, metallurgischen und physikalischen Eigen- barkeit des


Sc

e
hk
hw

schaften des Werkstoffs eine den jeweiligen Anforde- Bauteils


lic
eiß ruktio
Ko

Fe mög

rungen entsprechende Schweißung hergestellt wer-


g
n
sic

un
st

eiß

den kann. Die Schweißeignung wird in der Hauptsa-


rtig
he

hw
rhe
n

che von folgenden Faktoren bestimmt:


Sc
it

– Chemische Zusammensetzung. Sie ist bestim-


mend für die Sprödbruchneigung, Alterungsnei-
Bild 3-15
gung, Aufhärtung, Heißrissneigung, Korrosions- Die Schweißbarkeit eines Bauteils hängt ab von der Schweiß-
verhalten und die mechanischen Eigenschaften eignung, Schweißsicherheit und Schweißmöglichkeit (in An-
der Verbindung. lehnung an DIN Fachbericht ISO/TR 581).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Gasschweißen) 131

– Vorbereitung zum Schweißen: Schweißverfah- Im Vergleich zu den Lichtbogenschweißverfahren


ren, Zusatzwerkstoffe, Hilfsstoffe, Wanddicke(n), besitzt die Wärmequelle »Flamme« eine geringe-
Stoßart(en) und der re Energiedichte, und der Wärmeübergang auf die
– Ausführung der Schweißarbeiten: Wärmefüh- Schweißteile ist merklich schlechter. Daraus erge-
rung, Wärmeeinbringen, Vorwärmen der Füge- ben sich wirtschaftliche Nachteile und technische
teile, Wärmevor- bzw. -nachbehandlung. Grenzen der Anwendbarkeit dieses Verfahrens (Ab-
schn. 3.3.1.7).

3.3 Schmelzschweißverfahren 3.3.1.2 Die Acetylen-Sauerstoff-Flamme


Das aus dem Brennermundstück strömende Gas-
3.3.1 Gasschweißen (G) Sauerstoffgemisch – üblicherweise im Verhältnis
(Ordnungsnummer: 311) 1:1 – bleibt zunächst unverändert beständig, Bild
3-16, Pos 1. In dem hellleuchtenden Kern zerfällt
3.3.1.1 Verfahrensprinzip das Acetylen unter erheblicher Wärmeentwicklung
Der Schmelzfluss entsteht durch unmittelbares, ört- (Q1), Position 2:
lich begrenztes Einwirken einer Brenngas-Sauerstoff-
C2H2  2 ¹ C  H2  Q1.
Flamme. Wärme und Schweißzusatzwerkstoff wer-
den getrennt zugeführt (DIN 1910-100). Als Brenn- In der ersten Verbrennungsstufe, Position 3, wird
gas wird wegen seines in der ersten Verbrennungs- der beim Schweißen zugeführte Sauerstoff für eine
stufe entstehenden hohen Heizwertes ausschließlich unvollständige Verbrennung verbraucht:
Acetylen verwendet. Die bei den Reaktionen des Sau-
2 ¹ C  H2  O2  2 ¹ CO  H2  Q2.
erstoffs mit dem Brenngas (Abschn. 3.3.1.2) freiwer-
dende Wärme wird durch Konvektion und Strahlung Wegen der in dieser Zone vorhandenen reduzieren-
auf die Fügeteile übertragen. Da der Schweißbrenner, den Gase (CO und H2) und der hier herrschenden
d. h. die Wärmequelle und der Zusatzwerkstoff von höchsten Flammentemperatur (etwa 3400 K) wird in
Hand geführt werden, kann der Schweißer das Ener- diesem Bereich geschweißt. Vorhandene oder beim
gieangebot leicht verändern und den Erfordernissen Schweißen neu gebildete Oxide können wenigstens
der jeweiligen Schweißaufgabe optimal anpassen. z. T. durch die Wirkung der reduzierenden Gase be-
Dadurch werden beispielsweise die Schweißarbei- seitigt werden. Die Wirkung der Gase entspricht da-
ten an Dünnblechen erleichtert, und beim Auftrag- mit der der Reduktions- und Schutzmechanismen
schweißen sind Aufschmelzgrade unter 5 % erreich- anderer Schweißverfahren (z. B. Schutzgase beim
bar (Abschn. 3.1.3 und 3.2.4.3). Metall-Schutzgasschweißen, Umhüllungsbestand-
teile beim Lichtbogenhandschweißen, spezielle Pul-
3000 ver beim UP-Schweißen).
° C
Temperatur T

2000
Wird dieser hellleuchtende Kern versehentlich in
1000 das Schmelzbad getaucht, dann nimmt er Kohlen-
0 stoff, Wasserstoff und (oder) Sauerstoff auf: Die
Schmelze wird aufgekohlt (hart und spröde) oder
Legierungselemente brennen ab (unerwünschte Ei-
genschaftsänderungen).
2 bis 5 mm

1 2 3 Schweißbereich 4
1 m3 Acetylen 4) benötigt zum vollständigen Verbren-
1 Kaltes Acetylen - Sauerstoffgemisch
nen 2,5 m3 Sauerstoff. Daher reagieren die noch nicht
2 Acetylenzerfall:: 2 × C2H2 ® 4 × C + 2 × H2 vollständig verbrannten Gase (CO, H2) in der zwei-
3 1. Verbrennungsstufe (Schweißbereich) besteht überwiegend ten Verbrennungsstufe, Bild 3-16, Position 4, mit
aus den reduzierenden Flammgasen CO und H2:
2 × C + H2 + O2 ® 2 × CO + H2
dem Luftsauerstoff, der der Umgebung entzogen
4 2. Verbrennungsstufe (»Streuflamme«):
4 × CO + 2 × H2 + 3 × O2 ® 4 × CO2 + 2 × H2O

Bild 3-16
4)
Temperaturverteilung und Verbrennungsvorgänge in der Alle Volumenangaben im Folgenden sind Normvolumen
neutralen Acetylen-Sauerstoff-Flamme. nach DIN 1343.
132 3 Fügen

wird. Sauerstoffmangel, CO2- bzw. CO-Überschuss, 3.3.1.3 Betriebsstoffe: Acetylen,


oder die Bildung von Stickoxiden und Kohlenwasser- Sauerstoff
stoffen können die Folge sein: Das wichtigste Brenngas für die Gasschweißung ist
Acetylen. Der Heizwert der 1. Verbrennungsstufe
4 ¹ CO  2 ¹ H2  3 ¹ O2  4 ¹ CO2  2 ¹ H2O  Q3.
und die Zündgeschwindigkeit sind groß. Daher ist
Für die Wärmeintensität ist nicht der gesamte Heiz- es zum Schweißen besonders gut geeignet.
wert entscheidend, sondern nur die Summe aus Bil-
dungsenthalpie des Acetylens und dem auf die ers- Acetylen wird in Entwickler genannten Apparaten
te Verbrennungsstufe entfallenden Heizwertanteil. aus Calciumcarbid (CaC2) und Wasser hergestellt:
Der Heizwert der 2. Verbrennungsstufe ist größer,
CaC2  2 ¹ H2O  Ca(OH)2  C2H2  Q.
er kann aber nicht genutzt werden, da aus den be-
kannten Gründen mit der heißen, reduzierenden Pri- Die (praktische) Ausbeute liegt zwischen 250 l und
märflamme geschweißt werden muss. 300 l Acetylen je kg Calciumcarbid. Es wird entwe-
der in Leitungen weitergeführt oder in Stahlflaschen
Abhängig vom Mischungsverhältnis M Acety- mit Überdruck abgefüllt.
len : Sauerstoff unterscheidet man drei Flammen-
einstellungen: Acetylen ist extrem empfindlich für höhere Drücke
Neutrale Flamme (M 1:1). Sie wird zum und Temperaturen; bei Drücken über etwa 1,5 bar
Schweißen nahezu aller Werkstoffe verwendet. »zerfällt« es explosionsartig unter Wärmeabgabe
Im Schweißbereich herrscht die größte Tempera- (Acetylenzerfall). Es ist also sehr gefährlich im Um-
tur (Bild 3-16). Die Flammgase (CO, H2) wir- gang. Daher darf aus Gründen des Unfallschutzes
ken reduzierend. der Betriebsdruck in acetylenführenden Leitungen
Oxidierende Flamme (Sauerstoffüberschuss, 1,5 bar nicht übersteigen. Das Gleiche geschieht bei
M  1). Diese Flammeneinstellung wird für die Temperaturen über 300 ’C bei einem Mischungsver-
Stahlschweißung nicht verwendet, da der über- hältnis C2H2 : O2 1:1. Eine weitere Gefahrenquel-
schüssige Sauerstoff in der Primärflamme zu ei- le ist die Explosionsneigung von Acetylen-Luft- bzw.
nem starken Abbrand führt. Nur beim Schwei- Acetylen-Sauerstoff-Gemischen. Bei Acetylenantei-
ßen von Messing wird mit Sauerstoffüberschuss len von 2,8 % bis 93 % (Rest Sauerstoff) entstehen
gearbeitet. Dadurch kann die Zinkverdampfung explosionsfähige Gasgemische, d. h., die Explosions-
vermieden bzw. gering gehalten werden. gefahr besteht bei praktisch jedem Mischungsver-
Aufkohlende Flamme (Acetylenüberschuss, hältnis. Sorgsamstes Arbeiten und Beachten der ein-
M ! 1). Sie wird praktisch nur zum Schweißen schlägigen Unfallschutzbestimmungen sind im Um-
von Gusseisen verwendet. Dadurch bleibt der er- gang mit Acetylen zwingend erforderlich.
forderliche hohe Kohlenstoffgehalt dieses Werk-
stoffs erhalten. Das Speichern des Acetylens in Stahlflaschen (Kenn-
farbe neu: kastanienbraun, alt: gelb) ist daher nur
Schweißeinsatz Mischdüse Überwurfmutter Sauerstoffventil
(auswechselbar) auf Umwegen möglich. Man macht sich dabei die
Erfahrung zunutze, dass in kleinsten Hohlräumen
(Kapillaren) der Acetylenzerfall verhindert wird.
Außerdem wird die große Lösungsfähigkeit des Ace-
tylens in Aceton genutzt. In die vollständig mit einer
porösen Masse »gefüllten« Stahlflasche – nur etwa
10 % des Flaschenvolumens nimmt die Masse ein,
Druckdüse
(Injektor) Saugdüse Brenngasventil das restliche Volumen besteht aus »kapillaren Räu-
men« – werden 13 l Aceton eingebracht, wobei ein
Auswechselbare Schweißeinsätze:
Liter Aceton etwa 25 l Acetylen löst. Der Flaschenfüll-
0,3 bis 0,5 mm 1 bis 2 mm 4 bis 6 mm
0,5 bis 1 mm 2 bis 4 mm 6 bis 9 mm druck des Acetylens beträgt 19 bar. Die Flasche ent-
hält demnach annähernd 13 ¹25¹19 l O 6000 l Ace-
Bild 3-17
tylen. Die Acetylenentnahme sollte 1000 l/h nicht
Schnitt durch einen Saugbrenner (»Injektorbrenner«) mit aus-
wechselbarem Schweißeinsatz. Das Sauerstoff- und das Brenn- überschreiten, weil sonst das in größeren Mengen
gasventil liegen aber nicht in einer Ebene, sondern sind tatsäch- mitgerissene Aceton die Schweißnaht schädigt und
lich um 90 ° zueinander versetzt angeordnet. die Armaturen verschmutzt (»verkleben«).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Gasschweißen) 133

Der Umgang mit Acetylenflaschen erfordert die Be- 3.3.1.4 Der Schweißbrenner
achtung folgender Vorschriften und Empfehlungen: Im Schweißbrenner (er besteht aus dem Griffstück
– Die Flasche nie der prallen Sonne aussetzen mit Anschlüssen und Ventilen sowie dem Schweiß-
(Baustellen!) oder neben Heizquellen aufstellen: einsatz) werden Sauerstoff und Acetylen gemischt.
Ein unzulässiger Druckanstieg ist die Folge! Das Mischungsverhältnis muss dabei auch über län-
– Die Acetylenentnahme sollte dauernd 600 l/h, gere Schweißzeiten möglichst konstant bleiben, weil
kurzzeitig 1000 l/h nicht überschreiten: nur dann die metallurgische Qualität des Schweiß-
Mitgerissenes Aceton verschmutzt Schlauch! guts erhalten bleibt. Die bevorzugte Bauart ist der
– Die Flasche nicht werfen: Saugbrenner (Injektor- oder Niederdruckbrenner),
In der porösen Masse können sich größere Hohl- wie er in Bild 3-17 dargestellt ist. Der Sauerstoff
räume mit hochverdichtetem Acetylen bilden; wird dem Brenner mit einem Druck von etwa 2 bar
es besteht die Gefahr des Acetylenzerfalls! bis 3 bar zugeführt und strömt mit großer Geschwin-
digkeit durch die Injektorbohrung.
Der Flaschendruck wird durch ein Druckminder-
ventil auf den erforderlichen Gebrauchsdruck redu- Durch den entstehenden großen Unterdruck (Ber-
ziert. Es wird direkt an der Flasche angeschlossen. noullisches Gesetz) wird das Acetylen angesaugt,
wodurch ein gefährlicher Druckaufbau (Acetylen-
Der Sauerstoff wird durch fraktionierte Destillation zerfall, siehe weiter unten) zuverlässig ausgeschlos-
der flüssigen Luft hergestellt und dem Verbraucher sen. In der Mischdüse erfolgt die Mischung der Ga-
flüssig oder – weitaus häufiger – gasförmig in Stahl- se im vorgesehenen Mischungsverhältnis.
flaschen (Kennfarbe blau) geliefert. Bei einem Raum-
inhalt von 40 l (bzw. 50 l bei Leichtstahlflaschen) Für die verschiedenen zu schweißenden Werkstück-
und einem Fülldruck von 150 bar (bzw. 200 bar bei dicken sind unterschiedliche Heizleistungen erfor-
Leichtstahlflaschen) enthalten sie bei dem Umge- derlich. Sie werden vom Gasdurchsatz, d. h. von der
bungsdruck p 1 bar nach dem Gesetz von Boyle- Größe der Injektorbohrung bestimmt. Die Heizleis-
Mariotte 6000 l (bzw. 10 000 l) Sauerstoff: tung ist demnach von der Größe des auswechselba-
ren Schweißeinsatzes abhängig. Eine sehr sorgfälti-
p1¹v1 p2¹v2 konst. 150 bar¹40 l 1bar¹6000 l.
ge Behandlung des Brenners und der Schweißeinsät-
Auch der Umgang mit Sauerstoff erfordert besonde- ze ist notwendig. Dichtet der Schweißeinsatz am Griff-
re Vorsicht. Schon ein geringfügig erhöhter Sauer- stück nicht einwandfrei oder ist das Mundstück ver-
stoffgehalt der Luft (• 25 %) führt zu einer stark er- stopft, dann dringt Sauerstoff in die Acetylenkanäle
höhten Verbrennungsgeschwindigkeit und einer er- (Explosionsgefahr!). Bei einem Flammenrückschlag
heblich geringeren Zündtemperatur. Dadurch sind schlägt die Flamme in den Brenner zurück, weil die
Löschversuche häufig ohne Erfolg, oder sie kommen Zündgeschwindigkeit größer als die Ausströmge-
zu spät. Folgende Maßnahmen und Vorschriften sind schwindigkeit ist (z. B. weil das Mundstück mit Ab-
im Umgang mit Sauerstoff zu beachten: lagerungen auf der Werkstückoberfläche verstopft
– Das Gewinde am Flaschenhals muss frei von ist), könnte der Acetylenschlauch bzw. die Acetylen-
Fett und Öl sein: Feuergefahr! flasche explodieren. Dieses Ereignis lässt sich mit ei-
– Das Flaschenventil nur eine halbe bis eine Um- ner Vorrichtung (Sicherheitsvorlage) verhindern, die
drehung öffnen: Ein schnelles Schließen ist dann die rückschlagende Flamme löscht.
im Ernstfall »gefahrlos« möglich!
– Nie funkenschlagende Werkzeuge verwenden: 3.3.1.5 Arbeitsweisen beim Gasschweißen
Weil durch Funken Brand- und Explosionsgefahr! Eine wichtige Voraussetzung zum Herstellen ein-
– Die Flasche muss gegen Umfallen gesichert sein: wandfreier Schweißverbindungen ist das vollstän-
Ein beschädigtes oder abgebrochenes Flaschen- dige Aufschmelzen der Fugenflanken der Fügetei-
ventil kann aus der Sauerstoffflasche eine Rake- le. Der Grundwerkstoff und der von Hand zugesetz-
te machen! te Schweißstab werden gleichzeitig von der Flam-
– Man darf Räume nie mit Sauerstoff belüften: me aufgeschmolzen.
Sträflicher, weil oft tödlicher Leichtsinn!
Je nach der Haltung des Schweißbrenners und des
Wegen des großen Flaschendrucks benutzt man für Schweißstabes beim Schweißen unterscheidet man
Sauerstoff zweistufige Druckminderer. folgende Arbeitstechniken:
134 3 Fügen

Nachlinksschweißen Die Vorgängernorm DIN 8554-3 enthielt den jewei-


Der Schweißstab wird in Schweißrichtung vor ligen Stabklassen zugeordnete Angaben über die
der Flamme geführt, Bild 3-18a). Der Brenner Festigkeitseigenschaften der mit den entsprechen-
weist nicht direkt auf das Schmelzbad. Dadurch den Stäben zu schweißenden Stähle. Diese Anga-
geht ein wesentlicher Teil der Wärmeenergie für ben sind entfallen. Wegen der Besonderheiten des
den Schweißprozess verloren. Der Schutz der Gasschweißverfahrens wird auf die Angabe von
Schmelze durch die Streuflamme ist daher mäßig. Kerbschlagwerten des Schweißgutes verzichtet, da
Die Injektorwirkung der Flamme (Bild 3-18a)) die Zähigkeitswerte des Schweißguts nicht mit de-
kann Luft, d. h. im Wesentlichen Sauerstoff und nen der Schweißverbindung vergleichbar sind. Sie
Stickstoff in die Schmelze reißen. Die metallur- sind i. Allg. deutlich besser. Außerdem können in
gische Qualität der Schweißverbindung ist aus dem für das Gasschweißen üblichen Werkstückdi-
diesen Gründen oft nicht ausreichend. Wegen ckenbereich (… 10 mm) nur Charpy-V-ähnliche Pro-
der geringen eingebrachten Wärme und der leich- ben verwendet werden. Die Vergleichbarkeit der Er-
ten Handhabung wird das Nachlinksschweißen gebnisse mit denen von Charpy-V-Proben ist daher
nur für dünne Bleche (s … 3 mm) verwendet. nur bedingt möglich.

Nachrechtsschweißen 3.3.1.7 Anwendung und


Die Flamme ist entsprechend Bild 3-18b) direkt Anwendungsgrenzen
auf das Schmelzbad gerichtet. Der Schutz der Die Bedeutung des Gasschweißens hat in den letz-
Schmelze ist wesentlich besser und die auf das ten Jahren deutlich abgenommen. Wegen der gerin-
Schmelzbad übertragene Wärme erheblich grö- gen Leistungsdichte der Flamme, der verhältnismä-
ßer als beim Nachlinksschweißen. Für die Gü- ßig schlechten Wärmeübertragung auf die Fügetei-
te der geschweißten Wurzel ist u. a. die Ausbil- le und der damit verbundenen geringen Abschmelz-
dung der charakteristischen birnenförmigen Öff- leistung, sollten nur Bleche bis zu einer maximalen
nung (Schweißöse) im Schweißspalt erforder- Dicke von 8 mm gasgeschweißt werden. Bei größe-
lich. Die Schweißöse zeigt an, dass die Wurzel- ren Werkstückdicken sind die elektrischen Schweiß-
kanten zuverlässig erfasst, also vollständig aufge- verfahren (z. B. Lichtbogenhand-, Schutzgas-, UP-
schmolzen wurden (keine Bindefehler!). Diese Verfahren) wesentlich wirtschaftlicher und technisch
Methode wird zum Schweißen dickerer Bleche sinnvoller. Außerdem wird die Breite der wärmebe-
(s • 3 mm) verwendet. einflussten Zone geringer und die Korngröße in der
Grobkornzone kleiner. Das Gasschweißen höher- und
3.3.1.6 Zusatzwerkstoffe; Schweißstäbe hochlegierter Stähle ist nicht zu empfehlen, weil bei
Als Zusatzwerkstoffe werden Schweißstäbe mit ei- allen Mischungsverhältnissen, die von M 1:1 ab-
ner Regellänge von 1000 mm verwendet. Sie sollten weichen, leicht Aufkohlen oder Abbrand der Legie-
beim Schweißen leicht und gleichmäßig fließen, ei- rungselemente auftreten können.
ne leichtflüssige, einfach entfernbare Schlacke bil- Gefahr des
den und nicht zur Poren- und Spritzerbildung nei- Luftansaugens
(Injektorwirkung)
gen. Die chemische Zusammensetzung der immer
beruhigt vergossenen Gasschweißstäbe entspricht in
der Regel weitgehend der des Grundwerkstoffs. Die
Oberfläche der Stäbe muss sauber sein, d. h. frei von
Stab Flamme Raupe Raupe Stab Flamme
Rost, Fett, Öl, Farbe, Verunreinigungen und groben
Oberflächenfehlern. Schmelzbad Schweißöse

Gasschweißstäbe sind in DIN EN 12536 genormt.


Es werden sieben Klassen unterschieden. Die Stab-
einteilung besteht aus zwei Merkmalen. Das erste
Merkmal ist das Kurzzeichen für das Produkt/den a) b)
Schweißprozess. Das Kurzzeichen für einen Stab
Bild 3-18
zum Gasschweißen ist der Buchstabe »O«. Das zwei- Arbeitstechniken beim Gasschweißen.
te Merkmal enthält das Kurzzeichen für die chemi- a) Nachlinksschweißen
sche Zusammensetzung des Stabes, Tabelle 3-4. b) Nachrechtsschweißen
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 135

Ein wichtiger Anwendungsbereich des Gasschwei- 3.3.2 Lichtbogenhandschweißen (E)


ßens sind Schweißarbeiten an Rohren (Kessel- und (Ordnungsnummer: 111) –
Apparatebau, Rohrleitungsbau), insbesondere dann, Metall-Lichtbogenschweißen
wenn in Zwangslage oder bei schlechter Zugänglich-
keit der Schweißnahtfugen geschweißt werden muss. 3.3.2.1 Verfahrensprinzip und
Der entscheidende Vorteil des Verfahrens für diese Schweißanlage
Arbeiten ist die Möglichkeit, »Wärme« und Zusatz- Als Energiequelle dient ein zwischen der abschmel-
werkstoff beim Schweißen getrennt zuführen zu kön- zenden Stabelektrode und dem Grundwerkstoff ge-
nen, wie weiter unten näher erläutert wird. zogener Lichtbogen. In Bild 3-19 sind einige Einzel-
heiten zu erkennen. An den Ansatzpunkten des
Auch für Werkstoffe, die z. B. wegen ihrer großen Lichtbogens entstehen Temperaturen von 4500 K
Wärmeleitfähigkeit zum Schweißen vorgewärmt wer- bis 5000 K. Die Leistungsdichte des Lichtbogens ist
den müssen (z. B. Kupfer), eignet sich das Gasschwei- wesentlich größer als die der Gasflamme, d. h., die
ßen: Durch die geringe Leistungsdichte der Flam- Schweißzeiten sind kürzer, der Verzug der Bautei-
me werden die Fügeteile während des Schweißens le ist wesentlich geringer, aber die Schweißeigenspan-
ständig vorgewärmt. Allerdings werden die Korngrö- nungen sind ebenso wie die wirtschaftlich schweiß-
ße in der WEZ und ihre Breite sehr groß und das bare Wanddicke sehr viel größer. Der notwendige
Schweißen ist wegen der großen Rückstrahlwärme Schutz des Schweißbades vor den stark verspröden-
der Schweißschmelze sehr belastend. den atmosphärischen Gasen (Sauerstoff, Stickstoff,
Wasserstoff) wird durch einen »Schutzgasmantel«
Ein anderer wichtiger Anwendungsbereich ist das erreicht, der aus verschiedenen Bestandteilen der
Auftragschweißen. Durch die Möglichkeit, Wärme Elektrodenumhüllung gebildet wird, s. Tabelle
und Schweißstab den Fügeteilen getrennt von Hand 3-6, S. 146. Aus diesem Grunde werden nackte –
feinfühlig zuzuführen, sind sehr geringe Aufschmelz- also nicht umhüllte – Stabelektroden nicht mehr
grade (… 10 %) erreichbar (Abschn. 3.1.3). Aus dem verwendet.
gleichen Grunde eignet sich das Verfahren auch her-
vorragend für Wurzelschweißungen, selbst dann, Der Werkstoffübergang erfolgt je nach Art der Elekt-
wenn die Passung ungenau und der Spaltabstand rodenumhüllung und Umhüllungsdicke in Form
nicht konstant und (oder) zu groß ist (häufig bei Bau- mehr oder weniger feiner Tropfen. Die übergehen-
stellenbedingungen!). Geringe Investitionskosten den metallischen Tröpfchen sind von einem Schla-
und die ortsunabhängige Wärmequelle sind weite- ckenfilm umgeben. Dieser bewirkt (außer dem ge-
re Vorteile des Gasschweißens. bildeten Schutzgas) einen zusätzlichen Schutz der

Tabelle 3-4. Chemische Zusammensetzung und Schweißverhalten der Schweißstäbe zum Gasschweißen von unlegierten und
warmfesten Stählen, nach DIN EN 12536 (Auswahl).

Kurz- Chemische Zusammensetzung in Prozent 1), 2) Schweißverhalten der Stäbe


zeichen
Fließ- Poren-
C Si Mn Mo Ni Cr Spritzer
verhalten neigung

OZ Jede andere vereinbarte Zusammensetzung Nicht angegeben


OI 0,03 − 0,12 0,02 − 0,20 0,35 − 0,65 − − − Dünnfließend Viel Ja
Weniger
O II 0,03 − 0,20 0,05 − 0,25 0,50 − 1,20 − − − Wenig Ja
dünnfließend
O III 0,05 − 0,15 0,05 − 0,25 0,95 − 1,25 − 0,35 − 0,80 −
O IV 0,08 − 0,15 0,10 − 0,25 0,90 − 1,20 0,45 − 0,65 − −
Zähfließend Keine Nein
OV 0,10 − 0,15 0,10 − 0,25 0,80 − 1,20 0,45 − 0,65 − 0,80 − 1,20
O VI 0,03 − 0,10 0,10 − 0,25 0,40 − 0,70 0,90 − 1,20 − 2,00 − 2,20
1)
Die Gehalte an Phosphor betragen max. 0,30 %, die Schwefelgehalte max. 0,025 %.
2)
Falls nicht anders festgelegt: Cr ≤10,15 %, Cu ≤ 0,35 % und V ≤ 0,03 %. Der Anteil an Kupfer im Stahl plus Überzug darf 0,35 %
nicht überschreiten.
136 3 Fügen

Tröpfchen vor den Gasen der Atmosphäre und ermög- 3.3.2.2 Vorgänge im Lichtbogen
licht vor allem die notwendigen chemischen bzw. me- Der Lichtbogen ist ein Stück stromdurchflossener Lei-
tallurgischen Reaktionen (z. B. Desoxidation, Le- ter. Er kann also nur existieren, wenn Ladungsträ-
gierungsvorgänge). ger vorhanden sind. Das zunächst zwischen den elekt-
Handkabel rischen Polen vorhandene elektrisch neutrale, nicht-
leitende Gas (Luft, durch die Elektrodenumhüllung
Stabelektrode Elektrode am Minuspol: entwickeltes Schutzgas) muss daher leitfähig ge-
(umhüllt) Überwiegend alle, für Wur- macht, d. h. ionisiert werden. Den positiven Pol des
Umhüllung zelschweißung evtl. auch
die zellulose-umhüllten Lichtbogens nennt man Anode, den negativen Ka-
Elektrode am Pluspol: thode. Der Lichtbogen ist also eine besondere Form
nur die basisch-umhüllten
und die zellulose-umhüllten
der Gasentladung, in der Energie- und Massentrans-
Kernstab
porte (von der Elektrode übergehende Werkstoff-
Schweißgut Schutzgasmantel
tröpfchen und Ionen) stattfinden.
(erstarrt)
Werkstofftröpfchen mit
Schlacke Schlackenfilm umgeben Der Lichtbogen wird i. Allg. gezündet, indem die
(erstarrt)
Schmelzbad (aus Grund-
und Zusatzwerkstoff) Elektrode, meistens der negative Pol, das Werkstück
Grundwerkstoff »streichend« oder »tupfend« berührt. Durch den ho-
hen Kurzschlussstrom wird die Elektrodenspitze auf-
geschmolzen. Ein Teil des Werktoffs verdampft, so
Erdkabel
dass aus der Kathode sehr leicht Elektronen austre-
ten können (die Elektronenemission ist praktisch
nur von der Temperatur abhängig!). Diese negativ
Bild 3-19 geladenen Teilchen bewegen sich unter der Wirkung
Verfahrensprinzip des Lichtbogenhandschweißens mit um- der Potenzialdifferenz ( Lichtbogenspannung) zwi-
hüllten Stabelektroden. schen Anode und Kathode mit großer Geschwindig-
keit zum positiven Pol ( Anode). Dabei erzeugen sie
Die Qualität der Schweißverbindung wird wie bei al- durch Stoßionisation neue Ladungsträger: Neutra-
len manuellen Verfahren entscheidend vom Schwei- len Gasmolekülen bzw. Atomen werden durch den
ßer bestimmt. Er muss den Schweißvorgang konti- Stoß Elektronen aus den äußeren Elektronenschalen
nuierlich durch Beobachten überwachen und kont- herausgeschlagen. Die entstehenden positiven Ladungs-
rollieren, aber vor allem das Schmelzbad in geeigne- träger (Ionen) bewegen sich zur Kathode und erwär-
ter Weise »führen«. men diese durch Abgabe ihrer kinetischen Energie
auf etwa 4500 K. Dadurch wird eine ständige Elekt-
Bild 3-20 zeigt schematisch die einfache Schweiß- ronenemission aus der Kathode ermöglicht. Die Tem-
anlage, die im Wesentlichen nur aus der Schweiß- peratur der Anode ist einige Hundert Grad höher,
stromquelle, dem Elektrodenhalter und der (umhüll- weil die kinetische Energie (Lmv2) der massearmen,
ten) Stabelektrode besteht. aber sehr schnellen Elektronen größer ist als die der
schweren, aber wesentlich langsameren Ionen. Hin-
Elektrodenhalter stromführende
Stabelektrode zu kommt, dass die Emission der Elektronen aus
Schweißstromquelle der Kathode Arbeit erfordert, die dieser entzogen
Schweißstromkabel
und der Anode beim Auftreffen der Elektronen wie-
der zugeführt wird.

Im Lichtbogenkern befinden sich positive und nega-


tive Ladungsträger in ständiger Bewegung. Diesen
Materiezustand bezeichnet man als Plasma. Beim
Plasmaschweißen und -schneiden können durch ge-
Schweißumformer (= ) Werkstück
Schweißgleichrichter (= ) eignete Einrichtungen (nähere Einzelheiten sind in
oder Schweißtransformator (i ) Abschn. 3.3.3.3.2 zu finden) Leistungsdichten im Be-
Bild 3-20 reich von 10 5 W/cm2 bis 10 6 W/cm2 erreicht werden.
Schweißanlage für das Lichtbogenhandschweißen mit um- In diesem Fall ist die Temperatur im Plasma extrem
hüllten Stabelektroden. groß. Sie beträgt etwa 20 000 K.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 137

Im Lichtbogen werden dort hohe Temperaturen er- Dabei ist zu beachten, dass unabhängig von den ge-
reicht, wo die kinetische Energie der Ladungsträger nannten Punkten in erster Linie ein stabil brennen-
in potenzielle umgewandelt wird bzw. an Orten, wo der Lichtbogen erzeugt werden muss.
Geschwindigkeitsänderungen der Ladungsträger er-
zwungen werden, d. h. an der Beim Lichtbogenschweißen wird die Stabelektrode
– Anode, der meist negativ, die Drahtelektrode bei den MSG-Ver-
– Kathode und in der fahren (Abschn. 3.3.3.4) wegen der dann größeren
– Lichtbogensäule (Teilchenzusammenstoß). Abschmelzleistung vorwiegend positiv gepolt. Zum
Auftragschweißen wird unter Umständen auch nega-
Normalerweise ist die an den Lichtbogenansatzpunkten (Ano-
tiv gepolt. Beim WIG-Schweißen wird fast ausschließ-
de, Kathode) entstehende Energie größer als die in der Lichtbo-
gensäule. Die Größe des umgesetzten Energieanteils an den lich mit negativ gepolter Wolframelektrode bzw. mit
Polen hängt ab von dem Elektrodenwerkstoff und dem Grund- Wechselstrom (für Leichtmetalle) gearbeitet.
werkstoff sowie von den Einstellwerten (Strom, Spannung),
mit denen der Lichtbogen betrieben wird. Die in der Lichtbo- Weiterhin ist zu beachten, dass die positiven Ladungs-
gensäule erzeugte Energie bestimmt auch die Abschmelzleis- träger (Ionen) Werkstoffeigenschaften haben, Elekt-
tung und die Einbrandtiefe beim Metall-Schutzgasschweißen
ronen dagegen nicht. Daher ist es zweckmäßig, die
mit abschmelzender Elektrode (Abschn. 3.3.3.4).
Elektrode positiv zu polen, wenn die Ionen in das
Die Energieverteilung in den drei Bereichen des Lichtbogens
Anode, Kathode und Lichtbogensäule ist nicht gleichmäßig, Schmelzbad übergehen sollen (z. B. Legierungsele-
sondern hängt im Wesentlichen von dem dort vorhandenen mente, d. h. beim Schweißen legierter Stähle). Dage-
Spannungsgefälle ab. gen polt man die Elektrode negativ, wenn die Ionen
in der Schmelze unerwünscht sind, denn sonst wür-
Bild 3-21 zeigt den nicht-ohmschen Spannungsabfall de beim Schweißen mit dem Kohlelichtbogen das
im Lichtbogen. Man unterscheidet den Kathodenfall Schmelzbad stark aufkohlen.
UKa, den Anodenfall UAn und den in der Regel wesent-
lich geringeren Spannungsabfall in der Lichtbogen- Diese Vorgänge dürfen nicht mit dem Werkstoff-
säule US. übergang (in Tröpfchenform) verwechselt werden.
Die Tropfen gehen grundsätzlich von der Elektrode
Die Fallgebiete haben nur eine sehr geringe Aus- zum Werkstück über. Die Form des Werkstoffüber-
dehnung (etwa 10  4 mm) und entstehen durch posi- gangs ist von der Schutzgasatmosphäre, der chemi-
tive (negative) Ladungsträgeranhäufung unmittel- schen Charakteristik der Elektrodenumhüllung (Ab-
bar vor der Kathode (Anode). schn. 3.3.2.4.2) und der Stromdichte abhängig. Er
kann kurzschlussfrei (kleinere »heiße« Tropfen) oder
Die Wahl der Elektrodenpolung wird hauptsächlich mit Kurzschlüssen durchsetzt sein (große, »kälte-
bestimmt von der re« Tropfen, die gleichzeitig die Elektrodenspitze
– Art der Elektroden, dem und das Schmelzbad berühren).
– Schweißverfahren und der
– gewünschten Nahtgeometrie, besonders der Ein- Die Physik und der Mechanismus des Werkstoffüber-
brandtiefe. gangs sind verhältnismäßig kompliziert und unüber-
sichtlich. Der wichtigste Teilvorgang ist zweifellos
UL
der Pinch-Effekt 5). Danach ziehen sich parallel zu-
UKa US UAn
einander angeordnete Leiter an, wenn sie in gleicher
Richtung von Strom durchflossen werden. Den me-
tallischen Kernstab der Elektrode kann man sich als
eine Anordnung vorstellen, die aus vielen parallel ne-
beneinander liegenden »Einzelleitern« besteht. Die
Wirkung dieser radial auf die erhitzte Elektroden-
spitze angreifenden magnetischen Kraft wird dann
verständlich: Der Tropfen wird von ihr ähnlich wie
Spannung U mit der Kneifzange »abgekniffen«.

Bild 3-21
5)
Spannungsverteilung im Lichtbogen. englisch: to pinch; abquetschen, abkneifen.
138 3 Fügen

Bemerkenswert ist, dass der Tropfenübergang durch beim Schweißen berücksichtigt werden, sonst sind
unberuhigten Kernstabwerkstoff sehr begünstigt fehlerhafte Schweißungen die Folge.
wird. Die beim Aufschmelzen der Elektrodenspit-
ze wieder einsetzende CO-Bildung beschleunigt den Für das Verständnis des Schweißvorganges ist die
Tropfen immer in axialer Richtung, d. h. weg von Kenntnis der Lichtbogenkennlinie gemäß Bild 3-22
der Elektrodenspitze auf das Werkstück. Kernstäbe notwendig. Sie gibt an, welche Spannung erforder-
von Elektroden zum Schweißen legierter Stähle müs- lich ist, um einen bestimmten Strom durch den Licht-
sen wegen der sonst vorhandenen starken Seigerung bogen zu treiben. Mit zunehmender Lichtbogenlän-
der Elemente aus beruhigtem Werkstoff bestehen. ge werden der Lichtbogenwiderstand und der Span-
Es ist bekannt, dass sie für Zwangslagenschweißun- nungsabfall an ihm größer, d. h., die Spannung im
gen nicht besonders gut geeignet sind: Die entschei- Lichtbogen nimmt zu (Bild 3-22). Die Lichtbogen-
dende von der Elektrodenspitze axial wegführende spannung erhöht sich von U1 auf U3, wenn die Licht-
Kraft ist nicht mehr vorhanden, der Tropfen bewegt bogenlänge von l1 auf l3 vergrößert wird.
sich in Richtung des Schwerefeldes.
Bei den Einstellwerten U3 und I1 würde z. B. eine Stromerhö-
hung einen Spannungsüberschuss bewirken (U3 ! ULichtbogen)
Eine wesentliche Voraussetzung für die Lichtbogen-
und die Stromstärke bis zur stabilen Lage im Schnittpunkt
stabilität ist eine ausreichende Anzahl von Ladungs- (U3, I2) treiben. Ein Verringern der Stromstärke erfordert ei-
trägern im Lichtbogenraum. Daher sind in der Elekt- ne über das Verfügbare hinausgehende Spannung des Bogens;
rodenumhüllung Stoffe enthalten, die leicht Elekt- die Stromstärke sinkt, bis der Bogen erlischt.
ronen abgeben. Somit wird auch verständlich, dass
der Wechselstromlichtbogen, bei dem sich Span- 3.3.2.3 Schweißstromquellen
nung und Stromfluss fünfzigmal in der Sekunde um- Schweißlichtbögen können mit Gleichstrom und
kehren, wesentlich instabiler brennt als der Gleich- Wechselstrom erzeugt werden. Die Schweißumfor-
stromlichtbogen. Da die Ladungsträger überwie- mer und Schweißgleichrichter liefern Gleichstrom,
gend von der Umhüllung geliefert werden, sind nicht Schweißtransformatoren Wechselstrom.
umhüllte, also »nackte« Elektroden nicht mit einem
Wechselstromlichtbogen verschweißbar. Sie werden Der Werkstoffübergang erfolgt in Tropfenform, häu-
daher und wegen ihrer schlechten Schweißgutquali- fig durchsetzt mit Kurzschlüssen; hierdurch wer-
tät nicht mehr hergestellt. den extreme Änderungen der Schweißspannung
und Schweißstromstärke erzwungen. Wegen dieser
Zu beachten ist, dass der im Wesentlichen aus La- und anderer Besonderheiten des Schweißvorganges
dungsträgern bestehende Lichtbogen durch äußere müssen die Schweißstromquellen bestimmte Anfor-
Magnetfelder leicht abgelenkt wird. Diese Blaswir- derungen erfüllen:
kung (Abschn. 3.3.2.5.3) genannte Erscheinung muss – Der Kurzschlussstrom IK muss begrenzt werden,
weil beim Zünden des Lichtbogens und beim
Schweißen die hohen Ströme die Stromquelle
zerstören bzw. thermisch überlasten würden.
l3

l2

l1

6)
Schweißarbeiten mit einer erhöhten elektrischen Gefähr-
dung liegen vor bei einer Zwangshaltung (z. B. kniend,
sitzend, liegend), an einem Arbeitsplatz, dessen freier Be-
wegungsraum zwischen elektrisch leitfähigen Teilen klei-
l3
ner als 2 m ist (z. B. bei Schweißarbeiten innerhalb ei-
U3 l2 nes Kessels mit Einstieg durch eine Mannlochöffnung,
Spannung U

U2
l1 die Wandung ist meistens die elektrische »Erde«) oder in
U1 nassen, feuchten oder heißen Arbeitsplätzen.
7)
Im Falle eines Fehlers darf die zulässige Leerlaufspan-
nung der Schweißstromquellen (s. Werte in Tabelle 3-5,
I1 I2 S. 143) nicht überschritten werden und der Wechselspan-
Stromstärke I nungsanteil der Gleichspannung nicht größer als 48 Veff
Bild 3-22 werden. Schweißgeräte, die für Arbeiten bei erhöhter elekt-
Abhängigkeit Lichtbogenspannung von der Stromstärke = Licht- rischer Gefährdung eingesetzt werden, tragen das Kenn-
bogenkennlinie (Parameterkurven sind Lichtbogenlänge li ). zeichen S (früher K oder 42 V bei Wechselstrom).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 139

– Die Leerlaufspannung U0 darf aus Sicherheits- Diese dynamischen Eigenschaften sind nur mit
gründen bei Gleichstrom nicht größer als 113 V, speziellen und »reaktionsschnellen« Instrumen-
bei Wechselstrom nicht größer als 80 Veff sein. ten nachweisbar (z. B. Oszilloskop) und sollten
Besteht eine erhöhte elektrische Gefährdung 6), nur zusammen mit praktischen Schweißversu-
dann dürfen nur Umformer, Gleichrichter bzw. chen abgeschätzt werden.
Schweißtransformatoren 7) mit einer maximalen – Ein nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt ist
Spannung von 48 Veff (DIN EN 60974-1) verwen- die Wirtschaftlichkeit der Schweißstromquelle.
det werden. Andererseits sollte zum leichten Zün- Neben anderen, leicht als wichtig erkennbaren
den und Wiederzünden des Lichtbogens die Leer- Faktoren (z. B. Anschaffungskosten, Reparatur-
laufspannung möglichst hoch sein. Für bestimm- und Wartungskosten, Kapitaldienst) werden oft
te Elektrodentypen (z. B. B-Elektroden) sind sehr der Wirkungsgrad und vor allem die Leerlaufver-
hohe Werte erforderlich (60 V bis 80 V). luste nicht genügend beachtet. Bei den moderne-
– Die unvermeidlichen Änderungen der Lichtbo- ren Schweißstromquellen liegen die Leerlaufver-
genlänge, d. h. der Lichtbogenspannung UA wäh- luste zwischen 250 W und etwa 700 W, sie kön-
rend des Schweißens, sollten nur zu einer gerin- nen bei älteren Geräten aber leicht 1000 W und
gen Änderung der Stromstärke IA führen. Eine mehr betragen. Es kann beispielsweise angenom-
gleichmäßige Schweißnaht mit gleichbleibender men werden, dass während eines Arbeitstages
Nahtgeometrie ist nur mit annähernd konstan- (8 h) eine Stromquelle ungefähr 3 h im Leerlauf
ter Lichtbogenleistung UA ¹ IA erreichbar. betrieben wird. Bei einem mittleren Preis von et-
– Nach einem Kurzschluss muss möglichst schnell wa 0,30 € für eine kWh ergibt sich damit ein täg-
eine ausreichende Lichtbogenspannung zur Ver- licher »Leerlaufverlust« von ungefähr 0,25 € (bei
fügung stehen. Der während des Kurzschlusses 250 W) und 1,00 € (bei 1000 W).
entstehende dynamische Kurzschlussstrom (Stoß-
kurzschlussstrom IKSt) sollte geringer sein als Die dynamischen und statischen Eigenschaften der
der Dauerkurzschlussstrom IKD. Die sich von der Schweißstromquelle bestimmen ihre Schweißeigen-
Elektrodenspitze ablösenden Werkstofftröpfchen schaften. Die sich im Beharrungszustand bzw. bei
würden sonst unter der Wirkung der großen Strom- langsamen Änderungen von Stromstärke und Span-
stärke verdampfen bzw. verspritzen. Der Schweiß- nung in der Stromquelle einstellenden elektrischen
vorgang wäre »hart«, die Spritzerneigung groß. Werte sind durch die statische Kennlinie vorgege-
D l
ben. Bild 3-23 zeigt die minimal und maximal einstell-
U0
➋ baren Kennlinien einer Schweißstromquelle. Sie
LB lang sind mehr oder weniger stark fallend und begren-
➊ zen dadurch den Kurzschlussstrom (IKD,min und IKD,max)
(U,I) - Werte A2 A
in der erforderlichen Weise. Im Allgemeinen lassen
Spannung U

nutzbar LB kurz
A1 sich zwischen ihnen beliebig viele weitere Kennli-
nien einstellen; es entsteht so ein lückenloses Kennli-
,04 I A
20+0 nienfeld.
U A=
-
VDE ennlinie
Prüfk
(U,I ) - Werte
nicht nutzbar Der Arbeitspunkt A beim Schweißen ist der Schnitt-
punkt der Lichtbogenkennlinie mit der statischen
I KD.min I KD.max
Kennlinie der Schweißstromquelle. Durch die sich
Einstellbereich E
I min I max
beim Schweißen ständig ändernde Lichtbogenkenn-
Stromstärke I linie (LB) ändert auch der Arbeitspunkt fortwäh-
Bild 3-23 rend seine Lage (A1  A  A2).
Statische Grenzkennlinien einer Schweißstromquelle mit fal-
lender Kennlinie. Derartige Schweißstromquellen werden für Diese Änderungen der Lichtbogenlänge verursachen
das Lichtbogenhandschweißen, das WIG- und UP-Verfahren selbst bei einer geringeren Steilheit der Kennlinie nur
(über wiegend bei dickeren Drahtelektroden) verwendet. eine mäßige Stromstärkeänderung 'I. Stromquellen
1, 2 Minimal (❶) und maximal (❷) einstellbare statische
mit fallender Kennlinie begrenzen also bei Span-
Kennlinie der Schweißstromquelle
A1, A2 Arbeitspunkte bei kurzem und langem Lichtbogen nungsänderungen ΔU sehr wirksam Stromstärkeän-
E Einstellbereich der Schweißstromquelle, festgelegt derungen ΔI. Sie sind daher für das Lichtbogenhand-
durch die VDE-Prüfkennlinie UA = 20 + 0,04 ◊ IA schweißen erforderlich.
140 3 Fügen

Nicht alle U,I-Wertepaare der Kennlinien sind auch Die statische Kennlinie hat eine sehr geringe Nei-
schweißtechnisch nutzbar. Die in unterschiedlicher gung (einige Volt je 100 A), wie aus Bild 3-24 hervor-
Dicke und Umhüllung verwendeten Stabelektroden geht. Der Einstellbereich E dieser Schweißstromquel-
haben einen Einstellwertebereich, der näherungs- len wird mit Hilfe der VDE-Prüfkennlinie festgelegt:
weise durch die VDE-Prüfkennlinie (Bild 3-23) fest-
UA 14  0,05 ¹ IA.
gelegt ist:
Diese Beziehung gilt bis IA 600 A;
UA 20  0,04 ¹ IA.
für IA ! 600 A ist UA 44 V konst.
UA Lichtbogenspannung in V.
IA Stromstärke in A bei UA (gilt bis IA 600 A; Eine wichtige Kenngröße der Schweißstromquellen
für IA ! 600 A ist UA 44 V konst.). ist die Einschaltdauer (ED), DIN EN 60974. Sie
ist ein praxisnaher Maßstab für die Belastbarkeit
Der Arbeitsbereich (Einstellbereich E) der Schweiß- der Stromquelle, der von der Dauer der Lichtbogen-
stromquelle lässt sich damit ebenso einfach wie brennzeit abhängt. Die Einschaltdauer ist das prozen-
praktisch sinnvoll festlegen. Er beginnt am Schnitt- tuale Verhältnis der Lichtbogenbrennzeit zu der ge-
punkt der minimalen statischen Kennlinie mit der normten Spielzeit von zehn Minuten. Danach unter-
VDE-Prüfkennlinie (Imin) und reicht bis zum Schnitt- scheidet man den Dauerschweißbetrieb (DB) mit
punkt der maximalen statischen Kennlinie mit die- einer Einschaltdauer ED 100 %, den Nennhand-
ser Geraden (Imax), wie Bild 3-23 zeigt. Mit den in schweißbetrieb (Nenn-HSB), mit einer ED 60 %
diesem Bereich liegenden Wertepaaren von U und I und den Handschweißbetrieb (HSB) mit einer ED
kann verfahrensabhängig (d. h. abhängig z. B. von von 35 %. Auf dem Leistungsschild der Schweißstrom-
dem Durchmesser der Stabelektrode und ihrer Um- quelle sind die von ihr ohne Gefahr für die Stromquel-
hüllungscharakteristik) geschweißt werden. le lieferbaren Ströme für diese genormten Schweiß-
betriebsarten angegeben.
Schweißverfahren, bei denen sich die Lichtbogen-
länge nach dem Prinzip der inneren Regelung ein- Im Folgenden werden nicht nur die zum Lichtbo-
stellt – in erster Linie sind das die MSG-Verfahren genhandschweißen verwendeten Schweißstromquel-
(siehe Abschn. 3.3.3.4) – benötigen Schweißstrom- len besprochen, sondern auch grundsätzliche Infor-
quellen mit Konstantspannungscharakteristik 8). mationen über die zum WIG- (Abschn. 3.3.3.3.1)
und MSG-Schweißen (Abschn. 3.3.3.4) verwende-
VDE-Prüfkennlinie ten Stromquellen gegeben. An letztere werden z. T.
➋ UA = 14 + 0,05 × I A sehr abweichende Anforderungen gestellt.
Spannung U

(U,I) - Werte
➊ nutzbar Der Schweißumformer besteht aus einem Antriebs-
(U,I ) - Werte
nicht nutzbar
motor (Elektro- oder Verbrennungsmotor) und ei-
nem Schweißgenerator. Das Gerät kann daher auch
netzunabhängig betrieben werden; man bezeichnet
es dann als Aggregat. Wegen der schweren, rotieren-
den metallischen Massen wirken sich Änderungen
der Netzspannung nur geringfügig auf Änderungen
I min I max
der Schweißspannung aus. Die Geräuschentwicklung
E
ist beträchtlich. Der Wartungsaufwand ist groß, und
Stromstärke I die Anschaffungskosten sind im Vergleich zu denen
Bild 3-24 anderer Stromquellen am größten. Wegen seiner prin-
Statische Grenzkennlinien einer Konstantspannungs-Schweiß- zipbedingten Nachteile (Geräusche; sehr lange Reak-
stromquelle (CP = Constant Potential). Schweißstromquel- tionszeit, d. h. nur mäßiges dynamisches Verhalten;
len mit CP-Charakteristik werden für die MSG-Verfahren Preis) werden Schweißumformer kaum noch einge-
und das UP-Verfahren (vorwiegend für dünnere Drahtelekt- setzt. Ihre Entwicklung ist bereits seit längerer Zeit
roden) verwendet.
eingestellt worden.
❶, ❷ Minimal (1) und maximal (2) einstellbare statische Kenn-
linie der Schweißstromquelle
8)
E Einstellbereich der Schweißstromquelle. Er wird mit Hil- Sie wird auch als CP-Charakteristik (Constant Potenti-
fe der VDE-Prüfkennlinie UA = 14 + 0,05 ◊ IA festgelegt al) bezeichnet.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 141

Der Schweißtransformator ist sehr einfach im Auf- Transduktor

bau und nahezu wartungsfrei. Lediglich die Wicklun-


gen sollten wegen der notwendigen Wärmeabfuhr Steuerwicklung

mit trockener Luft (nicht Sauerstoff!) ausgeblasen


Arbeitswicklung
werden.

Polaritätsgebundene Stabelektroden (z. B. rein basi- U2


U1
sche Stabelektroden) können nicht verschweißt wer-
den, weil er nur Wechselstrom liefert. Er wird einpha-
sig angeschlossen, wodurch sich eine sehr ungüns- Transformator
a) Transduktor
tige, unsymmetrische Netzbelastung ergibt. Wegen (Gleichstrom)
des sich ständig ändernden magnetischen und elekt-
rischen Feldes ist die Blaswirkung (Abschn. 3.3.2.5.3)
I1 I2
merklich geringer als bei Gleichstrom. Weil die elekt-
risch wirksamen Teile des Transformators »Spulen«
U1 U2
sind, ist der von ihm erzeugte Blindstromanteil sehr
hoch, d. h., der Leistungsfaktor cos j 9) ist verhältnis-
mäßig »schlecht«. Transformator

Streukern (Streujoch) Potenziometer


b) Schweißstrom

Bild 3-26
Schweißtransformator mit stufenloser Kennlinienverstellung
U1 N1 N2 U2 mittels Transduktor.
a) Bildliche Darstellung
b) Schaltplan
Werkstück
a)
Die erforderliche fallende Kennlinie kann mit einfa-
I1 I2
chen Mitteln erzeugt werden. Weit verbreitet ist die
Änderung des induktiven Widerstandes mit einem
U1 U2 verstellbaren Streukern (»Streujoch«), Bild 3-25. Bei
ausgefahrenem Streukern ist der magnetische Neben-
schluss am kleinsten, d. h. der Schweißstrom am größ-
b)
Transformator ten: Das ist die maximal einstellbare Kennlinie, sie-
he Bild 3-23. Ein Nachteil dieser einfachen, robus-
Bild 3-25
ten Bauart ist die sehr aufwändige Möglichkeit, ei-
Kennlinienverstellung bei Schweißtransformatoren mit Hil-
fe eines Streukerns (Streujoch). ne Fernverstellung zu realisieren.
a) Bildliche Darstellung
b) Schaltplan Mit einem Transduktor als Stellglied lässt sich die
fallende Kennlinie weitaus eleganter erzeugen, Bild
3-26. Dieses auch als gleichstromvormagnetisier-
9)
In einem Wechselstromkreis beträgt die bare Drossel bezeichnete Bauteil besteht aus dem
Scheinleistung: PS U ¹ I, die
Eisenkern, der Arbeitswicklung (für den Schweiß-
Wirkleistung: PW U ¹ I ¹ cos j und die
Blindleistung: PB U ¹ I ¹ sin j . strom) und der Steuerwicklung (für den Steuerstrom
Nur die (ohmsche) Wirkleistung lässt sich in Energie um- Gleichstrom). Fließt kein Steuerstrom, dann be-
wandeln. Die Blindleistung wird zum Aufbau der elektri- sitzt die Arbeitswicklung den höchsten induktiven
schen und magnetischen Felder in den Schweißstromquel- Widerstand, und der Schweißstrom ist am gerings-
len gebraucht. Sie führt zu einer unnötigen Belastung des ten. Mit steigender Gleichstromvormagnetisierung
Netzes. Deshalb wird man schon aus wirtschaftlichen wird der Eisenkern zunehmend magnetisch gesät-
Gründen dafür sorgen, dass sie möglichst klein ist, d. h.
tigt, d. h., der induktive Widerstand nimmt ab, und
der cos j möglichst groß ist. Das wird z. B. durch Kom-
pensieren mit Kondensatoren erreicht. Der Leistungsfak- der Schweißstrom ist am größten. Diese Bauart er-
tor wird seit einiger Zeit mit l bezeichnet, da in vielen Fäl- laubt eine einfach zu realisierende, stufenlos fernbe-
len der Stromverlauf nicht mehr sinusförmig ist. dienbare Verstellung des Schweißstromes.
142 3 Fügen

Transduktoren werden als Stellglied für Stromquel- Für eine hinreichend genaue, d. h. sinnvolle Rege-
len zum Lichtbogenhand- und WIG-Schweißen ein- lung sind ausreichend kleine Regelzeiten erforder-
gesetzt. Sein großer induktive Widerstand ist die Ur- lich, die sich nur mit elektronischen Einrichtungen
sache für seine nur mäßigen dynamischen Eigenschaf- erreichen lassen. Derartige Schweißstromquellen
ten, d. h. dem erheblich verzögerten Strom- bzw. bezeichnet man als elektronisch geregelt. Als elektro-
Spannungsanstieg bei steilflankigen Impulsen. Diese nische Stellglieder werden
relativ große »Grundinduktivität« verhindert auch – Thyristoren und
bei den MSG-Schweißverfahren (Abschn. 3.3.3.4) – Transistoren
das Einstellen hoher Tropfenfrequenzen. verwendet.

Der Schweißgleichrichter besteht aus einem Trans- Thyristoren sind Gleichrichter, deren Stromdurch-
formator und einem Gleichrichtersatz (überwiegend gang mit Hilfe negativer (oder positiver) Steuerspan-
Silicium). Der Netzanschluss kann einphasig sein (Ein- nungen geregelt wird. Diese Halbleiterbauelemente
weg- oder meistens Brückenschaltung, Bild 3-27), sind aus vier oder mehr Halbleiterschichten wech-
er ist aber aus technischen Gründen meistens dreipha- selnder Dotierung aufgebaut. Bei Wechselstrom
sig (Dreiphasentransformator), weil die Netzbelas- kann kein Strom während der negativen Halbwelle
tung dann sehr viel gleichmäßiger ist und ein Gleich- fließen, während der positiven nur, wenn ein Steu-
strom mit einer deutlich geringeren Welligkeit er- erstrom fließt. Der Thyristor wird vom Steuerstrom
zeugt wird. Die Stromwelligkeit kann durch Drosseln (»Gatestrom«) für den Durchlass des Arbeitsstro-
(»Glättungsdrossel«) im Schweißstromkreis noch mes geschaltet (»gezündet«). Je nach der Phasenlage
weiter verringert werden. Daher werden Einphasen- des Steuerstromes lassen sich die Halbperioden des
gleichrichter in der Schweißpraxis kaum noch verwen- gleichgerichteten Stromes »anschneiden«. Sein Ef-
det. Der Dreiphasengleichrichter wird für das Licht- fektivwert kann also stufenlos und nahezu verlust-
bogenhandschweißen und die MSG-Schweißverfah- frei gesteuert werden (Phasenanschnittsteuerung).
ren sehr häufig eingesetzt. Die Regelzeiten der Thyristoren betragen einige
Millisekunden.
U1 U2
U

Transistoren sind Halbleiterelemente, die elektrische


Leistungen mit sehr geringen Strömen extrem schnell
a)
steuern und verstärken können 10). Da selbst moder-
ne Leistungstransistoren nur etwa mit 30 A bis 40 A
belastbar sind, müssen in Schweißstromquellen aus-
U1 U2
reichend viele Transistoren in einer Kaskadenan-
U

ordnung parallel geschaltet werden.


b) Netz Transformator Stromrichter
Bild 3-27
Schaltung und Stromverlauf von einphasig angeschlossenen R
Schweißgleichrichtern. S U2
a) Einwegschaltung T
b) Brückenschaltung
Transistor-
Mit den bisher besprochenen Schweißstromquellen Kaskade

können die Einstellwerte nur eingestellt, nicht aber


geregelt werden. Der »Regelkreis« besteht aus dem
Istwerte
Schweißer, der den Istzustand erfasst, die für ihn er-
U

Regelelektronik
kennbare Qualität der Schweißnaht mit der gefor-
U2

derten vergleicht (Sollzustand) und eventuelle Ab-


weichungen nur manuell an der Stellgröße ausglei- Sollwerte

chen kann. t

Bild 3-28
10)
Die Regelzeiten der Transistoren liegen im Bereich ei- Analoge Schweißstromquelle (Schweißgleichrichter mit Tran-
niger Mikrosekunden. sistorregelung), nach Oerlikon.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 143

Gleich- Inverter Trans- Gleich- – Impulse gewünschter Form: z. B. Anstieg der Im-
richter formator richter
pulsflanken und Impulsbreitenänderung;
Th
– bestimmter Verlauf der Stromkurve: z. B. die für
R
S oder
eine Reinigungswirkung (s. genauer S. 161) güns-
T tige »Square-Wave«-Technik erzeugt durch ihre
Tr rechteckige Stromform aber einen extremen Ge-
Istwerte
räuschpegel. Mit Hilfe der sog. Fuzzylogik (fuz-
zy: »verschwommen«) wird hier z. B. der leises-
Regelelektronik
te und stabilste Lichtbogen eingestellt.
Schweißstrom Sollwerte
a)
Der Nachteil dieser Bauart besteht darin, dass die
40 m  s
Transistoren als schnell reagierende Widerstände
auf der Sekundärseite arbeiten, d. h., ein großer Teil
Spannung
Spannung

der aufgenommenen Leistung muss als Verlustwär-


me abgeführt werden. Diese analogen Stromquel-
len haben daher einen verhältnismäßig niedrigen
Zeit Zeit
Wirkungsgrad (abhängig vom Arbeitspunkt bei ca.
50 % bis 80 %). Aus diesem Grunde sind sie in der
Praxis weitgehend verschwunden. Sie haben aber ge-
Schweißstrom

Schweißstrom

genüber den weiter unten besprochenen Inverter-


stromquellen auch wesentliche Vorteile. Aufgrund
des Fehlens der Ausgangsinduktivität in Reihe zur
Zeit Zeit Lichtbogenlast weisen sie keine Ausgangswelligkeit
Schweißstrom 70 A Schweißstrom 350 A auf und besitzen eine große Ausgangsdynamik.
b)

Bild 3-29
Der Wartungsaufwand für Schweißgleichrichter ist
Schematische Darstellung einer Inverterschweißstromquelle.
a) Schaltplan deutlich geringer als der für Umformer, aber merk-
b) Regeln des Schweißstroms mittels Impulsweitenmodula- lich größer als der für Schweißtransformatoren. Die
tion durch Ändern der Öffnungsphase anfängliche erhebliche Störanfälligkeit der Elektro-
nik (Gleichrichterelemente) ist behoben. Die Gerä-
Bild 3-28 zeigt das Schaltbild einer transistorgere- te gelten inzwischen als sehr betriebssicher. Wegen
gelten analogen Schweißstromquelle. Die kurzen der guten Schweißeigenschaften, Regel- und Kont-
Reaktionszeiten ermöglichen die praktisch soforti- rollmöglichkeiten werden sie in der Praxis zuneh-
ge Regelung bei Störungen im Schweißstromkreis mend auf Kosten der sehr viel teureren und unange-
bzw. auch beliebige Stromverläufe z. B.: nehm geräuschvollen Umformer verwendet.

Tabelle 3-5. Wichtige Eigenschaften, Vor- und Nachteile der Schweißstromquellen.

Merkmal Schweißumformer Schweißgleichrichter Schweißtransformator

Bestimmungen DIN EN 60974-1 DIN EN 60974-1 DIN EN 60974-1 und DIN EN 60974-6
Stromart Gleichstrom Gleichstrom Wechselstrom
Netzanschluss netzunabhängig erforderlich erforderlich
Netzbelastung symmetrisch symmetrisch unsymmetrisch
Wirkungsgrad 45 % bis 60 % 60 % bis 80 % 80 % bis 90 %
el. Leistungsfaktor (cos ) 0,85 bis 0,9 0,6 1) bis 0,8 2) 0,4 1) bis 0,8 2)
zulässige Leerlaufspannung 113 V (113 V) 3) 113 V (113 V) 3) 80 Veff (48 Veff) 3)
Ferneinstellung möglich möglich nein
Zünden des Lichtbogen sehr leicht sehr leicht befriedigend
Schweißeigenschaften sehr gut gut bis sehr gut befriedigend bis gut
Blaswirkung groß groß gering
Wartungsaufwand groß mittel bis gering gering
Anschaffungskosten 100 % 80 % 50 %
Anwendung unbeschränkt unbeschränkt ungeeignet für polaritätsgebundene Elektroden
1) 2) 3)
ohne Kompensation mit Kompensation Werte in Klammern gelten für erhöhte elektrische Gefährdung
144 3 Fügen

Bei den neueren Inverterschweißstromquellen wird Ein wichtiges konstruktives Kennzeichen der se-
der dem Netz entnommene Wechselstrom mit Hil- kundär getakteten Schweißstromquellen (bis 200
fe eines Stromrichters gleichgerichtet und anschlie- kHz sind möglich) ist ein mit Netzfrequenz betriebe-
ßend mit einem thyristor- oder meistens transistor- ner Transformator und die Anordnung der Halblei-
gesteuerten als Schalter wirkenden Inverter in posi- terschalter auf der Sekundärseite des Transforma-
tive und negative Stromimpulse umgewandelt, Bild tors, Bild 3-30. Der Transistor arbeitet als Schalter,
3-29. Die so erzeugte sehr hochfrequente rechtecki- d. h., die Schaltgeschwindigkeit ist extrem groß. Die-
ge Wechselspannung (20 kHz und höher) wird in ei- se Bauart wird vor allem für (sehr) große Schweiß-
nem Transformator auf die zum Schweißen erforder- leistungsbereiche angewendet.
lichen Werte umgespannt, danach gleichgerichtet und
Trans- Gleich- Schalter Glättungs-
bei Bedarf »geglättet«. Bei diesen primär getakte- formator richter induktivität
ten Schweißstromquellen (im Energiepfad ist der
R
Schweißtransformator nach dem Schalttransistor an-
geordnet!) wird der Schweißstrom durch Ändern der
S
Öffnungszeit eingestellt, Bild 3-29b). Die Transis-
toren bei dieser Anordnung arbeiten wie mechani-
T
sche Ein/Ausschalter. Die Verlustleistung ist dem-
nach sehr gering. Mit MOS-Transistoren sind sehr Bild 3-30
große Schaltgeschwindigkeiten (bis 200 kHz) mög- Schematische Darstellung einer sekundär getakteten Schweiß-
lich. Für verschiedene Grundwerkstoffe, Schutzgase stromquelle.
und Drahtdurchmesser lassen sich optimierte Pro-
gramme herstellen, die gewöhnlich mit Speicher- Tabelle 3-5 zeigt die wichtigsten Eigenschaften der
bausteinen realisiert werden. Eine Umrüstung auf Schweißstromquellen im Vergleich.
neue Programme ist damit verhältnismäßig einfach
und preiswert möglich. 3.3.2.4 Zusatzwerkstoffe; Stabelektroden
Aus verfahrenstechnischen Gründen (leichteres Zün-
Mit den Inverterstromquellen ist eine vollständige den, stabiler Lichtbogen) und wegen metallurgischer
Regelung des Schweißablaufs möglich, die mit kei- Eigenschaften (wesentlich bessere Gütewerte) wer-
ner anderen Stromquelle erreichbar ist: den zum Lichtbogenhandschweißen überwiegend
– Die Schweißarbeiten werden mit geringen Strö- umhüllte Stabelektroden verwendet. Die Umhül-
men begonnen, um das Durchfallen der Schmel- lung wird um den Kernstab ausschließlich gepresst
ze zu verhindern. (Pressmantelelektroden). Wegen der großen Gefahr,
– Der Strom steigt anschließend bei gleichzeitigem die durch dissoziierte bzw. ionisierte Feuchtigkeit
Pulsbetrieb auf die Schweißstromstärke an. im Lichtbogenraum entsteht, werden die Elektroden
– Der Strom wird gegen Ende der Schweißarbei- vor dem Verpacken bei unterschiedlichen Tempera-
ten abgesenkt (Prinzip der Kraterfülleinrichtung, turen getrocknet 11).
Abschn. 3.3.3.3.1.2), um die Heißrissanfällig-
keit im Bereich des Endkraters zu beseitigen. Während bei der »Hüttenmetallurgie« zum Herstel-
len des Werkstoffs mindestens einige zehn Minuten
Damit ist ein optimales Anpassen der Einstellwerte zur Verfügung stehen, muss das Schweißgut wegen
und der thermischen Erfordernisse auch für schlecht der spezifischen Besonderheiten des Schweißprozes-
schweißgeeignete Werkstoffe möglich. ses (punktförmige Wärmequelle, große Leistungs-
dichte, hohe Aufheiz- und Abkühlgeschwindigkeit)
Ein weiterer großer Vorteil ist die mit zunehmender in einigen Sekunden desoxidiert und (oder) aufle-
Wechselstromfrequenz mögliche Verringerung der giert werden. Allerdings sind die für das Ergebnis
»Eisenmasse« d. h. des Gewichtes des Transforma- entscheidenden Reaktionstemperaturen meistens
tors. Daher sind diese Schweißstromquellen für Mon- um einige Hundert Grad höher als im Hüttenwerk.
tage- und Baustellenbetrieb besonders geeignet. Insgesamt kann daher davon ausgegangen werden,
dass das entstehende Primärgefüge nicht so weit vom
11)
Die sauer- und rutil-sauer-umhüllten Stabelektroden wer- thermodynamischen Gleichgewichtszustand entfernt
den bei etwa 100 ’C, die basisch-umhüllten bei etwa 250 ’C ist, wie aufgrund der geschilderten Zusammenhänge
bis 300 ’C getrocknet. vermutet werden könnte.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 145

3.3.2.4.1 Aufgaben der Elektrodenumhüllung Die Umhüllung hat die folgenden Aufgaben zu er-
Die Stabelektroden werden in der Praxis nach der füllen:
Art der chemischen Charakteristik der Umhüllung, ❒ Stabilisieren des Lichtbogens
dem Anwendungsgebiet (z. B. Elektroden für das Ver- Durch Stoffe, die eine geringe Elektronenaustritts-
bindungs-, Auftragschweißen) und der Umhüllungs- arbeit haben (z. B. Salze der Alkalien Natrium,
dicke eingeteilt (Abschn. 3.3.2.4.3) In der Normung Kalium und Erdalkalien Calcium, Barium), wird
wurden bisher (DIN EN 499) die verschiedenen die Ladungsträgerzahl im Lichtbogen wesent-
Umhüllungsdicken durch die folgenden Kurzzei- lich erhöht, d. h. die Leitfähigkeit der Lichtbogen-
chen unterschieden: strecke verbessert. Der Bogen zündet besser und
Dünn-umhüllt (d) bis zu der Gesamtdicke von brennt stabiler.
120 %, ❒ Bilden eines Schutzgasstroms
mitteldick-umhüllt (m) über 120 % bis 155 % Das Schmelzbad und der Lichtbogenraum müs-
und sen zuverlässig vor dem Einfluss atmosphäri-
dick-umhüllt (s) über 155 %, scher Gase (Luft) geschützt werden, da sonst ein
bezogen auf den Kernstabdurchmesser. starker Abbrand der Legierungselemente und die
Aufnahme von Stickstoff und anderen Gasen,
In der Nachfolgenorm DIN EN ISO 2560 wird die verbunden mit einer entscheidenden Verschlech-
Umhüllungsdicke nicht mehr explizit mit Hilfe von terung der mechanischen Gütewerte (vor allem
Kurzzeichen angegeben. Lediglich die Bezeichnung der Zähigkeit!), die Folge wären. Durch Schmel-
des Umhüllungstyps »RR« weist noch direkt auf ei- zen und Verdampfen der Umhüllungsbestandteile
ne dick-umhüllte rutile Stabelektrode hin. entsteht die schützende Gasatmosphäre. Außer-
ordentlich wirksam ist das aus Carbonaten, wie
Mit der Umhüllungsdicke ändern sich die Schweiß- z. B. aus Calciumcarbonat entstehende Kohlen-
eigenschaften und die Gütewerte des Schweißgutes dioxid: CaCO3  CaO  CO2. Die Umhüllung
erheblich. Mit zunehmender Menge an Umhüllungs- aller Elektroden enthält in unterschiedlichen Men-
bestandteilen laufen nach dem Massenwirkungsge- gen Wasser 12), das im Lichtbogen in die metallur-
setz die metallurgischen Reaktionen, wie z. B. Aufle- gisch sehr schädlichen Gase Wasserstoff und Sau-
gieren, Desoxidieren und Entschwefeln, vollständi- erstoff aufgespalten wird.
ger ab. Die mechanischen Gütewerte, vor allem die
Zähigkeit, nehmen damit zu. Wegen der großen Men-
ge der entwickelten Gase ist der Schutz des Schweiß-
schmelze sehr gut. Die Viskosität der Schmelze nimmt
aber ab wegen der zunehmenden Wärmemenge, die 5
aus den zahlreichen exothermen Verbrennungsvor- 5
gängen der Desoxidationsmittel Mangan und Silici- Schlackenfilm
um (evtl. auch der Legierungselemente) entstehen. 2, 4 3

2, 4
Fe
Die Stabelektrode besteht aus einem metallischen Cr
1 O 4
Kern, dem Kernstab, und der umpressten Umhül- 2

lung 12). Diese besteht aus Erzen, sauren, basischen


und organischen Stoffen. Die Umhüllung bestimmt
das Verhalten des Schweißgutes bzw. der Elektrode
(z. B. das »Verschweißbarkeitsverhalten«: Spaltüber- Oxidationsvorgänge Desoxidations- und
brückbarkeit, Zwangslagenverschweißbarkeit) und Legierungsvorgänge
die mechanischen Gütewerte der Schweißverbindung durch freien Sauerstoff: durch Kohlenstoff:
1: Fe + O ® FeO 3: FeO + C ® Fe + CO
in hohem Maße. Mn + O ® MnO durch oxidische Schlacken:
durch oxidische Schlacken: 4: SiO2 + 2 × Fe ® 2 × FeO + Si
12)
2: SiO2 + 2× Cr ® 2 × CrO + Si MnO + Fe ® FeO + Mn
Zum Verringern der Reibung an der Pressdüsenwand bei Fe 2O3 + Fe ® 3 × FeO 5: MeO + Fe ® FeO + Me
der Herstellung werden jedem Stabelektrodentyp Gleit-
mittel zugesetzt. In der Hauptsache wird dafür wasserhal- Bild 3-31
tiges Natron- oder Kaliwasserglas (Na2SiO3 bzw. K2SiO3) Metallurgische Vorgänge beim Schweißen mit umhüllten
verwendet. Stabelektroden (stark vereinfacht).
146 3 Fügen

❒ Bilden einer metallurgisch wirksamen Schlacke. Desoxidation und das Auflegieren sind Diffusions-
Die den Lichtbogenraum durchlaufenden Werk- vorgänge, die im Wesentlichen an der Phasengren-
stofftröpfchen sind von einem Schlackenfilm ze Schlacke/flüssiges Metalltröpfchen stattfinden.
umgeben, der den flüssigen Werkstoff vor Luftzu- Der Hauptort aller metallurgischen Reaktionen ist
tritt schützt. Auch das Auflegieren bzw. Desoxi- die Elektrodenspitze, weil hier die höchsten (Reak-
dieren erfolgt über den Schlackenfilm, weil Le- tions-)Temperaturen im System herrschen. Bild 3-31
gierungselemente und auch die Desoxidations- zeigt die Vorgänge. Ein Teil der dem Schmelzbad zu-
mittel dem Schweißgut meistens über die Umhül- geführten Legierungselemente geht durch Oxidation
lung in Form feinverteilter Vorlegierungen zuge- und Verdampfen im Lichtbogenraum sowie durch
führt werden. Ähnlich wie bei der Stahlherstel- Spritzerbildung verloren.
lung muss das Schweißgut »gereinigt«, d. h., die
Gehalte an Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Stick- Die Oxidationsvorgänge laufen im Wesentlichen über den
stoff und anderen Verunreinigungen müssen auf Schlackenfilm ab, der den flüssigen Metalltropfen umhüllt.
Werte begrenzt werden, die sich nicht mehr schäd- Für die Oxidation durch freien Sauerstoff gelten z. B. folgende
Reaktionsgleichungen, Bild 3-31:
lich auswirken. Auch diese metallurgischen Auf-
gaben übernimmt die Schlacke. Das Entgasen Fe  O2  2 ¹ FeO
Mn  O2  2 ¹ MnO.
und das Entschlacken Reaktionsprodukte der
Die Oxidation durch oxidische Schlacke findet an der Phasen-
Desoxidationsbehandlung!) der Schmelze wer-
grenze Metall-Schlacke statt:
den durch die flüssige, schlecht wärmeleitende
Fe2O3  Fe  3 ¹ FeO
Schlacke erleichtert. Ihr Sauerstoffgehalt be-
SiO2  2 ¹ Cr  2 ¹ CrO  Si.
stimmt in großem Umfang die Viskosität der
Das FeO geht in die Schlacke und die Metallschmelze über.
Schmelze, d. h. die Größe und die Zahl der Trop- Durch oxidische Schlacken (und freien Sauerstoff) werden
fen. Die gleichzeitige Abnahme der Abkühlge- große Mengen von Legierungselementen verschlackt, z. B.:
schwindigkeit begrenzt die Härtespitzen in der Cr  O (bzw. SiO2)  CrO.
Wärmeeinflusszone. Schließlich formt und stützt
Der Sauerstoff ist im Grunde der einzige von der Umhüllung
die Schlackendecke die Schweißnaht. gelieferte Bestandteil mit schädlichen Auswirkungen. Das
Schweißgut muss daher desoxidiert werden.
3.3.2.4.2 Metallurgische Grundlagen Die Desoxidation der Schmelze erfolgt mit Elementen, die ei-
Die notwendigen Legierungs- und Desoxidations- ne größere Affinität zum Sauerstoff haben als Eisen. Die Re-
elemente werden dem Schmelzbad aus der Umhül- aktionsprodukte können gasförmig (CO) oder fest sein (MnO,
lung und (oder) dem Kernstab zugeführt. Eine der SiO2), d. h., sie bilden Poren oder Einschlüsse unterschiedli-
wichtigsten Forderungen für ausreichende mecha- cher Größe und Form (z. B. eckig, rundlich, flächig).
nische Eigenschaften der Schweißverbindung (und Der schmelzflüssige Tropfen wird mit Kohlenstoff (C) vor-
des Schweißguts!) ist das Erzeugen eines in bestimm- desoxidiert (Bild 3-31):
ter Weise zusammengesetzten Schweißgutes. Die FeO  C  CO  Fe.

Tabelle 3-6. Wichtige Umhüllungsbestandteile von Stabelektroden, eingeteilt nach ihrer metallurgischen Wirksamkeit.

basisch sauer oxidierend reduzierend


(desoxidierend)

BaCO2 1) SiO2 2) Fe2O3 3) Al


K2CO3 1) TiO2 5) Fe3O4 3) Mn
CaO 4) ZrO2 MnO2 Si
CaCO3 4) Verbindungen der TiO2 C
MgO Eisenbegleiter P und S
MgCO3 1), MnO
CaF2 6)
Hinweise zur Wirkung einzelner Umhüllungsbestandteile
1)
Schutzgas- und Schlackebildner
2)
erhöht Strombelastbarkeit, dient als Schlackeverdünner
3)
feinerer Tropfenübergang, lichtbogenstabilisierend
4)
wie Fußnote 1), erniedrigt Lichtbogenspannung
5)
erleichtert Wiederzünden des Lichtbogens und Schlackenabgang
6)
verdünnt Schlacke bei basisch-umhüllten Stabelektroden
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 147

Das entstandene Gas (CO) begünstigt die Tropfenablösung. Die Umhüllungsbestandteile werden nach ihrer che-
Die weitere Desoxidation geschieht über das SiO2 in der den mischen Wirksamkeit eingeteilt in
Tropfen umhüllenden Schlacke:
– saure,
SiO2  2¹Fe  2¹FeO  Si. – basische,
Das FeO bleibt jetzt vorwiegend in der Schlacke, Silicium – oxidierende (sauerstoffabgebende) und
wandert in den Metalltropfen und desoxidiert die Schmelze – reduzierende (sauerstoffbindende) Stoffe.
beim Abkühlen:
2¹FeO  Si  SiO2  2¹Fe. Einige wichtige Bestandteile der Umhüllung sind
Wegen der kurzen Erstarrungszeit ist es schwierig, den Gehalt in Tabelle 3-6 aufgeführt. Danach verhalten sich die
an festen Reaktionsprodukten, wie z. B. SiO2 und MnO, zu Nichtmetalloxide vorwiegend sauer, Metalloxide
begrenzen. niedriger Oxidationsstufen reagieren vorwiegend ba-
Der Legierungseffekt (Übergang der Legierungselemente von sisch. Überwiegt ein chemisch saures, neutrales oder
der Umhüllung in das Schweißbad) wird weitgehend von der basisches Verhalten der aus der Umhüllung entstan-
Oxidationsneigung der Elemente bestimmt, d. h. von deren
Sauerstoffaffinität. Die Reaktionsgleichung für das Auflegie-
denen Schweißschlacke, dann spricht man von sau-
ren lautet allgemein: er-umhüllten, rutil-umhüllten (neutraler Typ) oder
MeO  Fe  FeO  Me.
basisch-umhüllten Stabelektroden.
Hierbei liegt das Legierungselement Me in Oxidform als MeO
in der flüssigen Schlacke vor.
Oxidierende Bestandteile spalten im Lichtbogen
Sauerstoff ab, der zum Abbrand der Desoxidations-
100 desoxidierend und Legierungselemente führt. Die mechanischen
Verhalten der Licht-

Gütewerte werden mit zunehmendem Sauerstoffge-


bogenatmosphäre

% halt schlechter, die Viskosität der Schmelze und ih-


re Oberflächenspannung nehmen stark ab. Dadurch
50 B-Typ wird ein Werkstoffübergang in Form feinster Tröpf-
chen begünstigt (sprühregenartiger Werkstoffüber-
gang). Das Sauerstoffangebot ist bei den sauer-um-
hüllten Stabelektroden am größten, bei den basisch-
sauer A- und R- basisch
umhüllten am kleinsten.
100 50 Typen
Typen 50 % 100
Verhalten der
5 Schlacke 3.3.2.4.3 Die wichtigsten Stabelektrodentypen
50
Die sauer-umhüllten, rutil-umhüllten, zellulose-
umhüllten und basisch-umhüllten Elektroden sind
die wichtigsten Stabelektrodentypen. Ihr (Schweiß-)
Verhalten und ihre Eigenschaften werden vorwie-
100 oxidierend gend bestimmt von dem
Bild 3-32 – metallurgischen Verhalten der Schweißschlacke:
Verhalten der Lichtbogenatmosphäre und der Schlacke bei sauer, neutral, basisch, und dem
den wichtigsten Stabelektrodentypen, schematisch. – »chemischen« Charakter der Lichtbogenatmo-
sphäre: oxidierend (abbrennend), desoxidierend
Die Schlacken – also die geschmolzenen Elektroden- (zubrennend, reduzierend), Bild 3-32.
umhüllungen – verhalten sich je nach Zusammenset-
zung chemisch sauer, neutral oder basisch. Die Ver- Sauer-umhüllte Stabelektroden – sie haben das
bindungen des Schwefels und Phosphors sind che- Kennzeichen A 13) – enthalten in der Umhüllung
misch sauer. Sie lassen sich daher nur mit einer basi- große Anteile Schwermetalloxide (oxidische Eisen-
schen Schlacke aus der Schmelze entfernen. Diese und Manganerze, Fe2O3, Fe3O4, SiO2). Der dadurch
Eigenschaft ist im Wesentlichen die Ursache der her- in der Lichtbogenatmosphäre vorhandene hohe Ge-
vorragenden mechanischen Gütewerte des Schweiß- halt an freiem Sauerstoff und oxidischen Schlacken
guts – das gilt vor allem für die (Kerb-)Schlagzähig- verursacht einen starken Abbrand an Legierungsele-
keit! – des mit basisch-umhüllten Stabelektroden her- menten. Daher sind saure Elektroden zum Schwei-
gestellten sehr sauberen Schweißgutes. ßen legierter Stähle grundsätzlich ungeeignet. Der
Sauerstoffgehalt im Schweißgut ist mit etwa 0,1 %
13)
englisch: acid; sauer, Säure. extrem groß und die wichtigste Ursache für die ver-
148 3 Fügen

hältnismäßig schlechten mechanischen Gütewerte Die rutil-umhüllten Stabelektroden werden in zahl-


des Schweißgutes. reichen (Misch-)Typen hergestellt. Deren Umhül-
lungscharakteristik kann in Richtung sauer-umhüllt
Aufgrund der bei der Verbrennung der Legierungs- (Kennzeichen AR) bzw. basisch-umhüllt (Kennzei-
elemente (hauptsächlich Mangan und Silicium) frei- chen B(R) oder RR(B)) verschoben sein. Entspre-
werdenden Wärmemenge (stark exothermer Vor- chend groß ist der Bereich der erzielbaren Schweiß-
gang) und der sauerstoffhaltigen Lichtbogenatmo- eigenschaften und mechanischen Gütewerte. Die ru-
sphäre (geringe Viskosität der Metallschmelze) erge- til-umhüllte Stabelektrode ist daher der am häufigs-
ben sich ten verwendete Stabelektrodentyp. Der rutil-saure
– ein sprühregenartiger, feintropfiger Werkstoff- Stabelektrodentyp RA hat sich im Laufe der Zeit we-
übergang, gen seiner günstigen Kombination der Verschweiß-
– eine dünnflüssige, heiße Schmelze (man spricht barkeitseigenschaften und der erreichbaren Gütewer-
von einer »heißgehenden Stabelektrode«) und te zu einem weiteren Grundtyp entwickelt.
damit verbunden
– eine schlechte Spaltüberbrückbarkeit. Diese Ei- Bei mitteldick-rutil-umhüllten Stabelektroden ist
genschaft ist vor allem beim Schweißen der Wur- die Spaltüberbrückbarkeit und die Zwangslagenver-
zellagen von Stumpfschweißverbindungen wich- schweißbarkeit sehr gut, die Heißrissempfindlich-
tig. Hierfür sind entweder ein hinreichend zäh- keit gering. Sie ist vor allem zum Schweißen der Wur-
flüssiges Schweißgut, eine geeignete Elektroden- zellagen geeignet, wenn die damit erzielbaren Güte-
führung (nur bedingt tauglich) oder geeignete werte ausreichend sind.
Badsicherungen erforderlich, Bild 3-33, und
– eine erheblich eingeschränkte Zwangslagenver- Das mit dick-rutil-umhüllten Stabelektroden herge-
schweißbarkeit der sauer-umhüllten Stabelek- stellte Schweißgut besitzt gute bis sehr gute mechani-
troden, Bild 3-6. sche Gütewerte. Ihre (Wieder-)Zündfähigkeit ist we-
gen der großen elektrischen Leitfähigkeit der Schla-
Die dünnflüssige Schlacke formt sehr glatte Nahtober- cke ausgezeichnet und besser als bei allen anderen
flächen. Die »schöne« Nahtzeichnung sollte aber Stabelektrodentypen.
nicht darüber hinweg täuschen, dass die Gütewerte
der Schweißverbindung verhältnismäßig schlecht Die Umhüllung der basisch-umhüllten Stabelekt-
sind. Der Anwendungsbereich dieser Stabelektro- roden mit dem Kennzeichen B 15) enthält etwa 80 %
den ist daher sehr begrenzt und nimmt ständig wei- Calciumoxid (CaO) und Calciumfluorid (CaF2), al-
ter ab auf Kosten der rutil- und basisch-umhüllten. so basische Bestandteile (Tabelle 3-6), die kaum
Beim Schweißen stark verunreinigter Stähle (durch Sauerstoff in der Lichtbogenatmosphäre abspalten.
Phosphor, Schwefel oder durch Seigerungen) oder Die Schlacke ist neutral bis reduzierend (Bild 3-32)
höhergekohlter Stähle (C ! 0,25 %) entstehen leicht und weitgehend frei von Wasserstoff und Stickstoff.
Heißrisse, Poren oder infolge der geringen Verform- Die gebildete Schlacke verhält sich basisch. Der Ab-
barkeit des Schweißgutes Härterisse (Kaltrisse) in brand an Legierungselementen ist daher gering und
der Wärmeeinflusszone (Abschn. 3.2.3). Die sauer-
Decklage Fülllagen
umhüllten Stabelektroden können dünn- oder meis-
tens dick-umhüllt sein (s. Abschn. 3.3.2.4.3).

Der Hauptbestandteil der Umhüllung rutil-umhüll-


ter Stabelektroden ist Titandioxyd mit dem Kenn-
zeichen R 14), das im Lichtbogen wesentlich schwä-
cher oxidierend wirkt als Fe2O3, Fe3O4 oder MnO2.
Die annähernd neutrale Lichtbogenatmosphäre ver-
mindert den Legierungsabbrand in hohem Maße.
Die Schweißschlacke ist aber sauer. evtl. Badsicherung Wurzellage
Zum Schweißen der Wurzellage (offener Spalt!) sind ein hinreichend
14)
zähflüssiges Schweißgut oder geeignete Badsicherungen erforderlich.
Diese Bezeichnung leitet sich von Rutil (TiO2), dem wich-
tigsten titanhaltigen Erz ab. Bild 3-33
15)
englisch: basic; basisch. Typischer Aufbau einer schmelzgeschweißten Stumpfnaht.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 149

das Schweißgut sehr verunreinigungsarm. Die me- der in das Schweißgut gelangt und dieses versprö-
chanischen Gütewerte sind hervorragend, ebenso det. Daher müssen selbst Spuren von Feuchtigkeit in
die Sicherheit gegen Heiß- und Kaltrisse sowie ge- der Umhüllung beseitigt werden. Ein einstündiges
gen Trennbrüche. Ihre herausragenden von keinem Trocknen bei 250 ’C vor dem Schweißen beseitigt
anderen Stabelektrodentyp erreichten Eigenschaf- nicht nur das adsorptive Wasser (aus der Umgebung
ten sind die extrem niedrige Übergangstemperatur von der Umhüllung aufgenommenes Wasser), son-
der Kerbschlagarbeit (Tü.27  70 ’C, Charpy-V-Pro- dern auch das in den Umhüllungsbestandteilen che-
ben) des Schweißgutes und dessen sehr geringer Was- misch gebundene Wasser (Konstitutionswasser, z. B.
serstoffgehalt. Mit trockenen Stabelektroden lassen in Kaolin: Al2O3 ¹2 SiO2 ¹ 2 H2O). Daraus ergeben sich
sich leicht Werte von 5 cm3/100 g Schweißgut errei- bestimmte Konsequenzen im Hinblick auf das Ver-
chen. Diese Eigenschaft macht die B-Stabelektroden schweißen dieser Elektroden. Der Lichtbogen muss
zum Schweißen der niedriglegierten, feinkörnigen möglichst kurz sein, d. h. die Stabelektrode sehr steil
Vergütungsstähle hervorragend geeignet. gehalten werden. Pendeln der Elektrode ist möglichst
zu vermeiden, anderenfalls besteht die Gefahr, dass
Wegen ihrer guten Legierungsausbeute werden sie Feuchtigkeit aus der Atmosphäre aufgenommen wird
zum Schweißen legierter Stähle überwiegend ver- und es z. B. zur Porenbildung kommt. Das Ausga-
wendet. Sie sind dick-umhüllt und haben einen mit- sen des sehr zähflüssigen Schweißgutes ist prinzi-
tel- bis grobtropfigen Werkstoffübergang (»kaltge- piell erschwert. Mit Hilfe größerer Schmelzbäder
hend«) und sind in jeder Position verschweißbar, ei- können die Entgasungsbedingungen aber deutlich
nige von ihnen auch mäßig gut in der Fallnahtposi- verbessert werden. Der fachgerechte Umgang mit
tion (von oben nach unten, Bild 3-6). Demnach er- diesem Elektrodentyp ist aufwändiger als der mit
geben sich die folgenden Anwendungsbereiche: jeder anderen Stabelektrodensorte. Der Schweißer
– Verunreinigte Stähle: muss mit ihren Besonderheiten in speziellen Schu-
Z. B. Thomasstahl, Seigerungszonen von unbe- lungen vertraut gemacht werden.
ruhigten Stählen, Automatenstähle mit ihrem
hohen Schwefelgehalt. Sie sind grundsätzlich für Die Umhüllung enthält einen großen Anteil Calcium-
alle nicht bzw. schlecht schweißgeeigneten Stäh- fluorid (CaF2), das Elektronen bindet, d. h. den Elekt-
le geeignet. ronenstrom in Richtung Anode schwächt und so die
– Höhergekohlte und (oder) legierte Stähle: Ionisation behindert. Rein basische Stabelektroden
Bei erhöhtem Kohlenstoffgehalt (C ! 0,25 %) sind daher kaum mit Wechselstrom, sondern nur mit
des Stahls kann das Schweißgut wegen seiner ho- Gleichstrom am positiven Pol 16) verschweißbar.
hen Verformbarkeit die rissbegünstigenden Eigen- Diese Polung ist notwendig, weil durch die Schwä-
spannungen des martensitischen Gefüges mit- chung des Elektronenstroms der negative Pol wär-
tels plastischer Verformungen abbauen. mer ist als der positive. Außerdem brennt der Lichtbo-
– Dickwandige und (oder) stark verspannte Kons- gen nur bei der positiven Polung der Elektrode sta-
truktionen: bil. Jeder andere Elektrodentyp wird am negativen
Die erforderliche (Kalt-)Zähigkeit (d. h. niedri- Pol (kälterer Pol) verschweißt und kann normalerwei-
ge Übergangstemperatur der Kerbschlagzähig- se auch mit Wechselstrom verarbeitet werden.
keit, ein extrem geringer Wasserstoffgehalt im
Schweißgut, sowie eine extrem hohe Bruchverfor- Die Umhüllung zellulose-umhüllter Stabelektro-
mung) lässt sich nur mit den basisch-umhüllten den mit dem Kennzeichen C 17) enthält einen hohen
Stabelektroden erreichen. Anteil verbrennbarer Substanzen (Zellulose). Sie
werden fast ausschließlich für Schweißarbeiten in
Die beschriebenen Eigenschaften sind aber nur dann Fallnahtposition verwendet. Hierfür muss die Stab-
vollständig nutzbar, wenn einige Besonderheiten im elektrode verschiedene Anforderungen erfüllen:
Umgang mit der B-Elektrode beachtet werden. We- – Die Menge der entstehenden Schlacke muss ge-
gen der reduzierenden Lichtbogenatmosphäre wird ring sein, weil sie in Schweißrichtung vorlaufend,
vorhandener Wasserdampf zu Wasserstoff reduziert, den Schweißprozess empfindlich stören würde.
– Der Einbrand sollte möglichst tief sein, weil als
16)
Die zellulose-umhüllten Stabelektroden werden eben- Folge der großen Schweißgeschwindigkeit die
falls am positiven Pol verschweißt. Blechkanten sicher aufgeschmolzen werden müs-
17)
englisch: cellulose; Zellulose. sen, um Wurzelfehler zu vermeiden.
150 3 Fügen

Als Folge der erreichbaren sehr großen Schweißge- teresistenz genannt. Sie kann z. B. durch die Zeit be-
schwindigkeit ergeben sich wesentliche wirtschaftli- stimmt werden, innerhalb der die Stabelektrode wäh-
che Vorteile. Aber das Verarbeiten dieser stark sprit- rend der Lagerung in definierten Befeuchtungsräu-
zenden, große Mengen Qualm und Rauch entwickeln- men den Wasserstoffgehalt von max. 5 ml /100 g
den C-Elektroden ist lästig und unbequem. Außer- Schweißgut nicht überschreitet. Je größer diese
dem muss der Schweißer zum Erlernen der schwieri- Zeitspanne ist, desto unkritischer verhält sich die
gen manuellen Technik besonders geschult werden. Elektrode bei einer nicht vorschriftsmäßigen Lage-
Die C-Elektroden werden überwiegend im Rohrlei- rung bzw. Trocknung durch den Verarbeiter.
tungsbau (Verlegen von Pipelines) eingesetzt.
Aufgrund neuerer Entwicklungen in der Stahlherstel-
3.3.2.4.4 Bedeutung des Wasserstoffs lung (Produktion unterschiedlicher in aller Regel ver-
Der Wasserstoff beeinträchtigt die Kerbschlagzä- güteter schweißgeeigneter, daher extrem wasser-
higkeit sehr stark. Insbesondere bei den vergüteten stoffempfindlicher Baustähle) besteht der Wunsch,
(schweißgeeigneten) Feinkornbaustählen führt Was- Stabelektroden zur Verfügung zu haben, die Schweiß-
serstoff zu den gefürchteten wasserstoffinduzierten güter mit einem Wasserstoffgehalt von weniger als
Kaltrissen. Für die basisch-umhüllten Stabelektro- 3 ml /100 g möglichst reproduzierbar erzeugen.
den garantieren die Hersteller einen Wasserstoffge-
halt von weniger als 5 ml H /100 g Schweißgut. Das Die Vorteile dieser extrem wasserstoffarmen Stab-
DVS-Merkblatt 0957 (Juli 2005) vereinheitlicht und elektroden sind:
regelt das Verschweißen und Trocknen der basisch- – Auf ein Vorwärmen kann verzichtet bzw. die
umhüllten Stabelektroden. Vorwärmtemperatur deutlich reduziert werden.
– Feuchteresistente Elektroden können Feuchtig-
Die wichtigsten Wasserstoffquellen beim Schwei- keit aus der Atmosphäre nur sehr langsam auf-
ßen sind: nehmen. Dann entfällt die Notwendigkeit, für
– Wasserstoffverbindungen in der Umhüllung, die die rückgetrockneten Elektroden beheizte Kö-
bei der Fertigungstrocknung nicht entfernt wer- cher zur Verfügung stellen zu müssen.
den können. In erster Linie ist das Bindemittel
Wasserglas zu nennen. Diese erzeugen den für Bei gleicher Umhüllungsfeuchtigkeit ( Gesamt-
die jeweilige Stabelektrode umhüllungstypischen feuchtigkeit) hat die Ausgangsfeuchtigkeit einen sehr
Grundwasserstoffgehalt. Nach dem DVS-Merk- viel größeren Einfluss auf den Wasserstoffgehalt des
blatt 0957 ist die Ausgangsfeuchtigkeit der Stab- Schweißguts als die durch kapillare Kräfte aufgenom-
elektrode der Wassergehalt der Umhüllung un- mene. Diese ist weniger fest an die Umhüllung gebun-
mittelbar vor ihrer Verpackung. den als die Ausgangsfeuchtigkeit und wird z. T. wäh-
– Die von dem Wasserstoffpartialdruck, d. h. von rend des Schweißens durch Widerstandserwärmung
der relativen Feuchte und der Temperatur der aus der Umhüllung ausgetrieben. Die über den Licht-
umgebenden Luft abhängigen Umgebungsfeuch- bogenraum praktisch immer eindringende Feuchtig-
tigkeit. Sie wird je nach der Beschaffenheit der keit hängt stark von der Lichtbogenlänge, d. h. der
Umhüllung zeitabhängig in die Umhüllung auf- Schweißspannung ab. Die Schweißspannung, eben-
genommen. Die Gesamtfeuchtigkeit ist die Sum- so wie der Sauerstoff- und Stickstoffgehalt, nehmen
me aus Ausgangsfeuchtigkeit und Umgebungs- mit zunehmender Lichtbogenlänge stark zu.
feuchtigkeit.
– Falsche Handhabung und (oder) eine ungeeig- Die entscheidenden qualitätsbestimmenden Eigen-
nete Schweißtechnologie: Zu langer Lichtbogen schaften der basisch-umhüllten Stabelektroden hin-
(Luft kann in den Lichtbogenraum gelangen), sichtlich des Wasserstoffs sind:
falsche Einstellwerte erschweren Ausgasen der – Der diffusible Anteil des Wasserstoffs im fes-
Schmelze, Oberflächenbeläge bestehen oft aus ten Schweißgut ferritischer Stähle. Dieser wird
vergasbaren Bestandteilen. nach DIN EN ISO 3690 (Entwurf 6/2009) mit
der Quecksilbermethode bestimmt.
Für die basisch-umhüllten Stabelektroden erweist es – Die Feuchteresistenz der Umhüllung von Stab-
sich als sinnvoll und notwendig, die Neigung der Um- elektroden. Die Vorschriften für ihre Ermittlung
hüllung zu definieren, während der Lagerung Feuch- und prüftechnische Hinweise sind zu finden in
tigkeit aufzunehmen. Diese Eigenschaft wird Feuch- DIN EN ISO 14372 (Entwurf 9/2009).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 151

Bei der Entwicklung und Verwendung der extrem tem »B« beruht überwiegend auf Normen, die im
wasserstoffarmen umhüllten Stabelektroden sind Pazifikraum gelten. Im Folgenden werden überwie-
einige physikalische Gesetzmäßigkeiten zu beach- gend die Festlegungen des europäischen Systems
ten. In erster Linie ist zu berücksichtigen, dass die »A« etwas ausführlicher beschrieben.
Bedeutung der Umgebungsfeuchtigkeit um so grö-
ßer ist, je niedriger der zu messende Wasserstoffge- Die ausgewiesenen mechanischen Gütewerte wer-
halt im Schweißgut ist. Die Messung des aufgenomme- den an reinem Schweißgut im nicht wärmebehandel-
nen Wasserstoffs für nur ein »Normklima« ist da- ten Zustand ermittelt. Die mechanischen Gütewerte
her nicht ausreichend. Für Schweißarbeiten unter
Tabelle 3-7. Kennzeichen für Festigkeit und Dehnung des
vom Normklima abweichenden klimatischen Bedin-
reinen Schweißguts nach DIN EN ISO 2560.
gungen müssen die von der Luftfeuchte abhängigen
meistens sehr viel größeren Wasserstoffgehalte be- Kenn- Mindeststreck- Zugfestigkeit 2)
Mindest-
kannt sein. Schweißungen z. B. an Konstruktionen ziffer grenze 1) dehnung 2)
im Offshorebereich oder in anderen Gebieten mit N/mm2 N/mm2 %
hoher Luftfeuchtigkeit sind Beispiele für extreme kli-
matische Bedingungen. 35 355 440 bis 570 22
38 380 470 bis 600 20
42 420 500 bis 640 20
Häufig wird die Bedeutung des Taupunktes unter- 46 460 530 bis 680 20
schätzt. Vor allem unter Baustellenbedingungen (Bau- 50 500 560 bis 720 18
gelände ist i. Allg. nicht beheizt!) ist zu beachten, 1)
Es gilt die untere Streckgrenze (Rel). Bei nicht ausgeprägter
dass ein Unterschreiten dieses von der Umgebungstem- Streckgrenze ist die 0,2 %-Dehngrenze (Rp0.2) anzusetzen.
peratur abhängigen Wertes zur Kondensatbildung auf 2)
L0 = 5 ⋅ d.
der Werkstückoberfläche führt. Bei den klimatischen
Bedingungen Luftfeuchtigkeit j 60 % und 20 ’C Tabelle 3-8. Kennzeichen der Kerbschlageigenschaften des
beginnt z. B. die Kondenswasserbildung auf den (im reinen Schweißguts nach DIN EN ISO 2560.
Freien lagernden) Stabelektroden bei einer Tempera- Kennbuchstabe/ Temperatur (°C) für Mindest-
tur unter 12 ’C. Kennziffer kerbschlagarbeit, KV = 47 J

Z Keine Anforderungen
3.3.2.4.5 Normung der umhüllten A + 20
Stabelektroden 0 ±0
Die bisher verbindliche Norm DIN EN 499 wurde 2 − 20
3 − 30
2006 durch die DIN EN ISO 2560 ersetzt. Sie legt 4 − 40
die Anforderungen für die Einteilung umhüllter 5 − 50
Stabelektroden im Schweißzustand für das Lichtbo- 6 − 60
genschweißen unlegierter und mikrolegierter Stäh-
le mit einer Mindeststreckgrenze bis zu 500 N/mm2 Tabelle 3-9. Kurzzeichen für die chemische Zusammenset-
fest. Mit ihrer Hilfe wird die Auswahl und Anwen- zung des Schweißguts mit Mindeststreckgren-
zen bis zu 500 N/mm2 nach DIN EN ISO 2560.
dung erleichtert und ein rationelles Abschätzen der
Güte und Wirtschaftlichkeit der Schweißverbindung Legierungs- Chemische Zusammensetzung 1)

ermöglicht. kurzzeichen in Prozent

Mn Mo Ni
Die DIN EN ISO 2560 ist unter Anwendung des
sog. Kohabitationsprinzips (lat.: co habere zusam- Kein 2,0 − −
Mo 1,4 0,3 bis 0,6 −
menwohnen; eine etwas ungeschickte Wortwahl, weil MnMo > 1,4 bis 1,6 0,3 bis 0,6 −
»Kohabitation« auch die ältere Bezeichnung für Ge- 1Ni 1,4 − 0,6 bis 1,2
schlechtsverkehr ist!) erarbeitet worden. Hierbei 2Ni 1,4 − 1,8 bis 2,6
werden für denselben Gegenstand der Normung 3Ni 1,4 − 2,6 bis 3,8
Mn1Ni > 1,4 bis 2,0 − 0,6 bis 1,2
zwei Merkmalbeschreibungen »A« und »B« festge- 1NiMo 1,4 0,3 bis 0,6 0,6 bis 1,2
legt. Die Einteilung nach dem System »A« entspricht
Z Jede andere vereinbarte Zusammensetzung
dabei weitestgehend den Festlegungen im europäi-
schen Raum, d. h. im Wesentlichen der bisher gül- 1)
Falls nicht festgelegt: Mo < 0,2 %, Ni < 0,3 %, Cr < 0,2 %,
tigen DIN EN 499. Die Einteilung nach dem Sys- V < 0,08 %, Nb < 0,05 %, Cu < 0,3 %
152 3 Fügen

Stoßart Geometrische Anordnung der Fügeteile Symbol

Stumpfstoß Teile liegen in einer Ebene

Überlappstoß Teile überlappen sich und liegen flächig aufeinander

T-Stoß Zwei Teile stoßen rechtwinklig aufeinander

Zwei Teile stoßen mit ihren Enden unter


Eckstoß
beliebigem Winkel aufeinander

Bild 3-34
Die wichtigsten Stoßarten nach DIN EN ISO 17659 (Auswahl).

des Schweißguts sollen denen des unbeeinflussten higkeitswerte sind keine Werkstoffkonstanten,
Grundwerkstoffs entsprechen. Selbst bei einer per- sondern werden u. a. von der Werkstückdicke
fekten Übereinstimmung der mechanischen Güte- und dem davon abhängigen Eigenspannungszu-
werte ist ein Versagen des Bauteils aus verschiede- stand beeinflusst.
nen Gründen nicht auszuschließen:
– Über die Eigenschaften der Wärmeeinflusszone Die Bezeichnung der umhüllten Stabelektroden nach
sind keine Aussagen möglich. DIN EN ISO 2560 ist aussagefähig und anwender-
– Die für die Bauteilsicherheit entscheidenden Zä- freundlich. Sie besteht aus den folgenden Teilen:

Nahtart Benennung Darstellung Symbol

I-N a h t

V -N a h t
Stumpfnähte
Y -N a h t

X -N a h t

Stirnnaht S tirn fla c h n a h t

K e h ln a h t

Kehlnähte Ü b e rla p p n a h t

E c k n a h t

Bild 3-35
Die wichtigsten Nahtarten nach DIN EN ISO 17659 (Auswahl).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 153

h
t
t = Einbrandtiefe
b = Nahtbreite
h = Nahtüberhöhung

b
b
t

b, t, h
b, t, h

b, t, h
Bild 3-36
t b
Einfluss der Schweißparameter Spannung t
U, Strom I und Vorschubgeschwindigkeit h
h h
v auf die Nahtform, d. h. auf die sie be-
stimmenden Größen t, b und h. Schweißstrom Schweißspannung Schweißgeschwindigkeit

Kurzzeichen für den Schweißprozess (E Elekt- Kennziffer für die Schweißposition, die für die
rohandschweißen, auch als Lichtbogenhand- Stabelektrode empfohlen wird. Sie wird wie folgt
schweißen bezeichnet). angegeben:
Kennziffer für die Festigkeit und Dehnung des 1: alle Positionen,
Schweißguts, gemäß Tabelle 3-7. 2: alle Positionen, außer Fallposition,
Kennziffer für die Kerbschlagarbeit des Schweiß- 3: Stumpfnaht, Wannenposition; Kehlnaht, Wan-
guts, gemäß Tabelle 3-8. nen-, Horizontal-, Steigposition,
Kurzzeichen für die chemische Zusammenset- 4: Stumpfnaht, Wannenposition,
zung des Schweißguts, gemäß Tabelle 3-9. 5: wie 3, und für Fallposition empfohlen.
Kurzzeichen für die Art der Umhüllung, die mit Kennzeichen für wasserstoffkontrollierte Stab-
folgenden z. T. schon bekannten Buchstaben elektroden. Damit die Wasserstoffgehalte einge-
bzw. Buchstabengruppen (siehe Abschn. 3.3.2.4.3) halten werden können, muss der Hersteller die
gebildet werden: empfohlene Stromart und die Trocknungsbedin-
A sauer-umhüllt, gungen bekannt geben. Bei diesen Elektroden
C zellulose-umhüllt, darf der Wasserstoff im Schweißgut 5 cm3/100 g,
R rutil-umhüllt, 10 cm3/100 g bzw 15 cm3/100 g nicht überschrei-
RR dick-rutil-umhüllt, ten (H5, H10, H15).
RA rutil-sauer-umhüllt,
RB rutil-basisch-umhüllt, Die Abschmelzleistung S und die Ausbringung A
RC rutil-zellulose-umhüllt, nach DIN EN 22401 sind Kenngrößen, mit denen
B basisch-umhüllt. sich die Wirtschaftlichkeit der Stabelektrode beurtei-
Kennziffer für die durch die Umhüllung bestimm- len lässt:
te Ausbringung (s. Beziehung weiter unten auf m
dieser Seite) und die Stromart. – Abschmelzleistung S = S in kg/h,
tS
a = 60° m
– Ausbringung A = S ⋅ 100 in %.
mK
a a
s
c

b
a) b)

Bild 3-37 Bild 3-38


Nahtvorbereitung für eine Stumpfnaht. Der Öffnungswinkel Einfluss des Schweißverfahrens auf die Größe des erforderlichen
a und der Stegabstand b bestimmen in hohem Maße die Öffnungswinkels a , d. h. der Schweißzeit (Wirtschaftlichkeit).
Schweißgutmenge (Schweißzeit und Wirtschaftlichkeit) und a) MAG, a = 40∞ bis 45∞
den Verzug der Schweißverbindung. b) E-Hand, a = 60∞ (bis 70∞, z. B. bei Zwangslagen, Nickel)
154 3 Fügen

mS abgeschmolzene Masse der Stabelektrode Die gewählte Fugenform hängt ab von dem
(abzüglich Schlacke und Spritzer) in kg, – Werkstück (in einigen Fällen auch vom Werk-
mK Kernstabmasse in kg, stoff!) und der Werkstückdicke, den
tS reine Schweißzeit in h. – Sicherheitsanforderungen an das Bauteil, der
– Art der Beanspruchung (statisch, dynamisch,
3.3.2.5 Ausführung und Arbeitstechnik schlagartig, bei tiefer/hoher Temperatur) und den
Die Wirtschaftlichkeit der schweißtechnischen Fer- – Schweißpositionen.
tigung sowie die technische und metallurgische Qua-
lität der Schweißverbindung sind außer von ande- Die die Geometrie der Schweißnaht – und somit die
ren Einflüssen (Schweißzeit, Art der Zusatzwerkstof- zu wählende Fugenform – bestimmenden wichtigs-
fe, Schweißfolge, Wärmevor-, Wärmenachbehand- ten Faktoren sind die
lung) von den Fugenformen und den Nahtarten ab- – Einbrandtiefe t, die
hängig. Dabei sind das Beseitigen von Verunreinigun- – Schweißnahtbreite b und die
gen in der Nähe der Schweißstelle, wie z. B. Rost, – Schweißnahtüberhöhung h.
Fett, Öl, Feuchtigkeit, Farbe, organische Bewüchse
wichtige vorbereitende Maßnahmen. Wesentlich – Diese Einflussgrößen hängen ab vom Schweißverfah-
aber leider in einigen Fällen nicht genügend beach- ren (E-Handschweißen oder mechanische Verfah-
tet – ist der Einsatz geprüfter Schweißer, auch für ren: MSG-, UP-Verfahren) und den Einstellwerten
weniger kritische Bauteile. Sie bestimmen entschei- (Stromstärke, Spannung, Vorschubgeschwindigkeit).
dend die Qualität des geschweißen Bauteils und wir- Bild 3-36 zeigt schematisch den prinzipiellen Ein-
ken darüber hinaus als »Konstrukteur«, da sie abhän- fluss der Parameter Schweißspannung U, Schweiß-
gig von ihrem handwerklichen Können (und ihrem strom I und Vorschubgeschwindigkeit v auf die Naht-
Verantwortungsbewusstsein!), häufig die Nahtgeo- form, d. h. auf die sie bestimmenden Größen t, b
metrie (z. B. Naht-, Wurzelüberhöhung, Einbrand- und h.
kerben, andere Fehler) und auch die metallurgische
Qualität und die Festigkeitseigenschaften der Schweiß- Bei großer Einbrandtiefe kann eine Fuge mit gerin-
verbindung bestimmen (z. B. Poren, Einschlüsse, Bin- gerem Volumen, d. h. kleinerem Öffnungswinkel a
defehler). und größerer Steghöhe c gemäß Bild 3-37 gewählt
werden. Je nach der Einbrandtiefe des verwendeten
3.3.2.5.1 Stoßart; Nahtart; Fugenform Schweißverfahrens ergeben sich erhebliche Unter-
Die zu schweißenden Teile werden am Schweißstoß schiede im Schweißgutgewicht aufgrund der unter-
durch Schweißnähte zu einem Schweißteil vereinigt. schiedlich großen Öffnungswinkel. Bild 3-38 zeigt z.
Bild 3-34 zeigt die wichtigsten Stoßarten. Die Fuge B. die Verhältnisse für das MAG- und das E-Hand-
ist die Stelle, an der die Teile am Schweißstoß durch schweißen. Grundsätzlich sind mit einer geringeren
Schweißen verbunden werden. Sie kann sich ohne Schweißgutmenge folgende Vorteile verbunden:
Bearbeitung ergeben (z. B. I- oder Kehl-Fuge), oder – Größere Wirtschaftlichkeit,
sie kann bearbeitet sein (z. B. V-, U- oder Y-Fuge, – geringere Lagenzahl,
s. DIN EN 12345). Sie soll möglichst einfach herstell- – geringere Schweißzeit,
bar sein (z. B. mit Hilfe des Brennschneidens oder – geringerer Bauteilverzug.
Scherenschneidens), sich aber zuverlässig und feh-
lerfrei mit Schweißgut füllen lassen. Dazu gehört, Bild 3-39 enthält verschiedene Fugenformen für
dass der Schweißer die Fugenflanken mit dem Licht- Stumpfnähte nach DIN EN ISO 9692-1. Die Wahl
bogen vollständig aufschmelzen kann. der Fugenform wird von einer Reihe wirtschaftli-
cher und technischer Überlegungen bestimmt:
Die wichtigsten Nahtarten sind – Sie sollte einen möglichst geringen Querschnitt
– Stumpfnähte, haben. Ein geringeres Schweißgutvolumen be-
– Stirnnähte und deutet geringeren Verzug und kürzere Schweiß-
– Kehlnähte. zeiten, also höhere Wirtschaftlichkeit, aber hö-
here Schweißeigenspannungen.
Die Nahtarten sind in Bild 3-35 mit den zugehörigen – Sie sollte symmetrisch sein: Die Winkelschrump-
auf Konstruktionszeichnungen anzugebenden Sinn- fung a gemäß Bild 3-40 ist bei beidseitigem
bildern nach DIN EN 22553 aufgeführt. (gleichzeitigem) Schweißen sehr gering.
Wanddicke s Ausfüh- Benennung Symbol Fugenform Maße Bemerkungen
mm rungsart
α,β b c f
Grad mm mm mm
F u g e d u r c h s a u b e re n S c h e re n - b z w . B re n n s c h n itt e rz e u g t: b il-
< !  e in s e itig - 0 b is 2 - - lig . A u fm is c h u n g s e h r g ro ß : V o rs ic h t b e i v e ru n re in g te m W e rk -

s
I-N a h t 1 b is 3 - - s to ff. D ic k e re B le c h e k a n n M e ta ll-L ic h tb o g e n n ic h t m e h r (w irt-
> EI # b e id s e itig -
b s c h a ftlic h ) a u fs c h m e lz e n , a b e r M S G - u n d U P -V e rfa h re n .

a
F u g e n o c h e in fa c h h e rs te llb a r. B e i b e id s e itig e m S c h w e iß e n W u r-

s
z e l a u s a rb e ite n ( S c h le if e n , F u g e n h o b e ln o . ä .) u n d L a g e g e g e n -
e in s e itig b l 6 0 2 b is 3
0 b is 2 1 ) -
s c h w e iß e n (K a p p la g e ). W ie b e i a lle n u n s y m m e tris c h e n F u g e n -
! > EI  # V -N a h t l 6 0
b e id s e itig 0 b is 2 -
fo rm e n G e fa h r d e r W in k e ls c h ru m p fu n g . B e i e in s e itig e m S c h w e i-
ß e n is t S c h m e lz b a d s ic h e ru n g h ä u fig v o rte ilh a fte r.
Badsicherung

b
F u g e n a h e z u s y m m e tris c h . E in z u b rin g e n d e s S c h w e iß g u tv o lu -
m e n g e rin g e r a ls b e i d e r V -N a h t. B a d s ic h e ru n g e rfo rd e rlic h
S te ilfla n k e n - 1 )

s
<  e in s e itig 8 b is 1 2 4 b is 8 F u ß n o te - (B le c h s tre ife n ), d e r a b e r e rh e b lic h e K e rb w irk u n g e rz e u g t. D a -
n a h t
h e r n u r s in n v o ll, w e n n U n te rla g e b e la s s e n w e rd e n k a n n , d . h .
b e i v o rw ie g e n d s ta tis c h e r B e la s tu n g .
b

a1

a1 , 2 = 6 0 F u g e s y m m e tris c h , b e i w e c h s e ls e itig e m S c h w e iß e n (v o r a lle m b e i

s
1 b is 3 0 b is 2
 > EI !  b e id s e itig 2 /3 -X -N a h t a1 = 6 0 2 /3 d e r 2 /3 -X -N a h t) k a u m W in k e ls c h ru m p fu n g . F u g e n q u e rs c h n itt

f
1 b is 3 0 b is 2 g e rin g e r a ls b e i V -N a h t. H e rs te llu n g te u e r.
a2 = 4 0 b i s 6 0
b
a2

a
S e h r te u e r in d e r H e rs te llu n g , g e rin g e re r F u g e n q u e rs c h n itt a ls
b e i d e r X -N a h t. G e rin g e W in k e ls c h ru m p fu n g . V o rw ie g e n d fü r
s
<  $ b e id s e itig U -N a h t l 8 0 b is 2 2 b is 4 - n u r e in s e itig z u g ä n g lic h e o d e r (u n d ) h o c h w e rtig e V e rb in d u n -
g e n , z . B . im K e s s e l- u n d A p p a ra te b a u .
b
c

1 )
Is t d ie S te g h ö h e c = 0 , d a n n w e rd e n d ie K a n te n a u s s c h w e iß te c h n is c h e n G rü n d e n (S c h m e lz b a d k a n n s ic h im W u rz e lb e re ic h b e s s e r a u s b ild e n ) m e is te n s tro tz d e m g e b ro c h e n .
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen)

Bild 3-39
155

Hinweise zur Wahl der Schweißnahtvorbereitung (Fugenformen) für Stumpfnähte (Lichtbogenhandschweißen, Schutzgasschweißen, Gasschweißen), nach DIN EN ISO 9692-1.
156 3 Fügen

3.3.2.5.2 Einfluss der Schweißposition


Die Wirtschaftlichkeit der Fertigung und die Güte
der Schweißverbindung werden außer von den schon
besprochenen Einflüssen (z. B. Schweißzeit, Zusatz-
werkstoffe) maßgeblich von der Schweißposition
bestimmt. Grundsätzlich sollten aus den folgenden
Gründen die PA-(w-) oder PB-(h)-Position, also die
Normallagen (Bild 3-6) gewählt werden, denn:
– Schweißarbeiten in Zwangslagen erfordern er-
heblich längere Schweißzeiten, weil als Folge
der Schwerkraft mit dieser Schweißtechnologie
nur kleine, d. h. sehr rasch abkühlende Schmelz-
bäder erzeugt werden dürfen (können). Außer-
dem erfordern die schwerer erlernbaren Zwangs-
lagentechniken längere Schulungszeiten als die F
Techniken in Normallage. Zum Füllen des Fugen-
querschnittes sind daher wesentlich mehr Rau- Bild 3-41
Blaswirkung beim Schweißen nichtmagnetisierbarer Werk-
pen erforderlich. Die zweckmäßige und wesent-
stoffe. Der Lichtbogen wird in Richtung der resultierenden
lich wirtschaftlichere Pendellagentechnik (Ab- magnetischen Kraft F abgelenkt, die durch die unterschied-
schn. 3.2.4.2 und Bild 3-10) kann daher nicht an- liche Dichte der magnetischen Kraftlinien im Bereich des
gewendet werden, sondern nur die sehr zeitauf- Lichtbogens entsteht.
wändige Zugraupentechnik.
– Trotz der erforderlichen größeren Handfertig- – Als Folge der nur kleinvolumigen, rasch abküh-
keit des Schweißers ist die Fehlerhäufigkeit in den lenden Schweißbäder werden die Zähigkeit von
zwangslagengeschweißten Verbindungen meis- Schweißgut und der WEZ im Allgemeinen gerin-
tens größer, d. h. die Schweißqualität geringer. ger, die Härte in den Wärmeeinflusszonen bei Fü-
In einem überkopfgeschweißten Schweißgut ist geteilen aus Stahl größer und der Verzug der Bau-
z. B. der Gehalt nichtmetallischer Einschlüsse teile in der Regel geringer.
und Poren daher grundsätzlich höher (Gase und
Schlacken können nicht mehr ungehindert nach Außer diesen wirtschaftlichen Vorteilen zeichnet
»oben« steigen!) als in jeder anderen Position. sich die Pendellagentechnik noch durch bemerkens-
Aus diesem Grund ist auch der Prüfaufwand (Prüf- werte metallurgische Vorzüge aus. Das ungünstige
kosten!) beträchtlich größer als bei Bauteilen, dendritische Gussgefüge des Schweißguts und die
die in Normallage(n) geschweißt wurden. grobkörnige Ausbildung der WEZ werden durch die
große Energiezufuhr der einzelnen Lagen zum Teil
durch partielles Aufschmelzen des Schweißguts und
Umkörnen der WEZ z. T. beseitigt.
a)
Der Konstrukteur sollte diese wichtigen Zusammen-
hänge kennen, da sie nicht nur die Wirtschaftlichkeit,
b) sondern auch die Güte der Konstruktion beeinflus-
sen. Häufig lassen sich schon durch einfachste Vor-
richtungen Zwangslagenschweißungen vermeiden.
a

3.3.2.5.3 Magnetische Blaswirkung


c) d)
Der Lichtbogen – ein beweglicher stromdurchflosse-
Bild 3-40 ner Leiter – wird durch die um jeden stromdurch-
Richtungen der Schrumpfvorgänge in einer Schweißverbin- flossenen Leiter aufgebauten magnetischen Felder
dung.
leicht abgelenkt. Die Ursache sind Dichteunterschie-
a) Längsschrumpfung
b) Querschrumpfung de der magnetischen Kraftlinien bei gekrümmten
c) Dickenschrumpfung Strombahnen. Bild 3-41 zeigt die Blaswirkung des
d) Winkelschrumpfung a Lichtbogens bei nichtmagnetisierbaren Werkstoffen.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Lichtbogenhandschweißen) 157

Bei ferromagnetischen Werkstoffen ist die Blasrich- Rohren vielfach praktizierte Maßnahme, wird durch
tung umgekehrt, wie Bild 3-42 verdeutlicht, weil we- 3 bis 6 Windungen einer üblichen Schweißstromlei-
gen ihrer gegenüber Luft wesentlich besseren ma- tung realisiert. Die Höhe des Stromes und der Wick-
gnetischen Leitfähigkeit das Kraftlinienfeld an den lungssinn sind solange auszuprobieren, bis das resul-
Kanten verdichtet wird. Es entsteht daher immer ei- tierende Magnetfeld und damit die Blaswirkung mi-
ne ins Blechinnere gerichtete magnetische Kraft nimal werden.
bzw. Blaswirkung.
3.3.2.6 Anwendung und
Der Lichtbogen bläst stets Anwendungsgrenzen
– in Richtung der größeren Werkstoffmasse, Das Lichtbogenschweißen ist ein universelles Verfah-
– weg vom Stromanschluss, ren. Es wird zurzeit wegen seines geringen appa-
– bei Wurzellagen (Spalt) stärker als bei Deck- rativen Aufwandes und seiner einfachen Handha-
lagen. bung am meisten angewendet. Das Verfahren kann
netzunabhängig (ein Verbrennungsmotor treibt den
stromerzeugenden Generator an Aggregat) be-
a a trieben werden und ist daher hervorragend unter
Baustellenbedingungen aller Art einsetzbar. Hinzu
kommt, dass die Schweißarbeiten mit den entspre-
chend geeigneten Stabelektroden in jeder Schweiß-
position ausgeführt werden können. Die zahlreichen
und wirksamen Möglichkeiten, das Schweißgut me-
tallurgisch zu beeinflussen (Auflegieren, Desoxidie-
ren mit Hilfe der Umhüllungsbestandteile) machen
es zum Schweißen der meisten metallischen Werk-
stoffe hervorragend geeignet. Mit basisch-umhüll-
ten Stabelektroden lassen sich Schweißverbindun-
gen mit mechanischen Gütewerten herstellen, die
nur von wenigen anderen Verfahren erreicht werden.
F F
Das Lichtbogenhandschweißen ist in den folgenden
Fällen nur begrenzt anwendbar bzw. nicht zu emp-
fehlen. Diese Einschränkungen haben überwiegend
Bild 3-42 werkstoffliche und fertigungstechnische Ursachen:
Blaswirkung beim Schweißen eines ferromagnetischen Werk- – Bei Werkstückdicken unter 2 mm ist der Einsatz
stoffs. Das wesentlich stärkere magnetische Feld wird an den
des Kurzlichtbogen-, des WIG- und u. U. des Gas-
Kanten verdichtet (»Kantenwirkung«). Es entsteht immer ei-
ne ins Blechinnere gerichtete Kraft F. Die häufig starke Blas- schweißverfahrens zweckmäßiger, da hierbei die
wirkung wird beim Handschweißen u. a. durch eine besonde- Gefahr des »Durchfallens« der Schmelze gerin-
re Elektrodenhaltung »a« gemindert. Siehe auch Bild 3-41. ger ist.
– Bei Werkstückdicken über 20 mm bis 25 mm wer-
Das magnetische Feld kann vor allem an Kanten den aus wirtschaftlichen Gründen praktisch nur
(Schweißstoß!) so groß werden, dass ein ordnungs- noch Hochleistungsschweißverfahren mit ihrer
gemäßer Schweißablauf nicht mehr gewährleistet wesentlich größeren Abschmelzleistung verwen-
ist. Die Blaswirkung macht sich insbesondere bei det (z. B. UP-Schweißen, EB-Schweißen).
Gleichstrom unangenehm bemerkbar. Der Lichtbo- – Bei einigen Werkstoffen wie Aluminium und Alu-
gen brennt unruhig und kann sogar verlöschen. Die- miniumlegierungen, Kupfer und allen hochreak-
se Erscheinung wird z. B. durch eine entsprechen- tiven Werkstoffen (z. B. Titan, Tantal, Zirkonium,
de Elektrodenhaltung (Bild 3-42, Stellung a) und die Beryllium, Molybdän) ist die Gefahr einer Luft-
Verwendung von Wechselstrom wesentlich gemin- aufnahme des flüssigen Schmelzbads und damit
dert. Weitere in der Praxis verwendeten Methoden einer Versprödung der Schweißverbindung gege-
sind das Entmagnetisieren mit kontinuierlich abneh- ben. Diese Metalle können mit anderen Verfah-
mendem Wechselstrom oder das Erzeugen eines ma- ren (z. B. WIG-, Plasmaschweißen) wesentlich
gnetischen »Gegenfeldes«. Diese Methode, eine bei zuverlässiger geschweißt werden.
158 3 Fügen

3.3.3 Schutzgasschweißen (SG) 3.3.3.2 Wirkung und Eigenschaften der


Schutzgase
3.3.3.1 Verfahrensprinzip Den wirksamsten Schutz des Schmelzbades vor der
Der Lichtbogen brennt zwischen einer abschmel- Atmosphäre bieten Schutzgase, die im flüssigen Me-
zenden Drahtelektrode oder einer nicht abschmel- tall vollständig unlöslich sind (es entstehen somit
zenden Elektrode (Wolfram) und dem Werkstück. keine Poren oder andere Reaktionsprodukte) und
Das Schutzgas wird von außen zugeführt, um das zu keinerlei Reaktionen (z. B. Abbrand von Legie-
– Schmelzbad, den rungselementen und Desoxidationsmitteln durch
– übergehenden Zusatzwerkstoff bzw. die Elektro- Sauerstoff) mit der Schmelze führen. Dies trifft nur
denspitze und die auf die einatomigen Edelgase zu, die chemisch trä-
– hoch erhitzten Bereiche der Schweißnaht ge (inert) sind, d. h., sie gehen unter »normalen Um-
vor der Atmosphäre (Sauerstoff, Stickstoff, Wasser- ständen« keinerlei chemische Verbindungen mit der
stoff) zu schützen, Bild 3-43. Damit das Schutzgas Schmelze ein. Aus Kostengründen werden haupt-
diese Aufgaben erfüllen kann, muss es in ausreichen- sächlich Argon, Argon-Helium-Gemische und (für
der Reinheit (Verunreinigungen im Schutzgas kön- besondere Anwendungsfälle) in wesentlich geringe-
nen zu unerwünschten Reaktionen führen) und Men- rem Umfang Helium verwendet.
ge am Schweißort zur Verfügung stehen. Sind Reak-
tionen einzelner (aktiver) Gaskomponenten mit dem Die wichtigsten Verfahren, bei denen man inerte Ga-
flüssigen Schweißgut möglich, dann lassen sich mit se verwendet, sind das
Hilfe von Desoxidations- bzw. Legierungselemen-
ten im Zusatzwerkstoff metallurgisch nachteilige Wolfram-Inertgasschweißen (WIG, Abschn.
Reaktionen vermeiden. 3.3.3.3.1, Ordnungsnummer: 141) und das
Metall-Inertgasschweißen (MIG, Abschn.
Schutzgas schützt Elektrodenspitze, Schmelzbad und hocherwärmten
Bereich der Schweißnaht vor Zutritt der Atmosphäre. 3.3.3.4.6.1, Ordnungsnummer: 131).
Mit der Geschwindigkeit vDr Nicht abschmelzende
abschmelzende Drahtelektrode: Wolframelektrode:
Abgesehen von der metallurgischen Wirkung be-
MSG-Verfahren WIG-Verfahren einflussen die Schutzgase aufgrund ihrer physika-
vDr
lischen Eigenschaften die Lichtbogencharakteristik
Drahtelektrode Wolframelektrode
und damit in weiten Grenzen die Nahtform, die Ein-
MSG-Verfahren
brandtiefe, die Einbrandform, die Art des Werkstoff-
WIG-Verfahren
überganges und die zulässige Schweißgeschwindig-
Schweißstab, mit keit. Die Art des Werkstoffüberganges ist bei den
Hand zugeführt Schutzgas-Schweißverfahren, die mit stromführen-
dem Zusatzwerkstoff (Abschn. 3.3.3.4) arbeiten, für
die Qualität der Verbindung und den Verfahrensab-
BU BU lauf von großer Bedeutung.

S Verschiedene physikalische Eigenschaften von in der


S
B Schweißtechnik verwendeten Schutzgasen (im Ver-
gleich zu einigen der Luft!) sind in Tabelle 3-10 zu-
a) b) sammengestellt. Die hier angegebenen Reinheiten
Schmelzbad (S) kann große Mengen atmosphärischer Gase lösen: sind Mindestwerte, die Taupunkte sind Höchstwer-
Die Folgen können Gasaufnahme, Poren, Abbrand, Versprödung sein.
te. Der Taupunkt ist eine leicht bestimmbare Kenn-
Hocherwärmter Bereich (B): Hier können durch Luftzutritt bei ver-
schiedenen Metallen metallurgische Mängel entstehen: Versprödung größe, mit der der Feuchtigkeitsgehalt von Gasen
durch Gasaufnahme und Korrosionsgefahr (z. B. CrNi-Stähle). Vom angegeben wird. Unterhalb des Taupunktes scheidet
Schutzgas nicht mehr geschützte auf höhere Temperaturen erwärmte
Bereiche (BU), können bei den hochreaktiven Werkstoffen (z. B. Titan, sich aus dem Gas Feuchtigkeit in Form von konden-
Tantal) durch Gasaufnahme vollständig verspröden. Diese Werkstoffe sierten Wassertröpfchen (Tau) aus. Das Schutzgas ist
müssen daher durch zusätzliche Maßnahmen (z. B. Schweißen in Schutz-
gaskammer) vor Luftzutritt vollständig geschützt werden. um so feuchtigkeitsärmer (hochwertiger, d. h. wirksa-
mer!), je niedriger der Taupunkt ist.
Bild 3-43
Verfahrensprinzip der Schutzgasschweißverfahren (SG).
18)
a) MSG-Verfahren Dies ist die Spannung, mit der man ein Elektron beschleu-
b) WIG-Verfahren nigen muss, damit es ein Atom ionisiert.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 159

Dichte ρ: Ein dichteres Gas bedeckt zuverlässiger Die Ionisierungsarbeit wird dem Energievorrat des
die Schweißstelle und wird durch Luftzug, z. B. bei Lichtbogens entnommen. Sie wird wieder frei, wenn
Montageschweißungen, nicht so leicht weggedrückt. die Ionen auf der verhältnismäßig kalten Schmelz-
Die Schutzwirkung des Argons ist daher gegenüber badoberfläche auftreffen. Je größer die Ionisierungs-
der des Heliums deutlich besser. Das sehr leichte spannung des Gases ist, desto tiefer wird daher der
Helium muss z. B. auf die Schweißstelle »gedrückt« Einbrand. Aus diesem Grund ist der Einbrand un-
werden, das schwere Argon »fällt«. Der Verbrauch ter Helium größer als unter Argon.
an Helium, das wegen seiner geringen Dichte außer-
dem zu Turbulenzen (Gefahr des Lufteinwirbelns, Wärmeleitfähigkeit λ: Die Wärmeleitfähigkeit von
d. h. Porenbildung) neigt, ist merklich größer. Argon beträgt etwa 1/10 derjenigen von Helium. Die
Stromdichte im Kern ist wesentlich größer als am
Ionisierungsspannung UI 18), Lichtbogenspannung Rand. Die typische Einbrandform des Argon-Licht-
UL: Der Lichtbogen unter Argon brennt bei erheb- bogens beruht auf dieser Erscheinung: Es entsteht
lich niedrigeren Spannungen als unter Helium. Die ein tiefer, fingerförmiger Einbrand im Zentrum, der
Ursache ist die geringe Ionisierungsspannung des am Rand flacher wird, wie Bild 3-44 zeigt.
Argons. Der Lichtbogen lässt sich daher leicht zün-
Sekundär- Primär-
den, der Schweißvorgang verläuft weich und oh ne einbrand einbrand
wesentliche Geräusche. Der Spannungsabfall in der
Lichtbogensäule US (Abschn. 3.3.2.2) unter Argon
ist außerdem deutlich geringer (siehe Bild 3-21).
Diese Eigenschaft macht Argon besonders geeignet
für Handschweißverfahren und zum Schweißen dün-
ner Bleche, denn ein unbeabsichtigtes (bei Hand- 100 % Ar 100 % He 50 % Ar + 50 % He
schweißverfahren nahezu unvermeidliches!) Ändern Bild 3-44
der Lichtbogenlänge führt nur zu einer geringen Än- Einbrandformen beim Wolfram-Inertgasschweißverfahren
derung der Lichtbogenspannung. Die erzeugte Ener- in Abhängigkeit vom verwendeten Schutzgas.
gie, d. h., das aufgeschmolzene Werkstoffvolumen
bleibt nahezu konstant. Die ungleiche Energieverteilung im Argon-Lichtbo-
gen ist auch die Ursache der bei hohen Schweißge-
Die Lichtbogenspannung UL und der Spannungs- schwindigkeiten auftretenden Einbrandkerben. Das
abfall in der Lichtbogensäule US sind bei Helium gilt vor allem für die MSG-Verfahren, die verfahrens-
deutlich größer als bei Argon, d. h., die erzeugte bedingt mit sehr großen Schweißgeschwindigkeiten
Energie ist sehr viel größer (tiefer Einbrand). Der hö- betrieben werden können, siehe Abschn. 3.3.3.4.4.
here Spannungsabfall ist beim mechanischen (au- Die nur geringe Menge flüssigen Schweißguts, die
tomatischen) WIG-Verfahren (unter Helium) nütz- wegen des hier flachen Einbrandes an die Schmelz-
lich, weil die Spannung bequem durch Variieren der ränder fließt, kann die entstehenden Kerben nicht
Lichtbogenlänge geändert werden kann. mehr auffüllen, siehe Bild 3-57.

Tabelle 3-10. Physikalische Eigenschaften einiger für das SG-Schweißen verwendeter Schutzgase im Vergleich zu Luft.

Gas Dichte ρ1) molare Wärmeleit- Ionisierungs- Reinheit Taupunkt


Masse M fähigkeit λ2) spannung U i mind. max.

kg/m3 g/mol W/(m ·K) eV Vol.-% °C

Luft 1,29 29 0,03


Argon 1,784 39,95 0,02 15,7 99,995 − 60
Helium 0,178 4,00 0,15 24,5 99,99 − 50
Wasserstoff 0,090 2,016 0,18 13,5 99,5 − 50
CO2 1,978 44,01 0,016 14,4 99,7 − 35
Stickstoff 1,25 28,01 0,026 14,5 99,7 − 50
Sauerstoff 1,43 32,00 0,026 13,2 99,5 − 50
1)
Bei 273 K und 1 013,25 hPa
2)
Bei 293 K
160 3 Fügen

Die große Stromdichte im Argon-Lichtbogenkern, Bei den Schutzgasschweißverfahren mit abschmel-


und die große Masse der Argonionen sind die Ursa- zender Drahtelektrode (Abschn. 3.3.3.4) werden au-
chen der Reinigungswirkung des WIG- bzw. MIG- ßer den Edelgasen/Edelgasgemischen häufig Gas-
Verfahrens beim Schweißen der Leichtmetalle Alu- gemische verwendet, die chemisch aktiv sind. Die
minium, Magnesium, Titan und deren Legierungen. aktiven Bestandteile sind meistens Sauerstoff (O2)
Die hochschmelzenden, zähen und festen Oxidhäu- und Kohlendioxid (CO2). Die Zugabe kontrollierter
te, die sich auf diesen Werkstoffen spontan bilden, (begrenzter!) Mengen aktiver Gase verändert den
müssen vor dem Schweißen beseitigt werden. Im Lichtbogentyp (Sprühlichtbogen, Langlichtbogen,
anderen Fall sind gütemindernde Einschlüsse im Kurzlichtbogen, Abschn. 3.3.3.4.4), macht den Licht-
Schweißgut die Folge. Dies kann zwar mit chemisch bogen stabiler, beeinflusst günstig den Werkstoff-
sehr aggressiven Flussmitteln geschehen (sie müs- übergang, die Nahtform und vermindert häufig die
sen die chemisch extrem beständigen Aluminium- Spritzerneigung. Die in der Schweißpraxis verwende-
oxidhäute lösen können!), oder sauberer, wirtschaftli- ten Schutzgase sind in DIN EN ISO 14175 genormt.
cher und ohne Rückstände mit dem Edelgaslichtbo- Tabelle 3-12 zeigt ihre Einteilung, ihr chemisches
gen. Bei positiv gepolter Elektrode »schlagen« die Verhalten (inert, oxidierend, reduzierend) und die
Argonionen auf die negativ gepolte Werkstückober- Bezeichnungsweise (s. auch Abschn. 3.3.3.4.5).
fläche und zerstören die Oxidhaut, unterstützt durch
thermische Dissoziation. Diese Erscheinung wird Von großer Bedeutung für die mechanischen Güte-
als Reinigungswirkung bezeichnet. Ein gleichartiger werte der Schweißverbindung und den gewünsch-
Prozess findet erstaunlicherweise auch bei dem viel ten Verfahrensablauf sind
leichteren Edelgas Helium statt. Der Vorgang wird – Art des Werkstoffübergangs und die
hier offenbar durch die sehr viel größere Lichtbogen- – Menge und Art der aktiven (oxidierenden, redu-
spannung ( Feldstärke) ermöglicht, die die Teil- zierenden) Gasbestandteile.
chen wesentlich stärker beschleunigen kann. Ihre
kinetische Energie, d. h., ihre »Durchschlagskraft« 3.3.3.3 Wolfram-Schutzgasschweißen
ist also vergleichbar mit der des Argonionenstromes. (WSG) (Ordnungsnummer: 14)
Helium wird zzt. ausschließlich für mechanische
Schweißverfahren verwendet, weil sich die erforderli- 3.3.3.3.1 Wolfram-Inertgasschweißen
che kleine Lichtbogenlänge von einem Handschwei- (WIG) (Ordnungsnummer: 141)
ßer nicht zuverlässig einhalten lässt.
3.3.3.3.1.1 Verfahrensprinzip
1 Der Lichtbogen brennt zwischen der nicht abschmel-
zenden Wolframelektrode und dem Werkstück un-
ter Edelgasschutz, Bild 3-45. Für das WIG-Verfah-
2 ren können nur Edelgase bzw. Edelgasgemische
3
höchster Reinheit (99,99 % bei Argon) verwendet wer-
4
5 den. Geringste Sauerstoffgehalte führen zu starkem
6 Abbrand der hoch erhitzten, teuren Wolframelektro-
de, d. h. zu deren rascher Zerstörung. Außerdem sind
1 Wolframelektrode häufig Wolframeinschlüsse im Schweißgut – entstan-
2
3
Schutzgaszufuhr
Steuerleitung
den durch Abschmelzen der Elektrode – Ursache
4 Stromkabel im für die dann sehr schlechten mechanischen Gütewer-
5 Kühlwasserrücklauf
6 Kühlwasservorlauf
te des Schweißguts.
7 Schweißstab, mit
7 8 9 10 11 12 Hand zugeführt
8 Schutzgas Der Schutz der Schmelze unter inerten Gasen ist voll-
9 Lichtbogen kommen, die metallurgische Qualität des Schweiß-
10 Schmelzbad
11 Schweißgut guts und die mechanischen Gütewerte sind hervor-
12 Fügeteil(e)
ragend. Denn der Edelgaslichtbogen ist im Gegen-
satz zu den meisten anderen Schweißverfahren ei-
ne »reine« Wärmequelle ohne Schlacken, Dämpfe,
Bild 3-45 Verbrennungsgase und sonstige Verunreinigungen.
Verfahrensprinzip des WIG-Schweißens. Das gilt aber nur dann, wenn sämtliche Verunreini-
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 161

gungen (Rost, Farbe, Öl, andere Oberflächenschich- gen (z. B. Wahl verschiedener Stromprogramme)
ten) im Schweißbereich vollständig beseitigt wur- thyristor- bzw. invertergesteuert (Abschn. 3.3.2.3).
den, d. h. unerwünschte Reaktionen jeder Art sind Die Stromquellen werden sehr oft mit einem fußbe-
dann nicht möglich. Ein geeigneter Zusatzwerkstoff dienbaren Fernsteller zum feinfühligen Ändern des
und eine fachgerechte Ausführung sind natürlich Schweißstromes ausgerüstet, weil i. Allg. beide Hän-
vorausgesetzt. Extreme Sauberkeit ist in diesem Fall de des Schweißers beschäftigt sind.
besonders wichtig, weil während des Schweißens
keine Reinigungsvorgänge (Entschwefeln, Denitrie- Schweißbrenner
ren, Desoxidieren der Schmelze) ablaufen können, Bis zu Schweißstromstärken von etwa 150 A sind die
wie z. B. beim Gasschweißen (reduzierende Zone), Schweißbrenner luftgekühlt, darüber wassergekühlt.
beim Lichtbogenhandschweißen (Reaktionen der Spannhülsen dienen zur Aufnahme der in der Re-
Umhüllungsbestandteile) oder beim UP-Schweißen gel 175 mm langen Wolframelektroden. Die Stand-
(Reaktionen der Pulverbestandteile). Das »Reinigen« zeit dieser Elektroden beträgt trotz der hohen Licht-
der Schmelze muss also mit Hilfe der in dem massi- bogentemperatur (bei einer Schmelztemperatur des
ven Schweißstab untergebrachten Desoxidationsmit- Wolframs von 3410 °C) etwa 40 Stunden.
tel zuverlässig erfolgen können.
Wolframelektrode
3.3.3.3.1.2 Schweißanlage und Zubehör Im Allgemeinen wird sie am negativen Pol ange-
Das Schema einer WIG-Schweißanlage zeigt Bild schlossen. Die Erwärmung ist dann am geringsten
3-46. Die wichtigsten Bestandteile sind: (Abschn. 3.3.2.2), d. h. die Strombelastbarkeit der
– Schweißstromquelle, Elektrode am größten. Die positive Polung wird we-
– Schweißbrenner mit Wolframelektrode und dem gen der extrem großen thermischen Belastung der
Schlauchpaket, Elektrode praktisch nicht verwendet. Aluminium,
– Schaltschrank mit Zündgerät (Impulsgenerator) Magnesium und deren Legierungen schweißt man
bei Wechselstrombetrieb, wegen der »oxidlösenden« Wirkung (»Reinigungswir-
– Sieb-(Filter-)Kondensator für das Schweißen kung«, Abschn. 3.3.3.2) mit Wechselstrom: Während
von Leichtmetallen, der positiven Halbwellen wird die Oxidhaut zerstört,
– Schutzgasflasche. und während der negativen kühlt die Elektrode ab.
Zum Verbessern der Elektronenemission und der
Schweißstromquellen Zündfreudigkeit des Lichtbogens enthalten die Elekt-
Es werden Gleich- und Wechselstromquellen mit roden (genormt in DIN EN ISO 6848) häufig Oxi-
ausschließlich fallender statischer Kennlinie ver- de, die die Elektronenaustrittsarbeit erheblich verrin-
wendet. Die Gleichrichter sind meistens transduk- gern: Thoriumoxid (ThO2), Zirkoniumoxid (ZrO2)
tor- oder bei höheren technologischen Anforderun- und Lanthanoxid (LaO2), siehe Tabelle 3-11.

Schweißstromquelle Kühlwasser - Austritt 4

Steuerleitung
3
Elektronisch geregelte 5
Stromquelle (= ) Kühlwasser - Eintritt Schlauchpaket
7 2
Gleichrichter (= )
Transformator (l )

9 Schweißstab von 1
Hand zugeführt

8
inertes Schutzgas
Werkstück

1 Schweißbrenner 4 Impulsgenerator (nur für Wechselstrom) 7 Schutzdrossel (zum Abschirmen der HF)
2 Magnetventil für Schutzgas 5 Wassermangelsicherung 8 Schutzkondensator (zum Abschirmen der HF)
3 Magnetventil für Kühlwasser 6 Siebkondensator (nur für Wechselstrom) 9 Schutzgasflasche mit Druckminderer und Gasmengenmesser

Bild 3-46
Wassergekühlte WIG-Schweißanlage (schematisch).
162 3 Fügen

Die Stabilität des Lichtbogens, d. h., letztlich das Stromart Form der Elektrodenspitze
Schweißergebnis, hängt weitgehend von der richti-
gen Form der Elektrodenspitze ab. Danach gilt, dass Strombelastung richtig
die Elektrode um so spitzer sein muss, je geringer die Wechselstrom Strombelastung zu hoch
Stromstärke ist, weil sich sonst nicht der für die Licht- und Die gewünschte Halbkugelform der Wolf-
Gleichstrom, ramelektrodenspitze ergibt sich durch ein
bogenstabilität erforderliche flüssige Oberflächenfilm kurzzeitiges »Warmbrennen« auf einem Kup-
Elektrode
an der Elektrodenspitze bildet, Bild 3-47. Die ge- positiv gepolt. ferblech oder technisch eleganter mit Hilfe
wünschte Spitzenform und die Oberflächengüte der digitaler Stromquellen.
Elektrodenspitze wird beim Schweißen mit Gleich-
Für kleinste Schweißstromstär-
strom mit speziellen Schleifscheiben hergestellt. Beim ken, Kegel 1:6 bis 1:3, Elektro-
Schweißen mit Wechselstrom sollte der etwa halbku- denspitze nicht verrunden, mög-
gelförmige Tropfen durch kurzzeitiges Warmbren- lichst glatte Kegeloberfläche
Gleichstrom, durch Schleifen und anschlie-
nen z. B. auf einem Kupferblech vor dem Schweißen ßendes Polieren erzeugen.
oder mittels digitaler Stromquellen erzeugt werden. Elektrode
negativ gepolt. Für übliche Schweißstromstär-
ken Kegel > 1:3, Spitze nicht
Zündhilfen ver runden.
erlauben ein berührungsloses Zünden des Lichtbo- Für mechanische Schweißver-
fahren Kegel 1:1 bis 1:2, Spitze
gens, wodurch Wolframeinschlüsse und vorzeitiger
nicht verrunden.
Verschleiß der Elektrode vermieden werden. Beim
Schweißen mit Wechselstrom muss eine Zündhilfe Bild 3-47
vorhanden sein, weil sonst nach jedem Nulldurch- Formen der Wolframelektrodenspitze beim WIG-Schweißen.
gang der Spannung der Lichtbogen verlöschen wür-
de. Die Rekombination der Ladungsträger erfolgt den verwendet werden, mit dem sich auch die schäd-
so schnell, dass bei ihrem Wiederanstieg nach dem lichen Wolframeinschlüsse vermeiden lassen.
Nulldurchgang auf den Betrag der Lichtbogenzünd-
spannung keine Ladungsträger mehr vorhanden sind. Sieb-(Filter-)kondensator
Ein Lichtbogen kann also nicht gezündet werden. Das Schweißen der Leichtmetalle (Al, Mg) erfolgt
wegen der Reinigungswirkung und im Hinblick auf
Ein Wiederzünden des Lichtbogens wird durch Hoch- eine möglichst lange Standzeit der Elektroden mit
frequenzspannungen (einige MHz) erreicht, die der Wechselstrom. Die Elektronenemission ist bei nega-
Schweißspannung überlagert werden oder technisch tiv gepolter Elektrode wegen ihrer im Vergleich zum
besser mit Impulszündgeräten (Hochspannungs-Im- Werkstück geringen Masse deutlich stärker als bei
pulszündgeräte). Die nur im Nulldurchgang der einem negativ gepolten Werkstück. Der Elektronen-
Span nung abgegebenen Spannungsimpulse (bis austritt wird durch die relativ kalte Schmelzbadober-
10 000 V) verursachen deutlich geringere Störungen fläche erheblich erschwert. Die Folge dieser sehr un-
des Rundfunk- und Fernsehempfangs als die schwer terschiedlichen Elektronenemission ist ein Gleichrich-
beherrschbare Hochfrequenzspannung. Wenn die tungseffekt: Die Amplitude der positiven Stromhalb-
(HF-)Spannungsimpulse stören (z. B. Prozessindus- welle, die die Reinigungswirkung erzeugt, ist merk-
trie, Kraftwerke), sollte das digitale Berührungszün- lich geringer als die negative. Die Fähigkeit, Oxide
Tabelle 3-11. Chemische Zusammensetzung und Eigenschaften von Wolframelektroden nach DIN EN ISO 6848, Auswahl.

Kurz- Farbkenn- Oxidzusätze Strombe- Eigenschaften


zeichen zeichnung Massegehalt in % lastbarkeit

Weicher Lichtbogen, geringe Strombelastbarkeit, geringe Standzeit,


WP Grün − 5 (5 = niedrig)
hauptsächlich für WIG-Schweißen von Al und Al-Leg. verwendet
WTh 10 Gelb 0,90 bis 1,20 ThO2 4 Leichtes Zünden, stabiler Lichtbogen, lange Standzeit, harter Lichbo-
WTh 20 Rot 1,80 bis 2,20 ThO2 2 gen, teurer als oxidfreie Elektroden, Schleifstäube schwach radioak-
WTh 30 Lila 2,80 bis 3,20 ThO2 1 (1 = hoch) tiv (gefährlich ist die Alpha-Strahlung!)
WZr 3 Braun 0,30 bis 0,50 ZrO2 4 Besonders geeignet für Schweißarbeiten an Kernkraftwerkskompo-
WZr 8 Weiß 0,70 bis 0,90 ZrO2 3 nenten, für Gleichstromschweißung nur bedingt geeignet
WLa 15 Gold 1,40 bis 1,60 LaO2 2 Für niedrige Schweißströme ist WL 15 Universalelektrode. Für Mikro-
WLa 20 Blau 1,90 bis 2,10 LaO2 1 plasmaschweißen und Plasmaschmelzschneiden
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 163

zu zerstören nimmt ab, der Lichtbogen wird »härter« einem größeren Erstarrungsintervall), sehr zweckmä-
und die thermische Belastung des Transformators ßig. Durch stufenweises oder kontinuierliches Ab-
durch den Gleichstromanteil größer. Außerdem wür- schalten des Stromes kühlt der rissanfällige Endkra-
de durch diese Gleichstromvormagnetisierung die ter langsamer ab und kann noch mit abschmelzen-
Leistungsfähigkeit des Transformators abnehmen, dem Zusatzwerkstoff aufgefüllt werden.
da nach dem Induktionsgesetz nur Flussänderun-
gen Spannungen induzieren: Ein Teil des gesamten 3.3.3.3.1.3 Hinweise zur praktischen Ausführung
sich zeitlich ändernden Flusses wird durch den Die zu verbindenden Teile sollten metallisch blank
Gleichstrom kompensiert und steht damit für eine sein. Dies kann durch Bürsten, Schleifen (oder vor
Spannungserzeugung auf der Sekundärseite nicht allem bei Aluminium, Magnesium und deren Legie-
mehr zur Verfügung. Daher wird in den meisten Fäl- rungen) sehr wirksam durch eine chemische Behand-
len der Gleichstromanteil Igl mit Hilfe von Konden- lung (Beizen) erreicht werden. Aus Gründen der Kor-
satoren »ausgesiebt«. Dies bewirkt der im Schweiß- rosionsbeständigkeit dürfen zum Säubern von NE-
stromkreis in Reihe geschaltete Sieb- oder Filterkon- Metallen nur Bürsten aus CrNi-Stahl verwendet wer-
densator. Der Kondensator muss aber so dimensio- den. In manchen Fällen, wie z. B. bei Messingen,
niert sein, dass der Schweißstrom ihn nicht zerstört, Kupfer oder Bronzen, müssen die sich beim Schwei-
d. h., er ist groß und teuer, Bild 3-48. ßen erneut bildenden Oxide bzw. Schlacken mit Hil-
fe von Flussmitteln gelöst werden.
Eine negativ gepolte Elektrode zündet schlechter
und viel langsamer. Bei den neueren elektronischen Der Lichtbogen wird gewöhnlich durch Berühren
Stromquellen wird mit positiver Polarität gezündet des Werkstücks mit der Elektrode gezündet. Diese
und danach sofort automatisch umgepolt. Methode ist aber nicht empfehlenswert. Wenn keine
Zündhilfe (z. B. das im Abschnitt »Zündhilfen« be-
Kraterfülleinrichtung reits besprochene digitale Berührungszünden) ver-
Der Endkraterbereich von Schweißnähten weist ei- wendet wird, sollte der Lichtbogen auf einem Stück
ne Reihe metallurgischer Mängel auf: Das Nach- Kupfer gezündet (und »warmgebrannt«) werden.
fließen der Schmelze ist plötzlich beendet (Gefahr
von Erstarrungsrissen oder Endkraterlunkern), und Es kann mit oder ohne Zusatzwerkstoff geschweißt
die Abkühlgeschwindigkeit ist sehr groß, weil die werden. Der Schweißstab wird unter einem Winkel
Wärmezufuhr schlagartig beendet wird (Spannungs- von 10 ° bis 30 ° gegen die Werkstückoberfläche ge-
risse). Aus diesem Grunde ist der Einsatz von Krater- neigt und tropfenweise im Schmelzbad abgesetzt.
fülleinrichtungen, besonders für heißrissanfällige und Für Verbindungsschweißungen wird meistens das
thermisch empfindliche Werkstoffe (Legierungen mit von der Gasschweißung bekannte Nachlinksschwei-
ßen bevorzugt (Abschn. 3.3.1.5). Nach dem Abschal-
Elektronenemission
(Schweißstrom) ten des Schweißstromes muss das Schutzgas noch
Argonion größer kleiner Elektron einige Sekunden auf das Schmelzbad strömen, um
zu verhindern, dass dieses und die Wolframelektro-
de vor einer merklichen Abkühlung mit der Luft in
Oxidhaut
Berührung kommen. In den meisten Fällen ist ein
Schweißen ohne Zusatzwerkstoff nicht empfehlens-
Oxidhaut wird wert, weil das überwiegend aus Grundwerkstoff be-
nicht zerstört zerstört durch Wirkung stehende Schweißgut unzureichende Mengen an
(Elektronenmasse zu gering) schwerer Argonionen
Desoxidationsmitteln enthält. Eine ausgeprägte Po-
renbildung ist daher oft die Folge.
I gl

+ + + +
I

Bei den hochreaktiven Metallen, die in hohem Maß


zur Gasaufnahme neigen (z. B. Ti, Mo, Zr), oder für
Siebkondensator die Herstellung hochwertiger schlacke- und anlauf-
»siebt« Igl aus
farbenfreier Nähte (z. B. Wurzelnähte in hoch bean-
Bild 3-48 spruchten Druckrohren) muss auch die Wurzelseite
Gleichrichterwirkung beim WIG-Schweißverfahren bei Anwen- geschützt werden. Das geschieht am häufigsten mit
dung von Wechselstrom, Reinigungswirkung s. Abschn. 3.5.2. einem Gas (z. B. Argon oder Formiergas, s. Tabel-
164 3 Fügen

le 3-12: F) oder mit genuteten Unterlegschienen aus parameter dickflüssiger gemacht werden kann. Die
Kupfer oder (hochlegiertem) Stahl. Gefahr des »Durchfallens« der Wurzel ist geringer.
Außerdem wird das Einbrandverhalten verbessert
Bis zu einer Werkstückdicke von 3 bis 4 mm kann und die Schweißgeschwindigkeit erhöht.
wegen der konzentrierten Wärmequelle i. Allg. oh-
ne Schweißnahtvorbereitung gearbeitet werden. 3.3.3.3.1.5 Anwendung und Grenzen
Das Verfahren eignet sich zum Schweißen aller Me-
3.3.3.3.1.4 WIG-Impulslichtbogenschweißen talle, die nicht im Lichtbogen verdampfen, wie z. B.
Eine neuere Entwicklung stellt die Impulstechnik Blei oder Zinn, oder beim Schweißen zu extremer
dar, verdeutlicht in Bild 3-49. Hierbei wird zum Rissbildung (z. B. höhergekohlte Stähle) neigen. Es
Schweißen ein Grundstrom Ig verwendet, dem ein wird vor allem für Werkstückdicken bis zu unge-
rechteckförmiger Impulsstrom Im bestimmter Ampli- fähr 10 mm und zum Schweißen hochwertiger Wur-
tude und Frequenz überlagert ist. Es werden über- zellagen verwendet.
wiegend Inverterschweißstromquellen verwendet.
Der Grundstrom wird so bemessen, dass der Licht- Andererseits gelingen Schweißverbindungen noch
bogen in der Pausenzeit stabil bleibt und die Spitze bei sehr geringen Werkstückdicken von ca. 0,1 mm
des Schweißstabes ausreichend erwärmt wird. Der (z. B. Faltenbälge), wenn spitzgeschliffene und po-
Impulsstrom dient dazu, den Tropfen vom Zusatz- lierte Wolframelektroden und Spannvorrichtungen
werkstoff zu lösen und den Grundwerkstoff aufzu- verwendet werden. Die Schweißstromquellen müs-
schmelzen. Um eine dichte Schweißnaht erzeugen sen noch bei einigen Ampere Schweißstrom einen
zu können, müssen die Einstellwerte (Grund-, Im- stabil brennenden Lichtbogen erzeugen können.
pulsstrom, Impulszeit und Schweißgeschwindigkeit)
sorgfältig aufeinander abgestimmt werden. Daher Von überragender Bedeutung ist das Verfahren für
wird dieses Verfahren zweckmäßig mechanisiert ein- das Schweißen der Leichtmetalle. Der Reinigungs-
gesetzt. Durch die verringerte gut kontrollierbare Wär- effekt ermöglicht die Beseitigung der hochschmel-
mezufuhr ist es vorzugsweise für Dünnbleche, für zenden Oxide (Al2O3, MgO) ohne Anwendung der
die Wurzelschweißung sowie zum Schweißen wär- sonst erforderlichen äußerst aktiven Flussmittel. Das
me- und gasempfindlicher und leicht versprödbarer Schweißgut ist daher von hoher metallurgischer
Werkstoffe (Al-, Ti-Werkstoffe, hochlegierte Stäh- Qualität und die Verbindung wegen nicht vorhande-
le) geeignet. Schweißarbeiten in allen Zwangslagen ner Flussmittelrückstände korrosions- und risssi-
sind einfacher ausführbar, weil das Schmelzbad bes- cher. Es ist empfehlenswert, Fügeteile aus Alumini-
ser beherrschbar und durch Wahl geeigneter Impuls- um mit Werkstückdicken s • 5 mm bis 6 mm auf
100 °C bis 250 °C (s •15 bis 20 mm) vorzuwärmen.

Das WIG-Verfahren eignet sich hervorragend


Schweißstrom I

zum Schweißen der hochlegierten CrNi(MoMn)-


Im

Stähle sowie aller Leichtmetalle.


Ig

Das austenitische Schweißgut (CrNi-Stähle) ist sehr


Zeit t heißrissanfällig. Mit metallurgischen (z. B. erhöhter
I g Grundstrom > 5 A Mangangehalt im Schweißgut) und verfahrenstech-
I m Impulsstrom £ 250 A
Impulsfrequenz 6 (10) Hz bis 10 kHz nischen Maßnahmen (d -Ferrit, schnell schweißen,
a)
geringe Streckenenergie) lässt sich die Heißrissanfäl-
ligkeit beseitigen bzw. verringern. Auf der erwärm-
ten Werkstoffoberfläche bilden sich bei diesen Stäh-
len Oxide (Anlauffarben), die nicht nur das Ausse-
b)
Schweißrichtung hen beeinträchtigen, sondern auch die Korrosionsbe-
ständigkeit entscheidend verringern. Das Bespülen
Bild 3-49
dieser Werkstoffbereiche mit zusätzlichem »Schutz-
WIG-Schweißen mit Stromimpulsen.
a) Verlauf des Schweißstroms gas« (z. B. Argon, Argon-Wasserstoff, Formiergase)
b) impulsgeschweißte Naht; jeder »Schweißpunkt« wird während des Schweißens oder das Beizen des Bau-
durch einen Impuls erzeugt teils nach dem Schweißen schafft Abhilfe.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 165

Die hochreaktiven Werkstoffe, wie z. B. Titan, Tan- (z. B. Ar) besteht. Diesen Zustand erreicht man
tal, Molybdän und Zirkonium, nehmen schon bei durch Energiezufuhr zum Gas. Infolge der Geschwin-
geringfügig erhöhten Temperaturen (! 200 ’C) Gase digkeitszunahme der Gasteilchen werden sie beim
wie Stickstoff, Sauerstoff und Wasserstoff auf. Die Zusammenstoß dissoziiert (z. B. H2  H  H  Q1)
Folge sind Eigenschaftsänderungen, die bis zur völ- bzw. ionisiert (z. B. H  H  e  Q2).
ligen Unbrauchbarkeit der geschweißten Verbindung
(Versprödung!) führen. Durch entsprechende Maß- Der Plasmazustand kann mit einem elektrischen
nahmen, wie z. B. Schweißen mit brauseähnlichen Lichtbogen einfach erzeugt werden. Dieser brennt
Vorrichtungen, die den erwärmten Werkstoff stän- aber nicht frei wie bei üblichen Lichtbogenschweißver-
dig mit Gas bespülen, Schweißen in einer Schutzgas- fahren (Abschn. 3.3.2.2), sondern wird mit Hilfe ge-
kammer oder unter Vakuum, kann der Einfluss der eigneter Einrichtungen – wie z. B. wassergekühlte
atmosphärischen Gase ausgeschlossen werden. Mit Kupferdüsen – sehr stark eingeschnürt. Bei höheren
dem WIG-Verfahren lassen sich dann zähe und kor- Stromstärken wird der Plasmastrahl nach Verlassen
rosionsbeständige Verbindungen herstellen. der Düse häufig durch ein kaltes, elektrisch schlecht
leitendes Gas stabilisiert. Bild 3-50 zeigt die Arbeitswei-
Aus wirtschaftlichen Gründen (niedrige Schweißge- se des Verfahrens. Im Plasmakern werden Tempe-
schwindigkeit und relativ kleine Abschmelzleistung) raturen bis 30 000 K mit entsprechenden Leistungs-
wird das Verfahren bei größeren Werkstückdicken dichten von 10 5 W/cm2 bis 10 6 W/cm2 erreicht.
(s • 10 mm) nicht mehr angewendet. Die metallurgi-
sche Qualität der Schweißverbindung und die nahe- 3.3.3.3.2.2 Verfahrensgrundlagen
zu universelle Anwendbarkeit des WIG-Verfahrens Die Geschwindigkeit der Ladungsträger ist in wei-
wird von kaum einem anderen Verfahren erreicht. ten Grenzen einstellbar. Sie hängt hauptsächlich von
der Menge und der Geschwindigkeit des verwende-
3.3.3.3.2 Wolfram-Plasmaschweißen (WP) ten Gases und der im Plasma herrschenden Strom-
(Ordnungsnummer: 15) stärke ab, d. h. genauer von der zugeführten elektri-
schen Energie. Bei geringer kinetischer Plasmaener-
3.3.3.3.2.1 Physikalische Grundlagen gie wird der flüssige Werkstoff nicht weggeblasen, d.
Das thermische Plasma ist eine Erscheinungsform h., diese Verfahrensbedingungen sind zum Schwei-
der Materie. Es ist ein dissoziiertes, hochionisiertes, ßen geeignet. Mit zunehmender Energie des Plasmas
elektrisch leitendes Gas, das somit überwiegend aus wird dessen mechanische Wirkung größer und der
Ladungsträgern, also aus Elektronen (e) und Ionen verflüssigte Werkstoff durch die kinetische Energie

Plasmagas Plasmagas Plasmagas


Schutzgas 4 Schutzgas 4 Pulver und 4
2 HF 2 HF 1 Fokussiergas 2 HF 3R
Schutzgas

3R
1

3R 1

1
5 6 7 8 5 6 7 8 5 6 7 8

1 Schweißstromquelle, Gleichrichter 3 Widerstand 5 Pilotlichtbogen 7 Plasmastrahl


2 HF-Zündgerät 4 Wolframelektrode (Kathode) 6 Schutzgas 8 Werkstück
a) b) c)

Bild 3-50
Mögliche Lichtbogenvarianten der Plasmatechnik.
a) Übertragener Lichtbogen (WPL, Ordnungsnummer 153): Für Verbindungsschweißen und Plasmaschneiden
b) nicht übertragener Lichtbogen (WPS, Ordnungsnummer 154): Für Plasmaspritzen, seltener Plasmaauftragschweißen
c) übertragener und nicht übertragener Lichtbogen (WPSL, Ordnungsnummer 155): Für Plasmaauftragschweißen, Mikro-
plasma- und Verbindungsschweißen
166 3 Fügen

des Plasmastrahls aus der Fuge geblasen. Der Werk- lotlichtbogen) zwischen der Elektrode und der Dü-
stoff ist getrennt, er wurde plasmageschnitten. se. Dieser ionisiert das Plasmagas. Zum Schutz der
wassergekühlten Düse (Gefahr des Aufschmelzens!)
Das Plasmaschweißen ist eine neuere Weiterentwick- begrenzt ein Widerstand im Pilotstromkreis (3) den
lung des WIG-Verfahrens. Eine Verfahrensübersicht, Strom. Der Hauptlichtbogen (7) kann dann auf das
Hinweise zur Gaseauswahl und Kennwerte des Ver- Werkstück überspringen. Nach einer maschinenin-
fahrens enthält das DVS-Merkblatt 2707 (4/1997). tern vorgebbaren Zeit erlischt der Pilotlichtbogen.
Das Plasmaschweißverfahren eignet sich hervorra- Ein zusätzlicher Schutzgasmantel umgibt konzent-
gend für folgende Arbeiten: risch den als Plasmastrahl brennenden Lichtbogen
– Verbindungsschweißen an Werkstückdicken ab und schützt das flüssige Schweißgut vor der Atmo-
0,01 mm mit dem Mikroplasmaschweißen, sphäre (Gasaufnahme, Oxidation). Der Plasmastrahl
– Verbindungsschweißen der hochlegierten Chrom- hat nach dem Austreten aus der Düse die Neigung
Nickel-Stähle nach dem gegenwärtigen Entwick- sich zu verbreitern, wodurch seine Leistungsdichte
lungsstand bis etwa 13 mm Dicke (I-Stoß!) mit abnimmt. Ein schwer ionisierbares Fokussiergas,
Hilfe des »Schlüsselloch-Effekts« mit im Ver- wie Ar-He- oder Ar-H2-Gemische, stützt und formt
gleich zum WIG-Schweißen etwa der doppelten das Plasma und engt es zusätzlich ein. Das Fokussier-
Schweißgeschwindigkeit sowie gas wird dem Lichtbogen durch einen ringförmigen
– Auftragschweißungen vor allem von Hartmetal- Schlitzkanal (zwischen dem Schutzgas- und dem
len, Legierungen auf Eisen-, Nickel- und Kobalt- Plasmakanal liegend) konzentrisch zugeführt. Diese
basis mit sehr geringem Aufschmelzgrad (Ab- Verfahrensvariante wird überwiegend für das Plas-
schn. 3.1.3 und Bild 3-4). maspritzen (Metallspritzen), seltener für das Plas-
maauftragschweißen verwendet.
Je nach der Art der Erzeugung des eingeschnürten
Lichtbogens (Plasma) unterscheidet man folgende Durch die Zugabe molekularer Gase wie Wasserstoff
Formen, die unterschiedliche Plasmabrenner-Bauar- oder Stickstoff zum Plasmagas wird der Wärmein-
ten erfordern (Bild 3-50): halt dieser Gase viel größer als der des Argons bei
WPL: Plasmalichtbogenschweißen mit übertra- gleicher Temperatur. Die Dissoziations- und Ionisie-
genem Lichtbogen, Ordnungsnummer: 153, rungswärme wird beim Auftreffen des heißen Ga-
WPS: Plasmastrahlschweißen mit nicht über- ses auf das kalte Werkstück durch Rekombination
tragenem Lichtbogen, Ordnungsnummer: 154, der Gasatome bzw. -ionen wieder frei. Dadurch wer-
WPSL: Plasmastrahl-Plasmalichtbogenschwei- den der Einbrand deutlich erhöht (s. Abschn. 3.3.3.2),
ßen mit übertragenem und nicht übertragenem der Plasmabogen weitgehend stabilisiert und der Wär-
Lichtbogen, Ordnungsnummer: 155. meübergang zum Werkstück verbessert.

Bei dem übertragenen Lichtbogen (WPL) dient das Der nicht übertragene Lichtbogen (WPS) brennt
Werkstück als Anode (positiver Pol), die Wolfram- zwischen der Wolframelektrode und der positiv ge-
elektrode als Kathode (negativer Pol). Als Plasma- polten Düse innerhalb des Brenners (Bild 3-50b)).
gas (»Zentrumsgas«) wird hauptsächlich das Edel- Es tritt also nur das Plasma aus dem Brenner aus.
gas Argon verwendet, das geringe Mengen Wasser- Mit beiden Verfahrensvarianten können elektrisch
stoff (5 % bis 10 % zum Schweißen der hochlegier- leitende Werkstoffe (übertragener/nicht übertrage-
ten CrNi-Stähle) oder Helium (Schweißen von Titan ner Lichtbogen) und nicht leitende (nicht übertrage-
und Zirkonium) enthalten kann. Argon ist leicht ioni- ner Lichtbogen) geschweißt und auch thermisch ge-
sierbar und ermöglicht daher ein leichtes Zünden des trennt werden (Abschn. 4.9.2, S. 381).
Lichtbogens. Der Schutz der hoch erhitzten Wolf-
ramelektrode vor einer Oxidation ist dadurch ähnlich Die Kombination von übertragenem/nicht über-
gut wie beim WIG-Schweißen (Abschn. 3.3.3.3.1). tragenem Lichtbogen (WPSL) in einer Anlage führt
zu einem für das Auftragschweißen (Plasmapulver-
Der (Haupt-)Lichtbogen muss bei allen Plasmava- auftragschweißen) sehr geeigneten Verfahren (Bild
rianten mit externen Hilfsmitteln gezündet werden 3-61c)). Die Vorteile des Verfahrens bestehen im
Bei mechanisierten Schweiß- und Schneidanlagen Wesentlichen in der Möglichkeit, die Auftragdicke
erfolgt die Zündung mit Hochfrequenzstrom, (2) in und vor allem die Einbrandtiefe (Aufschmelzgrad)
Bild 3-50. Dabei entsteht ein Hilfslichtbogen (5) (Pi- sehr genau einstellen zu können.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 167

3.3.3.3.2.3 Verfahrensvarianten Das große Nahtformverhältnis j t / b (s. genauer


Abhängig von dem Zweck des Verfahrens unter- Abschn. 3.3.4.3, S. 184) kann wegen der dann ungenü-
scheidet man das: genden Ausgasung zu einer verstärkten Porenbildung
– Mikroplasmaschweißen, führen. Daher muss in kritischen Fällen Zusatz-
– Plasmadickblechschweißen oder auch Hoch- werkstoff verwendet werden.
strom-Plasmaschweißen für Werkstückdicken
ab 3 mm bis etwa 13 mm mit Hilfe des »Schlüssel- Beim Plasmapulverauftragschweißen wird gleich-
locheffekts« (auch Stichlochtechnik genannt), zeitig mit einem übertragenen und einem nicht über-
– Plasmapulverauftragschweißen. tragenen Lichtbogen gearbeitet (Bild 3-50c)). Der
Auftragwerkstoff, z. B. Hartmetalle, Cr-, Fe-Legie-
Der geringe Verzug und die hohe Schweißnahtqua- rungen, wird pulverförmig in einem Schutzgasstrom
lität sind die Ursache dafür, dass das Hauptanwen- dem Pilotlichtbogen zugeführt. Der besondere Vor-
dungsgebiet das Schweißen hochlegierter Stähle ist. teil des Verfahrens besteht in der Möglichkeit, den
Die große Viskosität des Schmelzbades ermöglicht Aufschmelzgrad (Hauptlichtbogen) und das Vorwär-
es, ohne Schmelzbadsicherungen zu arbeiten. men bzw. teilweise Anschmelzen des Auftragpulvers
durch den Pilotlichtbogen in weiten Grenzen einstel-
Das Mikroplasmaschweißen kann bei Werkstück- len zu können. Aufschmelzgrade von … 5 % sind da-
dicken ab 0,05 mm angewendet werden. Es wird mit durch sicher erreichbar.
übertragenem Lichtbogen mit Schweißströmen im
Bereich von 0,01 A bis etwa 20 A betrieben. Vorzugs- Das Verfahren bietet gegenüber dem verwandten
weise werden Bleche, Folien, Drähte, Siebe und vor WIG-Verfahren eine Reihe wesentlicher Vorteile:
allem Membranteller (s O 0,2 mm) und Streckmetall- – Der Zusatzwerkstoff wird ebenso wie beim WIG-
rohre (s O 0,8 mm) geschweißt. Bei Schweißströmen Schweißen getrennt zugeführt. Dadurch ist eine
bis zu etwa 20 A ergibt sich ein sehr stabil brennen- exaktere Prozessführung als bei den Verfahren
der, nadelförmiger Lichtbogen. In diesem Bereich mit abschmelzender Elektrode möglich. Das ist
ist das Verfahren nahezu konkurrenzlos, da mit kei- eine der wichtigsten Ursachen für die Überlegen-
nem anderen Schweißverfahren bei derartig kleinen heit des Plasma- und WIG-Verfahrens bei hohen
Schweißströmen noch stabile Lichtbögen erzeugt Qualitätsanforderungen.
werden können. Nachteilig ist die erforderliche sehr – Deutlich höhere Schweißgeschwindigkeiten.
genaue Stoßkantenvorbereitung, das zuverlässige – Größerer Einbrand und schmaleres Schmelzbad
Spannen der Bleche (nahezu immer sind Vorrichtun- verursachen geringere Werkstoffbeeinflussung
gen erforderlich!) und die absolute Notwendigkeit der WEZ durch den Schweißprozess und einen
einer maschinellen Schweißung. deutlich geringeren Verzug.
– Sehr stabiler, nadelförmiger Lichtbogen, den äu-
Beim Plasmadickblechschweißen wird für Werk- ßere Einflüsse (z. B. Kanten, Werkstoffmassen,
stückdicken ab 3 mm der sog. Schlüssellocheffekt Änderung der Lichtbogenlänge) nur wenig ablen-
(auch Stichlochtechnik genannt) ausgenutzt. Dabei ken können (sehr geringe Blaswirkung!).
durchsticht der Plasmastrahl den Grundwerkstoff – Die berührungslose Zündung des Plasmalicht-
und bildet die Öffnung eines sich nach oben verjün- bogens ist sehr zuverlässig.
genden Zylinders (»Öse«). Hinter der in Schweißrich- – Keine bzw. nur geringe Nacharbeit, da Nahtüber-
tung entstehenden Öse fließt der flüssige Werkstoff höhung und Wurzeldurchhang gering sind.
aufgrund der Oberflächenspannung der Schmelze – Der Brennerabstand ist wegen des zylindrischen,
zusammen und erstarrt. Die Wärme wird dabei nicht sehr konzentrierten (stark eingeschnürten) Licht-
nur von der Oberfläche aus in das Blechinnere, son- bogens weniger kritisch. Die erwünschte Folge
dern über die gesamte Werkstückdicke übertragen. ist eine nur geringe Änderung der Energie, d. h.
Auf diese Weise können zzt. etwa 13 mm dicke Ble- der Einbrandtiefe.
che ohne jede Nahtvorbereitung stumpf in einer La-
ge geschweißt werden. Die dickflüssige Schmelze Als Plasmagas wird fast ausschließlich Argon, als
hochlegierter Stähle verhindert ihr frühzeitiges Zusam- Schutzgas werden Argon, Ar/H2- oder Ar/He-Ge-
menfließen hinter dem sich vorwärts bewegenden mische verwendet. Mit Wasserstoff oder Helium
»Plasmazylinder«. Diese Werkstoffgruppe eignet sich lässt sich die Schweißgeschwindigkeit um ca. 20 %
daher hervorragend zum Plasmaschweißen. erhöhen bzw. die Einbrandtiefe vergrößern.
168 3 Fügen

3.3.3.4 Metall-Schutzgasschweißen (MSG) – physikalischen Eigenschaften des Grundwerk-


(Ordnungsnummer: 13) stoffs, z. B. Schmelzpunkt, thermische und elektri-
sche Leitfähigkeit, Wärmeausdehnungskoeffizi-
3.3.3.4.1 Verfahrensprinzip ent (Abschn. 3.2.2).
Der Lichtbogen brennt zwischen der i. Allg. positiv
gepolten abschmelzenden Drahtelektrode und dem Man schweißt nur mit Gleichstrom, wobei abgese-
Werkstück innerhalb eines von Schutzgas ausgefüll- hen von Sonderfällen die Drahtelektrode positiv ge-
ten Raumes (Schutzgasglocke) gemäß Bild 3-51. Je polt ist. Wegen der ausgezeichneten Reinigungswir-
nach der chemischen Charakteristik der Schutzgase kung (Abschn. 3.3.3.2) eignet sich das MIG-Verfah-
unterscheidet man: ren hervorragend zum Schweißen der Leichtmetalle.
Metall-Inertgasschweißen (MIG),
Ordnungsnummer: 131. Die MIG/MAG-Schweißverfahren sind die zzt. am
Es werden ausschließlich inerte Gase, wie z. B. weitesten verbreiteten Schweißverfahren (belegbar
Ar und He oder ihre Gemische verwendet. an Hand des Verbrauchs an Zusatzwerkstoff). Diese
Metall-Aktivgasschweißen (MAG), Entwicklung beruht auf der Möglichkeit, hochwer-
Ordnungsnummer: 136. tige Schweißverbindungen bei (scheinbar) einfacher
Es werden Gemische aus aktiven und inerten Handhabung herzustellen, verbunden mit einer einfa-
Gasen oder CO2 verwendet. Die aktiven Bestand- chen Mechanisierbarkeit des Schweißablaufs. Das
teile sind reiner Sauerstoff (O2) oder sauerstoff- gilt vor allem für das Impulslichtbogenschweißen,
haltige Gase (CO2). Das mit Gemischen aus in- für das die Steuerungsart synergic control entwickelt
erten und aktiven Schutzgasen arbeitende Ver- wurde. Hierbei wird die große Anzahl der einzustel-
fahren ist das Mischgasschweißen, Kurzzei- lenden Schweißparameter durch eine Sollwertgrö-
chen MAGM. Wenn als Schutzgas nur CO2 ver- ße ersetzt, die vom Schweißer eingestellt wird.
wendet wird, dann bezeichnet man das Verfah-
ren als CO2-Schweißen, Kurzzeichen MAGC. Mit elektronisch steuerbaren Schweißstromquellen
kann ihr Ausgangsverhalten sehr schnell geändert
Ein wichtiges Kennzeichen dieser Verfahren ist die werden. Von besonderer Bedeutung für den gesam-
kleine freie Drahtlänge f. Dies ist die Länge des ten Schweißablauf beim MSG-Schweißen ist das
stromdurchflossenen Drahtendes. Sie ist u. a. abhän- dynamische Verhalten der Stromquellen. Dieses lässt
gig vom Durchmesser D der Drahtelektrode und be- sich durch die (nur schwer ermittelbare) Reaktions-
trägt etwa 10 mm bis 30 mm 19). Somit ist die Strom-
belastbarkeit der Drahtelektrode wesentlich größer 1 Drahtelektrode 1
2 Kontaktrohr
als sie beispielsweise mit umhüllten Stabelektroden 3 Schutzgasdüse
möglich ist (i O 100 A/mm2 bis i O 200 A/mm2), oh- 4
5
Schutzgas
Lichtbogen
ne dass die Gefahr einer unzulässigen Erwärmung 6 Fügeteil(e)
2
der Elektrode besteht (Joulesche Wärme Q L I 2 ¹R). 7
8
Schmelzbad
Schweißgut 3
Beim Lichtbogenhandschweißen würden derarti- 4
ge Stromdichten zu einem Erweichen der Elektro- 5
de und zum Abplatzen der Umhüllung führen 20).

Die Nahtgeometrie hängt überwiegend ab von den


– Einstellwerten: Schweißstrom, Schweißspan-
nung, der Vorschubgeschwindigkeit des Licht-
bogens, der
– Brennerführung, Abschn. 3.3.3.4.6), der 8 7 6
– Art des Schutzgases (Tabelle 3-12) und den
Schutzgas schützt Schmelzbad, Elektrodenspitze und hocherhitzten
Bereich der Schweißnaht vor Zutritt der Atmosphäre (H, N, O).
19)
Mit genügender Genauigkeit gilt f L 10 ¹ D bis f L 15 ¹ D. Schmelzbad kann große Mengen atmosphärischer Gase lösen. Die
20) Folgen können Poren (O2, N2), Einschlüsse (SiO2), Abbrand (FeO, MeO)
Eine Stabelektrode mit einem (Kernstab-)Durchmesser und Versprödung (N, H, O) sein.
von 4 mm besitzt einen metallischen Querschnitt von ca.
12,6 mm2. Bei einer mittleren Schweißstromstärke von Bild 3-51
170 A ergibt sich eine Stromdichte von nur 15 A/mm2. Verfahrensprinzip des Metall-Schutzgasschweißens.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 169

zeit oder den maximal möglichen Stromanstieg bzw. führungsdüse (Kontaktdüse) und die Gasdüse wer-
Stromabfall im Schweißstromkreis beschreiben. Die den thermisch stark beansprucht. Sie sind die Haupt-
Reaktionszeit charakterisiert die Dauer der bei der verschleißteile des Schweißbrenners.
Umsetzung von Prozessanforderungen erforderli-
chen Zeit und ist abhängig vom Schweißstromquel- Die Drahtelektrode wird im Schlauchpaket mit ei-
lentyp. Bild 3-52 zeigt die Reaktionszeiten verschie- nem Führungsschlauch daran gehindert, seitlich
dener Schweißstromquellenarten. Es wird deutlich, auszuknicken. Bei Eisenwerkstoffen ist der Führungs-
dass erst mit elektronischen Stromquellen eine Be- einsatz eine Drahtspirale, bei den weicheren Alumi-
einflussung des Schmelzbades und der Art des Werk- niumwerkstoffen ein Kunststoffschlauch. Drahtelekt-
stoffüberganges möglich ist. Die künftig zu erwar- roden werden nach DIN EN ISO 544 mit Durchmes-
tenden noch schnelleren Stromquellen lassen auch sern von (0,6 mm); 0,8 mm; 0,9 mm; 1,0 mm; 1,2 mm;
eine Beeinflussung der Lichtbogenvorgänge mög- 1,6 mm (bis 3,2 mm) geliefert. Sie sind verkupfert,
lich erscheinen. sollen gleichmäßig rund und frei von Herstellungs-
fehlern (Oberflächenfehler durch den Walzprozess)
3.3.3.4.2 Schweißanlage; Zubehör und sauber (Flugrost, Walzfett, Adsorbtionswasser
Bild 3-53 zeigt das Schema einer MSG-Schweißan- aus Umgebung) sein, um einen störungsfreien Draht-
lage. Sie besteht aus der vorschub zu gewährleisten.
– Stromquelle, dem
– Schweißbrenner mit Schlauchpaket, der Die Drahtvorschubeinrichtung sorgt für einen
– Drahtvorschubeinrichtung und der gleichmäßigen und ruckfreien Drahttransport. Diese
– Gasflasche mit dem Druckminderer und dem Einheit besteht aus einem Motor, den Förder- und
Gasmengenmesser. Druckrollen und der Drahtrichteinrichtung. Die stu-
fenlose Einstellung der Drahtvorschubgeschwindig-
Unabhängig von der Art des verwendeten Schutzga- keit kann mit einem Motor (konstante Drehzahl) mit
ses wird immer die gleiche Schweißanlage benutzt. Getriebe oder eleganter nur mit einem drehzahlver-
Man verwendet ausschließlich Schweißstromquellen änderbaren Motor (z. B. Gleichstrom-Nebenschluss-
mit Konstantspannungscharakteristik, die für ei- motor) erfolgen. In den meisten Fällen erfolgt der
nen störungsfreien Vorschub der Drahtelektrode er- Drahtvorschub mit einem sog. Vierrollen-Antrieb,
forderlich sind (Abschn. 3.3.3.4.3). der im Vergleich zu einem Zweirollen-Antrieb die
Drahtelektrode praktisch kaum verformt und sehr
Schweißbrenner und Schlauchpaket. Die Schweiß- gleichmäßig vorschiebt. Drahtförderschwierigkei-
brenner sind luft- und bei höheren Schweißströmen ten durch »unrunde« Drahtelektroden können da-
(oberhalb 200 A bis 250 A) wassergekühlt. Die Draht- her nicht entstehen.
10 - 7
Lichtbogen
s
Elektrodenvorgänge
10 - 6
Thermische
Reaktionszeit t

Zeitkonstanten

10 - 5 Säulenvorgänge

Analogstromquelle
10 - 4 Werkstoffübergang Inverter

Sprühlichtbogen (kurzschlussfrei)
Sekundärgetaktete
10 - 3 Impulslichtbogen
Stromquelle
(gesteuerter Werkstoffübergang)
Kurzlichtbogen (kurzschlussbehaftet) Thyristor-
Umhüllte Stabelektrode gleichrichter
10 - 2

Schmelzbad
Transduktor-
10 - 1 Moduliertes Schweißen gleichrichter

Bild 3-52
10 0 Intermittierendes Schweißen Rotierender Elementarvorgänge beim Lichtbogen-
Umformer schweißen und typische Reaktionszeiten
von Schweißstromquellen (nach Mecke,
10 + 1
Fischer u. Merfert).
170 3 Fügen

3.3.3.4.3 Die innere Regelung Schutzgas: CO2


40 a
Der Schweißvorgang ist stabil, wenn die Drahtvor- Drahtelektrode: 1,2 mm Ø
C

lang
schubgeschwindigkeit vDr gleich der Abschmelzge- V b

Spannung U
schwindigkeit der Drahtelektrode vab ist. Anderen-

Lichtbogen
30 UA A
falls würde die Drahtelektrode die Kontaktdüse ver-
schmoren (vDr  vab) oder in das Schmelzbad stoßen
(vDr ! vab). Die Geschwindigkeit vDr wird stufenlos auf c
20
einen für die jeweilige Schweißaufgabe angepass- B Kurzlichtbogen-

kurz
ten konstanten Wert eingestellt, d. h., je größer vDr ge- bereich

wählt wird, desto größer muss vab sein. Die Höhe des
10
Schweißstroms hängt also unmittelbar von der Draht- 80 100 150 200 IA 250 300 A 350
vorschubgeschwindigkeit vDr ab. Er wird damit nicht Schweißstrom I
direkt, sondern indirekt über vDr eingestellt.
2 3 4 5 6 7 8 m /min 10
Die Einstellwerte, d. h., der Schweißstrom IA und Drahtvorschubgeschwindigkeit vDr
die Arbeitsspannung UA ergeben sich aus dem Schnitt-
punkt der eingestellten statischen Kennlinie mit der 1 2 3 4 kg /h 5
Lichtbogenkennlinie: Dies ist der Arbeitspunkt »A« Abschmelzleistung S
in Bild 3-54. Die jeweilige Lichtbogenkennlinie hängt
Bild 3-54
ausschließlich von vDr ab. Lichtbogenkennlinienbereich, in dem noch sicheres Schwei-
ßen möglich ist. Die Gerade B–A–C ist eine der möglichen
Während des Schweißvorganges muss der Arbeits- (vom Schweißer frei wählbaren) Lichtbogenkennlinien.
punkt konstant bleiben, damit sich die Nahtabmes- Linie a: Kennlinie, die dem längsten ausziehbaren Licht-
sungen (Nahtbreite, Einbrandtiefe) möglichst wenig bogen entspricht (sonst Abreißen des Lichtbogens).
Linie b: Kennlinie, die dem kürzesten Lichtbogen entspricht
ändern. Dies geschieht beim MSG-Schweißen mit
(sonst Verlöschen des Lichtbogens im Kurzschluss).
Stromquellen, die eine Konstantspannungscharak- Linie c: Eingestellte statische Kennlinie der Schweißstrom-
teristik (Abschn. 3.2.3.3) haben und eine während quelle, deren Schnittpunkt mit der Lichtbogenkenn-
des Schweißens gleichbleibende Drahtvorschubge- linie B-A-C ergibt den Arbeitspunkt »A«.
schwindigkeit ermöglichen. Darauf beruht die inne-
re Regelung, die einen sehr geringen konstruktiven genwiderstandes RLB. Die Arbeitsspannung UA än-
Aufwand erfordert. Ihre Wirkungsweise ist in Bild dert sich während des Schweißens kaum, weil die
3-55 zu erkennen. Unbeabsichtigte Änderungen der Spannung der Stromquelle nahezu konstant bleibt.
Lichtbogenlänge führen zu Änderungen des Lichtbo- Es gilt mit dem Schweißstrom IA:

A V

Kühlwasser - Austritt
2g 2f 2h
2 2e
Schweißstromquelle 2a 2d
Schlauchpaket
Elektronisch geregelte 2b
Stromquelle (= ) 2c
Kühlwasser - Eintritt

Gleichrichter (= )
1
inertes (MIG) oder
Vorschubeinrichtung
aktives (MAG) Schutzgas

Werkstück

1 Schweißbrenner 2b Magnetventil für Kühlwasser 2e Drahtelektrode auf Rolle


2 Drahtvorschubgerät 2c Wassermangelsicherung 2f Drahtrichtrollen
2a Magnetventil für Schutzgas 2d Antrieb für Drahtvorschubrollen 2g Drahtzulauf-, Drahteinlaufdüse (2h)

Bild 3-53
Wassergekühlte MSG-Anlage (schematisch).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 171

UA RLB ¹ IA O konst. 3.3.3.4.4 Lichtbogenformen und


Werkstoffübergang
Eine Änderung des Lichtbogenwiderstands (“ 'RLB) Von großer Bedeutung für die Qualität der Schweiß-
ruft daher eine gegensinnige Änderung des Schweiß- verbindung (und die mechanischen Eigenschaften
stroms ' I hervor: der Wärmeeinflusszone) und den gewünschten Ver-
fahrensablauf sind die
Der Lichtbogen wird länger (Bild 3-55a)): – Art des Werkstoffübergangs und die
RLB wird größer, IA um ' I kleiner. Die Drahtab- – Zusammensetzung des Schutzgases, d. h. Art
schmelzgeschwindigkeit vDr wird wie gewünscht so- und Menge der Bestandteile (Tabelle 3-12).
lange kleiner, bis der ursprüngliche Arbeitspunkt »A«,
d. h. die ursprüngliche Lichtbogenlänge wieder er- Abhängig von der Art des Schutzgases (und der
reicht ist. Stromdichte) ergeben sich Lichtbogenformen, die
eine sehr unterschiedliche Form des Werkstoffüber-
Der Lichtbogen wird kürzer (Bild 3-55b)): ganges (und damit auch unterschiedliche mecha-
RLB wird kleiner, IA um ' I größer. vDr wird wie ge- nische Gütewerte der Schweißverbindung erzeu-
wünscht solange größer, bis der ursprüngliche Arbeits- gen!) von der Drahtelektrodenspitze auf das Werk-
punkt »A«, d. h. die ursprüngliche Lichtbogenlänge stück zur Folge haben, Bild 3-56:
wieder erreicht ist. – Als sehr kleine axial gerichtete, sehr heiße, d. h.
dünnflüssige Tröpfchen; der konzentrierte Trop-
Der Regeleffekt bei der inneren Regelung beruht fenstrom erzeugt den typischen tiefen Einbrand
auf Verzögerungen bzw. Beschleunigungen des Ab- dieser Verfahren. Der Lichtbogen ist stabil und
schmelzprozesses, die durch genügend schnelle und brennt ruhig. Der Werkstoffübergang ist kurz-
große Änderungen des Schweißstroms entstehen. schlussfrei und damit praktisch auch spritzer-
Diese Regelzeiten liegen im Bereich von 1/300 s. frei. Diesen Lichtbogentyp bezeichnet man als
Daher wird diese Regelung auch als 'I-Regelung Sprühlichtbogen. Er entsteht in der Hauptsa-
bezeichnet. che bei den inerten Gasen und den argonreichen
Mischgasen, wenn eine kritische Stromdichte
A’ A(6) überschritten wird (Bild 3-56). Bei geringeren
A(3) A’’
U

4 Stromdichten ergeben sich größere Werkstoff-


U

2
1 5
D I D I tröpfchen, ein unstabilerer Lichtbogen und ein
weniger konzentrierter Tropfenstrom. Die Sprit-
IA IA zerneigung ist größer. Der Werkstoffübergang ist
I I
a) b) unter Helium etwas grobtropfiger und nicht so
Schweißrichtung stark gerichtet. Der Einbrand ist aber wegen der
UA = RLb × IA sehr viel größeren Lichtbogenspannung deutlich
1 2 3 4 5 6
tiefer und breiter.
RLb UA – Als größere, unregelmäßig geformte Tropfen,
IA die häufig um die Elektrodenspitze rotieren. Der
Werkstoffübergang ist mit Kurzschlüssen durch-
setzt, die Spritzerneigung ist deutlich größer als
a) b) c)
bei dem Sprühlichtbogen. Diese Lichtbogenform
Bild 3-55 wird Langlichtbogen genannt und ist typisch
Mechanismus der inneren Regelung beim MSG-Schweißen.
für CO2 und hoch CO2-haltige Schutzgase.
a) Der Lichtbogen (LB) wird »plötzlich« länger: R LB steigt,
und IA wird sofort um D I geringer. Der Arbeitspunkt »A« – Als größere, rundliche, regelmäßigere Tropfen,
ist nach »A’« gewandert. Die Drahtabschmelzgeschwin- die mit Hilfe bestimmter verfahrenstechnischer
digkeit vDr wird solange kleiner, bis der ursprüngliche Ar- und elektrischer Maßnahmen nicht mehr kurz-
beitspunkt »A« wieder erreicht ist. schlussfrei, sondern durch »gesteuerte« Kurz-
b) Der LB wird »plötzlich« kürzer: R LB nimmt ab, und IA schlüsse auf das Werkstück übergehen. Dieser
nimmt um 'I zu; »A« wandert nach »A’’«. vDr wird solan-
Lichtbogentyp ist nur unter CO2 und Gasen mit
ge größer, bis der Arbeitspunkt »A« wieder erreicht ist.
c) Die Spannung der Stromquelle ist nahezu konstant, eben- hohem CO2-Anteil realisierbar; er wird als Kurz-
so die Arbeitsspannung UA während des Schweißens: lichtbogen bezeichnet (weitere Einzelheiten sind
UA = R LB ¹IA Okonst. in Abschn. 3.3.3.4.6.2 zu finden).
172 3 Fügen

Tabelle 3-12. Gase und Mischgase für das Lichtbogenschweißen und verwandte Prozesse nach DIN EN ISO 14175, Auswahl.

Haupt- Unter- Komponenten in Volumengehalt (Prozent) Übliche


gruppe gruppe Anwendung
oxidierend inert reduzierend reaktionsträge

CO2 O2 Ar He H2 N2

1 − − 100 − − − WIG, MIG


I 2 − − − 100 − − Plasmaschweißen
3 − − Rest 1) ≥ 0,5 bis ≤ 95 − − Wurzelschutz
1 ≥ 0,5 bis ≤ 5 − Rest 1) − ≥ 0,5 bis ≤ 5 −
2 ≥ 0,5 bis ≤ 5 − Rest 1) − − −
M1
3 − ≥ 0,5 bis ≤ 3 Rest 1) − − −
4 ≥ 0,5 bis ≤ 5 ≥ 0,5 bis ≤ 3 Rest 1) − − −
0 ≥ 5 bis ≤ 15 − Rest 1) − − −
1 ≥ 5 bis ≤ 25 − Rest 1) − − −
2 − ≥ 3 bis ≤ 10 Rest 1) − − −
M2
3 ≥ 0 bis ≤ 5 ≥ 3 bis ≤ 10 Rest 1) − − − MAGM
4 ≥ 5 bis ≤ 15 ≥ 0,5 bis ≤ 3 Rest 1) − − −
5 ≥ 5 bis ≤ 15 ≥ 3 bis ≤ 10 Rest 1) − − −
1 ≥ 25 bis ≤ 50 − Rest 1) − − −
2 − ≥ 10 bis ≤ 15 Rest 1) − − −
M3 3 ≥ 5 bis ≤ 50 ≥ 2 bis ≤ 10 Rest 1) − − −
4 ≥ 5 bis ≤ 50 ≥ 10 bis ≤ 15 Rest 1) − − −
5 ≥ 25 bis ≤ 50 ≥ 10 bis ≤ 15 Rest 1) − − −
1 100 − − − − −
C MAGC
2 Rest ≥ 0 bis ≤ 30 − − − −
WIG
1 − − Rest 1) − ≥ 0,5 bis ≤ 15 − Plasmaschweißen
R
2 − − Rest 1) − ≥ 15 bis ≤ 50 − Plasmaschneiden
Wurzelschutz
1 − − − − − 100
Wurzelschutz
N 2 − − Rest 1) − − ≥ 0,5 bis ≤ 5
»Formiergas«
5 − − − − ≥ 0,5 bis ≤ 50 Rest
1)
Für diese Einteilung darf Argon teilweise oder vollständig durch Helium ersetzt werden.
Beispiel: Die Bezeichnung eines Schutzgases der Hauptgruppe M2 mit 7 % Volumengehalt CO2 und 4 % Volumengehalt O2 (Rest
Argon), Untergruppe 5: Schutzgas ISO 14175 – M25.

Tabelle 3-13. Anwendungsbereiche der wichtigsten Schutzgase beim MSG-Schweißen. Die Klammerwerte entsprechen den
Bezeichnungen der Schutzgase nach DIN EN ISO 14175 (alt: DIN EN 439), siehe auch Tabelle 3-12.

Schutzgas chemisches Anwendung


Verhalten

Al, Mg, Cu, Ti (Ti nur mit I1), Ni und deren Legierungen sowie andere stark oxidie-
Ar (I1)
rende Metalle. Hervorragend zum Schweißen der zähen, korrosionsbeständigen, Oxid-
He (I2)
inert schichten bildenden Metalle geeignet (»Reinigungswirkung«): Al, Mg, Ti.
Al, Mg, Cu, Ni und deren Legierungen. He erhöht Temperatur und Einbrand, er-
Ar – He (I3)
laubt höhere Schweißgeschwindigkeiten, ohne dass Einbrandkerben entstehen.
Für hochlegierte Stähle gut geeignet, wenn O2-Zusatz gering (≤ 3 %). Technisch bes-
Ar – O2 (M13) schwach oxidierend
ser und wirtschaftlicher ist die Verwendung der Impulstechnik.
Für Kurzlichtbogentechnik ≥ 5 % CO2, für unlegierte Stähle 10 % bis 25 % CO2 erfor-
Ar – CO2 (M12, M21) derlich. Standardgemisch mit 18 % CO2, in einigen Fällen für hochlegierte Stähle
anwendbar, aber nur bei geringer Korrosionsbeanspruchung empfehlenswert.
Ar – CO2 – O2 Mit CO2-Anteilen bis 50 % und O2-Anteilen bis 6 % für un- und (niedrig-)legierte Stäh-
oxidierend
(M14, M23, M24, M25, le und Feinkornbaustähle (Rp ≤ 500 N/mm2). Bei geringer Korrosionsbeanspruchung
M33, M34, M35) auch für hochlegierte Stähle anwendbar.
Für unlegierte und viele (niedrig-)legierte Stähle sowie für normalgeglühte und
CO2 (C1)
TM-behandelte Feinkornbaustähle geeignet, aber nicht für höhergekohlte Stähle.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 173

3.3.3.4.5 Auswahl der Schutzgase und 2 ¹ Me  O2  2 ¹ MeO.


Drahtelektroden
Die Art (inert/aktiv) und die Zusammensetzung (Art Daraus folgt:
und Menge der Gasbestandteile) der Schutzgase be- Zum erfolgreichen Schweißen der meisten Werk-
stimmen ihr metallurgisches (Abbrand) und metall- stoffe sind ihre metallurgischen, physikalischen
physikalisches (Tropfengröße, Tropfenzahl, Lichtbo- und chemischen Eigenschaften zu berücksichti-
genform) Verhalten. Diese Zusammenhänge und An- gen, anderenfalls sind gravierende Mängel (Po-
forderungen müssen bei der Wahl des Schutzgases ren, Abbrand, Versprödung, Korrosionsanfällig-
zum Schweißen der verschiedenen Werkstoffe be- keit) bzw. unzureichende mechanische Gütewerte
achtet werden. Anderenfalls sind z. B. unzureichen- der Schweißverbindung die Folge.
de Gütewerte des Schweißguts bzw. ein unruhiger
bzw. unstabiler Lichtbogen die Folge. Mit zunehmendem Sauerstoffgehalt werden der Ab-
brandverlust und die Menge an Reaktionsprodukten
Im Folgenden werden einige werkstoffliche und me- (MeO) im Schweißgut größer. Ein erheblicher Teil
tallphysikalische Besonderheiten besprochen. Beim dieser (Mikro-)Schlacken bleibt im Schweißgut zu-
Schweißen von Eisen-Werkstoffen unter inerten Ga- rück und verringert besonders die Zähigkeit. Wenn
sen ergibt sich überraschenderweise ein unruhiger, der Werkstoff das Gas nicht lösen kann, können die
zur Spritzerbildung neigender Lichtbogen. Die Ober- dann zurückbleibenden gasförmigen Reaktionspro-
flächenspannung des Schweißgutes ist sehr groß und dukte außerdem Poren erzeugen. Der negativen Wir-
damit die Benetzungsfähigkeit der Schmelze gering. kung des Sauerstoffs muss daher durch ausreichen-
Es entsteht ein sehr dickflüssiges, poröses, völlig un- de Zugaben von Desoxidationsmitteln (Mangan, Si-
brauchbares Schweißgut. Ein geringer Sauerstoffzu- licium) begegnet werden. Daraus ergibt sich, dass
satz (1 % bis 5 %) und (oder) CO2-Zusatz (bis 20 %) mit zunehmendem Legierungsgehalt der zu schwei-
stabilisiert den Lichtbogen und verringert die Visko- ßenden Werkstoffe die Menge der aktiven Bestand-
sität der Schmelze so weit, dass jeder unlegierte Koh- teile im Schutzgas aus technischen und wirtschaftli-
lenstoff-Mangan-Stahl ohne besondere Schwierig- chen Gründen abnehmen muss.
keiten geschweißt werden kann. Bei hochlegierten
Stählen lassen sich die Oberflächenspannung, die CO2 ist das einzige aktive Schutzgas, das in reiner
sehr große Schmelzenviskosität und die Größe der Form verwendet wird, also nicht gemischt mit an-
übergehenden Werkstofftröpfchen wirksamer mit der deren aktiven Gasen oder Edelgasen. Im Lichtbogen
Impulslichtbogentechnik beeinflussen. wird es dissoziiert. Die hierfür erforderliche Ener-
gie (Q) wird dem Lichtbogen entnommen:
Der Zusatz aktiver Gase (O2, CO2) führt aber außer
CO2  CO  1/2 ¹ O2  Q.
zu den oben geschilderten Vorteilen zu einem Ab-
brand vor allem der sauerstoffaffinen Legierungsele- Die Wärmemenge Q wird bei der Rekombination
mente (Cr, Al, V, Mn, Si) gemäß: an der verhältnismäßig kalten Werkstückoberfläche
wieder frei. Diese zusätzliche Wärme ist die Ursa-
che für den typischen schmaleren, tiefen Einbrand
beim Schutzgas Kohlendioxid (CO2). Die Tropfen
Tropfenvolumen V

sind groß und gehen relativ wenig gerichtet auf das


Werkstück über. Die Folge ist eine merkliche Sprit-
Ar Mischgas CO2 zerneigung. Der erhebliche Sauerstoffanteil macht
die Schmelze dünnflüssig und erfordert stark desoxi-
dierte Zusatzwerkstoffe.

Die hohen Lichtbogentemperaturen führen gemäß


Ikr,Ar Ikr,M
Schweißstrom I der folgenden Beziehung zu einer weiteren Dissozi-
ation des sauerstoffhaltigen CO:
Bild 3-56
Einfluss des Schweißstroms auf das Tropfenvolumen des im CO  C  O  Q.
Lichtbogen übergehenden schmelzflüssigen Werkstoffs in Ab-
hängigkeit vom Schutzgas bei konstantem Drahtelektroden- Diese Reaktion ist temperaturabhängig und befin-
durchmesser (stark vereinfacht). det sich in Abhängigkeit von der Temperatur in ei-
174 3 Fügen

Tabelle 3-14. Die wichtigsten Eigenschaften und Anwendungsbereiche sowie Kennzeichen für die Zusammensetzung und die
Eigenschaften der Füllung von Fülldrahtelektroden, nach DIN EN ISO 17632.

Kenn- Eigenschaften (S) Einlagen-, Schutz- Eigenschaften und Anwendung der Fülldrahtelektroden
buch- der Füllung (M) Mehrlagen- gas
stabe schweißung

Feintropfiger Werkstoffübergang und sehr geringe Spritzerverluste.


Schlacke bedeckt vollständig die Naht. Für Ein- und Mehrlagen-
Rutilbasis, schweißungen in Wannen- und Horizontal-Vertikalposition. Allge-
R langsam erstarrende S und M erforderlich mein unter CO2 verschweißt, aber auch für Argon-CO2-Mischgase
Schlacke geeignet, wenn dies vom Hersteller empfohlen wird. Damit Ver-
bessern des Werkstoffübergangs und Reduzieren der Spritzerbil-
dung.
Ähnlicher Aufbau wie der R-Typ. Sie ergeben aber schnell erstar-
rende Schlacke und sind damit für alle Positionen geeignet. Sie
Rutilbasis,
werden mit kleinerem Drahtdurchmesser hergestellt und haben un-
P schnell erstarrende S und M erforderlich
ter CO2 einen feintropfigen Werkstoffübergang. Das Schweißverhal-
Schlacke
ten wird mit Argon-CO2-Mischgasen (wenn dies vom Hersteller
empfohlen wird) verbessert.
Grobtropfiger Werkstoffübergang. Vorzugsweise in Wannen- und
Horizontal-Vertikalposition mit CO2 angewendet. Basische Schla-
B Basische Schlacke S und M erforderlich
cke (Fluoride und Oxide der Erdalkalimetalle) ergibt Schweißgut
mit bester Kerbschlagarbeit.
Sehr feintropfiger Werkstoffübergang und sehr dünne Schlacken-
schicht. Füllung besteht im Wesentlichen aus Metall-Legierungen,
Eisenpulver und lichtbogenstabilisierenden Bestandteilen. Dadurch
Metallpulver-
M S und M erforderlich ergibt sich hohe Abschmelzleistung und tiefer Einbrand. Vorzugs-
Füllung
weise in Wannen- und Horizontal-Vertikalposition mit Argon-
CO2-Mischgasen verwendet. Andere Positionen mit Kurzlichtbo-
gen- und Impulstechnik möglich.
Selbstschützend, grob- bis feintropfiger Werkstoffübergang. Rutiles
oder fluoridbasisches Schlackensystem ergibt Bereich von langsa-
mer (bevorzugt für Einlagenschweißung von verzinkten, aluminier-
Rutil- oder nicht
V S ten oder anders beschichteten Blechen in allen Positionen) bis ra-
Fluoridbasis erforderlich
scher Schlackenerstarrung, aber bevorzugt für automatisches Schwei-
ßen mit hoher Schweißgeschwindigkeit, vor allem in Wannen- und
Horizontal-Vertikalposition verwendet.
Selbstschützend, grobtropfiger Werkstoffübergang. Fluoridbasi-
Fluoridbasis, sches Schlackensystem ermöglicht hohe Abschmelzleistungen. Auf-
nicht
W langsam erstarrende S und M grund des sehr geringen Schwefelgehalts ergibt sich ein sehr risssi-
erforderlich
Schlacke cheres Schweißgut. Geeignet für Ein- und Mehrlagenschweißungen
in Wannen- und Horizontal-Vertikalposition.
Selbstschützend, fast feintropfiger Werkstoffübergang. Aufgrund
Fluoridbasis,
nicht ihrer fluoridbasischen Schlacke geeignet für Ein- und Mehrlagen-
Y schnell erstarrende S und M
erforderlich schweißungen in allen Positionen. Risssicheres Schweißgut mit ho-
Schlacke
her Kerbschlagarbeit bei tiefen Temperaturen.
Z Alle Fülldrahtelektroden, die durch die vorstehenden Beschreibungen nicht erfasst werden.

nem (dynamischen) Gleichgewicht. Enthält das me- führen zu einem erheblichen Anstieg des Kohlen-
tallurgische System – das aus Schweißgut  C  CO stoffgehaltes im Schweißgut. Das MAG-Schweißen
besteht – z. B. wenig Kohlenstoff, dann verläuft die dieser Werkstoffe unter CO2 oder Schutzgasen mit
Reaktion nach rechts, d. h., durch »Zerfall« weite- hohen CO2-Anteilen (bzw. Sauerstoffanteilen) ist
rer CO-Moleküle wird das Schweißgut aufgekohlt. daher – zumindest bei hoher Korrosionsbeanspru-
Dieser Vorgang ist vor allem bei den hochlegierten chung – nicht zu empfehlen.
CrNi-Stählen von großer Bedeutung. Ihre Korrosi-
onsbeständigkeit nimmt sehr stark mit einem zu- Die in der Schweißpraxis verwendeten Schutzgase
nehmenden Kohlenstoffgehalt im Schweißgut ab. sind in DIN EN ISO 14175 genormt. Sie werden
Schon geringste Mengen CO2 im Schutzgas (• 2 %) nach ihrem chemischen Verhalten (inert/aktiv) und
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 175

Art des Werkstoff- Bemerkungen


übergangs
Ar Ar: Stark gerichteter Tropfenstrom, kurzschlussfreier, feinsttropfiger Werkstoffübergang, typi-
scher fingerförmiger Einbrand, daher Vorsicht bei Wurzellagen (Schmelzbad kann »durchfal-
Einbrand- len«!). Bei höherer Schweißgeschwindigkeit besteht die Neigung zu Einbrandkerben, weil die
kerbe Bereiche am Deck lagenauslauf nicht mehr mit Schmelze aufgefüllt werden können. Beste
»Reinigungswirkung«, stabiler, nicht zum »Wandern« neigender Lichtbogen, geringer Span-
nungsabfall in der Lichtbogensäule, daher wegen annähernd konstanter Lichtbogenleistung
gut geeignet für Handschweißverfahren.
He: Schwach gerichteter Tropfenstrom, heißer Lichtbogen, Einbrand breiter und flacher als
bei Ar. Einbrandkerben entstehen erst bei um ca. 40 % höherer Schweißgeschwindigkeit im
He Vergleich zu Ar. Geeignet für mechanische Schweißverfahren und größere Werkstückdicken.
Trotz der geringen Masse der He-Atome gute Reinigungswirkung, weil die relativ große Licht-
bogenspannung (Feldstärke) die übergehenden Werkstofftröpfchen stark beschleunigt. Ihre gro-
ße kinetische Energie hilft effektiv, die Oxidhaut zu durchschlagen, d. h. zu beseitigen.

Lichtbogenform Sprühlichtbogen:
Feinsttropfiger, kurzschlussfreier, wenig zum »Spritzen« neigender Werkstoffübergang durch über-
wiegenden Einfluss des Pinch-Effektes. Für viele Werkstoffe geeignet, besonders für NE-Metalle.

Mischgase Ar + CO2 + O2 Noch feintropfiger, kurzschlussfreier Werkstoffübergang, günstige Einbrandform, gut geeig-
net zum Schweißen un- und (niedrig-)legierter Stähle. Die aktiven Bestandteile (CO2, O2) im
Lichtbogenraum bewirken Legierungsabbrand. Drahtelektroden müssen daher entsprechend
legiert und desoxidiert sein (Abschn. 3.3.3.4.5). Nicht (bzw. nur sehr bedingt) geeignet zum
Schweißen hochlegierter Stähle und NE-Metalle (Sauerstoff!).

Lichtbogenform Sprühlichtbogen

CO2 Wenig gerichteter, grobtropfiger Werkstoffübergang durch überwiegende Wirkung der Schwer-
kraft, relativ tiefer Einbrand, deutliche Spritzerbildung und merklicher Abbrand von Legie-
rungs- und Desoxidationselementen. Daher nur für unlegierte und bestimmte (niedrig-)legier-
Spritzer
te Stähle zu empfehlen. Hoch desoxidierte Drahtelektroden (z. B. G4Si, G3Si2) erforderlich.
Billiges Schutzgas. Für die Kurzlichtbogenvariante (Abschn. 3.3.3.4.6.2) besonders geeignet.

Lichtbogenform Langlichtbogen:
Gröbere, um die Elektrodenspitze häufig rotierende Tröpfchen mit einzelnen Kurzschlüssen.

CO2 und hoch CO2-haltige Durch erzwungene, periodische Kurzschlüsse sind energiearme (»kältere«) Tropfen erzeug-
Gase bar. Für Schweißarbeiten zweckmäßig, die ein geringes Wärmeeinbringen erfordern: Wurzella-
gen, Dünnbleche, Zwangslagen, Auftragschweißungen, thermisch empfi ndliche Werkstoffe.
Nur für CO2 und hoch CO2-haltige Mischgase anwendbar. Es sind Schweißstromquellen mit
einer Mindestinduktivität erforderlich.

Lichtbogenform Kurzlichtbogen:
Kleinere, kältere Tropfen, die durch gesteuerte (gewollte) Kurzschlüsse mit einer für diesen
Prozess geeigneten Schweißstromquelle erzeugt werden. Die hohen Kurzschlussströme müs-
sen mit Hilfe von Induktivitäten begrenzt werden.

inerte und hoch argon- Durch Überlagern eines Grundstromes mit Stromimpulsen (Frequenz und Amplitude vom
haltige Gase Anwender »frei« einstellbar) kann praktisch jede gewünschte Tropfengröße, Tropfenzahl und
Viskosität der übergehenden Tropfen unabhängig von der Art des Schutzgases erzeugt wer-
den. Nur unter inerten und hoch argonhaltigen Schutzgasen möglich, weil der Pinch-Effekt
erforderlich ist (Abschn. 3.3.2.2).

Lichtbogenform Impulslichtbogen

Bild 3-57
Werkstoffübergang und Lichtbogenformen beim MSG-Schweißen in Abhängigkeit von der Art der Schutzgase (schematisch).
176 3 Fügen

ihrer Zusammensetzung eingeteilt (Tabelle 3-12). Durch die Schlacke und das zusätzlich gebildete
Eine Zusammenstellung der Anwendungsbereiche Schutzgas ist der Schutz der Schweißnaht vor Zug-
der verschiedenen Schutzgase zeigt Tabelle 3-13. luft wesentlich besser als bei Massivdrähten. Mäßi-
Die grundsätzlichen Überlegungen für die Wahl des ge Luftbewegungen können den Schutzgasmantel
»richtigen« Schutzgases sind: nicht mehr aufreißen. Trotzdem eignen sich aber
– Mit zunehmendem Legierungsgehalt muss die auch Röhrchendrähte unter Baustellenbedingungen
Aktivität des Schutzgases abnehmen, (u. U. starke Luftbewegungen) nur bedingt.
– für sauerstoffaffine Werkstoffe müssen inerte
Schutzgase verwendet werden. In Tabelle 3-14 sind einige wichtige Fülldrahtelekt-
roden, sowie ihre Zusammensetzung, ihre Anwen-
Bei der Wahl der Drahtelektroden ist zu beachten: dungsgebiete und die chemischen Eigenschaften der
– An den Grundwerkstoff anpassen, d. h. artglei- Füllung zum MSG-Schweißen von unlegiertem
che oder artähnliche Drahtelektroden wählen. (niedriglegiertem) Stahl nach DIN EN ISO 17632
– Mit zunehmender Aktivität des Schutzgases (Sau- zusammengestellt.
erstoff und CO2), muss die Drahtelektrode wegen
des stärkeren Abbrands mehr Legierungs- bzw. 3.3.3.4.6 MSG-Verfahrensvarianten
Desoxidationsmittel enthalten.
3.3.3.4.6.1 MIG-Schweißen
Die Drahtelektrode muss also in Abhängigkeit von (Ordnungsnummer: 131)
dem Abbrandverhalten des verwendeten Schutzga- Beim MIG-Schweißen werden Argon, Helium oder
ses ausgewählt werden. Die Gütewerte des reinen deren Gemische verwendet. Der Werkstoffübergang
Schweißguts werden (neben den Schweißparame- ist bei Argon feintropfig, stark gerichtet und kurz-
tern und den Eigenschaften des Grundwerkstoffs) schlussfrei, bei Helium nicht ganz so feintropfig und
von der Elektrode und dem Schutzgas bestimmt. weniger stark gerichtet, Bild 3-56 und 3-57.

Fülldrahtelektroden Die sehr ungleiche Energieverteilung im Argon-


Außer den massiven Drahtelektroden werden zu- Lichtbogen verursacht die bei hohen Schweißge-
nehmend Fülldrahtelektroden (DIN EN ISO 17632) schwindigkeiten auftretenden Einbrandkerben. Das
verwendet, die unter CO2 oder Mischgas verschweißt gilt vor allem für die MSG-Verfahren, die verfahrens-
werden. Sie bestehen aus einem verschiedenartig ge- bedingt mit großen Schweißgeschwindigkeiten be-
formten Stahlmantel (Röhrchendraht oder in unter- trieben werden (s. Abschn. 3.3.3.4.4): Die geringe
schiedlichen Formen gefalzter Draht), der basische, Menge flüssigen Schweißguts, die wegen des flachen
rutile oder Füllungen aus Metallpulver enthalten kann. Einbrandes an die Schmelzränder fließt, kann die
Sie bieten eine Reihe entscheidender Vorteile: Kerben nicht mehr auffüllen, Bild 3-57.
– Die Füllstoffe ermöglichen umfangreichere me-
tallurgische Reaktionen als Massivdrähte und Damit entsteht der für das MIG-Verfahren typische
erzeugen eine größere Lichtbogenstabilität. Sprühlichtbogen. Die Spritzerverluste sind gering,
– Über das Pulver können dem Schmelzbad grö- und die Nahtoberfläche ist meistens glatt und kerben-
ßere Mengen verschiedenartiger Legierungsele- frei. Die mit hoher Geschwindigkeit auf das Schmelz-
mente zugeführt werden. bad auftreffenden Tröpfchen verursachen den typi-
– Im Vergleich zu den massiven Drahtelektroden schen, tiefen Einbrand.
ist die Stromdichte deutlich höher, weil der Strom
nur im Stahlmantel fließt, nicht aber im schlecht Das Verfahren ist für das Verbindungsschweißen der
stromleitenden Pulverkern. Aus diesem Grund sehr sauerstoffaffinen NE-Metalle wie z. B. Alumi-
ist die Abschmelzleistung größer. nium, Kupfer und deren Legierungen hervorragend
– Bei hohem basischem Pulveranteil können hoch- geeignet. Bei nicht fachgerechter Handhabung be-
wertige Schweißverbindungen auch an schlecht steht aber die Gefahr, dass die Nahtflanken nicht voll-
schweißgeeigneten Werkstoffen erzielt werden ständig aufgeschmolzen werden. Diese Bindefehler
(»Säubern« der Schmelze möglich!). oder Kaltstellen genannten Defekte, die für das Ver-
– Die Schlackendecke schützt die Schweißnaht vor fahren charakteristisch sind, vermindern die Bau-
dem Zutritt der atmosphärischen Gase und ver- teilsicherheit entscheidend, da sie in ihrer Wirkung
bessert ihre Oberfläche. Rissen gleichzusetzen sind.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 177

Impulslichtbogenschweißen stoff und der Werkstückdicke abhängig. Die Wahl


Eine für hochlegierte Stähle, sowie Aluminium, der Einstellwerte wird also nicht mehr von der ge-
Kupfer und deren Legierungen wichtige Verfahrens- wünschten Tropfenform und -größe bestimmt, son-
variante ist Schweißen mit dem Impulslichtbogen. dern nur von der Höhe des Stromimpulses. Die
In den meisten Fällen ist die hierfür erforderliche Wärmezufuhr ist daher grundsätzlich geringer als
spezielle Stromquelle eine parallel geschaltete Ein- bei den herkömmlichen MSG-Verfahrensvarianten.
heit, bestehend aus einem Gleichrichter (erzeugt den
Grundstrom) und einem transistorgeregelten, d. h. Der Tropfenübergang erfolgt synchron mit der ein-
steuerbaren Gleichrichter (erzeugt den Impulsstrom), stellbaren Frequenz der Stromimpulse. Die Anzahl
s. Abschn. 3.3.2.3. Mit ihnen lassen sich stufenlos und Größe der übergehenden Tropfen werden also
von der Netzfrequenz unabhängige Impulsfrequen- durch die Größe und Frequenz der Wechselstrom-
zen (zwischen Null und einigen Hundert Hertz) und impulse bestimmt. Die unkontrollierte Bildung von
nahezu beliebige Impulsbreiten einstellen. Großtropfen, die zum Spritzen führt, wird damit ver-
mieden. Anders als beim Kurzlichtbogenschweißen
Der Grundstrom erwärmt die Elektrodenspitze so- kommt es in diesem Fall nie zu »Kurzschlüssen«, d.
weit, dass die ihn überlagerten Stromimpulse eine h., der Schweißvorgang ist weitestgehend spritzerfrei.
mechanische Tropfenablösung durch den Pinch-
Effekt bewirken (s. Abschn. 3.3.2.2), wie Bild 3-58 Mit dieser nur unter Argon und hoch argonhaltigen
zeigt. Durch die erheblichen elektromagnetischen Schutzgasen möglichen Verfahrensvariante wird
Kräfte (Lorentz-Kraft) werden die Tropfen mit gro- schon bei geringeren Stromdichten als beim Sprüh-
ßer Geschwindigkeit axial auf das Schmelzbad be- lichtbogen der gewünschte Tropfenübergang erzwun-
wegt. Die Größe des Grundstroms ist nur vom Werk- gen. Anstelle der dünneren, teureren und knickanfälli-
gen Drahtelektroden (0,8 mm bis 1,2 mm Ø) können
dickere (1,6 mm Ø) verwendet werden; daher lassen
sich auch die weichen Aluminium-Drahtelektroden
Strom I

Ip

störungsfrei verschweißen. Ein weiterer wichtiger


Vorteil dieser Verfahrensvariante ist ihre sehr gute
a) Zeit t Eignung für Zwangslagenschweißungen, denn Grö-
ße und Viskosität der übergehenden Tröpfchen kön-
nen nahezu frei gewählt werden.
Strom I

Ig

Bild 3-59a) zeigt das Makrogefüge einer mit M22


b) Zeit t
(etwa ArS1) geschweißten Stumpfnaht aus hochle-
giertem Stahl. Man erkennt die durch die noch im-
mer große Oberflächenspannung der Schmelze ver-
ursachten typischen Schweißfehler: Bindefehler zwi-
schen den Raupen und Nahtflanken und eine unzuläs-
Strom I

Ip

sige Nahtüberhöhung, die eine extreme Kerbwirkung


Im
Ig

erzeugt. Die Impulstechnik führt durch den erzwun-


c) Zeit t genen feintropfigen Werkstoffübergang zu einem we-
sentlich heißeren, d. h. dünnflüssigeren Schmelzbad
gemäß Bild 3-59b). Die genannten Fehler und Nach-
teile werden mit der Impulstechnik sicher vermie-
Ig schmilzt Elektrodenspitze an den. Daher werden in bestimmten Fällen für hochle-
Ip löst Tropfen ab
gierte Stähle die stärker oxidierenden Schutzgase auf
Bild 3-58 der Basis Ar-CO2 bzw. Ar-CO2-O2 verwendet (s. Ta-
Stromverlauf beim MSG-Impulslichtbogenschweißen. belle 3-13). Der Abbrand an Legierungselementen
a) Stromimpulse Ip ist zwar deutlich größer und die Korrosionsbeständig-
b) Grundstrom (Gleichstrom) Ig
keit wegen des Zubrandes an Kohlenstoff und der da-
c) Verfahren arbeitet mit einem Strommittelwert Im , der un-
terhalb der kritischen Stromstärke Ikr (Bild 3-56) liegt. Der mit zusammenhängenden Chromcarbidbildung et-
Stromimpuls erzwingt trotzdem den gewünschten Tropfen- was geringer (s. Abschn. 3.3.3.4.4), das Schweißver-
übergang. halten ist aber wesentlich besser.
178 3 Fügen

3.3.3.4.6.2 MAG-Verfahrensvarianten Kurzlichtbogentechnik


Beim MAG-Schweißen (Ordnungsnummer: 136) Diese Verfahrensvariante erschließt den MSG-Ver-
werden aktive Schutzgase verwendet (s. Tabelle 3-12 fahren auch diese Anwendungsgebiete (flacher Ein-
und 3-13). Es ist zu beachten, dass mit zunehmender brand, zähflüssiges Schweißgut). Der Name deutet
Aktivität des Schutzgases, d. h. mit zunehmendem bereits an, dass mit einem kurzen Lichtbogen – al-
Sauerstoffgehalt der Abbrand erhöht wird. Außer so niedriger Schweißspannung – und mit Schweiß-
bei CO2 und bei Schutzgasen mit einem CO2-Anteil strömen im unteren Bereich der Lichtbogenkennli-
unter 15 % überwiegt der kurzschlussfreie, sprüh- nie gearbeitet wird (Bild 3-54). Die Lichtbogenleis-
regenartige Werkstoffübergang. tung des wird außerdem durch Verkürzen der Licht-
bogenbrenndauer verringert. Dies geschieht mit Hil-
Beim CO2-Schweißen (MAGC) ist mit praxisge- fe erzwungener periodischer Kurzschlüsse. Die hier-
rechten Stromdichten kein kurzschlussfreier, fein- bei entstehenden großen Kurzschlussströme müs-
tropfiger Werkstoffübergang möglich (Bild 3-56). sen durch Drosseln (Induktivitäten) soweit begrenzt
Die kritische Stromdichte liegt in diesem Fall bei werden, dass das Zerplatzen der übergehenden flüssi-
350 A/mm2 bis 400 A/mm2. Sie ist damit technisch gen Tropfen ausgeschlossen ist (sonst starke Sprit-
nicht mehr nutzbar 21). Die Spritzerbildung ist unter zerbildung). Andererseits muss der Strom groß ge-
CO2 merklich und die Nahtzeichnung verhältnismä- nug sein, um die Tropfen zuverlässig vom Drahten-
ßig schuppig. Dieser Langlichtbogen ist die für das de zu lösen und um eine hinreichend dünnflüssige
Schutzgas CO2 typische Form des Lichtbogens. Schmelze zu erzeugen, anderenfalls besteht die Ge-
fahr der Kaltstellenbildung.
Für die Bildung des Sprühlichtbogens (Ar und Misch-
gase mit ≥ 80 % Ar) bzw. Langlichtbogens (CO2 ) sind Das dynamische Verhalten der Stromquelle (beson-
relativ große Stromdichten erforderlich. Das führt ders gut sind hierfür elektronische Geräte geeignet)
zu dem für diese Verfahrensvarianten typischen tie- muss dem ständigen Wechsel Kurzschluss-Leerlauf
fen Einbrand. Damit scheiden die Sprühlichtbogen- bzw. Lichtbogenbrennphase angepasst sein und hin-
verfahren für alle Schweißaufgaben aus, die einen reichend schnell folgen können. Insbesondere muss
flachen Einbrand und (oder) eine zähflüssige, vom ca. 0,02 s
Schweißer noch gut modellierbare und manuell »ein-
fach« handhabbare Schmelze erfordern, wie z. B.
Spannung U

– Wurzelschweißungen,
– Schweißen in Zwangslage,
– Schweißen von Dünn- und Feinblechen,
– Auftragschweißen.
Zeit t
Schweißstrom I

a) b) Tauchzeit
Lichtbogenbrennzeit Kurzschlusszeit
Bild 3-59
Makrogefüge einer MSG-geschweißten Stumpfnaht unter ArS1,
entspricht M22 nach DIN EN ISO 14175, Vergrößerung 3:1.
a) Übliche Technik
b) Impulstechnik (Impulsfrequenz 100 Hz)

21)
Die Stromdichte ist so groß, dass extreme Überhitzungser- Bild 3-60
scheinungen in der Schmelze beobachtet werden (Verlust Werkstoffübergang bei der Kurzlichtbogentechnik (schema-
an Legierungselementen und Desoxidationsmitteln). Außer- tisch). Die während der Kurzschlusszeit wirksame elektrische
dem können diese »Hochstromverfahren« wegen der gro- Leistung N = U◊ I ist wesentlich geringer als die in der Lichtbo-
ßen Abschmelzmenge nur maschinell betrieben werden. genbrennzeit.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Schutzgasschweißen) 179

die Lichtbogenspannung nach einem Kurzschluss schenzeit wurden einfachere Schutzgase entwickelt
wieder ausreichend schnell zur Verfügung stehen. (z. B. 60 % Ar; 30 % He; 10 % CO2), die wesentlich
In Bild 3-60 ist der Werkstoffübergang beim Kurz- preiswerter als das Originalgas sind, die Schweißpro-
lichtbogen schematisch dargestellt. zessstabilität erhöhen, die Einbrandform verbessern
und damit das Verfahren sowohl wirtschaftlich als
Außer CO2 können auch Mischgase (bestehend aus auch wettbewerbsfä hig im Vergleich zu anderen
Gemischen von Ar, CO2, O2) verwendet werden. Sie (Hochleistungs-)Schweißverfahren machen.
bieten den Vorteil eines geringeren Einbrands und
einer besseren Spaltüberbrückbarkeit. Diese Eigen-
schaften sind besonders für die Wurzel- und Dünn- 3.3.3.4.7 Praktische Hinweise;
blechschweißung vorteilhaft. Anwendung und Möglichkeiten
Für eine fachgerechte Durchführung der Schweiß-
Schweißen mit rotierendem Lichtbogen arbeiten und die notwendige Gütesicherung sind fol-
(T.I.M.E.-Verfahren) gende Voraussetzungen zu erfüllen:
Dieses Schweißverfahren, das hohe Abschmelzleis- – Werkstückoberflächen müssen frei von Verun-
tung mit guten mechanischen Eigenschaften der reinigungen (z. B. Rost, Fett, Öl, Farben, sons-
Schweißverbindung (Schweißgut) und einem erstaun- tige Oberflächenbeläge) sein.
lich geringen Verzug verbindet, ist auch unter der – Wegen der begrenzten Wirksamkeit und Viel-
Bezeichnung T.I.M.E. bekannt. Die Abkürzung steht falt der metallurgischen Reaktionen (s. auch Ab-
für »Transferred Ionised Molten Energy«, was sinn- schn. 3.3.3.4.5) eignen sich die üblichen MSG-
gemäß etwa die Übertragung hoher Energie und Verfahren (außer Fülldrahtelektroden) nicht oder
aufgeschmolzenen Zusatzwerkstoffs in einem ioni- nur bedingt zum Schweißen stärker verunrei-
sierten Plasma bedeutet. Wichtiger bei der Namens- nigter Stähle.
gebung ist aber wohl, dass das Wort »TIME« ( – Schweißarbeiten außerhalb der Werkstatt sind
Zeit, Schweißzeit) die Wirtschaftlichkeit des Verfah- wegen der Gefahr der Schutzgasverwehung als
rens im Unterbewusstsein dokumentieren soll. Folge von Luftbewegungen problematisch. Es
müssen geeignete Abdeckungen vorgesehen wer-
Die Besonderheiten des T.I.M.E.-Verfahrens sind den. Sicherer ist es, ein weniger empfindliches
die sehr hohen Drahtvorschubgeschwindigkeiten bis Verfahren für Schweißarbeiten auf Baustellen
zu 50 m/min (die konventionellen MSG-Verfahren zu wählen.
arbeiten mit Drahtvorschubgeschwindigkeiten bis
zu etwa 15 m/min!) und die besondere Art des Werk- Anders als z. B. beim Lichtbogenhandschweißen ist
stoffübergangs im Lichtbogen. Bei Drahtvorschub- der Bereich der Einstellwerte (IA, UA) erheblich größer
geschwindigkeiten über ca. 25 m /min (bei Draht- (Bild 3-54). Eine Drahtelektrode mit einem Durch-
elektroden mit 1,2 mm Durchmesser) beginnt der messer von 1,2 mm kann z. B. für Schweißarbeiten
Lichtbogen zu rotieren, wodurch ein breiter, wan- an Dünnblech mit 80 A bis 100 A, zum Schweißen
nenförmiger, relativ wenig überhöhter Einbrand ent- einer Kehlnaht aber auch mit 250 A bis 350 A belastet
steht. Als Folge der geringen Schmelzenviskosität werden. Die daraus resultierende Änderung der Ab-
sind sehr große Abschmelzmengen, sehr glatte Naht- schmelzleistung ist bedeutend. Je nach der Schweiß-
übergänge, flache kerbenfreie Nähte und nur gerin- aufgabe müssen also geeignete Einstellwerte gewählt
ge Mengen Schweißspritzer die Folge. werden, die sowohl von technischen (z. B. in Bezug
auf die fertigungs- und schweißgerechte Bauteilher-
Das ursprünglich verwendete Vier-Komponenten- stellung) als auch von wirtschaftlichen Überlegun-
Schutzgas (65 % Ar; 26,5 % He; 8 % CO2; 0,5 % O2) gen (z. B. in Bezug auf eine ausreichend große Ab-
musste nach den Erfahrungen und Vorgaben des Er- schmelzleistung) bestimmt werden. Außer durch die
finders Church sehr genau eingestellt werden, d. h., Einstellwerte werden die Nahtabmessungen in gro-
die engen Mischtoleranzen erfordern eine (sehr teu- ßem Umfang durch die Brennerhaltung beeinflusst.
re!) gravimetrische Mischung und die Homogeni- Je nach der Brennerneigung unterscheidet man das
sierung der Gase. Die Lizenzgebühren und die auf- ziehende (oft auch als »Nachrechtsschweißen« be-
wändige Herstellung machten das Gas sehr teuer, zeichnet) und das stechende Schweißen (»Nach-
so dass zunächst die Bereitschaft gering war, die- linksschweißen«). In Bild 3-61 sind die beiden Ar-
ses Verfahren in der Praxis einzusetzen. In der Zwi- beitstechniken erläutert.
180 3 Fügen

Die MSG-Verfahren sind einfach mechanisierbar. lichtbogenverfahren nahezu konkurrenzlos. Bei grö-
Durch Wahl geeigneter Einstelldaten und Schutz- ßeren Werkstückdicken macht sich die große Einbrand-
gase lassen sie sich als Hochleistungsschweißver- tiefe positiv bemerkbar. Bei dem tief einbrennenden
fahren (hohe Abschmelzleistung mit Sprüh- oder CO2-Verfahren ist für Stumpfnähte i. Allg. nur ein
Langlichtbogen) oder als Kurzlichtbogen (dünnere Öffnungswinkel von ca. 40 ’ bis 45 ’ erforderlich,
Bleche, Wurzellagen) verwenden. Zusammen mit beim Lichtbogenhandschweißen z. B. wegen des
den entsprechenden Schutzgasen können die Ver- wesentlich geringeren Einbrandes aber ein Winkel
fahren deshalb den unterschiedlichsten Werkstoffen von ca. 60 °. Außerdem ist die Lagenzahl und damit
und Werkstückdicken angepasst werden. die Schweißzeit erheblich größer, wie Bild 3-38 zeigt.
Allerdings erzeugt der tiefe Einbrand einen großen
Die kleinste noch gut schweißbare Werkstückdicke Aufschmelzgrad (Abschn. 3.1.3), der bei unsaube-
liegt bei 0,6 mm, bei noch geringeren Dicken wer- ren, d. h. weniger gut schweißgeeigneten Stählen zu
den die manuellen Schwierigkeiten extrem groß. Für Problemen führen kann (zu geringe Zähigkeit, heiß-
Schweißarbeiten im Dünnblechbereich ist das Kurz- rissempfindlich, ausgeprägtes Grobkorn).

Ziehendes Schweißen (»Nachrechts«) Stechendes Schweißen (»Nachlinks«)

10° ... 15° 10° ... 15°


h

b
t

Einbrandtiefe t größer kleiner


Nahtbreite b kleiner größer
Nahtüberhöhung h größer kleiner

Porenanfälligkeit geringer, Schweißgut bleibt länger flüs- größer, Schmelzbad kann schlechter ausgasen, es erstarrt
sig, Schutzgas bedeckt Schweißgut und schneller;
fertige Naht länger;

Beobachtbarkeit der Nahtoberfläche erleichtert, der Wur- der Nahtoberfläche erschwert, der Wurzel erleichtert;
zel erschwert;

Kaltstellen, Vorlaufen des Schmelzbades leichter Vorlaufen des Schmelzbades leichter möglich: Kaltstel-
Bindefehler vermeidbar, d. h., Kaltstellen sind un- len (Bindefehler) sind die Folge;
wahrscheinlicher;

Anwendung bei bevorzugt für Füll- und Decklagen, für bevorzugt für Wurzellagen und Schweißen in Zwangsla-
Stumpfnähten Wurzellagen weniger geeignet; gen; für Füll- und Decklagen in Form von Strichraupen;

Anwendung bei für Kehlnahtdicken a ! 4 mm oft ange- für Kehlnahtdicken a … 4 mm; flache Naht, Einbrandker-
Kehlnähten wendet. Nahtüberhöhungen und Ein- ben leichter vermeidbar.
brandkerben schwerer vermeidbar.

Bild 3-61
Arbeitstechniken beim MSG-Schweißen.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Unterpulverschweißen) 181

3.3.4 Unterpulverschweißen (UP) des Schweißgutes. Art, Umfang und Vollständigkeit


(Ordnungsnummer: 12) der metallurgischen Reaktionen (und damit die me-
chanischen Gütewerte der Schweißverbindung!) wer-
3.3.4.1 Verfahrensprinzip; Schweißanlage den im Wesentlichen durch die gewählte Draht-Pul-
Der Lichtbogen brennt unter einer Schicht körnigen ver-Kombination bestimmt. Der Zusatzwerkstoff
Pulvers zwischen der abschmelzenden Drahtelekt- (Drahtelektrode) kann als Draht (Massiv- oder Füll-
rode und dem Werkstück, in einem mit Gasen und draht) oder Band vorliegen. Zum Erzielen eines bes-
Dämpfen erfüllten Hohlraum (Schweißkaverne), seren Stromüberganges und Verringern der Rei-
(Bild 3-62). Die Schweißkaverne entsteht durch das bungswiderstände in den Drahtförder- und Drahtfüh-
sich aufblähende geschmolzene Pulver (Schlacke), rungseinrichtungen wird seine Oberfläche verkup-
das die Schweißkaverne umhüllt und die Schweiß- fert oder verbronzt. Ein merklicher Korrosionsschutz
naht abdeckt. Der Lichtbogen ist also unsichtbar. ist dadurch allerdings nicht erreichbar.
Das UP-Schweißen ist ein verdecktes Lichtbogen-
schweißen; das Schema der Anlage gibt Bild 3-63
wieder. Die bei vielen anderen Schweißverfahren
entstehenden Spritzer treten daher nicht auf. Eine
Kontrolle des Schweißvorgangs ist aber als Folge
der Pulverabdeckung der Schweißnaht sehr erschwert,
sie kann nur mit elektrischen Messinstrumenten (z.
B. Volt- und Amperemeter) erfolgen. Eine genaue
Parallelführung des Schweißkopfes zur Schweiß-
naht und die präzise Einstellung aller Führungs-
und Richteinrichtungen ist erforderlich, sonst sind
Fehlschweißungen unvermeidlich.

1 Schweißkopf 1e Drahtrichtrollen
1a Drahtelektrode 1f Pulvertrichter
1b Schweißstromzuführung 1g Pulverabsaugvorrichtung
1c Antrieb für Drahtvorschubrollen 2 Steuereinheit
1d Drahtelektrode auf Rolle 3 Steuerleitung

Bild 3-63
UP-Schweißanlage (schematisch), s. a. Bild 3-62.

Die kleine freie Drahtlänge (Abschn. 3.3.3.4.1) und das


erst kurz vor dem Abschmelzen zugeführte Pulver
ist die Ursache für die große Strombelastbarkeit der
Drahtelektrode. Mit diesem Hochleistungsschweiß-
verfahren können große Abschmelzleistungen und
ein (aus metallurgischen Gründen meistens nicht er-
wünschter!) tiefer Einbrand erreicht werden. Der gro-
Bild 3-62 ße Bereich der Einstellwerte macht das Verfahren
Verfahrensprinzip des UP-Schweißens. zum Schweißen unterschiedlicher Werkstückdicken
und Konstruktionen geeignet. Folgende Grenzwerte
Das Pulver (genauer die daraus entstehende Schla- für die Einstellwerte können zzt. angegeben werden:
cke) schützt die Schmelze und die übergehenden Trop- – Schweißstrom I: 100 bis 2000 A,
fen vor dem schädlichen Einfluss der umgebenden – Schweißspannung U: 20 bis 50 V,
Atmosphäre (wegen der dickeren Schlackenschicht – Schweißgeschwindigkeit v: 10 bis 500 cm/min,
ist die Schutzwirkung besser als bei anderen Verfah- – Schweißstromdichte i: 20 bis 200 A/mm2.
ren), verhindert eine zu rasche Abkühlung, formt die
Naht, erleichtert das Ausgasen der Schmelze und be- Die für das Verfahren typischen großen und heißen
stimmt zusammen mit der Drahtelektrode und dem Schmelzbäder gestatten i. Allg. nur das Schweißen
Grundwerkstoff die chemische Zusammensetzung in waagerechter Position und erfordern eine Badsi-
182 3 Fügen

cherung beim Schweißen der Wurzellagen. Die 3.3.4.2 Verfahrensvarianten


Nahtfuge muss sorgfältig vorbereitet werden. Die Einige der zahlreichen Varianten des UP-Schweiß-
zulässigen Toleranzen, insbesondere der Spaltbrei- verfahrens haben eine große technische Bedeutung.
ten und Steghöhen, sind deutlich geringer als z. B. Mit ihnen können die
beim Lichtbogenhandschweißen. Die Nahtvorberei- – Abschmelzleistung erhöht,
tung (genormt in DIN EN ISO 9692-2) erfolgt da- – neue Anwendungsbereiche erschlossen oder
her meistens mit dem maschinellen Brennschnei- – besondere technologische und fertigungstechni-
den oder (vor allem bei Rohrrundnähten) mit span- sche Vorteile (höhere Schweißgeschwindigkeit,
gebenden Verfahren. Verringerung der Blaswirkung und der Porennei-
gung)
Da beim Erstarren großer Schmelzbäder häufig die erzielt werden.
nur aufwändig zu beseitigenden Heißrisse entste-
hen (Abschn. 3.2.4.2, Bild 3-10, Bild 3-68), gilt für Die Nahtgeometrie wird außer von den Einstellda-
die Entwicklung des UP-Verfahrens: ten wesentlich von der Stromart und der Polung be-
– Die Pendellagentechnik (Mehrlagentechnik) wird stimmt. Daher ist die Wahl der »richtigen« Strom-
der mit höheren Schweißströmen arbeitenden quelle bei vielen Verfahrensvarianten, vor allem bei
Einlagentechnik eindeutig vorgezogen. Durch denen, die mit mehreren Drahtelektroden arbeiten,
das »Umkörnen« der unteren Lagen wird das besonders wichtig.
ungünstige primäre Gussgefüge beseitigt und
die in Nahtmitte konzentrierten Verunreinigun- Die Drahtelektrode wird in den meisten Fällen posi-
gen werden neu und gleichmäßiger verteilt. tiv gepolt, weil der
– Dünnere Drahtelektroden, die mit höheren Strom- – Lichtbogen besser zündet, die
dichten belastet werden, führen bei größeren – Naht besser geformt wird, der
Schweißgeschwindigkeiten zu den gewünschten – Lichtbogen komplizierten Schweißkonturen bei
kleineren Schmelzbädern. hohen Schweißgeschwindigkeiten ohne Schwie-
rigkeiten folgen kann, der
Wegen der geringen Strahlungsverluste und der grö- – Einbrand sehr groß ist.
ßeren Schweißgeschwindigkeit, die die Gesamtver-
luste an die Umgebung vermindert, ist der thermi- Das Schweißen mit Wechselstrom verringert ganz
sche Wirkungsgrad des UP-Verfahrens sehr groß. erheblich die Blaswirkung (Abschn. 3.3.2.5.3) und
Bild 3-64 zeigt die Wärmebilanzen für das Lichtbo- merklich die Einbrandtiefe.
genhand- und das UP-Schweißen. Die unmittelbar
zum Schweißen erforderliche Energie (Aufschmel-
zen des Grund- und Zusatzwerkstoffes) beträgt beim
Schweißen mit der Stabelektrode 25 %, aber 68 %
beim UP-Schweißen. Die bessere Ausnutzung der
zugeführten Energie erhöht aber nicht nur die Ab-
schmelzleistung, sondern auch den Anteil des aufge-
schmolzenen Grundwerkstoffes. Das Volumenver-
hältnis von aufgeschmolzenem Zusatzwerkstoff zum
Grundwerkstoff beträgt bei stumpfgeschweißten
UP-Nähten etwa 1 : 2. Die metallurgische Qualität
der Schweißverbindung wird daher wesentlich von
der Qualität des Grundwerkstoffes bestimmt. Unbe-
ruhigte oder verunreinigte Werkstoffe sollten aus die-
sem Grunde nicht UP-geschweißt werden.

Der Mechanisierungsgrad dieses vollmechanisch


betriebenen Verfahrens (Bild 3-5) kann sehr groß
Bild 3-64
sein. Zur vollständigen Nutzung der wirtschaftlichen Wärmebilanz beim
und technischen Möglichkeiten sind daher fast im- a) Lichtbogenschweißen h = 25 % (15 % + 10 %) und
mer Vorrichtungen erforderlich. b) Unterpulverschweißen h = 68 % (24 % + 44 %).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Unterpulverschweißen) 183

– Die Schweißgeschwindigkeit ist größer, d. h.,


die Wirtschaftlichkeit wird erhöht;
– größere Riss- und Porensicherheit durch leichte-
res Ausgasen des »langen« Schmelzbades, d. h.
bessere Gütewerte der Schweißverbindung.

Die Paralleldrahttechnik nach Bild 3-66b) ist durch


folgende Besonderheiten gekennzeichnet:
– Die Einbrandtiefe kann leicht verringert wer-
den: Der Lichtbogen ist auf die Fugenflanken
1 Schweißstromquelle 4 Schweißlichtbogen
2 Drahtvorschubeinrichtung 5 Schweißpulver
gerichtet, nicht auf den Luftspalt.
3 Schweißstromzuführung 6 Schweißgut – Die Gefahr eines Schmelzbaddurchbruchs ist
Bild 3-65 daher geringer.
Verfahrensprinzip des UP-Doppeldrahtschweißens. – Die zulässigen Luftspalttoleranzen sind größer
als bei der Eindrahttechnik.
Die wichtigsten UP-Verfahrensvarianten sind das – Das Auftragen großer Flächen (z. B. bei Wal-
– Doppeldrahtverfahren (d. h. ein Schmelzbad, zen) wird erleichtert.
ein Schweißkopf, eine Schweißstromquelle), das
– Mehrdrahtverfahren (zwei oder mehrere selb- Ein grundsätzlicher Vorteil der Mehrdrahttechnik
stständige Lichtbögen und Schweißköpfe, oft ge- besteht darin, dass die große Abschmelzleistung mit
trennte Schweißstromquellen) und das mehreren Drahtelektroden erzielt wird, die ebenso
– Schweißen mit Bandelektroden. wie das Pulver deutlich niedriger strombelastet wer-
den. Eine geringere Strombelastung des Pulvers er-
UP-Doppeldrahtverfahren höht im Allgemeinen die metallurgische Qualität
In einigen Fällen ist der Einbrand des normalen Ein- des Schweißgutes (geringere »Abbrandverluste«).
drahtverfahrens zu tief und (oder) das Schmelzbad
zu groß. Große Schmelzbäder neigen zur Heißrissbil- UP-Mehrdrahtverfahren
dung und einer ungünstigen Erstarrungsform (Ab- Zwei oder mehr Drahtelektroden – meistens hin-
schn. 3.2.4.2 und Bild 3-10). Hierbei werden zwei tereinander angeordnet – werden mittels getrenn-
Drahtelektroden verwendet, die in einem Schmelz- ter Schweißstromquellen gespeist. Die Lichtbögen
bad niedergeschmolzen werden. Die Drähte werden können durch eine eigene Steuerung beeinflusst wer-
gemäß Bild 3-65 in einem Abstand von 5 mm bis den. Je nach dem Abstand der Drahtelektroden er-
10 mm zugeführt. Sie können in Schweißrichtung gibt sich ein gemeinsames Schmelzbad bzw. zwei
hintereinander (Tandem) oder senkrecht zu ihr (Pa- oder mehrere getrennte Schmelzbäder. Bei der Va-
ralleldraht) angeordnet werden. Die Tandem-Me- riante mit getrennten Schmelzbädern wird die in
thode gemäß Bild 3-66a) hat folgende Vorteile: Schweißrichtung vorlaufende Drahtelektrode mit
Gleichstrom, die nachfolgende mit Wechselstrom

a) b)

Bild 3-66 Bild 3-67


Anordnung der Drahtelektroden und typische Einbrandver- Verfahrensprinzip des UP-Mehrdrahtschweißens:
hältnisse beim UP-Mehrdrahtverfahren. Zwei Schmelzbäder (S1 und S2), zwei Schweißstromquellen
a) Tandemverfahren (1 = Gleichstrom, 2 = Wechselstrom), Tandem-Anordnung
b) Paralleldrahtverfahren (Bezeichnungen s. Bild 3-65).
184 3 Fügen

betrieben, wie das Schema, Bild 3-67 zeigt. Der diger oder verschleißbeständiger Plattierungen. Der
Gleichstromlichtbogen erzeugt den (oft) gewünsch- unregelmäßig an der Bandkante hin und her pendeln-
ten tiefen Einbrand; der Wechselstromlichtbogen de Lichtbogen erzeugt eine Raupenbreite, die etwa
verbreitert das Schmelzbad und schmilzt die z. T. der Breite der Bandelektrode entspricht. Das Verfah-
schon erstarrte Naht bis zu zwei Drittel wieder auf. ren ist daher sehr wirtschaftlich.
Dadurch werden günstige Erstarrungsverhältnisse
für die Schweißnaht geschaffen (Abschn. 3.3.4.3). Die Wirtschaftlichkeit und die metallurgische Quali-
Mit Wechselstrom wird außerdem die gegenseitige tät der mit Bandelektroden hergestellten Auftrag-
Beeinflussung der Lichtbögen – die Blaswirkung, schweißungen lassen sich mit anderen Schweißver-
Abschn. 3.3.2.5.3 – wesentlich verringert. Der Ab- fahren kaum erreichen.
stand der Drahtelektroden darf höchstens so groß
sein, dass der nachfolgende Draht in die noch flüssige 3.3.4.3 Aufbau und Eigenschaften der
Schlacke des vorlaufenden Drahtes eintaucht. Eine UP-Schweißnaht
bereits erstarrte Schlacke wird nicht wieder vollstän- Die häufig großvolumigen Schmelzbäder erstarren
dig aufgeschmolzen und metallurgische Fehler, z. in charakteristischer Form (Abschn. 3.2.4.2). Die
B. Schlackeneinschlüsse, sind dann unvermeidlich. Kristallisation beginnt an den Schmelzgrenzen. Es
entstehen längliche Kristalle (Stängelkristalle). Sie
Die Vorteile dieses Verfahrens sind: schieben vor ihren Erstarrungsfronten die bei niedri-
– Vollständigeres Ausgasen (Schmelze bleibt län- geren Temperaturen kristallisierende Restschmelze
ger flüssig), dadurch ergibt sich eine geringere her. Deren Gehalt ist in Nahtmitte – hier stoßen die
Porenneigung. Kristallisationsfronten zusammen, wie Bild 3-68
– Günstigere Kristallisation der Schweißschmel- zeigt – am größten. Die Folgen sind eine ausgeprägte
ze durch gezieltes Verändern der Nahtform. Die Heißrissneigung und (oder) unzureichende Zähig-
Gefahr der Heißrissbildung ist geringer, und die keitseigenschaften. Daher ist die Anwendung der
mechanischen Gütewerte sind besser. Eindrahttechnik (große Durchmesser der Drahtelekt-
– Die Schweißgeschwindigkeit wird erheblich ge- roden und große Schweißströme) aus technischen
steigert. Gründen begrenzt, obwohl sie zunächst große wirt-
schaftliche Vorteile verspricht.
UP-Auftragschweißen mit Bandelektroden
Mit bandförmigen Zusatzwerkstoffen 22) wird der Die Art der Kristallisation wird entscheidend von der
Einbrand in den Grundwerkstoff soweit verringert, Nahtform bestimmt, d. h. im Wesentlichen von der
dass Aufschmelzgrade (Abschn. 3.1.3) von etwa 5 % Nahtvorbereitung, dem Schweißverfahren und den
erreichbar sind. Daher eignet sich das Verfahren Einstellwerten beim Schweißen. Der große Einfluss
hervorragend zum großflächigen Auftragen nicht des Nahtformverhältnisses j b/t ist aus Bild 3-69
artgleicher Werkstoffe, wie z. B. korrosionsbestän- zu erkennen. Die Nahtform gemäß Bild 3-69b) ist
anzustreben, denn sie gewährleistet Heißrisssicher-
heit und ermöglicht ein weitgehendes Ausgasen des
Schmelzbades.

Es ist zu beachten, dass bisher lediglich von Einla-


genschweißungen die Rede war (Bild 3-69), deren
Schweißgut etwa aus 2/3 Grundwerkstoff und 1/3

22)
Die Standardabmessungen der Bandelektroden betragen
30 mm x 0,5 mm und 60 mm x 0,5 mm. In der Praxis
werden bereits Elektroden mit 120 mm x 0,5 mm verwen-
det. Bei noch breiteren Bandelektroden unterbleibt die
hin- und hergehende Lichtbogenbewegung an der Band-
kante, das ist der für den Abschmelzprozess entschei-
dende Vorgang. Ursache ist das starke Eigenmagnetfeld,
entstanden durch die erforderliche große Schweißstrom-
Bild 3-68 stärke. Überlagerte Gegen-Magnetfelder können Abhil-
Heißrissbildung in einer UP-geschweißten Wurzellage. fe schaffen.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Unterpulverschweißen) 185

Zusatzwerkstoff besteht. Wegen des hohen Grund- – Der metallurgischen Wirksamkeit der gewähl-
werkstoffanteils im Schweißgut werden prinzipiell ten Drahtelektroden-Pulver-Kombination, von
Draht-Pulver-Kombinationen gewählt (s. Abschn. der die Legierungs-, Desoxidations-, Oxidations-
3.3.4.4), die im Schweißgut einen Mangangehalt von vorgänge, sowie das Entschwefeln und die Poren-
ca. 0,8 % bis 1,3 % ergeben. Mangan ist notwendig, freiheit des Schweißguts abhängen;
weil es als Schwefelbinder Sicherheit gegen Heißris- – dem Anteil an aufgeschmolzenem Grundwerk-
se im Schweißgut bietet. stoff, der bei Verbindungsschweißungen etwa
b Schlacke mit 60 % bis 70 % betragen kann und durch seinen
Verunreinigungen mehr oder weniger großen Gehalt an Verunreini-
gungen besonders die Zähigkeit des Schweiß-
gutes beeinträchtigt;
t

– den Einstellwerten, die von der Werkstückdicke,


der Werkstücktemperatur und dem Werkstoff
a) b) abhängen.
Bild 3-69
Kennzeichnung der Nahtform durch das Nahtform-Verhält- 3.3.4.4.1 Zusatzwerkstoffe
nis (Einlagenschweißung): j = b/t. Das sind unlegierte, niedrig- und hochlegierte Rund-
a) j < 1: nahezu parallele Schmelzgrenzen, Heißrissgefahr,
drähte oder Flachbänder sowie spezielle Füllma-
niedrige Kerbschlagzähigkeit.
b) j > 1: Heißrissbegünstigende niedrigschmelzende Verun- terialien, wie aus dem Schema Bild 3-70 hervor-
reinigungen werden an die Nahtoberfläche in die Schlacke geht. Im Allgemeinen entspricht die chemische Zu-
gedrängt; gute mechanische Eigenschaften sind die Folge. sammensetzung weitgehend der der zu schweißen-
den Stahlsorten; sie sind artgleich oder artähnlich.
Ein weiterer Nachteil der Einlagentechnik ist das Die Drahtelektroden sind für das UP-Schweißen der
grobstängelige Gussgefüge. Außerdem führt die ver- un- und (niedrig-)legierten Stähle in DIN EN 756
hältnismäßig niedrige Abkühlgeschwindigkeit groß- genormt. Die Heißrissfreiheit des UP-Schweißguts
volumiger Schmelzbäder bei unlegiertem Schweiß- ist von großer Bedeutung und die wohl wichtigste
gut zu einem grobkörnigen Primärgefüge, das den Forderung an eine »betriebssichere« Schweißverbin-
voreutektoiden Ferrit nicht in der günstigen nadeli- dung. Aus diesem Grunde ist es naheliegend, die Ein-
gen, sondern in der unerwünschten körnigen Form teilung der Drahtelektroden zum Schweißen der un-
enthält. Rasches Abkühlen ist demnach vorteilhaft, legierten und (niedrig-)legierten Stähle nach dem
allerdings sind die nach einem zu schnellen Abküh- Mangangehalt vorzunehmen. Man unterscheidet die
len bei Stahl entstehenden härteren und spröderen folgenden Qualitäten:
Umwandlungsgefüge nicht erwünscht. Die Abküh-
S1 – S1Si – S2 – S2Si – S3 – S3Si – S4.
lung der Schweißverbindung muss daher der Härte-
neigung des Werkstoffs angepasst sein. Der ungefähre Mangangehalt ergibt sich aus der Di-
vision der nach dem Symbol »S« stehenden Ziffer
Mit mehrlagig geschweißten Verbindungen lassen durch 2. Der mittlere Mangangehalt der Drahtelekt-
sich die genannten Nachteile (Heißrissgefahr, grob- rode S3 beträgt danach 3 : 2 O 1,5 %.
stängeliges Gefüge, körniger Widmannstättenscher
Ferrit) weitgehend vermeiden. Voraussetzung sind Für warmfeste Stähle und zum Verbessern der Si-
aber geeignete Einstellwerte und die Wahl einer auf cherheit gegen Heißrisse werden molybdänlegierte
den Grundwerkstoff abgestimmten Draht-Pulver-
Kombination. Zusatzwerkstoffe zum
UP-Schweißen:
3.3.4.4 Zusatzstoffe
Anders als beim Handschweißen müssen das der
Elektrodenumhüllung entsprechende Schweißpul-
Draht Band Füllmaterial
ver und die dem Kernstab entsprechende Drahtelekt-
rode für eine Schweißaufgabe ausgewählt werden. Massivdraht, Massivband Heiß- oder Kalt-
Fülldraht draht, Drahtkorn
Die Zusammensetzung des Schweißgutes und da-
mit die Gütewerte der Schweißverbindung werden Bild 3-70
von folgenden Faktoren bestimmt: Zusatzwerkstoffe für das UP-Schweißen.
186 3 Fügen

Drahtelektroden verwendet, deren Molybdängehalt 3.3.4.4.2 Schweißpulver


immer bei etwa 0,5 % liegt: Ähnlich wie die Umhüllung der Elektroden soll das
Schweißpulver das Schmelzbad vor dem Einfluss der
S2Mo – S3Mo – S4Mo.
atmosphärischen Gase (Sauerstoff, Stickstoff, Was-
Abhängig von der Art des verwendeten Schweißpul- serstoff) schützen, sowie die Leitfähigkeit des Licht-
vers kann u. U ein beträchtlicher Siliciumzubrand bogens verbessern (erleichtert Zünden und Stabilisie-
erfolgen. Der Siliciumgehalt muss aber in den meis- ren des Lichtbogens). Die mechanischen Gütewerte
ten Fällen sehr gering sein, da anderenfalls beson- des Schweißguts werden von der Schweißgutzusam-
ders die Kerbschlagzähigkeit verringert wird. Ein mensetzung bestimmt. Diese hängt ab von der Art
leicht erhöhter Siliciumgehalt in der Drahtelektrode der Schweißpulver und deren metallurgischen Re-
(S1Si, S2Si) zum Verbessern der Porensicherheit aktionen in den übergehenden Tropfen in der Licht-
wird lediglich zum Schweißen stark verrosteter oder bogenzone. Die Badreaktion mit der Schlacke ist bei
geseigerter Stähle empfohlen. den meisten Schweißpulvern zu vernachlässigen.

Drahtelektroden sind zum Verbessern des Stromüber- Als Folge des großen Aufschmelzgrades wird bei
gangs und zum Schutz gegen atmosphärische Kor- Einlagenschweißungen die Zusammensetzung des
rosion verkupfert. Sie sollten sorgfältig aufgespult Schweißguts überwiegend vom aufgeschmolzenen
(Drahtförderschwierigkeiten!), kreisrund (sonst Pas- Grundwerkstoffanteil bestimmt. Bei Mehrlagen-
sieren der kupfernen Stromführungsdüse nicht ruck- schweißungen ist sie – und damit sind auch die Ei-
frei!) und fettfrei (metallurgische Probleme!) sein genschaften der Schweißverbindung – praktisch aus-
und müssen beim Lagern vor Feuchtigkeit geschützt schließlich von der Draht-Pulver-Kombination und
werden (sonst Gefahr des Anrostens, d. h. Gasauf- den Einstellwerten beim Schweißen abhängig. Die
nahme beim späteren Verschweißen). mechanischen Gütewerte mehrlagig geschweißter
Verbindungen gleichen damit weitestgehend denen
In letzter Zeit werden in zunehmendem Umfang des reinen Schweißguts.
Fülldrahtelektroden verwendet. Auf den ersten Blick
macht ihre Anwendung beim UP-Schweißen wenig Bild 3-71 zeigt den charakteristischen Legierungsver-
Sinn, da sie wesentlich teurer sind und außerdem be- lauf des Elements Mangan im Schweißgut einer Mehr-
reits »Pulver« verwendet wird. Ihre entscheidenden lagenschweißung von un- und niedriglegierten Stäh-
Vorteile sind aber die hohen erreichbaren mechani- len. Man erkennt, dass sich die Legierungsvorgän-
schen Gütewerte und die Möglichkeit, das Füllpul- ge (Zubrand/Abbrand) bereits nach der vierten La-
ver in seiner chemischen Zusammensetzung auf die ge dem thermodynamischen (metallurgischen) Gleich-
geforderten Eigenschaften nahezu perfekt abstim- gewicht nähern. Abhängig von den gewählten Ein-
men zu können. Der für gleichmäßig hohe Kerb- stellwerten ergibt jede Draht-Pulver-Kombination
schlagwerte erforderliche Sauerstoffgehalt von etwa ein charakteristisches Gleichgewichtsniveau der Le-
250 ppm bis 350 ppm kann unabhängig vom gewähl- gierungselemente, das nach unterschiedlichen Lagen-
ten Schweißpulver exakt eingehalten werden. Wei- zahlen erreicht wird.
terhin lässt sich jede gewünschte Zusatzwerkstoff- 1,5
legierung, d. h. Schweißgutzusammensetzung ver-
Mangangehalt im Schweißgut

%
hältnismäßig leicht erzeugen.
1,0
Unterschieden werden – ähnlich wie bei den Schutz-
gas-Schweißverfahren – die nahtlosen und die form-
0,5 MnGW = Mangangehalt im
geschlossenen Fülldrahtelektroden. Die nahtlosen Mn GW Grundwerkstoff
Fülldrahtelektroden weisen gegenüber den Falz-
drähten (formgeschlossen) eine Reihe von Vortei-
len auf: 0 1 2 3 4 10 20 30 40
Anzahl der Schweißlagen
– Unempfindlich gegenüber Feuchtigkeitsaufnah-
Bild 3-71
me,
Einfluss der Lagenzahl auf den Mangangehalt im Schweiß-
– auch nach langer Lagerung ist kein Rücktrock- gut, hergestellt mit einer bestimmten Draht-Pulver-Kombi-
nen erforderlich, nation. Jede Kombination ergibt im Schweißgut einen charak-
– der Gehalt an diffusiblem Wasserstoff ist gering. teristischen »Endgehalt« der einzelnen Legierungselemente.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Unterpulverschweißen) 187

Das Herstellungsverfahren ist ein wichtiges Charak- Schmelzpulver sind homogene, glasartige Substan-
teristikum der Schweißpulver. Nach DIN EN 760 un- zen, deren einzelne Bestandteile nicht mehr einzeln
terscheidet man die folgenden Herstellungsverfah- reagieren können, weil sie ein metallurgisches Viel-
ren mit den Kennzeichen: stoffsystem gebildet haben. Beim Herstellprozess
F (fused) für erschmolzenes Schweißpulver, geht ein Teil der Reaktionsfähigkeit des Pulvers ver-
B (bonded) für agglomeriertes Schweißpulver, loren, weil die Ofentemperatur größer sein muss als
M (mixed) für Mischpulver, die vom Hersteller (nicht die Schmelztemperatur des am höchsten schmelzen-
etwa vom Fertigungsbetrieb!) aus verschiedenen den Bestandteils. Temperaturempfindliche Stoffe,
Pulvertypen gemischt werden. d. h., fast alle (sauerstoffaffine) Legierungselemente
können den Schmelzpulvern daher nicht zugegeben
Eine für die Beurteilung des metallurgischen Verhal- werden. Sie eignen sich damit weniger zum Schwei-
tens wichtige Einteilung der Schweißpulver berück- ßen der legierten Stähle. Die Vorteile dieser Pulver
sichtigt ihren mineralogischen Aufbau (z. B Rutil- sind aber die
Silicat-Typ, basischer, fluorid-basischer Typ, ähnlich – geringe Neigung zur Feuchtigkeitsaufnahme,
wie bei den umhüllten Stabelektroden). In den Be- die auf ihrer glasartigen Struktur beruht, die
zeichnungen werden nur die Hauptbestandteile ge- – besonders abriebfesten Körner, die die Ursache
nannt. Die Herstellungsart (F, B oder M) muss aber für ihre geringe Entmischungsneigung bei den
zusätzlich angegeben werden. Eine Übersicht ver- Handlingsvorgängen sind und der
mittelt Tabelle 3-15. – geringe Staubanteil im Pulver, der die schweiß-
technische Verarbeitung sehr erleichtert und die
Schmelzpulver metallurgische Qualität des Schweißguts kons-
Herstellung: Die Pulverbestandteile – vorwiegend Oxide der tant hält.
Elemente Al, Ba, Ca, Ka, Mn, Na, Si, Zr – werden zerkleinert.
Anschließend wird ihnen in einem Röstofen die Feuchtigkeit Die Pulver sind ähnlich wie die basisch-umhüllten
ausgetrieben und einige Verunreinigungen entfernt. Danach Stabelektroden (Abschn. 3.3.2.4.3) vor dem Gebrauch
werden sie bei 1500 ’C bis 1800 ’C in Elektro- oder Kupol-
öfen geschmolzen.
nach Herstellerangaben zu trocknen. Als erste Schät-
zung der Trocknungstemperaturen können die fol-
Die glasartige Schmelze wird anschließend durch Wassergranu- genden Werte gelten:
lieren oder Schäumen »körnig« (Körner von etwa 5 mm Durch-
messer) gemacht. Ein gleichzeitiges Einblasen von Luft wäh-
– Schmelzpulver: 200 ’C “ 50 ’C,
rend des Wassergranulierens (Schäumen) ergibt die feinporö- – geschäumte Schmelzpulver: 400 ’C “100 ’C.
sen, sehr leichten, geschäumten Schmelzpulver. Bei der trocke-
nen Granulation wird die Schmelze in eine wassergekühlte Agglomerierte Pulver
Stahlwanne abgegossen, in der sie als dünne Kruste erstarrt. Herstellung: Die feinstgemahlenen Bestandteile werden nach
Abhängig von der Zusammensetzung und der Erstarrungsge- dem Glühen mit einem Bindemittel (meist Wasserglas) ver-
schwindigkeit der Pulverschmelze können die Pulver amorph dickt, wobei sich unter dem Einfluss der Oberflächenspan-
oder kristallin erstarren. Die Teilchen werden gemahlen, auf nung schon ein »Vorgranulat« bildet. Anschließend erhalten
die gewünschte Körnung ausgesiebt und verpackt. sie auf dem rotierenden Granulierteller ihre nahezu kugelige

Tabelle 3-15. Chemische Zusammensetzung und Kennzeichen von Schweißpulvern zum Unterpulverschweißen, nach
DIN EN 760.

Kenn- Chemische Zusammensetzung, Massengehalt (Hauptbestandteile) Pulvertyp


zeichen

MS MnO + SiO2 (min. 50 %), CaO (max. 15 %) Mangan-Silicat


CS CaO + MgO + SiO2 (min. 55 %), CaO + MgO (min. 15 %) Calcium-Silicat
ZS ZrO2 + SiO2 + MnO (min. 45 %), ZrO2 (min. 15 %) Zirkonium-Silicat
RS TiO2 + SiO2 (min. 50 %), TiO2 (min. 20 %) Rutil-Silicat
AB Al2O3 + CaO + MgO (min. 40 %), Al2O3 (min. 20 %), CaF2 (max. 22 %) Aluminat-Basisch
AF Al2O3 + CaF2 (min. 70 %) Aluminat-Fluorid-basisch
FB CaO +MgO + MnO + CaF2 (min. 50 %), SiO2 (max. 20 %), CaF2 (min. 15 %) Fluorid-Basisch
AR Al2O3 + TiO2 (min. 40 %) Aluminat-Rutil
AS Al2O3 + SiO2 + ZrO2 (min. 40 %), CaF2 + MgO (min. 30 %), ZrO2 (min. 5 %) Aluminat-Silicat
Z Andere Zusammensetzungen speZial
188 3 Fügen

Gestalt (Agglomeration). Das Pulver wird anschließend zwi- tigen, dass die Zusammensetzung des Schweißguts
schen 600 °C und 900 °C getrocknet, wobei das Wasserglas ab- abhängt von dem
bindet und die restliche Feuchtigkeit ausgetrieben wird. Hier-
– Schweißpulver, dem
durch ergeben sich typische Wassergehalte im Pulver von et-
wa 0,02 %, die im Schweißgut zu Wasserstoffmengen von 3
– Grundwerkstoff, der
bis 4 ppm führen (können). Die (Glüh-)Temperaturen über- – Drahtelektrode, den
schreiten in keinem Fall die geringste Reaktionstemperatur – Einstellwerten beim Schweißen und der
(Schmelztemperatur) der Gemengebestandteile. – Anzahl der geschweißten Lagen.

Agglomerierte Pulver sind heterogene Substanzen, Die chemische Charakteristik der Umhüllung der
deren Einzelbestandteile ihren ursprünglichen Zu- Stabelektroden beschreibt das metallurgische Ver-
stand behalten haben. Ihre Reaktionsfähigkeit ist halten des Schweißguts (Abschn. 3.3.2.4.3) hinrei-
im Gegensatz zu den Schmelzpulvern vollständig chend genau. Beim UP-Verfahren ist dagegen die
erhalten, d. h., die metallurgischen Reaktionen sind metallurgische Wirksamkeit (Legierungsarbeit, Des-
sehr intensiv. Wegen der niedrigen Herstelltempe- oxidationsvorgänge, Entschwefeln) in weiten Gren-
ratur können temperaturempfindliche Stoffe (Des- zen durch die Möglichkeit einstellbar, die Kombi-
oxidationsmittel und Legierungselemente) wirtschaft- nation Drahtelektrode und Schweißpulver relativ
lich zugegeben werden. Sie eignen sich daher bevor- »frei« wählen zu können. Die chemische Charakte-
zugt zum Schweißen (hoch-)legierter Stähle. Die ristik des Schweißpulvers wird i. Allg. mit dem Ba-
wesentlichsten Nachteile sind ihre starke Neigung sizitätsgrad beschrieben, der oft mit der Formel von
zur Feuchtigkeitsaufnahme – Trocknen ist daher im- Boniszewski berechnet wird:
mer erforderlich – und ihre geringere Abriebfestig-
keit. Vor dem Gebrauch müssen sie bei ca. 300 °C CaO + MgO + BaO + Na 2 O + K 2 O
B= +
“ 50 ’C getrocknet werden. SiO2 + 0,5 ◊ (Al 2 O3 + TiO2 + ZrO2 )

Schweißpulver-Kennwerte Li 2 O + CaF2 + 0,5 ◊ (MnO + FeO)


.
Eine wichtige Eigenschaft der Schweißpulver ist ih- SiO2 + 0,5 ◊ (Al 2 O3 + TiO2 + ZrO2 )
re Strombelastbarkeit. Dies ist die Stromstärke,
oberhalb der die Schlacke örtlich zu »kochen« be- Gemäß dieser Beziehung wird die Summe der ba-
ginnt. Die hoch kieselsäurehaltigen (die sauren Man- sisch wirkenden Bestandteile durch die Summe der
gan-Silicat-Typen MS) Pulver sind am höchsten (et- sauer wirkenden dividiert. Ähnlich wie bei den um-
wa 2000 A), die basischen am niedrigsten (etwa
0,8
1000 A) strombelastbar. Spanentnahme
%
Zubrand D Mn

0,6
Die Schmelzpulver werden in Körnungen verschie-
dener Größe, die agglomerierten in einer Korngrö-
ße hergestellt. Mit feinkörnigem Pulver werden be- 0,4 ➊
sonders saubere und glatte Nahtoberflächen erzeugt
0,2
und die Abkühlung der Schweißnaht durch starkes
Behindern der Wärmestrahlung vermindert. Grob- ➌
0
körniges Pulver erleichtert in großem Umfang das S1 S2 S3 % S4 P1

Ausgasen des Schmelzbades; es wird daher häufig Mn Dr

bei höheren Schweißgeschwindigkeiten und zum 0,2


Schweißen verschmutzter Werkstücke verwendet.
Abbrand D Mn

0,4 ➋ P2
Metallurgisches Verhalten der Draht-Pulver-
Kombination 0,6 D Mn = Mn Sch - Mn Dr
P3
Die Kenntnis der Zu- und Abbrandverhältnisse, d. % Mn Sch: Mangangehalt im Schweißgut
Mn Dr : Mangangehalt in der Drahtelektrode
h. der metallurgischen Wirksamkeit der Draht-Pul- 0,8
ver-Kombination, ist für eine zuverlässige Abschät-
Bild 3-72
zung der Schweißnahteigenschaften unerlässlich. Zu- und Abbrandverhältnisse von Mangan bei verschiedenen
Die Methoden zum Bestimmen des metallurgischen Schweißpulvern (P1, P2, P3) in Abhängigkeit vom Mangan-
Verhaltens des Schweißpulvers müssen berücksich- gehalt der verwendeten Drahtelektroden (S1, S2, S3, S4).
3.3 Schmelzschweißverfahren (Unterpulverschweißen) 189

hüllten Stabelektroden ergibt sich folgende auf der Das Ergebnis dieser Auftragschweißversuche wird
chemischen Wirksamkeit der Pulver beruhende Ein- in Schaubildern von der Art Bild 3-71 dargestellt.
teilung: Der Zu- und Abbrand – dies ist die Differenz zwi-
schen dem Gehalt des jeweiligen Legierungsele-
B > 1: Basische Schweißpulver, ments im Schweißgut und in der Drahtelektrode
B ≈ 1: Neutrale Schweißpulver, – wird in Abhängigkeit vom Legierungsgehalt der
B < 1: Saure Schweißpulver. Drahtelektrode grafisch ermittelt. In vielen Fällen
schneiden die »Legierungsgeraden« die Abszisse.
Die Einteilung der Schweißpulver und ihre grund- Diese Schnittpunkte werden neutrale Punkte ge-
legenden metallurgischen Eigenschaften sind ver- nannt, weil für eine gegebene Draht-Pulver-Kombi-
gleichbar mit den für die Stabelektroden bekannten nation weder Zu- noch Abbrand entsteht. Das metal-
Bezeichnungen. lurgische Verhalten ist demnach von der gewählten
Draht-Pulver-Kombination abhängig, d. h., ein neu-
Das Legierungsverhalten einer beliebigen Draht- trales Pulver gibt es nicht.
Pulver-Kombination wird daher meistens mit der
im DVS-Merkblatt 0907 vorgeschlagenen Versuchs- Mit Hilfe dieser Schaubilder können über das me-
technik bestimmt. Achtlagen-Auftragschweißungen tallurgische Verhalten des Schweißguts bestimmte
werden mit dem zu untersuchenden Pulver und den Aussagen (Abbrand Zubrand von Legierungsele-
verschiedenen Drahtelektroden (z. B. S1 bis S4) mit menten) gemacht werden. Dies sei an Hand von Bild
gleichbleibenden, festgelegten Einstellwerten herge- 3-72 für das Element Mangan erläutert:
stellt. Zum Ermitteln der chemischen Zusammen-
setzung des Schweißguts, d. h. des Zu- und Abbrand- Beispiel ❶:
verhaltens, wird die oberste Lage verwendet, die weit- Mit welchem Zubrand (bzw. Abbrand) ist zu
gehend der chemischen Zusammensetzung des rei- rechnen, wenn die Draht-(S1)-Pulver-(P1)-Kom-
nen Schweißguts entspricht (Bild 3-72, mit Ort für bination verwendet wird?
Spanentnahme). Man ermittelt 'Mn O 0,6 %.

Beispiel ❷:
Mit welcher Drahtelektrode wird bei dem ge-
wählten Pulver P3 ein gewünschter Legierungs-
Kupfer Flachstahl gehalt von z. B. 1,1 % Mn im Schweißgut er-
a) b) reicht?
Mit der Drahtelektrode S3 (O 1,5 % Mn) erhält
man 'Mn O 0,4 % (also Abbrand), d. h., der
Mangangehalt im Schweißgut beträgt:
1,5 %  0,4 % 1,1 %.
c)

Beispiel ❸:
Feststellen des neutralen Punktes. Mit der Draht-
elektrode S2 verhält sich das Schweißpulver P2
neutral.

3.3.4.5 Hinweise zur praktischen


Pulverkissen Kupfer Handlagen Ausführung
d) e) Es sind besondere Maßnahmen erforderlich, um das
Bild 3-73 Durchbrechen des verhältnismäßig großvolumigen,
Einige Möglichkeiten der Schmelzbadsicherung beim UP- heißen, also dünnflüssigen Schweißguts zu verhin-
Schweißen. dern. In Bild 3-73 sind einige Möglichkeiten der
a) Genutete Kupferschiene Schmelzbadsicherung dargestellt:
b) Flachstahl-Unterlage
c) geeignete Anordnung der Fügeteile a) Eine üblicherweise genutete Kupferschiene führt
d) Pulverkissen auf Kupferschiene die Wärme des Schmelzbades ab, ohne selbst auf-
e) Vorlegen von Handlagen geschmolzen zu werden.
190 3 Fügen

b) Ein unter die Fügeteile gelegter Flachstahl (Min- – Kessel- und Apparatebau (Rund-, Längs-, In-
destdicke • 10 mm) wird angeschmolzen, bleibt nen-, Außen- und Spiralrohr-Schweißungen), im
also in der Regel mit der Schweißnaht verbun- – Tankbau, auf
den. Wegen der erheblichen Kerbwirkung ist die- – Werften (Paneele, Rippen, Sektionen, Deck, Au-
se Badsicherung für dynamisch beanspruchte ßenhaut), im
Konstruktionen nicht zu empfehlen. – Fahrzeugbau (Chassis, Achsbrücken), im
c) Die geometrische Anordnung der Fügeteile ver- – Maschinenbau (Ständer, Gehäuse), im
hindert das Durchbrechen der Schmelze, z. B. – Stahlbau, Brückenbau (Träger, Platten).
Y-Nahtvorbereitung oder Überlappstoß mit Si-
cke (vorwiegend bei kleineren Behältern, z. B. Das Schweißen von Stumpfnähten bei Werkstückdi-
Propanflaschen). cken unter 4 mm ist wegen des tiefen Einbrandes pro-
d) Kupferschienen, die mit Schweißpulver bedeckt blematisch und unsicher und erfordert in jedem Fall
sind (»Pulverkissen«), leiten intensiv die Wär- geeignete Schmelzbadsicherungen und vor allem fest-
me ab. Das geschmolzene Pulver (Schlacke) spannende und ausreichend massive Vorrichtungen.
stützt und formt die Unterseite der Wurzel. Allerdings lassen sich mit speziellen Fülldrahtelekt-
e) Schweißen von Handlagen. roden und bei Wahl von I-Stößen sehr betriebssiche-
re Schweißnähte herstellen
Kupferschienen eignen sich normalerweise nur zum
Schweißen dünnerer Bleche. Bei großen Stromstär-
ken besteht die Gefahr, dass Kupfer angeschmolzen 3.3.5 Elektronenstrahlschweißen
wird und so in das Schmelzbad gelangt und eine aus- (EB) 23) (Ordnungsnummer: 51)
geprägte Heißrissbildung verursacht. Pulverkissen
verhalten sich in dieser Hinsicht erheblich vorteil- 3.3.5.1 Verfahrensprinzip
hafter, Bild 3-73d). Bei diesem Verfahren dient die Energie eines hoch-
beschleunigten, scharfgebündelten Elektronenstrahls
Die Schweißnahtvorbereitung für das UP-Schweißen zum Erwärmen und Aufschmelzen des Werkstoffs.
muss wesentlich genauer erfolgen als beim Hand- Die Wärme wird nicht wie üblich durch Wärmelei-
schweißen, weil bei größeren Toleranzen der Nahtab- tung und Konvektion, sondern von Umwandlung ki-
messungen die Gefahr besteht, dass die dünnflüs- netischer Energie in Wärme erzeugt. Bei einer ver-
sige Schmelze durchbricht. Die Fugenflanken wer- fahrenstypischen Beschleunigungsspannung von et-
den daher normalerweise mit Hilfe einer spanenden wa 150 kV erreichen die Elektronen rund zwei Drit-
Bearbeitung oder des maschinellen Brennschnei- tel der Lichtgeschwindigkeit. Diese Methode als
dens erzeugt. Werkzeug zur Materialbearbeitung ist bereits seit
den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderte be-
3.3.4.6 Anwendungen und kannt. Seit dieser Zeit nimmt der Anwendungsbe-
Anwendungsgrenzen reich der »Strahlenschweißverfahren« ständig zu.
Das UP-Verfahren eignet sich besonders zum Schwei-
ßen langer, gerader Nähte, d. h. von Längs- und Rohr- Bild 3-74 zeigt schematisch den Aufbau einer Elekt-
rundnähten. Für gekrümmte Nähte sind entsprechen- ronenschweißanlage. Der Elektronenstrahl wird mit
de Führungseinrichtungen des Schweißkopfes oder Hilfe eines aus Kathode (1), Steuerelektrode (2) (Weh-
des Werkstücks erforderlich, die die Kosten und die nelt-Zylinder) und Anode (3) bestehenden Trioden-
Störanfälligkeit des Verfahrens sehr stark erhöhen. systems (Strahlerzeugungssystem) erzeugt. Diese
Die sehr große Abschmelzleistung und hohe Schweiß- Anordnung ähnelt einer Braunschen Röhre, sie be-
geschwindigkeit (bis 4 m/min), die größere Poren- sitzt aber im Vergleich zu dieser eine weitaus grö-
und Risssicherheit sind die herausragenden Merk- ßere Strahlleistung. Die Elektronen treten aus einer
male des Verfahrens. In den meisten Fällen ist es im Vakuum beheizten Wolframelektrode durch ther-
wirtschaftlicher und technisch viel zweckmäßiger, mische Emission aus. Sie werden durch die zwi-
eine große Schweißgeschwindigkeit (Schweißzeit, d. schen Kathode und Anode anliegende Spannung
h., die Herstellzeit wird geringer) zu wählen als ei- auf etwa zwei Drittel der Lichtgeschwindigkeit be-
ne große Abschmelzleistung (d. h. großes Schmelz-
bad, ungünstige Kristallisationsformen, Heißrissge- 23)
Die Verfahrensbezeichnung »EB« ist die Abkürzung für
fahr). UP-Schweißen wird bevorzugt eingesetzt im Electron Beam Welding.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Elektronenstrahlschweißen) 191

schleunigt. Hohe Strahlströme erfordern in erster trode bestimmt also die Größe des Strahlstroms.
Linie möglichst hohe Temperaturen an der Katho- Nach dem Passieren der Anodenbohrung divergiert
de, was sehr große Schmelztemperaturen des Ka- der Elektronenstrahl. Er wird durch das sich anschlie-
thodenwerkstoffs erfordern. Besonders geeignet ßende Strahlführungssystem auf die zum Schwei-
hierfür sind Tantal und Wolfram, z. T. legiert mit ßen erforderliche Leistungsdichte fokussiert. Mit Ab-
Rhenium, die einen sehr geringen Dampfdruck im lenkspulen (7) lässt sich der Elektronenstrahl oszil-
Vakuum besitzen, wodurch eine hohe Lebensdauer lierend bewegen. Der Schweißprozess erfolgt in der
der Kathode erreicht wird. Die zwischen Kathode Vakuumkammer (8).
und Anode angebrachte Steuerelektrode (2) regelt
den Elektronenfluss, wobei die spezielle Form der
auch Wehnelt-Zylinder genannten Einrichtung die
Bündelung des Elektronenflusses bewirkt, vergleich-
bar in ihrer Wirkung etwa mit einem Hohlspiegel
in der Lichtoptik. Diese fokussierende Wirkung
führt zu einer Einschnürung des Elektronenstrahls
(»Crossover«). Die Potentialhöhe an der Steuerelek-
a) b)
1
UHeiz
UB UW 2

3
13
4

14
6 c) d)
13 7
Bild 3-75
Vorgänge beim Tiefschweißen mittels EB- bzw. des LA-
8 Schweißverfahrens (nach Messer-Griesheim).
a) Beim Auftreffen des Elektronen- bzw. Laserstrahls wird
9 die kinetische Energie in Wärme umgewandelt, die den
10 Werkstoff örtlich aufschmilzt und teilweise verdampft.
b) Der hohe Dampfdruck der Schmelze drückt sie zur Seite,
wodurch der Strahl tiefer in den Werkstoff eindringen kann.
11
c) Es entsteht eine durchgehende Dampfkapillare, umge-
ben von einer »flüssigen« Wand.
d) Je nach dem gewünschten Ziel entsteht am Ende des Erstar-
12
rungsprozesses eine Schweißnaht, ein Bohrloch oder ei-
Bild 3-74 ne Schnittfuge.
Schematische Darstellung einer Elektronenschweißanlage.
Es bedeuten: 3.3.5.2 Eigenschaften und Anwendungen
1 Kathode
2 Wehnelt-Zylinder (Steuerelektrode) 3.3.5.2.1 Der Tiefschweißeffekt
3 Anode
Die extrem große Leistungsdichte des Verfahrens
4 Justierspule
5 Vorfokusspule – sie liegt bei etwa 107 (Dauerstrahl) bis 108 W/cm2
6 Hauptfokusspule (Pulsbetrieb) – führt beim Auftreffen des Elektronen-
7 Ablenkspule strahls (abhängig von seinem Fokussierungsgrad)
8 Vakuumkammer auf die Werkstückoberfläche zu extrem tiefen, schma-
9 Sichtfenster len Schweißnähten und sehr großen Schweißge-
10 Werkstück
schwindigkeiten. Diese Möglichkeit ist einer der be-
11 Werkstückschlitten
12 Kammertür merkenswerten Vorteile des Verfahrens und die wich-
13 Anschluss für Vakuumpumpen tigste Ursache für die große Wirtschaftlichkeit des
14 Einblickoptik Elektronenstrahlschweißverfahrens.
192 3: Fügen

Beim Auftreffen des Elektronenstrahls auf die Werk- 3.3.5.2.2 Die Schweißnahtvorbereitung
stückoberfläche (Bild 3-75a) werden die Elektronen Die konventionellen Schweißverfahren schmelzen
stark abgebremst, sie dringen dabei aber nur einige die Nahtflanken nur einige Millimeter nach dem Me-
Mikrometer in den festen Werkstoff ein. Als Folge chanismus der Wärmeleitung auf. Größere Wanddi-
der großen Leistungsdichte schmilzt und verdampft cken erfordern daher eine der Werkstückdicke ange-
der Werkstoff an der Aufschlagstelle ohne große Wär- passte Nahtvorbereitung. Diese muss sicherstellen,
meableitung. Der verdampfende Werkstoff drückt dass die Wärmequelle die gesamte Fugenflanke auf-
die Schmelze nach unten und zur Seite, wobei sich schmelzen kann. Daraus ergibt sich das Konzept
ein schmelzflüssiger, zylinderförmiger Kanal bildet, der Mehrlagentechnik. Mit dem EB-Schweißverfah-
dessen Kern aus Metalldampf besteht, Bild 3-75b. ren können mit Hilfe des Tiefschweißeffekts Schweiß-
Bei ausreichender Energiezufuhr durchdringt der Ka- verbindungen (Stumpfstoß) ohne Zusatzwerkstoff
nal die gesamte Werkstückdicke. Damit der Dampf- als I-Naht hergestellt werden, Bild 3-77. Diese lässt
kanal während des Schweißprozesses ständig offen sich einfach erzeugen und ist deshalb die bevorzug-
bleibt, muss der Dampfdruck die umgebende Schmel- te Nahtform für dieses Schweißverfahren. Die damit
ze gegen ihren hydrostatischen Druck und die Oberflä- schweißbare maximale Wanddicke liegt für Stahl bei
chenspannung der Schmelze an die Kanalwand drü- ungefähr 150 mm, bei Aluminium bei 300 mm. Hohl-
cken. Für den ordnungsgemäßen Ablauf des Schweiß- räume im Bereich der Naht müssen vermieden wer-
prozess ist es wichtig, dass die Nahtfuge genau in den, weil die Schmelze diese Räume explosionsar-
der Achse des Elektronenstrahls liegt. tig ausfüllen würde. Lunkerbildung und gravieren-
de Fehlschweißungen wären die Folge.
1 2 3 4 5

Mit Badunterlagen oder Zentrierlippen, Bild 3-77


lässt sich eine gute Zentrierung der Fügeteile errei-
chen, im Gegensatz zum einfachen I-Stoß. Außerdem
entsteht bei innen nicht zugänglichen Hohlkörpern
so keine Spritzerbildung. Das wird z. B. gefordert,
wenn während des späteren Betriebs Korrosionser-
scheinungen auftreten (können).

Bild 3-76 3.3.5.2.3 Anwendungsbeispiele


Vergleich von Aufschmelzquerschitten verschiedener Schmelz- Einer der größten Vorteile des EB-Schweißverfah-
schweißverfahren. rens ist die extreme Leistungsdichte und damit ver-
Es bedeuten: bunden die sehr große Schweißgeschwindigkeit. Sie
1 Elektronenstrahlschweißnaht (Tiefschweißen)
ist die Ursache für die Möglichkeit, nahezu verzugs-
2 Elektronenstrahlschweißen (Wärmeleitungsschweißen)
3 Plasmaschweißnaht freie Schweißverbindungen herstellen zu können.
4 MAG-Schweißnaht Selbst fertig bearbeitete Werkstücke lassen sich da-
5 WIG-Schweißnaht her EB-Schweißen, ohne dass nach dem Schweißen
eine Nachbearbeitung erforderlich ist. Typische An-
Bild 3-76 zeigt beispielhaft die Einbrandformen ei- wendungsfälle sind der Getriebebau und die Auto-
niger bekannter Schweißverfahren im Vergleich zum mobilindustrie. Da der Schweißprozess im Hochva-
Elektronenstrahlschweißen. Es ist deutlich die Über- kuum abläuft sind die Schweißteile vollständig sau-
legenheit dieses Verfahrens hinsichtlich der erreich- ber, d. h. frei von Oberflächenbelägen aller Art (z.
baren Einbrandtiefe erkennbar. Wird das Verfahren B. Anlauffarben). Die exakte Reproduzierbarkeit
mit einer geringen Strahlintensität (das sind unge- der Schweißarbeiten ist die Garantie für eine gleich-
fähr 100 kW/cm²) betrieben oder der Strahl defo- bleibende Qualität der geschweißten Erzeugnisse.
kussiert (»Wärmeleitungsschweißen«), dann lassen
sich Einbrandtiefen erreichen, wie sie auch mit kon- Der Elektronenstrahl bietet außer dem Verbinden
ventionellen Verfahren erreichbar sind. Da Metalle metallischer Werkstoffe durch das Schweißen eine
Laserstrahlen, abhängig von der eingestrahlten Wel- Reihe von weiteren Anwendungsmöglichkeiten, wie
lenlänge, bis zu 95 % reflektieren, reicht die Strah- z. B. das Härten, Beschichten und Umschmelzen von
lungsintensität nicht aus, um eine Dampfkapillare Oberflächen sowie das Bohren (• 0,1 mm Durchmes-
(»keyhole«) zu erzeugen. ser, gepulster Strahl), s. auch Bild 3-82.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Elektronenstrahlschweißen) 193

Nahtform Vorbereiteter Stoß Geschweißter Stoß

I - Naht, Maßangaben so tolerieren, dass Spalt-


breite = 0, bzw. einen zulässigen Maximalwert
nicht übersteigt

I - Naht mit Zentrierung

I - Naht mit Unterlage als Schmelzsicherung


(Unterlage kann nach dem Schweißen ent-
fernt werden

I - Naht am Überlappstoß, bevorzugt ange-


wendet im Dünnblechbereich (s £ 3 mm)

I - Naht am} T- Stoß (»Stichnaht«) mit Markie-


rung für die Strahlpositionierung

Stirnflächennaht

Gestaltungsgrundsatz Konstruktives Beispiel

Vermeiden von Hohlräumen


(die Schweißschmelze füllt die Hohlräume Hohlraum (Pfeil) zu groß
im Vakuum explosionsartig aus und verur-
sacht Lunkerbildung und gravierende Fehl-
schweißungen)

Hohlraum (Pfeil) richtig

a) Hohlraum mit Entlüftungsbohrung


versehen

b) Keine besondere Vorbereitung für


Überlappnaht erforderlich
a) b)

Schweißen von Fügeebenen, die für konven- Blindnaht


tionelle Schweißverfahren nicht zugänglich
sind

Schweißnaht

Bild 3-77
Einige Konstruktionshinweise und Gestaltungsgrundsätze für das Elektronenstrahlschweißen, nach Merkblatt DVS 3201.
194 3: Fügen

3.3.5.2.4 Schweißeignung der Werkstoffe Die hochreaktiven Metalle, z. B. Titan, lassen sich
Eine wichtige Voraussetzung für die Herstellung wegen der Abwesenheit atmosphärischer Gase her-
betriebssicherer und wirtschaftlicher Schweißverbin- vorragend EB-Schweißen. So ist dieses Verfahren
dungen ist die Kenntnis des Werkstoffverhaltens bei das einzige zum (Tief-)Schweißen von Titan.
den von konventionellen Schweißverfahren stark
unterschiedlichen thermischen Ereignissen beim 3.3.5.2.5 Vor- und Nachteile des Verfahrens
EB-Schweißverfahren. Im Folgenden sollen in einer Zusammenstellung die
wichtigsten Vorteile des EB-Schweißverfahrens dar-
Die extreme Abkühlgeschwindigkeit des Schweiß- gestellt werden:
nahtbereichs führt zu einer sehr feinkörnigen Erstar- – Im Vergleich zu allen konventionellen Schweiß-
rung und einer minimalen Überhitzung des Schweiß- verfahren ist das spezifische Wärmeeinbringen
guts. Die typische gütevermindernde Gussstruktur am niedrigsten.
ist daher nur schwach ausgebildet. Da die Breite der – Es ergeben sich schmalste Wärmeeinflusszonen,
Wärmeeinflusszone insgesamt sehr schmal ist, sind die zu einem extrem geringen Verzug führen.
die mechanischen Gütewerte der Schweißverbin- – Auflösen komplizierter Konstruktionen in ein-
dung i. Allg. gut. Die mit den großen Abkühlge- facher zu fertigende Baugruppen, die sich ohne
schwindigkeiten verbundenen extremen (mehrach- Nachbearbeitung maßhaltig schweißen lassen.
sigen) Schweißeigenspannungen können allerdings – Der Tiefschweißeffekt ermöglicht kurze Ferti-
bei weniger verformbaren Werkstoffen zur Rissbil- gungszeiten (I-Naht ohne Spalt) und Wegfall von
dung im Bereich der Schmelzgrenze bzw. im Schweiß- Schweißzusatzwerkstoffen.
gut führen. – Im Hochvakuum lassen sich problemlos alle
hochreaktiven Werkstoffe (Ti, Zr, Ta, Mo) schwei-
Das Ausgasen der Schweißschmelze wird durch das ßen. Es ergeben sich anlauffarbenfreie Schweiß-
Hochvakuum sehr begünstigt. Das ist ein weiterer nähte.
Grund für die hervorragenden mechanischen Güte- – Gleichzeitiges Schweißen an mehreren Orten:
werte der Schweißverbindung. Der Strahl wird durch das Ablenksystem in
Bruchteilen von Sekunden an die jeweiligen
Im Vergleich zu konventionellen Schweißverfahren Schweißorte geführt und setzt hier den Schweiß-
nimmt wegen der großen Abkühlgeschwindigkeit vorgang fort.
die Härteneigung bei Stählen schon oberhalb 0,15 % – Hohe Wirtschaftlichkeit durch Einlagenschwei-
Kohlenstoff beträchtlich zu. Allerdings ist die höhe- ßungen bei großen Wanddicken und sehr großer
re Härte auf einen sehr schmalen Bereich begrenzt, Schweißgeschwindigkeit.
d. h. diese Zone wird zuverlässig durch benachbar- – Verbindungsschweißungen unterschiedlicher
te zähe Bereiche gestützt. Stähle mit höherem Koh- Werkstoffe ist meistens problemloser als mit
lenstoffgehalt (C • 0,4 %) müssen zum Vermeiden konventionellen Verfahren möglich.
von Kaltrissen allerdings wärmevor- bzw. -nachbe-
handelt werden. Darüber hinaus existieren aber auch einige Nachtei-
le des EB-Schweißverfahrens:
Hochlegierte Stähle sind bis auf wenige Ausnah- – Große Abkühlgeschwindigkeit erhöht die Auf-
men immer elektronenstrahlschweißgeeignet. Das härtungsgefahr und damit die Rissgefahr.
hier vorherrschende Problem der Heißrissbildung – Das Verfahren erfordert große Investitionskos-
(Schweißgut und Wärmeeinflusszone) lässt sich mit ten.
einem d -Primärferritanteil im Schweißgut von ! 5 – Die Abschirmung der beim Schweißen entste-
bis 10 % sicher beherrschen. henden Röntgenstrahlen verursacht zusätzliche
Kosten.
Die schweißtechnische Verarbeitung von Grauguss, – Zum Sichern optimaler Schweißergebnisse sind
Temperguss sowie Gusseisen mit Kugelgrafit berei- eine Vielzahl von Schweißparametern aufeinan-
tet allerdings wegen des sehr großen Kohlenstoffge- der abzustimmen.
halts dieser Werkstoffe große Probleme. Die Schweiß- – Die maximal verschweißbare Bauteilgröße ist
naht ist extrem spröde und rissanfällig. Eine Wärme- von der Größe der Strahlkammer begrenzt.
vor- bzw. -nachbehandlung ist daher zwingend er- – Für den reibungslosen und optimalen Betrieb ist
forderlich. ein erhebliches »Know-how« erforderlich.
3.3 Schmelzschweißverfahren (Laserstrahlschweißen) 195

3.3.6 Laserstrahlschweißen (LA) Bild 3-79b. Dieser Vorgang verläuft spontan und
(Ordnungsnummer: 52) ungerichtet. Er kann aber auch dadurch »induziert«
werden, dass ein Elektron zu einem Übergang von
3.3.6.1 Verfahrensprinzip E2 nach E1 »stimuliert« wird. Das dabei emittierte
Das Wort »Laser« ist ein aus dem Amerikanischen Photon verstärkt das primäre, Bild 3-79c. Die Emis-
stammendes Kunstwort, das die Abkürzung für Light sion erfolgt jetzt gleichgerichtet und phasengleich,
Amplification by Stimulated Emission of Radiation sie ist kohärent und monochromatisch. Zwischen den
ist. Die Übersetzung lautet etwa sinngemäß: Licht- parallel laufenden Spiegeln des Resonators (einer von
verstärkung durch stimulierte Strahlungsemission. ihnen ist halbdurchlässig), kann sich eine stehende
Welle ausbilden, Bild 3-78. Photonen, die sich senk-
Im Gegensatz zum »normalen« Licht (z. B. das ei- recht zu den Spiegeloberflächen bewegen, durchque-
ner Glühbirne) ist die Laserstrahlung gleichgerich- ren immer wieder das aktive Material und werden
tet und phasengleich, sie ist kohärent (gleiche Pha- verstärkt. Die sich schräg zur Längsachse bewegen-
senlage zu unterschiedlichen Zeiten an verschiede- den Photonen verlassen sehr schnell das aktive Me-
nen Orten im Raum, das ist die Grundlage der Licht- dium und werden nicht verstärkt. Den (teildurchläs-
verstärkung) und monochromatisch und ist nur ge- sigen) Auskoppelspiegel verlässt ständig ein Bruch-
ringfügig divergent, d. h. ihre Strahlaufweitung be- teil der Photonen in Form der Laserstrahlung.
trägt nur einige zehntel Millimeter. E2

Resonator Laser- hf hf hf 2 hf
strahl
Aktives Medium
E1
Absorption spontane induzierte
Emission
a) b) c)

Bild 3-79
Wechselwirkungen zwischen Photonen und Elektronen in ei-
nem Atom, nach Hering u. a.
R = 100 % R < 100 %
(Endspiegel) (teildurchlässiger
Energiequelle Spiegel) Abhängig von der Art des aktiven Mediums unter-
z. B. elektrische Gasentladung,
Blitzlampe scheidet sich die Wellenlänge der Laserstrahlung
und damit eine Reihe physikalischer und techni-
Bild 3-78 scher Eigenschaften.
Prinzip der Laserstrahlung, nach Dilthey.
Die wichtigsten technischen Lasertypen sind:
Bild 3-78 zeigt sehr vereinfacht das Prinzip der La- Nd-YAG-Laser 24). Er ist ein Festkörperlaser,
serstrahlung. Im Resonator wird das (aktive) Laser- der vorwiegend zum Schweißen verwendet wird.
medium durch Energiezufuhr (elektrische Gasent- Die Auskopplung der Laserstrahlen erfolgt mit
ladung, Blitzlampen) in den angeregten Zustand ge- Lichtleitfasern, mit denen die Laserstrahlen oh-
bracht. Beim Rücksprung in den Grundzustand oder ne große Probleme direkt an die Wirkstelle ge-
in einen energetisch niedrigeren Zustand wird Ener- führt werden. Die Wellenlänge der Laserstrah-
gie in Form eines Lichtquants frei. Die Wellenlänge lung beträgt 1,06 Pm.
des emittierten Lichts ist für das jeweilige Laserme- CO2-Laser. Der aktive Bestandteil dieses Laser-
dium charakteristisch. Angeregte Elektronen sprin- typs besteht aus CO2-Molekülen sowie N2- und
gen nach etwa 10  8 bis 10 7 s in den Grundzustand He-Anteilen. Die Anregung des Mediums erfolgt
zurück (ihre Aufenthaltswahrscheinlichkeit in den indirekt über eine elektrische Gasentladung.
metastabilen Niveaus beträgt aber bis zu 1 s). Diese Diodenlaser. Der Laserstrahl wird hier von ei-
dienen als »Speicher« für angeregte Elektronen. Die ner mikroelektronischen Diode (GaAs-Halblei-
Energiezufuhr des Lasers (»Pumpen«) füllt die me- ter) erzeugt. Hoher Wirkungsgrad bis zu 50 %.
tastabilen Niveaus mit Elektronen. Entkopplung mit Lichtleitkabeln ist möglich.

Beim Zurückfallen eines Elektrons vom höheren 24)


Der Kristall ist ein Yttrium-Aluminium Granat (Nd-YAG),
Energieniveau E2 auf das Ausgangsniveau E1 wird bei dem im Gitter Y3+ -Ionen durch Nd3+ -Ionen (Neo-
ein Photon der Energie Eph hf E2  E1 ausgesandt, dym) ersetzt werden, die der aktive Bestandteil sind.
196 3: Fügen

Strahlschalter Strahlführung Strahlumlenkung


Resonator

Endspiegel Auskoppelspiegel

Absorber Strahlformung
(Spiegelfokussier-
system)
Laser

Werkstück

Werkstückhandhabung
Bild 3-80
Schematischer Aufbau einer CO2-Laserschweißanlage, nach Dilthey.

Bild 3-80 zeigt schematisch den Aufbau einer CO2- Die Art der Nahtvorbereitung entspricht weitgehend
Laserschweißanlage. Diese besitzt im Vergleich zu der für das EB-Schweißen angewendeten, Bild 3-77.
anderen Lasersystemen einen relativ hohen Wir-
kungsgrad (h 15 %). Der CO2-Laserstrahl wird vom Grundsätzlich lassen sich alle Werkstoffe schweißen,
Resonator über ein aus Umlenkspiegeln bestehen- die sich auch mit konventionellen Schweißverfahren
des Strahlführungssystem auf das Werkstück gelei- verbinden lassen. Vor allem Stahl und Aluminium
tet. Am Werkstück wird der Strahl schließlich auf werden lasergeschweißt. Unlegierte Stähle mit ei-
die für die Bearbeitungsaufgabe erforderliche Form nem C-Gehalt bis 0,15 % sind ausgezeichnet laser-
gebracht. strahlschweißgeeignet. In Stählen über 0,2 % Koh-
lenstoff entstehen als Folge der extremen Abkühl-
3.3.6.2 Eigenschaften und Anwendung geschwindigkeit oftmals unzulässige Härtespitzen.
Auch beim Laserstrahlschweißen wird der Tief- Abhilfe schafft in den meisten Fällen ein Defokus-
schweißeffekt angewendet, der bereits in Abschn. sieren des Laserstrahls.
3.3.5.2.1 für das EB-Schweißverfahren beschrieben
wurde. Der Tiefschweißeffekt entsteht bei Stahl bei Die Energieeinkopplung hängt sehr stark von der Ab-
Strahlleistungen über 106 W/cm2. Dabei bildet sich sorption der Laserstrahlung ab. Diese Größe wird
ein schmaler mit verdampfendem Werkstoff gefüll- Nd - YAG - Laser CO 2 -Laser
ter Kanal, dessen Durchmesser etwa dem des Laser- 1,06 m m 10,6 m m
0,30
strahls entspricht. Der Dampfkanal bewegt sich ent-
Ag Cu
lang dem Schweißstoß. Der aus ihm entweichende 0,25
Absorption A

Metalldampf erzeugt ein Plasma über der Werkstück-


0,20
oberfläche. Damit dieses Plasma den einfallenden
Fe Stahl
Laserstrahl nicht defokussieren kann und damit den 0,15
Schweißprozess empfindlich stört, führt man inerte
0,10 Al
Gase (oder Mischungen von ihnen) als Prozessgas Mo
zu. Dieses schützt das Schmelzbad außerdem vor 0,05
dem Einfluss der atmosphärischen Gase. Das Laser-
0
strahlschweißen erfordert kein Vakuum, daher wird 0,1 0,2 0,3 0,5 0,81 2 4 5 8 10 m m 20
die Bauteilgröße nicht durch eine Kammer begrenzt. Wellenlänge l
Außerdem ist das Laserstrahlschweißen wesentlich Bild 3-81
einfacher und schneller in der Handhabung (Erzeu- Absorption verschiedener Werkstoffe in Abhängigkeit von
gen des Vakuums entfällt). der Wellenlänge der Laserstrahlung.
3.4 Widerstandsschweißen 197

von der Oberflächenqualität und von der Wellenlän- – Es ist keine Vakuumkammer erforderlich.
ge der Laserstrahlung bestimmt, Bild 3-81. Danach – Eine Abschirmung des Arbeitsraumes gegen
lässt sich z. B. das hochreflektierende Metall Kup- Röntgenstrahlung ist nicht erforderlich.
fer kaum laserstrahlschweißen, es wird aber als Spie- – Beim Festkörperlaser (Nd-YAG-Laser) erfolgt die
gelwerkstoff eingesetzt. Stahlwerkstoffe reflektieren Strahlführung mit Hilfe von Glasfaserkabeln, wo-
die Laserstrahlen bis zu 95 %, d. h. bei geringen durch diese »beweglich« wird. Dreidimensiona-
Strahlintensitäten (I … 10 5 W/cm2) ist daher ledig- le Konturen lassen sich so relativ einfach mit Hil-
lich ein Wärmeleitungsschweißen möglich, bei dem fe von Robotern schweißen.
nur die Oberfläche angeschmolzen wird. Abhängig – Bei Einbrandtiefen unter 5 mm und schweißgeeig-
von der Strahlintensität sind eine Reihe verschie- neten Werkstoffen bei großen Werkstücken kos-
denartigster Metallbearbeitungen möglich. Bild 3-82 tengünstiger als das EB-Schweißverfahren.
zeigt die Einsatzbereiche des Werkzeugs »Laser« – Anders als beim EB-Schweißverfahren ist eine
in der Metallbearbeitung. elektrische Leitfähigkeit des Werkstoffs nicht er-
forderlich.
107
– Extrem große Abkühlgeschwindigkeiten.
W
cm2 Schweißen – Hohe Investitionskosten.
Laserstrahlintensität I

6
10
Schneiden
Beschichten
3.4 Widerstandsschweißen
105 Umschmelzen Legieren
(Ordnungsnummer: 2)
104
Härten Die stoffschlüssige Verbindung der Fügeteile beim
Widerstandsschweißen elektrisch leitfähiger Werk-
103
stoffe wird mit Hilfe eines durch die Verbindungsstel-
0 le fließenden elektrischen Stromes durch den elektri-
10- 4
10- 3
10- 2
10- 1 100 s
Einwirkzeit t E schen Widerstand der Schweißzone erzeugt (Wider-
Bild 3-82 standswärme, Joulesche Wärme). Es wird mit oder
Einsatzbereiche des Lasers in der Metallbearbeitung, nach ohne Kraft und in den meisten Fällen ohne Schweiß-
Dilthey. zusatz(-werkstoff) geschweißt

Die Möglichkeit, die Strahlintensität an der Werk- Je nach der Art der Stromübertragung und dem Ab-
stückoberfläche durch Fokussieren und Ändern der lauf des Schweißens unterscheidet man zwei große
Bearbeitungsgeschwindigkeit reproduzierbar ändern Verfahrensgruppen:
zu können, machen den Laser zu einem flexiblen, Widerstandspressschweißen
berührungslosen Werkzeug. Der Strom für die Erwärmung der Fügeteile wird
konduktiv über Elektroden zugeführt oder in-
Selbst (thermoplastische) Kunststoffe lassen sich we- duktiv durch gut wärmeleitende Induktoren über-
gen der einfachen und weitgehenden Änderung der tragen (DIN 1910-100).
Strahlintensität schweißen. Die Schweißnähte wer- Widerstandsschmelzschweißen
den meistens als Überlappnähte ausgeführt, wobei Durch Widerstandserwärmen werden die Stoß-
das obere Kunststoff-Fügeteil für die verwendete Wel- flächen der Fügeteile aufgeschmolzen, und et-
lenlänge der Laserstrahlung transparent sein muss, waiger Schweißzusatz wird verflüssigt, siehe Ab-
während der untere die Strahlung absorbiert. Häu- schn. 3.4.2.
fig setzt man absorbierende Partikel (z. B. ca. 0,3 %
Ruß) zu, wodurch der Kunststoff zu schmelzen be- Die wichtigsten Widerstandspressschweißverfah-
ginnt. Die entstandene Wärme wird auch an das obe- ren sind
re Fügeteil abgegeben. Die Fügeteile müssen durch – Punktschweißen,
äußeren Druck fixiert werden. – Rollennahtschweißen (Foliennahtschweißen, Fo-
lienstumpfnahtschweißen),
3.3.6.3 Vor- und Nachteile des Verfahrens – Buckelschweißen,
Im Folgenden werden summarisch einige Vor- und – Pressstumpfschweißen und
Nachteile des Laserschweißverfahrens mitgeteilt: – Abbrennstumpfschweißen.
198 3: Fügen

F Die Stoffwiderstände sind i. Allg. als unveränderlich


R1 I anzusehen. Die Kontaktwiderstände schwanken aber
erheblich in Abhängigkeit vom Oberflächenzustand
R2 Schweißlinse der Werkstücke und der Elektrodenspitzen.
R3
Die Schweiß- und Fertigungsbedingungen sind so
zu steuern, dass im Widerstand R4 – das ist die ge-
Netz
R4 wünschte Verbindungsstelle zwischen den Werkstü-
cken – die größte Wärmemenge erzeugt wird. Die
R5 Erwärmung aller anderen Teilwiderstände sollte
R6 möglichst gering sein (»Verlustwärme«, die auch die
Punktschweißelektroden verschleißt). Dies lässt sich
R7 Sekundärkreis Primärkreis mit der »richtigen« Wahl der Schweißbedingungen
F Schweißstrom I, Schweißzeit t und Elektrodenkraft
R1, R3, R5, R7 Stoffwiderstände F Elektrodenkraft F erreichen. Die Kontaktwiderstände R2, R4, R6 sind
R2, R4, R6 Kontaktwiderstände I Schweißstrom dabei für die Güte der Verbindung von wesentlicher
Bild 3-83 Bedeutung (siehe Abschn. 3.4.1.1.5).
Verfahrensprinzip des Widerstandspunktschweißens.
Die Differenz aus erzeugter Wärmemenge je Zeitein-
Der Anwendungsbereich der Verfahren erstreckt heit durch Leitung (und Strahlung) und abgeführter
sich von Folienschweißungen bis zu Verbindungen muss zum Herstellen der Schweißverbindung ausrei-
mit einer Gesamtwerkstückdicke von etwa 10 mm. chen. Das ist die wichtigste Voraussetzung für die Her-
Bei Schweißströmen von einigen 1000 A bis über stellung der Schweißverbindung. Die große thermi-
100 000 A liegen die Schweißspannungen deutlich sche Leitfähigkeit des Kupfers ist die wesentlichs-
unter 20 V. Die erforderliche erhebliche elektrische te Ursache für die schlechte Schweißeignung dieses
Leistung wird im Sekundärkreis geeigneter (leis- Werkstoffs für das Widerstandspressschweißen, s.
tungsfähiger) Transformatoren erzeugt. Bild 3-83 DVS-Merkblatt 2902-2. Große Abkühlgeschwindig-
verdeutlicht schematisch das Prinzip des (Punkt- keiten als Folge einer großen Wärmeleitfähigkeit füh-
schweiß-)Verfahrens. ren außerdem bei Werkstoffen wie Stahl zu Aufhär-
tungserscheinungen und damit zur Rissneigung. Ei-
ne große Wärmeleitfähigkeit, wassergekühlte Elekt-
3.4.1 Widerstandspressschweißen roden und von Oberflächenschichten (z. B. Rost, Far-
be) freie Werkstoffoberflächen sind dagegen sehr er-
3.4.1.1 Widerstandspunktschweißen wünscht, da die an den Kontaktstellen Elektrode-
(Ordnungsnummer: 21) Werkstück (R2, R6 ) entstehende Wärmemenge mög-
lichst gering sein soll, um ein Anlegieren (»Kleben«)
3.4.1.1.1 Wärmeerzeugung an der der Elektroden auf dem Werkstück zu vermeiden.
Schweißstelle F An den Kontaktwiderständen
Durchfließt ein elektrischer Strom I den ohmschen (Übergangswiderstände)
R2, R4, R6 entstehen die
Widerstand R während einer Zeit t, dann wird in höchsten Temperaturen
R2
ihm eine Wärmemenge erzeugt, die nach dem Joule-
schen Gesetz berechnet werden kann, Bild 3-84:
Q I 2 ¹ R ¹ t. R4

Hier ist R 6 Ri R1  R2  ...  R7 praktisch der


Gesamtwiderstand im Sekundärkreis (ohne den Wi-
R6
derstand des Kabels und der sekundären Trafowick-
lung), Bild 3-74, der aus
– Stoffwiderständen: Elektroden, (R1, R7 ), Werk- TS Temperatur T
stücken (R3, R5 ) und F
– Kontaktwiderständen: Elektrode-Werkstück (R2, Bild 3-84
R6 ), Werkstück-Werkstück (R4 ) besteht. Typische Temperaturverteilung beim Punktschweißen.
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandspressschweißen) 199

handene Kontaktfläche stromleitend ist, sondern nur


ein bestimmter Anteil, nämlich die wahre Kontakt-
fläche. Mit zunehmender Elektrodenkraft wird diese
Kontaktwiderstand Rk

durch plastische Verformung größer und damit der


Kontaktwiderstand geringer, wie Bild 3-85 zeigt.
Bemerkenswert ist der bei geringen Elektrodenkräf-
ten sehr große Streubereich der Kontaktwiderstän-
de. Die Folgen sind unterschiedliche Schweißströ-
me, d. h. unterschiedliche Festigkeitseigenschaften
der einzelnen Schweißpunkte.
1

Ähnlich problematisch verhalten sich die Oberflä-


2 chenschichten, wie z. B. Oxide, Fette, Anstriche bzw.
Elektrodenkraft F Beläge aller Art. Durch genügend große Elektroden-
kräfte können zwar dünne Oberflächenschichten bei
1: Rk für Werkstück - Werkstück Streubereich geeigneten Formen der Elektrodenspitze – z. B. leicht
2: R k für Elektrode - Werkstück
ballig (Abschn. 3.4.1.1.4) – zerquetscht werden, die
Bild 3-85 Werkstückoberfläche weist aber dann häufig Mar-
Einfluss der Elektrodenkraft auf den Kontaktwiderstand beim kierungen auf, und der Verschleiß der Elektrode ist
Punktschweißen. i. Allg. wesentlich größer. In den meisten Fällen
müssen daher die Oberflächenschichten beseitigt
Bild 3-84 zeigt schematisch die typische Tempera- werden. Das kann mit Hilfe von
turverteilung beim Punktschweißen. Die Tempera- – mechanischen Verfahren (Bürsten, Schleifen,
tur an der Schweißstelle (R4) überschreitet im Allge- Schaben) oder mit
meinen die Schmelztemperatur TS der Grundwerkstof- – physikalisch-chemischen Verfahren (z. B. Glü-
fe. Der Bereich des beim Punktschweißen flüssig hen in reduzierender Atmosphäre, Beizen)
gewordenen Werkstoffs wird nach dem Erstarren erreicht werden.
als Schweißlinse bezeichnet.
Gemäß dem Jouleschen Gesetz Q I 2 ¹R¹ t ist der
Die für den Punktschweißprozess erforderliche Wär- Einfluss des Schweißstroms auf die zu erzeugende
memenge ist nicht nur gemäß dem Jouleschen Ge- Wärmemenge Q am größten. Der Schweißstrom I
setz von I, R und t abhängig, sondern auch von einer in einem Wechselstromkreis beträgt bei der Sekun-
Reihe verfahrenstechnischer Besonderheiten und Er- därspannung U:
fordernissen sowie den Eigenschaften des zu schwei- U
ßenden Werkstoffs. I=
R + w 2 ◊ L2
2

3.4.1.1.2 Verfahrenstechnische Grundlagen Hierin bedeuten:


Die innerhalb einer bestimmten Schweißzeit bei ge- R gesamter ohmscher Widerstand im Sekundär-
gebenem Schweißstrom erzeugte Wärmemenge ist kreis einschließlich aller Kontaktwiderstände,
abhängig von der w Kreisfrequenz 2 ¹S¹f (f Netzfrequenz),
– Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs und des Elekt- L Gesamtinduktivität.
rodenwerkstoffs und von den
– Kontaktwiderständen, d. h. vom Oberflächenzu- Bei konstanter Sekundärspannung nimmt der Schweiß-
stand von Elektrode und Werkstück. strom mit dem Widerstand und der Induktivität ab.
Je nach Größe der »Sekundärschleife« (Sekundärfens-
Der Kontaktwiderstand wird durch die Oberflächen- teröffnung, Abschn. 3.4.1.1.5) und der Menge des sich
rauigkeit und die Art und Menge nicht- bzw. schlecht- in ihr befindlichen magnetisierbaren Werkstoffs kann
leitender Oberflächenschichten, wie z. B. Oxide, Öl die Induktivität erhebliche Werte annehmen. Der
oder Farbe bestimmt. für die Qualität der Schweißverbindungen wichtige
hinreichend konstante Schweißstrom lässt sich also
Die Oberflächenrauigkeit ist die Ursache dafür, dass nur mit (kleinen) möglichst konstanten Widerstän-
zu Beginn der Schweißung nicht die gesamte vor- den und Induktivitäten erreichen.
200 3: Fügen

Den grundsätzlichen Einfluss des Schweißstroms Mit zunehmenden Schweißzeiten vergrößert sich die
auf die Scherzugfestigkeit 25) der Verbindung zeigt Menge an verflüssigtem Werkstoff an der Schweiß-
Bild 3-86. Unterhalb bestimmter (geringer) Werte stelle, die wärmebeeinflusste Zone wird größer und
ist die erzeugte Wärmemenge geringer als die abge- der erweichte Grundwerkstoffanteil nimmt zu. Da-
führte, eine Verbindung kommt daher nicht zustan- durch können Spritzerbildung, Porenbildung sowie
de (Punkt 1, 2). Zu große Schweißströme führen eine unzulässige Verformung der Werkstückoberflä-
zum Spritzen des verflüssigten Werkstoffs d. h. zur che bzw. des Werkstücks durch die eindringenden
Bildung von Lunkern und Poren, zum Verringern Elektrodenspitzen entstehen.
der Querschnittsfläche, evtl. zur Rissbildung und
damit zu einer erheblichen Abnahme der Scherzug- Zum Verbinden dicker Werkstücke (s • 3 mm) ist es
festigkeit (Punkt 4) d. h. der Bauteilsicherheit. Op- zweckmäßiger, mit kurzzeitigen Impulsen (sog. Pha-
timale Scherzugfestigkeiten ergeben sich, wenn der senanschnitttechnik) zu arbeiten als mit einer konti-
Prozess des Spritzens gerade beginnt. nuierlich wirkenden Schweißzeit. Hierdurch wird
überwiegend die Temperatur in der Schweißstelle
3 1 (Bild 3-84) erhöht, weniger die an den Kontaktstel-
len Werkstück-Elektrode, weil die wassergekühlte,
gut wärmeleitende Elektrode die Wärme an diesen
Scherzugfestigkeit t

2
4 Orten sehr viel rascher abführt als die Schweißlin-
F

de
se und der sie umgebende hoch erhitzte Bereich.
3
Beim Punktschweißen wird die Wärme infolge der
Wirkung des elektrischen Stroms, hauptsächlich auf-
2 grund des Widerstands der Werkstücke – vorzugswei-
4 se des Kontaktwiderstands R4 Werkstück-Werkstück,
Spritzerbildung, gemäß Bild 3-83 – erzeugt. Der Strom wird über me-
1 F Poren tallische Punktschweißelektroden (Kupferlegierun-
Schweißstrom I gen!) zugeführt, die gleichzeitig die flächigen Tei-
Einstellwerte, z. B. zum Schweißen von (niedrig-)legiertem Stahl le unter Anwendung von Kraft zusammenpressen.
Werkstückdicke s 2 x 0,5 mm 2 x 2 mm Daher muss der Elektrodenquerschnitt ausreichend
Schweißstrom I 6,5 kA 11,5 kA
Schweißzeit t 7 Perioden 25 Perioden groß sein; der Werkstoff der Elektrode soll eine mög-
Elektrodenkraft F 1000 N 4000 N lichst hohe Wärmeleitfähigkeit haben.
Bild 3-86
Einfluss des Schweißstroms auf die Größe der Scherzugfes- Das Ergebnis der Schweißung ist ein linsenförmig
tigkeit von Punktschweißverbindungen. ausgebildeter Schweißpunkt, die Schweißlinse (Bild
3-83). Diese ist der durch den Schweißvorgang in
Die erforderliche Wärmemenge ist zweckmäßiger seinem Gefüge veränderte, aus dem flüssig gewor-
in Form von sehr kurzzeitig wirkenden, großen elekt-
rischen Leistungen (U 2 ¹ R) zu erzeugen, als mittels
entsprechend geringeren Leistungen und längeren
Zeiten. Die Schweißzeit – genauer die Stromzeit, al-
so die Dauer, während der der Schweißstrom fließt
– beträgt bei dünnwandigen Werkstücken einige Pe-
rioden und bei dickwandigeren bis zu einigen Sekun-
den 26).

25) a) b) c)
Die Scherzugfestigkeit wird vielfach als Kennwert für die
erreichten Festigkeitseigenschaften von Punktschweißver- Bild 3-87
bindungen verwendet. Die Probenform und die Versuchs- Verfahrensvarianten des direkten Punktschweißens.
durchführung sind in Bild 3-86 schematisch angegeben. a) Übliche (Zweiblech-)Variante
26)
Zum Beispiel drei Perioden bei 0,8 mm dickem und 0,3 s b) Dreiblech-Punktschweißen
bei 4 mm dickem Stahlblech, s. DVS 2902-1. c) Doppelpunktschweißen
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandspressschweißen) 201

denen Grundwerkstoff bestehende Bereich, der die beschichteter Bleche ist nur mit dieser Verfahrens-
Werkstücke miteinander verbindet. Die Güte der variante möglich, da die Kunststoffschicht einen
Schweißpunkte wird in erster Linie von folgenden Stromfluss unmöglich macht. Sehr schlecht oder
Faktoren bestimmt: nicht punktschweißgeeignet sind lackierte Bleche,
– Richtige Wahl der an der Schweißmaschine ein- feinperlitische (»sorbitisch vergütete«) Federstähle
stellbaren Einflussgrößen: Schweißstrom, Strom- und Stähle mit einer emaillierten Oberfläche.
zeit, Elektrodenkraft, Durchmesser der Elektro-
denkontaktfläche (Abschn. 3.4.1.1.2). 3.4.1.1.4 Punktschweißelektroden
– Zustand der Werkstückoberfläche (s. Abschn. Elektroden sind Verschleißteile und deshalb aus-
3.4.1.1.2) und der Elektrodenspitzen (s. Abschn. wechselbar. An sie werden folgende Anforderungen
3.4.1.1.4). gestellt:
– Symmetrische Ausbildung der Punkte, d. h., die – Gute elektrische und thermische Leitfähigkeit,
verflüssigten Anteile der beiden Werkstücke soll- – große Warmhärte,
ten im Idealfall gleich sein (Abschn. 3.4.1.1.5). – hohe Anlassbeständigkeit,
– geringe Neigung zum Anlegieren mit dem Werk-
3.4.1.1.3 Verfahrensvarianten stück (»Kleben«), z. B. häufig bei verzinkten
Aus konstruktiven, fertigungstechnischen und werk- Blechen,
stofflichen Gründen werden außer dem direkten – sichere Kühlung der Elektrodenspitze.
Punktschweißen (Bild 3-87) eine Reihe von Verfah-
rensvarianten verwendet, die besondere Vorteile und Wegen der geringen Festigkeit wird reines Kupfer
Möglichkeiten bieten, s. DVS-Merkblatt 2939. sehr selten verwendet. Kupfer legiert mit Chrom,
Silber, Beryllium, Molybdän und anderen Metallen
Beim direkten Punktschweißen gemäß Bild 3-87 sind die bevorzugten Werkstoffe. Eine solche Legie-
wirken die einer Transformatorwicklung zugeord- rung eignet sich wegen der wesentlich größeren Fes-
neten Elektroden auf beiden Seiten der Werkstücke. tigkeit auch bei höheren Temperaturen sehr viel bes-
Beim Doppelpunktschweißen ist es häufig bei klei- ser als Elektrodenwerkstoff.
nen Punktabständen schwierig, an beiden Schweiß- d1 d1
stellen gleiche Elektrodenkräfte zu erzeugen. In die-
sen Fällen ist dann das Buckelschweißen oft geeig-
neter (siehe Abschn. 3.4.1.3).

Bild 3-88 zeigt zwei Varianten des indirekten Punkt-


schweißens, bei denen die der Sekundärwicklung des
s

Transformators zugeordneten Elektroden auf einer


Seite der Werkstücke wirken. Diese Verfahren kön-
nen bei schlechter Zugänglichkeit bzw. bei großen,
sperrigen Teilen fertigungstechnische Vorteile bie-
ten. Das Punktschweißen einseitig mit Kunststoff

d2
Blind-
elektrode a) b)
Kunststoff-
schicht Bild 3-89
Geometrie üblicher Punktschweißelektroden.
a) Elektrode plan
b) Elektrode ballig (d1 O 4 ◊ s bis d1 O 10 ◊ s)

Form und Abmessungen der Elektroden bestimmen


a) b) weitgehend die Wärmeleitung, Stromdichte, Kontakt-
widerstände und Größe der Schweißlinse. Der größ-
Bild 3-88
Verfahrensvarianten des indirekten Punktschweißens. te Durchmesser der Elektrode d1 gemäß Bild 3-89a)
a) Punktschweißen mit Blindelektroden ist so zu wählen, dass er für die Übertragung des
b) Punktschweißen kunststoffbeschichteter Bleche Schweißstroms und der Elektrodenkraft ausreicht.
202 3: Fügen

Der Durchmesser der Kontaktfläche d2 hängt von der gemäß Bild 3-90 angeordnet werden. Diese Maß-
Werkstückdicke s der zu schweißenden Teile nach nahme ist nur geeignet, wenn der Eindruck auf ei-
folgender Beziehung ab: ner Seite vermieden werden soll, da wegen der er-
forderlichen sehr hohen Stromdichte eine Stirnflä-
4 ¹s … d2 … 10¹ s.
che der Elektroden klein genug sein muss.
Der Punktdurchmesser de (Linsendurchmesser, Bild
3-91) beträgt üblicherweise: Stromnebenschluss
Stromnebenschlüsse können u. a. infolge einer nicht
0,7 ¹ d2 … de … 0,8¹d2.
punktschweißgerechten Konstruktionen und wegen
Die plane Elektrode wird vorzugsweise für Schweißtei- zu kleiner Punktabstände entstehen. Diese Zusam-
le mit blanken Oberflächen verwendet, Bild 3-89a). menhänge verdeutlicht Bild 3-91. Die Folgen sind
Zweckmäßiger ist die ballige Form, da dünne Oxid- geringere Schweißströme, die wegen der dann entste-
schichten zerquetscht werden und wegen der anfäng- henden kleineren Linsendurchmesser de zu kleine-
lichen Punktberührung die gewünschten sehr gro- ren Scherzugfestigkeiten der Schweißpunkte füh-
ßen Stromdichten entstehen, Bild 3-89b). ren. Als brauchbarer Anhaltswert für Stahl kann ein
Mindestpunktabstand lmin von etwa 4¹de bis 5¹de, für
Um die Standzeit zu verlängern, werden die Elekt- gut leitende Werkstoffe wie Aluminium ein solcher
roden grundsätzlich wassergekühlt. Der Verschleiß von 8¹de bis 10 ¹de angenommen werden.
der Elektrodenspitze führt zwangsläufig zu einer grö-
ßeren Kontaktfläche, d. h. zu einer geringeren Strom- Thermisches Gleichgewicht
dichte. Dieser »schleichende Fehler« muss beson- Symmetrische Schweißlinsen sind eine wichtige
ders bei der Massenfertigung sorgfältig kontrol- Voraussetzung für die Herstellung hochwertiger
liert, erkannt und behoben werden. Die Oberfläche Schweißpunkte. Sie können nur erreicht werden,
der Elektrodenspitze ist durch vorsichtiges Schmir- wenn in den zu verbindenden Teilen die gleiche
geln und Polieren, am sichersten durch Drehen – auf Wärmemenge erzeugt wird.
keinen Fall durch Feilen! – metallisch blank und in
Form zu halten, damit die Kontaktwiderstände mög-
lichst klein bleiben.

3.4.1.1.5 Technologische Besonderheiten


Elektrodeneindrücke
In manchen Fällen ist es notwendig, dass die Ein-
drücke der Elektrode auf der Werkstückoberfläche
nicht erscheinen. Dies gelingt mit Elektroden mit ei-
ner großflächigen äquidistanten, möglichst glatten
Arbeitsfläche, die an der zu schützenden Oberfläche a) b)

Großflächige, plane Elektrode


verhindert bzw. vermindert Ein- de
drücke auf Blechoberfläche

lmin l 4 × d e bis l 5 × d e
c)

Bild 3-91
Stromnebenschlüsse in Punktschweißverbindungen.
a) Stromverlauf ohne Nebenschlüsse
b) Nebenschluss als Folge zu dicht nebeneinander liegen-
Bild 3-90 der Schweißpunkte
Ausbildung der Elektrode (großflächig, plan), wenn Eindrü- c) mit lmin O4 ◊ de bis 5 ◊ de lassen sich Nebenschlüsse vermei-
cke auf einer Blechoberfläche vermieden werden müssen. den
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandspressschweißen) 203

Das thermische Gleichgewicht wird von der thermi- möglichst geringem Umfang in die »Fensteröffnung«
schen und elektrischen Leitfähigkeit der Werkstü- eintauchen. Vorrichtungen aus unmagnetischen
cke sowie von ihren Abmessungen beeinflusst. Bild Werkstoffen sind ebenfalls sinnvoll.
3-92a) zeigt die unsymmetrische Ausbildung der
Schweißpunkte bei unterschiedlicher Wanddicke und
Leitfähigkeit der Fügeteile. Durch Elektroden mit
großen Arbeitsflächen am Werkstück mit dem grö-
ßeren Widerstand bzw. der geringeren Wärmeleitfä-
higkeit ergeben sich die gewünschten symmetrischen

A
Schweißpunkte gemäß Bild 3-92b).

Werkstücke mit
unterschiedlicher unterschiedlicher
Wanddicke s1 < s2 Wärmeleitfähigkeit l1 > l2

L
s1

Bild 3-93
l1
Zur Definition der Sekundärfensteröffnung, S = A ◊ L.
l 2
s2

Strom- und Kraftprogramme


Die weitgehende Verwendung elektrischer und elekt-
ronischer Steuer- und Regelsysteme in modernen
a)
Punktschweißmaschinen erlaubt die beliebige Abfol-
ge der wichtigsten Einstellgrößen Schweißstrom und
Elektrodenkraft, wie es Bild 3-94 zeigt. Diese Strom-
und Kraftprogramme werden für folgende Werkstof-
fe angewendet:
– Schlecht schweißgeeignete Stähle, die aufhär-
tungsempfindlich sind (C ! 0,2 %), d. h. zur Riss-
bildung neigen,
b)
– thermisch und metallurgisch empfindliche Werk-
Bild 3-92 stoffe, wie z. B. Aluminiumlegierungen und aus-
Zum thermischen Gleichgewicht beim Punktschweißen. härtbare Werkstoffe, z. B. AlMgSi-Typen,
a) Unsymmetrische Schweißlinsen als Folge unterschiedli- – dickwandige Werkstoffe (s ! 4 mm) oder für
cher Wanddicken bzw. unterschiedlicher thermischer Wär-
– höchste Qualitätsansprüche, z. B. in der Luft-
meleitfähigkeit der Fügeteile
b) Elektroden mit großen Arbeitsflächen auf dem stärker zu fahrttechnik.
erwärmenden Fügeteil (größere Wanddicke, geringere Wär- Elektrodenkraft-
meleitfähigkeit) symmetrieren die Schweißlinsen programm
Elekrodenkraft F, Strom I

Sekundärfensteröffnung
Diese ist eine Fläche und wird gebildet aus Armab-
stand A und Ausladung L entsprechend Bild 3-93. Vorwärm- Schweißstrom Nachwärm-
strom strom
Je größer sie ist, und je mehr magnetisierbarer Werk-
stoff in sie eintaucht oder sich in ihrer unmittelbaren
Nähe befindet, um so größer wird der induktive Wi-
derstand w L. Die Folge ist eine Abnahme des wirksa-
Zeit t
men Schweißstroms (Impedanzverlust). Mit zuneh-
Schweißen
mender Kreisfrequenz w werden auch die indukti- Vorwärmen mit Stromanstieg Nachwärmen
ven Verluste größer. Bei Gleichstrom-Schweißma- mit Stromanstieg und Stromabfall mit Stromabfall

schinen können daher induktive Ströme (Blindströ- Bild 3-94


me) nur noch beim Einschalten entstehen. Der Kons- Beispiel für ein Elektrodenkraft- und Schweißstromprogramm
trukteur hat darauf zu achten, dass die Fügeteile in beim Punktschweißen.
204 3: Fügen

Der Ablauf und die schweißtechnischen Vorteile ei- Lassen sich die Werkstücke einfach transportieren,
nes derartigen Programms lassen sich wie folgt be- dann wird in der Regel mit stationären Maschinen
schreiben: gearbeitet. Im anderen Fall kann die Maschine in
– Vorwärmen. Der Vorwärmstrom erzeugt eine Form leicht beweglicher Punktschweißzangen an
Wärmeenergie, die zum Schweißen unzurei- die Werkstücke herangeführt werden, wie dies z. B.
chend ist, die Abkühlgeschwindigkeit aber ent- weitgehend in der Automobilfertigung geschieht.
sprechend verringert. Die hohe Vorpresskraft In einem solchen großen Fertigungsbereich wird
sorgt für ein sattes Anliegen der Fügeteile. der Arbeitsablauf durch Industrieroboter bestimmt.
– Schweißen. Während des eigentlichen Schweiß- Diese können als Träger der Punktschweißzangen
vorgangs wird die Presskraft herabgesetzt (R und dienen oder als Zubringer- oder Übergabeeinrich-
I 2 ¹ R nehmen zu), und der Schweißstrom wird tungen arbeiten, die die Punktschweißmaschine mit
erhöht. Dieser kann in Form eines Impulses oder den Fügeteilen beschicken und die fertigen Teile ent-
mehrerer Impulse wirken. Den Schweißstrom nehmen und weiterleiten. Die universelle Verwend-
wählt man bei sehr empfindlichen Werkstoffen barkeit der frei programmierbaren Industrieroboter
(z. B. aushärtbaren Legierungen) in einigen Fäl- erspart in vielen Fällen die teuren Sonderanlagen
len kontinuierlich ansteigend oder abfallend. (Transferstraßen).
– Nachwärmen. Mit dieser Wärmebehandlung
wird in erster Linie die metallurgische Qualität 3.4.1.2 Rollennahtschweißen
der Verbindung verbessert. Anlasseffekte und das (Ordnungsnummer: 22)
Verringern der Abkühlgeschwindigkeit als Fol- Beim Punktschweißen können je nach Wahl des
ge des Stromabfalls sind die wichtigsten Ziele Punktabstandes Heftnähte, Festnähte oder bei sich
dieser Behandlung. überlappenden Punkten Dichtnähte entstehen. Be-
sonders hohe Punktfolgen, wie sie für Dichtnähte
3.4.1.1.6 Anwendung und Anwendungsgrenzen erforderlich sind, verursachen einen erheblichen
Die meisten in der Technik verwendeten metalli- Elektrodenverschleiß. Durch die Verwendung von
schen Werkstoffe lassen sich punktschweißen. Le- Rollenelektroden gemäß Bild 3-95, die
diglich Kupfer, Molybdän, Tantal und Wolfram sind – den Schweißstrom zuführen,
schlecht oder nicht punktschweißgeeignet. Alle gut – die Elektrodenkraft ausüben und
wärmeleitenden Metalle (Kupfer, Aluminium) müs- – den Transport der Werkstücke übernehmen,
sen wegen der raschen Wärmeableitung mit sehr ho- werden diese Schwierigkeiten vermieden.
hen Strömen (bis 10 5 A) und extrem kurzen Zeiten
(Bruchteile einer Periode) geschweißt werden. Be- Im Gegensatz zum Punktschweißen heben die Rol-
sonders bei den verhältnismäßig weichen Alumini- lenelektroden beim Vorschub, der in den meisten
umlegierungen müssen zusätzlich bestimmte appa- Fällen auch durch die Elektroden erfolgt, nicht ab.
rative Voraussetzungen erfüllt werden: Die Elekt- Zum Schweißen von Stahl wird meistens nur eine,
rode muss dem nachgebenden Werkstoff folgen kön-
F
nen, damit der Kontakt zwischen ihr und dem Werk-
stück aufrecht erhalten bleibt.
I schw
Das Verfahren wird hauptsächlich in der Blech ver-
arbeitenden Industrie (stationäre oder Tischpunkt-
schweißmaschinen) angewendet. Einige wichtige Ein-
satzgebiete sind der Haushaltsgerätebau, die Auto-
mobilfertigung, der Stahlbau, die Feinwerktechnik
und eine Vielzahl von Massenbedarfsartikeln.

Die verarbeiteten Werkstückdicken liegen haupt- F


sächlich etwa zwischen 0,2 mm und 2,5 mm; die
B
maximale in der Praxis angewendete Werkstückdi-
cke beträgt etwa 8 mm. Im Luftfahrzeugbau werden Bild 3-95
Aluminiumlegierungen und Titan(-legierungen) im Prinzip des Rollennahtschweißverfahrens. Mindestens eine
großen Umfang punktgeschweißt. der beiden Rollen wird angetrieben (B = Rollenbreite).
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandspressschweißen) 205

bei Leichtmetallen werden wegen der größeren Ge- geschweißter Teile lässt sich praktisch nur mit Strom-
fahr des Rutschens beide Rollenelektroden angetrie- und Kraftprogrammen verringern (Abschn. 3.4.1.1.5),
ben. Wie auch beim Punktschweißen muss für den die eine bessere Temperaturverteilung im Werkstück
Schweißprozess eine für das Aufschmelzen ausrei- ermöglichen. Das Schweißen mit Stromimpulsen
chende Wärmemenge erzeugt werden. Die Geschwin- erlaubt es auch, dickere oder schweißempfindlichere
digkeit der Rollenelektroden darf nur so groß sein, Werkstoffe sicherer zu verarbeiten, wie z. B. die aus-
dass diese das Schweißgut so lange unter Druck set- tenitischen CrNi-Stähle, die sich durch ihre gerin-
zen, bis eine ausreichende Bindung, d. h. die Kristal- ge elektrische Leitfähigkeit auszeichnen.
lisation der Schmelze erreicht ist. Daraus und we-
gen der unvermeidbaren Nebenschlusswirkung er- Mit den üblichen Schweißmaschinen (f 50 Hz)
gibt sich im Vergleich zum Punktschweißen eine deut- kann je Stromhalbwelle eine Schweißlinse erzeugt
lich geringere maximal schweißbare Werkstückdi- werden, wenn man ohne Stromprogramm arbeitet.
cke. Sie beträgt bei Stahl etwa 2 mm x 3 mm. Die Für Dichtnähte sind ungefähr p 4 Punkte je cm
Wirkung der Nebenschlüsse ist aber wesentlich ge- Schweißnahtlänge erforderlich. Damit ergibt sich die
ringer als beim Punktschweißen, da der elektrische maximal mögliche Schweißgeschwindigkeit
Widerstand des gerade erzeugten Schweißpunktes
2 ◊ 60 ◊ f m
wegen seiner hohen Temperatur noch sehr groß ist. vmax = O 15 in ,
100 ◊ p min
die nur bei sehr dünnen Blechen annähernd erreicht
werden kann. Der Punktabstand e 1/p beim Rollen-
punktschweißen ergibt sich bei gegebener Schweiß-
geschwindigkeit demnach zu
v
Schweißstrom Schweißstrom
e O 0,8 ◊ in cm.
a) b) f
Die Abmessungen der Rollenelektroden (Breite B
in mm, Bild 3-95) werden von der Konstruktion,
vor allem aber von der Werkstückdicke s bestimmt.
Bei blanken Stahlblechen werden Elektroden mit
flacher, bei verunreinigten oder metallisch beschich-
c) teten Werkstoffen solche mit leicht balliger Arbeits-
fläche verwendet. Abhängig von der Schweißnaht-
Bild 3-96 breite b soll die Kontaktflächenbreite B der flachen
Herstellung verschiedener Nahtformen mit dem Rollennaht- Elektrode
schweißen.
a) Dichtnaht, hergestellt mit Dauerwechselstrom B b  1 in mm
b) Rollenpunktnaht, hergestellt mit Dauerwechselstrom
c) Rollenpunktnaht, hergestellt mit unterbrochenem Strom betragen. Für die Schweißnahtbreite b gilt der An-
(Gleich- oder Wechselstrom) haltswert
b O2¹s  2 in mm.
Die Dicht- und Rollenpunktnähte lassen sich entspre-
chend Bild 3-96a) und 3-96b) mit kontinuierlicher Das Elektrodenprofil sollte möglichst lange unver-
oder intermittierender Elektrodendrehbewegung ge- ändert erhalten bleiben, da es weitgehend das Aus-
mäß Bild 3-96c) abhängig von der Schweißaufgabe sehen und die Qualität der geschweißten Verbin-
mit Hilfe von Dauerwechselstrom oder mit Strom- dung bestimmt. Die Auswahl der Elektrodenwerk-
impulsen herstellen. stoffe wird nach den gleichen Überlegungen getrof-
fen wie beim Punktschweißen.
Beim Schweißen mit Dauerwechselstrom hängt der
Punktabstand von der Schweißgeschwindigkeit und Die Überlappnaht gemäß Bild 3-97a) ist sehr sicher
der Schweißstromfrequenz ab. Diese Verfahrensva- herzustellen. Sie wird daher am häufigsten angewen-
riante wird bevorzugt zum Schweißen dünner, blan- det. Die Breite der Überlappung wird etwa gleich
ker Bleche bis zu etwa 1,5 mm Dicke angewendet, der dreifachen Einzelblechdicke gewählt. Unsaube-
wenn der Verzug vernachlässigbar ist. Der Verzug re Bleche und Passungenauigkeiten – z. B. Einschwei-
206 3: Fügen

ßen von Böden in zylindrischen Behältern – führen schweißgeeignet sind. Die elektrische, die thermi-
zum Spritzen, Durchbrennen der Bleche und zu star- sche Leitfähigkeit, die unvermeidbare Nebenschluss-
kem Verschleiß der Elektroden. Blanke und glatte wirkung und besonders der Oberflächenzustand der
Bleche sind daher für das Rollennahtschweißen un- Werkstoffe sind aber von größerer Bedeutung als
abdingbar. beim Punktschweißen.

Mit dem Verfahren können z. B. aus meist dünnwan-


digen Werkstoffen Bauteile hergestellt werden, die
aus einem Stück nur unwirtschaftlich zu fertigen sind.
s

Diese Methode wird praktisch in der gesamten blech-


verarbeitenden Industrie (Flugzeugbau, Automobil-
bau, Waggonbau) und vor allem für Massenbedarfs-
güter (Haushaltsgeräte, Gehäuse, Stahlradiatoren)
erfolgreich eingesetzt.

ü ül s ü= 0 3.4.1.3 Buckelschweißen
a) b) c) d)
(Ordnungsnummer: 23)
Eines der Fügeteile (sehr selten beide) ist mit einem
Bild 3-97 oder mehreren Schweißbuckeln versehen. Der Strom
Fügeteilanordnungen beim Rollennahtschweißen für:
wird durch großflächige Elektroden zugeführt und
a) Überlappnaht (ü O 3◊ s), Ordnungsnummer: 226
b) Quetschnaht (ü ≥ s), Ordnungsnummer: 222 fließt über die Buckel zur gegenüberliegenden Elekt-
c) Folienstumpfnaht (ü = 0), Ordnungsnummer: 225 rode. Durch die Elektrodenkraft werden die Buckel
d) Folienüberlappnaht, Ordnungsnummer: 226 zusammengedrückt und ganz oder teilweise eingeeb-
net. Es entstehen punktschweißähnliche Verbindun-
Bei der Quetschnaht entsprechend Bild 3-97b) ver- gen entsprechend Bild 3-98, deren Querschnitte die
schwindet die Überlappung nach dem Schweißen Buckel bestimmen. Wie beim Punktschweißen geht
vollständig, d. h., die Bleche liegen bündig nebenein- ein erheblicher Anteil der Schweißwärme infolge
ander. Man muss mit geeigneten Vorrichtungen ar- Wärmeleitung zu den wassergekühlten Elektroden
beiten, weil die Bleche die Neigung haben, sich beim verloren. Zu klein gewählte Stromstärken können da-
Schweißen zu verziehen. her durch Verlängern der Schweißzeit nicht ausgegli-
chen werden.
Die Schweißnahtqualität hängt sehr stark von der
Gleichmäßigkeit der Überlappung ab. Größere Ab- Ein wesentlicher wirtschaftlicher Vorteil ist die Mög-
weichungen als “ 10 % vom eingestellten Maß bezo- lichkeit, bis etwa 20 Buckel gleichzeitig schweißen
gen auf die Einzelblechdicke sind im Allgemeinen zu können. Dies setzt möglichst gleichmäßige Bu-
nicht zulässig. ckelabmessungen voraus – insbesondere sollte die
F
Es werden Elektroden mit breiter, flacher Arbeitsflä- vor
che verwendet. Wegen der linienförmigen Berührung dem Schweißen

an den Blechkanten ist der Verschleiß der Elektroden


verhältnismäßig hoch (Riefenbildung). Sie müssen
daher aus hochfestem Stahl bestehen.

Die Folienüberlappnaht (Bild 3-97d)) bietet nur bei nach


metallisch beschichteten Stahlblechen (z. B. ver- dem Schweißen

zinkt) Vorteile, weil die Deckschicht vor dem Schwei-


ßen nicht entfernt werden muss. Die Standzeit der
Rollenelektroden ist groß, da kein unmittelbarer Kon-
takt zum Werkstück besteht.
F

Grundsätzlich können mit diesem Verfahren alle Bild 3-98


Werkstoffe geschweißt werden, die auch punkt- Verfahrensprinzip des (einseitigen) Buckelschweißens.
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandspressschweißen) 207

Toleranz der Buckelhöhen maximal “ 5 % betragen 3.4.1.4 Pressstumpfschweißen


– und erfordert eine gleichmäßige Verteilung der (Ordnungsnummerzahl: 25)
Elektrodenkraft und des Schweißstroms auf jeden Wie Bild 3-100 verdeutlicht, werden die Fügeteile von
Buckel. Die Lebensdauer der großflächigen Buckel- wassergekühlten kupfernen Spannbacken gehalten,
schweißelektroden ist größer als die der deutlich klei- die die gleichen Funktionen ausüben wie die Elekt-
neren Punktschweißelektroden. roden beim Punkt- und Buckelschweißen. Sie füh-
ren den Schweißstrom zu und erzeugen durch ein in
Abhängig von der Art der Stromzuführung unter- Stauchrichtung beweglich angeordnetes Backenpaar
scheidet man zwischen einseitigem und zweiseitigem (Stauchschlitten) die Presskraft. Die Fügeteile ragen
Buckelschweißen. um die Einspannlänge E1 bzw. E2 aus den Spannba-
cken heraus und werden durch die Presskraft F zusam-
Eine gleichmäßige Stromverteilung ist wegen der mengedrückt. An der Kontaktstelle K ist der elekt-
für die einzelnen zu schweißenden Buckel unter- rische Widerstand am größten; hier wird also die
schiedlich langen Strompfade schwer zu erreichen. zum Schweißen erforderliche höchste Temperatur
Häufig können daher nicht alle Buckel gleichzeitig erreicht (bei Stahl etwa 1100 ’C bis 1300 ’C).
geschweißt werden. In vielen Fällen sind daher Ein-
E1 E2 St
zelschritte schon wegen der extremen Netzbelastung
(bis 1000 kVA) notwendig.
F
Ein mit der gleichzeitigen Schweißung vieler Bu-
ckel verbundener Nachteil ist weiterhin das Wan-
K
dern (»Schwimmen«) der Werkstücke durch die Er-
weichung der Buckel. Die Maßhaltigkeit kann so-
weit verlorengehen, dass dieses wirtschaftliche Ver-
F Stauchkraft, erzeugt mit beweglichem Stauchschlitten (St)
fahren nur durch aufwändige konstruktive Maßnah- E1, E2 Einspannlängen
men durchzuführen ist. K Kontaktstelle, Berührungsfläche der Fügeteile

Bild 3-100
Das Verfahren wird vorteilhaft in der Großserienfer- Verfahrensprinzip des Pressstumpfschweißens.
tigung im Dünnblechbereich verwendet, wenn meh-
rere Schweißpunkte notwendig sind, z. B. bei der Größe und Form der Berührungsflächen der Füge-
Herstellung von Haushaltsgeräten und Fahrzeugen teile müssen gleich sein; die notwendige gleichmäßi-
aller Art. In den meisten Fällen werden die Buckel ge Erwärmung ist nur mit einer über den gesamten
gleichzeitig mit dem Pressen der Fügeteile einge- Querschnitt gleichmäßigen Stromdichte erreichbar.
prägt. Die Buckelform wird von der Werkstückdi- Liegen ungleiche Querschnitte vor, dann müssen sie
cke und den konstruktiven Möglichkeiten bestimmt, in Form und Größe angeglichen werden, wie Bild
wie Bild 3-99 zeigt. Der Ringbuckel bietet die größ- 3-101 zeigt. Zu beachten ist, dass die »Halslänge« h
te Steifigkeit und wegen der großen Querschnittsflä- mindestens so groß ist wie der beim Stauchen ent-
che auch die größte Festigkeit. stehende Längenverlust.
1,5 bis 6 mm Ø

0,5 bis 1,5 mm


a) b)
h

c) d)

Bild 3-99
Wichtige Buckelformen.
h = Halslänge
a) Rundbuckel
b) Langbuckel Bild 3-101
c) Ringbuckel Beispiele für das Vorbereiten von Fügeteilen mit unterschied-
d) »angeschobener« Buckel lichen Querschnitten für das Pressstumpfschweißen.
208 3: Fügen

Ebenso wichtig für die Güte der Schweißverbindung 3.4.1.5 Abbrennstumpfschweißen


ist die gleichmäßige Erwärmung der vom Schweiß- (Ordnungsnummer: 24)
strom durchflossenen Fügeteile (Einspannlänge E1 Je nach Größe und Form der zu verbindenden Quer-
bzw. E2, Bild 3-100). Bei gleichen Werkstoffen, Quer- schnitte wird das Abbrennstumpfschweißen ohne
schnitten und Einspannlängen ist auch die in den Ein- Vorwärmen (Abbrennen aus dem Kalten) oder mit
spannenden entwickelte Wärmemenge gleich. Bei Vorwärmen angewendet. Charakteristisches Kenn-
unterschiedlichen Werkstoffen muss die Einspann- zeichen beider Verfahrensvarianten ist, dass an den
länge des besser leitenden größer sein. Das Verhältnis Zustand der Stoßflächen der Fügeteile keine beson-
der Einspannlängen ist etwa gleich dem der Wärme- deren Anforderungen gestellt werden müssen. Die
leitfähigkeiten. Stoßflächen sollten allerdings planparallel und kei-
ne Versetzung in Stauchrichtung aufweisen.
Die Berührungsflächen der zu schweißenden Füge-
teile müssen möglichst metallisch blank und plan- Beim Abbrennstumpfschweißen ohne Vorwär-
parallel sein. Der Schweißstrom erwärmt die Füge- mung werden die eingespannten Fügeteile unter ge-
teile auf die Schweißtemperatur (etwa 1200 ’C), und ringem Druck zusammengeführt. Die Berührung er-
der sich daran anschließende Stauchvorgang been- folgt nicht gleichmäßig über die gesamten Kontakt-
det das Schweißen. Danach wird der Schweißstrom flächen, sondern örtlich über Unebenheiten. Als Fol-
abgeschaltet. Es entsteht der für das Schweißen von ge der geringen Stauchkraft und des hohen Über-
Stählen typische Stauchwulst gemäß Bild 3-102a), gangswiderstandes entstehen extrem große Strom-
der auch die sehr anschauliche Bezeichnung Wulst- dichten, die zum schnellen Schmelzen und Verdamp-
stumpfschweißen verständlich macht. fen der Werkstoffbrücken führen. Die explosionsar-
tig herausgeschleuderten Metallpartikel und Metall-
Die Qualität der Schweißverbindung hängt entschei- dämpfe (»Funkenregen«) befreien die Stoßflächen
dend von der Sauberkeit und Parallelität der Kon- von jeder Verunreinigung und brennen sie »plan«
taktflächen ab, die mit aufwändigen fertigungstech- (Planbrennen). Der Metalldampf sorgt für eine wirk-
nischen Mitteln zu erreichen ist. same »Schutzgasatmosphäre«, so dass eine erneu-
te Oxidation vermieden wird. Der Werkstoffverlust
Angewendet wird das Verfahren vorwiegend für Fü- beim Abbrennen muss durch einen entsprechenden
geteile mit kreisförmigem Querschnitt (z. B. Drähte (verfahrenstypisch großen) Vorschub des Stauch-
aus unlegiertem und legiertem Stahl, Kupfer, Alu- schlittens (Bild 3-100) ausgeglichen werden. Die Ab-
minium, Messing von 0,3 bis 14 mm Ø) mit einem brennphase ist beendet, wenn die Stoßflächen aus-
maximalen Querschnitt bis etwa 2000 mm2. Vorteil- reichend gesäubert ist und die Fügeteilenden die
haft sind die einfache Handhabung und der verhält- Schweißtemperatur erreicht haben. Bemerkenswert
nismäßig einfache Aufbau der Schweißmaschinen. ist, dass im Gegensatz zum Pressstumpfschweißen
nur die Werkstoffbereiche in unmittelbarer Nähe der
Stoßfläche erwärmt werden. Anschließend werden
die Fügeteile schlagartig zusammengepresst. Der
Schweißstrom darf erst eine gewisse Zeit nach dem
Einsetzen des Stauchvorganges abgeschaltet wer-
Stauchwulst
den, damit die evtl. noch vorhandenen Verunreinigun-
a)
gen möglichst restlos aus dem Schweißstoß gepresst
Schweißgrat Schweißgrat
werden können.

Der für das Abbrennstumpfschweißen so typische


scharfzackige Schweißgrat (Bild 3-102b)) wird meist
im warmen Zustand abgearbeitet (Abscheren oder
b) c) spanende Bearbeitung) bzw. bei Rohren (Bild 3-102c))
innen mit einem scharfkantigen Dorn abgeschert
Bild 3-102
und ausgestoßen. Er ist verhältnismäßig leicht ent-
Stauchwulst- bzw. Schweißgratformen beim
a) Pressstumpfschweißen fernbar. Die dynamische Bauteilbeanspruchung wird
b) Abbrennstumpfschweißen mit massivem Querschnitt durch das Beseitigen dieser scharfen Kerbe(n) erheb-
c) Abbrennstumpfschweißen mit rohrförmigem Querschnitt lich verbessert.
3.4 Widerstandsschweißen (Widerstandsschmelzschweißen) 209

Die Maschinenleistung nimmt mit der Größe der 3.4.2 Widerstandsschmelzschweißen


zu schweißenden Querschnitte erheblich zu. Außer-
dem wird es zunehmend schwerer, die gesamte Durch Widerstandserwärmen werden die Stoßflä-
Schweißstoßfläche auf die erforderliche Temperatur chen der Fugenflanken aufgeschmolzen und even-
zu bringen und den flüssigen Grundwerkstoff ein- tuell verwendeter Zusatzwerkstoff verflüssigt und
schließlich der Verunreinigungen vollständig aus so die Schweißverbindung erzeugt.
der Schweißstoßfläche herauszudrücken. Fehlerhaf-
te Schweißungen sind dann kaum zu vermeiden. 3.4.2.1 Elektroschlackeschweißen
Daher wird in diesen Fällen das Abbrennstumpf- (Ordnungsnummer: 72)
schweißen mit Vorwärmung angewendet. Das Vor- Das mechanisch arbeitende, sehr wirtschaftliche
wärmen geschieht induktiv oder häufiger durch Wi- Schweißverfahren wird sowohl zum Verbindungs-
derstandserwärmung direkt in der Maschine. Die Fü- schweißen vorwiegend dickwandiger Halbzeuge als
geteile werden zusammengedrückt und nach einer auch zum Auftragschweißen verwendet, Bild 3-103.
kurzen Zeit wieder getrennt. Die zugeführte Ener- Das Verfahrensprinzip ähnelt dem UP-Schweißver-
gie reicht nicht für ein Abbrennen, sondern nur zum fahrenen. Zum Schmelzen (Grundwerkstoff, Pul-
Vorwärmen der Fügeteilenden. Dieser Vorgang wird ver, Drahtelektrode) wird aber nicht die Energie ei-
einige Male wiederholt (reversierender Betrieb), bis nes Lichtbogens verwendet, sondern vielmehr die
die notwendige Temperatur erreicht ist. Das anschlie- Widerstandswärme eines 20 mm bis 25 mm hohen
ßende Abbrennen kann dann in der gewünschten vom Schweißstrom durchflossenen Schlackenbades,
Weise erfolgen. in das die Drahtelektrode eintaucht. Der zu Beginn
des Schweißprozesses vorhandene Lichtbogen er-
In den modernen Stumpfschweißmaschinen können lischt nach dem Aufschmelzen einer ausreichenden
die geschweißten Teile nach dem Schweißprozess Pulvermenge (Schlackenmenge). Der Schweißpro-
noch wärmebehandelt werden. Dies ist häufig bei zess geht in das lichtbogenlose Elektroschlacke-
schlecht schweißgeeigneten Werkstoffen (z. B. NE- schweißen über. Für den gewünschten Prozessab-
Metallen) zweckmäßig. Diese Behandlung kann in lauf muss der Schlackenwiderstand also deutlich un-
einem verzögerten Abschalten des Schweißstroms ter dem des Lichtbogens (bei den vorhandenen Ein-
oder in einem Stoßglühen bei erhöhter Leistung be- stellwerten) liegen. Nur unter diesen Bedingungen
stehen. In manchen Fällen wird ein Maßstauchen kann der Lichtbogen verlöschen und der Strom über
(Kalibrieren) angeschlossen, mit dem die Schweiß- die Schlacke fließen. Daraus ergeben sich bestimm-
teile auf das gewünschtes Maß gebracht werden. te Anforderungen an die zu verwendenden Pulver.
Die Lichtbogenstabilität muss zum raschen Errei-
Im Vergleich zum Pressstumpfschweißen können chen des lichtbogenlosen Schweißzustandes ausrei-
in diesem Fall Fügeteile mit großen Querschnitten chend gering und die elektrische Leitfähigkeit (ent-
bis zu 100 000 mm2 verbunden werden. Weitere Vor- spricht der Jouleschen Wärme der Schlacke!) mög-
teile sind: lichst groß sein.
– Höhere Festigkeit der Schweißverbindung,
– Stoßflächen müssen nicht besonders vorbereitet Die Nahtform für Stumpfstöße ist in der Regel die
werden, I-Naht mit Spaltbreiten von etwa 30 mm. Sie wird in
– geringere Schweißzeit, den meisten Fällen als Einlagenschweißung ausge-
– unterschiedliche Werkstoffe, wie z. B. Alumini- führt. Das Schweißgut und die Schlacke werden mit
um und Kupfer, können wesentlich besser ver- Hilfe von mit der Schweißgeschwindigkeit vorwärts
bunden werden. Die Vermischung ist gering, weil bewegten wassergekühlten, kupfernen Gleitschuhen
der flüssige Werkstoff aus der Stoßfläche heraus- gehalten (Bild 3-103).
gepresst wird.
Die extrem große abgeschmolzene Schweißgutmen-
Das Verfahren wird in der Flugzeugindustrie, zum ge ist das charakteristische Kennzeichen des Verfah-
Schweißen von Eisenbahnschienen, in der Automo- rens und die Ursache für die nachstehend aufgeführ-
bilfertigung (z. B. bei der Herstellung von Felgen, ten verfahrensabhängigen Besonderheiten:
Gelenkwellen, Achsteilen, Bremsgestängen), in der – Wirtschaftlich
Hausgeräteindustrie und in zahlreichen anderen In- Querschnitte bis etwa 2000 mm2 können in ei-
dustriezweigen angewendet. ner Lage geschweißt werden.
210 3 Fügen

– Geringe Abkühlgeschwindigkeit – möglichst gleich dicke Teile zusammenschwei-


Martensitische, d. h. harte und spröde Zonen in ßen (Kerbwirkung);
der WEZ können in keinem Fall entstehen. Al- – bei großen Wanddicken wegen der Sprödbruch-
lerdings besteht die Gefahr der Versprödung und gefahr auftretende Spannungen beachten (Span-
des extremen Kornwachstums in der Wärmeein- nungsarmglühen);
flusszone und im Schweißgut. Besonders proble- – Schweißnähte nicht in Querschnitte legen, in de-
matisch ist daher das Erreichen ausreichender nen große Zugspannungen herrschen;
Zähigkeitswerte vor allem im Schweißgut, das – einseitige Kehlnähte nach Möglichkeit vermei-
durch extreme Dendritenbildung gekennzeich- den (rissähnlicher Spalt, d. h. extreme Kerbwir-
net ist. Als Vor teile der geringen Abkühlge- kung vorhanden);
schwindigkeit können die fast vollständige Poren- – große, ebene Wände vermeiden, da sie zum Aus-
freiheit des Schweißguts und der sich dem thermo- beulen neigen, Aussteifungen vorsehen;
dynamischen Gleichgewicht nähernde Ablauf – auf gute Zugänglichkeit der Schweißnähte ach-
aller chemischen Reaktionen genannt werden. ten (Fehleranfälligkeit ist geringer);
– möglichst so konstruieren, dass in der PA-(w-)
Das Verfahren eignet sich vor allem zum Schweißen oder PB-(h-)Position (das sind die sog. Normal-
dickwandiger Bauteile aus un- und (niedrig-)legier- lagen!) geschweißt werden kann. Ein Arbeiten in
ten Stählen (auch mit hohem C-dehalt!) aus den Be- Zwangslagen ist zu vermeiden, da es hohe Anfor-
reichen Schiffbau (Außenhaut, Schiffsegmente), Be- derungen an die Handfertigkeit des Schweißers
hälter- und Großmaschinenbau (Fundamente, Rah- stellt, einen erhöhten Prüfaufwand erfordert und
men) sowie Reaktorbauteile. Das Verfahren eignet in jedem Fall nur eine erheblich geringere Ab-
sich besonders zum Schweißen langer, gerader Näh- schmelzleistung möglich ist, s. a. Bild 3-6;
te in steigender Position. Seltener wird es zum Schwei- – Reihenfolge der Schweißarbeiten beachten; sie
ßen von Rundnähten verwendet. Verschiedentlich wird im Schweißfolgeplan festgelegt und beein-
wurde es auch zum Plattieren und zum formgeben- flusst die Bemaßung in der Zeichnung;
den Schweißen eingesetzt. Es wurden bereits Werk- – Allgemeintoleranzen für Schweißkonstruktio-
stücke mit Wanddicken bis zu 2000 mm geschweißt. nen (DIN EN ISO 13920) beachten;
– bei hoher Maßgenauigkeit des geschweißten Bau-
teils ist es oft unumgänglich, dieses vor der mecha-
nischen Bearbeitung spannungsarm zu glühen;
3.5 Gestaltung von – die vorgeschriebenen Prüfungen müssen durch-
Schweißverbindungen führbar sein, d. h., die zu prüfenden Schweißnäh-
te müssen für Prüfer und Prüfgeräte hinreichend
3.5.1 Allgemeines einfach zugänglich sein.
Drahtelektrode Werkstück
In Schweißkonstruktionen sind Schweißnähte die
verbindenden und kraftübertragenden Elemente. La-
Gleitschuh
ge, Form und Art der Schweißnähte haben einen
wesentlichen Einfluss auf das Bauteilverhalten (Fes- Schlackenbad
Kühlwasser-
tigkeit und Zähigkeitseigenschaften) und die wirt- bohrungen Schweißbad
schaftliche Herstellung der Bauteile. Zu berücksichti-
Strom-
gen ist weiterhin die Schweißeignung der Werkstof- quelle erstarrtes
Schweißgut
fe (Abschn. 3.2.4.4).

Kühlwasser-
anschluss
3.5.2 Gestaltungsregeln

– Die gewählten Grundwerkstoffe sollten ausrei-


chend schweißgeeignet sein, d. h. hinreichend
sauber und kohlenstoffarm (C … 0,2 %) sein; Werkstück Schweißnaht
– keine Guss- oder Nietkonstruktion nachahmen Bild 3-103
(schweißgerecht konstruieren); Verfahrensprinzip des Elektroschlackeschweißverfahrens.
3.5 Gestaltung von Schweißverbindungen 211

3.5.3 Gestaltung von Gestaltung


Schmelzschweißverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-104 bis Bild 3-106


Jede Kraftlinienumlenkung (z. B. in Kehlnähten)
oder bei einer Kehlnahthäufung verursacht eine Span-
nungsspitze (Kerbwirkung) und damit eine örtliche, Bild 3-104
oft gefährliche Überbeanspruchung. Kehlnähte soll-
ten möglichst doppelseitig ausgeführt und Schweiß-
nähte aus Zonen mit ungünstigem Kraftfluss verla-
1 2
gert werden, Bild 3-105 (1), Bild 3-106. Durchge-
schweißte Kehlnähte, Bild 3-105 (2), vergrößern den
Terrassen-
tragenden Querschnitt, sie verringern also die spe- bruch
zifische Beanspruchung. Weiterhin beseitigen sie
die extreme Kerbwirkung im Bereich der Kehlnaht-
wurzel, erhöhen aber (insbesondere bei normalge-
glühten Feinkornbaustählen) die Terrassenbruch- Bild 3-105
empfindlichkeit. Außerdem vergrößern sie die Ge-
fahr des Sprödbruches, weil ein laufender Riss die
gesamte Verbindung durchschlagen kann. Bei zwei
voneinander getrennten Kehlnähten ist die Wahr-
scheinlichkeit groß, dass der Riss aufgehalten wird.

Die aus dünnen ferritischen und perlitischen Schich-


ten (einige hundertstel Millimeter!) aufgebauten nor-
malgeglühten Feinkornbaustähle werden bei dieser
Versagensform unter dem Einfluss äußerer, vor allem
aber unter der Wirkung von Schweißeigenspannun-
gen, in Form charakteristisch verlaufender Risse zer-
stört (lamellar tearing = Terrassenbruch, Bild 3-105
(2)). Wegen der sehr viel größeren Schweißgutmen-
ge, d. h. der größeren Schweißeigenspannungen,
wird auch die Sprödbruchempfindlichkeit erhöht. Bild 3-106

Bild 3-107
Der Anschluss mit Kehlnähten ist manchmal schein-
bar wirtschaftlicher, weil die Kosten für die Nahtvor-
bereitung entfallen. Kehlnähte lenken jedoch den
Kraftfluss um (Kerbwirkung!). Die zwei Nähte im
Vergleich zu einer Stumpfnaht erhöhen die Größe
der Eigenspannungen und den Verzug. Die Quali-
fikation eines Schweißers für Stumpfnähte muss
aber deutlich größer sein als die eines für Kehlnähte. Bild 3-107

Bild 3-108
Eine elliptische Schweißnaht (kompliziert herzu-
stellen und zu schweißen) kann durch Aushalsen in
eine kreisförmige überführt werden. Bild 3-108
212 3 Fügen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-109
Die Naht ist im Allg. am Flansch (meistens ein ebe- Kehlnaht b
nes und nicht ein räumliches Gebilde, weil Flan-
sche leichter bearbeitbar sind!) einfacher vorzube-
reiten als am Gehäuse. Den Flansch mit Kehlnäh- Kehlnaht a

ten am Gehäuse anzuschweißen ist eine wirtschaft-


liche Lösung. Die Kehlnaht a ist aber meistens er-
forderlich, um die extreme Kerbwirkung des Spal-
Spalt
tes zu beseitigen. Es ist auf eine ausreichende Zu-
gänglichkeit der inneren Kehlnaht b zu achten. Bild 3-109

Bild 3-110
Bei hoher geforderter Oberflächengüte oder gerin-
ger Maßtoleranz soll die Funktionsfläche nicht durch
Schweißnähte (Verzug!) gestört werden. Bild 3-110

Bild 3-111
Schweißnähte soll man so legen, dass die Fügetei-
le möglichst lange den Schrumpfbewegungen frei
folgen können, da sonst unerwünschte Reaktions-
spannungen (und natürlich auch wanddickenabhän-
gige Eigenspannungen!) auftreten. Allerdings ent-
steht dann ein größerer Bauteilverzug! Bild 3-111
s
Bild 3-112
s

Der Zusammenbau und die gegenseitige Fixierung


von Fügeteilen werden erleichtert, wenn eine teilwei-
se Überdeckung als Anlage dient. Zweckmäßig ist 3/10 s
ein Verhältnis 3/10 Überdeckung zu 7/10 für die 7/10 s
Kehlnaht, bezogen auf die Werkstückdicke s. Das
Schweißen von Bocknähten (PA-Position!) ist sehr Bocknaht

sinnvoll, wenn dies fertigungstechnisch (z. B. Vor-


richtungen vorhanden?) möglich ist. Die Kehlnaht
wird dann in jedem Fall symmetrisch. Ein »Weg-
rutschen« der Naht ist praktisch nicht möglich. Bild 3-112

ø H7
h6 ø

Bild 3-113
Fügeteile sollen vor dem Schweißen nicht übertrie-
ben zentriert werden (unnötig und teuer). Auf eine
ø
ausreichende Zugänglichkeit der Schweißnähte ist
zu achten (hier die innere Schweißnaht). Bild 3-113
3.5 Gestaltung von Schweißverbindungen 213

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-114 s £ 16 mm s > 16 mm
Bei Schräganschlüssen ist eine scharfkantige Ab- 60°
60° 60°
schrägung unzweckmäßig (zuviel Schweißgut, Ver-

s
formungen, Wurzelkerbe); diese sollte nur bei dün-

s
nen Blechen angewendet werden. Bei dickeren Ble-
chen (s ! 16 mm) sollte die Abschrägung maximal
0,5¹ s betragen. Bild 3-114

0,5 bis 2
0,5 bis 2
Bild 3-115
Beim Schweißen von Ringen, Buchsen, Scheiben
Wellen und Ähnlichem soll ein Luftspalt von min-
destens 0,5 mm vorgesehen werden. Er kann bis zu

Außen - ø
Innen - ø
Außen - ø
einer Breite von 2 mm ohne Schwierigkeit mit einer

Innen - ø
normalen Schweißnaht überbrückt werden. Bei Ein-

0,5 bis 2

0,5 bis 2
zelfertigung ist die rechte Darstellung zu bevorzu-
gen, da für die Ausführung nach dem linken Bild
eine Schweißvorrichtung erforderlich ist. Bild 3-115
(2) (1)
Bild 3-116 F F
Die Wurzel einer Schweißnaht sollte nicht in der
zugbeanspruchten, sondern in der druckbeanspruch- F F F
ten (1) Zone liegen. Wenn sich dies nicht vermeiden
lässt, dann ist die Wurzel auszuschleifen (»auszu-
kreuzen«) und nachzuschweißen (2) ( »Kappla-
ge«, s. auch Bild 3-117). Bild 3-116

Bild 3-117 1 1
Eine mechanische Bearbeitung verringert (evtl. un-
zulässig) den Querschnitt der Schweißnaht. Bei hoch-
beanspruchten Nähten ist es empfehlenswert (aber
teuer!), die Nahtübergänge zu beschleifen (1) und 2
(oder) eine Kapplage zu schweißen (2), s. Bild 3-116. Bild 3-117

Bild 3-118
Beim Aufschweißen von Blechen, die bearbeitet
werden sollen, sind Entlüftungsbohrungen oder un-
terbrochene Nähte vorzusehen. Zwischen den Ble-
chen bildet sich anderenfalls ein abgeschlossener
und unter Druck stehender Luftraum, der bei einem
nachträglichen Spannungsarmglühen zu Verwerfun-
gen, Ausbeulungen oder sogar zu Rissen führt. Bild 3-118

Bild 3-119
Bei genuteten Bearbeitungsflächen sind außer den
Entlüftungsbohrungen auch Lochschweißungen vor-
zusehen, um z. B. beim Nuten ein Abheben der Flä-
chen zu vermeiden, s. auch Bild 3-118. Bild 3-119
214 3 Fügen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-120
Schweißnähte in schroffen Querschnittsübergängen
(unterschiedliche Querschnitte erzeugen Kerbwir-
kung, d. h. Spannungsspitzen!) sind zu vermeiden.
Angleichen der Querschnitte schafft Abhilfe. Bild 3-120

angeschmolzene Kante
(f zu klein) fmin ³ 2 a f
Bild 3-121
Abflachungen und Überstände sind vorzusehen. Der f
Überstand f muss mindestens das Zweifache der
Nahtdicke a betragen, um ein unkontrolliertes und a

unerwünschtes Anschmelzen der Kanten zu vermei-


den und die geforderte Dicke a zu erreichen. Bild 3-121

Bild 3-122
Schweißnähte sollten möglichst nicht in zu bearbei-
tende Flächen oder in Werkstoffbereiche mit hohen
(Zug-)Spannungen gelegt werden. Bild 3-122

Bild 3-123
Bei aufgeschweißten Flanschen ist die Dichtnaht
stets nach innen zu legen. Bild 3-123

Schlackeneinschluss
(Wurzelkerbe)

Bild 3-124
Rundstäbe parallel an eine ebene Fläche anzuschwei-
ßen ist unzweckmäßig, da der Öffnungswinkel für
die Schweißnaht (Kehlnaht) zu klein ist und Schla-
cke in den Spalt vorläuft (Kerbwirkung), aber nicht
die Schweißschmelze. Zweckmäßiger ist es, eine an-
dere Form zu wählen oder den Rundstab einseitig
abzuflachen. Bild 3-124

Bild 3-125
Auf gute Zugänglichkeit der Schweißnähte ist zu ach-
ten. Das dargestellte Auge muss ringsum geschweißt
werden können. Bei der unzweckmäßigen Varian- a

te lässt sich die Rundnaht nicht vollständig, sondern


nur etwa bis zum Punkt »a« schweißen. Bild 3-125
3.5 Gestaltung von Schweißverbindungen 215

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-126
Anhäufungen von Schweißnähten sind wegen der
Entstehung konzentrierter und großer Schweißeigen-
spannungen (großer Verzug und Gefahr der Kaltriss-
bildung) zu vermeiden. Die Schweißstellen müssen
gut zugänglich sein.

Bild 3-126

Bild 3-127
Bei zu bearbeitenden Teilen mit Bohrung, die an
schrägen Wänden angeschweißt werden, ist die Be-
arbeitung in einer Aufspannung sowie ein gerader
Anschnitt zu gewährleisten. Bild 3-127

Bild 3-128 und Bild 3-129


Rippen sollten allseitig ausgeklinkt werden, weil an-
derenfalls die Sollschweißnahtdicke a nicht einge-
Anschmelzen
halten werden kann (unkontrolliertes Anschmelzen der Rippe x
a
der Rippe) und Schweißnahtanhäufungen große Ei-
genspannungen erzeugen. Der Abstand x der Ausklin-
kung in der Rippe hängt von der Dicke der darunter
liegenden Naht ab; er soll aber nicht weniger als et- Schweißnahtanhäufung
wa x a  6 mm betragen. Die gleichen Werte sind
zu wählen, wenn Aussteifungen in Halbzeuge aus Bild 3-128
unberuhigtem Stahl eingeschweißt werden: Die gesei-
gerte Zone in der Hohlkehle sollte nicht angeschmol-
zen werden. Die Variante a) hat aber den erhebli-
chen Nachteil, dass die Kehlnähte nicht geschlossen
werden können (Folgen: Korrosion, Kerbwirkung).
Eine viertelkreisförmige Ausklinkung b) erlaubt das
Rundumschweißen der Rippe, d. h. das Schließen a) b)

der Kehlnähte (teurer!). Bild 3-129

Bild 3-130
Die Herstellung eines Winkels durch Abkanten ist
billiger als das Zusammenschweißen aus drei Tei-
len. Beachte aber den Einfluss der Kaltverformung,
die bei Stählen mit geringerer Zähigkeit zu Grob-
korn und Alterungserscheinungen führen kann. Bei
hochlegierten austenitischen CrNi-Stählen besteht
die Gefahr der Spannungsrisskorrosion. Bild 3-130
216 3 Fügen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-131
Durch Auftragschweißen lassen sich z. B. Werkzeu- Kante wird nicht vom zähflüssigen Größere Lagenzahl (Strichraupen-
Schweißgut, sondern nur von der technik) vermindert Vermischung
ge und Verschleißteile wirtschaftlich herstellen bzw. dünnflüssigen Schlacke ausgefüllt mit Grundwerkstoff
in Stand setzen. Zu beachten ist, dass sich in dem auf-
zutragenden Werkstück keine Kanten, sondern Run-
dungen befinden, die das Schweißgut nicht mehr aus-
füllen kann und so rissbegünstigende Kerben ent-
stehen. Es sind zwei, besser drei Lagen erforderlich
(Vermischung gering halten!). Besonders kritisch und
Kante (extreme Kerbwirkung), Rundung im Werkstück wird
problematisch ist die Wahl geeigneter Zusatzwerk- bedeutet Rissgefahr vom Schweißgut ausgefüllt
stoffe (metallurgisch extrem unterschiedliche Werk-
stoffe!) und die anzuwendende Schweißtechnologie. Bild 3-131

Bild 3-132

t
Bei der Bemessung der Bearbeitungszugaben sind

t
die jeweiligen Toleranzen zu beachten. Die Höhe des
Anschweißteils muss so gewählt werden, dass das N

N
Nennmaß »N« bei gegebener Toleranz »t« erreicht
wird, ohne die Schweißnaht zu zerstören. Bild 3-132

Bild 3-133 1

Sollen über einen Rohranschluss große Kräfte oder


Momente übertragen werden, so ist es zweckmäßig,
2
das Rohr in der Bohrung des Blechs zu führen (a). 2 a)
Bei dünneren Blechen wird das Rohr durchgesteckt 1
und von außen verscheißt (b). Durch die Kehlnaht
(1) entfällt außerdem die extreme Kerbwirkung des
b)
Wurzelspaltes (siehe Pfeil) von Kehlnaht (2) und die
Schweißnaht ist geschlossen (Korrosion!). Bild 3-133

Bild 3-134
Mit Hilfe des Bolzenschweißens können Gewinde-
bolzen bis M24 aufgeschweißt werden. Dies ist i.
Allg. wirtschaftlicher als die Verwendung von Stift-
schrauben (Kernloch bohren, Gewinde schneiden,
Bolzen eindrehen). Bild 3-134

F F

3.5.4 Gestaltung von F

Punktschweißverbindungen
l

Bild 3-135
Punktschweißverbindungen sind nach Möglichkeit
so anzubringen, dass sie nicht auf Schälen, sondern
auf Abscheren beansprucht werden. Eine Torsions- M = F◊l
beanspruchung bei Einzelpunkten ist unbedingt zu F F

vermeiden. Bild 3-135


3.5 Gestaltung von Schweißverbindungen 217

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-136
Für die Punktschweißelektroden sind ausreichend
große, möglichst ebene und parallele Auflageflä-
chen vorzusehen.

Bild 3-136

Bild 3-137
Auf gute Zugänglichkeit der Schweißpunkte ist zu
achten, da sonst gekröpfte (teure!) Spezialelektro-
den zu verwenden sind, die weniger formstabil als
die üblichen zylindrischen Elektroden sind. Bild 3-137

de

e
d
Bild 3-138

>4
Mit vielen kleinen Punkten wird meist keine aus-
reichende Festigkeit erzielt. Wenige größere Punk-
te ergeben zuverlässigere Verbindungen. Bild 3-138

Bild 3-139
a b a b
Es ist auf einen ausreichenden Abstand der Elektro-
den von der Fügeteilwandung zu achten. Bei zu klei-
nem Maß »a« kann die Elektrode schlecht aufge- flüssiger
Werkstoff
setzt bzw. es müssen schlankere, weniger formstabile
Elektroden verwendet werden. Bei zu kleinem Maß
»b« kann flüssiger Werkstoff aus der Trennfuge he-
rausgepresst werden. Bild 3-139

Fensteröffnung S
S l A× L

L
Bild 3-140
A

Größere Werkstücke sind so zu gestalten, dass mit


möglichst kleiner Armausladung L und geringem
Armabstand A (d. h. einer kleinen »Fensteröffnung«
S A ◊ L) geschweißt werden kann. Größere Werk-
stoffmassen zwischen den Elektrodenarmen erhö-
hen die Induktionsverluste, d. h., sie verringern den
(ohmschen) Schweißstrom. Bild 3-140
218 3 Fügen

3.6 Löten Die Vorgänge der Benetzung und Ausbreitung des


flüssigen Lottropfens auf der Oberfläche eines auf
(Ordnungsnummer: 9) die Arbeitstemperatur TA erwärmten Werkstoffes las-
sen sich mit Hilfe der Grenzflächenspannungen g be-
Löten ist ein thermisches Verfahren zum stoffschlüs- schreiben, Bild 3-141:
sigen Verbinden und Beschichten von Werkstoffen, g 1,3 g 1,2  g 2,3 cos j
wobei eine flüssige Phase durch Schmelzen eines
g 1,3  g 1,2 g 2,3 cos j g H (g H »Haftspannung«).
Lotes (Schmelzlöten) oder durch Diffusion an den
Grenzflächen entsteht. Die Schmelz- bzw. Solidus- Die Grenzflächenspannungen sind die den Benet-
temperatur des Grundwerkstoffs wird nicht erreicht. zungsvorgang bestimmenden Größen. Die Größe
Begriffe und Definitionen der Lötverfahren sind in des Benetzungswinkels j wird nicht nur vom Grund-
DIN ISO 857-2 zu finden. werkstoff und dem Lot, sondern auch von der Art
des umgebenden Mediums (Atmosphäre, Flussmit-
Das Verfahren wird aufgrund seiner technischen Leis- tel, Vakuum, Schutzgas) bestimmt. Er ist ein Maß-
tungsfähigkeit und wirtschaftlichen Vorteile zum stab für den Grad der Benetzung. Bei vollständiger
stoffschlüssigen Verbinden der unterschiedlichsten Benetzung ist j 0, d. h., der Tropfen bedeckt (als
Werkstoffe in allen Bereichen der Industrie, vor al- einmolekulare) Schicht die Oberfläche. Dieser Zu-
lem bei dünnwandigen Konstruktionen und schlech- stand ist beim Löten nicht erreichbar, er liegt theore-
ter Zugänglichkeit der Lötstellen in zunehmendem tisch vor, wenn g 1,3 • g 1,2  g 2,3 wird. Brauchbare Löt-
Maße angewendet. Weitere Vorteile sind: verbindungen ergeben sich noch für j …30 °. Nimmt
– Die Mechanisierbarkeit bzw. Automatisierbar- das flüssige Lot die Gestalt einer Kugel an (das Lot
keit der Fertigung ist relativ einfach. »entnetzt« auf der Werkstückoberfläche), dann ist
– Die thermische Beeinflussung der Lötteile, vor al- die Lötstelle unbrauchbar, weil das Lot den vorgege-
lem bei Verwendung der niedrigschmelzenden benen Spalt nicht ausfüllen kann. Diese Vorgänge
kadmiumhaltigen Universalhartlote (mit ca. 40 % laufen nur dann ab, wenn zwischen flüssigem Lot
Ag), ist relativ gering: Verzug und Umfang der und Werkstück keine sperrenden Schichten (Oxide,
Gefügeänderungen sind also minimal. Farb-, Ölschichten bzw. andere Oberflächenbeläge)
– Die Wahl der Lote ist im Wesentlichen werkstoff- vorhanden sind.
unabhängig, weil metallurgische Reaktionen na-
hezu vernachlässigbar sind. Diese Tatsache ist ein Das Lot kann die Oberfläche benetzen, sich ausbrei-
entscheidender (praktischer und fertigungstech- ten und am Grundwerkstoff binden, wenn die Ober-
nischer) Vorteil im Vergleich zum Schweißen! flächentemperatur an der Lötstelle die Arbeitstem-
peratur TA erreicht hat 27). Die tatsächliche Löttem-
peratur ist i. Allg. höher als die Arbeitstemperatur,
3.6.1 Grundlagen des Lötens sie darf aber eine höchste Temperatur nicht überschrei-
ten, weil dann Schädigungen des Flussmittels, des
Beim Löten werden die festen Grundwerkstoffe Lotes oder des Grundwerkstoffes möglich sind.
durch ein geschmolzenes Lot verbunden. Die hier-
für maßgeblichen Vorgänge sind Grenzflächenreak-
tionen, da sie an der Phasengrenze flüssiges Lot/fes-
ter Grundwerkstoff stattfinden:
– Benetzungs- und Ausbreitungsvorgänge von Lot
und Flussmittel.
– Bindung zwischen Lot und Grundwerkstoff als
Benetzbarkeit: groß gering
Folge wechselseitiger Diffusion von Lot- und (gH = g1,3 - g1,2 ³ 0) (gH = g1,3 - g1,2 £ 0)
Grundwerkstoffatomen. Lötbarkeit: gut schlecht

Bild 3-141
27)
Die für die gesamte Löttechnik außerordentlich wichtige Beziehungen zwischen Grenzflächenspannungen an den Ober-
Arbeitstemperatur ist die niedrigste Oberflächentempe- flächen Grundwerkstoff – flüssiges Lot – Lötmedium.
ratur an der Lötstelle, bei der das Lot benetzt oder sich ➊: Grundwerkstoff
mit Hilfe von Grenzflächenreaktionen eine flüssige Pha- ➋: flüssiges Lot
se bildet (nach DIN ISO 857-2). ➌: Lötmedium: Flussmittel, Schutzgas oder Vakuum
3.6 Löten 219

Eine ausreichende Benetzbarkeit ist die wohl wich- Die Haftspannung g H ist ein Maßstab für die Fähig-
tigste Forderung an die Eigenschaft Löteignung keit der Schmelze, Oberflächen zu benetzen und
(DIN 8514). Benetzen erfolgt, wenn Lot und Grund- sich auf ihnen ausbreiten zu können. Die Benetzungs-
werkstoff Mischkristalle oder intermediäre Verbin- fähigkeit lässt sich damit mit den Merkmalen Aus-
dungen bilden können, wobei die Löslichkeit sehr breiten des flüssigen Lotes und des Flussmittels und
gering sein kann. Nur bei völliger Unlöslichkeit der Ausfüllen der i. Allg. engen Lötspalte (»Verschie-
Metalle (Lot/Grundwerkstoff) werden deren Ober- ßen«) entgegen der Schwerkraft beschreiben. Diese
flächen nicht benetzt oder das Lot »entnetzt« 28). Die Eigenschaft wird durch den kapillaren Fülldruck
meisten Metalle sind wenigstens in geringem Um- pk oder anschaulicher durch die Steighöhe h des flüs-
fang ineinander löslich, die werkstofflichen Anforde- sigen Lotes in engen Spalten beschrieben. Für Spal-
rungen an eine gute Löteignung sind daher wesent- te (bis etwa 0,3 mm Breite) gilt für h angenähert:
lich geringer als die an eine gute Schweißeignung g
(Abschn. 3.2.4.4). Technisch wichtige Ausnahmen h = pk L H .
sind z. B. Silber in Eisen und Blei in Eisen. In diesen b
Fällen kann also Eisen mit Silber- bzw. Bleiloten nicht Es bedeuten: g H Haftspannung,
verbunden werden. b Spaltbreite.

Die Steighöhe hängt also nicht nur ab von der Art


28)
Unter »Entnetzen« versteht man die Erscheinung, dass des Lotes, der Oberflächenbeschaffenheit der Löt-
sich ein bei höheren Temperaturen vorhandener Lottrop-
teile und der Art der Lötatmosphäre (g H ), sondern
fen nach dem Abkühlen kugelförmig zusammenzieht.
Flüssiges Silber entnetzt z. B. auf Stahloberflächen. Ei- auch ganz erheblich von der Breite b des Lötspaltes.
ne Lötverbindung kann daher bei derartigen Werkstoff- Bild 3-142 zeigt diesen Zusammenhang. Bei Spalt-
paarungen nicht hergestellt werden breiten b > 0,5 mm ist der Kapillardruck so gering,
b
kapillarer Fülldruck p k

Maschinenlöten Handlöten Fugenlöten

0,05 0,1 0,2 0,3 0,4 mm 0,5


Spaltbreite b

b < 0,05 mm b > 0,05 mm bis 0,2 mm b > 0,2 mm bis 0,5 mm b > 0,5 mm
Spalt ist zu klein, das Lot Spalt richtig für das Maschi- Spalt nur noch für das Hand- Spalt zu groß, Lötfuge wird
kann nicht eindringen und nenlöten (exakte Vorberei- löten geeignet. Wärme- und nur teilweise ausgefüllt, da-
verschießen. Löten ist nicht tung!). Das Lot kann benet- Lotzufuhr müssen richtig do- her besondere Löttechnik
möglich. zen und verschießen. siert werden. erforderlich: Fugenlöten.

Bild 3-142
Abhängigkeit des kapillaren Fülldrucks pk beim Löten in Abhängigkeit von der Spaltbreite b (schematisch).
220 3 Fügen

dass der Lötspalt nicht mehr ausgefüllt wird. In die- mäß wird daher die Sicherheit von Lötverbindun-
sem Bereich ist eine besondere Löttechnik erfor- gen selbst in Anwesenheit intermediärer Verbindun-
derlich, die in ihrer Handhabung dem Gasschwei- gen (siehe Abschn. 3.2.4.3) kaum beeinträchtigt.
ßen ähnelt und als Fugenlöten bezeichnet wird. Für Damit sind im Gegensatz zum Schweißen, metal-
das Handlöten ergeben sich günstige Verhältnisse lurgische oder werkstoffliche Überlegungen bei der
bei Spaltbreiten zwischen 0,2 mm und 0,5 mm. Die Auswahl »geeigneter« Lote von untergeordneter Be-
immer noch geringe Steighöhe erfordert aber hand- deutung. Benetzt das Lot den Werkstoff, dann ist ei-
werkliches Geschick und Können, weil Wärme- und ne Lötung prinzipiell möglich. Die geringen werk-
Lotzufuhr richtig dosiert werden müssen. stofflichen Schwierigkeiten erleichtern das Verbin-
den metallurgisch »unverträglicher« Werkstoffe au-
ßerordentlich. Im Gegensatz zum »metallurgischen«
Lotformteil
Prozess Schweißen bilden sich größere Mengen flüs-
(Ringform) siger Phasen, aus denen sich leicht versprödende
Phasen bilden können. Ein typisches Beispiel ist das
wirtschaftliche (und relativ einfache) Verbinden von
Formteilen aus Schnellarbeitsstahl mit Schäften aus
unlegiertem Stahl durch Löten. Schweißen ist in die-
sem Fall wegen der entstehenden extrem spröden Ge-
füge und der damit verbundenen Rissneigung abso-
lut unmöglich.

In einer sehr begrenzten Anzahl von Fällen können


Bohrung zum Entweichen des
überschüssigen Flussmittels beim Löten einiger Werkstoffe metallurgische Pro-
Bild 3-143 bleme entstehen, die in erster Linie auf die Verwen-
»Verschießen« eines außerhalb des Lötspalts angebrachten dung »falscher« Lote zurückzuführen sind. Die er-
Lotformteils (auch entgegen der Schwerkraft). wähnten Schwierigkeiten beruhen ausnahmslos auf
den Eigenschaften der Legierungszone D, die trotz
Für die Massenfertigung in Lötvorrichtungen und ihrer geringen Ausdehnung bei bestimmten Kombi-
Lötmaschinen ist oft eine sehr große Steighöhe des nationen von Lot und Grundwerkstoff zum Versa-
Lotes erforderlich. Diese Forderung lässt sich mit gen der Lötverbindung führen kann. Unabhängig von
Spaltbreiten von 0,05 mm bis 0,2 mm sicher erfül-
D
len. Das flüssige Lot wird weit in den Spalt hineinge-
DL DGW
trieben; die Verwendung teurer Lotformteile ist nicht
erforderlich. Ein preiswerter außerhalb der Spalten
angeordneter Drahtring ist ausreichend. Diese Über-
legungen sind für den Entwurf lötgerechter Kons-
truktionen sehr wichtig, Bild 3-143. Bemerkenswert
ist die zum Abfluss des Flussmittels erforderliche Boh- A GW A Lot
rung. Anderenfalls entstehen Flussmitteleinschlüsse,
d. h., die vorgegebene Spaltfläche kann nicht vollstän-
dig mit Lot ausgefüllt werden. Unzureichende Fes-
tigkeitswerte sind dann nicht vermeidbar.

Der Bereich, in dem die Bindung Lot/Grundwerk- Lot, Legierungszonen D (Bildung Grundwerkstoff,
stoff erzeugt wird, ist eine extrem dünne (einige Pm erstarrt von MK.en und (oder) inter-
mediären Verbindungen) G
auf Arbeitstempe-
ratur TA erwärmt
dicke) Legierungszone D DL  DGW, Bild 3-144,
weil Platzwechselvorgänge der Atome in einem fes- Bild 3-144
ten Grundwerkstoff nur sehr begrenzt möglich sind. Legierungszone D = DL + DGW an der Phasengrenze Grund-
werkstoff – erstarrtes Lot (G) bei einer Hartlötverbindung.
Dieser Vorgang ist abhängig von den Diffusionsei-
DL Diffusionszone im Lot
genschaften der beteiligten Atomsorten, der Breite DGW Diffusionszone im Grundwerkstoff
der Legierungszone, der Arbeitstemperatur des Lo- AGW Grundwerkstoffatome
tes und der Dauer der Einwirkung. Erfahrungsge- ALot Lotatome
3.6 Löten 221

der Ursache des Problems, wird die Versagenswahr- 3.6.2 Einteilung der Lötverfahren
scheinlichkeit um so geringer, je niedriger die Arbeits-
temperatur des verwendeten Lotes ist. Die Wirksam- In DIN ISO 857-2 wird als Ordnungsmerkmal für
keit dieser durch die Praxis vielfach bestätigten Emp- die Einteilung der Lötverfahren die Art des Energie-
fehlung beruht darauf, dass mit abnehmender Tempe- trägers gewählt. Im Folgenden werden nur die wich-
ratur die Platzwechselvorgänge zunehmend langsa- tigsten Lötverfahren besprochen, geordnet nach der
mer verlaufen, d. h., die Breite der Legierungszone Art der Wärmequelle.
(und damit auch ihre Gefährlichkeit) nimmt ab.
Fester Körper
In Bild 3-145 sind einige charakteristische Formen Beim Kolbenweichlöten erfolgt das Erwärmen der
der Legierungszone dargestellt. Je nach Arbeitstem- Lötstelle und das Abschmelzen des Lotes i. Allg.
peratur der Lote entstehen Legierungszonen mit mit einem von Hand geführten Lötkolben. Das Fluss-
Breiten zwischen 0,5 Pm und ca. 20 Pm. Die größte mittel kann getrennt oder in Form von Röhrenlot
Bauteilsicherheit der Lötverbindung existiert dann, mit Flussmittelfüllung zugegeben werden.
wenn die Legierungszone aus Primärkristallen oder
zu lötende Teile positiver Meniskus
aus Mischkristallen besteht. Lötverbindungen aus (konkave Oberfläche)
kaltverformten Stahlteilen, hergestellt mit kupfer- Lotbad
oder zinkhaltigen Loten, neigen bei Temperaturen
oberhalb 900 ’C zu der gefährlichen Lötbrüchig-
keit. Dabei diffundiert bevorzugt Kupfer oder Zink
sehr schnell entlang der Korngrenzen in den Stahl
ein. Interkristalline Werkstofftrennungen treten dann
solange in dem unter Zugspannungen stehenden Werk-
stoff auf, wie das Lot flüssig ist. Diese beim Verbin- Bild 3-146
dungsschweißen von Kupfer mit Stahl ebenfalls auf- Einrichtung zum Lötbadweichlöten (nach DIN ISO 857-2).
tretende Schadensform lässt sich mit Loten vermei-
den, die eine möglichst niedrige Arbeitstemperatur Flüssigkeit
(verringerte Diffusonsfähigkeit) besitzen. Beim Lö- Beim Lötbadweichlöten (korrekter wäre die Bezeich-
ten von Stahl mit phosphorhaltigen Loten entsteht nung Lotbadweichlöten) werden die zu lötenden Tei-
eine nur einige Pm dicke Schicht aus Kupferphos- le mit Flussmittel benetzt und in ein Bad mit flüssi-
phid, die extrem stoß- und rissempfindlich ist. Phos- gem Lot getaucht, Bild 3-146. Selektives Löten wird
phorhaltige Lote dürfen daher nicht zum Löten von durch Aufbringen von Pasten, Lacken oder Papier-
Eisenwerkstoffen verwendet werden. masken erreicht. Durch das senkrechte Eintauchen
Hartlote, z. B. Hartlote, Silberlote AG 304 (L-Ag40Cd) CU 302 (L-CuZn40) CP 102 (L-Ag15P), CP 203

Lot Lot Lot Lot


D

Ausbildung der
Legierungszone D

GW GW GW GW

Grundwerkstoff Kupfer- und Stahl Stahl Stahl


(GW) Kupferlegierungen
Aufbau der Mikroskopisch deutlich er- Mikroskopisch nur schwer er- Mikroskopisch deutlich er- Mikroskopisch erkennbar,
Legierungszone D kennbar, Schicht aus Primär- kennbare »Grenzlinie«, duktil, kennbar, Primärkristalle aus sehr spröde Eisenphosphid-
kristallen, Eutektikum oder mechanische Eigenschaften Lotschmelze, bei Schweiß- schicht, Verbindung ist völlig
Mischkristallen, duktil der Verbindung hervorragend spannungen Lötrissigkeit unbrauchbar

Bild 3-145
Ausbildung der Legierungszone D bei verschiedenen Lot-Grundwerkstoff-Kombinationen (nach Degussa).
222 3 Fügen

in das nicht bewegte Bad können sich leicht Gasbla- unterschied zu anderen Lötverfahren, wie Lötkol-
sen und Flussmitteleinschlüsse bilden. Die Eintauch- benlöten, Tauchlöten oder Wellenweichlöten. Es gibt
geschwindigkeit muss so eingestellt werden, dass verschiedene Möglichkeiten des Lotauftrags, z. B.
die Arbeitstemperatur zu jedem Zeitpunkt am Werk- mittels Schablonendruck (Siebdruck), Dispenser (
stück erreicht wird. Sichtbares Zeichen dafür ist ein Ausgabevorrichtung), mit Hilfe von Lotformteilen
positiver Meniskus an der Grenzfläche Lotoberflä- oder auch galvanisch.
che/Bauteil, Bild 3-146. Diese Nachteile sind beim
Wellenweichlöten nicht vorhanden. Die das Werk- Die Wärmeübertragung kann durch Kondensation,
stück berührenden Stellen der »Lötwelle« sind oxid- Strahlung oder Konvektion erfolgen. Das Verfahren
frei, wenn mit Stickstoff als Schutzgas gearbeitet lässt sich demnach dadurch gekennzeichnen, dass
wird, Bild 3-147. Eine Stickstoffumgebung ist zwar die Vorgänge Lotauftrag und Wärmezufuhr zu un-
nicht zwingend erforderlich, kann sich aus den fol- terschiedlichen Zeiten erfolgen. Das in den USA täti-
genden Gründen jedoch als vorteilhaft erweisen: ge NEMI-Konsortium empfiehlt für das Reflowlö-
– Stickstoff unterbindet weitgehend die Krätzebil- ten Lote auf der Basis SnAg3.9Cu0.6.
dung (Oberflächenoxidation).
– Stickstoff verbessert das Benetzungs- und Ver- Die aufwändige und damit teure maschinelle Ein-
teilungsverhalten des Lotes auf dem Werkstück. richtung macht das Löten etwa zwei- bis viermal
– Stickstoff lässt glänzendere Lötstellen und klei- teurer als das Wellenweichlöten.
nere Kontaktwinkel entstehen. Es wird in den
meisten Fällen mit einem Flussmittelbad und ei- Das Dampfphasenlöten, auch VP-Löten oder Va-
ner Trockenstrecke (trocknet das Flussmittel) zum pour Phase Reflowlöten genannt, ist das zur Zeit
Löten bestückter Platinen verwendet. universellste, einfachste und zuverlässigste Lötverfah-
– Die Lötqualität wird verbessert und die Häufig- ren. Es ist für jede Art von SMD-Komponenten und
keit von Lötfehlern sowie die damit verbunde- Trägermaterialien geeignet. Alle Bauteile lassen sich
ne Nacharbeit verringert sich. Es wird eine deut- ohne kompliziertes Ermitteln oder Halten von Tem-
liche Kostenreduzierung erreicht. peraturprofilen verarbeiten. Zur Wärmeübertragung
Zum Wellenweichlöten werden Sn96.5Ag3.0Cu0.5 wird eine chemisch inerte Flüssigkeit eingesetzt, z.
und Sn99.3Cu0.7 empfohlen. Dabei zeichnet sich B. perflouriertes Polyether. Eine unschädliche und
das Lot SnAgCu im Vergleich zu SnCu durch ei- sehr stabile Flüssigkeit, die sich nicht mit anderen
ne höhere Benetzungsgeschwindigkeit und bessere Stoffen verbindet, und deren Siedepunkt typischer-
Löteignung aus. weise bei 200 °C oder 215 °C liegt. Taucht das Löt-
gut in die Dampfzone ein, kondensiert der Dampf
Reflowlöten (Wiederaufschmelzlöten) auf dem Lötgut und überträgt seine Wärme. Gleich-
Bei diesem Verfahren wird das Weichlot in Form von gültig wie lange das Lötgut im Dampf bleibt, seine
Lotpaste (die Lotpaste hält und fixiert die Bauteile Temperatur kann nie höher sein als die des Damp-
während des Lötvorgangs!) vor der Bestückung auf fes. Die maximale Löttemperatur ist dabei durch
die Platine aufgetragen, und in einem Aufschmelz- die Temperatur des Dampfs sehr genau definiert.
öl auf die erforderliche Löttemperatur gebracht und Die Wärmeübertragung ist schnell und unabhängig
so miteinander verbunden. Das ist auch der Haupt- von der Baugruppengeometrie. Als Folge der defi-
nierten Löttemperatur und der gleichförmigen Er-
Leiterplatte
wärmung sind keine Überhitzungen der Bauteile
ca. 7°

möglich. Wegen der inerten Gasatmosphäre können


keine Oxidationsvorgänge entstehen, und ein Löten
ohne Flussmittel ist ebenfalls möglich.
Trockenstrecke
Lotbad mit Gas
Lotwelle
Die Wärmequelle beim Flammlöten ist ein gasbe-
triebener Brenner, dessen Flamme neutral oder leicht
Flussmittelbad
(Fluxer mit reduzierend eingestellt wird. Bei mechanisier ten
Schaumwelle) Durchzugswinkel
Lötanlagen werden meistens Flammfeldbrenner ver-
Bild 3-147 wendet, die im Werkstück ein sehr konstantes Tem-
Einrichtung zum Wellenweichlöten (nach DIN ISO 857-2). peraturfeld erzeugen. Anlagen, die mit Flammer-
3.6 Löten 223

Tabelle 3-16. Flussmittel zum Weichlöten metallischer Werkstoffe, nach DIN EN 29454.

Flussmitteltyp Flussmittelbasis Flussmittelaktivator Flussmittelart

1 Kolophonium (Harz)
1 Harz 1 ohne Aktivator
2 ohne Kolophonium (Harz)
2 mit Aktivator 1)
1 wasserlöslich
2 organisch 3 ohne Halogene aktivieren
2 nicht wasserlöslich A flüssig
B fest
1 mit Ammoniumchlorid
1 Salze C Paste
2 ohne Ammoniumchlorid
3 anorganisch 1 Phosphorsäure
2 sauer
2 andere Säuren
3 alkalisch 1 Amine und (oder) Ammoniak
1)
Andere Aktivierungsmittel dürfen verwendet werden.

wärmung arbeiten, sind verhältnismäßig kosten- durch einen Induktor im Werkstoff, der sehr genau
günstig und leicht umrüstbar. Sie werden häufig ein- an die Werkstückform angepasst werden muss, um
gesetzt, wenn zum Zusammenbau der Teile Halte- Energieverluste zu vermeiden. Die Temperatur wird
rungen erforderlich sind, oder wenn große, sperri- rasch (5 s bis 10 s) erreicht. Der erwärmte Bereich
ge Bauteile gelötet werden. ist dadurch sehr genau begrenzt. Der Induktor muss
wegen der hohen Erwärmung wassergekühlt wer-
Das Ofenlöten kann mit Flussmitteln, mit inerten den. Das Ergebnis sind sehr saubere, verzugsarme
Schutzgasen oder im Vakuum durchgeführt werden. und hochwertige Lötverbindungen. Man kann mit
Die Wärmequelle sind elektrische Heizelemente, die Flussmitteln oder schutzgasdurchströmten Abdeck-
die Teile vorwiegend durch Wärmestrahlung sowie hauben arbeiten. Das Flussmittel wird vor dem Fi-
durch Konvektion der heißen Ofengase erwärmen. xieren der Teile als Paste aufgetragen oder aufge-
Die Vorteile dieser Erwärmungsart sind: spritzt. Bedingt durch die hohen Kosten, wird die-
– Durch gleichmäßiges Aufheizen und Abkühlen ses Verfahren nur für die Serienfertigung angewen-
sind die Lötteile nahezu spannungs- und ver- det. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist der
zugsfrei. geringe Wartungs- und Instandhaltungsaufwand.
– Löten komplizierter Werkstücke mit vielen Löt-
stellen ist wirtschaftlich möglich. Ein wichtiger technischer und wirtschaftlicher Vor-
– Durch Anwenden geeigneter (reduzierender auch teil ist die leichte Mechanisierbarkeit der meisten Löt-
inerter) Schutzgase bleiben die Oberflächen der verfahren. Der Lötvorgang ist bei richtiger Wahl des
Lötteile metallisch blank. Lotes und Flussmittels nur sehr wenig störanfäl-
lig. Der Einsatz qualifizierter Fachkräfte ist daher
Elektrischer Strom kaum erforderlich. Allerdings sind einige löttechni-
Die Arbeitstemperatur beim Induktionshartlöten sche Besonderheiten der Serien- bzw. Massenferti-
wird durch einen in den zu lötenden Teilen induzier- gung zu beachten. Der Konstrukteur muss die zu ver-
ten, hochfrequenten Wechselstrom erzeugt, Bild bindenden Teile so gestalten, dass sich gleichmäßig
3-148. Die Wärme entsteht bei diesem Verfahren enge, in Fließrichtung des Lotes äquidistante Spal-
ten bilden. Diese Forderung ist besonders wichtig,
Werkstück
Generator weil die Korrektur des Lötvorganges durch einen
fachkundigen Handlöter bei der großen Stückzahl
(Mittel- oder Lötnaht
Hochfrequenz) nicht möglich und auch aus wirtschaftlichen Grün-
den nicht erwünscht ist. Die Teile müssen in der rich-
Induktor tigen Lage zueinander fixiert und solange gehalten
(wasser-
gekühlt) werden, bis das in den Spalt eingedrungene Lot er-
starrt ist. Das Lot (und auch das Flussmittel) lassen
Werkstück sich auf verschiedene Weise aufbringen. Vielfach
Bild 3-148 werden von Hand oder aus Magazinen zugeführ-
Einrichtung zum Induktionshartlöten (nach DIN ISO 857-2). te Lotformteile (Draht oder Lotblech) verwendet.
224 3 Fügen

Für das mechanisierte Löten werden häufig die me- getragenen Flussmitteln oder mit Hilfe reduzieren-
chanisch wenig aufwändigen Lötvorrichtungen oder der Lötatmosphären (Schutzgase, »Vakuum«) ge-
Lötmaschinen verwendet, die Einrichtungen zum löst. Die chemisch sehr beständigen Oxide z. B. der
automatischen Werkstücktransport besitzen. Bild Metalle Aluminium, Chrom und Titan müssen mit
3-149 zeigt schematisch die zwei wichtigsten, rela- sehr aggressiven Sonderflussmitteln gelöst werden.
tiv preiswerten Lötmaschinenbauarten mit den För- Ein vollständiges Beseitigen der Flussmittelrück-
dereinrichtungen Drehtisch und Förderband, die die stände nach dem Löten ist daher zwingend erforder-
Werkstücke intermittierend oder kontinuierlich durch lich, anderenfalls sind Korrosionserscheinungen am
die Erwärmungszone führen, in der der Lötprozess Werkstück unvermeidlich.
abläuft.
Flussmittel sind hauptsächlich Salzgemische, die in
Pulver-, Pasten-, Gasform oder flüssiger Form ver-
3.6.3 Flussmittel; Vakuum; Schutzgas wendet werden.

Die Benetzung und Ausbreitung des flüssigen Lo- Der Temperaturbereich, in dem die Flussmittel und
tes sowie die Legierungsbildung zwischen Lot und die gewählten Lötatmosphären wirksam sind, ist
Grundwerkstoff erfordert metallisch blanke Werk- der Wirktemperaturbereich. Die Arbeitstemperatur
stückoberflächen. Oxide, Fremdstoffschichten (Far- des verwendeten Lotes muss im Wirktemperaturbe-
ben, Fette, Schlacken, Beläge aller Art) sind daher reich des Flussmittels liegen. Flussmittel und Lot
vor dem Löten durch eine mechanische (z. B. Bürs- müssen daher aufeinander abgestimmt sein, eine For-
ten) oder chemische Behandlung (z. B. Beizen) sorg- derung, die auch von erfahrenen Praktikern manch-
fältig zu beseitigen. Die während des Lötens neu mal nicht genügend beachtet wird.
gebildeten Oxide werden mit auf die Lötflächen auf-
Flussmittel können ihre Aufgaben nur dann erfül-
Abkühlung auf
500 ° C ... 400 ° C
len, wenn ihre Schmelztemperatur unter der des ver-
wendeten Lotes liegt, da die Lösung der Oxide be-
Reihenbrenner
ginnt, bevor die Arbeitstemperatur (etwa gleich der
Schmelztemperatur des Lotes) erreicht ist. Das Fluss-
mittel muss außerdem einen gleichmäßigen, dich-
ten Überzug bilden, dessen Wirksamkeit bei der
Löttemperatur über die Dauer der Lötzeit erhalten
bleibt. Ein möglichst tiefliegender Wirktemperatur-
Aufsetzen der Abnehmen bereich und eine hohe Lösungsgeschwindigkeit der
zu lötenden Teile der Lötteile
Oxide verhindern ein Verzundern des Werkstücks
beim Erwärmen. Damit wird die praxiserprobte Re-
a) gel verständlich, nach der schnell erwärmt (ausrei-
Reihenbrenner chend rasche und intensive Energiezufuhr) und mög-
lichst schnell gelötet werden soll. Die maximale
Lötzeit wird durch die Erschöpfung des Lösungs-
vermögens des Flussmittels für Metalloxide be-
grenzt. Die Wirkzeit des Flussmittels bei der Löt-
temperatur beträgt nur etwa 4 bis 5 Minuten.

Die Lötspalte sind so zu dimensionieren, dass die


eindringende Flussmittelmenge zum Lösen der Oxi-
de ausreicht. Sehr enge Spalte werden daher oft nicht
b) vollständig mit Flussmittel (und Lot) ausgefüllt,
nicht gelöste Oxidreste, d. h., die Gefahr von Fehl-
Bild 3-149
lötungen, sind dann unvermeidlich (s. a. Abschn.
Lötmaschinenbauarten für das mechanisierte und automa-
tische Löten (nach Degussa). 3.6.5). Grundsätzlich muss mit höherer Arbeitstem-
a) Karussell-Lötmaschine (intermittierende Bewegung) peratur die Spaltbreite größer werden, weil die Oxid-
b) Förderband-Lötmaschine (kontinuierliche Bewegung) filmdicke dann zunimmt.
3.6 Löten 225

Tabelle 3-17. Flussmittel zum Weich- (DIN EN 29454-1) und Hartlöten (DIN EN 1045) metallischer Werkstoffe, Auszug.
Die bisher gültigen Bezeichnungen sind in Klammern angegeben.

Flussmittel- Typ Zusammensetzung Anwendungsbereich


gruppe (Verhalten der
Flussmittelrückstände)

Borverbindungen und Fluoride Silberhartlote mit Arbeitstemperaturen bis max. 800 °C,
FH10
(korrodierend) Vielzweckflussmittel, Rückstände müssen entfernt werden

Flussmittel zum Hartlöten


Borverbindungen und Fluoride Hartlote mit Arbeitstemperaturen zwischen 700 °C
Hartlöten FH20
(korrodierend) und 1000 °C Rückstände müssen entfernt werden
Schwermetalle
(DIN EN 1045) Borverbindungen, Phosphate, Sili- Hartlote mit Arbeitstemperaturen über 1000 °C
FH30
cate (i. Allg. nicht korrosiv) Rückstände müssen entfernt werden
Chloride und Fluoride Hartlote mit Arbeitstemperaturen zwischen 600 °C und 1000 °C
FH40
(i. Allg. korrodierend) im Reaktorbau (borfrei!), Rückstände müssen entfernt werden
Hygroskopische Chloride und Flu- Für Werkstoffe, die gewaschen (auch gebeizt, neutralisiert)
Hartlöten FL10
oride (korrodierend) werden können
Leichtmetalle
(DIN EN 1045) Nicht hygroskopische Fluoride Für Werkstoffe, die nicht mit Feuchtigkeit in Berührung
FL20
(nicht korrodierend) kommen dürfen

3.2.2 Zink- und (oder) Ammoniumchlo-


Chromhaltige Stähle, stark oxidierte Werkstücke
(F-SW-11) rid und freie Säuren (korrodierend)
3.1.1 Zink- und (oder) Ammoniumchlo- Chromfreie Stähle, NE-Metalle, wenn Abwaschen der
Weichlöten
Flussmittel zum Weichlöten

(F-SW-12) rid (korrodierend) Rückstände möglich, Kühlerbau, Klempnerarbeiten


Schwermetalle
(DIN EN 29454) 2.1.1 Amine, Diamine, Harnstoff Chromfreie Stähle und NE-Metalle, wenn Abwaschen der
(F-SW-24) (bedingt korrodierend) Rückstände nicht möglich, Feinlötungen, Elektrotechnik

1.1.3 Harze mit halogenfreien Zusätzen


Kupfer, Elektrotechnik, Elektronik, gedruckte Schaltungen
(F-SW-32) (nicht korrodierend)

3.1.1 Lotbildende Zink- und (oder) Zinn-


(F-LW-1) chloride (»Reaktionslot«)
Weichlöten
2.1.3 Rein organische Verbindungen,
Leichtmetalle Für Werkstücke, die gewaschen werden können
(F-LW-2) z. B. Amine (korrodierend)
(DIN EN 29454)
2.1.2 Organische Halogenverbindungen
(F-LW-3) (korrodierend)

Beispiel für die Bezeichnung eines Flussmittels zum Weichlöten nach DIN EN 29454-1 (s. Tabelle 3-16):
Lot 3.2.2 (F-SW-11):
3: anorganischer Flussmitteltyp,
2: saure Flussmittelbasis,
2: Flussmittelaktivator ist nicht die Phosphorsäure, sondern eine andere Säure.

Die Flussmittel sind in DIN EN 1045 (Hartlöten) und Flussmittel zum Hartlöten von Leichtmetal-
DIN EN 29454-1, bzw. DIN EN ISO 9454-1 (Weich- len (Aluminium, Magnesium) mit den Buchsta-
löten der Schwer- und Leichtmetalle) genormt. Ta- ben FL für die Klasse und zwei darauf folgen-
belle 3-17 zeigt Einzelheiten und Eigenschaften der de Ziffern (DIN EN 1045):
Flussmittel zum Weich- und Hartlöten. Es werden FL10, FL20.
unterschieden: Diese Flussmittel wirken oberhalb 550 °C.
Die Ziffern kennzeichnen den Wirktemperatur-
Flussmittel zum Hartlöten von Schwermetal- bereich und geben Hinweise auf die Zusammen-
len sind gekennzeichnet mit den Buchstaben FH setzung des Flussmittels. Die Auswahl erfolgt
für die Klasse und zwei Ziffern (DIN EN 1045): in erster Linie nach der Arbeitstemperatur des
FH10, FH20, FH30 und FH40 verwendeten Lotes. Es werden Universal- und
für Stähle, rostfreie Stähle, Kupfer und Kupfer- Sonderflussmittel unterschieden, die besondere
legierungen, Nickel und Nickellegierungen, Edel- Eigenschaften besitzen (z. B. können sie sehr
metalle, Molybdän und Wolfram, dünnflüssig oder sehr dickflüssig sein).
226 3 Fügen

Flussmittel zum Weichlöten von Schwer- und ums lassen sich nicht in reduzierenden Schutzgas-
Leichtmetallen (DIN EN 29454-1) werden nicht atmosphären bei noch beherrschbaren Temperatu-
mehr nach der Wirkung der Flussmittelrück- ren lösen, diese Metalle sind also auch nicht lötbar.
stände, sondern gemäß ihrem Gruppenaufbau ge-
kennzeichnet, Tabelle 3-16. Sie werden mit drei Inerte Schutzgase, wie z. B. Argon, werden zum Lö-
Ziffern gekennzeichnet (z. B. 2.1.3). Die Kenn- ten hochlegierter Stähle verwendet. Diese Gase sind
ziffern geben Hinweise auf den Flussmitteltyp im Gegensatz zu den wasserstoffhaltigen Schutzga-
(2: organischer Flussmitteltyp), die Flussmittel- sen explosionssicher, besitzen aber keine reduzie-
basis (1: wasserlösliches Flussmittel) und den rende Wirkung.
Flussmittelaktivator (3: Flussmittel wird ohne
Halogene aktiviert). Die Wirktemperaturen lie- Die Verwendung von Vakuum als »Oxidlöser« bie-
gen etwa zwischen 200 ’C und 400 ’C. Ein Besei- tet den großen Vorteil, dass die Zugabe von Flussmit-
tigen der Flussmittelrückstände wird mit zuneh- tel entfällt. Das Verfahren erfordert sehr hohe Inves-
mender Oxidlöslichkeit wegen ihrer korrosiven titionskosten (Ofenanlage, Vakuumpumpe). Die me-
Wirkung immer dringlicher. chanischen Gütewerte werden aber von keinem an-
deren Lötverfahren erreicht. Es wird bei Temperatu-
In Tabelle 3-17 werden für ausgewählte Flussmittel ren über 600 ’C und Drücken zwischen 101 hPa und
einige wichtige Hinweise auf die Zusammensetzung 106 hPa gelötet. Das Verfahren wird bei der Ferti-
und Beispiele für die Anwendung gegeben. gung von Elektronen- und Senderöhren sowie im
Turbinenbau mit großem Erfolg angewendet.
Das Entfernen der Oxide mit Flussmitteln ist mit
einer Reihe von Nachteilen verbunden: Der Wirkmechanismus des »Schutzgases« Vakuum
– Flussmittel muss auf die Oberflächen aufgebracht ist nicht genügend genau bekannt. Die Zersetzung
werden. Oft ist auch das Beseitigen der Reak- des Oxids als Folge des niedrigen Sauerstoffpartial-
tionsprodukte erforderlich. Die zusätzlichen Ar- drucks ist sicher nicht der entscheidende Mechanis-
beitsgänge verringern die Wirtschaftlichkeit des mus. Wahrscheinlicher ist das Aufbrechen der Oxi-
Verfahrens. de beim Erwärmen und ihre anschließende Unter-
– Flussmitteleinschlüsse sind kaum vermeidbar, wanderung durch das flüssige Lot. Diese Vorgänge
Füllgrade von etwa 80 % bis 90 % sind schon sind mit einiger Sicherheit auch für die oxidlösen-
als gut anzusehen. de Wirkung der inerten Schutzgase verantwortlich.
– Die Wirksamkeit geht nach verhältnismäßig kur- Die Qualität des Vakuums wird entscheidend von
zer Zeit (4 bis 5 Minuten) verloren. der Menge der unerwünschten Gasbestandteile Sau-
erstoff, Wasserdampf und Kohlendioxid bestimmt.
Die genannten Nachteile werden weitestgehend ver-
mieden, wenn das Beseitigen der Oxidschichten mit
(reduzierendem oder inertem) Schutzgas oder im 3.6.4 Lote
Vakuum erfolgt. Das Löten mit diesen oxidlösenden
»Medien« geschieht ausschließlich in teuren Ofenlöt- Die thermische Beanspruchung des Werkstücks
anlagen, d. h., es wird überwiegend für Massenarti- beim Löten ist gering, der Umfang und die Art werk-
kel verwendet. stofflicher Veränderungen sind im Allgemeinen ver-
nachlässigbar. Sie sind abhängig von der Art des
Die reduzierende Wirkung der Schutzgase ist ab- Lotes, d. h., im Wesentlichen von der Arbeitstempe-
hängig von der Stabilität der Oxide und der Menge ratur. Die Lötdauer liegt zwischen einigen Sekun-
und Art der im Schutzgas enthaltenen reduzieren- den (Induktionslöten) und wenigen Minuten.
den (z. B. H2, CO) und nicht reduzierenden Kompo-
nenten (z. B. H2O, CO2). Mit zunehmender Menge Lote sind meistens Legierungen, z. T. werden auch
an Feuchtigkeit und zunehmender Bildungsenthal- reine Metalle benutzt. Sie werden in Form von z.B.
pie der zu lösenden Oxide steigt die Löttemperatur. Drähten, Stäben, Blechen, Pulvern, Pasten und Form-
Sie ist damit nicht nur von der Art des Lotes, son- teilen verwendet. Je nach der Höhe der Liquidustem-
dern auch wesentlich von der Art (chemische Zusam- peratur TL der Lotwerkstoffe unterscheidet man die
mensetzung) und Güte des verwendeten Schutzgases Lötverfahren Weichlöten (TL  450 ’C) und Hartlö-
abhängig. Die Oxide z. B. des Titans und Alumini- ten (TL ! 450 ’C). Das Hochtemperaturlöten ist ein
3.6 Löten 227

Tabelle 3-18. Die Lotgruppen nach DIN 1707-100 (Weichlote), DIN EN ISO 9453 (Weichlote), DIN EN 61190-1-3
(Elektronik-Weichlote), DIN EN 1044 (Hartlote) und DIN EN ISO 3677 (Hartlote), Auswahl.

Gruppenbezeichnung Typische Lote nach Erstarrungs- Anwendungsbereich


DIN bzw. DIN EN bereich
°C

S-Pb60Sn40E 183 bis 238 Elektroindustrie


S-Sn70Pb30 183 bis 192 Elektrogerätebau, Miniaturtechnik, Elektronik
S-Pb78Sn20Sb2 183 bis 270 Klempnerarbeiten
Schwermetallweichlote
S-Sn63Pb37P 183 Kupferinstallation für Warm- und Kaltwasser
(DIN 1707-100)
S-Sn90Pb10 183 bis 215 Elektroindustrie, für hohe Betriebstemperatur
S-Pb95Sn3Ag2 304 bis 310 Klempnerarbeiten
S-Cd95Ag5 340 bis 395 Elektroindustrie, für hohe Betriebstemperatur

S-Sn99Cu1 227
Schwermetallweichlote S-Sn91Zn9 199
Weichlote

(DIN EN ISO 9453) S-Sn52In48 118


Elektronik, Leiterplatten (SMD-Technik)
Bleifreie Sn-Cu-Lote, S-Sn96Ag4 221
Bleifreie Sn-Cu-Ag-Lote S-Sn97Ag3 221 bis 230
S-Sn96Ag3Cu1 221 bis 224
Sn99Cu.7C 227
Schwermetallweichlote Sn96Ag04E 221
(DIN EN 61190-1-3) Sn96Ag03Cu04E 217 Elektronik, Leiterplatten
Bleifreie Elektroniklote Sn99 232
In52Sn48C 118
Aluminiumweichlote
S-Zn95Al5 380 bis 390 Ultraschall- und Ofenlöten
(DIN 1707-100)
Al AL 102 (L-AlSi7,5) 575 bis 615 Elektrotechnik, Elektronik, lochplattierte Bleche
Aluminiumhartlote AL 103 (L-AlSi10) 575 bis 590 Elektrotechnik, Elektronik, lochplattierte Bleche
(DIN EN 1044) AL 104 (L-AlSi12) 575 bis 585 Elektrotechnik, Elektronik
AG AG 101 (L-Ag60Sn) 620 bis 685 Gas- und Wasserinstallation
Silberhartlote AG 106 (L-Ag34Sn) 630 bis 730 Gas- und Wasserinstallation
(DIN EN 1044) AG 304 (L-Ag40Cd) 595 bis 630 Elektrotechnik, Kältetechnik, Kfz-Zulieferindustrie
B-Ag60CuSn-600/730 600 bis 730 Löten von CrNi-Stählen, Titan
Silberhartlote B-Ag44CuZn-675/735 675 bis 735 Für Lötstellen mit Betriebstemperaturen bis 200°C
(DIN EN ISO 3677) B-Cu36AgZnSn-630/730 630 bis 730 Für Lötstellen mit Betriebstemperaturen bis 200°C
B-Ag40ZnCdCu-595/630 595 bis 630 Stähle, Cu, Cu-Legierung, Ni, Ni-Legierung
CP CP 201 (L-CuP8) 710 bis 770
Kupfer, Rotguss, Kupfer-Zink-Legierungen
Kupfer-Phosphorhartlote CP 202 (L-CuP7) 710 bis 820
Hartmetallwerkzeuge
(DIN EN 1044) CP 203 (L-CuP6) 710 bis 890
Hartlote

B-Cu80AgP-645/800 645 bis 800 Verbindungen, die mit Trinkwasser in Berührung


Kupfer-Phosphorhartlote
B-Cu89PAg-645/815 645 bis 815 kommen. Cu mit Cu ohne Flussmittel, mit Flussmit-
(DIN EN ISO 3677)
B-Cu93P-710/820 710 bis 820 tel für Messing, Bronze
CU CU 101 (L-Cu) 1085 bis 1085 Stähle
Kupferhartlote CU 103 (−) 1085 bis 1085 Stähle
(DIN EN 1044) CU 202 (L-CuSn12) 825 bis 990 Eisen- und Nickelwerkstoffe
NI 102 (L-Ni2) 970 bis 1000
NI und CO
NI 106 (L-Ni6) 875 bis 875
Nickel- und Kobalthartlote Nickel, Kobalt und ihre Legierungen, legierte Stähle
NI 108 (L-Ni8) 980 bis 1010
(DIN EN 1044)
CO 101 (−) 1120 bis 1150
PD 101 (−) 900 bis 950
PD
PD 102 (−) 875 bis 900
Palladiumhartlote
PD 201 (−) 1235 bis 1235 Typische Vakuumhartlote
(DIN EN 1044)
PD 203 (−) 1080 bis 1090 Turbinen- und Reaktorbau
AU AU 101 (−) 905 bis 910 Radio- und Elektronenröhren
Goldhartlote AU 102 (−) 930 bis 940
(DIN EN 1044) AU 104 (−) 995 bis 1020
228 3 Fügen

flussmittelfreies Löten unter Luftabschluss (Schutz- Zum Handlöten (Kabellöten, Klempnerarbeiten)


gas, Vakuum) mit Loten, deren Liquidustemperatur ist dagegen eine bestimmte Teigigkeit des flüssigen
über 900 ’C liegt. Die wichtigsten Lote sind Edel- Lotes zweckmäßig, die die Modellierfähigkeit ver-
metalle, Nickel-Basis-Lote und andere. Die Festig- bessert und damit das Weglaufen des flüssigen Lo-
keiten dieser Verbindungen erreichen oft die Festig- tes erschwert. In diesen Fällen werden Legierungen
keiten der zu verbindenden Grundwerkstoffe. mit einem deutlich größerem Erstarrungsbereich
verwendet, wie z. B. das als Schmierlot oder auch als
Weichlöten ist ein thermisches Füge- und Beschich- Wischlot bezeichnete und in der Praxis noch häufiger
tungsverfahren mit Loten, die nach der neuen RoHS verwendete Lot S-Pb78Sn20Sb2 oder S-Pb60Sn40E
überwiegend auf Zinnbasis aufgebaut sind. In den (mit Schmelzbereichen zwischen 183 ’C und 270 ’C,
meisten Fällen werden Flussmittel verwendet. Das bzw. 183 ’C und 238 ’C). In Tabelle 3-18 sind die Ein-
Verfahren bietet dann Vorteile, wenn dichte und teilung der Lote, ihr Anwendungsbereich und einige
(oder) elektrisch leitende Verbindungen erforder- für den Lötprozess wichtige löttechnische bzw. phy-
lich sind. Höhere Festigkeiten erfordern bestimm- sikalische Eigenschaften zusammengestellt.
te konstruktive Maßnahmen. Durch die niedrigen
Arbeitstemperaturen sind die Bauteilverzüge gering, Der geforderte Verzicht auf Blei [sowie Hg, Cd, Cr 6,
die Erwärmungsvorgänge sind unkritisch, gut steu- polybromierte Biphenyle (PBB) als Flammhemmer
erbar und mechanisierbar (nach DIN ISO 857-2). und polybromierte Diphenylether (PBDE)] in Elekt-
ronikprodukten ist in den zwei Richtlinien der EU
Weichlote (DIN 1707-100, DIN EN ISO 9453, RL 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altge-
DIN EN 61190-1-3) räte (WEEE: Waste Electrical and Electronic Equip-
Das Verhalten und einige Eigenschaften der tech- ment) und der RL 2002/95/EG zur Beschränkung
nisch wichtigsten Weichlote auf der Basis Blei-Zinn der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und
können der Fachliteratur und dem Zustandsschau- Elektronikgeräten enthalten. Die Umsetzung in na-
bild, Bild 3-150, entnommen werden. Schnellfließen- tionales Recht erfolgte zum 13. August 2004 in einer
de, dünnflüssige für die Elektroindustrie geeignete RoHS genannten Richtlinie: Directive on the Restric-
Lote sind eutektische oder naheutektische Legie- tion of the Use of Certain Hazardous Substances in
rungen. Wegen des bei ihnen fast fehlenden Erstar- Electrical and Electronic Equipment. Sie bestimmt,
rungsbereich bleibt die Schmelze bis zum Erstarren dass ab dem 1. Juli 2006 nur noch Geräte in den
flüssig und wird nicht durch primär ausgeschiedene Verkehr gebracht werden dürfen, die die Anfor-
Kristalle »teigig«. Die Schmelztemperatur des eutek- derungen nach RoHS erfüllen. Gemäß diesen Vor-
tischen Weichlotes S-Sn63Pb37P liegt bei 183 ’C. gaben dürfen dann für diese Geräte nur noch blei-
Lotformteile für Massenlötungen müssen grundsätz- freie Lote verwendet werden. Der Einsatz bleifreier
lich aus eutektischen Legierungen bestehen. Bei Lo- Lotlegierungen hat eine höhere Löttemperatur (Um-
ten mit größeren Erstarrungsintervallen kann nur die rüsten der Lötanlagen ist erforderlich!) und einen
sich zuerst bildende Schmelze in den Lötspalt eindrin- bis zu vierfach höheren Preis der überwiegend zinn-
gen, die noch festen Kristalle (Kristallite) machen haltigen und damit wesentlich teureren Lote zur Fol-
ein Verschießen des Lotes unmöglich. ge. Einige bleifreie Lote sind in DIN EN ISO 9453
und DIN EN 61190-1-3 genormt, Tabelle 3-18.
°C S-Pb78Sn20Sb2
327
300
S Hartlote (DIN EN 1044, DIN EN ISO 3677)
Temperatur T

S-Sn63Pb37P
Nach DIN EN 1044 werden die Hartlote nach dem
sog. ersten Bezeichnungssystem in acht Gruppen
200 S+ a S+ b eingeteilt (Tabelle 3-18). Das Kurzzeichen für jeden
183 a
b
Lotzusatz besteht aus zwei Buchstaben für die Grup-
Eutektikum

100 pe. Es folgen drei Ziffern, die fortlaufend zugeord-


Eutektikum + a Eutektikum + b net sind und mit 101 beginnen. Einige Gruppen be-
stehen aus Untergruppen, bei denen die erste Unter-
0
Pb 20 40 60 80 % Sn gruppe mit 101 beginnt, die zweite mit 201 usw. Acht
Zinn Gruppen von Lotzusätzen sind zzt. genormt. In Klam-
Bild 3-150 mern sind die älteren, in der Praxis noch häufiger
Zustandsschaubild Blei-Zinn (Weichlote), s. Tabelle 3-18. verwendeten Bezeichnungen angegeben.
3.6 Löten 229

Im Folgenden werden einige wichtige Hartlote nach Einige Vakuumhartlote, wie AG 401, PD 201,
DIN EN 1044 vorgestellt. AU 101 bis 106, werden mit geringeren Ver-
AL: Aluminiumbasislote unreinigungen benötigt. Nach DIN EN 1044
Da Aluminium nur mit sehr wenigen Elemen- (Tabelle 1) werden Klasse 1 für die höchsten,
ten Legierungen bildet, existiert eine sehr ge- Klasse 2 für die weniger hohen Ansprüche an
ringe Anzahl geeigneter Al-Hartlote. Das wich- die Verunreinigungsgrenzwerte unterschie-
tigste Lot ist die sehr korrosionsbeständige eu- den. Lote, deren Verunreinigungswerte die-
tektische Legierung AL 104 (L-AlSi12). Rein- sen Bedingungen entsprechen, erhalten den
aluminium lässt sich gut hartlöten. Mg- und zusätzlichen Buchstaben V und dazu die Zif-
Si-Zusätze erschweren die Benetzbarkeit und fer 1 oder 2, z. B. AU 101 V1.
senken die Solidustemperatur bis in die Nä-
he der Arbeitstemperatur der Lote. Die Vorteile der sehr teuren Vakuumhartlote (8 000
AG: Silberhaltige Hartlote bis 10 000 €/kg!) sind die im Vergleich mit anderen
Die Arbeitstemperaturen liegen zwischen Hartloten erzielbaren deutlich besseren mechani-
800 ’C und 860 ’C. Diese Lote werden u. a. schen Gütewerte. Die Verwendung von Flussmit-
für Stähle, Temperguss, Nickel, Kupfer und teln ist nicht erforderlich, daher ist der Füllgrad der
deren Legierungen verwendet. metallisch blank bleibenden Lötstellen sehr groß.
Lote mit ! 20 % Massengehalt Ag sind die Die wichtigste Anforderung an diese Lote (und an
technisch wichtigsten Hartlote. Die kadmium- die zu lötenden Grundwerkstoffe) ist ein möglichst
haltigen Universalhartlote sind niedrigschmel- hoher Dampfdruck der beteiligten Elemente. Ein »Ver-
zend und erlauben ein werkstoff- und werk- dampfen« der Bestandteile (»Verderben« des Vaku-
stückschonendes Löten bei sehr kurzen Löt- ums, Porenbildung, mangelhafte Benetzbarkeit des
zeiten. Das niedrigstschmelzende Hartlot AG Lots) muss während des Lötvorganges und bei der
302 (L-Ag40Cd), mit einer Arbeitstempera- Beanspruchung im Betrieb vermieden werden. Die
tur von nur 610 ’C, wird wegen seines gerin- notwendige Benetzung des flüssigen Lotes im Vaku-
gen Erstarrungsintervalls bevorzugt zum Hand- um erfordert extrem verunreinigungsfreie Werkstof-
löten, aber auch zum Löten mit Lotformteilen fe. Die Lötflächen sind sorgfältigst zu reinigen und
auf Lötanlagen eingesetzt. nachzubehandeln (spülen und trocknen).
CP: Kupferbasislote mit Phosphorzusätzen
Die Arbeitstemperaturen liegen zwischen
845 ’C und 1040 ’C. Sie werden vorzugswei- 3.6.5 Konstruktive Gestaltung von
se zum Hartlöten von Eisen- und Nickelwerk- Lötverbindungen
stoffen sowie von Kupfer verwendet. Die phos-
phorhaltigen Lote sind wegen der Bildung sprö- Ähnlich wie beim Schweißen wird die Qualität und
der Eisenphosphidschichten zum Löten der Funktionssicherheit einer Lötverbindung entschei-
Eisenwerkstoffe nicht geeignet (s. Abschn. dend durch eine lötgerechte Konstruktion bestimmt.
3.6.1). Der Konstrukteur muss insbesondere sicherstellen,
NI: Nickelbasislote dass das Lot die Lötflächen möglichst vollständig
Diese auch korrosionsbeständigen Lote wer- benetzen und sich auf ihnen ausbreiten kann. Die
den zum Hochtemperaturlöten z. B. von Ei- Fertigung sollte wirtschaftlich möglich sein.
sen- und Nickelwerkstoffen im Kern- und Re-
aktorbau verwendet. Die hier gegebenen Hinweise erleichtern das Ver-
PD: Palladiumlote ständnis der in Abschn. 3.7 skizzierten Konstruk-
AU: Goldlote tionsbeispiele. Nachstehend werden die wichtigsten
Zum Löten im Vakuum bzw. bestimmter hoch- Grundregeln zusammengestellt.
reaktiver Werkstoffe, wie z. B. Titan, Zirkoni-
um und Beryllium sind Sonderhartlote erfor- Wahl und Form der Spaltbreite
derlich, die aus Edelmetallen (Ag, Au, Pd) Die Spaltbreite ist abhängig von dem angewende-
und Kupfer bestehen. Die Arbeitstemperatu- ten Lötverfahren (Bild 3-142) und der Art des Lotes.
ren dieser auch Vakuumhartlote genannter Die dünnflüssigen eutektischen Lote erfordern en-
Sonderlote liegen zwischen etwa 800 ’C und ge Lötspalte. Da ihr kapillarer Fülldruck hoch ist,
1300 ’C. können sie großflächige Lötfugen hervorragend aus-
230 3 Fügen

füllen. Lote mit großem Erstarrungsintervall sind fen bei geschruppten Oberflächen (Rautiefen 25 Pm
dickflüssiger, daher müssen die Spaltbreiten grö- bis ! 100 Pm) müssen in Fließrichtung des Lotes an-
ßer sein. Die Spaltbreite muss außerdem möglichst geordnet sein. Anderenfalls wird das Verschießen
konstant bleiben. Eine Breitenzunahme in der Fließ- des Lotes sehr behindert, die Füllung des Lötspal-
richtung des Lotes führt zu einer starken Abnah- tes bleibt unvollständig, und die Belastbarkeit der
me des kapillaren Fülldrucks pk, d. h., die weitere Lötverbindung wird verringert.
Ausbreitung des Lotes im Spalt ist unmöglich. Ein
sich in Fließrichtung verengender Spalt saugt dage-
gen das Lot in den Spalt. Die Lage der Lotformteile
bei Massenlötungen ist daher in Abhängigkeit von
3.7 Gestaltung von
der Fließrichtung des Lotes festzulegen, Bild 3-151. Lötverbindungen
Plötzliche Querschnittsänderungen des Spaltes sind
ebenso nachteilig wie z. B. keil- oder trichterförmige 3.7.1 Allgemeines
Spalterweiterungen (Bild 3-165, 3-171). Der Lotver-
brauch ist groß und die Bildung von Schwindungs- Die konstruktive Gestaltung der Lötverbindungen
lunkern wahrscheinlich. Sind Anordnungen gemäß muss eine Reihe von löt- und fertigungstechnischen
Bild 3-151 konstruktiv oder fertigungstechnisch nicht Bedingungen sicherstellen, so dass
möglich, dann müssen geeignete Lotformteile vorge- – die für den ordnungsgemäßen Ablauf des Löt-
sehen werden (Bild 3-159, Bild 3-160, Bild 3-166). prozesses erforderlichen physikalischen und
chemischen Vorgänge (Benetzen, Ausbreiten des
Die notwendigen Platzwechselvorgänge innerhalb Lots) stattfinden können,
der Flussmittel-Lot-Kombination laufen um so un- – die wirtschaftliche Fertigung möglich ist,
vollständiger ab, je größer die Lötfläche und je län- – sich die auftretenden Kräfte sicher übertragen
ger die Lotflusswege sind. Die damit verbundenen lassen.
Probleme der Flussmitteleinschlüsse und einer nicht
ausreichenden Formfüllung der Lötfläche lassen sich Voraussetzungen hierfür sind die
konstruktiv durch Verkürzen der Lotflusswege und – richtige Wahl der Lötspaltbreite und die
(oder) mittels Abflussöffnungen für das Flussmittel – lötgerechte Gestaltung der Lötverbindung.
beheben. Diese Methode ist in den Bildern 3-143
und Bild 3-157 dargestellt.
3.7.2 Gestaltungsregeln
Oberflächenfeingestalt der Lötstellen
Die (mittlere) Rautiefe Rz ist wesentlich für das Ver- Die Wahl der Lötspaltbreite ist abhängig von dem
mögen des Lotes, Oberflächen zu benetzen und sich – verwendeten Lot, der
auf ihnen auszubreiten. Die Rautiefen sollten nicht – Art der Lotzufuhr bzw. der Fertigung, dem
größer als 80 Pm bis 100 Pm sein, optimal im Be- – verwendeten Schutzmedium und der
reich zwischen 1,6 Pm und 25 Pm liegen. Die Rie- – Spaltbreitenänderung bei Erwärmung.
Lotdraht
Die Form der Lötstelle soll gewährleisten, dass
– der Lötspalt möglichst gleichmäßig die gesam-
te Lötfläche umschließt,
– ein Unterbrechen des Lötspalts vermieden wird,
– das Flussmittel entweichen kann,
– keine Spannungskonzentration auftritt.

a) b) c) Großflächige Lötstellen sollen möglichst vermieden


Bild 3-151 werden, weil die erreichbaren Lotflusslängen relativ
Spaltquerschnitte, die sich in Fließrichtung des Lots gering sind. Beim Löten unterschiedlicher Werkstof-
a) erweitern: sehr ungünstig (Lotfluss bleibt im Spalt »ste-
fe sind die unterschiedlichen Wärmeausdehnungs-
cken«)
b) nicht verändern, d. h. die gleich breit sind: günstig koeffizienten und die erheblich schlechteren Korro-
c) verengen: sehr günstig, das Lot verschießt bei einem ein- sionseigenschaften (Metalle bilden ein sehr wirksa-
gelegten Lotdraht in beide Richtungen (nach Degussa) mes galvanisches Element!) zu beachten.
3.7 Gestaltung von Lötverbindungen 231

3.7.3 Gestaltung gelöteter Gestaltung


Blechverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-152 Überlapp- bzw. Laschen-


Eine keil- oder trichterförmige Ausbildung des Löt- verbindung nach Bild 3-153
noch besser und Stand der
spaltes sollte vermieden werden, da sie eine Vermin- Technik
derung der Festigkeit, Erhöhung des Lotverbrauchs
(teuer, d. h. unwirtschaftlich) und Bildung von Fehl-
stellen (Lunker) zur Folge hat. Bild 3-152

Bild 3-153
Bei Stumpflötungen wird die Festigkeit des Grund-
werkstoffs nicht ausgenutzt (Lotfestigkeit geringer
als Werkstofffestigkeit). Überlapp- und Laschenver-
bindungen ermöglichen eine größere Lötfläche. Bild 3-153

Bild 3-154
Eckverbindungen sollten stets überlappt ausgeführt
werden. Mit dieser Maßnahme lässt sich die Lötflä-
che auf die für die zu übertragende Kraft erforderli-
che Größe erhöhen. Bild 3-154

Bild 3-155
Bei Dünnblechbehältern neigt die Querüberlappung
zum Abheben. Bei der Falznaht ist die Lötverbin-
dung teilweise mechanisch entlastet und übernimmt
vorwiegend Dichtfunktionen (teuer). Bild 3-155

3.7.4 Gestaltung gelöteter


Rundverbindungen
Bild 3-156
Beim Verbinden eines Bolzens mit einer Platte ist
die Stumpflötung zu vermeiden. Steckverbindungen
verringern die Beanspruchung und sind wegen der
größeren Nahtfläche höher beanspruchbar. Bild 3-156

Flussmittel-
einschlüsse

Bild 3-157
Beim Einlöten von Bolzen in Grundlöcher muss für
eine Entlüftung gesorgt werden, damit das Flussmit- Flussmittel Flussmittel
tel entweichen kann. Anderenfalls sind Flussmittel- eingeschlossen kann ablaufen

einschlüsse die Folge. Bild 3-157


232 3 Fügen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-158
Eine einwandfreie Lötverbindung zwischen einer
Buchse und einem Bolzen kann durch einen Absatz
in der Buchse (a) bzw. im Bolzen (b) sichergestellt
werden. In den Absatz wird das Lotdepot in Form
eines Lotringes eingelegt. Der Fließweg des Lotes a)

wird so wirksam verkleinert und der vorgegebene


Fließweg über die gesamte Länge sicher ausgefüllt.
Siehe hierzu auch Bild 3-163.

b)
Bild 3-158

Bild 3-159
Die Lötfugen müssen so gestaltet sein, dass das Lot
gut einfließen und sich möglichst ungehindert aus-
breiten kann, d. h., es ist eine ausreichende Spaltbrei-
te b erforderlich, Bild 3-142. Bild 3-159
L L

Bild 3-160
Ein Lotdepot L soll so eingelegt werden, dass mög-
lichst kurze Wege für den Lotfluss im parallelen
Spalt gewährleistet sind. Dadurch wird das Ausfül- Lot bleibt im
len (auch längerer Fließwege!) des Lotspaltes sehr Lötspalt »stecken«

erleichtert, s. a. Bild 3-163. Bild 3-160

Bild 3-161
Verengungen im Lötspalt beeinträchtigen den Durch-
fluss des mit Oxiden angereicherten Flussmittels.
In Spalten und in Rundungen muss die Spaltbreite
äquidistant bleiben. Bild 3-161

Bild 3-162
Ein allmählicher Übergang der Nabe zur Welle – be-
sonders wichtig bei dynamisch beanspruchten Ver-
bindungen – erzeugt eine geringere Kerbwirkung. Bild 3-162
Lot
Lot füllt Spalt
nicht
vollständig aus
Lot
Bild 3-163
Durch zweckmäßige Anordnung des Lotes kann der
Fließweg verkleinert und die Lagesicherung des Lo-
tes besser gewährleistet werden. Bild 3-163
3.7 Gestaltung von Lötverbindungen 233

3.7.5 Gestaltung gelöteter Gestaltung


Rohrverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-164
Rohre mit Wanddicken von 1 mm und darüber las-
sen sich stumpf aneinander löten (genaues Ausrich-
ten ist aber erforderlich, daher zeitaufwändig und teu-
er!). Muffen- und Steckverbindungen bieten ausrei-
chend große Lötflächen. Sie sind daher die zweckmä-
ßigeren Konstruktionsformen.

Lotformteil (Ring
mit rechteckigem
Querschnitt)

Bild 3-164

Bild 3-165 Schwindungs-


lunker
Bei der Lötverbindung der beiden Rohre ist darauf
zu achten, dass das aufnehmende Rohrende mög-
lichst zylindrisch aufgeweitet ist und sich somit äqui-
distant verlaufende Lötspalte ergeben. Kontinuier-
liche Erweiterungen, wie sie zum Vereinfachen der
Herstellung oder Montage häufiger angewendet wer-
den, verbrauchen viel Lot, sind damit unwirtschaft-
lich und haben schädliche Schwindungslunker zur
Folge, d. h., sie füllen den vorgegebenen Lötspalt
nicht vollständig aus. Bild 3-156
234 3 Fügen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 3-166
Der Lötspalt darf nicht unterbrochen werden, da das
Lot die Aufweitung des Spalts nicht überbrücken
kann. Als Folge der unzureichenden Kapillarwir-
kung kann das Lot nicht mehr »verschießen«.

Bild 3-166

Bild 3-167
Lotanhäufungen vermeiden (Lot ist gewöhnlich re-
lativ teuer, hat eine deutlich geringere Festigkeit als
der Grundwerkstoff, und es besteht die Gefahr der
Lunkerbildung). Das Einarbeiten bzw. Anpassen
des Rohres ergibt eine einwandfreie Verbindung. Bild 3-167
1

2
Bild 3-168
Zum Anlöten von Flanschen an Rohre ist ein Ab-
satz zwischen Flansch und Rohr zur Lotaufnahme
zweckmäßig. Ohne Absatz besteht die Gefahr, dass
sich das Lot großflächig über die Oberfläche vertei-
len würde (1), ohne dass es zu der gewünschten Bin-
dung zwischen Rohr und Flansch kommt. Außer-
dem wird der vorgegebene Lötspalt nicht vollstän-
dig ausgefüllt (2). Bild 3-168

Bild 3-169
Der Lotring muss so eingelegt werden, dass das Lot
durch Kapillarwirkung in den Lötspalt gesaugt wer-
den kann. Bild 3-169
3.7 Gestaltung von Lötverbindungen 235

3.7.6 Gestaltung gelöteter Gestaltung


Bodenverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-170
Stumpflötungen von Böden sind zu vermeiden, weil
die Lötfläche bei einer überwiegenden Zugbeanspru-
chung (Innendruck!) zu gering ist. Zweckmäßig ist
ein Absatz innen oder außen zwischen Boden und
Rohr zur Lotaufnahme. Mit dieser Maßnahme wird
die Lötfläche beträchtlich vergrößert.

Bild 3-170

Bild 3-171
Keinen keilförmigen Spalt vorsehen. Die zu fügen-
den Teile müssen zylindrisch sein, damit sich äqui-
distante Lötspalte ergeben. Eine andere zweckmä-
ßige konstruktive Maßnahme besteht darin, das Lot
in Richtung eines sich verengenden Spaltes fließen
zu lassen, siehe auch Bild 3-151. Bild 3-171

Bild 3-172
Blindflansche nicht stumpf verbinden, sondern mit
Führungszapfen anlöten. Bild 3-172
236 3 Fügen

3.8 Kleben Adhäsion zusammengefasst und jene Kräfte, die


zwischen den einzelnen Klebstoffmolekülen wir-
Das Verbinden von Fügeteilen wird beim Kleben ken als Kohäsion definiert, Bild 3-174.
durch eine dünne Klebstoffschicht erreicht. Die Fes-
tigkeit der geklebten Verbindung hängt von der Ei- Fügeteil 1 Fremdstoffe auf Fügeteil
(z. B. Verunreinigungen,
genfestigkeit (Kohäsion) und den Verformungseigen- Fette, Öle usw.)
schaften des Klebstoffs sowie von den Bindekräf-
ten zwischen Klebstoffschicht und der Fügeteilober- kristalline
fläche (Adhäsion) ab. Diese Grenzschichten sind von Struktur
Klebstoff
besonderer Bedeutung, Bild 3-173.
Fügeteil 1

Grenzschicht 1
Fügeteil 2

Klebstoffschicht keine Benetzung durch


zu enge Vertiefungen
Bild 3-174
Grenzschicht 2 Adhäsionskräfte ( ) und Kohäsionskräfte ( ) im Klebspalt
(nach Fa. DELO Industrie Klebstoffe).
Fügeteil 2

Bild 3-173 Die Adhäsion kann nur wirksam werden, wenn der
Aufbau einer Klebverbindung. Klebstoff die Fügeteile vollständig benetzt. Deshalb
müssen die Oberflächen vor dem Kleberauftrag ge-
Weitere Einflussgrößen sind die Eigenschaften der reinigt werden, damit Verunreinigungen oder Trenn-
Fügeteilwerkstoffe und die Abmessungen. Die Wirk- mittel, Lötstopplacke, Silicone oder Fettreste die
samkeit der Bindekräfte in der Grenzschicht kann Benetzung durch den Klebstoff nicht behindern. Da
durch Vorbehandlung der Klebflächen beeinflusst sämtliche adhäsiven Kräfte in einem Abstand zwi-
werden (s. VDI-Richtlinie 2229). schen 0,1 und 1 nm wirken, können geeignete Vorbe-
handlungen der Oberflächen eine wesentliche Festig-
Die Festigkeit der Klebstoffe ist im Vergleich zu den keitssteigerung von Klebverbindungen bewirken.
Metallen verhältnismäßig gering. Damit die Trag- Im Gegensatz zu diesen in den Grenzschichten wir-
fähigkeit einer Metallklebung und die der gekleb- kenden chemischen Wechselwirkungen spielt die
ten Werkstoffe annähernd gleich sind, müssen genü- mechanische Verklammerung in Hinterschneidun-
gend große Klebflächen vorgesehen werden. gen nur bei sehr porösen Werkstoffen eine Rolle, wie
z. B. bei Holz oder offenporigen Schäumen.
Die Konstruktion der Klebfuge sollte so ausgebildet
werden, dass die zu übertragenden Kräfte möglichst Unter dem Begriff Kohäsion fasst man die Kräfte
in Richtung der Klebebene angreifen, also als Scher- zusammen, die den Zusammenhalt des Klebstoffs
kräfte. Für die Aufnahme von Biege- und Schälkräf- bestimmen. Das gilt zum einen für die Zähigkeit ei-
ten sind Klebungen weniger geeignet. nes unausgehärteten Klebstoffs bei der Verarbei-
tung und zum anderen auch für seine Festigkeit nach
Eine Übersicht über die in der Klebstoff verarbeiten- der Aushärtung. Bei der Kohäsion spielen sowohl
den Industrie verwendeten Begriffe, Benennungen chemische Bindungen im Molekül, als auch physika-
und Definitionen enthält DIN EN 923. lische (Van-der-Waals-Kräfte) eine Rolle. Außer-
dem führt die Verknäulung fadenförmiger Molekü-
le oder faseriger Stoffbestandteile zu einem Form-
3.8.1 Wirkprinzip des Klebens schluss.

Die Kraftübertragung in einer Klebverbindung er- Die Oberflächenspannung von Fügeteilen und
gibt sich aus dem Zusammenspiel von Adhäsions- Klebstoffen spielt eine wichtige Rolle bei der Beur-
und Kohäsionskräften. Dabei werden die Kräfte teilung der Klebfähigkeit. Sie wird als die Span-
zwischen den Klebstoff- und Fügeteilmolekülen als nung definiert, die die Oberfläche eines Stoffes bei
3.8 Kleben 237

gegebenem Volumen zu verkleinern sucht, also die Benetzungsgrundsatz: Die Oberflächenspannung


Kugelform anstrebt. Sie tritt am auffälligsten an der des Klebstoffs muss kleiner als die Oberflächen-
Oberfläche von Flüssigkeiten auf, da diese der Ober- energie des Fügeteils sein. Tabelle 3-19 zeigt Beispie-
flächenspannung nachgeben können. Der Zusammen- le für die Oberflächenenergien verschiedener Werk-
hang zwischen Oberflächenspannung, Oberfläche- stoffe. Zum Vergleich sei aufgeführt, dass der Wert
nenergie und Benetzungswinkel ergibt sich aus der für destilliertes Wasser bei 73 mN/m und für einen
Youngschen Gleichung: typischen Klebstoff bei ca. 35 mN/m liegt.
s FG g KF  sKG ◊ cos a .
Ein kleiner Benetzungswinkel a ist das Maß für die
Diese Zusammenhänge zeigt Bild 3-175. gute Benetzungsfähigkeit eines Klebstoffs auf ei-
nem festen Fügeteil, ein großer Winkel a wird ein
schlechtes Klebergebnis zur Folge haben, Bild 3-176.

K Klebstoff
F Fügeteil
G Gasatmosphäre der Umgebung - Benetzungswinkel a ist klein
a Benetzungswinkel - Oberflächenspannung sSubstrat > sKlebstoff
s FG Oberfächenenergie des Fügeteils - Adhäsionsarbeit > Kohäsionsarbeit
s KG Oberflächenspannung des flüssigen Klebstoffs
g KF Grenzflächenspannung zwischen
Fügeteiloberfläche und dem flüssigen Klebstoff

Bild 3-175
Einfluss der Oberflächenspannungsverhältnisse auf den Be-
netzungswinkel a .

In der Praxis lässt sich die Oberflächenspannung ei-


nes Werkstoffs als Schnelltest mit Prüftinten ermit-
teln. Diese weisen jeweils eine definierte Oberflächen-
- Benetzungswinkel a ist groß
spannung auf und werden einzeln auf den Prüfling - Oberflächenspannung sSubstrat < sKlebstoff
aufgetragen. Nach etwa 2 Sekunden sieht man, ob - Adhäsionsarbeit < Kohäsionsarbeit
die Prüftinte verläuft oder sich zusammenzieht. Als Bild 3-176
Oberflächenspannung gilt näherungsweise der Wert Benetzungswinkel a als Kennzeichen der Klebfähigkeit.
der Prüftinte, die sich auf der Oberfläche gerade noch
nicht zusammenzieht. Wenn der Klebstoff auf dem Substrat kein ausrei-
chend gutes Benetzungsverhalten zeigt, könnte ei-
Tab. 3-19. Oberflächenenergie einiger Werkstoffe (nach Fa. ne Verunreinigung vorliegen. Falls auch nach einer
DELO Industrie Klebstoffe). Reinigung mit einem rückstandsfrei ablüftenden Rei-
Oberflächenenergie in mN/m
niger keine Verbesserung der Oberflächenspannung
eintritt, sollte eine geeignete Vorbehandlung der Ober-
Teflon PP PE PS PMMA PVC Epoxid PA flächen durchgeführt werden.
19 29 31 34 33 − 44 40 47 49 − 57

3.8.2 Vorbehandlung zur Steigerung


Silber Gold Kupfer Titan Eisen
der Klebfestigkeit
1250 1550 1850 2050 2550
Die Oberflächenbehandlung der Fügeflächen ist
Die Benetzung des Fügeteils durch den Klebstoff maßgebend für die Festigkeit und vor allem für die
ist also eine wichtige Voraussetzung für die Ausbil- Beständigkeit der Klebung gegen schädliche Umwelt-
dung hoher Bindungskräfte. Beim Kleben gilt der einflüsse (speziell das Einwirken von Feuchtigkeit).
238 3 Fügen

Die Haftfähigkeit der Klebflächen lässt sich gegen- den gesetzlichen Vorschriften erst nach durchgeführ-
über dem alleinigen Entfetten in fast allen Fällen mit ter Reduktion, Neutralisation und Abtrennung des
Hilfe nachfolgender mechanische oder chemischer Chroms (im Falle der Pickling-Beize) in Abwasser-
Behandlungen verbessern. Dadurch erreicht man leitungen oder Gewässer abgelassen werden.
nicht nur erhöhte Festigkeitswerte mit geringerer
Streuung, sondern auch fast immer eine Erhöhung Als Nachbehandlung müssen die Fügeteile nach
der Alterungsbeständigkeit der Klebung. jedem chemischen Behandlungsschritt der Nassver-
fahren mit voll entsalztem Wasser gespült und ge-
Zur mechanischen Behandlung eignen sich ausrei- trocknet werden. Auf diese Trocknung (z. B. mit er-
chend harte Bürsten, das Schmirgeln oder Schlei- wärmter Luft) kann nur verzichtet werden, wenn
fen (ohne Schmiermittel) und das Strahlen mit fett- der einen Nassbehandlung unmittelbar eine weite-
freiem Strahlmittel und fettfreier Druckluft. Für re folgt. Die Art der Nassbehandlung ist für die Gü-
Schleif- und Strahlmittel werden nach DIN ISO 525 te der Klebung von wesentlichem Einfluss. Durch
Korngrößen von 100 bis 150 empfohlen. Nach dem unsachgemäßes oder unvollständiges Nachbehan-
mechanischen Behandeln sind Staubreste sorgfäl- deln kann die Wirksamkeit chemischer Oberflächen-
tig zu entfernen. behandlungsverfahren wieder aufgehoben oder so-
gar ins Gegenteil verkehrt werden.
Chemische Oberflächen-Vorbehandlungsverfahren
eignen sich im Wesentlichen für Aluminium- und Ti- Spülen mit Wasser dient dazu, Chemikalienreste
tanlegierungen. Hier erbringen sie (gegenüber me- zu entfernen. Das Nachspülen mit vollentsalztem
chanischer Behandlung) vorzugsweise verbesserte oder destilliertem Wasser verhindert, dass sich Sal-
Beständigkeit der Klebungen. Beim Beizen unter er- ze auf der Klebfläche ablagern können. Die einzel-
höhter Temperatur (z. B. Pickling, Chemoxal) verduns- nen Spülvorgänge beeinflussen die Oberflächen be-
tet Wasser. Daher muss über einen Niveauregler die züglich der Wirksamkeit des Haftgrundes in einer
verdunstete Wassermenge fortlaufend ergänzt wer- sehr unterschiedlichen Weise.
den. Die Zusammensetzung der Beizlösungen än-
dert sich durch reaktive Vorgänge an den Metallober- Zum Trocknen unmittelbar nach dem Spülen wird
flächen und ist insbesondere bei längerem Gebrauch oft ein Warmluftofen mit Luftumwälzung benutzt.
der Bäder zu kontrollieren und zu regulieren (Arbeits- Hierbei ist auf Sauberkeit und Staubfreiheit zu ach-
anwendungen der Beizmittelhersteller beachten). ten. Bei Aluminiumfügeteilen soll die Temperatur
im Ofen nicht über 65 ’C betragen. Die Teile müssen
Hinweise über die Vorschriften des Umweltschutzes vollständig trocken sein, wenn der Klebstoff auf-
geben die Gewerbeaufsichtsämter. Verbrauchte Beiz- getragen wird. Anderenfalls kommt es zu beträcht-
lösungen und das Spülwasser dürfen entsprechend lichen Festigkeitseinbußen der Klebverbindung.

Tabelle 3-20. Beanspruchbarkeit von Klebverbindungen (nach Brockmann).

Beanspruchung Eigenschaften, Anwendbarkeit

Niedrig

Zugscherfestigkeit bis 5 N/mm2


Umgebung Klima in geschlossenen Räumen, kein Kontakt mit Wasser
Einsatzgebiete Feinmechanik, Elektrotechnik, Modellbau, Schmuckindustrie, Möbelbau, einfache Reparaturen

Mittel

Zugscherfestigkeit bis 10 N/mm2


Umgebung gemäßigtes Klima, Öl, Treibstoffe
Einsatzgebiete Maschinenbau, Fahrzeugbau, Reparatur

Hoch

Zugscherfestigkeit über 10 N/mm2


Umgebung beliebiges Klima, direkte Berührung mit wässrigen Lösungen, Ölen, Treibstoffen, Lösungsmitteln
(Beständigkeit der Klebstoffe beachten)
Einsatzgebiete Fahrzeugbau, Schiffbau, Behälterbau
3.8 Kleben 239

Art und Umfang der jeweils notwendigen Vorbe- tel). Dadurch wird die Benetzung durch den Kleb-
handlung der Klebflächen hängen auch von den ge- stoff beeinträchtigt, was eine ungenügende Adhäsi-
forderten Beanspruchungen ab. Als Beispiel für die on zur Folge hat.
mechanische Beanspruchbarkeit wird hier die Zug-
scherfestigkeit nach DIN 54455 gewählt, Tabelle 3-20. Das Entfetten kann mit organischen Lösungsmitteln
im Lösungsmitteldampfbad, im Tauchbad oder be-
Bei der Berechnung von Klebverbindungen sind die helfsmäßig durch Abspülen vorgenommen wer- den.
Scherfestigkeit tkl und Rp0,2 grundsätzlich nur für den Ein Lösungsmitteldampfbad besteht aus einem Be-
Fall einer statischen und rein mechanischen Beanspru- hälter (z. B. aus verzinktem Eisenblech), auf des-
chung gültig. Liegt dagegen eine Dauerbeanspru- sen Boden eine Heizung angebracht ist oder der von
chung vor und kommen weitere die Festigkeit min- außen beheizt wird. Dieser Behälter soll möglichst
dernde Einflüsse hinzu, müssen entsprechend redu- schmal gebaut und mit einem Deckel abgeschlossen
zierte Werte eingesetzt werden. Durch die Deforma- sein. Im Behälter wird Lösungsmittel beim Behei-
tionsmechanik treten an den Überlappungsenden zen verdampft, Tabelle 3-21, und unterhalb des Be-
erhebliche Spannungsspitzen auf, Bild 3-177. hälterrandes in einer Kühlzone kondensiert.
tmax
Tabelle 3-21. Siedepunkt von Lösungsmitteln für Reinigungs-
zwecke.
tm
Lösungsmittel Siedepunkt in °C
d

Aceton + 56
Methylenchlorid + 42
F F Perchlorethylen + 121
b Trichlorethylen + 87
1.1.1-Trichlorethan + 74


Die zu entfettenden Teile werden in die Entfettungs-
Bild 3-177 zone eingebracht. Der an ihnen kondensierende
Verlauf der Scherspannungen bei Belastung einer einfach Dampf tropft als Kondensat mit dem gelösten Fett
überlappten Klebverbindung. in den Lösungsmittelsumpf zurück. Die Lösungsmit-
tel sind im Dampfzustand fettfrei, so dass eine gute
Diese müssen bei den Berechnungen durch einen Entfettung erzielt wird. Der Entfettungsvorgang ist
Sicherheitsfaktor 2 bis 3 berücksichtigt werden. Als beendet, wenn die zu entfettenden Teile die Tempe-
praktische Maßnahme gegen das Ablösen der Fü- ratur des Dampfes erreicht haben.
geteilenden können sog. Schälsicherungen vorgese-
hen werden, z. B. Nieten, Umfalten oder Vergrö- Die Entfettung kann auch im Lösungsmitteltauch-
ßern der Steifigkeit durch aufgeklebte Laschen. bad durchgeführt werden, dessen Wirksamkeit sich
durch zusätzliches Einwirken von Ultraschall we-
sentlich steigern lässt. Hierbei ist zu beachten, dass
3.8.3 Vorbereitung der Klebung sich der Badinhalt mit Fett anreichert, so dass die
Teile beim Herausnehmen nicht völlig fettfrei sind.
Klebungen sollten in staubfreien, gut belüfteten Räu- Der Badinhalt muss daher kontrolliert und öfter er-
men mit einer Raumtemperatur zwischen 18 ’C und neuert werden. Erhöhte Sicherheit beim Tauchbad-
25 ’C ausgeführt werden. Die relative Luftfeuch- entfetten bietet ein zusätzliches kurzes Abspülen
tigkeit sollte im Allgemeinen nicht mehr als 65 % der Fügeflächen mit reinem Lösungsmittel nach der
betragen. Entnahme aus dem Bad.

Das Reinigen und Entfetten muss grundsätzlich für Zum Entfetten mit wässrigen Reinigungsmitteln wer-
alle Klebflächen vorgesehen werden. Nur bei Plasti- den alkalische, neutrale oder saure Lösungen (z. B.
solklebstoffen kann mitunter auf das Entfetten ver- Grisiron oder P3) verwendet. Entfettet wird bei hö-
zichtet werden. Auch blank erscheinende Metallober- heren Temperaturen oder in einem Elektrolysebad
flächen sind meist nicht frei von Öl oder Fett (Schmier- (je nach den verbindlichen Verfahrensvorschriften
mittel von der Bearbeitung, Korrosionsschutzmit- der Lieferfirmen).
240 3 Fügen

Alkalische Entfettungsmittel sind zum Entfernen können bei richtiger Auswahl mit allen Reaktions-
von Walzölresten auf Blechen besser geeignet als klebstoffen verklebt werden.
organische Lösungsmittel. Nach dem Entfetten müs-
sen die Fügeteile mit vollentsalztem oder destillier- Duroplaste sind räumlich eng vernetzte Makromo-
tem Wasser gespült und sofort getrocknet werden. leküle, die nach dem irreversiblen Aushärteprozess
in einem starren bis spröden Zustand vorliegen. Sie
Nach der Vorbehandlung darf man die Klebflächen verändern sich kaum mit steigender Temperatur, ihr
nicht mehr mit bloßen Händen berühren. Außerdem nutzbarer Bereich endet beim Beginn des Zersetzungs-
muss darauf geachtet werden, dass sich auf der be- bereichs, Bild 3-179a).
handelten Oberfläche vor dem Klebstoffauftrag kein
Staub oder Öldampf ablagern kann. Eine Möglich- Das Polymersystem ist temperaturstandfest, nicht
keit dazu besteht darin, die frisch behandelten Ober- schmelz- und schweißbar, unlöslich sowie nur schwach
flächen durch Primer zu schützen. quellbar.
Amorpher Thermoplast

3.8.4 Eigenschaften polymerer

Glasübergangsbereich
Werkstoffe
Schubmodul G

Fließbereich
Ausgehärtete Klebstoffe und viele der zu verkleben-
den Materialien gehören zur Gruppe der hochpolyme-
ren Werkstoffe. Diese werden synthetisch aus dem
Konstruktiv nutzbarer
Rohstoff Erdöl hergestellt. Die Einteilung der poly- Bereich
meren Werkstoffe in Thermoplaste, Duroplaste und
Elastomere basiert auf dem strukturellen Aufbau der
Moleküle. Dieser bestimmt das Verhalten der Kunst-
stoffe in Abhängigkeit von der Temperatur.

Thermoplaste sind aus unvernetzten linearen oder


verzweigten Kettenmolekülen aufgebaut, die bei Er- TG
wärmung bis zur Fließfähigkeit erweichen und beim a) Temperatur T

Abkühlen wieder verfestigen. Diese reversiblen Zu-


standsänderungen werden ohne chemische Reakti- Teilkristalliner Thermoplast
onen durchlaufen. Das Polymersystem ist schmelz-
bar, schweißbar, quellbar und löslich. Je nach Ketten-
aufbau können diese Kunststoffe in amorphem oder
Schubmodul G

Schmelzbereich

teilkristallinem Zustand vorliegen. Bei ersterem wird


der nutzbare Bereich durch den Glasübergangsbe-
reich begrenzt, bei dem zweiten durch den Kristal-
Glasübergangsbereich

lit-Schmelzbereich, Bild 3-178.


Konstruktiv nutzbarer
Als Werkstoffbeispiele aus der Gruppe der Thermo- Bereich
plaste können aufgeführt werden:
– Polyamid für Gehäuse, Lager, Schrauben, Zahn-
räder;
– Polycarbonat für Displays, Gehäuse, CDs;
– Polyethylen für Schläuche, Folien, Behälter;
– PMMA für Schutzglas und Dachverglasung; TG Tm
– Polystyrol für Telefongehäuse, Dämmplatten und b)
Temperatur T

Rückleuchten.
Bild 3-178
Zustandsschaubilder typischer Thermoplaste.
Beispiele für thermoplastische Klebstoffe sind die a) Amorpher Thermoplast
Schmelzklebstoffe (»Hotmelts«). Thermoplaste selbst b) teilkristalliner Thermoplast
3.8 Kleben 241

Als Werkstoffbeispiele aus der Gruppe der Duro- gen gummi-elastischen Verformbarkeit, da sich die
plaste können aufgeführt werden: verknäuelten Molekülketten zwischen den Vernet-
– Polyester für Bootskörper; zungspunkten relativ weit dehnen können. Beim
– Polyurethan für Skistiefel und Schuhsohlen. Nachlassen der äußeren Kräfte nimmt das System
wieder die ursprüngliche Lage ein. Das Polymersys-
Beispiele für duromere Klebstoffe sind: tem ist nicht schmelzbar und nicht löslich, aber durch
– Epoxidklebstoffe; die weitmaschige Vernetzung quellbar.
– Polyurethanklebstoffe;
– Acrylatklebstoffe. Als Werkstoffbeispiele aus der Gruppe der Elastome-
re können aufgeführt werden:
Duroplaste können ebenfalls mit allen Reaktions- – Butadien-Kautschuk für Fahrzeugreifen;
klebstoffen verklebt werden, wobei die Auswahl an- – Silicone für Dichtungen aller Art.
wendungsspezifisch erfolgen muss.
Beispiele für elastomere Klebstoffe sind:
Elastomere sind weitmaschig vernetzte Makromo- – Silicone;
leküle, die bis zum Zersetzungsbereich nicht flüs- – Acrylate.
sig werden, Bild 3-179 b. Eine typische Eigenschaft
besteht in der z. T. von der Temperatur unabhängi- Elastomere werden vorzugsweise mit Siliconen, Cy-
Duroplast anacrylaten und Epoxidharzen verklebt.

Thermoplastische Elastomere nehmen eine Zwi-


schenstellung ein. Sie sind meist löslich und zeigen
Schubmodul G

ein mechanisches Verhalten wie die Elastomere.


Konstruktiv nutzbarer Bereich Zersetzungsbereich Oberhalb des nutzbaren Temperaturbereiches ha-
ben sie wie die Thermoplaste einen Fließbereich,
sind also wiederholt verarbeitbar, Bild 3-179c).
a) Temperatur T
Elastomer
3.8.5 Klebstoffarten
Zersetzungsbereich
Glasübergangsbereich
Schubmodul G

Für das konstruktive Kleben von Metallen unterei-


Konstruktiv nutzbarer Bereich nander und mit anderen Werkstoffen können unter-
schiedliche Klebsysteme verwendet werden. Die Aus-
wahl von Klebstoffen sollte nach anwendungstech-
nischen Kriterien vorgenommen werden, wie z. B.
– Auftragverfahren,
Temperatur T – Abbindebedingungen,
b)
Thermoplastisches Elastomer – Anforderungen an die Klebung.

Das folgende System der Klebstoffeinteilung nach


dem Abbindemechanismus entspricht inhaltlich der
Glasübergangsbereich
Schubmodul G

Fließbereich

VDI-Richtlinie 2229 hinsichtlich der Klebstoffaus-


Konstruktiv nutzbarer Bereich wahl unter konstruktiven, verfahrens- und klebtech-
nischen Gesichtspunkten.

3.8.5.1 Physikalisch abbindende Klebstoffe


c) Temperatur T Bei diesen Klebstoffen ist die Entstehung der Kleb-
schicht, das Abbinden, im Wesentlichen auf physi-
Bild 3-179
kalische Prozesse zurückzuführen, wie z. B.
Zustandsschaubilder verschiedener polymerer Werkstoffe.
a) Duroplast – Ablüften von Lösungsmitteln vor dem Fügen,
b) Elastomer – Erstarren einer Schmelze oder
c) thermoplastisches Elastomer – Gelierung eines zweiphasigen Systems.
242 3 Fügen

Die Klebstoffschichten sind thermoplastisch und ha- In den meisten Fällen handelt es sich bei diesen
ben somit eine stärkere Kriechneigung unter Belas- Klebstoffen um flüssige bis pastenförmige oder film-
tung als chemisch vernetzte Systeme. Mit physika- förmige, lösungsmittelfreie Systeme. Die chemische
lisch abbindenden Klebstoffen werden zumeist gut Reaktion wird durch einen Härter oder Katalysator
verformbare Klebfugen mit mittlerer Scherfestig- ausgelöst, kann aber auch durch Einwirken erhöh-
keit erreicht. Ein Zusatz von reaktiven Substanzen ter Temperaturen, von Luftfeuchtigkeit oder durch
zur Verstärkung der Haftvermittlung bedeutet noch Entzug von Sauerstoff herbeigeführt werden.
nicht, dass solche Systeme zu den chemisch reagie-
renden Klebstoffen gezählt werden. Polymerisationsklebstoffe sind als Ein- oder Zwei-
komponentensysteme verfügbar. In jedem Fall wird
Physikalisch abbindende Klebstoffe besitzen im Ver- die Polymerisation katalytisch ausgelöst. Zweikom-
gleich zu den Reaktionsklebstoffen im Allgemei- ponenten-Klebstoffe basieren auf Polymethylenacry-
nen nur eine geringe Wärme- und Lösungsmittel- laten, ungesättigten Polyestern oder anderen Vinyl-
beständigkeit. verbindungen.

Kontaktklebstoffe basieren auf gelösten Kautschu- Die Geschwindigkeit der Reaktion kann durch die
ken, die durch Harze und Füllstoffe modifiziert sind. Menge des zugesetzten Katalysators oder durch die
Man trägt sie beidseitig auf die Fügeteiloberflächen Temperaturführung gesteuert werden. Neben den
auf. Nach dem Ablüften der Lösungsmittel werden vor dem Auftrag zu mischenden Systemen gibt es
die Fügeteile unter kurzem, starkem Druckzusam- solche, bei denen Komponente »A« auf eine Seite
mengefügt und erreichen sofort eine relativ hohe An- des Fügeteils und Komponente »B« auf die andere
fangsfestigkeit. Seite aufgetragen werden müssen (Nomix-Verfah-
ren). Das Abbinden bei diesen Systemen setzt erst
Schmelzklebstoffe trägt man in geschmolzenem nach dem Zusammenfügen der zu klebenden Tei-
Zustand auf. Die Mehrzahl der Produkte wird etwa le ein. Dieses Verfahren wird u. a. zum Aufkleben
zwischen 150 ’C und 190 ’C verarbeitet. Unmittel- von Dehnungsmessstreifen (DMS) auf zu prüfende
bar nach dem Auftrag müssen die zu verklebenden Bauteile eingesetzt.
Teile vor dem Erstarren des Klebstoffs zusammen-
gefügt werden. Die Klebwirkung wird erreicht durch Bei den Einkomponenten-Polymerisationsklebstof-
die großen Kohäsionskräfte unterhalb des Erwei- fen auf der Basis von Cyanacrylaten wird die Re-
chungspunktes und die Adhäsion auf unterschied- aktion durch die auf den Fügeteiloberflächen vor-
lichen Substraten. handenen polaren Substanzen ausgelöst (Feuchtig-
keit). Klebstoffe, die durch Luft stabilisiert werden
Klebplastisole sind lösungsmittelfreie Klebstoffe, und erst in der Klebfuge unter Ausschluss von Luft
die zum Abbinden eine Wärmeeinwirkung zwischen polymerisieren, nennt man anaerob abbindend. Dies
140 ’C und 200 ’C benötigen. Sie bestehen aus ei- sind Acrylverbindungen, deren chemischer Aufbau
ner Dispersion von PVC in Weichmachern mit Füll- dem des Kunstglases ähnelt.
stoffen und Haftvermittlern. Eine besondere Eigen-
schaft von PVC-Plastisolen ist das Öl- und Fettauf- Polyadditionsklebstoffe sind dadurch gekennzeich-
nahmevermögen des Klebstoffs. net, dass mindestens zwei chemisch unterschiedli-
che Stoffe in einem stöchiometrischen Verhältnis ge-
3.8.5.2 Reaktionsklebstoffe mischt werden und miteinander reagieren. Die Reak-
Als Reaktionsklebstoffe werden solche Klebstoff- tion beginnt, wenn beide Komponenten in reaktions-
systeme bezeichnet, die vorher aus noch reaktions- fähigem Zustand aufeinandertreffen. Polyadditions-
fähigen niedermolekularen Verbindungen bestehen klebstoffe sind sowohl ein- als auch mehrkomponen-
und während der chemischen Härtung in der Kleb- tig verfügbar. Die wesentlichen Eigenschaften sol-
fuge in hochmolekulare, vernetzte Polymere über- cher Systeme sind die sehr geringen Volumenände-
führt werden. Man unterscheidet je nach Reaktions- rungen und die im Vergleich zu Polymerisations-
typ zwischen klebstoffen geringe Reaktionsgeschwindigkeit. Als
– Polymerisations-, Basis dienen in den meisten Fällen Epoxidharz oder
– Polyadditions- und reaktives Polyurethan. Während die zweikomponen-
– Polykondensationsklebstoffen. tigen Systeme flüssig bis pastös eingestellt sind und
3.8 Kleben 243

schon bei Raumtemperatur abbinden, benötigen die zeit vorgetäuscht wird. Eine Verlängerung der Topf-
einkomponentigen Klebstoffe (sowohl flüssig, pas- zeit ist in der Regel durch Kühlen der Mischung
tenförmig, in fester Form und als Klebfilm liefer- möglich. Die Probleme einer zu kurzen Topfzeit las-
bar) erhöhte Temperaturen zum Abbinden. sen sich durch Einsatz automatischer Mischanla-
gen umgehen.
Polykondensationsklebstoffe reagieren unter Ab-
spaltung flüchtiger Stoffe. Daher ist zu ihrem Abbin- Auftragen des Klebstoffs
den mindestens ein Pressdruck von 40 N/cm2 erfor- Der Klebstoff soll möglichst unmittelbar nach der
derlich. Für konstruktive Metallklebungen kommen Oberflächenbehandlung auf die Klebflächen aufge-
im Wesentlichen Klebstoffe auf der Basis eines flüs- tragen werden. Je frühzeitiger dies geschieht, desto
sigen Phenol-Formaldehyd-Harzes oder eines fes- größer ist die Sicherheit und die Festigkeit der Kle-
ten Polyvinylformaldehyds zum Einsatz, die bei ei- bung. Viskose Klebstoffe können mittels Pinsel,
ner Temperatur von 120 ’C bis 160 ’C abbinden. Auf Spachtel oder Spritzen von Hand aufgebracht wer-
gleicher Basis sind auch filmförmige Klebstoffe er- den. Meist wird der Klebstoff aber mit automatisch
hältlich. arbeitenden Geräten aufgetragen, die eine genaue
Dosierung gewährleisten. Die Menge richtet sich
Eine weitere relativ neue Gruppe von Polykonden- hauptsächlich nach der Fugendicke. Wichtig ist, dass
sationsklebstoffen mit besonders hoher Temperatur- die Fuge vollständig mit Klebstoff gefüllt ist. Die
beständigkeit basiert auf Polyamid oder Polybenzi- optimale Klebstoffdicke d ist den Angaben der Her-
midazol. Für die Verarbeitung dieser Klebstoffsys- steller zu entnehmen.
teme sind Temperaturen oberhalb von 230 ’C bei
einem Druck von 80 N/cm2 bis 100 N/cm2 zum Ab- Einkomponenten-Klebstoffe in fester Form werden
binden erforderlich. auf den Fügeteiloberflächen aufgeschmolzen. Eine
Sondergruppe der Einkomponenten-Klebstoffe sind
Klebstoffe und ihre Komponenten lassen sich nur Klebfilme. Sie werden entsprechend den Fügeflä-
begrenzt lagern. Die zulässige Lagerzeit ist von den chen zugeschnitten und zwischen die zu klebenden
Lagerungsbedingungen, vor allem von der Tempera- Teile gelegt. Sind Klebfilme durch Folien gegen Ver-
tur abhängig. Als Richtwert für die Lagerzeit kön- unreinigungen geschützt, so sollte man diese erst
nen 3 bis 12 Monate gelten. Die Vorschriften der kurz vor dem Aufbringen abziehen.
Hersteller sind genau einzuhalten.
Eine Anzahl von Klebstoffen enthält flüchtige Lö-
sungsmittel. Für diese Klebstoffe ist zwischen dem
3.8.6 Herstellung der Klebung Auftragen und Zusammenfügen der Teile die sog.
Ablüftzeit erforderlich, während der das Lösungs-
Mischen der Mehrkomponenten-Klebstoffe mittel verdunstet. Diese vom Hersteller vorgeschrie-
Mehrkomponenten-Klebstoffe werden in der Regel bene Zeitspanne ist genau einzuhalten.
vor dem Auftragen gemischt. Die Zeit zwischen dem
Mischen und dem Gelieren des Klebstoffs ist die Fügen und Fixieren
sog. Topfzeit, während der die Mischung verarbei- Nach dem Auftragen des Klebstoffs werden die Fü-
tet werden muss (Angaben der Hersteller beachten). geteile mit den Klebflächen zusammengelegt (Fü-
Die Topfzeit ist von der Größe des Klebstoffansat- gen). Die Fügeteile sind gegen ein Verschieben zu
zes, von der Menge des Härters und von der Tem- sichern (Fixieren). Das kann durch Zwingen, Klam-
peratur abhängig. mern, Klemmleisten, Spannbänder oder sonstige
Vorrichtungen geschehen. Die Auswahl der Vorrich-
Das Abbinden läuft als exotherme Reaktion, daher tungen hängt vom Klebstoff ab, vor allem wenn beim
erwärmt sich der Klebstoffansatz. Diese Erwärmung Abbinden Wärme erforderlich ist oder Druck auf
beschleunigt den Vernetzungsprozess und verkürzt die Klebflächen aufgebracht werden muss.
damit die Topfzeit. Bei großen Klebstoffansätzen
ist die Wärmeableitung schlechter und damit die Bei Wärmezufuhr muss die Masse der Spannvor-
Topfzeit kürzer als bei kleineren Mengen. Durch richtung klein gehalten und die Wärmeausdehnungs-
die entstehende Wärme wird die Viskosität der Mi- koeffizienten von Fügeteilen und Vorrichtungen be-
schung herabgesetzt, wodurch eine zu lange Topf- rücksichtigt werden. Ist während des Abbindens ein
244 3 Fügen

Druck auf die Klebflächen notwendig, muss die Abbindetemperatur und Abbindezeit
Spannvorrichtung den erforderlichen Druck auch in Bei allen Klebstoffen ergibt sich eine gewisse Abhän-
der Wärme auf die gesamte Fläche aufbringen und gigkeit zwischen Abbindetemperatur und -zeit. In be-
aufrecht erhalten können. Ausnahmen von der Re- stimmten Grenzen lässt sich die Abbindezeit durch
gel sind in erster Linie die Kontaktklebstoffe, für die erhöhte Temperatur verringern. Die Abbindezeit be-
im Allgemeinen einfachere Verarbeitungsbedingun- ginnt, sobald in der Klebfuge die vorgeschriebene
gen gelten. Temperatur erreicht ist. Die Wahl der Temperatur-
Zeit-Beziehung richtet sich nach den Eigenschaften
Abbinden unter Druckanwendung der Klebstoffe, den betrieblichen Möglichkeiten und
Klebstofftyp, Form und Abmessung des Bauteils be- nach dem Verhalten der zu klebenden Werkstoffe.
stimmen, ob und wie während des Abbindens Druck Über die gesamte Klebfläche ist eine gleichmäßige
anzuwenden ist. Gleichmäßiges Anliegen muss ggf. Temperaturverteilung einzuhalten bzw. anzustreben.
durch örtliche oder auch über die ganze Fläche ver- Dies muss z. B. mit Thermoelementen kontrolliert
teilte Druckkräfte erzwungen werden. Dies gilt be- werden. Um nach dem Abbinden ein Verwerfen zu
sonders für Klebflächen mit größeren Abmessungen vermeiden (besonders bei dünnwandigen zum Beu-
und für dünnwandige, zum Beulen neigende Füge- len neigenden Teilen), ist langsam und gleichmä-
teile, z. B. für Bleche. Ein Beispiel mit lösungsmit- ßig abzukühlen.
telhaltigen Klebstoffen, die unter der Einwirkung
von Druckkräften verklebt werden müssen, zeigt Kalthärtende Klebstoffe binden in der Regel bei ei-
Bild 3-180. ner Bauteiltemperatur von  18 ’C ab. Die zur Wei-
F F terbearbeitung der Teile benötigte Festigkeit wird
1 meist nach ein bis zwei Tagen, teilweise schon nach
3 wenigen Stunden erreicht. Das vollständige Abbin-
den kann aber wesentlich längere Zeiten in An-
2 spruch nehmen.
a) b)

3.8.7 Anwendungsbeispiele
4
Das Kleben ist eine sehr alte Verbindungstechnik,
die schon in grauer Vorzeit benutzt wurde, z.B. zum
c) Verkleben von Pfeilspitzen. Anfang des 19. Jahrhun-
Bild 3-180 derts wurden erstmalig Klebstoffe auf Kunstharz-
Verfestigungsprinzip bei lösungsmittelhaltigen Klebstoffen. basis angewendet. Die ersten Patenterteilungen zum
a) Beginn des Klebprozesses, im Spalt verteilte Kleblösung
Kleben von Metallen mit konventionellen Klebstof-
b) Zwischenstadium, teilweise verdunstetes Lösungsmittel
c) Ende des Klebvorgangs, lösungsmittelfreier Klebspalt fen erfolgten 1918/19 nahezu gleichzeitig in Deutsch-
land und England. In England fanden im 2. Welt-
Es bedeuten:
krieg auch erstmalig Spezialklebstoffe im Flugzeug-
1, 2 Fügeteile
3 Makromoleküle im Lösungsmittel verteilt bau ihren Einsatz. Nach Kriegsende begann eine ra-
4 verengter Klebspalt sante Entwicklung von Klebstoffen für Metalle, Kunst-
F Fügedruck stoffe und Mischverbindungen. Unterdessen hat sich
die Klebtechnik zu einer Hochtechnologie entwi-
Klebstoffe, die während des Abbindens einen defi- ckelt. Jährlich werden allein in Deutschland unge-
nierten Druck erfordern, sind in Vorrichtungen zu fähr 815 000 t Klebstoff produziert, die Hersteller
verarbeiten. Diese müssen den Druck gleichmäßig bieten über 25 000 unterschiedliche Produkte an
und zeitlich konstant auf die Klebflächen aufbrin- (Quelle: Industrieverband Klebstoffe e.V., 2009).
gen. Dafür kommen hydraulische Pressen, Druck-
autoklaven, aufblasbare Schläuche, Vakuumvorrich- Die besonderen Vorteile und Möglichkeiten der
tungen usw. in Frage. Beim Abbinden unter erhöh- Klebtechnik werden durch viele erfolgreiche An-
ter Temperatur darf man erst entlasten, wenn unter wendungen belegt. Folgende Tatsachen stehen für
die zulässige Temperatur für den verwendeten Kleb- den Ausbau des Klebens als Schlüsseltechnologie
stoff abgekühlt worden ist. in der Industrie:
3.8 Kleben 245

– Klebstoffe verbinden viele unterschiedliche Werk- häufig konventionelle Fügeverfahren wie Nieten,
stoffe in beliebigen Kombinationen, Hartlöten oder Schweißen ersetzen können.
– Kleben bietet die Basis für die fortschreitende
Miniaturisierung elektronischer Bauteile, In der Automobilindustrie ist Kleben zu einer Schlüs-
– Klebstoffe ermöglichen schnellstes Fixieren und seltechnologie geworden. Ein Auto enthält heute 15
Positionieren kleinster Bauteile, bis 18 kg Klebstoff, von der gesamten jährlichen
– Kleben erlaubt kreative Gestaltungsmöglichkei- Klebstoffproduktion entfallen rd. 9 % auf die Fahr-
ten im Glas-, Kunststoff- und Möbeldesign, zeugbranche. Autos mit geklebten Karosserieteilen
– Klebstoffe können sowohl isolierend als auch schneiden beim Crashtest besser ab als geschweißte,
elektrisch leitfähig eingesetzt werden. weil die Fügeteile nicht beeinträchtigt werden. Beim
Schweißen können durch die Erwärmung die spezi-
Nachfolgend sollen einige bemerkenswerte Anwen- fischen Eigenschaften des Werkstoffs verändert wer-
dungen aufgeführt werden, die von der Fa. DELO In- den und beim Nieten oder Verschrauben führen Lö-
dustrie Klebstoffe zur Verfügung gestellt wurden. cher zur Schwächung der Fügeteile. Moderne Kleb-
stoffsysteme sind somit zu einem Sicherheitsfaktor
Aus dem Bereich Maschinenbau zeigt Bild 3-181 in der Automobilindustrie geworden.
Kupplungselemente, die mit Reibbelägen verklebt
werden. Hierbei kommen wegen der geforderten
Temperaturbeständigkeit bis 140 ’C Epoxidharze
zur Anwendung. Diese aus zwei Komponenten auf-
gebauten Strukturklebstoffe härten nach dem Vermi-
schen von Harz und Härter bereits bei Raumtempe-
ratur aus. Weitere Vorteile sind die geringe Schrump-
fung und die hohe Festigkeit sowie Beständigkeit
gegenüber Chemikalien. Deshalb werden diese Kleb-
stoffe vorwiegend in Maschinenbau und Konstruk-
tion, der Automobilzulieferindustrie und allgemein
bei der Metallverarbeitung eingesetzt.

Bild 3-182 zeigt eine hochfeste Verklebung von


Saugrohrmodulen aus Magnesium für Kfz-Motore.
Hier wurden mit dem Ziel des konsequenten Leicht- Bild 3-182
baus die Ober- und Unterschalen sowie Seitenblen- Verklebung von Magnesiumteilen / Saugrohrmodul für Kfz-
den mit einkomponentigem Epoxidharz verklebt. Motore.
Diese Klebstoffe härten bei Temperaturen zwischen
100 ’C und 180 ’C aus, sind langzeitbeständig bis Auch direkt eingeklebte Front- und Heckscheiben
200 ’C und erzielen hohe Festigkeiten, so dass sie erhöhen die Steifigkeit von Karosserien und erlau-
ben die Konstruktion von Fahrzeugen, die mit nied-
rigen cw-Werten zu einer erheblichen Energieeinspa-
rung beitragen. Klebstoffe auf der Basis von Poly-
urethan halten die Karosserie eines Autos auch bei
hohen Geschwindigkeiten und unebenen Straßen si-
cher zusammen. Diesen Schwingungsbelastungen
halten auch geklebte (und wegen der Beständigkeit
gegen Salzwasser beschichtete) Steckkontakte an be-
heizten Kfz-Spiegeln stand, Bild 3-183.

Zur Befestigung von Innenverkleidungen an Auto-


türen benötigt man Klebstoffe, die unter Druck ab-
binden. Die Werkstücke können so in rationeller Ar-
Bild 3-181 beitsweise zunächst mit dem Klebstoff beschichtet
Kleben eines Reibbelages bei einem Kupplungselement. und erst später zusammengefügt werden. Beim Pres-
246 3 Fügen

sen wird der Haftklebstoff fest und verbindet den lastung. Von Wichtigkeit ist auch die DVGW-Zulas-
Kunststoff sicher mit dem Metall. Dadurch werden sung dieser Klebstoffart für Gasverbrauchsanlagen.
Zeit und Geld bei der Montage eingespart.
Bild 3-185 zeigt die hochfeste Verklebung eines Ro-
torpakets auf der Welle eines Elektromotors. Bei ei-
ner Spaltdicke von d 0,1 mm sind die Bauteile nach
2 min handfest und nach 1 bis 3 Stunden endfest.
Die Einsatztemperatur beträgt bis 200 ’C, die Druck-
festigkeit erreicht 33 MPa.

Bild 3-183
Geklebte und beschichtete Steckkontakte an Kfz-Spiegelhei-
zungen.

Eine völlig andere Klebstoffart wird für Schrauben- Bild 3-185


sicherungen, Gewindeabdichtungen bei Luft- und Gas- Verkleben eines Rotorpakets auf der Welle.
leitungen sowie Flächendichtungen an Flanschen
eingesetzt, Bild 3-184. Es handelt sich um anaerob Auch bei der Herstellung von Statorgehäusen für
(d. h. unter Sauerstoffabschluss) härtende Metha- Elektromotore lassen sich Kosten einsparen, wenn
crylate. Diese Klebstoffe sind einkomponentig, lö- statt der klassischen Befestigung mit Mitteln des
sungsmittelfrei und härten bei Raumtemperatur un- Maschinenbaus geklebt wird, Bild 3-186. Hier muss
ter Einfluss katalytischer Metallionen aus. Diese ra- die Klebefuge < 0,5 mm sein, die Aushärtungszeit
dikalische Polymerisationsreaktion kann durch Wär- beträgt 15 min bei 180 ’C.
mezufuhr beschleunigt werden. Die Klebung zeigt
hohe Druck- und Scherfestigkeit, gute Temperatur-
beständigkeit von – 60 ’C bis  200 ’C, Beständig-
keit gegen Vibrationen und dynamische Dauerbe-

Bild 3-184 Bild 3-186


Abdichtung von Flanschen gegen Medienaustritt, niedrig- Einkleben von Magneten in Statorgehäuse eines Elektromo-
fest und leicht lösbar. tors.
3.8 Kleben 247

Im Bereich Elektronik hat das Kleben eine noch grö- 4


ßere Bedeutung erlangt, z. B. bei der fortschreiten- 1
den Tendenz zur Miniaturisierung von Bauteilen.
Hier werden häufig photoinitiiert härtende Acryla-
te eingesetzt. Das sind Einkomponenten-Reaktions-
harze, die bei Raumtemperatur unter UV- oder sichtba-
rem Licht aushärten. Sie werden immer dann ein-
gesetzt, wenn ein Fügeteil aus durchstrahlbarem
2
Werkstoff besteht. In kurzen Taktzeiten können so 5
Elektrospulen auf Ferritkerne geklebt werden, Bild
3-187. Nach dem gleichen Prinzip werden auch die
Einzelteile von Handys (Glas- oder Plastikscheiben, 6
Lautsprecher, Kameragehäuse) verklebt, Bild 3-188.

Bild 3-188
Verklebung verschiedener Handy-Komponenten.
Es bedeuten:
1 Fixieren von Designelementen der Oberschale
2 Einkleben von Glas- oder Plastikscheiben in die Ober-
schale
3 Einkleben von Rahmen in die Abdeckung
4 Verkleben verschiedenster Komponenten und Werkstoffe
des Lautsprechers
5 Einkleben des Kameragehäuses in die Unterschale
6 Verkleben der einzelnen Unterschalenelemente

Bild 3-187
Fixieren einer Spule auf einem Ferritkern.

Nicht durchscheinende Werkstoffe werden besser


mit photoinitiiert härtenden Epoxidharzen verklebt.
Sie können aufgrund der Voraktivierung (DELO-
Patent) durch Licht ausgehärtet werden. Typische
Anwendungen sind die Sicherung von Lötkontak-
ten bei elektronischen Bauteilen, die Leiterplatten-
beschichtung, das Einkleben von Leiterplatten in
Gehäuse und die zuverlässige Gehäuseabdichtung
bei Airbag-Sensoren, Bild 3-189.

Bei der neuesten Entwicklung von Prozessor-Chips


können aufgrund der Größe von 1 bis 4 mm2 die Ver- Bild 3-189
bundmassen zum Schutz von Chip und Bonddräh- Gehäuseabdichtung bei Airbag-Sensoren. Der Pfeil kenn-
ten (elektrische Zuleitungen) nicht mehr einfach von zeichnet die Dichtfuge.
248 3 Fügen

oben aufgebracht werden. Daher wird der Chip oh-


ne Gehäuse direkt auf die Leiterplatte geklebt. Diese
sog. Chip-on-Board-Technologie (COB) wird in
Bild 3-190 erläutert.

Ringförmiger Wall (Dam) Vergussmasse (Fill)

Chip
Chip

Bonddraht (Gold) Klebstoff Fügeteil (Substrat)

Bild 3-190
Chip-on-Board-Technologie.

Nach dem Aufkleben werden zunächst die Bond-


drähte (aus Gold oder Aluminium) kontaktiert. Da- Bild 3-191
mit die feinen Drähte nicht beschädigt werden, wird Fixierung und Verklebung einer Spule vor dem Verlöten.
ein ringförmiger Wall (Dam) aus Klebstoff um den Der Pfeil kennzeichnet die Klebschicht.
Chip gesetzt und anschließend mit einer Vergussmas-
se (Fill) aufgefüllt (sog. Dam&Fill-Verfahren). Zunächst wird die Kehlnaht (im Bild auf der linken
Seite der Spule) in 10 s durch Licht fixiert. Nach
Dualhärtende Klebstoffe sind eine chemische Mo- dem Löten erfolgt dann die eigentliche Aushärtung
difikation strahlungshärtender Klebstoffe mit der des Klebstoffs unter dem Spulenkörper bei 130 ’C
Möglichkeit einer kombinierten Licht-/Wärmehär- in 2 min. Der Klebstoff wirkt stark spannungsaus-
tung. Das hat insbesondere Vorteile bei Bauteilen gleichend und vermindert die Beanspruchung der
mit größeren Schattenzonen. Einen mit diesem Kleb- Lötverbindung durch Vibrationen.
stoff gesicherten Spulenträger, der beim nachfolgen-
den Lötprozess nicht verrutschen darf, zeigt Bild
3-191.
3.9 Gestaltung von Klebverbindungen 249

3.9 Gestaltung von – den Werkstoffeigenschaften der Fügeteile und


deren Gestaltung,
Klebverbindungen – der wählbaren Eigenfestigkeit (Kohäsion) sowie
von Verformungseigenschaften des Klebstoffs.
3.9.1 Allgemeines
Je nach Krafteinleitung in die Klebflächen wird un-
Für die Haltbarkeit einer Klebverbindung ist deren terschieden zwischen
konstruktive Gestaltung von besonderer Bedeutung. – Zug-, Druck- oder Schälkräften, die senkrecht
Es ist vor allem auf die »klebgerechte« Krafteinlei- zur Klebfläche wirken,
tung in den Fügebereich und die sich daraus erge- – Scherkräften, die parallel zur Klebfläche wir-
bende Beanspruchung der Klebschicht zu achten. ken, und
Die Festigkeit einer geklebten Verbindung hängt im – Kombinationen oben genannter Kräfte.
Wesentlichen ab von
– den erreichbaren Haftkräften zwischen Kleb- Klebverbindungen sollten möglichst nur durch Scher-
stoffschicht und Fügefläche (Adhäsion), kräfte beansprucht werden.

3.9.2 Gestaltung geklebter Gestaltung


Blechverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-192

s
Der stumpfe Stoß a) ist zu vermeiden, da die Kleb- a) b)

fläche zu klein ist und der Klebstoff auf Zug bean-
sprucht wird. lü
b) Geschäftete Verbindungen erreichen höhere Fes-
tigkeitswerte, können aber nur bei dickeren Fü- s
geteilen ausgeführt werden (günstige Überlap-
pungslänge: lü O (10 ... 15) ¹s. c)
c) Mit größerer Überlappungslänge lü lässt sich die
Klebfläche kostengünstig vergrößern.
d) Zugeschärfte Überlappungen haben eine etwas
höhere Festigkeit, erfordern jedoch – wie ge-
schäftete Verbindungen – einen meist nicht zu d)
rechtfertigenden Fertigungsaufwand.
e) Bei abgesetzten Überlappungen ist der Ferti-
gungsaufwand extrem groß und die Tragfähig-
keit der Fügeteile sinkt durch die Querschnitts- e)

verminderung auf die Hälfte. Bild 3-192

Bild 3-193
Bei abgesetzten Doppellaschenverbindungen ist der
a)
Fertigungsaufwand zu hoch und die Tragfähigkeit
sinkt durch die Querschnittsverminderung.
a) Einfache Laschenverbindung nur dort anwen-
den, wo eine Seite der Klebung glatt sein soll.
b) Doppellaschenverbindungen haben eine höhere b)

Festigkeit, da der Kraftfluss symmetrisch ist. Bild 3-193


250 3 Fügen

Gestaltung Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig unzweckmäßig zweckmäßig

a)

a)

b)
b)

aber teuer und


aufwändig in der
Herstellung und
Anpassung

c) c)

aber teuer und


aufwändig in
der Herstellung

d) d)

Bild 3-194 Bild 3-195

Bild 3-194 Bild 3-195


Schälbeanspruchungen können vermieden werden Bei Winkelverbindungen kann das Abschälen ver-
durch mieden werden durch
a), c) Überlappen oder a), b) Abbiegen,
b) Doppellaschen bzw. mit Hilfe c) Anbringen von Winkelblechen bzw. Eckstü-
d) nicht lösbarer Verbindungselemente. cken oder durch
d) ein genutetes, spanend hergestelltes Eck-
Lässt sich eine Schälbeanspruchung nicht vermei- stück. Die Varianten c) und d) sind fertigungs-
den, so ist die Verbindung zusätzlich durch d) zu technisch sehr aufwändig zu realisieren, d. h.
sichern. ihre »Vorteile« relativieren sich!
3.9 Gestaltung von Klebverbindungen 251

3.9.3 Gestaltung geklebter Gestaltung


Rohrverbindungen unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 3-196
Bei Rohrleitungen kann die Klebfläche vergrößert
werden durch a)
a) Schäften,
b), c) Stecken oder
d), e) Muffen.
b)
Bei den konstruktiven Lösungen c) bis e) liegt eine
rotationssymmetrische Überlappung vor, bei der ei-
ne ausreichende Klebfläche durch Verändern der
Überlappungslänge lü einzustellen ist.

c)
Als Lastart kommen Zug, Druck und Torsion in
Betracht. Da bei der Klebung im rotationssymme-
trischen Spalt kein Aushärten unter Druckkräften
möglich ist, besteht die Gefahr der Hohlraumbildung.
Die dadurch bewirkten Spannungsspitzen er fordern d)
bei der Festigkeitsrechnung Sicherheitszuschläge.

Bei richtiger Anwendung können Rohrsteckverbin-


dungen teure Passungen ersetzen. e)

Bild 3-196

3.9.4 Gestaltung geklebter


Rundverbindungen

Bild 3-197
Geklebte Bolzen sind zu zentrieren, um ein Ver-
schieben bei der Montage zu vermeiden. Bild 3-197

Bild 3-198
Bei Rundverbindungen müssen konstruktive Vorkeh-
rungen getroffen werden, um die zuverlässige Aus-
füllung des Klebspalts mit Klebstoff bei der Mon-
tage sicherzustellen. Auch wenn es sich um dünn-
flüssigen Klebstoff handelt, ist ein Abstreifen durch
scharfe Kanten zu vermeiden. Bild 3-198
30°

Bild 3-199
Aufwändige Welle-Nabe-Verbindungen können häu-
fig kostengünstiger geklebt hergestellt werden; außer-
dem ist bei Rundverbindungen die erwünschte al-
leinige Scherung vorhanden. Bild 3-199
252 3 Fügen

Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum

Abschnitt 3.1 bis 3.7

Aichele, G.: Schutzgasschweißen. Messer Gries- DIN EN 12536: Schweißzusätze – Stäbe zum Gas-
heim Informationsabteilung, Frankfurt am Main schweißen von unlegierten und warmfesten Stäh-
1982. len – Einteilung, 8/2000.
Bargel, H.-J., u. G. Schulze (Hrsg.): Werkstoffkun- DIN EN 22553: Schweiß- und Lötnähte – Symboli-
de, 10. Aufl., Springer-Verlag Berlin, Heidelberg sche Darstellung in Zeichnungen, 3/1997.
2008. DIN EN 29454: Flußmittel zum Weichlöten; Eintei-
Beckert, M., A. Neumann, S. Böhme, W. Kliemand, lung und Anforderungen.
u. D. Kluge: Grundlagen der Schweißtechnik, Teil 1: Einteilung, Kennzeichnung und Verpa-
Anwendungsbeispiele der Verfahren und der Ge- ckung, 2/1994.
staltung, 7. Aufl., DVS-Verlag, Düsseldorf 1991.
DIN EN 60974: Lichtbogenschweißeinrichtungen.
Bernard, P., u. G. Schreiber: Verfahren der Autogen- Teil 1: Schweißstromquellen, 3/2004.
technik. Fachbuchreihe Schweißtechnik, Bd. 61,
DIN EN ISO 2560: Schweißzusätze – Umhüllte
DVS-Verlag, Düsseldorf 1973.
Stabelektroden zum Lichtbogenhandschweißen
Boese, U., D. Werner, u. H. Wirtz: Das Verhalten von unlegierten Stählen und Feinkornstählen –
der Stähle beim Schweißen. Einteilung, 3/2006.
Teil 1: Grundlagen, DVS-Verlag, Düsseldorf 1995,
Teil 2: Anwendung, DVS-Verlag, Düsseldorf 2007. DIN EN ISO 3677: Zusätze zum Weich-, Hart- und
Fugenlöten – Bezeichnung, 4/1995.
Dilthey, U.: Schweißtechnische Fertigungsverfah-
ren, Bd. 1, Schweiß- und Schneidtechnologien, DIN EN ISO 3690: Schweißen und verwandte Pro-
3. Aufl., Springer-Verlag Berlin, Heidelberg 2006. zesse – Bestimmung des diffusiblen Wasserstoff-
gehaltes im ferritischen Schweißgut, 3/2001.
DIN 1707-100: Weichlote – Chemische Zusammen-
setzung und Lieferformen, 2/2001. DIN EN ISO 6848: Lichtbogenschweißen und -schnei-
den – Wolframelektrode – Einteilung, 3/2005.
DIN 1910: Schweißen und verwandte Prozesse –
Begriffe. DIN EN ISO 6947 (Norm-Entwurf): Schweißnäh-
Teil 100: Metallschweißprozesse mit Ergänzun- te – Schweißpositionen, 6/2009.
gen zu DIN EN 14610, 2/2008. DIN EN ISO 9013: Thermisches Schneiden – Ein-
DIN 8505, s. DIN ISO 857-2. teilung thermischer Schnitte – Geometrische Pro-
duktspezifikation und Qualität, 4/2003.
DIN 8528: Norm wurde ersatzlos zurückgezogen.
DIN EN 439, s. DIN EN ISO 14175. DIN EN ISO 9453: Weichlote – Chemische Zusam-
mensetzung und Lieferformen, 12/2006.
DIN EN 499, s. DIN EN ISO 2560.
DIN EN ISO 9692: Schweißen und verwandte Ver-
DIN EN 756, s. DIN EN ISO 17632. fahren – Schweißnahtvorbereitung.
DIN EN 760: Schweißzusätze – Pulver zum Unter- Teil 2: Unterpulverschweißen von Stahl, 9/1999.
pulverschweißen – Einteilung, 5/1996. DIN EN ISO 13919: Schweißen – Elektronen- und
DIN EN 1011: Schweißen – Empfehlungen zum Laserstrahl-Schweißverbindungen; Leitfaden für
Schweißen metallischer Werkstoffe. Bewertungsgruppen für Unregelmäßigkeiten.
Teil 7: Elektronenstrahlschweißen, 7/2004. Teil 1: Stahl, 9/1996.
DIN EN 1044: Hartlöten – Lotzusätze, 7/1999. DIN EN ISO 13920: Schweißen – Allgemeintoleran-
DIN EN 1045: Hartlöten – Flußmittel zum Hartlö- zen für Schweißkonstruktionen – Längen- und
ten – Einteilung und technische Lieferbedingun- Winkelmaße; Form und Lage, 11/1996.
gen, 8/1997. DIN EN ISO 14372: Schweißzusätze – Bestimmung
DIN EN 12345: Schweißen – Mehrsprachige Benen- der Feuchteresistenz von Elektroden für das Licht-
nungen für Schweißverbindungen mit bildlichen bogenhandschweißen durch Messung des diffu-
Darstellungen, 5/1999. siblen Wasserstoffs, 2/2002.
Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum 253

DIN EN ISO 14175: Schweißzusätze – Gase und Fritz, A. H.: Schweißen bei Offshore-Anlagen und
Mischgase für das Lichtbogenschweißen und ver- im Schiffbau. In: Fügetechnik/Schweißtechnik.
wandte Prozesse, 6/2008. Lehrunterlage, 5. Aufl., DVS-Verlag, Düsseldorf
DIN EN ISO 17632: Schweißzusätze – Fülldraht- 1995.
elektroden zum Metall-Lichtbogenschweißen mit Hermann, F.-D.: Handbuch der Schweißverfahren,
und ohne Schutzgas von unlegierten Stählen und Tl.2, Autogentechnik, Thermisches Schneiden,
Feinkornstählen – Einteilung, 8/2008. Elektronenstrahlschweißen, Laserstrahlschwei-
DIN EN ISO 17659: Schweißen – Mehrsprachige ßen, Reibschweißen, Ultraschallschweißen. DVS-
Benennungen für Schweißverbindungen mit bild- Verlag, Düsseldorf 1992.
lichen Darstellungen, 9/2005. Killing, R. (Hrsg.): Handbuch der Schweißverfah-
DIN-Fachbericht ISO/TR 581 Technische Regel: ren 1. Lichtbogenschweißverfahren. DVS-Verlag,
Schweißbarkeit – Metallische Werkstoffe – Allge- Düsseldorf 1999.
meine Grundlagen, 4/2007. Killing, R.: Angewandte Schweißmetallurgie. DVS-
DIN ISO 857-1, s. DIN 1910-100. Verlag, Düsseldorf 1998.
DIN ISO 857: Schweißen und verwandte Prozesse Kuo, S.: Welding Metallurgy. Verlag Wiley-Intersci-
– Begriffe. ence 2002.
Teil 2: Weichlöten, Hartlöten und verwandte Be-
Lancaster, J. F.: Metallurgy of Welding, 6. Aufl.,
griffe, 3/2007.
Verlag William Andrew Publishing 1999.
Dorn, L.: Randbedingungen des Fügens durch Schwei-
Lenz, E.: Automatisiertes Löten elektronischer Bau-
ßen. In: Handbuch der Fertigungstechnik, Bd. 5:
gruppen. Siemens AG, München 1985.
Fügen, Handhaben, Montieren. Hrsg. G. Spur u.
Th. Stöferle. Hanser-Verlag, München 1986. Lippold, J. C., u. D. J. Kotecki: Welding Metallur-
Düren, C., u. W. Schönherr: Verhalten von Metal- gy and Weldability of Stainless Steels. Wiley &
len beim Schweißen. DVS-Berichte, Bd. 85, DVS- Sons, Inc., Hoboken, New Jersey 2005.
Verlag, Düsseldorf 1988. Müller, P., u. L. Wolff: Handbuch des UP-Schwei-
DVS 0957 Technische Regel: Umgang mit umhüll- ßens. Fachbuchreihe Schweißtechnik, Bd. 55.
ten Stabelektroden – Transport, Lagerung und DVS-Verlag, Düsseldorf 1978.
Rücktrocknung, 7/2005. Munske, H.: Handbuch des Schutzgasschweißens.
DVS 2707 Technische Regel: Plasmaschweißen – DVS-Verlag, Düsseldorf 1975.
Verfahrensübersicht, Gaseauswahl und Kennwer- Neumann, A.: Schweißtechnisches Handbuch für
te zum Schweißen, 4/1997. Konstrukteure, Teil 1. DVS-Verlag, Düsseldorf
DVS 2803 Technische Regel: Elektronenstrahlschwei- 1996.
ßen in der Mikrotechnik (Übersicht), 12/1974. Pomaska, H.-U.: MAG-Schweißen – kein Buch mit
DVS 2902 Technische Regel: Widerstandspunkt- sieben Siegeln – Linde AG, Höllriegelskreuth
schweißen von Stählen bis 3 mm Einzeldicke. 1989.
Teil 1: Übersicht, 9/2001. Ruge, J.: Handbuch der Schweißtechnik, Bd. I: Werk-
Teil 2: Punktschweißeignung, 9/2001. stoffe (1991), Bd. II: Verfahren und Fertigung.
DVS 3201 Technische Regel: Grundsätze für das Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1982.
Konstruieren von Bauteilen für das Elektronen-
Sahmel, P., u. H.-J. Veit: Grundlagen der Gestaltung
strahlschweißen im Fein- und Hochvakuum, 10/
geschweißter Stahlkonstruktionen (DVS-Fach-
2001.
buchreihe Schweißtechnik, Bd. 12). DVS-Verlag,
DVS 3204 Technische Regel: Elektronenstrahl- Düsseldorf 1989.
Schweißeignung von metallischen Werkstoffen,
Schulze, G.: Die Metallurgie des Schweißens, 4.
6/1988.
Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2010.
Fahrenwald, H. J, u. V. Schuler (Hrsg.).: Praxiswis-
sen Schweißtechnik – Werkstoffe, Prozesse, Ferti- Technische Regel für Gefahrstoffe, TRGS 531 1996.
gung, 3. Aufl. Vieweg + Teubner Fachverlage, Unfallverhütungsvorschrift VBG 15: Schweißen,
Braunschweig, Wiesbaden 2009. Schneiden und verwandte Verfahren 1997.
254 3 Fügen

Walker, J. R.: Arc Welding. Verlag Goodheart-Wil- Fauner, G., u. W. Brockmann: Fügen durch Kle-
cox Publisher 2000. ben. In: Handbuch der Fertigungstechnik, Bd. 5:
Fügen, Handhaben, Montieren. Hrsg. G. Spur u.
Abschnitt 3.8 bis 3.9 Th. Stöferle. Hanser-Verlag, München, 1986.
Brockmann, W., L. Dorn, u. H. Käufer: Kleben von Habenicht, G.: Kleben – Grundlagen, Technologi-
Kunststoff mit Metall. Springer-Verlag Berlin, en, Anwendungen, 6. Aufl., Springer-Verlag, Ber-
Heidelberg 1989. lin, Heidelberg 2009.
DELO Industrie Klebstoffe (Hrsg.): Bond it – Nach- Hahn, O., G. Otto, u. H. Stepanski: Bedeutung der
schlagewerk zur Klebtechnik, 4. Aufl., Windach Biegeteilbeanspruchung für die Dimensionierung
2007. einschnittig überlappter Metallverbindungen. Ind.-
Anz. 98 (1976), H. 88, S. 1571/1575.
DIN 54455: Prüfung von Metallklebstoffen und Me-
tallklebungen; Torsionsscherversuch, 5/1984. Hennemann, O.-D., W. Brockmann, u. H. G. Kol-
lek: Handbuch Fertigungstechnologie Kleben.
DVS (Hrsg.): Kunststoffe – Schweißen und Kleben.
Hanser-Verlag, München 1992.
Fachbuchreihe Schweißtechnik, Bd. 68/4. DVS-
Verlag, Düsseldorf 2001. Matthes, K.-J., u. F. Riedel (Hrsg.): Fügetechnik –
Löten, Kleben, Fügen durch Umformen. Fach-
Enke, K., u. St. Gülde: Anwendungsmöglichkeiten
buchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, Mün-
der Klebtechnik im Montagebereich von Bauma-
chen, Wien 2003.
schinen. Dipl.-Arbeit an der TFH Berlin 1996,
Betreuer Prof. Dr.-Ing. A. H. Fritz. VDI 2229: Metallkleben, Düsseldorf 1979.
255

4 Trennen (Zerteilen; 4.2 Scherschneiden


Spanen; Abtragen; Das Scherschneiden ist das am häufigsten angewen-
thermisches Schneiden) dete Verfahren in der Blechbearbeitung. Für jedes
herzustellende Teil wird entweder das Rohteil aus
Blech durch Schneiden hergestellt, oder das Fertig-
teil wird nach dem Umformen beschnitten. Schnei-
Trennen ist Fertigen durch Ändern der Form eines den ist ein Verfahren des Trennens, es gehört also
festen Körpers. Dabei wird der Zusammenhalt ört- nicht zu den Umformverfahren. Der Schneidevor-
lich aufgehoben, d. h. im Ganzen vermindert (z. B. gang ist jedoch immer mit einer plastischen Umfor-
durch Zerteilen, Spanen, Abtragen, thermisches mung verbunden, ehe der Werkstoff nach Erreichen
Schneiden). seiner Trennfestigkeit tB in der Scherfläche einreißt.

Das Scherschneiden kann mit parallelen oder schrä-


gen Schneiden erfolgen. Bild 4-2 zeigt hierzu Einzel-
4.1 Allgemeines und heiten. Der Schrägungswinkel ist wegen der Eben-
Verfahrensübersicht heit der Blechabschnitte rel. klein (d = 0,5 ° bis 3 °).
Abhängig von der Lage der Schnittfläche zur Werk-
Im Ordnungssystem der Fertigungsverfahren nach stückbegrenzung werden die Verfahren Ausschnei-
DIN 8580 ist das charakteristische Merkmal der den, Lochen, Abschneiden, Ausklinken, Einschnei-
Gruppe 3 Trennen das örtliche Aufheben des Stoff- den und Beschneiden beim Stanzen unterschieden.
zusammenhalts. Bild 4-1 gibt einen Überblick über
die Aufteilung der Hauptgruppe 3 mit den entspre- Ausschneiden und Lochen sind Schneidverfahren
chenden DIN-Normen. In der Gruppe 3 1 Zerteilen mit in sich geschlossener Schnittlinie, wie Bild 4-3
kann das Scherschneiden hinsichtlich der industri- zeigt. Beim Ausschneiden ist der vom Stempel durch
ellen Anwendung hervorgehoben werden. Die Be- die Schneidplatte gedrückte Werkstoffteil das Werk-
deutung der übrigen Verfahren, insbesondere Rei- stück. Die gesamte Außenform dieses Werkstücks
ßen und Brechen, ist demgegenüber gering. Dies wird in einem Arbeitsgang erzeugt. Der Rest des
liegt im Wesentlichen an der schlechten Qualität der Rohlings bzw. Bleches bleibt als Rand oder Gitter-
durch diese Verfahren erzeugten Trennflächen. Aus streifen als Abfall zurück.
diesem Grunde beschränkt sich die Behandlung der
Gruppe 3 1 auf das Scherschneiden. Beim Lochen wird eine Innenform am Werkstück
erzeugt. Der ausgeschnittene Werkstoff ist meist
Nach dem industriellen Einsatz dürfte die Gruppe der Abfall.
3 2 Spanen mit geometrisch bestimmten Schnei-
den (Drehen, Bohren, Fräsen usw.) die wichtigste Abtrennen ist das Trennen eines Teils vom Rohteil
sein. In der Gruppe 3 3 Spanen mit geometrisch oder vom Halbfertigteil. Die Schnittlinie ist meist of-
unbestimmten Schneiden übernimmt das Schleifen fen, sie kreuzt die Werkstückränder. An diesen Stel-
außer dem Fertigungsziel der guten Endqualität in len wird das Scherwerkzeug schneller abstumpfen.
zunehmendem Maße auch die Aufgabe des Werk-
stoffabtrags, so dass früher vorgeschaltete Verfahren, Ausklinken ist ein Herausschneiden von Werkstoff-
wie z. B. das Fräsen entfallen können. teilen an einer inneren oder äußeren Umgrenzung.
Auch hier ist die Schnittlinie offen. Ausklinken wird
In der Gruppe 3 4 Abtragen ist das thermische verwendet, um Teile der Schnittlinien eines Werkstücks
Trennen, z. B. beim Zuschneiden von Rohteilen für zu erstellen, das auf andere Weise nur schwer her-
Schweißkonstruktionen, am weitesten verbreitet, stellbar ist. Beispielsweise werden die quadratischen
deshalb wird vornehmlich auf dieses Verfahren Ecken einer Blechtafel ausgeklinkt, bevor die da-
eingegangen. Das Wasserstrahlschneiden hat seit durch entstehenden Seitenteile hochgeklappt und an
einigen Jahren aufgrund seiner vielen Vorteile ver- diesen Kanten zu einem Kasten verschweißt werden.
stärkt Eingang in die Praxis gefunden. Daher wird
auch dieses Trennverfahren in einem eigenen Ab- Einschneiden ist ein teilweises Trennen des Werk-
schnitt (Abschn. 4.10) behandelt. stücks ohne Entfernen von Werkstoff. Es dient meist
256 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3
Trennen

3 1 3 2 3 3 3 4 3 5 3 6
Zerteilen Spanen mit Spanen mit Abtragen Zerlegen Reinigen
geometrisch geometrisch
bestimmten unbestimmten
Schneiden Schneiden

DIN 8588 DIN 8589 - 0 DIN 8589 - 0 DIN 8590 DIN 8591 DIN 8592

3 1 1 3 2 1 3 3 1 3 4 1 3 5 1 3 6 1
Scherschneiden Drehen Schleifen mit thermisches Auseinander- Reinigungs-
rotierendem Abtragen nehmen strahlen
Werkzeug

DIN 8588 DIN 8589 -1 DIN 8589 - 11 DIN 8590 DIN 8591 DIN 8592

3 1 2 3 2 2 3 3 2 3 4 2 3 5 2 3 6 2
Messer- Bohren Bandschleifen chemisches Entleeren mechanisches
schneiden Senken Abtragen Reinigen
Reiben

DIN 8588 DIN 8589 - 2 DIN 8589 - 12 DIN 8590 DIN 8591 DIN 8592

3 1 3 3 2 3 3 3 3 3 4 3 3 5 3 3 6 3
Beißschneiden Fräsen Hubschleifen elektro- Lösen kraft- strömungs-
chemisches schlüssiger technisches
Abtragen Verbindungen Reinigen

DIN 8588 DIN 8589 - 3 DIN 8589 - 13 DIN 8590 DIN 8591 DIN 8592

3 1 4 3 2 4 3 3 4 3 5 4 3 6 4
Spalten Hobeln Honen Zerlegen von Lösemittel-
Stoßen durch Urformen reinigen
gefügten Teilen

DIN 8588 DIN 8589 - 4 DIN 8589 - 14 DIN 8591 DIN 8592

3 1 5 3 2 5 3 3 5 3 5 5 3 6 5
Reißen Räumen Läppen Zerlegen von chemisches
durch Umformen Reinigen
gefügten Teilen

DIN 8588 DIN 8589 - 5 DIN 8589 - 15 DIN 8591 DIN 8592

3 1 6 3 2 6 3 3 6 3 6 6
Brechen Sägen Strahlspanen thermisches
Reinigen

DIN 8588 DIN 8589 - 6 DIN 8200 DIN 8592

Bild 4-1
Trennen und Einteilung der Verfahren (auszugsweise) nach DIN 8580.
4.2 Scherschneiden 257

als Vorbereitung für einen Umformvorgang, z. B.


Biegen oder Schränken der durch Einschneiden ent-
standenen Blechzunge. Die Schnittlinie ist offen.
d
Beschneiden dient zum Abtrennen von Werkstoff am
Werkstück. Bei Gesenkschmiedestücken wird das
s

s
l s’ Beschneiden auch Abgraten genannt. Die Schnitt-
ls
linie kann sowohl offen als auch geschlossen sein.
Bild 4-4 zeigt das Beschneiden des Flansches eines
Tiefziehteiles mit feststehendem Schneidstempel als
parallele Schneiden schräge Schneiden Stanzschnitt. Das Beschneiden eines Hohlkörpers
Bild 4-2 mittels Schneidrolle auf einem sich drehenden Auf-
Prinzip des Schneidevorgangs. nahmedorn geht aus Bild 4-5 hervor.
Schneidstempel

Abfall Werkstück 4.2.1 Beschreibung des Schneidvorgangs

Die Schneidkräfte können nicht unmittelbar an den


Schneidkanten angreifen. Sie werden in einem schma-
len Bereich entlang der Schneidkanten in das Werk-
stück eingeleitet. Infolge des Abstandes der resul-
Werkstück Schneidplatte Abfall tierenden Kraft von der äußeren Schneidkante ent-
Ausschneiden Lochen steht ein Moment, das das Werkstück kippen oder
Bild 4-3 durchbiegen will. Diesem Moment muss ein gleich-
Gegenüberstellung der Schneidverfahren Ausschneiden und großes Gegenmoment entgegenwirken, das sich aus
Lochen. den Biegespannungen im Werkstück und den durch
Schneidplatte
(absenkbar)
die Biegung einwirkenden Normalspannungen er-
Niederhalter
gibt. Infolge der Reibung treten sowohl auf den Sei-
tenflächen der Werkzeugelemente als auch an den
Werkzeugstirnflächen Reibkräfte auf.
Werkstück
Der Ablauf des Schneidvorgangs und die Ausbil-
dung der Schnittflächen werden von der Werkzeug-
geometrie und den Eigenschaften des Werkstoffes
beeinflusst. Die mechanischen Gütewerte des Werk-
Schneidstempel
Werkstückaufnahme (feststehend) stoffes können durch die Blechdicke s0 , die Festig-
Bild 4-4 keitswerte Rm und tB und die Dehnungswerte A5 und
Beschneidewerkzeug für den Flansch von Tiefziehteilen, Agl aus dem Zugversuch beschrieben werden. Je
schematisch. nachdem, ob es sich um einen harten oder um ei-
Schneidrolle
Fs

Fs
s0

Werkstück

Aufnahmedorn

s s

Werkzeug harter Werkstoff zäher Werkstoff

Bild 4-6
Bild 4-5 Kraft-Weg-Schaubild beim Blechschneiden.
Beschneiden von rotationssymmetrischen Hohlkörpern. s0 Blechdicke, Fs Schnittkraft, s Weg des Schneidstempels.
258 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

nen zähen Werkstoff handelt, wird das Kraft-Weg- Außenstück und dem Ausschnitt aus. Nach dem Er-
Schaubild unterschiedlich ausfallen. Bild 4-6 zeigt reichen des Kraftmaximums beginnt die Scherung
diese Unterschiede. Bei harten Werkstoffen, die we- des Werkstoffs an den Schneidkanten der Werkzeu-
nig Dehnung aufweisen, steigt die Schnittkraft Fs ge. Es entsteht ein glatter Teil als Schnittfläche.
steil an und fällt nach dem Erreichen des Maxi-
mums steil ab. Ein zäher Werkstoff zeigt kein so Wird der Schneidspalt extrem groß gewählt, etwa ge-
hohes Kraftmaximum. Er wandelt die gespeicher- mäß Bild 4-7c), entstehen Risse unmittelbar nach dem
te elastische Energie der Stanzpresse während des Kraftmaximum. Gleichzeitig fällt die Schneidkraft
Einreißens oder völligen Durchreißens des Blechquer- steil ab. Das Werkstück zeigt rissige Schnittflächen.
schnittes in Wärme um. Als möglicher Schneidspaltbereich wird u = 0,02 s0
bis u = 0,10 s0 angegeben. Mit größer werdendem
Die Werkzeuggeometrie wird in erster Linie durch Schneidspalt wird die Schneidkraft kleiner. Aller-
den Schneidspalt u und die Schneidkantenabstump- dings ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig die
fung beschrieben. Die Auswirkungen eines verschie- Maßungenauigkeiten, über die Schnittflächen ge-
den großen Schneidspaltes zeigt Bild 4-7. Bei ext- messen, zunehmen.
rem kleinem Spalt können bereits beim Anschneiden
Risse als Folge der verhältnismäßig großen Quer- Der Schneidvorgang bewirkt durch die zwischen
spannungen auftreten (Bild 4-7a)). Die Schnittkraft Werkzeug und Werkstück auftretenden Relativbe-
sowie der Arbeitsbedarf sind hoch. Am Werkstück wegungen einen unvermeidlichen Verschleiß der
zeigen die Schnittflächen dann keine geraden Kan- schneidenden Werkzeugelemente. Dieser tritt an den
ten, sondern Anrisse in der Schnittfläche. Druckflächen und an den Freiflächen auf und wird
dementsprechend Druckflächenverschleiß und Frei-
In Bild 4-7b) sind die richtig gewählten Verhältnis- flächenverschleiß genannt. Mit dem Verschleiß ist
se des Schneidspaltes dargestellt. Zu Beginn des stets eine Abrundung der Schneidkanten verbun-
Vorgangs biegt sich das Blech zunächst elastisch, den. Mit zunehmendem Verschleiß wird nun der
dann plastisch durch. Diese Biegung zeigt sich in ei- Stempelweg bis zum Auftreten der Anrisse größer.
ner bleibenden Durchwölbung der Ausschnitte. Bei Infolgedessen nimmt der glatte Anteil in der Schnitt-
weiterem Eindringen des Schneidstempels in das fläche zu. Die entstehenden Risse laufen aufeinan-
Blech und dem Ausschieben des Schnittteils in die der zu; im Gegensatz zu scharfen Schneidkanten
Schneidplatte bildet sich ein Kantenabzug an dem tritt keine Zipfelbildung mehr ein.
s

u u
Fs

Fs

Fs

s s s
s

a) b) c)

Bild 4-7
Auswirkungen des Schneidspaltes u auf die Schnittkraft Fs und Schnittflächenqualität:
a) Schneidspalt zu klein
b) richtig bemessen (u O 0,08◊s0 )
c) zu groß.
4.2 Scherschneiden 259

Sind die Werkzeugkanten zu stark verschlissen, ge- auf die Fläche As, die sich aus der Blechdicke s0 und
hen die Risse nicht mehr von den Schneidkanten der Länge der Schnittlinie ls ergibt, kann der Schneid-
aus, sondern von den Freiflächen. Diese Verschie- oder Scherwiderstand ks formuliert werden:
bung des Rissverlaufs führt zu einer Gratbildung, Fs max
die mit zunehmender Anzahl der mit einem Werk- ks = . [4-1]
zeug geschnittenen Teile ansteigt. Die Größe des As
Grats ist vom Verschleiß und vom Werkstoff abhän- Das Rechnen mit dem Schneidwiderstand ks hat den
gig. Grundsätzlich bewirkt ein Verschleiß der Schneid- Vorteil, dass sich damit relativ einfach die Einflüs-
kanten eine Erhöhung von Schneidkraft und Schneid- se von Schneidspalt, Werkzeugverschleiß, Werkstoff-
arbeit. Die Fehler an den geschnittenen Teilen wer- eigenschaften, Blechdicke und Schnittlinienform be-
den vom Werkstoff, Werkzeug, Arbeitsablauf und schreiben lassen. Der Schneidwiderstand ks nimmt
Maschinentyp beeinflusst. Die an der Schnittfläche mit zunehmendem Schneidspalt ab. Die Abnahme
auftretenden Formfehler sind gemäß Bild 4-8 der beträgt in dem angegebenen Schneidspaltbereich
Kantenabzug sA, die Einrisstiefe tE und die Grathöhe u = 0,01 s0 bis u = 0,1 s0 bis zu 14 %, bezogen auf
hG. Hinzu kommen u. U. Formfehler als Abweichung den Maximalwert. Die maximale Schneidkraft wird
von der Ebenheit. Diese sind besonders die beim für die Praxis genügend genau aus der Beziehung
Ausschneiden von kleinen Teilen auftretenden Ver- Fs max = ls s0 ks [4-2]
wölbungen und die nach dem Ausschneiden von
biegegerichtetem Band durch Freiwerden der Rest- ermittelt. Näherungsweise kann ks aus der Zugfes-
spannungen bedingten Durchbiegungen. tigkeit hergeleitet werden:
ks O 0,8 Rm. [4-3]
SA

Eine mögliche Erhöhung der Schneidkraft infolge


SA Kantenabzug des Werkzeugverschleißes lässt sich durch den empi-
t E Einrisstiefe
hG Grathöhe risch gefundenen Faktor 1,6 in Gl. (4-2) ausgleichen.
hG

Die Schneidkraft kann verringert werden, wenn man


die Länge der wirkenden Schneidlinie ls verkleinert.
tE

Bild 4-8 Für das Ausschneiden oder Lochen kann außer-


Formfehler am Schnittteil (nach G. Spur). dem durch Abschrägen der Schneidplatte oder des
Stempels die Schneidkraft verringert werden, ver-
Der Kantenabzug sA wird vom Werkstoff, dem Schneid- deutlicht in Bild 4-9. Werden in einem Arbeitshub
spalt und von der Form der Schneidlinie bestimmt. der Presse verschiedene Teile des Umrisses herge-
Nur an kreisrunden Zuschnitten ist der Kantenab- stellt, kann durch einen zeitlich verschobenen Ein-
zug konstant. An den Schnittflächen von kleinen griff der Schneidkanten die Gesamtkraft Fs verklei-
Löchern und an Einsprüngen der Außenform mit nert werden.
kleinen Radien ist u. U. gar kein Kantenabzug vor-
handen. An Vorsprüngen mit kleinen Radien dage- Die Höhe H der Abschrägung kann das 1- bis 1,5fa-
gen kann er bis zu 30 % der Blechdicke ausmachen. che der Blechdicke betragen. Die größte Schneid-
kraft berechnet sich dann zu
Die Einrisstiefe tE wird durch den Werkstoff und den Fs max = 0,67 ls s0 ks.
Schneidspalt bestimmt, solange Zipfel in der Schnitt-
fläche auftreten. Sobald der Schneidspalt optimiert Dieser Ausdruck gilt für scharfe Schneidkanten.
ist und keine Zipfelbildung mehr auftritt, ist die Ein- Bei Abstumpfung der Kanten müssen die genannten
risstiefe etwa genauso groß wie der Schneidspalt. Krafterhöhungen in Kauf genommen werden.

Wegen der Verformungen des Werkstücks sind zwi-


4.2.2 Schneidkraft schen Schneidstempel und Außenstück Radialspan-
nungen wirksam, durch die Rückzugskräfte entste-
Für die Auswahl von Pressen ist die maximale hen. Diese können Werte von 1 % bis zu 30 % der
Schneidkraft die wichtigste Kenngröße. Bezogen Schneidkraft annehmen.
260 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.2.3 Gestaltung von Schneidwerkzeugen nismäßig großer Verschleiß entstehen, z. B. beim


Schneiden von Blechen mit s ≤ 1 mm bei einem
Schneidwerkzeuge werden nach Art ihrer Führung Schneidspalt von u = 0,01 mm.
als Frei-, Plattenführungs- und Säulenführungs-
Schneidwerkzeug bezeichnet. Ein Beispiel für ein Plattenführungsschneidwerkzeuge nach Bild 4-11
Freischneidwerkzeug zeigt Bild 4-10. Die schneiden- haben eine Führungsplatte, die meist eine Führungs-
den Werkzeugelemente sind im Werkzeug nicht ge- buchse enthält. Die beim Einrichten des Werkzeu-
geneinander geführt. Die Führung wird nur durch ges möglichen Lagefehler der Werkzeugelemente
die Führungen des Pressenstößels übernommen. werden dadurch vermieden. Verschiebelagefehler
der schneidenden Werkzeugelemente infolge der
Führungsungenauigkeit der Stößelführung sowie
eine mögliche Winkelauffederung, die besonders
H
bei C-Gestell-Pressen auftreten kann, werden durch
H

die Stempelführung vermindert. Ein weiterer Vor-


teil ist, dass die Führungsplatte die Gefahr des Aus-
a) b) knickens bei dünnen Stempeln verringert. Gleich-
zeitig übernimmt sie die Funktion des Abstreifers.
Schneidstempel

Führungsbuchse

Führungsplatte
c) d)
Zwischenlage
Bild 4-9
Möglichkeiten zum Verringern der Schneidkraft:
a) Schrägschliff der Schneidplatte
Blechstreifen
b) Schrägschliff des Stempels
Schneidplatte
c) unterschiedliche Stempel-Längen
d) Versatz von Ausschneid- und Lochstempel Grundplatte

Bild 4-11
Bei entsprechender Qualität der Stößelführung und Plattenführungsschneidwerkzeug, verstiftet u. verschraubt.
der Bauart der Schneidpresse braucht das kein Nach-
teil hinsichtlich der Genauigkeit des Werkstücks zu Da ein Werkzeugelement direkt zum Führen ver-
sein. Freischneidwerkzeuge sind wegen ihrer einfa- wendet wird, kann durch am Stempel anhaftende
chen Bauart bei vielen Anwendungen preiswerter. Werkstoffteilchen ein starker Verschleiß auftreten.
Sie werden besonders bei kleinen Stückzahlen ein-
gesetzt. Sie haben allerdings den Nachteil, dass es In Säulenführungsschneidwerkzeugen entsprechend
beim Einrichten in der Presse schwierig ist, den Bild 4-12 sind die Funktionen »Führen« und »Schnei-
Spalt zwischen Schneidplatte und Schneidstempel den« voneinander getrennt. Ein Säulenführungs-
konstant zu halten. Dadurch kann u. U. ein verhält- schneidwerkzeug ist wegen der hohen Genauigkeit
Einspannzapfen Spannkerbe
bei entsprechendem Einbau jedem anderen Werk-
Bund
zeug vorzuziehen. Man kann mit geringstem Ver-
schleiß der Schneidelemente rechnen. Wegen der
Führung der Schneidelemente gegeneinander durch
Schneidstempel Abstreifer die Säulenführung braucht man während des Ein-
Zwischenlage richtens nicht auf Lagefehler zu achten. Das Ein-
richten der Werkzeuge in den Pressen ist daher kos-
Schneidplatte
Tisch tengünstig.
Grundplatte

Es ist zu beachten, dass Säulenführungen nur als


Einrichtehilfen und als Herstellungshilfen für ge-
Bild 4-10 naue Werkstücke anzusehen sind. Verschiebungs-
Freischneidwerkzeug zum Stanzen von Blechen, schematisch. kräfte bei nichtmittiger Einspannung der Werkzeuge
4.2 Scherschneiden 261

Druckplatte Einspannzapfen 4.2.4 Vorschubbegrenzungen


Stempelhalterung Gestell-Oberteil
Führungs-
buchse Vorschubbegrenzungen unterbrechen den Vorschub
des Blechstreifens und bestimmen dessen Lage im
Werkzeug. Bei Gesamtschneidwerkzeugen haben
Schneid-
die Vorschubbegrenzungen den Zweck, den Abfall
stempel gleichmäßig und klein zu halten. In Folgewerkzeu-
Führungs- gen sollten sie außerdem die richtige Lage des Werk-
säule stücks in den einzelnen Arbeitsstufen sichern. Ein
Beispiel für die Werkstückteilung zeigt Bild 4-13.
Die Anordnung der Werkzeuge beim Folgeschnitt
Gestell-Unterteil Schneidplatte
geht aus Bild 4-14 hervor. Der Streifen wird durch
die Vorschubeinrichtung bis zum Anschlag trans-
Bild 4-12 portiert. Danach fährt der Stempel nach unten und
Säulenführungsschneidwerkzeug, schematisch. schneidet das Werkstück ab, das von einem federn-
den Gegenstempel ausgeworfen wird.
oder Auffederungsfolgen bei C-Gestell-Pressen las-
sen sich nicht aufnehmen, weil die Führungssäulen Bei den Abschnitten ist die unterschiedliche Grat-
meist nicht steif genug sind. Säulenführungsgestelle lage gemäß Bild 4-14b) zu beachten, die mitunter
sind in verschiedenen Ausführungen genormt (DIN zu Problemen bei der Weiterverarbeitung führt. Als
9812, 9814, 9816, 9819, 9822). Als Führungsarten Vorschubbegrenzungen (Bild 4-15) können im Werk-
für die Säulen werden Büchsen oder Kugelkäfige zeug Einhängestifte oder Seitenschneider verwendet
verwendet. Führungen mit Büchsen sind unter Last- Blechstreifen Werkstück
einwirkung steifer; Kugelführungen haben eine ge-
ringere Reibung und werden deshalb bei schnelllau-

Werkstückbreite
fenden Pressen eingesetzt.

An Werkstücken mit Außen- und Innenform kön-


nen alle Schnittflächen entweder in einem Arbeits-
gang oder in mehreren aufeinanderfolgenden Ar-
Vorschubweg
beitsgängen erzeugt werden. Im ersten Fall wird das
Werkzeug als Gesamtschneidwerkzeug bezeichnet. Bild 4-13
Werden die Arbeitsgänge in einem Werkzeug in Beispiel einer Werkstückteilung (Stanzen vom Blechstreifen).
Stufen durchgeführt, nennt man das Werkzeug
Folgeschneidwerkzeug. Bei Gesamtschneidwerk- Abstreifer Stempel (Abschneider)

zeugen sind die Lagefehler der Außenformen zu den Streifen Anschlag


Durchbrüchen der Werkstücke nur durch die Her-
stellgenauigkeit der Werkzeuge gegeben. Bei der
Fertigung mit Folgewerkzeugen kommt zur Unge-
nauigkeit der Werkzeuge diejenige des Streifen- oder
Bandvorschubs hinzu. Im Vergleich zum Gesamt- Schneidplatte
Abschnitt
schneidwerkzeug wird also bei gleicher Genauig- federnder
keit der Werkzeuge die Ungenauigkeit der mit ei- Gegenstempel
a)
nem Folgeschneidwerkzeug gefertigten Teile größer
sein. Im Gesamtschneidwerkzeug müssen die ge-
schnittenen Teile sowie der Lochabfall aus den
Schneidplatten ausgeworfen und aus dem geöffne-
ten Werkzeug abgeführt werden. lm Folgeschneid-
werkzeug kann man die Teile und den Abfall durch b) Gratlage am Abschnitt
die Schneidplatten herausschieben. Auch aus die- Bild 4-14
sem Grund sind Gesamtschneidwerkzeuge teurer Werkzeugaufbau beim Folgeschnitt (a) und Gratlage am
und komplizierter in ihrem Aufbau. Blechabschnitt (b).
262 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

werden. Einhänge- oder Anschlagstifte (Bild 4-15a)) Zusätzlich zu diesen zwei Möglichkeiten werden
sind die einfachste Vorschubbegrenzung, beim auto- bei der Vorschubbegrenzung oft Fang- oder Pilotstif-
matischen Vorschub aber meist nicht zu verwenden. te verwendet. Diese greifen mit ihrer konisch oder
Seitenschneider werden zur Begrenzung des Vor- parabolisch geformten Spitze in die Löcher im aus-
schubs bei mechanischen Vorschubeinrichtungen zuschneidenden Werkstück oder im Abfallgitter ein.
eingesetzt. Sie geben eine genauere Begrenzung des Der zylindrische Führungsteil der Fang-, Pilot- oder
Vorschubs als die Einhängestifte. Die Ausführung Suchstifte zentriert die Lage beim Schneiden ge-
von Seitenschneidern und die Anordnung der dazu nauer, Bild 4-15b). So wird ein geringer Vorschubfeh-
notwendigen Anschläge für den Streifen sind in ler ausgeglichen und der Blechstreifen zwangsläu-
VDI-Arbeitsblättern festgelegt. Außerdem können fig in die richtige Lage gebracht. Da der zylindri-
auch Formseitenschneider verwendet werden, die sche Teil des Stifts die Vorlochränder erreicht ha-
außer der Vorschubbegrenzung auch einen Teil der ben muss, bevor einer der Schneidstempel auf dem
Schnittlinie herstellen. Blech aufsetzt, ist der Fangstift erheblich länger.
Falls im Schnittteil bereits Löcher vorhanden sind,
Die Länge des Seitenschneiders entspricht immer können diese als Suchlöcher herangezogen werden.
dem Vorschub. Die Blechdicke ist bei Verwendung Anderenfalls muss man im Abfallgitter besondere
von Seitenschneidern auf mindestens 0,1 mm be- Lochungen einbringen.
grenzt. Bei dünneren Blechen reicht die Steifigkeit
des Blechstreifens nicht aus. Die obere Blechdicken- Wenn ein Seitenschneider lange im Einsatz bleibt,
grenze liegt bei etwa 3 mm. führt die zunehmende Kantenverrundung zu einem
Grat am Blechstreifen, der eher am Anschlag an-
Bei Seitenschneidern wird eine offene Schnittlinie kommt, als die senkrecht zur Vorschubrichtung ste-
erzeugt. Dadurch wirken Seitenkräfte auf Streifen hende Blechkante. Dann wird der Vorschub ungenau,
und Seitenschneider. Um diese Kräfte aufzunehmen, und es besteht die Gefahr, dass sich der Blechstrei-
müssen Seitenschneider häufig auf ihrer Rückseite fen mit dem stehengebliebenen Grat in der Streifen-
in der Schneidplatte geführt werden. führung verklemmt (Stillstandzeiten!). Dieser Nach-

Fangstift Vorlocher

Anschlagstift

Einhgängestift Vorschub

3. 2. 1. Position des 4. 3. 2. 1. Position des


Blechstreifens Blechstreifens
a) b)

Anschlag Formseiten-
Streifenführung schneider

3. Station 2. Station 1. Station


B
b

Vorschubrichtung

Seiten-
Anschlag schneider Streifenführung
c)

Bild 4-15
Verschiedene Arten der Vorschubbegrenzung.
a) Einhänge- und Anschlagstift
b) Fang- oder Pilotstift (siehe VDI 3358)
c) Seitenschneider bzw. Formseitenschneider (im oberen Bildteil), B Blechstreifenbreite; b nutzbare Breite (VDI 3367)
4.3 Spanen 263

teil kann durch einen Formseitenschneider vermie- 4.3 Spanen


den werden, der im oberen Teil des Bildes 4-15c) dar-
gestellt ist. Unter Spanen versteht man gemäß DIN 8589 einen
Trennvorgang, bei dem von einem Werkstück mit
Moderne Schnellschneidpressen mit hohen Hub- Hilfe der Schneiden eines Werkzeugs Werkstoff-
zahlen (bis zu 1000 Hübe/min) arbeiten mit Ge- schichten in Form von Spänen zur Änderung der
schwindigkeiten bis zu 40 m/min. Bei diesen gro- Werkstückform und (oder) Werkstückoberfläche
ßen Werten ist es wegen der auftretenden Massen- mechanisch abgetrennt werden.
kräfte nicht mehr möglich, eine Vorschubbegren-
zung durch Seitenschneider zu realisieren. Es wer-
den deshalb Walzenvorschubeinrichtungen mit spe- 4.3.1 Einteilung nach DIN 8589
ziellen Antrieben eingesetzt, die eine Vorschubgenau-
igkeit bis zu ± 0,01 mm bei modernen Stanzwerkzeu- Das Spanen umfasst im Ordnungssystem der Ferti-
gen gewährleisten. gungsverfahren die Verfahren mit geometrisch be-
stimmten und die Verfahren mit geometrisch unbe-
Auf die Gestaltung von Schnittteilen – auch unter stimmten Schneiden. Bild 4-16 und 4-17 geben ei-
Bezug auf Vorschubprobleme – wird in Abschn. nen Überblick über die einzelnen Verfahrensun-
4.11.8 (S. 403) eingegangen. tergruppen nach den entsprechenden DIN-Normen.

3 2

Spanen mit
geometrisch
bestimmten
Schneiden

3 2 1 3 2 2 3 2 3 3 2 4 3 2 5 3 2 6 3 2 7 3 2 8 3 2 9

Drehen Bohren Fräsen Hobeln Räumen Sägen Feilen Bürst- Schaben


Senken Stoßen Raspeln spanen Meißeln
Reiben

DIN 8589 - 1 DIN 8589 - 2 DIN 8589 - 3 DIN 8589 - 4 DIN 8589 - 5 DIN 8589 - 6 DIN 8589 - 7 DIN 8589 - 8 DIN 8589 - 9

Bild 4-16
Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden; Einteilung nach DIN 8589.

3 3

Spanen mit
geometrisch
unbestimmten
Schneiden

3 3 1 3 3 2 3 3 3 3 3 4 3 3 5 3 3 6 3 3 7

Schleifen Band- Hubschleifen Honen Läppen Strahlspanen Gleitspanen


schleifen

DIN 8589 - 11 DIN 8589 - 12 DIN 8589 - 13 DIN 8589 - 14 DIN 8589 - 15 DIN 8200 DIN 8589 - 17

Bild 4-17
Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden; Einteilung nach DIN 8589.
264 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Zum Spanen mit geometrisch bestimmten Schnei- beim Schleifen, die die primären Verfahrensmerk-
den wird ein Werkzeug verwendet, dessen Schnei- male Werkstück, Werkzeug und Kinematik in Form
denanzahl, Geometrie der Schneidteile und Lage einer Zahlenkombination miteinander verbindet.
der Schneiden zum Werkstück bestimmt sind. Spa-
nen mit geometrisch unbestimmten Schneiden da-
gegen ist ein Trennen, bei dem ein Werkzeug verwen- 4.3.2 Technische und wirtschaftliche
det wird, dessen Schneidenanzahl, Geometrie der Bedeutung
Schneidteile und Lage der Schneiden zum Werk-
stück unbestimmt sind. Fertigungsverfahren stehen miteinander im Wettbe-
werb. Trotz zunehmender Konkurrenz, besonders
Im Ordnungssystem nach DIN 8589 werden die spa- durch umformende Fertigungsverfahren, konnten
nenden Fertigungsverfahren durch Ordnungs- bzw. die spanenden Fertigungsverfahren wegen der er-
Verfahrensnummern gekennzeichnet. Die jeweiligen reichbaren hohen Fertigungsgenauigkeit und geo-
Verfahrensuntergruppen sind durch die ersten drei metrisch nahezu unbegrenzten Bearbeitungsmög-
Stellen der Ordnungsnummer bestimmt (z. B. 3 3 1 lichkeiten ihre bedeutende Stellung behaupten.
Schleifen, Bild 4-18). Weitere Verfahrensbenennun-
gen ergeben sich aus werkstückbezogenen Verfah- Der wertmäßige Anteil spanender Werkzeugma-
rensmerkmalen (4. bis 7. Stelle ON). schinen beträgt nach einer Statistik (VDMA) 70 %
gegenüber einem Anteil von 20 % bei umformen-
Einheitlich für alle spanenden Fertigungsverfahren den Werkzeugmaschinen, gemessen an der Gesamt-
unterscheidet man in der vierten Stelle der Ordnungs- produktion der Werkzeugmaschinen in der Bundes-
nummer zwischen Plan-, Rund-, Schraub-, Profil- republik Deutschland. Steigende Anforderungen an
und Formspanen. Oberflächengüten, Maß-, Form- und Lagegenauig-
keiten sowie die physikalischen und chemischen Ei-
Weitere mögliche Ordnungsgesichtspunkte sind Werk- genschaften von Konstruktionswerkstoffen lassen
zeugtyp, Kinematik, Art der Werkstückaufnahme und für spanende Fertigungsverfahren deutliche Wett-
Werkzeugstoff. Als Beispiel zeigt Bild 4-18 den sys- bewerbsvorteile erwarten.
tematischen Aufbau einer Verfahrensbenennung
Planfläche 4. Stelle

Werkstück 33111
4.4 Grundbegriffe der
Außenbearbeitung 5. Stelle
Zerspantechnik
Die grundlegenden Begriffe der Zerspantechnik sind
6. Stelle
Werkzeug 331 1 nach DIN 6580/81, DIN 6583/84 und international
nach ISO 3002 einheitlich für alle spanenden Ferti-
Umfangsschleif-
scheibe gungsverfahren festgelegt.
vc
vft
vfa Kinematik 331 1 7. Stelle 4.4.1 Bewegungen und Geometrie von
vfr
Längsschleifen
Zerspanvorgängen
vc Beim Spanen wird die zu erzeugende Werkstück-
form einmal durch die Geometrie des Werkzeugs
Verfahren 3311111 und zum anderen durch die Relativbewegungen
vfa
zwischen Werkstück und Werkzeug (Wirkpaar) be-
vft Plan-Umfangs-
vfr Längs-Schleifen stimmt. Die während der Spanabnahme ausgeführ-
ten Relativbewegungen setzen sich gemäß Bild 4-19
Bild 4-18 aus einer Schnitt- sowie einer oder mehreren Vor-
Aufbau einer Verfahrensbenennung (Beispiel Schleifen).
schubbewegungen zusammen.
vc Schnittgeschwindigkeit
vft Vorschubgeschwindigkeit (tangential)
vfa Vorschubgeschwindigkeit (axial) Die Schnittbewegung wird gekennzeichnet durch
vfr Vorschubgeschwindigkeit (radial) den Vektor der Schnittgeschwindigkeit vc für einen
4.4 Grundbegriffe der Zerspantechnik 265

bestimmten Schneidenpunkt (Kontaktpunkt) zwi- Eine wichtige Bezugsebene ist die Arbeitsebene. Sie
schen Werkstück und Werkzeug. ist eine gedachte Ebene, die durch die Vektoren der
Schnittgeschwindigkeit und der Vorschubgeschwin-
Die Vorschubbewegung ermöglicht zusammen mit digkeit(en) durch den jeweils betrachteten Schnei-
der Schnittbewegung eine Spanabnahme. Sie kann denpunkt gelegt wird. In ihr vollziehen sich die an der
schrittweise oder stetig erfolgen, und sie kann sich Spanentstehung beteiligten Bewegungen.
auch aus mehreren Komponenten zusammensetzen.
Sie wird gekennzeichnet durch den Vektor der Vor-
schubgeschwindigkeit vf. 4.4.2 Eingriffe von Werkzeugen

Die Wirkbewegung ist die resultierende Bewegung Zum Kennzeichnen des Eingriffs eines spanenden
aus Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit. Sie wird Werkzeugs benötigt man die Begriffe Vorschub f,
gekennzeichnet durch den Vektor der Wirkgeschwin- Schnitttiefe bzw. Schnittbreite ap und den Arbeits-
digkeit ve. eingriff ae sowie den Vorschubeingriff af entspre-
chend Bild 4-20 und 4-21.
Für das Wirkpaar Werkstück/Werkzeug und für den
Ablauf des Zerspanvorgangs ist es meist belanglos, Der Vorschub f ist die Ortsveränderung der Schneide
ob die Bewegungen vom Werkstück oder vom Werk- bzw. des Werkzeugs in Richtung der Vorschubbewe-
zeug ausgeführt werden. Hingegen ist es von ent- gung je Umdrehung oder je Hub des Werkzeugs
scheidender Bedeutung für den Aufbau der Werk- oder Werkstücks, gemessen in der Arbeitsebene.
zeugmaschine, wie die Bewegungen auf Werkstück Die Schnitttiefe bzw. Schnittbreite ap ist die Tiefe
und Werkzeug aufgeteilt sind. bzw. Breite des momentanen Eingriffs eines Werk-
zeugs, senkrecht zur Arbeitsebene gemessen.
Weitere Bewegungen sind Anstell-, Zustell- und Nach-
stellbewegungen. Diese Bewegungen sind nicht un- Bei rotierenden Werkzeugen (z. B. Fräser, Schleif-
mittelbar an der Spanentstehung beteiligt. scheibe) wird zur Bestimmung des Werkzeugein-
griffs zusätzlich der Arbeitseingriff ae benötigt. Diese
Die einheitliche Betrachtung der spanenden Ferti- Eingriffsgröße beschreibt den momentanen Eingriff
gungsverfahren erfordert die Einführung der Hilfs- des Werkzeugs mit dem Werkstück, gemessen in der
größen Vorschubrichtungswinkel j und Wirkrich- Arbeitsebene und senkrecht zur Vorschubrichtung.
tungswinkel h (Bild 4-19). Mit ihnen lassen sich
kinematische Unterschiede zwischen den verschie-
Schnittbewegung
denen spanenden Fertigungsverfahren kennzeichnen.
h
j

Der Vorschubrichtungswinkel j ist der Winkel zwi- Wirkbewegung


ve
schen Vorschubrichtung und Schnittrichtung. Der vc
Wirkrichtungswinkel h ist der Winkel zwischen Wirk-
richtung und Schnittrichtung. Allgemein gilt:
sin j
tan h = . [4-5]
vc / vf + cos j
Arbeitsebene Pfe vf
Der Vorschubrichtungswinkel j ist verfahrensabhän-
gig und beträgt beispielsweise beim Drehen j = 90 °, Vorschubbewegung
während sich beim Fräsen und Schleifen der Wert
des Vorschubrichtungswinkels ändert.

Der Wirkrichtungswinkel h ist abhängig vom jewei-


ligen Geschwindigkeitsquotienten vc /vf und nimmt
für viele Zerspanvorgänge, z. B. beim Schleifen, ver- Werkzeug Werkstück
nachlässigbar kleine Werte an. Beim Schraubdre- Bild 4-19
hen dagegen entspricht der Wirkrichtungswinkel h Bewegungen, Arbeitsebene Pfe, Vorschubrichtungswinkel j
dem Steigungswinkel der erzeugten Schraubfläche. und Wirkrichtungswinkel h beim Drehen (nach DIN 6580).
266 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Der Spanungsquerschnitt A (Bild 4-20) ist die senk-


recht zur Schnittrichtung projizierte Querschnitts-
fläche eines abzunehmenden Spans. Für Drehmeißel
f mit geraden Schneiden und scharfkantigen Schnei-
A denecken gilt
A = ap f = b h. [4-6]
ap

Werkstück
Die Spanungsbreite b gibt die Breite, die Spanungs-

b
Werkzeug
dicke h die Dicke des Spanungsquerschnitts an.
Schaft
k

h Spanfläche

vf Nebenschneide

Freiflächenfase der Spanflächenfase


Bild 4-20 Nebenschneide der Hauptschneide
Eingriffs- und Spanungsgrößen beim Längsdrehen.
ap Schnitttiefe, f Vorschub Nebenfreifläche Freiflächenfase der
Hauptschneide
h Spanungsdicke, b Spanungsbreite
Hauptschneide
A Spanungsquerschnitt Schneidenecke
k Einstellwinkel mit Eckenrundung Hauptfreifläche

Bild 4-22
Der Vorschubeingriff af bezeichnet die Größe des Flächen, Fasen, Schneiden und Schneidenecken am Dreh- oder
Eingriffs des Werkzeugs in Vorschubrichtung. Hobelmeißel (nach DIN 6581).

Die geometrischen Zusammenhänge zwischen Vor-


4.4.3 Spanungsgrößen schub, Eingriffs- und Spanungsgrößen gehen aus
Bild 4-20 hervor. Bei vereinfachter Betrachtung
Während Vorschub und Eingriffsgrößen Maschinen- gelten die Beziehungen
einstellgrößen sind, werden für die Berechnung von ap
Zerspanvorgängen vor allem die aus diesen Größen b= [4-7]
abgeleiteten Spanungsgrößen benötigt. Diese be- sin k
schreiben die Abmessungen der vom Werkstück h = f ◊ sin k . [4-8]
abzuspanenden Schichten und sind nicht identisch
mit den Abmessungen der durch den Zerspanvor- Eine wichtige Spanungsgröße, besonders beim Ver-
gang entstehenden Späne (Abschn. 4.5.2). gleich von spanenden Fertigungsverfahren, ist das
ap Zeitspanungsvolumen Qw. Dieses ist das auf eine
Zeiteinheit bezogene vom Werkstück abzuspanende
Werkstoffvolumen (Spanungsvolumen).

Für das Zeitspanungsvolumen beim Drehen gilt


ae

Qw = A vc = dm ap vf . [4-9]
vc Werkstück Hierbei ist dm der mittlere Durchmesser der vom
vf
Werkzeug nach einer Zustellung in einem Durch-
af Werkzeug
gang vom Werkstück abzuspanenden Werkstoff-
schicht (Spanungsschicht).
Arbeitsebene Pfe

Bild 4-21
Eingriffsgrößen beim Umfangsfräsen und Umfangsschleifen.
4.4.4 Geometrie am Schneidteil
ap Schnittbreite
ae Arbeitseingriff Wie aus Bild 4-22 hervorgeht, wird der Schneidteil
af Vorschubeingriff eines spanenden Werkzeugs aus Span-, Haupt- und
4.4 Grundbegriffe der Zerspantechnik 267

Nebenfreiflächen gebildet. Die Spanfläche ist die Die Ebenen stehen jeweils aufeinander senkrecht. Als
Fläche, auf der der Span abläuft. Die Freiflächen zusätzliche Ebene wird die Arbeitsebene benötigt.
sind den am Werkstück entstehenden Schnittflächen
zugekehrt. Bezugsebene für das Werkzeugbezugssystem ist die
Werkzeugbezugsebene. Sie wird durch den betrach-
Die Schnittlinien der Span- und Freiflächen bilden teten Schneidenpunkt möglichst senkrecht zur ange-
die Schneiden des Werkzeugs. Man unterschei- nommenen Schnittrichtung gelegt, aber nach einer
det zwischen Haupt- und Nebenschneiden. Haupt- Ebene, Achse oder Kante des Werkzeugs ausgerich-
schneiden weisen bei Betrachtung in der Arbeits- tet. Bei Dreh- und Hobelmeißeln liegt die Werkzeugbe-
ebene in Vorschubrichtung, Nebenschneiden nicht. zugsebene meist parallel zur Werkzeugauflagefläche.
Die Schneidenecke ist diejenige Ecke des Werkzeugs,
an der Haupt- und Nebenschneiden mit der Span- Bezugsebene für das Wirkbezugssystem ist die senk-
fläche zusammentreffen. Sie ist vielfach mit einer recht zur Wirkrichtung stehende Wirkbezugsebene.
Eckenrundung oder Eckenfase versehen. Die Schneidenebene enthält die Schneide und steht
senkrecht zur Wirk- bzw. Werkzeugbezugsebene. Die
Die Werkzeugwinkel werden durch die Stellung der Keilmessebene ist eine Ebene, die senkrecht zur Wirk-
Flächen am Schneidteil zueinander bestimmt. Zwecks bzw. Werkzeugbezugsebene und senkrecht zur Wirk-
Definition der Winkel am Schneidteil hat man ent- bzw. Werkzeugschneidenebene steht.
sprechende Bezugssysteme eingeführt. Man unter-
scheidet zwischen dem Werkzeug- und dem Wirk- Die für die Zerspanung wichtigsten Winkel zeigt
bezugssystem. Die im Werkzeugbezugssystem ge- Bild 4-24. Spanwinkel g, Keilwinkel b und Freiwin-
messenen Werkzeugwinkel kennzeichnen gemäß kel a werden in der Keilmessebene gemessen (a +
Bild 4-23 die Geometrie des Schneidteils und sind b + g = 90 °). Der Spanwinkel g ist der Winkel zwi-
für die Herstellung und Instandhaltung der Werk- schen Spanfläche und Werkzeugbezugsebene, der
zeuge von Bedeutung. Die im Wirkbezugssystem ge- Keilwinkel b ist der Winkel zwischen Span- und Frei-
messenen Wirkwinkel sind für die Darstellung des fläche, und der Freiwinkel a ist der Winkel zwi-
Zerspanungsvorgangs von Bedeutung. schen Freifläche und Werkzeugschneidenebene.

Die Bezugssysteme zum Bestimmen der Winkel am In der Werkzeugbezugsebene werden der Werkzeug-
Schneidteil enthalten außer der jeweiligen Bezugs- einstellwinkel k und der Eckenwinkel e angegeben.
ebene die Schneidenebene und die Keilmessebene. Der Werkzeugeinstellwinkel wird zwischen Werk-
angenommene Wirkrichtung Schnittrichtung
Schnittrichtung

Wirk-Schneidenebene

Werkzeug-
Schneiden- betrachteter
ebene Schneidenpunkt
betrachteter h
Schneidenpunkt
Vorschubrichtung

Wirk-Keilmessebene
Werkzeug-
Keilmessebene

Auflageebene
Auflageebene

Werkzeug-Bezugsebene Wirk-Bezugsebene

Bild 4-23
Werkzeug- und Wirkbezugssystem am Drehmeißel (nach DIN 6581).
268 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Schnitt A - B die Wirkrichtung, in die Wirkkraft Fe zerlegt. Es gilt


(Werkzeug-Keilmessebene)
Freifläche Spanfläche
Werkzeug- F = Fa2 + Fp2 = Fc2 + Ff 2 + Fp2 . [4-10]
Werkzeug- Bezugsebene
Die Leistungen beim Zerspanen ergeben sich aus

-
g
Schneidenebene
a +
b dem Produkt der jeweiligen Geschwindigkeitskom-
betrachteter - ponenten und der in ihren Richtungen wirkenden
+
Schneidenpunkt
Komponenten der Zerspankraft. Als Schnittleistung
angenommene erhält man
Pc = vc Fc,
Arbeitsebene Pfe
A [4-11]
Ansicht Z
(Werkzeug- als Vorschubleistung
Schneidenebene)
Z
B Pf = vf Ff [4-12]
k

e
Werkzeug- Schneide und als Wirkleistung
Schneiden der
Hauptschneide
Pe = ve Fe. [4-13]
Werkzeug- Werkzeug-
Keilmessebene Bezugsebene
l Die Wirkleistung ist auch die Summe aus Schnitt-
Zeichenebene = leistung Pc und Vorschubleistung Pf
+

Werkzeug-Bezugsebene -
Pe = Pc + Pf. [4-14]
Bild 4-24
Werkzeugwinkel für einen Punkt der Hauptschneide am
Drehmeißel (nach DIN 6581). 4.4.6 Standzeit- und Verschleißbegriffe

zeugschneidenebene und Arbeitsebene, der Ecken- Das Standvermögen kennzeichnet die Fähigkeit ei-
winkel zwischen den Schneidenebenen von zusam- nes Wirkpaares (Werkstück und Werkzeug), bestimm-
mengehörigen Haupt- und Nebenschneiden gemes- te Zerspanvorgänge durchzustehen. Es ist abhängig
sen. In der Werkzeugschneidenebene wird der Nei- von den Standbedingungen, die durch alle am Zer-
gungswinkel l als Winkel zwischen Schneide und spanvorgang beteiligten Elemente beeinflusst wer-
Werkzeugbezugsebene definiert. den, nämlich durch
– das Werkstück (Werkstückform, Werkstückstoff),
Das Symbol für den Werkzeugwinkel hat grund- – das Werkzeug (z. B. Geometrie am Schneidteil,
sätzlich keinen Index, dagegen erhalten die Symbole Werkzeugstoff),
für die Wirkwinkel zur Unterscheidung den Index – die Werkzeugmaschine sowie durch weitere
»e« (von effektiv). – Randbedingungen (z. B. Kühlschmierung).
Werkstück Vorschubkraft
4.4.5 Kräfte und Leistungen
Die bei einem Zerspanvorgang auf das Werkstück
wirkende Zerspankraft F kann in verschiedene Kom- Passivkraft
ponenten zerlegt werden, wie Bild 4-25 zeigt. Bezogen Fp
auf die Arbeitsebene wird die Zerspankraft in die Ff
Aktivkraft
Aktivkraft Fa und die Passivkraft Fp zerlegt. Die Werkzeug
Aktivkraft ist die Komponente der Zerspankraft in
Arbeitsebene Pfe
der Arbeitsebene und, da in der Arbeitsebene die Be- Schnittkraft
Fc
wegungen zur Spanentstehung ausgeführt werden,
leistungsbestimmend. Die Passivkraft ist die Kompo-
nente der Zerspankraft senkrecht zur Arbeitsebene und Fa
an den Leistungen beim Zerspanen nicht beteiligt.
Zerspankraft F
Bezogen auf die Schnittrichtung wird die Aktivkraft Bild 4-25
in die Schnittkraft Fc, bezogen auf die Vorschub- Komponenten der Zerspankraft beim Drehen (nach DIN 6584),
richtung in die Vorschubkraft Ff und, bezogen auf Fc ist meist doppelt so groß wie Ff.
4.5 Grundlagen zum Spanen 269

Zur Beurteilung des Standvermögens werden Stand- schleißorts am Schneidteil eines Drehwerkzeugs
kriterien als Grenzwerte für unerwünschte Verände- unterscheidet man die in Bild 4-26 dargestellten
rungen am Werkzeug, am Werkstück oder am Be- Verschleißgrößen. Als Standkriterium sind beson-
arbeitungsverlauf herangezogen. Als Grenzwerte ders der Freiflächenverschleiß und der Kolkver-
können alle am Werkzeug messbaren Verschleißgrö- schleiß von Bedeutung.
ßen, aber auch die am Werkstück messbaren Eigen-
schaften, wie beispielsweise Rauheitsveränderungen
oder während des Zerspanvorgangs messbare Än- 4.5 Grundlagen zum Spanen
derungen von Zerspankraftkomponenten, sowie die
Temperaturen beim Zerspanen dienen. Die Zerspanbarkeit eines Werkstücks kann nicht,
wie es bei vielen physikalischen Vorgängen der Fall
Standgrößen sind Zeiten, Wege oder Mengen, die ist, durch eine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit
bis zum Erreichen eines festgelegten Standkrite- beschrieben oder beurteilt werden. Wichtige Beur-
riums unter den gewählten Standbedingungen er- teilungskriterien sind z. B. die Spanbildung, die
zielt werden können (z. B. Standzeiten, Standwe- Schnittkräfte, das Standvermögen und die Oberflä-
ge, Standmengen). Zur eindeutigen Beschreibung chengüte. Diese sind je nach Bearbeitungsaufgabe
des Standvermögens sind die Standgrößen stets in und Fertigungsverfahren von unterschiedlicher Be-
Verbindung mit dem Standkriterium und den zuge- deutung. Zur Klärung der verschiedenen Einfluss-
hörigen Standbedingungen anzugeben. größen und Wirkungen von Zerspanvorgängen wer-
Beispiel: den Modellvorstellungen verwendet, um die einzel-
nen Abläufe rechnerisch erfassen zu können.
T V B 0 ,2 : 2 0 0 = 6 0 m in

4.5.1 Spanbildung
S ta n d g rö ß e S ta n d k rite riu m S ta n d b e d in g u n g Die Vorgänge bei der Spanbildung sind am einfachs-
ten zu überblicken, wenn sie auf den sog. Orthogo-
Hierin ist das Standvermögen durch die Angabe der nalprozess bezogen werden. Die Spanbildung wird
Standzeit T bis zum Erreichen der Verschleißmar- dabei als zweidimensionaler Vorgang in einer Ebe-
kenbreite VB = 0,2 mm bei einer Schnittgeschwin- ne senkrecht zur Schneide dargestellt. Der Orthogo-
digkeit vc = 200 m/min bestimmt. nalprozess ist beispielsweise beim Plan-Längsdre-
hen eines Rohres mit einem Einstellwinkel k = 90 °
In der Praxis werden häufig Verschleißgrößen als gemäß Bild 4-27 weitgehend verwirklicht.
Standkriterium herangezogen. Hinsichtlich des Ver-
SVg Ausgehend vom Orthogonalprozess entwickelten
KM
Piispanen und Merchant eine sehr vereinfachte Mo-
KL
SVa

KT

g
VB

a
k

Arbeitsebene Pfe

Bild 4-26 Ff
Verschleißgrößen am Schneidteil eines Drehmeißels.
g Spanwinkel Fp = 0
a Freiwinkel k = 90 °
SVa Schneidenversatz, in Richtung der Freifläche gemessen
SVg Schneidenversatz, in Richtung der Spanfläche gemessen
VB Verschleißmarkenbreite an der Freifläche Fc
KM Kolkmittenabstand Bild 4-27
KT Kolktiefe Plan-Längsdrehen eines Rohres; Beispiel für einen Ortho-
KL Kolklippenbreite gonalprozess.
270 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

F stück hervorrufen. Durch Reibung zwischen der


h Werkzeugfreifläche und der gefertigten Fläche bzw.
Werkzeugspanfläche und Spanunterseite entste-
hen Schubspannungen, die zu plastischen Verfor-
h mungen in den Zonen 3 und 4 führen. Im Bereich
der Schneidkante (Zone 5) erfolgt die eigentliche

y
Scherebene Trennung des Werkstückstoffs. Hohe mechanische
und thermische Belastungen in diesen sekundären
Scherzonen verursachen den Werkzeugverschleiß.

hch
g 4.5.2 Spanstauchung

Verformungen und Reibungsvorgänge in den vor-


a genannten Spanbildungszonen bewirken die Span-
Bild 4-28 stauchung, die man als Änderung der Spangrößen
Spanbildungsmodell (nach Merchant). gegenüber den zugehörigen Spanungsgrößen be-
F Scherwinkel zeichnet. Entsprechend den Abmessungen des Spans
h Strukturwinkel unterscheidet man
Y Fließwinkel
h Spanungsdicke Spandickenstauchung
hch Spandicke
Spandicke hch
g Spanwinkel lh = >1 [4-15]
a Freiwinkel Spanungsdicke h
Spanbreitenstauchung
dellvorstellung der Spanbildung, Bild 4-28 erläutert
dies im Einzelnen. Bei diesem Modell stellt man Spanbreite bch
lb = >1 [4-16]
die Ausbildung von Gleitlinien (Linien maximaler Spanungsbreite b
Verformung) in den Vordergrund der Betrachtung.
F
Die Spanentstehung wird auf die Scherebene bezo-
gen, die mit der Schnittrichtung den Scherwinkel F
Scherebene
einschließt. h

Der Werkstückstoff gleitet lamellenförmig entlang


2
der Scherebene ab. Die Kristallverformung im Be-
1 4
hch

reich der Scherebene äußert sich in Strukturlinien, die g


sich an Hand von Spanwurzelaufnahmen nachwei-
5
sen lassen. Sie bilden mit der Scherebene den Struk-
3
turwinkel h. Den Winkel zwischen den Strukturlinien
und der Spanfläche wird Fließwinkel Y genannt.
a
Das Scherebenenmodell ist eine sehr idealisierte
Vorstellung von den Vorgängen bei der Spanbildung. Bild 4-29
Spanbildungsmodell (nach Warnecke).
Neuere Untersuchungen von Warnecke kommen
a Freiwinkel
den tatsächlichen Gegebenheiten wesentlich näher. g Spanwinkel
Ausgehend vom Orthogonalschnitt werden die an F Scherwinkel
der Spanentstehung beteiligten Werkstückstoffbe- h Spanungsdicke
reiche in einzelne Zonen aufgeteilt, wie Bild 4-29 hch Spandicke
zeigt. Die primäre Scherzone (Zone 1) wird als un- 1 primäre Scherzone (Spanentstehungszone)
2 Verformungsvorlaufzone
mittelbare Spanentstehungszone angenommen. In
3; 4 sekundäre Scherzonen (Reibungszone zwischen Werk-
der Verformungsvorlaufzone (Zone 2) entstehen zeugfreifläche und gefertigter Fläche bzw. Werkzeug-
durch den Spanbildungsvorgang Spannungen, die spanfläche und Spanunterseite)
elastische und plastische Verformungen im Werk- 5 Trenngebiet
4.5 Grundlagen zum Spanen 271

h
vs
F

g
A vsp
Scherebene
90° - g vs

90° - F + g

hch
a Freiwinkel B

g
g Spanwinkel vsp F
F Scherwinkel
h Spanungsdicke
a
hch Spandicke vc
vc Schnittgeschwindigkeit
vs Schergeschwindigkeit
vsp Spangeschwindigkeit vc

Bild 4-30
Geometrie und Geschwindigkeitsverhältnisse in der Spanentstehungszone.

Durch die Stauchung des Spanquerschnitts sich auf Abhängigkeiten zwischen dem Spanwinkel
lA = l h l b [4-17] g und dem Gleitreibungskoeffizienten m auf der
Spanfläche. Mit Hilfe dieser Gleichungen, der Scher-
wird bewirkt, dass die Spanlänge kürzer ist als der festigkeit sowie entsprechender geometrischer Zu-
von der Schneide zurückgelegte Schnittweg. Die sammenhänge können die Zerspankraft und ihre
Spandickenstauchung l h lässt sich auch durch das Komponenten berechnet werden.
Verhältnis von Schnittgeschwindigkeit vc und der
Spangeschwindigkeit vsp als Komponente in Ablauf-
richtung des Spans ausdrücken. Durch vektorielle 4.5.4 Spanarten
Zusammensetzung der in der Spanentstehungszone
auftretenden Geschwindigkeiten gemäß Bild 4-30 Nach ihrer Entstehung unterscheidet man im Wesent-
erhält man nach Kronenberg lichen gemäß Bild 4-31 vier Spanarten:
– Reiß- oder Bröckelspäne,
vc cos(F - g ) – Scherspäne,
lh = = . [4-18]
vsp sin F – Lamellenspäne,
– Fließspäne.

4.5.3 Scherwinkelgleichungen F F

Aus der Geometrie der Spanentstehungszone lässt


sich ein Zusammenhang zwischen der Spandicken-
stauchung l h , dem Spanwinkel g und dem Scherwin-
kel F ableiten (Bild 4-30). Es gilt unter der Anah-
me eines freien, ungebundenen Schnittes (Orthogo- a) c)
nalprozess)
F
F
cos g
tan F = . [4-19]
l h - sin g
Die Beziehung ist deshalb von besonderer Bedeu-
tung, weil Spanwinkel und Spandickenstauchung
verhältnismäßig einfach gemessen werden können
und die hieraus errechneten Werte für den Scher- b) d)

winkel wesentliche Aussagen über den Spanbil- Bild 4-31


dungsvorgang ermöglichen. Weitere aus dem Schrift- Spanarten: a) Reißspan, b) Scherspan, c) Lamellenspan,
tum bekannte Scherwinkelgleichungen beziehen d) Fließspan.
272 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Reiß- bzw. Bröckelspäne treten vorwiegend bei


spröden Werkstückstoffen auf, z. B. bei Eisenguss-
werkstoffen und Bronzen, und haben meist sehr
L
schlechte Oberflächen zur Folge.

H
Beim Drehen mit einer Schnittgeschwindigkeit von
vc < 10 m/min und negativen Spanwinkeln können
Reißspäne z. B. auch bei Baustählen entstehen.

Scherspäne sind je nach Werkstückstoff in einem


Schnittgeschwindigkeitsbereich von 20 m/min bis a) b)
80 m/min zu erwarten. Die Spanteile werden in der
Scherzone vollkommen voneinander getrennt und
verschweißen unmittelbar danach wieder.

Fließspäne entstehen beim Drehen von Baustählen


mit einer Schnittgeschwindigkeit von ungefähr vc =
80 m/min. Der Werkstoff beginnt im Bereich der
Scherzone kontinuierlich zu fließen. Die einzelnen
Spanlamellen verschweißen sehr stark untereinan-
der und sind i. Allg. mit bloßem Auge nicht mehr
wahrnehmbar.
c)
Lamellenspäne sind Fließspäne mit ausgeprägten
Bild 4-33
Lamellen, die durch Verfestigung des Werkstück- Aufbauschneidenbildung.
stoffs während des Schervorgangs entstehen. Sie H Höhe der Aufbauschneide
entstehen bei nicht zu zähen Werkstückstoffen mit L Länge der Aufbauschneide
ungleichmäßigem Gefüge und größeren Spanungs-
dicken. stantem Reibwert m steigt der Scherwinkel mit dem
Spanwinkel an und verschiebt die dargestellten Zu-
Den Einfluss von Scherwinkel F, Schnittgeschwin- sammenhänge in das Gebiet der Fließspanbildung.
digkeit vc, Spanwinkel g und Gleitreibungskoeffizi-
enten m auf die Spanarten zeigt Bild 4-32. Bei kon- Im Bereich der Scherspanbildung, besonders bei
Werkstückstoffen mit hoher Bruchdehnung, kommt
Fließspangebiet es zur Bildung von Aufbauschneiden. Dabei wer-
den stark kaltverfestigte harte Schichten aufgestaut,
Scherwinkel F

wie dies Bild 4-33 verdeutlicht. Es bilden sich keil-


förmige Schneidenansätze, die z. T. die Funktion
der Schneide übernehmen. Der Bildungsmechanis-
g positiver mus kann wie folgt beschrieben werden:
g=

– Kleinste Werkstoffpartikel bleiben zunächst in


ko
ns

Schneidennähe haften; es kommt zu Verschwei-


t.

g negativer
ßungen, Bild 4-33a).
– Durch ständiges Hinzukommen neuer Werk-
stoffpartikel nimmt die Aufbauschneide konti-
Scherspangebiet nuierlich bis zu einer bestimmten Größe zu; hier-
Schnittgeschwindigkeit vc
bei lösen sich Teile der Aufbauschneide durch
Gleitreibungskoeffizient m den Spandruck wieder ab, Bild 4-33b).
– Die Werkstoffpartikel wandern an der Spanun-
Bild 4-32
Einfluss von Scherwinkel F, Schnittgeschwindigkeit vc, Span- terseite und der gefertigten Werkstückfläche ab,
winkel g und Gleitreibungskoeffizient m auf die Spanarten und es entstehen charakteristische schlechte Ober-
(nach Hucks). flächen, Bild 4-33c).
4.5 Grundlagen zum Spanen 273

700 Vorteilhaft sind z. B. kurze zylindrische Wendelspä-


°C
600
L ne, Spiralwendelspäne und Spiralspäne mit Span-
H raumzahlen im Bereich R = 25 bis R = 8. Möglich-

Abmessungen der Aufbauschneide


Temperatur J
Schnitttemperatur J

500 1,0 keiten zur Beeinflussung der Spanform ergeben sich


mm durch
400 0,8
– den Werkstückstoff,
Länge L
300 0,6 – die kinematische Spanbrechung,
– die Anwendung von Spanformstufen und durch
200 0,4
– das Ändern der Werkzeuggeometrie und der Ma-
100 0,2 schineneinstellbedingungen.
Höhe H
0 0
1 2 4 7 10 20 40 70 100 In der Praxis üblich ist die Verwendung von aufge-
Schnittgeschwindigkeit vc in m/min setzten oder eingesinterten Spanformstufen und
Bild 4-34 Werkstückstoffen mit spanformbeeinflussenden Le-
Einfluss von Schnitttemperatur J und Schnittgeschwindigkeit gierungselementen, z. B. Schwefel, Blei, Selen oder
vc auf die Abmessungen von Aufbauschneiden (nach Opitz). Tellur bei Automatenstählen.

Bei höheren Schnittgeschwindigkeiten gelangt man Die Geometrie von Spanformstufen wird weitge-
an der Wirkstelle in den Bereich der Rekristallisa- hend durch den zu zerspanenden Werkstückstoff
tionstemperatur, so dass sich die aufgeschweißten und die Eingriffs- bzw. Spanungsgrößen bestimmt.
Werkstoffpartikel wieder entfestigen und von der Zur Beurteilung der Spanformung mittels Span-
Schneide lösen. Das Diagramm Bild 4-34 lässt die formstufen werden in der Praxis Spanformdiagram-
Zusammenhänge erkennen. me, etwa gemäß Bild 4-36, herangezogen, die in Ab-
hängigkeit von den jeweiligen Eingriffs- bzw. Spa-
nungsgrößen die Bereiche mit guter Spanformung
4.5.5 Spanformen
kennzeichnen.
Außer den verschiedenen Spanarten lässt sich die
Gestalt des Spans durch unterschiedliche Spanfor- Spanraum-
Spanform Beurteilung
zahl R
men beschreiben. Die Beherrschung der Spanform-
bildung gewinnt mit zunehmender Automatisierung
der Fertigung und mit gesteigerten Schnittgeschwin- Bandspäne
digkeiten immer mehr an Bedeutung.
³ 90 ungünstig
Für das Drehen lassen sich verschiedene Spanfor-
men entsprechend Bild 4-35 klassifizieren. Eine un- Wirrspäne
vorteilhafte Spanbildung ist für den Bedienenden
eine Gefahrenquelle. Ungünstige Spanformen beein-
flussen die Werkstückqualität und können durch Be-
schädigungen an dem Werkzeug, der Werkzeug- ³ 50 brauchbar
Wendel- lang
maschine und an den Späneentsorgungsanlagen er- späne
hebliche Störungen im Arbeitsablauf verursachen. ³ 25
Unerwünscht sind besonders Band-, Wirr- und Flach- kurz

wendelspäne, die im Verhältnis zu ihrem eigentli- gut


chen Spanvolumen einen großen Spanraumbedarf
Spiralspäne ³ 8
beanspruchen. Der Raumbedarf der Späne kann
durch die Spanraumzahl R ausgedrückt werden, die
sich aus dem Verhältnis nach Gl. [4-20] ergibt:
Raumbedarf der Spanmenge Spanbruch-
³ 3 brauchbar
R= . stücke
Werkstoffvolumen der gleichen Spanmenge
Band- und Wirrspäne bilden unerwünschte Formen Bild 4-35
mit Spanraumzahlen R > 90. Spanformen bei der Drehbearbeitung und deren Beurteilung.
274 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.5.6 Energieumwandlung beim Spanen 4.5.7 Schneidstoffe

Die beim Spanen zugeführte mechanische Energie Als Schneidstoffe bezeichnet man Werkstoffe, die
wird durch Verformungs- und Reibungsvorgänge in für den Schneidteil von spanenden Werkzeugen ver-
den an der Spanentstehung beteiligten Zonen na- wendet werden. Die Art der Beanspruchungen der
hezu vollständig in Wärme umgewandelt. Wärme Schneidstoffe ist außerordentlich vielfältig und führt
entsteht in der Scherzone, im Trenngebiet und in den zu einer Reihe von zu fordernden Eigenschaften,
Reibungszonen zwischen Freifläche und gefertigter wie z. B.
Werkstückfläche bzw. Spanfläche und Spanuntersei- – Härte und Druckfestigkeit,
te, wie aus Bild 4-37 hervorgeht. 40 % bis 75 % der – Biegefestigkeit und Zähigkeit,
zugeführten Energie wird in der Scherzone in Wär- – Kantenfestigkeit,
me umgesetzt. Aufgrund der komplexen Verfor- – innere Bindefestigkeit,
mungs- und Reibungsmechanismen in den Spanent- – Warmfestigkeit,
stehungszonen ist es bisher nicht möglich, die auf – geringe Oxidations-, Diffusions-, Korrosions-
Werkstück, Werkzeug, Span und Umwelt entfallen- und Klebneigung,
den Wärmemengen rechnerisch zu erfassen. – Abriebfestigkeit.

Messungen ergaben, dass der weitaus größte Teil Diese Forderungen sind teilweise gegensätzlicher
der in den einzelnen Umwandlungsstellen entste- Art; sie lassen sich darum bei der Schneidstoffher-
henden Wärme mit dem Span abgeführt wird. Die stellung nicht gleichzeitig verwirklichen. Tabelle
Wärmeaufteilung ist von den jeweiligen Schnittbe- 4-1 gibt einen Überblick über Schneidstoffe für das
dingungen abhängig. Bei hohen Schnittgeschwin- Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden und
digkeiten können bis zu 95 % der umgesetzten Wär- einige wichtige Eigenschaften.
meenergie vom Span aufgenommen werden.
Werkstück F
Bild 4-37 zeigt die Temperaturverteilung im Werk-
stück, im Span und im Werkzeug beim Zerspanen
von Stahl mit einem Hartmetallwerkzeug bei einer QUmwelt
Schnittgeschwindigkeit vc = 60 m/min.
Span
Spanformstufen: 1 2 200°

a
QSp 400°

8 QWst 450°
500°
mm 500°
d 600°
b
Spanungsbreite b

6 720°
c
600° QWz 700°
200°
4
10° 650°
50° 600°

Bild 4-37
Energieumwandlungsstellen und Temperaturverteilung in Werk-
stück, Span und Werkzeug beim Zerspanen von Stahl (Schneid-
0 0,2 0,4 0,6 0,8 mm 1,0
stoff: Hartmetall P 20, Werkstückstoff: Stahl mit Fließspan-
Spanungsdicke h
nung kf = 850 N/mm2, Schnittgeschwindigkeit vc = 60 m/min,
Bild 4-36 Spanungsdicke h = 0,32 mm, Spanwinkel g = 10∞).
Spanformdiagramm für verschiedene Geometrien von Span- a Scherebene
formstufen (Werkstückstoff: C60, Schneidstoff: mehrlagen- b Trenngebiet
beschichtetes Hartmetall Widalon TK 15, c Reibungszone Werkzeugfreifläche
Schnittdaten: vc = 200 m/min, k = 95∞). d Reibungszone Werkzeugspanfläche
4.5 Grundlagen zum Spanen 275

Tabelle 4-1. Einteilung der Schneidstoffe und einige wichtige Eigenschaften.

Schneidstoffe Eigenschaften

Vickershärte Temperatur- Druck- Biege- Dichte Elastizitäts-


HV 30 beständigkeit festigkeit festigkeit modul

°C N/mm2 N/mm2 kg/dm3 103 N/mm2


Werkzeugstähle 700 bis 900 200 bis 300 2000 bis 3000 1800 bis 2500 7,85 220
Schnellarbeitsstähle 750 bis 1000 600 bis 800 2500 bis 3500 2500 bis 3800 8,0 bis 8,8 260 bis300
Stellite 670 bis 785 700 bis 800 2000 bis 2500 2000 bis 2500 8,3 bis 8,8 280 bis 300
Hartmetalle 1300 bis 1700 1100 bis 1200 4000 bis 5900 800 bis 2200 6,0 bis 15,0 430 bis 630

Schneidkeramik 1400 bis 2400 1300 bis 1800 2500 bis 4500 300 bis 700 3,8 bis 7,0 300 bis 400
Bornitrid 4500 1500 4000 600 3,45 680
Diamant bis 7000 700 3000 300 3,5 900 bis 1000

Die Entwicklung neuer Schneidstoffe hat in den letz- 4.5.7.2 Schnellarbeitsstähle


ten Jahren zu einem sprunghaften Anstieg der Schnitt- Schnellarbeitsstähle sind hochlegierte Werkzeug-
geschwindigkeiten bei den spanenden Fertigungs- stähle. Ihr Grundgefüge besteht aus angelassenem
verfahren geführt. Bild 4-38 zeigt – ausgehend vom Martensit mit eingelagerten Molybdän-Wolfram-
Zeitpunkt der ersten Anwendung verschiedener Doppelcarbiden, Chrom- und Vanadiumcarbiden
Schneidstoffe – die bisherigen und zukünftig zu er- und nicht in Carbiden gebundenen, in der Stoffma-
wartenden Schnittgeschwindigkeitssteigerungen trix gelösten Anteilen der Legierungselemente W,
beim Drehen; hierbei kann zwischen bisher ge- Mo, V und Co.
bräuchlichen Schnittgeschwindigkeitsbereichen und
dem Bereich des Hochgeschwindigkeitsdrehens Härte und Verschleißwiderstand der Schnellarbeits-
(High Speed Cutting HSC) unterschieden werden. stähle sind von der Härte des Grundgefüges sowie
von der Anzahl und der Verteilung der ungelösten
Der Anwendung in Bezug auf die Schnittgeschwin- Carbide abhängig, während die gute Anlassbestän-
digkeit leistungsfähigerer neuer Schneidstoffe sind digkeit und Warmhärte (bis etwa 600 °C) hauptsäch-
in vielen Bearbeitungsfällen, z. B. beim Gewinde- lich von den in der Stoffmatrix gelösten Legierungs-
schneiden, Reiben und Räumen, technologische und bestandteilen (Carbidbildner) beeinflusst wird.
wirtschaftliche Grenzen gesetzt, so dass auch Werk-
zeugstähle und besonders Schnellarbeitsstähle zahl- 2000
reiche Anwendungsbereiche finden. Schneidkeramik kubisch-
1000 kristallines
Schnittgeschwindigkeit vc

polykristalliner Bornitrid
Diamant
4.5.7.1 Werkzeugstähle 500
Man unterscheidet je nach ihrer Zusammensetzung
unlegierte und legierte Werkzeugstähle. Unlegier- m/min gesintertes beschich-
tetes
te Werkzeugstähle haben einen C-Gehalt von 0,6 % Hartmetall
Hartmetall
100
bis 1,3 %. Legierte Werkzeugstähle enthalten zusätz- gegossenes
Hartmetall (Stellite)
lich bis zu 5 % Cr, W, Mo und V. Durch den Zusatz 50
von carbidbildenden Legierungselementen werden
Schnellarbeitsstahl
die Verschleißfestigkeit, Anlassbeständigkeit und
Warmfestigkeit erhöht. Für die spanende Metallbe-
10
arbeitung auf modernen Werkzeugmaschinen ha-
ben Werkzeugstähle wegen ihrer vergleichsweise ge- 1900 Jahr 1930 1950 1970 1990 2010
ringen Warmhärte von etwa 200 °C bis 300 °C kaum Hochgeschwindigkeitsdrehen Normaldrehen
noch Bedeutung. In der spanenden Fertigung wer-
Bild 4-38
den Werkzeugstähle heute hauptsächlich noch für Entwicklung der anwendbaren Schnittgeschwindigkeiten beim
im niedrigen Schnittgeschwindigkeitsbereich arbei- Drehen mit verschiedenen Schneidstoffen im Lauf der Jahr-
tende Handwerkzeuge verwendet. zehnte.
276 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Tabelle 4-2 zeigt die Zusammensetzung und Ver- arbeitsstahlwerkzeugen nach dem PVD-Verfahren
wendung gebräuchlicher Schnellarbeitsstähle. Diese (Physical Vapor Deposition, physikalische Abschei-
werden mit den Kennbuchstaben HS ( High Speed) dung in der Dampfphase) konnten z. B. beim Boh-
und der Angabe der prozentualen Anteile der wich- ren mit TiN-beschichteten Wendelbohrern beträcht-
tigsten Legierungselemente in der Reihenfolge W- liche Standzeiterhöhungen erzielt werden. Unterdes-
Mo-V-Co bezeichnet. Die Legierungselemente be- sen wird diese Beschichtungstechnik auch bei an-
einflussen bestimmte Eigenschaften der Schnellar- deren Werkzeugen, wie z. B. Fräsern, Gewinde- und
beitsstähle: Verzahnwerkzeugen, weitgehend angewendet.
Kohlenstoff ist der Träger der Härte in der
Grundmasse und erhöht als Carbidbildner zu- 4.5.7.3 Hartmetalle
sätzlich die Verschleißfestigkeit. Hartmetalle sind gesinterte Stoffsysteme mit Metall-
Chrom beeinflusst die Durchhärtbarkeit und ist carbiden als Härteträger und einem die Zähigkeit
an der Carbidbildung maßgeblich beteiligt. bestimmenden Bindemetall. Als Härteträger haben
Molybdän und Wolfram steigern die Warmhär- Wolframcarbid (WC), Titancarbid (TiC) und Tan-
te und Anlassbeständigkeit und erhöhen durch talcarbid (TaC) sowie Niobcarbid (NbC), die im
Bildung von Sondercarbiden den Verschleißwi- Hartmetall als Mischkristall Ta-(Nb)-C auftreten,
derstand. Molybdän kann Wolfram ersetzen und die größte Bedeutung erlangt. Als Bindemetall wird
ist bei gleichem Massengehalt aufgrund der halb neben Kobalt (Co) auch Nickel (Ni) und (oder) Mo-
so großen Dichte wirksamer. Molybdänhaltige lybdän (Mo) verwendet. Hartmetalle lassen sich ein-
Stähle verfügen über eine besonders große Zä- teilen in
higkeit. – WC-Co-Legierungen,
Vanadium verbessert die Verschleißeigenschaf- – WC-TiC-Ta-(Nb)-Co-Legierungen, beschichte-
ten. te Hartmetalle,
Kobalt erhöht die Warmhärte und die Anlassbe- – Sonderhartmetalle.
ständigkeit.
Nach DIN ISO 513 teilt man Hartmetalllegierungen
Die Eigenschaften von Schnellarbeitsstählen wer- in die Zerspanungsanwendungsgruppen P, M und
den im Wesentlichen von den Legierungselementen K gemäß Tabelle 4-3 ein. Die WC-TiC-Ta-(Nb)-Co-
Wolfram und Molybdän bestimmt, so dass sich die Legierungen der P-Gruppe haben einen relativ ho-
einzelnen Schnellarbeitsstahlqualitäten nach Legie- hen Anteil an TiC und TaC. Anwendungsschwer-
rungsgruppen W-Mo einteilen lassen. punkt ist die Bearbeitung langspanender Stähle. Die
weitgehend TiC-TaC-freien Legierungen aus WC-
Eine verhältnismäßig neue Entwicklung ist das Be- Co gehören zur Zerspanungsanwendungsgruppe K
schichten des Werkzeugs mit Hartstoffen auf der und werden vorwiegend für die Zerspanung von
Basis von Titancarbid (TiC) und Titannitrid (TiN), Eisen-Gusswerkstoffen, Nichteisenmetallen und
um den Verschleißwiderstand von Schnellarbeits- Kunststoffen verwendet. Hartmetalle der M-Grup-
stählen zu erhöhen. Durch Beschichten von Schnell- pe (Schaftkennfarbe gelb) bilden anwendungstech-

Tabelle 4-2. Zusammensetzung, Eigenschaften und Anwendung gebräuchlicher Hartmetalle.

Bezeichnung Werkstoff-Nr. chemische Zusammensetzung in % Anwendung


nach DIN EN 10027 (DIN 17007)
W Mo V Co Cr C
HS18-1-2-5 1.3255 18 0,7 1,6 4,8 4,0 0,80 Für große Spanungsquerschnitte bei der Stahl-
HS18-1-2-10 1.3265 18 0,85 1,5 10,0 4,0 0,75 und Gussbearbeitung
HS12-1-2 1.3318 12 0,85 2,5 − 4,0 0,85 Für mittlere und kleine Spanungsquerschnitte
HS12-1-4-5 1.3202 12 0,8 3,8 4,8 4,0 1,35 sowie Verschleißbeanspruchung
HS6-5-2 1.3343 6,4 5,0 1,9 − 4,0 0,90
HS6-5-2-5 1.3243 6,4 5,0 1,9 4,8 4,0 0,92 Für mittlere und große Spanungsquerschnitte,
HS6-5-3 1.3344 6 5,0 3,0 − 4,0 1,2 besondere Anforderungen an Kantenfestigkeit
HS2-9-1 1.3346 2,0 9 1 − 4,0 0,8 und Zähigkeit
HS2-9-2 1.3348 1,7 8,6 2,0 − 3,8 1,00
4.5 Grundlagen zum Spanen 277

Tabelle 4-3. Zusammensetzung, Eigenschaften und Anwendung verschiedener Hartmetalle.

Anwendungs- Eigen- Zusammensetzung Vickers- Biege- Druck- Elastizitäts- Anwendung


gruppe schaften härte festigkeit festigkeit modul
nach ISO WC TiC+TaC Co HV 30

% % % N/mm2 N/mm2 N/mm2

P02 33 59 8 1650 800 5100 440000


P10 55 36 9 1600 1300 5200 530000 z. B. Stahl,
P20 76 14 10 1500 1500 5000 540000 Stahlguss,
blau

P30 82 8 10 1450 1800 4800 560000 langspanender


Verschleißwiderstand (Schnittgeschwindigkeit)

P40 74 12 14 1350 1900 4600 560000 Temperguss


P50 79,5 6,5 14 1300 2000 4000 520000
in Pfeilrichtung zunehmend

Stahl, GS,
Zähigkeit (Vorschub)

M10 84 10 6 1700 1350 6000 580000 Manganhartstahl,


M15 81 12 7 1550 1550 5500 570000 legierter GJL,
gelb

M20 82 10 8 1550 1650 5000 560000 GJS, GJMW,


M40 79 6 15 1350 2100 4400 540000 austenitische Stähle,
Automatenstähle

K03 92 4 4 1800 1200 6200 630000 GJL, Hartguss,


K05 92 2 6 1750 1350 6000 630000 kurzspanender
K10 92 2 6 1650 1500 5800 630000 Temperguss,
rot

K20 92 2 6 1550 1700 5500 620000 Stahl gehärtet,


K30 93 7 1400 2000 4600 600000 NE-Metalle,
K40 88 12 1300 2200 4500 580000 Kunstoffe

nisch – bei mittleren Gehalten an TiC und TaC – Für das Fertigbearbeiten von Stahlwerkstoffen mit
den Übergang zwischen den Gruppen P und K. kleinsten Aufmaßen (Near-Net-Shape Technolo-
gie) gewinnen wolframcarbidarme Hartmetalle
Innerhalb jeder Zerspanungshauptgruppe ist durch (Cermets) auf der Basis von Titancarbonitrid mit
die Beifügung von Kennziffern eine Aussage über Anteilen zwischen 40 % bis 60 % zunehmend an
Zähigkeit und Verschleißwiderstand möglich. Mit Bedeutung. Sie besitzen eine verhältnismäßig hohe
ansteigender Kennziffer nimmt die Zähigkeit des Kantenfestigkeit und sind gegenüber mechanischem
Hartmetalls zu, während der Verschleißwiderstand Abrieb, Oxidations- und Diffusionsverschleiß sehr
abnimmt. Die genormten Zerspanungsanwendungs- viel beständiger als Hartmetalle auf Wolframcar-
gruppen haben durch das zunehmende Angebot von bid-Basis.
Hartmetall-Mehrbereichssorten in letzter Zeit et-
was an Bedeutung verloren. Beschichtetes Hartmetall besteht aus einem ver-
gleichsweise zähen Hartmetallgrundkörper mit ei-
Die verschiedenen Hartmetallkomponenten beein- ner verschleißfesten Hartstoffschicht oder mehre-
flussen wichtige Schneidstoffeigenschaften: ren Schichten. Eine solche Kombination bietet die
– Wolframcarbid erhöht die Abrieb- und Kanten- Möglichkeit, gegensätzliche Schneidstoffeigenschaf-
festigkeit: jedoch besteht bei höheren Tempera- ten, wie Verschleißwiderstand und Zähigkeit besser
turen eine zunehmende Neigung zu Diffusions- aufeinander abzustimmen.
vorgängen.
– Titancarbid weist eine geringe Diffusionsnei- Zum Beschichten von Hartmetallen wird großtech-
gung auf und verleiht dem Hartmetall dadurch nisch hauptsächlich das CVD-Verfahren (Chemical
eine hohe Warmverschleißfestigkeit. Die Ab- Vapor Deposition) angewendet. Dabei werden re-
rieb-, Binde- und Kantenfestigkeit sowie die Zä- aktionsfähige Gase über die heiße Hartmetallober-
higkeit werden mit zunehmendem TiC-Gehalt fläche geleitet; hierbei entstehen aus der Gasphase
verringert. Hartstoffschichten von 3 μm bis 15 μm Dicke. Bei-
– Tantalcarbid wirkt kornverfeinernd und verbes- spielsweise erfolgt das Abscheiden von Titancarbid
sert die Kantenfestigkeit und Zähigkeit. Kobalt nach der chemischen Reaktion
bestimmt im Wesentlichen die Zähigkeitseigen-
1000 ∞ C
schaften. TiCl 4 + CH 4 + n H 2 æææ
Æ TiC + 4 HCl + n H 2 .
278 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Heute gebräuchliche Kombinationen von Hart-


metallgrundkörpern und Hartstoffschichten zeigt
Bild 4-39.

Durch das Beschichten von Hartmetall mit dünnen

KT
Hartstoffschichten wird beim Spanen von Werk-

VB
stoffen auf Eisenbasis eine deutlich höhere chemi-
sche Beständigkeit erreicht, der Widerstand gegen-
über Abrasion erhöht und durch die wärmeisolieren-
de Wirkung der Hartstoffschichten die Schneiden-
temperatur gesenkt. Bild 4-40
Widerstand gegen Verschleiß bei beschichteten Hartmetallen
Die verschleißmindernde Wirkung der Hartstoff- durch abstützende Wirkung (nach Reiter).
schichten bleibt nach Reiter auch bestehen, wenn
diese durchbrochen sind, wie Bild 4-40 zeigt. Die- enthalten außer einem Aluminiumoxidanteil von
ser Effekt soll auf der abstützenden Wirkung der weniger als 90 % einen großen Anteil an Metall-
Oberflächenschicht gegenüber dem abfließenden carbiden und sind schwarzgrau bis schwarz gefärbt.
Span und der gefertigten Werkstückfläche beruhen.
Gleichzeitig könnten durch Abrasion Hartstoffparti- Gegenüber Hartmetallen, deren Härteträger in ei-
kel in die Verschleißzonen gelangen, um damit Dif- ner metallischen Bindemittelphase eingelagert sind,
fusionsreaktionen zwischen Span und Kolkmulde werden oxidkeramische Schneidstoffe ohne Verwen-
zu vermindern. dung eines die Warmhärte begrenzenden Bindemit-
tels gesintert. Die anwendbaren Schnittgeschwin-
4.5.7.4 Schneidkeramik digkeiten und die geschwindigkeitsabhängigen
Als Schneidkeramik bezeichnet man Schneidstof- Standzeiten liegen deshalb im Vergleich zu ande-
fe aus Aluminiumoxid (Al2O3) oder Siliciumnitrid ren Schneidstoffen deutlich höher. Bild 4-41 erläu-
(Si3N4) als Basis. Die oxidkeramischen Schneidstof- tert dies im Einzelnen.
fe werden in der Praxis entsprechend ihrer Zusam-
mensetzung in Reinkeramik- und Mischkeramik- Die verschiedenen Bestandteile von keramischen
sorten unterteilt. Reinkeramiksorten haben meist Schneidstoffen beeinflussen folgende Eigenschaften:
Aluminiumoxidanteile größer als 90 % mit gerin- – Aluminiumoxid als Härteträger verleiht dem
gen Zusätzen von Zirconiumoxid, Magnesiumoxid Schneidstoff eine hohe Warmhärte und in Verbin-
u. a. Sie zeigen eine weiße, manchmal auch gelb- dung mit der geringen Diffusionsneigung und
liche oder rosa Färbung. Die Mischkeramiksorten seiner Oxidationsbeständigkeit gute Verschleiß-
eigenschaften.
Hartstoff- – Titancarbid-/nitridanteile erhöhen die Härte
schicht(en) und die Verschleißfestigkeit und ermöglichen
das Zerspanen von Stahlwerkstoffen mit Härten
bis zu 64 HRC.
TiC TiN TiC Al2O3 TiC TiC HfN Al-O-N – Zirconiumoxidanteile verbessern die Festigkeits-
Hartmetall- Ti(C,N) Al2O3 Ti(C,N)
grundkörper -TiN -TiN- eigenschaften.
nach ISO 513 Al2O3

Wichtige Anwendungsgebiete verschiedener Schneid-


keramiksorten beim Drehen zeigt Bild 4-42. Rein-
M15
keramiksorten werden angewendet für die Schrupp-
P25 und Schlichtzerspanung von Eisengusswerkstoffen
P40
bis zu einer Vickershärte von 400 HV sowie von
Stählen bis zu einer Rockwellhärte von 48 HRC.
K10 Mischkeramiksorten mit einem großen Anteil von
Bild 4-39 Titancarbid-/nitrid eignen sich vor allem für die
Gebräuchliche Kombinationen von Hartmetallgrundkörpern Drehbearbeitung von Eisengusswerkstoffen und
und Hartstoffschichten. Stählen mit Härten bis zu 750 HV bzw. 65 HRC.
4.5 Grundlagen zum Spanen 279

100 Allgemein werden die durch Schneidkeramik an-


min wendbaren hohen Schnittgeschwindigkeiten beson-
60
Standzeit T

ders vorteilhaft genutzt werden können, wenn mög-

P2 5 (Har
P2
5C
40
HS10-4-3-10 lichst große Schnittwege zu verwirklichen sind, z. B.

(ha
beim Drehen von Werkstücken mit günstigem Län-

Ke
rtm

ra
tme

m
eta
ge/Durchmesserverhältnis l/d.

ik
tall)

llb
es
20

ch
(Schnellarbeit

ich
Nachteilig bei keramischen Schneidstoffen auf Al2O3-

tet
)
10
Basis sind die verhältnismäßig geringe Bruchfestig-
8 keit und die hohe Schlag- und Thermoschockemp-
sstahl)

6
findlichkeit, so dass die Anwendbarkeit bei unter-
brochenem Schnitt begrenzt und der Einsatz von
4 Kühlschmierflüssigkeiten auf wenige Sonderfälle
40 60 100 200 m/min 400 600 1000
beschränkt bleiben muss.
Schnittgeschwindigkeit vc
Bild 4-41 Durch Verstärken von Schneidkeramiken auf Al2O3-
Zusammenhang zwischen Standzeit und Schnittgeschwindig-
Basis mit Siliciumcarbid – Whiskern (Einkristallen)
keit beim Drehen mit verschiedenen Schneidstoffen (Werk-
stückstoff: C45E (Ck 55 N), Standzeitkriterium VB = 0,5 mm, ergeben sich weitere Möglichkeiten, die Bruchzähig-
Schnitttiefe ap = 2 mm, Vorschub f = 0,5 mm/U), nach VDI keit, Festigkeit und Wärmeleitfähigkeit im Vergleich
3321, Bl. 1. zur reinen Aluminiumoxidkeramik zu steigern.

Schneidstoffzusammensetzung
Werkstückstoffe
Feinschlichten N6 Schlichten N8 Schruppen N10

Eisen-Gusswerkstoffe:
GJL-150, GJL-200, GJL-250, GJL-300
Al2O3 > 90 % GJS-500-7, GJS-600-3, GJS-700-2
GJMB-450-4
ZrO2 < 10 %

Einsatzstähle:
16MnCr5, 20MnCr5, 21CrMoV5

Al2O3 > 80 % Al2O3 > 80 % Vergütungsstähle:


C35, C45, C60,C45G, C53G
ZrO2 < 20 % 34Cr4, 41Cr4, 100Cr6
TiC / TiN < 20 %
34CrMo4, 42CrMo4, 51CrV4

Schnellarbeitsstähle:
HS18-1-2-5, HS18-1-2-10, HS10-4-3-10

sonstige Stähle:
X12CrMoS17
X2NiCoMoTi18-24
X210CrW12, 90MnV8
X32CrMoCoV12-28

Al2O3 > 60 % gehärtete Stähle/Eisen-Gusswerkstoffe


TiC / TiN < 40 % bis 65HRC bis 750HV

Reinkeramiksorten Mischkeramiksorten
Bild 4-42
Anwendungsfälle für verschiedene Schneidkeramiksorten.
280 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Siliciumnitrid (Si3N4) ist ab etwa 1984 als neuer weitgehend isotrope Eigenschaften und ist somit
Schneidstoff bekannt geworden. Diese nichtoxidi- gegenüber den anisotropen Diamanten monokristal-
sche Schneidkeramik zeigt insbesondere bei der linen Aufbaus weniger stoßempfindlich.
spanenden Bearbeitung von Grauguss und hoch-
warm festen Werkstoffen Vorteile gegenüber den Anwendung finden Diamantwerkzeuge bei der Be-
bisher verwendeten Schneidstoffen. Von Nachteil arbeitung von
ist jedoch die chemische Affinität der Siliciumnit- – Leichtmetallen (Aluminium, Aluminiumlegie-
ride gegenüber Eisen. So eignen sie sich wegen der rungen, Titan),
Bildung von Eisensilicium bei ca. 1200 °C nicht zum – Schwermetallen (Kupfer- und Kupferlegierun-
Zerspanen von Stahlwerkstoffen. Mit Zusätzen von gen, Zinklegierungen),
ZrO2 oder TiN bzw. dem Einlegen von Whiskern, – Edelmetallen (Platin, Gold, Silber),
dem Aufbringen von Al2O3-Schichten lassen sich – Kunststoffen (faserverstärkte Kunststoffe, Poly-
die Verschleißfestigkeit bzw. die Bruchzähigkeit die- tetrafluorethylen),
ses Keramikschneidstoffs verbessern. – anderen nichtmetallischen Werkstoffen (z. B.
Hartgummi, Grafit, Keramik, Glas, Gestein, As-
Ein Kennwert für die Empfindlichkeit eines Schneid- best).
stoffs gegenüber den beispielsweise bei unterbro-
chenen Schnitten auftretenden thermischen Wech- Polykristalline Diamantwerkzeuge haben im Bereich
selbelastungen ist die Thermoschockzahl R der Automobilindustrie bei der Zerspanung von Alu-
sB l minium-Silicium-Legierungen besondere Bedeutung
R= [4-21] erlangt. Eisen-Gusswerkstoffe und Stähle dagegen
Ea können mit Diamant wegen der Affinität des Dia-
mit der Biegebruchspannung s B, der Wärmeleit- mantkohlenstoffs zum Eisen nicht zerspant werden.
fähigkeit l , dem Elastizitätsmodul E und dem Wär-
meausdehnungskoeffizienten a . Als Schneidstoff für die Mikrozerspanung erschlie-
ßen sich dem monokristallinen Diamanten neue An-
Nitridkeramiken besitzen mit R O 25 im Vergleich zu wendungen. Sowohl für die Fertigungsverfahren
Oxidkeramiken eine um den Faktor 5 höhere Ther- Drehen, Fräsen und Hobeln als auch für neue Fer-
moschockbeständigkeit, so dass die Anwendung im tigungstechnologien wie das Fast-Tool-Drehen. Bei
unterbrochenen Schnitt und die Verwendung von diesem Verfahren nutzen hoch beschleunigte Fast-
Kühlschmierflüssigkeiten problemlos möglich ist. Tool-Servo-Systeme als Antrieb einen Piezokris-
tall, der durch Anlegen einer Spannung eine ultra-
4.5.7.5 Diamant und Bornitrid präzise Bewegung der Diamantschneide gestattet.
Schneidstoffe auf der Basis von Diamant und Bor-
nitrid werden zunehmend zum Spanen mit geome- Kubisch kristallines Bornitrid (CBN) gehört nach
trisch bestimmten Schneiden benutzt. Diamant ist dem Diamanten zu den härtesten Schneidstoffen.
der härteste Schneidstoff und kann in mono- oder Wegen der chemischen Beständigkeit gegenüber
polykristalliner Form für die Zerspanung verwendet dem Eisen in Verbindung mit einer verhältnismä-
werden. Während monokristalliner Diamant (MKD) ßig hohen Druck- und Biegefestigkeit sowie Thermo-
aufgrund seiner begrenzten mechanischen Belast- stabilität ist CBN anderen Schneidstoffen besonders
barkeit nur für die Feinbearbeitung mit einer Schnitt- bei der Bearbeitung von Stählen mit Härten von 54
tiefe bis etwa ap = 1,5 mm eingesetzt werden kann, HRC bis 68 HRC, hochwarmfesten Legierungen auf
sind bei polykristallinem Diamant (PKD) Schnitttiefen Kobalt- und Nickelbasis, Schnellarbeitsstählen und
bis zu 12 mm und größere Vorschübe anwendbar. Hartmetallen überlegen.

Ausgangsstoffe für die Herstellung der polykristal- Die ebenfalls nach dem Verfahren der Hochdruck-
linen Diamantschicht sind synthetische Diamanten und Hochtemperatursynthese hergestellten CBN-
bestimmter Korngröße, die in einer Hochdruck- Werkzeuge können als massive Wendeschneidplat-
Hochtemperatursynthese auf einen Hartmetallgrund- ten oder in Form von mit polykristallinem kubischen
körper meist über eine dünne Zwischenschicht nie- Bornitrid (PKB) beschichteten Hartmetallgrund-
drigen Elastizitätsmoduls aufgesintert werden. Die körpern vorliegen. Die PKB-beschichteten Schneid-
etwa 0,5 mm bis 1 mm dicke Diamantschicht hat platten haben im Vergleich zur massiven Schneid-
4.5 Grundlagen zum Spanen 281

platte etwa eine 4,5fache Widerstandsfähigkeit ge- standenen oxidfreien Oberflächen an der Spanun-
genüber Stoßbelastungen. CBN-Werkzeuge ermög- terseite und dem gefertigten Werkstück an den
lichen beim Spanen mit geometrisch bestimmten Werkzeugflächen festkleben und Verschweißungen
Schneiden bereits Oberflächengüten, die in einigen bilden. Diese Pressschweißungen werden anschlie-
Fällen die Anwendung von Feinbearbeitungsverfah- ßend wieder abgetrennt. Sie können teilweise eine
ren entbehrlich machen könnten. höhere Festigkeit haben als die eigentlichen stoff-
lichen Partner; hierdurch kommt es zu Mikroaus-
bröckelungen im Werkstück und vor allem im Werk-
4.5.8 Werkzeugverschleiß zeug. Mikroausbröckelungen durch Aufbauschnei-
denbildung sind ebenfalls diesem Verschleißmecha-
Der Werkzeugverschleiß wird hervorgerufen durch nismus zuzurechnen.
mechanische und thermische Beanspruchungen des
Werkzeugs, die abhängig von dem Werkstückstoff, Diffusionsverschleiß äußert sich als Auskolkung
dem Schneidstoff und den jeweiligen Schnittbedin- auf der Werkzeugspanfläche und tritt besonders bei
gungen sind, Bild 4-43. Hartmetallwerkzeugen in Erscheinung. Dabei lau-
fen bei Temperaturen oberhalb 800 °C aufgrund der
Die beim Verschleißvorgang ablaufenden physika- gegenseitigen Löslichkeit der Wirkpartner folgende
lischen und chemischen Prozesse bezeichnet man Diffusionsvorgänge ab:
als Verschleißmechanismen. Beim Spanen sind es
hauptsächlich fünf Prozesse, auf die die verschiede- Eisen diffundiert in die Kobaltphase (Bindemittel),
nen Verschleißerscheinungen am Schneidteil eines – Kobalt diffundiert in den Werkstückstoff unter
Werkzeugs zurückzuführen sind. Auflösung des Bindemetallgefüges,
– Auflösung von Wolframcarbiden unter Bildung
Der Mechanismus des Adhäsionsverschleißes be- von Misch- und Doppelcarbiden in Form von
steht darin, dass Werkstoffpartikel von frisch ent- Fe3W3C, (FeW) 6C und (FeW)23C6.

Einflussgrößen:
Verschleiß- Werkzeugbeanspruchungen Werkstückstoff
ursachen (mechanisch, thermisch) Schneidstoff
Schnittbedingungen

plastische
Verschleiß- mechanischer
Adhäsion Diffusion Oxidation Verformung,
mechanismen Abrieb
Rissbildung

5 7
1 Zunderung 7 Ausbruch durch Pressschweißung
2 Spitzenausbruch 8 Ausbröckelung durch Aufbau-
3 3 Ausbrüche der Schneidkante schneide
Verschleiß-
4 Spitzenverschleiß 9 Schneidkantenversatz
erscheinungen 1
5 Kolkverschleiß 10 Kammrisse
6 Freiflächenverschleiß 11 Querrisse

2 4 6 11 10 8 9

Zerspankräfte geometrische Fertigungsfehler

Verschleiß-
wirkungen
Fp

VB, t Rauheit Formfehler Maßfehler

Bild 4-43
Ursachen, Mechanismen und Auswirkungen des Werkzeugverschleißes.
282 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Bei Werkzeugstählen und Schnellarbeitsstählen – Fertigungsfehler geometrischer Art (Gestaltab-


sind Diffusionsvorgänge kaum zu beobachten, da weichungen am Werkstück), z. B. Maß-, Form-
diese bereits bei Temperaturen erweichen, bei de- und Rauheitsfehler.
nen noch nicht mit einem spürbaren Diffusionsver-
schleiß gerechnet werden kann. Auch bei kerami-
schen Schneidstoffen ist Diffusionsverschleiß sel- 4.5.9 Kühlschmierstoffe
ten an-zutreffen.
Kühlschmierstoffe haben die Aufgabe, die Zerspan-
Oxidationsverschleiß ist Verschleiß durch Verzun- barkeit (Spanbildung, Schnittkräfte, Standvermö-
derung des Schneidstoffs. Derartige Oxidationsvor- gen, Oberflächengüte) zu begünstigen, d. h. durch
gänge sind äußerlich durch Anlauffarben in der Nä- Schmierung die Reibung in den Scherzonen herab-
he der Kontaktzonen erkennbar. Bei Hartmetallen zusetzen und durch Kühlen die in diesen Zonen ent-
kommt es unter Zutritt von Luftsauerstoff ab 700 °C stehende Verformungs- und Reibungswärme abzu-
bis 800 °C zur Bildung von Wolfram-Kobalt-Eisen- führen. Neben der Schmierfähigkeit und dem Kühl-
Oxidschichten, die einen zerstörenden Einfluss auf vermögen sind das Reinigungs- und Spülvermögen,
die Hartmetallschneide ausüben. der Korrosionsschutz sowie die Gesundheits- und Um-
weltverträglichkeit weitere wichtige Eigenschaften,
Mit mechanischem Abrieb (abrasiver Verschleiß) die von Kühlschmierstoffen erfüllt werden müssen.
bezeichnet man das Abtragen von Schneidstoff- Nach DIN 51385 werden Kühlschmierstoffe in nicht-
partikeln unter dem Einfluss äußerer Kräfte. Abra- wassermischbare und wassermischbare Klassen un-
siver Verschleiß tritt meist kombiniert mit anderen terteilt.
Verschleißmechanismen auf und ist besonders für
die Entstehung des Freiflächenverschleißes entschei- Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe (Schneid-
dend. öle) sind meist Mineralöle ohne bzw. mit Wirk-
stoffzusätzen (Additiven), die bestimmte Eigenschaf-
Bei mechanischer oder thermischer Überbeanspru- ten (Schmierfähigkeit, Alterungsbeständigkeit,
chung der Werkzeugschneide führen plastische Schaumverhalten u. a.) verbessern sollen. Daneben
Verformungen und Risse zu Beschädigungen am sind natürliche Öle tierischer oder pflanzlicher Her-
Schneidteil. Plastische Verformungen an der Schnei- kunft sowie synthetische Schmierstoffe gebräuch-
de entstehen, wenn die Schneidkante bei ausrei- lich. Wassermischbare Kühlschmierstoffe können
chender Zähigkeit, aber zu geringem Verformungs- gleichfalls aus natürlichen Ölen, aus synthetischen
widerstand durch hohe Zerspankräfte belastet wird, Stoffen bzw. aus beiden bestehen, und zwar in Form
oder der Schneidstoff infolge zu hoher Temperatu- von Emulsionen oder Lösungen. Eine Emulsion ist
ren an der Schneide erweicht. ein disperses System, das durch Mischen von Flüs-
sigkeiten entsteht, die ineinander nicht löslich sind.
Bei Fertigungsverfahren mit unterbrochenem Schnitt Es wird dabei zwischen emulgierbaren (Öl-in-Was-
(z. B. Fräsen) sind die Schneiden starken mecha- ser) und emulgierenden (Wasser-in-Öl) Emulsions-
nischen und thermischen Wechselbeanspruchungen typen unterschieden, d. h. Öl bzw. Wasser (innere
unterworfen. Die mechanischen Wechselbeanspru- Phase) ist tropfenförmig in der jeweiligen Träger-
chungen führen vor allem bei Hartmetallschneiden flüssigkeit (äußere Phase) verteilt.
zu Querrissen in der Span- und Freifläche des Werk-
zeugs. Thermische Wechselbeanspruchungen hinge- Kühlschmierstoffe können ihre Wirkung nur dann
gen sind die Ursache für Kammrissbildungen auf voll entfalten, wenn sie in ausreichender Menge
der Spanfläche, deren Verlauf sich mit der Tempe- und unter optimalem Druck an die Wirkstelle ge-
raturverteilung im Schneidteil deckt. langen.

Die verschiedenen Verschleißmechanismen treten Neben dem technologischen Nutzen können Kühl-
nicht einzeln auf, sondern überdecken sich. Auswir- schmierstoffe eine Gefährdung für Mensch und Um-
kungen des Verschleißes sind welt sein. So ist der Ersatz von mineralölbasischen
– Anstieg der Zerspankräfte; besonders Ff und Fp Kühlschmierstoffen durch physiologisch unbedenk-
steigen mit zunehmendem Verschleiß an (sog. lichere und umweltverträglichere Kühlschmierstof-
Schlesinger-Kriterium); fe ebenso anzustreben wie eine möglichst weitge-
4.5 Grundlagen zum Spanen 283

hende Substitution kühlschmierstoffintensiver Pro- Heute ist die Bearbeitung mit hohen Schnittge-
zesse bis hin zur Trockenbearbeitung. schwindigkeiten für das Drehen und Fräsen von
Gusseisenwerkstoffen bereits als Stand der Technik
anzusehen. Die anwendbaren Schnittgeschwindig-
4.5.10 Hart-, Hochgeschwindigkeits- keiten für GJL (GG) liegen im Bereich von vc = 600
und Trockenbearbeitung bis 1200 m/min beim Drehen und von vc = 500 bis
1000 m/min beim Fräsen.
4.5.10.1 Hartbearbeitung
Die spanende Bearbeitung von harten Werkstück- Zu den neueren Entwicklungen auf dem Gebiet
stoffen durch Drehen oder Fräsen bietet gegenüber der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung gehört das
der konventionellen Hartbearbeitung durch Schlei- Bohren mit Siliciumnitrid-Keramikbohrern. Um
fen oder Honen heute in zahlreichen Anwendungs- die Leistungsfähigkeit dieser Werkzeuge nutzen zu
fällen Vorteile hinsichtlich Verfahrensflexibilität, können, sind maschinenseitig Drehzahlen von mehr
Energiebedarf und Umweltverträglichkeit. Durch als 10 000 min −1 und Antriebsleistungen von mehr
das Einsparen von Bearbeitungsschritten verkürzt als 10 kW erforderlich, verbunden mit einer hohen
sich die Prozesskette vom Roh- zum Fertigteil erheb- Maschinensteifigkeit, hoher Dynamik der Antriebe
lich. Die Hartbearbeitung mit geometrisch bestimm- und hohen Verfahrgeschwindigkeiten.
ter Schneide stellt jedoch besondere Anforderungen
an Maschine, Spannsystem und Werkzeug. Es tre- 4.5.10.3 Trockenbearbeitung
ten hohe spezifische Schnittkräfte bei sehr hohen Trotz aller technologischen Vorteile ist die Anwen-
Zerspantemperaturen auf. So entscheiden die Ver- dung von Kühlschmierstoffen in mehrfacher Hin-
schleißfestigkeit und die Kantenstabilität der Werk- sicht problematisch. Für die Umwelt und den damit
zeuge sowie die Gesamtsteifigkeit des Bearbeitungs- in Berührung kommenden Menschen stellen Kühl-
systems Maschine-Werkzeug-Werkstück darüber, schmierstoffe sowohl ein erhebliches Gefährdungs-
ob die höheren Genauigkeitsanforderungen bei der potenzial als auch einen beträchtlichen Kostenfak-
Hartbearbeitung eingehalten werden können. Schneid- tor dar. Die Trockenbearbeitung vermeidet die mit
keramiken und polykristalline Bornitride (PCBN) der Anwendung von Kühlschmierstoffen verbunde-
bieten als Hochleistungsschneidstoffe werkzeugsei- nen vielfältigen Probleme. Für die Fertigungsver-
tig in hohem Maße alle Voraussetzungen für die fahren mit geometrisch bestimmten Schneiden ist
Hart-, Hochgeschwindigkeits- und Trockenbearbei- dieses teilweise bereits in die Praxis umgesetzt wor-
tung. den. Langfristig kann damit gerechnet werden, dass
bei diesen Verfahren die Bearbeitung trocken erfol-
Beim Hartdrehen mit PCBN-Schneidstoffen werden gen kann. Die höhere thermische Beanspruchung
Schnittgeschwindigkeiten zwischen vc =100 bis des Wirkpaares Werkzeug-Werkstück kann heute
160 m/min und Vorschübe f von 0,05 bis 0,1 mm durch geeignete Hartstoffbeschichtungen der Werk-
angewandt. Die erreichbaren gemittelten Rautiefen zeuge (z. B. TiN, TiAlN), die Schneidstoffzusam-
Rz liegen bei Rz ≤ 2 μm. mensetzung und die Werkzeuggeometrie kompen-
siert werden.
4.5.10.2 Hochgeschwindigkeitsbearbeitung
(HSC) Günstige Voraussetzungen für die Trockenbearbei-
Hohe Schnittgeschwindigkeiten führen zu kurzen tung bietet das Fräsen. Bei Wegfall der Kühlschmie-
Schnittzeiten, höheren Werkstückqualitäten und nie- rung in unterbrochenem Schnitt besteht nicht mehr
drigen Schnittkräften. Der Begriff »Hochgeschwin- die Gefahr der Kammrissbildung (Thermoschock)
digkeitsbearbeitung« lässt sich nur unter Bezug auf und die Eingriffzeiten der Schneiden sind relativ
das jeweilige Fertigungsverfahren definieren. So um- kurz. Kühlung und Spanabfuhr lassen sich beispiels-
fasst nach Icks z. B. der Bereich des Hochgeschwin- weise durch eine Minimalmengenkühlschmierung
digkeitsdrehens industriell angewandte Schnittge- ( V < 50 ml/h) beherrschen. Technologische Gren-
schwindigkeiten vc = 500 bis 1500 m/min während zen der Trockenbearbeitung lassen sich ebenso durch
Schnittgeschwindigkeiten von vc < 500 m/min beim Verfahrenssubstitution (z. B. Gewindefräsen statt
Drehen je nach Werkstück/Werkzeug-Kombination Gewindebohren) überwinden. Im Hinblick auf eine
zu den industriell üblichen Schnittgeschwindigkei- Trockenbearbeitung gelten Aluminiumlegierungen
ten gehören. als kritisch.
284 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.5.11 Mikrozerspanung digkeit den größten Einfluss auf den Werkzeugver-


schleiß aus. Die zeitliche Zunahme von Verschleiß-
Die Mikrozerpanung mit geometrisch bestimmten größen für bestimmte Schnittgeschwindigkeiten
Schneiden gewinnt im Zuge der Miniaturisierung kann Verschleißkurven, etwa gemäß Bild 4-45a),
von Bauteilen immer größer werdende Bedeutung. entnommen werden.
Praktisch kommen die Fertigungsverfahren Drehen,
Fräsen, Bohren – vereinzelt auch Sägen und Hobeln Aus den Verschleißkurven lassen sich für das ge-
– zum Einsatz. wählte Standkriterium, z. B. eine zulässige Ver-
schleißmarkenbreite VBzul = 0,1 mm, die den ver-
Alle Werkstückstoffe, wie z. B. Keramik, Silicium, schiedenen Schnittgeschwindigkeiten zuzuordnen-
Hartmetall, Stahl, Aluminium, Messing, Kupfer und den Standzeiten T ermitteln. Mit diesen Werten kann
Kunststoffe können bearbeitet werden. Vorteile der ein Standzeit-Schnittgeschwindigkeitsdiagramm
Mikrozerspanung z. B. gegenüber der Ätztechno- entsprechend Bild 4-45b) entwickelt werden. Der
logie ergeben sich durch die flexible Formgebung Zusammenhang zwischen Standzeit T und Schnitt-
und die hohen Bearbeitungsgeschwindigkeiten. Das geschwindigkeit vc folgt meist angenähert einer Ex-
gilt insbesondere bei geringen Stückzahlen. ponentialfunktion und wurde von Taylor in Form
der Gleichung
Fräs- und Bohrverfahren bieten die Möglichkeit mi- -
1

kromechanische Strukturen von 10 bis 1000 Pm vc T k


= cT [4-22]
Größe herzustellen. Die Zeitspanungsvolumina von beschrieben.
Mikrozerspanungsprozessen liegen um ein Vielfa-
ches höher als die Abtragraten von Ätzprozessen. Die graphische Darstellung der Standzeit in Abhän-
Die Integration verschiedener spanender Fertigungs- gigkeit von der Schnittgeschwindigkeit im doppelt-
verfahren auf einer Maschine ermöglicht es auch, logarithmischen Maßstab entsprechend der Bezie-
komplexere Bauteile in einer Aufspannung zu fer- hung
tigen. In Verbindung mit anderen trennenden Ferti-
log T = k log vc = k log cT [4-23]
gungsverfahren wie z. B. die Laser- oder Erodierbe-
arbeitung sind beliebige geometrische Strukturen führt zu der Standzeitgeraden (Taylor-Gerade), wie
herstellbar. Bild 4-45c) zeigt. Hierin sind die Konstanten k und
cT nicht von der Schnittgeschwindigkeit, sondern
Die kleinsten Werkzeugabmessungen für Bohr- und nur von der Schneidstoff-Werkstückstoff-Paarung
Fräswerkzeuge liegen im Bereich von 1/100 mm abhängig. Die Stoffkonstante k gibt die Steigung
und erfordern hochgenaue Spindelsysteme mit Dreh- der Standzeitgeraden an, während die Stoffkonstante
zahlen bis zu 100 000 U/min. Als Schneidstoff für cT die Schnittgeschwindigkeit für die theoretische
metallische Werkstoffe wird Hartmetall angewen- Standzeit T = 1 min bestimmt.
det. Zunehmend finden Werkzeuge mit PVD-Hart-
stoffschichten oder CVD-Diamantschichten Anwen- Eine andere gebräuchliche Form der Standzeitglei-
dung, aber auch monokristalline Diamantwerkzeuge. chung ist
T = cv vck . [4-24]
Typische Werkzeuge und Beispiele für Bearbeitungs-
aufgaben zeigt Bild 4-44. Hierin ist die Stoffkonstante cv als Standzeit für eine
Schnittgeschwindigkeit vc =1 m/min definiert. Im
4.5.12 Standzeitberechnung und doppelt-logarithmischen System ergibt sich dann
Standzeitoptimierung für die Standzeitgerade die Beziehung
log T = k log vc + log cv . [4-25]
Die Standzeit eines Werkzeugs wird durch ein vor-
zugebendes Standzeitkriterium in Form einer maxi- Die Stoffkonstanten cv und cT stehen gemäß
mal zulässigen Verschleißgröße begrenzt. Für die
1
Beurteilung des Verschleißverhaltens einer Schneid- cv = [4-26]
stoff-Werkstückstoff-Paarung ist die Abhängigkeit cTk
der gewählten Verschleißgrößen von der Schnittzeit in Zusammenhang. Die Taylor-Gerade liefert wegen
von Interesse. Nach Taylor übt die Schnittgeschwin- des gekrümmten Verlaufs der Standzeitkurve nur in
4.5 Grundlagen zum Spanen 285

einem verhältnismäßig engen Gültigkeitsbereich ei- zeitgleichung die nach Witthoff geltenden jeweili-
ne hinreichende Übereinstimmung zwischen dem gen Optimalfunktionen für die Standzeit ableiten.
tatsächlichen Verlauf der Standzeitkurve und dem
näherungsweisen Ansatz nach Gl. (4-22). Bild 4-46 zeigt Fertigungskosten und Anteile der
werkzeug- und maschinengebundenen Fertigungsein-
Aus dem Schrifttum sind weitere Standzeitgleichun- zelkosten abhängig von der Schnittgeschwindigkeit.
gen bekannt: Man hat versucht, weitere Einfluss- Mit zunehmender Schnittgeschwindigkeit steigen die
größen auf den Verschleißvorgang zu berücksich- werkzeuggebundenen Kosten Kw wegen des Absin-
tigen und damit eine bessere Annäherung an den kens der Standzeit T progressiv an, während sich die
tatsächlichen Standzeitkurvenverlauf zu erreichen. maschinengebundenen Kosten KML (multipliziert mit
Der Vorteil der Taylor-Gleichung ist zweifellos dar- der Fertigungszeit te) bei erhöhter Ausbringung de-
in begründet, dass eine rechnerisch einfach zu hand- gressiv vermindern. Durch Summieren beider Kosten-
habende Verschleißgleichung vorliegt, bei der der anteile erhält man eine sog. Becherkurve. Sie zeigt,
Aufwand zur Ermittlung der Kenngrößen für be- dass die Fertigungskosten KF für die kostenoptimale
stimmte Schneidstoff-Werkstückstoff-Kombinatio- Schnittgeschwindigkeit vcok ein Minimum ergeben.
nen vergleichsweise gering ist.
Für die Fertigungskosten je Werkstück gilt unter
Die Optimierungsstrategie in der Fertigung orien- Vernachlässigung von Rüst- und Nebenzeitanteilen
tiert sich in der Regel an folgenden Zielsetzungen: t
K F = K ML ◊ t h + h ◊ ( K ML ◊ t W + K WT) [4-27]
– Minimieren der Fertigungskosten (kostenopti- T
male Fertigung) und mit
– Minimieren der Fertigungszeit (zeitoptimale KML Maschinen- und Lohnkostensatz,
Fertigung). KWT Werkzeugkosten je Standzeit,
T Standzeit,
Unter Zuhilfenahme der Taylor-Gleichung lassen tW Werkzeugwechselzeit,
sich aus der Fertigungskosten- und der Fertigungs- th Hauptzeit.

Mikrofräswerkzeuge Mikrobohrwerkzeuge

2-Schneiden-Mikrofräser 1-Schneiden-Mikrofräser Wendelbohrer Meißelbohrer

Ø 50 μm ca. Ø 25 μm Ø 40 μm ca. Ø 10 μm

Prozeß: Mikrofräsen Prozeß: Mikrobohren


50 μm a e = 0,1 mm ap = 0,1 mm 20 μm n = 20.000 1/min
v ft = 10 mm/min vc = 2,0 m/s v = 0,1 m/s
vc = 1 mm/min
457-72-00

KSS: Wasser tf = 0,1 mm


Werkzeug: Werkzeug:
Vollhartmetall-Fräser mit zwei Schneiden Hartmetallbohrer d = 0,1 mm
d = 1 mm
Werkstoff:
©

Werkstoff: Aluminium monokristallines Silizium {100}

Bild 4-44
Werkzeuge und Beispiele für Bearbeitungsaufgaben bei der Mikrozerspanung (nach Hlavac).
286 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

0,3 200
vc3 = 300 m/min
min
mm
Verschleißmarkenbreite VB

150

Standzeit T
vc2 = 200 m/min
0,2

T1
vc1 = 100 m/min 100

VBzul = 0,1 mm
0,1
VBzul = 0,1 mm 50 T2
T3
T3 T2 T1
0 vc1 vc2 vc3
0 50 100 150 min 200 0 100 200 300 m/min 400
Schnittzeit tc Schnittgeschwindigkeit vc
a) b)

300
Taylor gerade Taylor gleichung:
200
Standzeitkurve - 1
min vc × T k
= cT
Standzeit T (log. Skale)

T1 a
100 k = tan a = - tan a’ = - a1
2
cT = Konstante
(Schnittgeschwindigkeit
50 a
a1

T2 für Standzeit T = 1 min)


a’

30 T3
20
a2
10

Gültigkeitsbereich
vc min vc1 vc2 vc3 vc max
cT
1
10 50 100 200 300 500 1000 m/min
Schnittgeschwindigkeit vc (log. Skale)
c)

Bild 4-45
Ermittlung der Standzeit in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit:
a) Verschleißkurven
b) Standzeit-Schnittgeschwindigkeit-Diagramm
c) Standzeitkurve im doppelt-logarithmischen Maßstab

Die Hauptzeit für das Fertigungsverfahren Drehen f Vorschub,


errechnet sich beispielsweise nach der Gleichung vc Schnittgeschwindigkeit.
dw π lf
th = . [4-28] Durch Einsetzen der Taylor-Gleichung [4-22] und
f vc Gl. [4-28] in die Kostengleichung ergibt sich durch
Hierin ist: Differentiation die kostenoptimale Standzeit zu
dw Werkstückdurchmesser
lf Vorschubweg (Weg, den der betrachtete Schnei- Ê K ˆ
denpunkt im Werkstück in Vorschubrichtung Tok = - (k + 1) Á t w + WT ˜ . [4-29]
spanend zurücklegt), Ë K ML ¯
4.5 Grundlagen zum Spanen 287

te

Fertigungskosten KF
Fertigungskosten KF

Fertigungszeit te
KF

KW
KML × te KF

KML × te KW

vcok Tot Tok


Schnittgeschwindigkeit vc Standzeit T
Bild 4-46 Bild 4-47
Fertigungskosten je Werkstück in Abhängigkeit von der Schnitt- Fertigungszeit und Fertigungskosten je Werkstück in Abhän-
geschwindigkeit (VDI 3321, Bl. 1). gigkeit von der Standzeit (VDI 3321, Bl. 1).

Analog erhält man durch Differentiation der Ferti- te (Abschn. 4.4.5) verschiedene Ansätze, um diese
gungszeitgleichung die zeitoptimale Standzeit zu ermitteln oder vorherzusagen. Im Wesentlichen
wird die Größe der Schnittkraft von folgenden Ein-
Tot = - (k + 1) ◊ t w . [4-30]
flussgrößen bestimmt:
Die Gleichungen zur Standzeitberechnung gelten – Werkstückstoff,
jeweils nur für ein Werkzeug. Schneiden mehrere – Vorschub bzw. Spanungsdicke,
Werkzeuge gleichzeitig, nacheinander oder überla- – Schnitttiefe bzw. Spanungsbreite,
gern sie sich in ihrem Eingriff, so müssen die Glei- – Spanungsverhältnis ap /f,
chungen entsprechend erweitert werden. Bei der An- – Spanwinkel,
wendung der Standzeitgleichungen ist es wichtig, – Einstellwinkel,
den Gültigkeitsbereich der Taylor-Geraden (vc min, – Schnittgeschwindigkeit,
vc max) zu kennen. Es besteht sonst die Gefahr, unrea- – Schneidstoff,
listische Optimalwerte Tok bzw. Tot zu ermitteln. – Kühlung und Schmierung sowie
– Werkzeugverschleiß.
Bild 4-47 zeigt, wie die Fertigungskosten und die
Fertigungszeit je Werkstück durch den Standzeit- Haupteinflussgrößen sind der Werkstückstoff und
vorgabewert beeinflusst werden können. Es wird die Eingriffsgrößen Schnitttiefe ap und Vorschub f
deutlich, dass das Erreichen eines Fertigungszeitmi- bzw. die Spanungsgrößen Spanungsbreite b und Spa-
nimums mit einer Erhöhung der Fertigungskosten nungsdicke h, die über den Einstellwinkel k mit-
verbunden ist. Beide Optimierungsziele sind gegen- einander verknüpft sind.
sätzlich und lassen sich nicht gleichzeitig verwirk-
lichen. Als Berechnungsverfahren für die leistungsführende
Schnittkraft Fc hat sich das Schnittkraftgesetz von
Die beschriebenen Zusammenhänge bestimmen je- Kienzle weitgehend durchgesetzt. Untersuchungen
doch nicht allein die anzuwendenden Zerspanwer- zeigten, dass dieses Berechnungsverfahren außer
te. Vielmehr müssen zur Optimierung des Spanens für den Modellfall Drehen ebenso für alle anderen
weitere werkstück-, werkzeug- und maschinenseiti- spanenden Fertigungsverfahren mit geometrisch be-
ge Randbedingungen berücksichtigt werden. stimmten Schneiden Gültigkeit hat.

Man erhält die Schnittkraft Fc, indem man den Spa-


4.5.13 Schnittkraftberechnung nungsquerschnitt A mit der spezifischen Schnittkraft
kc multipliziert. Die spezifische Schnittkraft ist das
Wie bei den Standzeitgleichungen gibt es auch zur Verhältnis der Schnittkraft F zum Spanungsquer-
Berechnung der beim Spanen auftretenden Kräf- schnitt A (bei vereinfachter Betrachtung):
288 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)
Fc
kc = in N/mm 2 , [4-31] Diese Abhängigkeit wird im Allgemeinen im dop-
A peltlogarithmischen Maßstab als Gerade gemäß Bild
Fc = ap f kc = b h kc in N. [4-32] 4-48b) dargestellt. Der Exponent m = tan a bezeich-
net in diesem Koordinatensystem die Steigung der
Wegen der Abhängigkeit der Form des Spanungs- Geraden kc = f (h).
querschnittes A vom Einstellwinkel k ist es zweck-
mäßig, mit den aus den Eingriffsgrößen ap und f Setzt man Gl. [4-33] in Gl. [4-32] ein, erhält man
abgeleiteten Spanungsgrößen b und h zu rechnen. die zuerst von Kienzle angegebene Schnittkraftfor-
mel zum Ermitteln von Fc
Die spezifische Schnittkraft ist ein werkstoffab-
Fc = b h1 − m kc 1.1 in N. [4-34]
hän-giger Zerspanungswert, der kaum von der Spa-
nungsbreite b, sondern ausschließlich von der Spa- In Gl. [4-34] bezeichnet der Exponent (1 − m) den
nungsdicke h bzw. dem Vorschub f abhängt, wie Anstiegswert der spezifischen Schnittkraft.
Bild 4-48a) zeigt.

Kienzle drückte diesen Zusammenhang durch ein


Potenzgesetz aus: 4.6 Spanen mit geometrisch
kc = kc 1.1 h − m in N/mm2. [4-33]
bestimmten Schneiden
Die spezifische Schnittkraft kc 1.1 gibt die auf eine Höhere Schnittgeschwindigkeiten und neue Schneid-
Spanungsbreite b = 1 mm und eine Spanungsdicke stoffe beim Spanen mit geometrisch bestimmten
h = 1 mm bezogene Schnittkraft an. Schneiden ermöglichen heute eine Werkstückge-
nauigkeit, die die Anwendung von Fertigungsver-
5000
fahren mit geometrisch unbestimmten Schneiden
für die Endbearbeitung in vielen Fällen entbehrlich
spezifische Schnittkraft kC

N
mm2 machen könnte.
3000
Umgekehrt ist es durch die Fortschritte auf dem Ge-
biet der Schleiftechnologie gelungen, die Zeit-
2000
spanungsvolumina in erheblichem Maße zu steigern,
so dass Schleifverfahren in bestimmten Anwen-
1000 dungsfällen eine wirtschaftliche Alternative zu spa-
nenden Fertigungsverfahren mit geometrisch be-
0
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 mm 1,2
stimmten Schneiden bieten.
Spanungsdicke h
a)
Bild 4-49 zeigt die heute unter Großserienbedin-
6000 gungen erreichbaren Werkstückqualitäten und Ten-
5000 denzen in Abhängigkeit vom Zeitspanungsvolumen
kC = kC1.1 × h - m
spezifische Schnittkraft kC

4000 für die Fertigungsverfahren Drehen und Schleifen.


3000 Die genannten Tendenzen können Ursache von Ver-
fahrenssubstitutionen sein, wobei sich entschei-
a

2000 dende Produktionsvorteile dann ergeben, wenn die


N
jeweiligen werkstückbezogenen Fertigungsanfor-
kC1.1 = 1740 N/mm2
mm2 derungen möglichst mit einem Fertigungsverfah-
1000 ren für die Vor- und Fertigbearbeitung erfüllt wer-
0,1 0,25 0,5 1,0 mm 2,0 den können.
Spanungsdicke h
b)
Mit den Fortschritten hinsichtlich Produktivität, Fle-
Bild 4-48
xibilität, Qualität und Umweltverträglichkeit beim
Spezifische Schnittkraft in Abhängigkeit von der Spanungs-
dicke (Spanungsbreite b = 1 mm = konst.). Drehen und Schleifen wird immer wieder die Fra-
a) in arithmetischer Darstellung ge diskutiert, welche dieser Fertigungstechnologi-
b) in doppeltlogarithmischer Darstellung en insgesamt gesehen leistungsfähiger sei. Hierauf
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 289

Zeitspanungsvolumen Qw = Vw /tc

Steigerung der Drehen


Arbeitsgenauigkeit
vfr

vfa

Steigerung des
Zeitspanvolumens Schleifen
Qw mittleres Zeitspanungsvolumen
Vw Spanungsvolumen
tc Schnittzeit
01 2 4 6 8 10 12 14
Werkstückqualität IT

Drehen

Schleifen

Bild 4-49
Anwendungsbereiche und Tendenzen beim Drehen und Schleifen.

kann es jedoch keine allgemeingültige Antwort ge- Schnittbewegung ist werkstückgebunden, d. h., sie
ben, da die werkstückseitigen Merkmale und Bear- behält ihre Lage zum Werkstück unabhängig von
beitungsanforderungen zu komplex und unübersicht- der Vorschubbewegung bei.
lich geworden sind. Um die ökonomischen und öko-
logischen Fertigungsbedingungen miteinander in Beim Drehen führt in der Regel das Werkstück die
Einklang zu bringen, wird die Hartbearbeitung zu- umlaufende Schnittbewegung aus und das Werkzeug
nehmend mit definierter Schneide praktiziert. Da- die erforderlichen Vorschub- und Zustellbewegun-
bei ergeben sich Vorteile hinsichtlich der Kosten gen. Die Werkstücke sind Rotationskörper.
und der Verfahrensflexibilität. Außerdem kann in
vielen Fällen auf Kühlschmierstoffe verzichtet wer- 4.6.1.1 Drehverfahren
den. Inzwischen wurden auch Werkzeugmaschinen Drehverfahren zählen zu den am häufigsten ange-
für das kombinierte Drehen und Schleifen in einer wendeten spanenden Fertigungsverfahren. Ausge-
Aufspannung entwickelt. Sie ermöglichen es für die hend von DIN 8589-1, werden die Drehverfahren
jeweiligen Formelemente, die optimale Technolo- in der vierten Stelle der Ordnungsnummer nach
gie anzuwenden. Merkmalen der zu erzeugenden Flächengestalt ent-
sprechend Bild 4-50 unterteilt. In der fünften Stelle
Verfahrensmerkmale und Berechnungsgrundlagen der Ordnungsnummer wird Drehen nach den Ord-
der wichtigsten Fertigungsverfahren seien im Fol- nungsgesichtspunkten
genden beschrieben. – Richtung der Vorschubbewegung und
– Werkzeugmerkmale
und beim Formdrehen nach der Art der Steuerung
4.6.1 Drehen unterteilt.

Das Drehen ist ein spanendes Fertigungsverfahren Mit Plandrehen bezeichnet man Drehverfahren zur
mit geschlossener, meist kreisförmiger Schnittbewe- Erzeugung einer senkrecht zur Drehachse liegen-
gung und beliebiger, quer zur Schnittrichtung lie- den ebenen Fläche. Bild 4-51 verdeutlicht die drei
gender Vorschubbewegung. Die Drehachse der Verfahrensvarianten: Quer-Plandrehen, Längs-
290 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 1

Drehen

DIN 8589 - 1

3 2 1 1 3 2 1 2 3 2 1 3 3 2 1 4 3 2 1 5 3 2 1 6
Plandrehen Runddrehen Schraubdrehen Wälzdrehen Profildrehen Formdrehen

Bild 4-50.
Einteilung der Drehverfahren nach DIN 8589, Teil 1.

3 2 1 1 Plandrehen

vfr vfr
vfa

vc vc vc
Bild 4-51.
3.2.1.1.1 Quer- 3.2.1.1.2 Quer-Abstich- 3.2.1.1.3 Längs-
Plandrehverfahren.

3 2 1 2 Runddrehen

vfa vfr
vfr
vfr vc
vfa
vfa vc

vc

3.2.1.2.1 Längs- 3.2.1.2.2 Breitschlicht- 3.2.1.2.3 Schäl-

vfa

vfr

vc vc
Bild 4-52.
3.2.1.2.4 Längs-Abstech- 3.2.1.2.5 Quer-
Runddrehverfahren.

Plandrehen und Quer-Abstech-Plandrehen. Beim verfahren mit senkrecht zur Drehachse des Werk-
Quer-Plandrehen erfolgt der Vorschub senkrecht zur stücks gerichteter Vorschubbewegung ist zu beach-
Drehachse des Werkstücks, während beim Längs- ten, dass sich die Schnittgeschwindigkeit mit zuneh-
Plandrehen der Vorschub parallel zur Drehachse mendem Vorschubweg (abnehmendem Drehdurch-
des Werkstücks gerichtet ist. Das Quer-Abstechdre- messer) ändert, wenn nicht ein Anpassen der Werk-
hen wird zum Abtrennen eines Werkstücks oder von stückdrehzahl an den jeweiligen Drehdurchmesser
Werkstückteilen angewendet. Bei allen Plandreh- erfolgt.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 291

Runddrehen ist Drehen zum Erzeugen von zur schubgeschwindigkeit und damit auch eine erhöhte
Drehachse des Werkstücks koaxial liegenden kreis- Flächenleistung PA. Diese ist definiert als die auf
zylindrischen Flächen. Einige wichtige Runddreh- die Schnittzeit bezogene gefertigte Werkstückober-
verfahren zeigt Bild 4-52. fläche. Für das Längs-Runddrehen gilt
PA = f vc. [4-35]
Gegenüber dem herkömmlichen Längs-Runddrehen
mit parallel zur Drehachse gerichteter (axialer) Vor- Durch Erhöhen des Vorschubs nimmt beim Längs-
schubbewegung haben besonders die Runddrehver- Runddrehen die theoretische Rautiefe Rt.th der ge-
fahren Breitschlichtdrehen und Schäldrehen in be- fertigten Werkstückoberfläche mit dem Quadrat des
stimmten Anwendungsfällen zu wichtigen Verfah- Vorschubs zu. In Abhängigkeit vom Vorschub f und
rensalternativen geführt. der Eckenrundung r errechnet sich die theoretische
Rautiefe in erster Näherung nach
Breitschlichtdrehen ist ein Längs-Runddrehen mit
f2
großem Vorschub unter Verwendung eines Werk- Rt.th O . [4-36]
zeugs mit sehr großem Eckenradius und sehr klei- 8r
nem Einstellwinkel der Nebenschneide. Die mit größerem Vorschub zu erwartende erhöh-
te Werkstückrautiefe kann beim Breitschlichtdre-
Der Betrag des Vorschubs ist bei diesem Verfahren stets hen durch die Verwendung eines Werkzeugs mit
kleiner als die Länge der Nebenschneide zu wählen. verhältnismäßig großer Nebenschneide und einem
Einstellwinkel kn im Bereich von 0 ° bis l ° umgan-
Beim Schäldrehen verwendet man meist umlau- gen werden. Bild 4-53 zeigt einen Vergleich der
fende Werkzeuge mit mehreren im Eingriff befind- Eingriffsverhältnisse beim Längs-Runddrehen und
lichen Schneiden bei kleinem Einstellwinkel der Breitschlichtdrehen.
Hauptschneide und großem Vorschub.
Das Längs-Abstechdrehen dient zum Abstechen run-
Beide Verfahren ermöglichen im Vergleich zum der Scheiben aus plattenförmigen Rohteilen.
Längs-Runddrehen jeweils eine erhöhte axiale Vor-
Quer-Runddrehen erfolgt mit senkrecht zur Dreh-
achse gerichteter Vorschubbewegung; hierbei muss
Rt.th

f f
die Werkzeugschneide mindestens so breit wie die
r

zu fertigende Kreiszylinderfläche sein.


kn
n
k

Beim Schraubdrehen gemäß Bild 4-54 werden schrau-


vf vf
benförmige Flächen mittels Profilwerkzeugen gefer-
a) b)
tigt. Die Steigung der Schraube entspricht dabei dem
Bild 4-53 Vorschub je Umdrehung.
Eingriffsverhältnisse beim
a) Längs-Runddrehen und b) Breitschlichtdrehen. Man unterscheidet nach der Art des verwendeten
Rt.th theoretische Rautiefe
Werkzeugs das
r Eckenrundung
f Vorschub – Gewindedrehen,
vf Vorschubgeschwindigkeit – Gewindestrehlen und
kn Einstellwinkel der Nebenschneide – Gewindeschneiden.

3 2 1 3 Schraubdrehen
vc
vfr vfr
vfa vfa
vfa

vc vc
Bild 4-54.
3.2.1.3.1 Gewindedrehen 3.2.1.3.2 Gewindestrehlen 3.2.1.3.3 Gewindeschneiden
Schraubdrehverfahren.
292 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 1 5 Profildrehen
bw

vfr

vfa vc vfa vc vc

3.2.1.5.1 Längs- 3.2.1.5.2 Längs-Einstech- 3.2.1.5.4 Quer-

vfr
vfr
vc
vc

3.2.1.5.5 Quer-Einstech- 3.2.1.5.6 Quer-Abstech- Bild 4-55


Profildrehverfahren.

Das Gewindedrehen ist ein Schraubdrehen mit einem Beim Quer-Profileinstechdrehen wird mit einem
einprofiligen Gewinde-Drehmeißel, während beim Profildrehmeißel ein ringförmiger Einstich an der
Gewindestrehlen das Gewinde mit einem Werkzeug Umfangsfläche des Werkstücks erzeugt. Als Quer-
erzeugt wird, das in Vorschubrichtung mehrere mit Profilabstechdrehen bezeichnet man einen Dreh-
zunehmender Schnitttiefe gestaffelte Schneidenpro- vorgang, bei dem ein Profildrehmeißel gleichzei-
file aufweist (Gewindestrehler) und das Gewinde in tig das Werkstück oder Teile des Werkstücks ab-
einem Überlauf zu erzeugen vermag. sticht.

Das Gewindeschneiden ist dagegen ein Schraub- Formdrehen ist Drehen, bei dem durch die Steu-
drehen zum Erzeugen eines Gewindes mit einem erung der Vorschub- bzw. Schnittbewegung (z. B.
mehrschneidigen Gewindeschneideisen oder Ge- Unrunddrehen) die Form des Werkstücks erzeugt
windeschneidkopf. wird. Nach der Art der Steuerung von Bewegun-
gen kann zwischen
Unter Profildrehen versteht man das Drehen mit ei- – Freiformdrehen,
nem werkstückgebundenen Werkzeug (Profilwerk- – Nachformdrehen,
zeug) zum Erzeugen rotationssymmetrischer Flä- – Kinematisch-Formdrehen und
chen. Bild 4-55 vermittelt eine Übersicht. – NC-Formdrehen

Längs-Profildrehen ist Profildrehen mit Vorschub unterschieden werden, wie aus Bild 4-56 hervor-
parallel zur Drehachse des Werkstücks; hierbei ist geht. Beim Freiformdrehen wird die Vorschubbewe-
die Schneide des Profildrehmeißels mindestens so gung von Hand gesteuert (z. B. beim Drechseln).
breit wie das zu erzeugende Profil. Beim Längs- Nachformdrehen (Kopierdrehen) ist Formdrehen,
Profileinstechdrehen wird mit einem Profildrehmei- bei dem die Vorschubbewegung über ein zweidi-
ßel ein ringförmiges Profil (Einstich), z. B. eine Nut, mensionales Bezugsformstück gesteuert wird. Beim
an der Stirnfläche eines Werkstückes eingestochen. Kinematisch-Formdrehen erfolgt die Steuerung der
Mit Hilfe des Quer-Profildrehens mit Vorschub Vorschubbewegung kinematisch mit Hilfe eines
senk recht zur Drehachse des Werkstücks können mechanischen Getriebes.
rotationssymmetrische Profile auf der ganzen Brei-
te erzeugt werden. Um jedoch bei Quer-Profildreh- Eine weitere Alternative ist das NC-Formdrehen,
operationen ein Rattern aufgrund von Instabilitäten bei dem die Werkstückform durch Steuerung der
der Werkzeugeinspannung zu vermeiden, sind Pro- Vorschubbewegung mittels eingegebener Daten
file auf eine Breite von bw = 15 mm (in Sonderfällen und Verwenden einer nummerischen Steuerung er-
bis zu 30 mm) zu begrenzen. zeugt wird.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 293

3 2 1 6 Formdrehen

Z
vc

X vf
vfZ v fX

3.2.1.6.1 Frei- 3.2.1.6.2 Nach- 3.2.1.6.3 Kinematisch- 3.2.1.6.4 NC-

Bild 4-56
Formdrehverfahren.

4.6.1.2 Drehwerkzeuge Bedeutung eingebüßt. Lediglich für Bearbeitungs-


Die Form und die Abmessungen der Werkzeuge aufgaben, die eine besondere Schneidstoff-Zähig-
zum Drehen sind abhängig von der Bearbeitungs- keit erfordern, sowie bei Profilwerkzeugen (bessere
aufgabe. Moderne Werkzeuge für die spanende Be- Schleifbarkeit) werden Schneiden aus Schnellarbeits-
arbeitung mit definierten Schneiden sind aus ver- stahl noch bevorzugt.
schiedenen Komponenten aufgebaut. Allgemein
kann man zwischen Werkzeugformen für verschiedene Bearbeitungsauf-
– Schneidensystem, gaben beim Drehen mit aufgelöteten Schneidplat-
– Befestigungs- bzw. Klemmsystem und ten aus Hartmetall zeigt Bild 4-57. Bei der Schneiden-
– Werkzeuggrundkörpersystem befestigung durch Löten besteht die Gefahr von
Rissbildungen, besonders durch unterschiedliche Wär-
unterscheiden. Der Hauptvorteil einer Aufteilung meausdehnungskoeffizienten von Schneidplatte und
in mehrere Teilsysteme besteht dabei in einer ver- Werkzeuggrundkörper sowie infolge unsachgemä-
besserten Anpassung des Werkzeugsystems an die ßen Nachschleifens.
jeweilige Bearbeitungsaufgabe.
Mechanische Befestigungs- bzw. Klemmsysteme
Der Schnellarbeitsstahl hat als Schneidstoff beim vermeiden diese Nachteile und gestatten durch das
Drehen in der Serienfertigung gegenüber Hartme- Verwenden genormter Wendeschneidplatten nach
tall und keramischen Schneidstoffen zunehmend an DIN ISO 1832 einen schnelleren Schneidenwechsel
unter Wegfall der Kosten für Nachschleifarbeiten.

Bild 4-58 zeigt einige Beispiele für gebräuchliche Be-


festigungs- bzw. Klemmsysteme. Konstruktionsprin-
DIN 4973 DIN 4974
zipien sind
a) Befestigung mittels Klemmfinger,
b) Befestigung mit Klemmfinger über verstellbar
angebrachte Spanformplatten,
c) Befestigung mit Klemmpratze mit mechanisch
DIN 4971 DIN 4972 DIN 4975 DIN 4976 DIN 4977 DIN 4978 DIN 4980 DIN 4981 betätigter, über Exzenter stufenlos verstellbarer
Bild 4-57 Spanformstufe,
Werkzeugformen beim Drehen für verschiedene Bearbeitungs- d) Befestigung mittels eines über eine Spannschrau-
aufgaben. be betätigten Winkelhebels,
294 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

e) Schraubenbefestigung ohne Spanformstufe,


f) Schraubenbefestigung mit Spanformstufe.

Befestigungs- und Klemmsysteme lassen sich unter-


scheiden in solche für Wendeschneidplatten ohne
(Bild 4-58a), b) und c)) und mit Befestigungsloch,
Bild 4-58d), e) und f). a) b)

Weiterhin können Positiv- oder Negativplatten ein-


gesetzt werden. Positivplatten besitzen einen Keil-
winkel < 90 ° und ermöglichen in Klemmsystemen
positive Spanwinkel in Bild 4-58a), b) und c), wäh-
rend Negativplatten einen Keilwinkel von 90 ° auf-
weisen und negative Spanwinkel in Bild 4-58d) erge-
ben. Die Anzahl der verwendbaren Schneiden ist c) d)
bei Negativplatten doppelt so groß wie bei Positiv-
platten gleicher Grundform.

4.6.1.3 Zeitberechnung
Ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Aus-
wahl von spanenden Fertigungsverfahren ist das e) f)
Zeitspanungsvolumen Qw. Es berechnet sich aus
dem Spanungsvolumen Vw und der Schnittzeit tc Bild 4-58
(Abschn. 4.4.3): Klemmsysteme für Wendeschneidplatten (nach Krupp-Widia):
a) mit Klemmfinger
Vw mm 3
Qw = in . [4-37] b) mit Klemmfinger und Spanformplatte
tc s c) mit Klemmpratze und über Exzenter verstellbarer Span-
formstufe
Die Schnittzeit tc ist der wesentliche Anteil an der d) mit Winkelhebel
Hauptnutzungszeit th. Nach Verband für Arbeitsstu- e) mit Schraubenbefestigung ohne Spanformstufe
dien – REFA e.V. – ist die Hauptnutzungszeit de- f) mit Schraubenbefestigung und Spanformstufe
finiert als die Zeit, in der das Werkzeug am Werk-
stück die beabsichtigte Änderung der Werkstück- und die Zeitspanungsvolumina sind für das Längs-
form und (oder) Werkstückoberfläche vollzieht, al- Runddrehen in Bild 4-59 angegeben.
so seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt
wird. Es gilt Zur Berechnung der Schnittzeit beim Quer-Plan-
th = tc + ta + tü. [4-38] drehen muss zwischen dem Drehen mit konstan-
ter Drehzahl und konstanter Schnittgeschwindig-
Die Schnittzeit tc ist der Quotient aus dem Vorschub- keit unterschieden werden. Die Beziehungen sind
weg lf und der Vorschubgeschwindigkeit vf. Für die in Bild 4-60 wiedergegeben.
Vorschubgeschwindigkeit vf = konst. gilt
l
tc = f in s. [4-39] 4.6.2 Bohren, Senken, Reiben
vf
Zusätzlich zur Werkstücklänge lw ist gegebenenfalls Bohren ist Spanen mit kreisförmiger Schnittbewe-
der Anschnittweg laκ in Abhängigkeit vom Einstell- gung, bei dem die Drehachse des Werkzeugs und
winkel k zu berücksichtigen. die Achse der zu erzeugenden Innenfläche identisch
sind und die Vorschubbewegung im Vergleich zum
Zur Berechnung der Hauptnutzungszeit sind außer Innendrehen nur in Richtung dieser Drehachse ver-
der Schnittzeit auch die Anlaufzeit ta und die Über- laufen darf.
laufzeit tü zu berücksichtigen.
Senken ist Bohren zum Erzeugen von senkrecht
Die Berechnungsgleichungen für die Schnittzeiten zur Drehachse liegenden Planflächen oder symme-
vfr
vfa
vfr Längs-Runddrehen 3.2.1.2.1 Quer-Plandrehen 3.2.1.1.1

vc vc

lf
lw ap = Z

dw
Dw
nc
dwi

dwa
k nc
lak

z = ap
lf

vfr

k
lak

vf

Symbol Bezeichnung Formeln Symbol Bezeichnung Formeln


Dw Werkstückdurchmesser ap dwa Werkstückaußendurchmesser nc = konst.
lak = tan k
vor dem Drehen dwi Werkstückinnendurchmesser
vc = f (dw)
dw Werkstück-(Dreh)-Durchmesser z z Bearbeitungszugabe
Werkstücklänge i= a
lw p ap Schnitttiefe ap 1
wa - dwi
z Bearbeitungszugabe f Vorschub tc = (d +
vc = dw × p × nc 2 tan k f × nc
ap Schnitttiefe lf Vorschubweg
f Vorschub vfa = f × nc vc = konst.
lak Anschnittweg
lf Vorschubweg lf vc Schnittgeschwindigkeit vfr = nc(r) × f
tc = ×i
lak Anschnittweg f × nc vfr Vorschubgeschwindigkeit (radial)
vc Schnittgeschwindigkeit tc Schnittzeit p (d 2 - dwi2 )
Q = ap × f × vc tc =
Vorschubgeschwindigkeit (axial) 4 × f × vc wa
vfa nc Drehzahl
tc Schnittzeit k Einstellwinkel
i Anzahl der Schnitte
nc Drehzahl
k Einstellwinkel
Q Zeitspanungsvolumen
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden

Bild 4-59. Bild 4-60.


295

Zeitberechnung beim Längs-Runddrehen. Zeitberechnung beim Quer-Plandrehen.


296 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 2 3 2 2 2 Rundbohren
Bohren nc nc
Senken
Reiben
DIN 8589 - 2
vfa
vfa

3 2 2 1 3 2 2 2 3 2 2 3 3 2 2 5 3 2 2 6
Plan- Rund- Schraub- Profil- Form- 3.2.2.2.1.1 Bohren ins Volle 3.2.2.2.2.1 Kernbohren
senken bohren bohren bohren bohren nc nc

vfa
Bild 4-61
vfa
Einteilung der Bohrverfahren (nach DIN 8589-2).

trisch zur Drehachse liegenden Kegelflächen bei


meist gleichzeitigem Erzeugen von zylindrischen
Innenflächen. 3.2.2.2.3.1 Aufbohren 3.2.2.2.4.1 Reiben

Bild 4-63
Reiben ist ein Aufbohren zwecks Erhöhung der Rundbohrverfahren.
Oberflächengüte bei geringen Spanungsdicken.
Erzeugen einer kreiszylindrischen, koaxial zur Dreh-
4.6.2.1 Bohrverfahren achse der Schnittbewegung gelegenen Innenfläche.
Die Einteilung der Bohrverfahren nach DIN 8589, In der fünften Stelle der nach DIN festgelegten Ord-
Teil 2, zeigt Bild 4-61. Unter Plansenken versteht nungsnummer werden Rund-Bohrverfahren nach
man Senken zur Erzeugung von senkrecht zur Dreh- Merkmalen des Werkzeugeingriffs unterteilt. Man
achse der Schnittbewegung liegenden ebenen Flä- unterscheidet zwischen
chen, wie Bild 4-62 zeigt. Es kann zwischen dem – Bohren ins Volle,
Planansenken und dem Planeinsenken unterschie- – Kernbohren,
den werden. Durch Planansenken werden am Werk- – Aufbohren und
stück hervorstehende Planflächen gefertigt. Das – Reiben.
Planeinsenken dient zum Erzeugen von im Werk-
stück vertieften Planflächen; hierbei entsteht gleich- Weitere Besonderheiten des Bohrwerkzeugs wer-
zeitig eine kreiszylindrische Innenfläche. den durch die Unterteilung in der sechsten Stelle
der Ordnungsnummer angegeben. Beispiele für das
Beide Verfahrensvarianten können mit Senkwerk- Rundbohren mit symmetrisch angeordneten Haupt-
zeugen mit und ohne Führungszapfen ausgeführt schneiden zeigt Bild 4-63.
werden.
Beim Rundbohren ins Volle wird mit dem Werk-
Rundbohren kennzeichnet einen Bohrvorgang zum zeug ohne Vorbohren in den Werkstückstoff gebohrt.

3 2 2 1 Plansenken
nc nc nc

vfa vfa vfa

Bild 4-62 3.2.2.1.1 Planansenken 3.2.2.1.2 Planeinsenken


Plansenkverfahren.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 297

Kernbohren ist Bohren, bei dem das Bohrwerkzeug 3 2 2 5 Profilbohren


den Werkstückstoff ringförmig zerspant und gleich-
nc
zeitig mit der Bohrung ein kreiszylindrischer Kern
entsteht bzw. übrig bleibt.
vfa nc

Mit Aufbohren bezeichnet man solche Bohrver- vfa


fahren, die zur Vergrößerung einer bereits vorge- Bohrung
fertigten Boh rung (z. B. durch Gießen oder Vor- kegelig

bohren) dienen.
3.2.2.5.1 Profilbohren i. Volle 3.2.2.5.2 Profilaufbohren
Reiben ist als weitere Untergruppe des Rundboh-
nc nc
rens definiert. Beim Rundreiben werden maß- und
formgenaue, kreiszylindrische Innenflächen mit ho- vfa
vfa
her Oberflächengüte durch Aufbohren mit geringer
Spanungsdicke erzielt. Es kann dabei je nach Art
des verwendeten Reibwerkzeugs zwischen mehr-
schneidigem Reiben (Bild 4-63) und einschneidi-
gem Reiben unterschieden werden.
3.2.2.5.3 Profilsenken 3.2.2.5.4 Profilreiben
Einige ausgewählte Profilbohrverfahren sind in Bild
4-64 dargestellt. Profilbohren ins Volle ist Bohren Bild 4-64
in den vollen Werkstückstoff zum Erzeugen von ro- Profilbohrverfahren.
tationssymmetrischen Innenprofilen, die durch das
Hauptschneidenprofil des Bohrwerkzeugs bestimmt von Innenflächen, die von der kreiszylindrischen
sind (z. B. Profilbohren mit Zentrierbohrer). Form abweichen. Bild 4-65 zeigt das Unrundaufboh-
ren eines gegossenen oder vorgebohrten Loches.
Beim Profilaufbohren wird das jeweilige Innenpro-
fil durch Aufbohren hergestellt (z. B. Aufbohren ei- 4.6.2.2 Bohrwerkzeuge
ner kegeligen Innenfläche für Kegelstifte). Weitere Die Bauformen von Bohrwerkzeugen sind äußerst
Profilbohrverfahren sind das Profilsenken und das vielfältig. Trotz der Vielzahl von standardisierten
Profilreiben. Bohrwerkzeugen nimmt der Anteil von an die jewei-
lige Bearbeitungsaufgabe angepassten Sonderwerk-
Schraubbohren ist Bohren mit einem Schraubpro- zeugen ständig zu.
fil-Werkzeug in ein vorhandenes bzw. vorgebohrtes
Loch, hierbei entstehen koaxial zur Schnittbewe- Für die Fertigungsverfahren Bohren lassen sich zeit-
gung liegende Innenschraubflächen, z. B. beim Ge- lich aufeinanderfolgende Fertigungsstufen unter-
windebohren mit einem Gewindebohrer gemäß Bild scheiden. In Bild 4-66 sind den nach DIN 8589-2
4-65. definierten Fertigungsverfahren und den daraus ab-
geleiteten Fertigungsstufen für bestimmte zu erzeu-
Formbohren sind Bohrverfahren mit gesteuerter gende Formelemente typische Bohrwerkzeuge zu-
Schnitt- bzw. Vorschubbewegung zur Erzeugung geordnet.

3 2 2 3 Schraubbohren 3 2 2 6 Formbohren
nc vfa

vfa

nc

3.2.2.3.1 Gewindebohren 3.2.2.6.1 Unrundbohren


Bild 4-65
Schraub- und Formbohren.
298 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Fertigungsstufen Beispielwerkzeuge

3.2.2.2.1

Bohren ins Volle

3.2.2.2.3 3.2.2.5.1 3.2.2.5.3

Aufbohren, Profilsenken,
Profilaufbohren

3.2.2.1.1 3.2.2.1.2 3.2.2.1.1 3.2.2.1.2 3.2.2.1.1 3.2.2.1.2

Planansenken
Planeinsenken

3.2.2.2.4

Reiben

erzeugtes Formelement

Bild 4-66
Werkzeuge für verschiedene Fertigungsstufen beim Bohren (nach Meyer).

Seitenspan- Spitzen-
Wendelbohrertyp Anwendung
winkel .x winkel >

unleg. und legierte Stähle


gx

N 18 bis 30° 118 bis 130° GJL, GJS GJMW, GS


s

Al - Leg. mit > 11 % Si


gx

Mg-Legierungen
H
s

10 bis 15° 118°


austenitische Stähle

Cu
gx

W 35 bis 45° 140° Cu-Legierungen


s

weiche Kunststoffe

Bild 4-67
Wendelbohrertypen nach DIN 1414-1/2 und ihre Anwendung.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 299

3 2 2 2 1 Rundbohren ins Volle

vfa nc vfa nc vfa nc

3.2.2.2.1.4 Bohrkopf nach 3.2.2.2.1.5 Bohrkopf nach


3.2.2.2.1.3 Einlippenbohrer
Einrohrsystem Doppelrohrsystem

Bild 4-68
Anwendung von Tiefbohrwerkzeugen beim Rundbohren ins Volle.

Der Wendelbohrer zählt zu den am meisten verwen- Beim Rundbohren mit einem Bohrkopf nach dem
deten Bohrwerkzeugen. Je nach der Größe des Sei- Einrohrsystem (BTA-Verfahren) 1) wird die Kühl-
tenspanwinkels g x (Drallwinkel) und des Spitzen- schmierflüssigkeit von außen zwischen Werkzeug-
winkels s können verschiedene Wendelbohrertypen schaft und Bohrungswand zugeführt. Die anfallen
unterschieden werden, wie Bild 4-67 verdeutlicht. -den Späne werden dann von der Kühlschmierflüs-
sigkeit in das Innere des Bohrkopfes gespült und
Mit Wendelbohrern lassen sich i. Allg. Bohrungen durch das Bohrrohr abgeführt. Das Einbringen der
mit einem Verhältnis Bohrtiefe/Bohrungsdurchmes- Kühlschmierflüssigkeit erfolgt dabei über ein beson-
ser lw/dw < 5 ohne Schwierigkeiten erzeugen. Mit deres Zuführsystem, das den zwischen Werkstück
speziellen Tiefbohrwerkzeugen können heute lw/dw- und Werkzeug gebildeten Ringraum abdichtet und
Verhältnisse im Bereich von 150 bis 200 erreicht mit Hilfe der eingesetzten Bohrbuchse den Werk-
werden. Tiefbohrwerkzeuge finden heute aber auch zeugschaft führt.
zum Fertigen von Bohrungen mit höheren Anfor-
derungen an die Maßgenauigkeit (IT 7 bis IT 10) Das Bohren mit einem Bohrkopf nach dem Doppel-
und an die Form- und Lagegenauigkeit Anwendung. rohrsystem (Ejektorbohrverfahren) ist dadurch ge-
kennzeichnet, dass die Kühlschmierflüssigkeit zwi-
Werkzeuge zum Tiefbohren sind schen zwei konzentrisch angeordneten Rohren zu-
– Einlippenbohrwerkzeuge, geführt und mit den Spänen durch das Innere des
– Bohrköpfe nach dem Einrohrsystem (BTA-Bohr- Späneabflussrohres wieder abgeführt wird. Der Spä-
werkzeuge 1)), netransport wird von dem mit Düsen versehenen
– Bohrköpfe nach dem Doppelrohrsystem (Ejek- Innenrohr begünstigt. Nach dem Ejektor-Prinzip
tor-Bohrwerkzeuge). entsteht ein Unterdruck, so dass man bei diesem
Verfahren mit wesentlich geringeren Kühlschmier-
Bild 4-68 zeigt Rundbohrverfahren mit Tiefbohr- flüssigkeitsdrücken auskommt.
werkzeugen. Beim Rundbohren ins Volle mit Einlip-
penbohrer wird ein Bohrwerkzeug mit unsymme- 4.6.2.3 Zeitberechnung
trisch angeordneten Schneiden benutzt. Die Kühl- Die Schnittzeit beim Bohren lässt sich wie beim
schmierflüssigkeit wird dabei durch das Innere des Drehen aus Vorschubweg, Vorschub und Drehzahl
meist rohrförmigen Werkzeugschafts zugeführt. berechnen. Beim Bohren wird im Allgemeinen ein
Span- und Kühlschmierflüssigkeitsabfluss erfolgen Sicherheitsabstand von 1 m zwischen Werkzeug und
durch eine äußere Spannut im Werkzeugschaft. Ein- Werkstück vorgesehen. Die Überlaufwege sind bei
lippen-Tiefbohrwerkzeuge benötigen zum Anboh- den einzelnen Bohrverfahren unterschiedlich. Beim
ren stets eine besondere Führungseinrichtung. Rundbohren ins Volle mit einem Wendelboh-rer be-
trägt der Überlaufweg lü = 2 mm. Der die Hauptnut-
1)
Verfahren entwickelt von der Boring und Trepanning zungszeit bestimmende Weg des Bohrwerkzeugs L
Association. in mm beträgt somit
300 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

nc

Rundbohren ins Volle


mit symmetrisch ange- 3.2.2.2.1.1
vfa ordneten Hauptschneiden

nc

dw
ap

lak
vfa

fz = 2f

lw
A
h

Symbol Bezeichnung Formeln

dw Bohrdurchmesser ap dw
lw Bohrtiefe nach dem Durchbohren lak = = s
tan k
2 × tan
A Spanungsquerschnitt 2
ap Schnittbreite A = b × h = ap × fz
b Spanungsbreite
h Spanungsdicke vc = dw × p × nc
vc Schnittgeschwindigkeit
vfa = z × fz × nc
vfa Vorschubgeschwindigkeit (axial)
tc Schnittzeit
Zeitspanungsvolumen lw + lak
Q
tc =
z Anzahl der Schneiden f × nc
k Einstellwinkel
dw2 × p
s Spitzenwinkel Q= × f × nc
4
lak Anschnittweg
nc Drehzahl f = z × fz
f (fz) Vorschub (Vorschub je Schneide)

Bild 4-69
Zeitberechnung beim Rundbohren ins Volle mit einem Wendelbohrer.

L = lw + lak + 1 mm + lü. [4-40] male sind die im Gegensatz zu anderen Verfahren


(z. B. Drehen und Bohren) sich stetig verändernden
Bild 4-69 gibt die Eingriffsverhältnisse und einige Eingriffsverhältnisse. Unterbrochener Schnitt und
wichtige Berechnungsgleichungen für das Rund- die in Abhängigkeit vom Vorschubrichtungswinkel
bohren ins Volle mit einem Wendelbohrer an. nicht konstanten Spanungsdicken und damit verbun-
denen Schnittkraftschwankungen erfordern ein gu-
4.6.3 Fräsen tes dynamisches Verhalten des Systems Werkstück
– Werkzeug – Werkzeugmaschine.
Fräsen ist ein spanendes Fertigungsverfahren, das
mit meist mehrzahnigen Werkzeugen bei kreisför- 4.6.3.1 Fräsverfahren
miger Schnittbewegung und senkrecht oder auch Fräsverfahren werden nach DIN 8589-3 in Plan-,
schräg zur Drehachse gerichteter Vorschubbewe- Rund-, Schraub-, Wälz-, Profil- und Formfräsen
gung nahezu beliebig geformte Werkstückflächen unterteilt, wie aus Bild 4-70 hervorgeht. Nach Art
zu erzeugen vermag. Wesentliche Verfahrensmerk- des Werkzeugeingriffs kann zwischen dem
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 301

3 2 3

Fräsen

DIN 8589 - 3

3 2 3 1 3 2 3 2 3 2 3 3 3 2 3 4 3 2 3 5 3 2 3 6

Planfräsen Rundfräsen Schraubfräsen Wälzfräsen Profilfräsen Formfräsen

Bild 4-70
Einteilung der Fräsverfahren (nach DIN 8589-3).

– Umfangsfräsen, Als wirtschaftliche Alternative zum Drehen haben


– Stirnfräsen und sich in bestimmten Anwendungsfällen Rundfräsver-
– Stirn-Umfangsfräsen fahren entwickelt, bei denen die Werkzeugdrehachse
unterschieden werden. Hierbei erzeugen jeweils die annähernd senkrecht zur Werkstückdrehachse ange-
am Umfang liegenden Hauptschneiden, die an der ordnet ist (sog. Drehfräsen), Bild 4-72.
Stirnseite des Fräswerkzeugs liegenden Neben-
schneiden oder die am Umfang bzw. der Stirnseite Mit Schraubfräsen bezeichnet man Fräsverfahren,
wirkenden Haupt- und Nebenschneiden gleichzei- bei denen unter wendelförmiger Vorschubbewegung
tig die gewünschte Werkstückform. schraubenförmige Flächen am Werkstück entstehen
(z. B. Gewinde und Zylinderschnecken).
Planfräsen ist Fräsen mit geradliniger Vorschubbe-
wegung zur Erzeugung ebener Flächen. Verfahrens- Zum Schraubfräsen gehören gemäß Bild 4-73 das
varianten des Planfräsens sind in Bild 4-71 gezeigt. Langgewindefräsen und das Kurzgewindefräsen.
Langgewindefräsen ist Schraubfräsen mit einem
Beim Rundfräsen lassen sich kreiszylindrische Flä- einprofiligen Gewindefräser, dessen Achse in Rich-
chen mit außen- oder innenverzahnten Fräsern erzeu- tung der Gewindesteigung geneigt ist und dessen
gen. Werkzeug- und Werkstückdrehachse stehen bei Vorschub der Gewindesteigung entspricht. Das Kurz-
üblichen Rundfräsverfahren parallel zueinander. gewindefräsen erfolgt dagegen mit einem mehrpro-

3 2 3 1 Planfräsen 3 2 3 2 Rundfräsen
vft
vft
vc

vc vfr

vft vft
vfr vfa vc
vc vfr

3.2.3.1.1 Umfangs- 3.2.3.1.2 Stirn- 3.2.3.2.1 Umfangs- 3.2.3.2.2 Stirn-


vfa
vfa vfr vfa vft
vfr

vc vc
vfr vfa
vft vft
vc
vc vfr

3.2.3.1.3 Stirn-Umfangs- 3.2.3.2.3 Stirn-Umfangs-

Bild 4-71 Bild 4-72


Planfräsverfahren. Rundfräsverfahren.
302 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 3 3 (4) Schraub- und Wälzfräsen

vfa

nw nw vfr nc

vfr vf

vc
vc nw
Bild 4-73
3.2.3.3.1 Langgewinde- 3.2.3.3.2 Kurzgewinde- 3.2.3.4 Wälzfräsen
Schraub- und Wälzfräsverfahren.

filigen Gewindefräser, dessen Achse zur Werkstück- ähnlich wie eine Schnecke in einem Schnecken-
achse parallel liegt und dessen Vorschub der Gewin- radgetriebe während des Zerspanvorgangs gegen-
desteigung entspricht. Zur Herstellung des Gewin- einander ab (Bild 4-73).
des ist dabei lediglich etwas mehr als eine Werkstück-
umdrehung erforderlich. Profilfräsen ist Fräsen unter Verwendung eines
Werkzeugs mit werkstückgebundener Form. Es
3 2 3 5 Profilfräsen dient zur Erzeugung gerader (geradlinige Vorschub-
bewegung), rotationssymmetrischer (kreisförmige
Vorschubbewegung) und beliebig in einer Ebene
gekrümmte Profilflächen (gesteuerte Vorschubbe-
vc wegung). Einige Beispiele für das Profilfräsen zeigt
Bild 4-74.
vfr
Formfräsen ist Fräsen, bei dem die Vorschubbe-
vft vc
vfa wegung in einer Ebene oder räumlich gesteuert ist
3.2.3.5.1 Längs- 3.2.3.5.2 Rund-
und dadurch die gewünschte Form des Werkstücks
erzeugt wird. Zu dieser Verfahrensgruppe gehören
Bild 4-74 das in Bild 4-75 dargestellte
Profilfräsverfahren. – Freiformfräsen,
– Nachformfräsen,
Wälzfräsen ist eines der wichtigsten Fertigungsver- – Kinematisch-Formfräsen und
fahren zur Herstellung von Verzahnungen. Beim – NC-Formfräsen.
Wälzfräsen führt ein Fräser mit Bezugsprofil eine
mit der Vorschubbewegung simultane Wälzbewe- Ein weiterer Gesichtspunkt für die Unterscheidung
gung aus. Dabei wälzen Werkzeug und Werkstück von Fräsverfahren ist die Richtung der Vorschubbe-

3 2 3 6 Formfräsen
nc
nc nc
nc

vf
vf vf
vf

Bild 4-75
3.2.3.6.1 Frei- 3.2.3.6.2 Nach- 3.2.3.6.3 Kinematisch- 3.2.3.6.4 NC-
Formfräsverfahren.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 303

4.6.3.2 Fräswerkzeuge
vc nc
nc ve Pfe Fräswerkzeuge sind nicht nach einheitlichen Ge-

j
nc sichtspunkten unterteilt. Je nach konstruktions- und
vf
vf
anwendungsbezogenen Merkmalen unterscheidet
Pfe man u. a.
ve vc – Walzenfräser,
j – Walzenstirnfräser,
Werkstückbewegung – Scheibenfräser,
a) b)
– Prismenfräser,
– Winkelstirnfräser,
– Halbkreisfräser,
Bild 4-76
– Messerköpfe,
Werkzeug- und Werkstückbewegungen beim Umfangfräsen
(nach DIN 6580): – Kreissägewerkzeuge,
a) Gleichlauffräsen (j > 90 ∞) – Schaftfräser,
b) Gegenlauffräsen (j < 90 ∞) – Langlochfräser,
– Schlitzfräser,
wegung gegenüber der Schnittbewegung. Man un- – T-Nutenfräser,
terscheidet zwischen Gleichlauf- und Gegenlauffrä- – Wälzfräser,
sen. Die beiden Fräsarten sind in Bild 4-76 schema- – Gewindefräser und
tisch dargestellt. – Satzfräser.

Beim Gleichlauffräsen sind die Drehrichtung des Bild 4-77 zeigt, dass grundsätzlich vier verschie-
Fräsers und die Werkstückbewegung im Bereich dene Fräswerkzeugtypen definiert werden können.
des Werkzeugeingriffs gleichgerichtet. Das Gleich- Demnach lassen sich die hauptsächlich angewende-
lauffräsen mit Walzenfräser ist dadurch gekenn- ten Fräswerkzeuge in Umfangs-, Stirn-, Profil- und
zeichnet, dass mit Beginn des Schneideneingriffs Formfräser unterteilen.
der Vorschubrichtungswinkel j größer oder gleich
90 ° ist und beim Austritt einen Maximalwert von Außer den Fräswerkzeugen aus Schnellarbeitsstahl
180 ° annimmt, Bild 4-76a). werden zunehmend Hartmetallwerkzeuge angewen-
det. Zum Fräsen von Gusswerkstoffen werden inzwi-
Das Gegenlauffräsen ist ein Fräsen, bei dem im Be- schen auch Wendeschneidplatten aus weniger stoß-
reich des Werkzeugeingriffs die Drehrichtung des empfindlichen Mischkeramiksorten häufiger einge-
Fräsers und die Werkstückbewegung einander ent- setzt. Bei der Bearbeitung von Nichteisenmetallen
gegengerichtet sind. Beim Gegenlauffräsen mit Wal- können Schneidplatten aus polykristallinem Dia-
zenfräser kann der Vorschubrichtungswinkel j im mant erfolgreich verwendet werden. Schneidplatten
Eingriffsbereich Werte im Bereich 0 ° ≤ j ≤ 90 ° an- aus polykristallinem Bornitrid bieten beim Fräsen
nehmen, Bild 4-76b). von schwer zerspanbaren Eisenwerkstoffen aber ei-
ne wirtschaftliche Fertigungsalternative.
Beim Gleichlauffräsen ist die Schnittkraft gegen
den Maschinentisch gerichtet. Der Vorschubantrieb 4.6.3.3 Zeitberechnung
muss daher spielfrei sein, weil der Fräser sonst den Wichtige Berechnungsgleichungen sind in Bild 4-78
Maschinentisch ruckartig in Vorschubrichtung zie- und 4-79 am Beispiel des Umfangs-Planfräsens und
hen und das Werkstück aus der Aufspannung rei- Stirn-Planfräsens zusammengestellt.
ßen könnte. Es empfiehlt sich, das Werkstück stets
gegen einen festen Anschlag zu spannen. Gegen- Die Schnittzeit und das Zeitspanungsvolumen beim
über dem Gegenlauffräsen nimmt die Spanungsdi- Fräsen werden im Wesentlichen durch die Größe
cke beim Gleichlauffräsen zwischen Schneidenein- der Vorschubgeschwindigkeit bestimmt. Die Vor-
und -austritt zunehmend ab, so dass sich die Schnitt- schubgeschwindigkeit vft ist wiederum vom Vor-
kraft ebenfalls verringert und Auffederungseffekte schub je Zahn fz (Zahnvorschub) abhängig, der mit-
vermieden werden können. Beim Gleichlauffräsen telbar über die Drehzahl des Fräswerkzeugs nc aber
lassen sich dadurch in der Regel bessere Oberflä- auch von der Größe der Schnittgeschwindigkeit be-
chengüten erzielen. einflusst wird. Als Vorschub je Zahn oder je Schnei-
304 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Fräsertyp Wirkprofil Wirkfläche Beispiele

Umfangs-(walzen-) werkstück- Umfangsfläche


fräser ungebunden (kreiszylindrisch)

Walzenfräser

2
werkstück- Seiten(-Stirn)- u.
Stirnfräser
ungebunden Umfangsflächen

Walzenstirnfräser Schaftfräser Messerkopf

Profilfräser werkstück-
Profilfläche
gebunden

Halbkreisfräser Prismenfräser Scheibenfräser

werkstück- Formfläche
Formfräser beliebig
ungebunden

Gesenkfräser

Bild 4-77
Fräswerkzeuge und einige typische Anwendungen.

de bezeichnet man den Abstand zweier hinterein- 4.6.4 Hobeln und Stoßen
ander entstehender Schnittflächen, gemessen in der
Vorschubrichtung und in der Arbeitsebene. Es ist Hobeln und Stoßen ist Spanen mit wiederholter meist
demnach geradliniger Schnittbewegung und schrittweiser,
senkrecht zur Schnittrichtung liegender Vorschub-
fz = f / z. [4-41]
bewegung. Hobel- und Stoßverfahren unterscheiden
Hierbei ist z gleich der Anzahl der Zähne oder sich lediglich in der Aufteilung von Schnitt- und
Schneiden. Ist z = 1, wie z. B. beim Drehen oder Vorschubbewegung auf Werkstück und Werkzeug.
beim Fräsen mit Einzahnfräser, so wird Beim Hobeln wird die Schnittbewegung vom Werk-
stück, beim Stoßen durch das Werkzeug ausgeführt.
fz = f. [4-42]
Große Fortschritte beim Fräsen bewirkten, dass das
Vom Zahnvorschub abgeleitet ist der Schnittvor- Hobeln auf vielen Gebieten durch das Fräsen ersetzt
schub fc. Als Abstand zweier unmittelbar hinterein- wurde. Die Anwendungsgebiete des Hobeln und
ander entstehender Schnittflächen wird er ebenfalls Stoßens beschränken sich heute auf das Herstellen
in der Arbeitsebene, jedoch senkrecht zur Schnitt- von Werkstückflächen, die durch andere spanende
richtung gemessen (vgl. Verfahrensschema Bild 4-78 Fertigungsverfahren nur schwer oder nicht wirt-
und 4-79). Es gilt schaftlich zu fertigen sind.
fc O fz sin j. [4-43]
4.6.4.1 Hobel- und Stoßverfahren
Bei Zerspanvorgängen mit j = 90 ° und einschnei- Hobel- und Stoßverfahren sind wegen der gleichen
digen Werkzeugen, wie z. B. beim Drehen und Ho- Kinematik beim Zerspanvorgang in DIN 8589-4
beln, ist zusammengefasst worden, wie dies Bild 4-80 zeigt.
Nach der Art der zu erzeugenden Flächen, kine-
fc = fz = f. [4-44] matischen und werkzeugbezogenen Gesichtspunk-
vc
vc
Umfangs-Planfräsen 3.2.3.1.1 Stirn-Planfräsen 3.2.3.1.2
vft
vft vfa
vfr
lH
fc fz

D/ 2-ae
fz
vft
2 j
ae
D/ j fz
nc nc
vft lü fc lw la

ae
ap
lü lw la ap
lH D

Symbol Bezeichnung Formeln Symbol Bezeichnung Formeln

lw Werkstücklänge lw Werkstücklänge lH = lw + la + lü
lH = lw + la + lü
la Anlaufweg la Anlaufweg
lü Überlaufweg lü Überlaufweg la + lü = D
lH Hublänge la = D × ae - ae2 lH Hublänge
D Fräserdurchmesser D Fräserdurchmesser vc = D × p × nc
z Zähnezahl des Fräsers vc = D × p × nc z Zähnezahl des Fräsers
vft = z × fz × nc
ap Schnittbreite ap Schnittbreite
ae Arbeitseingriff vft = z × fz × nc ae Arbeitseingriff lw + lH
fz Vorschub je Zahn fz Vorschub je Zahn tc = vft
nc Drehzahl lw + la nc Drehzahl
tc = lH
vft Vorschubgeschwindigkeit vft vft Vorschubgeschwindigkeit th = v
ft
(tangential) f (tangential)
vc Schnittgeschwindigkeit fc l fz × sin j; fz = z vc Schnittgeschwindigkeit f
fc l fz × sin j; fz = z
tc Schnittzeit tc Schnittzeit
fc Schnittvorschub Qw = ae × ap × vft fc Schnittvorschub Qw = ae × ap × vft
Qw Zeitspanungsvolumen Qw Zeitspanungsvolumen
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden

Bild 4-78 Bild 4-79


305

Zeitberechnung beim Umfangs-Planfräsen. Zeitberechnung beim Stirn-Planfräsen.


306 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 4

Hobeln
und
Stoßen

DIN 8589 - 4

3 2 4 1 3 2 4 2 3 2 4 3 3 2 4 4 3 2 4 5 3 2 4 6

Planhobeln Rundhobeln Schraub- Wälzhobeln Profilhobeln Formhobeln Bild 4-80


und Stoßen und Stoßen hobeln und Stoßen und Stoßen und Stoßen Einteilung der Hobel- und Stoß-
und Stoßen
verfahren (nach DIN 8589-4).

ten ergeben sich für das Hobeln und Stoßen Plan-, 4.6.4.3 Zeitberechnung
Rund-, Schraub-, Wälz-, Profil- und Formverfahren. Die Schnitt- und die Rückhubgeschwindigkeit sind
Bild 4-81 zeigt die Kinematik einiger wichtiger Ho- beim Hobeln und Stoßen nicht konstant, da das
bel- bzw. Stoßverfahren. Werk stück bzw. das Werkzeug bei jedem Hub
beschleunigt und wieder abgebremst werden muss.
4.6.4.2 Hobelwerkzeuge Bei der Berechnung der Zeit beim Hobeln ist da-
Die Werkzeuge entsprechen in ihrem Aufbau den her von einer mittleren Schnitt- bzw. Rückhubge-
Werkzeugen zum Drehen. Als Schneidstoffe werden schwindigkeit auszugehen. Bild 4-83 gibt die wich-
vorwiegend Schnellarbeitsstähle verwendet. Infolge tigsten Berechnungsgleichungen auf der Grundlage
des unterbrochenen Schnittes bleibt die Anwendung der jeweiligen Werkzeugwege für das Planhobeln
von Hartmetallwerkzeugen beim Hobeln und Sto- und -stoßen an.
ßen auf die zähen Anwendungsgruppen beschränkt.

Hobelwerkzeuge werden überwiegend zur Bearbei- 4.6.5 Räumen


tung von langen, schmalen Plan- und Profilflächen
eingesetzt. Ein typisches Beispiel ist das Bearbeiten Räumen ist nach DIN 8589-5 ein spanendes Ferti-
von Führungen und Aussparungen an Werkzeugma- gungsverfahren, bei dem der Werkstoffabtrag mit
schinengestellen gemäß Bild 4-82. einem mehrschneidigen Werkzeug erfolgt, dessen
3 2 4 Hobeln und Stoßen
Schneiden hintereinander liegen und jeweils um ei-
ne Spanungsdicke h gestaffelt sind. Die Vorschubbe-
wegung kann durch die Relativlage der Schneiden
entfallen, da der Vorschub gleichsam im Werkzeug
vf »installiert« ist. Räumwerkzeuge gestatten es, eine
vf komplizierte Fertigteilgeometrie meist in einem
vc
vc vf
2 1 1 1 2 4 3

3.2.4.1 Planverfahren 3.2.4.4 Wälzverfahren

vf

vf
vf
vc

vc

3.2.4.5 Profilverfahren 3.2.4.6 Formverfahrem


Bild 4-82
Bild 4-81 Hobelwerkzeuge für typische Bearbeitungen:
Plan-, Wälz-, Profil- und Formverfahren beim Hobeln und 1 Breitschlichthobelmeißel 3 gerader Hobelmeißel
Stoßen. 2 Nutenhobelmeißel 4 gerader Hobelmeißel
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 307

vf Planhobeln und 3.2.4.1


Planstoßen
vc vf

vc vr vf vc

ap
k

lü l w = lc la bü bw lk
lH lf
bH

Symbol Bezeichnung Formeln

lw Werkstücklänge ap
bw lk =
Werkstückbreite tan k
lc Schnittweg
lf Vorschubweg 2 vc × vr
lk Anschnittweg vm =
vc + vr
la Anlaufweg
lü Überlaufweg vm
bü Überlaufbreite nhd =
2 × lH
lH Hublänge
bH Hubbreite lf
ap Schnitttiefe tc =
f × nhd
f Vorschub
vc Schnittgeschwindigkeit bH
th =
vr Rückhubgeschwindigkeit f × nhd
vf Vorschubgeschwindigkeit
vm mittlere Arbeitsgeschwindigkeit
nhd Anzahl der Doppelhübe/min
th Hauptnutzungszeit
tc Schnittzeit

Bild 4-83
Zeitberechnung beim Planhobeln und -stoßen.

Durchgang zu erzeugen. Die dadurch gegenüber an- Weiterhin kann je nach Lage der zu bearbeitenden
deren Fertigungsverfahren wesentlich kürzeren Schnitt- Werkstückflächen zwischen Außenräumen und In-
zeiten kennzeichnen das Räumen als typisches Fer- nenräumen unterschieden werden. Das Außenräu-
tigungsverfahren in der Massenfertigung. Die mit men ist vorwiegend beim Plan- und Profilräumen ge-
Räumverfahren erreichbaren Schnittgeschwindig- bräuchlich. Eine besondere Variante des Außenräu-
keiten liegen i. Allg. im Bereich von vc = 1 m/min mens ist das Kettenräumen. Hierbei werden die
bis vc = 15 m/min. Beim Hochgeschwindigkeitsräu- Werkstücke entweder auf einem Rundtisch oder
men können heute bereits Schnittgeschwindigkeiten auf speziellen Schlitten, die mittels Ketten bewegt
bis zu vc = 50 m/min verwirklicht werden. werden, am feststehenden Räumwerkzeug entlang-
geführt. Da bei diesem Verfahren keine Rückhub-
4.6.5.1 Räumverfahren bewegung erforderlich ist und gleichzeitig mehre-
Je nach Art der zu erzeugenden Werkstückfläche re Werkstücke mit dem Werkzeug im Eingriff sein
lässt sich das Räumen in Plan-, Rund-, Schraub-, können, ist die Ausbringung (Anzahl der gefertig-
Profil- und Formräumen unterteilen, wie aus Bild ten Werkstücke je Zeiteinheit) beim Kettenräumen
4-84 hervorgeht. sehr hoch.
308 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

3 2 5

Räumen

DIN 8589 - 5

3 2 5 1 3 2 5 2 3 2 5 3 3 2 5 4 3 2 5 5 3 2 5 6

Plan- Rund- Schraub- nicht Profil- Form-


räumen räumen räumen belegt räumen räumen

Bild 4-84
Einteilung der Räumverfahren (nach
DIN 8589-5).

Das Profilräumen wird zum Herstellen von kompli- Beim Räumen von ebenen und kreiszylindrischen
zierten Innen- und Außenprofilen angewandt. Eini- Flächen oder Profilen entsprechend Bild 4-86 führt
ge typische Profile für das Außen- und Innenräu- das Werkzeug oder das Werkstück eine geradlinige
men zeigt Bild 4-85. Schnittbewegung aus. Wenn der geradlinigen Schnitt-
bewegung zusätzlich eine Drehbewegung des Werk-
stücks oder Werkzeugs überlagert wird, lassen sich
schraubenförmige Flächen fertigen. Das Erzeugen
einer Formfläche ist mit einer gesteuerten, kreisför-
migen Schnittbewegung möglich. Formräumverfah-
ren sind das Schwenkräumen (ohne Werkstückbe-
Profile für Innenräumen wegung) und das Drehräumen (mit rotierender Werk-
stückbewegung).

4.6.5.2 Räumwerkzeuge
Innenräumwerkzeuge sind meist einteilig ausgeführt
und werden bevorzugt aus Schnellarbeitsstahl herge-
stellt. Bei der Bearbeitung von Grauguss werden auch
Profile für Außenräumen mit Hartmetallschneiden bestückte Räumwerkzeu-
Bild 4-85
ge eingesetzt. Bei größeren zu räumenden Volumen
Herstellbare Profile beim Außen- und Innenräumen (Bei- kann der Zahnungsteil auch aus mehreren auswech-
spiele). selbaren Räumbuchsen bestehen.

3 2 5 Räumen

vc vc
vc

3.2.5.1.1 Außen-Plan- 3.2.5.2.2 Innen-Rund- 3.2.5.5.2 Innen-Profil-


Bild 4-86
Plan-, Rund- und Profilräumverfahren.
4.6 Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden 309

Schruppteil Schlichtteil Reserveteil


l1 l2 l3

Zugkraft

(Schnitt-
kraft)

Schaft Zahnungslänge lz Endstück

Aufnahme Führungsstück
Gesamtlänge l Auflage Werkstück

Bild 4-87
Aufbau eines Innenräumwerkzeugs.

Außenräumwerkzeuge sind besonders bei schwie- oberen für das Schlichten. Die Zahnteilung t kann
rigen Werkstückformen aus mehreren Zahnungs- nach der empirischen Gleichung
teilabschnitten zusammengesetzt. Sie lassen sich
t = (2,5 bis 3) ◊ h lw R in mm [4-45]
dadurch leichter herstellen, nachschleifen und gege-
benenfalls über Keilleisten nachstellen. ermittelt werden. Beim Schruppen und Schlichten
ergeben sich aufgrund der unterschiedlich anfallen-
Den Aufbau eines Innenräumwerkzeugs zeigt Bild den Spanmengen auch variierende Zahnteilungen.
4-87. Es besteht aus Schaft, Aufnahme, Zahnungs-
teil, Führungsstück und Endstück. Am Schaft wird Damit für die jeweilige Bearbeitungsaufgabe gün-
das Werkzeug eingespannt, damit es durch das stige Spanformen zu erhalten sind, werden in die
Werkstück gezogen werden kann. Der Aufnahme- einzelnen Schneiden Spanbrechernuten eingebracht.
oder Einführungsteil hat die Aufgabe, die Werkstü- t lw
cke zu zentrieren. Die Zahnungslänge setzt sich aus e
Schrupp-, Schlicht- und Reserveteil zusammen, die
hz = fz

nacheinander zum Eingriff kommen. Die Reserve-


zahnung dient zur Kompensation der durch Nach- a
schleifen bewirkten Maßänderungen (Kalibrieren). r R
c

g
Die Schneidengeometrie eines Räumwerkzeugs ist
nach DIN 1416 in Abhängigkeit von der Zahntei-
lung t festgelegt. Bild 4-88 zeigt hierzu Einzelheiten.
Schneide Schneidzahn

Das Spanraumvolumen der Spankammer ist so zu


bemessen, dass diese den Span während des Schnitts
aufnehmen kann. Die Größe der Spankammer ist
abhängig von der Spanungsdicke h, die beim Räu-
men dem Vorschub je Zahn fz entspricht, der Spa- Spanbrechernut Spankammer
nungs- bzw. Werkstücklänge lw und der Spanraum-
Bild 4-88
zahl R. Die Spanraumzahl (Abschn. 4.5.5) ist werk- Eingriffsverhältnisse und Schneidengeometrie beim Räumen
stückstoffabhängig. Als vorteilhaft haben sich für (nach DIN 1416).
die Spanraumzahl R beim Räumen für spröde, brö- a Freiwinkel
ckelnde Werkstückstoffe Werte von 3 bis 6 und für g Spanwinkel
zähe, langspanende Werkstückstoffe Werte von 4 c Spankammertiefe
e Zahnrücken
bis 8 erwiesen.
t Zahnteilung
R, r Spanflächenradien
Die Angaben beziehen sich auf das Profilräumen. hz Spanungsdicke je Zahn
Die unteren Werte gelten für das Schruppen, die lw Spanungslänge
310 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Werkstück Werkstück Die Anordnung der aufeinanderfolgenden Schnei-


den bezeichnet man als Zahnstaffelung. Nach DIN
1415 lassen sich verschiedene Staffelungsarten de-
finieren, wie aus Bild 4-89 hervorgeht. Bei der Tie-
fenstaf felung dringen die Schneiden senkrecht zu
der zu fertigenden Werkstückfläche in ganzer Schnei-
Tiefenstaffelung Seitenstaffelung denbreite in den Werkstückstoff ein und spanen die-
(Außen-Planräumen) (Außen-Planräumen)
sen bei geringen Spanungsdicken ab.
Werkstück
Bei der Seitenstaffelung dringen die Schneiden pa-
rallel (tangential) zu der zu fertigenden Werkstück-
fläche in den Werkstückstoff ein und spanen diesen
streifenweise bei großer Spanungsdicke ab. Die end-
Keilstaffelung Tiefenstaffelung gültige Werkstückoberfläche wird anschließend
(Außen-Planräumen) (Innen-Profilräumen)
meist mit einem Schneidenteil in Tiefenstaffelung
Bild 4-89 erzeugt. Besonders Oberflächen von gegossenen und
Staffelungsarten und Zerspanschemata beim Räumen (nach geschmiedeten Werkstücken lassen sich damit oh-
DIN 1415). ne größere Werkzeugbeanspruchungen räumen.

Innenrundräumen 3.2.5.2.2

vc

lw
Werkstück
dw
vc

lz lü la
lH

Symbol Bezeichnung Formeln

lw Werkstücklänge lH = lw + la + lü + lz
dw Werkstückdurchmesser
la Anlaufweg lw + lz
tc = v
lü Überlaufweg c

lz Zahnungslänge lH
lH Hublänge th = vc
vc Schnittgeschwindigkeit
lw
tc Schnittzeit ze =
t
th Hauptnutzungszeit
ze Eingriffszähnezahl A = ze × hz × b
t Zahnteilung
b = dw × p
A Spanungsquerschnitt
b Spanungsbreite Q = A × vc
hz Spanungsdicke je Zahn
Bild 4-90
Q Zeitspanungsvolumen
Zeitberechnung beim Innenrundräumen.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 311

Gegenüber der Tiefenstaffelung ergeben sich bei der m/s den Werkstückstoff ab. Die Schneiden sind beim
Seitenstaffelung jedoch längere Werkzeuge. Eine Schleifen nicht ständig im Eingriff und dringen im
Sonderform ist die so genannte Keilstaffelung. Verhältnis zur Größe eines mittleren Schneidkorns
nur geringfügig in die Werkstückoberfläche ein. Da-
4.6.5.3 Zeitberechnung bei werden die Oberfläche, die Form und die Maß-
Bei der Berechnung der Zeiten beim Räumen ist haltigkeit verändert und verbessert. Der Energie-
zwischen den Zeiten für den Arbeits- und Rückhub bedarf zur Zerspanung einer Werkstückstoff-Volu-
zu unterscheiden. Dabei bestimmt der eigentliche meneinheit ist groß im Vergleich zu Zerspanverfah-
Räum- bzw. Arbeitshub die Hauptzeit, während der ren mit geometrisch bestimmten Schneiden.
in der Regel mit einer höheren Geschwindigkeit er-
folgende Rückhub beim Räumen als Nebennutzung Bisher wurde Schleifen nur als Endbearbeitung zur
(mittelbare Nutzung) angesehen wird. Verbesserung der Werkstückqualität schon vorbe-
arbeiteter Werkstücke eingesetzt. Durch Weiterent-
Da das Räumen mit einem mehrschneidigen Werk- wicklung der Schleifverfahren und -maschinen kön-
zeug erfolgt, dessen Schneiden jeweils gestaffelt nen heute so große Werkstoffmengen kurzzeitig ab-
zum Eingriff kommen, ist bei der Berechnung des getragen werden, wie es sonst nur beim Hobeln, Frä-
Zeitspanungsvolumens von der Eingriffszähnezahl sen oder Drehen der Fall ist, so dass nach dem Ur-
ze auszugehen. Wenn für alle Schneiden die gleiche bzw. Umformen unmittelbar geschliffen werden kann.
Spanungsdicke je Zahn hz angenommen wird, gilt Flexible Steuerungen und angepasste Schleifwerk-
zeuge lassen Vor- und Fertigbearbeitungen auf ei-
Qw = ze hz b vc [4-46]
ner einzigen Maschine bei ein- und mehrstufigen
mit Abläufen des Schleifprozesses zu. Neue Abrichtver-
lw fahren, wie z. B. das kontinuierliche Abrichten zur
ze = . [4-47] Profilierung von Schleifscheiben, erlauben die Bear-
t beitung von komplizierten Formteilen in einem Ar-
Die wichtigsten Gleichungen für die Zeitermittlung beitsgang. Schwer zerspanbare Werkstückstoffe sind
beim Innenrundräumen zeigt Bild 4-90. meistens nur noch durch Schleifen zu bearbeiten.

Das wichtigste Schleifergebnis ist die Werkstück-


4.7 Spanen mit geometrisch qualität. Unter Werkstückqualität wird die Rauheit,
unbestimmten Schneiden die Maß- und Formgenauigkeit sowie die Beschaf-
fenheit der Oberflächenrandzone verstanden. Häu-
Das Spanen mit geometrisch unbestimmten Schnei- fig entstehende Fehler in der Oberflächenrandzone
den kann zusätzlich zu DIN 8580 unterteilt werden infolge hoher Schleiftemperaturen sind Brandfle-
in Spanen mit gebundenem und ungebundenem cken, Risse und Gefügeumwandlungen.
Korn. Zum Spanen mit gebundenem Korn ist das
Schleifen mit Schleifkörpern und Schleifbändern Außer der Werkstückqualität steht, wie bei allen
sowie Honen und Abtrennen zu zählen. Läppen, Zerspanungsverfahren, die Wirtschaftlichkeit im
Gleitschleifen und Strahlspanen werden mit unge- Vordergrund. Maßgeblich für die Wirtschaftlich-
bundenem Korn ausgeführt. keit sind die Fertigungszeit, die Werkzeugkosten
und die Ausbringung. Die Werkzeugkosten werden
durch den Verschleiß der Schleifscheibe beeinflusst.
4.7.1 Schleifen
4.7.1.1 Grundlagen
Das Schleifen ist nach DIN 8589 das Trennen mit
vielschneidigem Werkzeug. Die Schneidenform ist 4.7.1.1.1 Kinematische Grundlagen
geometrisch unbestimmt. Anzahl, Lage und Form Beim Schleifen erfolgt durch das Zusammenwirken
der Schneiden ändern sich. Die Spanwinkel sind von Schnitt- und Vorschubbewegung eine kontinu-
meist negativ, d. h. bis zu − 90 °. Haupt- und Neben- ierliche Spanabnahme. Die Schnittbewegung wird
schneiden lassen sich nicht unterscheiden. Das Werk- von der Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit vs
zeug besitzt eine Vielzahl gebundener Schleif körner. bestimmt, so dass für die Schnittgeschwindigkeit vc
Sie trennen mit hoher Geschwindigkeit bis zu 200 gesetzt werden kann
312 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

vc = vs = ds π ns in m/s. [4-48]

Hierin bedeuten:
ds Schleifscheibendurchmesser in m,
ns Schleifscheibendrehzahl in 1/s.

Die Vorschubbewegung kann schrittweise oder ste-


tig erfolgen und wird bei den verschiedenen Schleif-
verfahren Werkstückgeschwindigkeit vw, Tischge-
schwindigkeit vt oder Vorschubgeschwindigkeit vf
genannt.

Bei formelmäßigem Erfassen des Schleifvorgangs


werden hauptsächlich das Zeitspanvolumen Q, der
Eingriffsquerschnitt Akt, die Kontaktlänge lk und die
unverformte Spandicke hch verwendet.

Mit dem Zeitspanvolumen Q (früher Z) wird das je


Zeiteinheit zerspante Werkstoffvolumen bezeich-
net. Es ist das Produkt aus Eingriffsquerschnitt der Bild 4-91
Schleifscheibe, d. h. aus Kinematische Zusammenhänge beim Außenrund-Einstech-
schleifen.
Akt = ap ae in mm2 [4-49] Ms1 Mittelpunkt der Schleifscheibe in der Stellung 1
Ms2 Mittelpunkt der Schleifscheibe in der Stellung 2
mit ns Schleifscheibendrehzahl
ap Eingriffsbreite in mm, nw Werkstückdrehzahl
ae Eingriffsdicke in mm ds Schleifscheibendurchmesser
dw Werkstückdurchmesser
lk Kontaktlänge
und der in Umfangsrichtung der Schleifscheibe wir- Le effektiver Schneidenabstand
kenden Vorschubgeschwindigkeit vft. Diese ist z. B. S1 Schneide 1
beim Außenrund-Einstechschleifen S2 Schneide 2
ae Eingriffsdicke
vft = dw π nw in m/s [4-50] vw Werkstückumfangsgeschwindigkeit
vs Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit
mit
vc Schnittgeschwindigkeit
dw Werkstückdurchmesser in m, vrel Relativgeschwindigkeit
nw Werkstückdrehzahl in 1/s, vf Vorschubgeschwindigkeit
hch unverformte Spandicke
so dass sich das Zeitspanvolumen ergibt zu
Q = Akt vft = ap ae vft in mm3/s. [4-51] Werkstückdurchmesser dw. Beide Schneiden haben
den effektiven Schneidenabstand L e. Die Bahnkur-
Wird das Zeitspanvolumen auf 1 mm des aktiven ve der Schneide entspricht der theoretischen Kontakt-
Schleifscheibenprofils bD = ap bzw. der Schleifschei- länge lk. Die Kontaktlänge ergibt sich aus geome-
benbreite bs bezogen, ergibt sich das bezogene Zeit- trischen Beziehungen zwischen Schleifscheibe und
spanvolumen Q’: Werkstück mit deq als äquivalenter Schleifscheiben-
Q’ = Q / bD bzw. durchmesser in mm zu
Q’ = ae vf in (mm3/s)/mm. [4-52]
lk = ae deq in mm. [4-53]
Die unverformte Spandicke hch sei am Beispiel des
Außenrund-Einstechschleifens gemäß Bild 4-91 er- Beim Eintauchen der Schneide S2 in das Werkstück
klärt: ist die Spanungsdicke null, sie steigt an auf den
Größtwert hch und hat wieder den Wert null beim
Der unverformte Span ist begrenzt durch die Bahn- Austritt aus dem Werkstück. Die hierzu abgeleitete
kurven der Schneiden S1 und S2 sowie durch den Gleichung von Pahlitzsch und Helmerding ist
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 313

grad der einzelnen Schneide zu. Im gleichen Verhält-


nis vermindert sich die Anzahl der in Eingriff kom-
menden Schneiden. Einen Vorschlag zur Berech-
nung der kinematischen Schneidenzahl Nkin mach-
ten König und Werner.

4.7.1.1.2 Schneideneingriff und


Schneidenraum
Folgt man dem Weg einer Kornschneide beim Zer-
Bild 4-92
spanungsvorgang, so dringt sie auf einer sehr fla-
Kontaktlängen beim:
a) Rundschleifen chen Bahn in das Werkstück ein. Dies verdeutlicht
b) Planschleifen Bild 4-93. Werkstück und Schleifkorn verformen
c) Innenrundschleifen sich elastisch. Mit zunehmender Eindringtiefe geht
die elastische Verformung des Werkstückstoffs in
vft ae plastisches Fließen über. Der Werkstückstoff wird
hch O 2 Le ◊ in mm. [4-54] seitwärts verdrängt und bildet Aufwürfe. Die Span-
vs deq
bildung tritt erst dann ein, wenn eine ausreichende
Das Verhältnis ae / deq berücksichtigt die Kontakt- Spandicke hch erreicht ist. Die Spandicke muss nach
bedingungen zwischen Schleifscheibe und Werk- König der Schnitteinsatztiefe Tμ entsprechen. Die
stück bei den verschiedenen Schleifverfahren. Das tatsächlich abgetragene Spandicke hch eff ist infolge
Außen- und Innenrundschleifen sowie das Plan- der elastischen Rückfederung kleiner als die Span-
schleifen sind kinematisch sehr eng verwandt. Die dicke hch bei der Auslösung des Schnittvorgangs.
Eingriffsbedingungen sind ähnlich. Der äquivalen-
te Schleifscheibendurchmesser deq berücksichtigt Die Form der Schneiden kann sehr unterschiedlich
die Krümmungen von Schleifscheibe und Werk- sein. Den Ausschnitt aus einer Schleifscheibenober-
stück. Dadurch lassen sich diese Schleifverfahren fläche zeigt Bild 4-94. Bei jedem Schnitt des Schnei-
miteinander vergleichen. Er errechnet sich aus denraums in der x-z-Ebene ergeben sich unterschied-
liche Profile. Durch die Bewegung von Werkzeug
ds dw
deq = in mm. [4-55] und Werkstück sind unendlich viele Schneidenraum-
dw ± ds profile je nach Zerspanungsbedingung bis zu einer
Hierin bedeuten: Tiefe von 30 μm am Zerspanungsvorgang beteiligt.
+ Außenrundschleifen,
− Innenrundschleifen,
deq = ds beim Planschleifen.

Beim Außenrundschleifen ergibt sich ein kleiner


äquivalenter Schleifscheibendurchmesser mit klei-
ner Kontaktlänge lk, wie Bild 4-92 zeigt. Die mitt-
leren Spandicken steigen an. Beim Innenschleifen ist
die Kontaktlänge verhältnismäßig groß, und der
äquivalente Schleifscheibendurchmesser nimmt durch
die negative Werkstückkrümmung zu. Die mittlere
Spandicke nimmt ab.

Eine steigende Schnittgeschwindigkeit vc bewirkt Bild 4-93


eine abnehmende Spandicke. Auf das abzutragen- Spanbildung beim Schleifvorgang (nach König).
de Werkstückvolumen Vw hat vc keinen Einfluss, da A elastische und plastische Verformung
dies von vft und der Zustellung ae abhängt. Von vc B Spanbildung
hch unverformte Spandicke
ist aber abhängig, mit welcher Schneidenzahl die Vo-
hch eff effektive Spandicke
lumenmenge abgetragen wird. Da nicht alle Schnei- Tm Schnitteinsatztiefe
den einer Schleifscheibe wie beim Umfangsfräsen Fn Schleifnormalkraft
auf einem Radius liegen, nimmt der Überdeckungs- Ft Schleiftangentialkraft
314 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Beim Schleifen überlagern sich die Schneidenraum- 4.7.1.2 Schleifwerkzeug


profile und bilden das Rauheitsprofil des Werk- Der Werkzeugstoff eines Schleifwerkzeugs besteht
stücks. aus Schleif- und Bindemittel. Zum Schleifen muss
das Schleifmittel bzw. das Korn verschiedene Anfor-
derungen erfüllen. Es muss eine ausreichende Här-
te und Schneidfähigkeit besitzen, um Späne aus dem
Werkstück herauslösen zu können. Das Korn muss
aber auch zäh sein, um schlagartige Belastungen
während des Schleifprozesses über einen längeren
Zeitraum zu ertragen. Gleichzeitig sollte das Schleif-
korn so spröde sein, dass es nach dem Abstumpfen
splittert und neue scharfe Schneidenkanten bildet.
Bild 4-94 Außer dieser mechanischen Widerstandsfähigkeit
Ausschnitt aus einem Schneidenraum (nach Saljé). wird vom Schleifkorn auch genügend thermische
und chemische Widerstandsfähigkeit verlangt.
Die beim Zerspanungsvorgang wirksam werdenden
Schleifkräfte bewirken Kornsplitterung und Korn- 4.7.1.2.1 Schleifmittel und Bindung
ausbrüche, so dass sich der Schneidenraum ständig Die Schleifmittel werden unterteilt in natürliche
ändert. und künstliche Kornwerkstoffe. Natürliche Korn-
werkstoffe als älteste Schleifmittel haben – außer
4.7.1.1.3 Schleifkraft und Verschleiß Naturdiamant – in der heutigen Schleiftechnik we-
Sie sind wichtige Kenngrößen des Zerspanungspro- gen der ungenügenden Festigkeitseigenschaften we-
zesses. Die Konstruktion von Maschinen in Bezug nige Anwendungsgebiete. Natürliche Kornwerkstof-
auf die Antriebsleistung und die Steifheit sowie das fe sind Quarz, Granat, Naturkorund und Naturdia-
Zerspanungsergebnis hinsichtlich Form- und Maß- mant. Zu den künstlichen Kornwerkstoffen gehören
genauigkeit, Oberflächengüte und Gefüge in der Elektrokorund, Siliciumcarbid, Diamant, Bornitrid
Randzone werden von ihnen beeinflusst. und Borcarbid.

Die Schleifkräfte werden beim Spanen durch den Elektrokorund ist geglühter Bauxit mit etwa 80 %
Eingriff und den Kontakt der Schneiden mit dem Al2O3, 8 % SiO2, 8 % Fe2O3, 3,5 % TiO2 und Verun-
Werkstück hervorgerufen. Die resultierenden Schleif- reinigungen. Nach zunehmender Reinheit unter-
kräfte – Normal- und Tangentialkraft Fn bzw. Ft – scheidet man
sind die Summe der Einzelkräfte der momentan im – Normalkorund (braun),
Eingriff befindlichen Schneiden. Sie entstehen durch – Halbedelkorund (rotbraun) und
Reib-, Verdrängungs- und Scherkräfte. Kleine Schnei- – Edelkorund (weiß oder rosa).
den erzeugen eine verhältnismäßig kleine Schleif-
kraft. Bei größeren Schneiden ergibt sich eine stär- Normal- und Halbedelkorund werden aufgrund
kere Werkstoffverdrängung, und die Schleifkraft höherer Zähigkeit zum Schruppschleifen von Stahl
nimmt zu. Größere Kräfte erzeugen höhere Tempe- und Stahlguss sowie als Schleifmittel für Schleifpa-
raturen und bewirken Verschleißerscheinungen an pier und -gewebe verwendet. Edelkorund ist sprö-
den Schneiden des Korns. Infolge der höheren Tem- der und eignet sich zum Feinschleifen von Werk-
peraturen werden in den Kristallschichten des Schleif- stücken großer Genauigkeit. Die Kristalle brechen
kornes Oxidations- und Diffusionsvorgänge ausge- leicht auseinander, so dass sich im Schleifprozess
löst. Diese führen zu Druckerweichung und stump- ständig scharfe Schneiden bilden.
fen die Schneiden ab. Mechanische und thermische
Wechselbelastungen bewirken Kornsplitterungen in Siliciumcarbid (SiC) wird aus Quarz und Kohle
den Korngrenzen und das Absplittern einzelner erschmolzen. SiC ist härter, scharfkantiger und split-
Kornteile. Da die einzelnen Körner mit Bindemit- terfreudiger als Korund und hat eine höhere Schneid-
tel im Kornverband gehalten werden, können bei fähigkeit.
mecha nischer Überbelastung der Bindungsstege
zwischen den Körnern ganze Körner und Korngrup- Härte und Splitterfreudigkeit nehmen mit dem Ge-
pen aus dem Kornverband ausbrechen. halt an SiC vom schwarzen zum grünen Silicium-
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 315

carbid zu. Siliciumcarbidscheiben werden für die Magnesitbindungen (Mg) haben nur noch geringe
Bearbeitung spröder kurzspanender Werkstoffe, wie Bedeutung in der Schleiftechnik und werden ange-
z. B. Grau- und Hartguss, Hartmetalle, Glas, Ge- wendet bei Schleifkörpern, die im Trockenschliff
stein, Porzellan sowie Aluminium und seine Legie- für dünne, wärmeempfindliche Werkstücke einge-
rungen eingesetzt. setzt werden, z. B. bei Messern und Besteckteilen.

Synthetisch hergestellter Diamant wird zum Schlei- Silicatbindungen (S) verwendet man beim Plan-
fen und Trennen von Gesteinen, Keramikwerkstof- schleifen mit großen Kontaktflächen zwischen der
fen, Glas und Kunststoffen verwendet. Der Korn- Schleifscheibe und Werkstück, da sie einen »kühle-
werkstoff hat eine große Härte von K100 = 5000 bis ren« Schliff ermöglichen. Silicatgebundene Schleif-
etwa K100 = 7000 und eine große Wärmeleitfähig- scheiben werden nicht gebrannt, sondern bei erhöh-
keit. Aufgrund der chemischen Affinität des Diamant- ter Temperatur gesintert.
Kohlenstoffs zu den Legierungselementen von Stahl
kommt es bei höheren Temperaturen zu einem che- Metallische Bindungen bringt man durch Sintern
misch bedingten Verschleiß. Bei Temperaturen von von Bronze, Stahl oder Hartmetallpulver auf einen
900 °C bis 1400 °C setzt bei kleinen Drücken eine mit Diamant oder Bornitrid besetzten Trägerkörper.
Grafitierung des Diamanten ein. Mit den so hergestellten Schleifscheiben lassen sich
schwer zerspanbare Werkstoffe schleifen, z. B. Hart-
Kubisch kristallines Bornitrid (CBN) wird etwa metalle.
seit 1968 in der Schleiftechnik verwendet und ist
nach Diamant das härteste Schleifmittel mit K100 = Organische Bindungen
4700. CBN hat eine höhere thermische Stabilität als Bei den harzartigen Bindungen (B) unterscheidet
Diamant, da erst bei etwa 1000 °C Oxidationser- man naturharzhaltige Bindungen und Kunstharzbin-
scheinungen auftreten. Außerdem hat CBN keine dungen. Die naturharzhaltigen Bindungen aus Schel-
Affinität zu Legierungselementen von Stählen. lack und Gummi sind durch die Kunstharzbindun-
gen aus Polyester und Phenoplasten verdrängt wor-
Mit Kunstharz oder metallisch gebunden wird der den. Die mit diesen Bindungen hergestellten Schleif-
Kornwerkstoff zum Schleifen von Werkzeugstählen scheiben haben eine große Zähigkeit und Zugfes-
mit großem Carbidanteil eingesetzt, die bisher we- tigkeit und werden für Schrupp- und Trennschleif-
der mit konventionellen Schleifmitteln noch mit Dia- arbeiten mit Umfangsgeschwindigkeiten bis unge-
mant wirtschaftlich bearbeitet werden konnten. fähr 120 m/s eingesetzt.

Borcarbide (K100 = 2200 bis K100 = 2700) finden Kautschukartige Bindungen (R) sind Gummibin-
hauptsächlich in loser Form als Läppmittel Verwen- dungen aus Naturkautschuk oder synthetischem
dung. Kautschuk. Diese sind elastischer als Kunstharzbin-
dungen, jedoch weniger temperaturbeständig und
Die Bindungen haben den Zweck, die einzelnen werden für dünne Schleifscheiben zum Gewinde-,
Körner miteinander bei Scheiben oder mit der Un- Nuten- und Schlichtschleifen angewendet.
terlage bei Schleifbändern zu verbinden.
4.7.1.2.2 Schleifwerkzeuge mit Korund und
Anorganische Bindungen Siliciumcarbid-Kornwerkstoffen
Keramische Bindungen (V) bestehen aus Ton, Kao- Bild 4-95 gibt einen Überblick über die Schleifwerk-
lin, Quarz, Feldspat und Fritten. Mehr als die Hälf- zeuge bzw. Schleifkörper nach DIN 69111. Die Her-
te aller gefertigten Schleifscheiben sind keramisch stellung und der Aufbau dieser Schleifwerkzeuge
gebunden. Die Schleifscheiben sind sehr spröde und sind im Prinzip ähnlich. Hergestellt werden sie im
stoßempfindlich. Da sie temperaturbeständig und Gieß- und Pressverfahren. Beide Verfahren werden
chemisch widerstandsfähig gegenüber Öl und Was- bei keramisch gebundenen Schleifkörpern angewen-
ser sind, werden sie außer beim Trockenschliff auch det. Kunstharzgebundene Schleifwerkzeuge lassen
zum Nassschliff eingesetzt. sich nur nach dem Pressverfahren herstellen.

Mineralische Bindungen sind Magnesitbindungen Beim Gießverfahren wird die durch Mischen von
und Silicatbindungen. Schleifmittelkorn und keramischer Bindung gebil-
316 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

dete Masse in Formen vergossen. Beim Pressverfah- die Schleifscheibenspezifikation durch die fünf Kom-
ren wird nach dem Einfüllen der Masse in die Press- ponenten entsprechend dem Beispiel in Bild 4-97:
form das Material bis auf ein bestimmtes Volumen – Schleifmittel,
verdichtet. Anschließend werden die keramischen – Körnung,
Schleifkörper in kontinuierlich arbeitenden Tunnel- – Härtegrad,
öfen oder in Chargen arbeitenden Herdwagen und – Gefüge,
Haubenöfen bei Temperaturen von 1000 °C bis 1350 °C – Bindung.
gebrannt. Die Vorwärm-, Brenn- und Abkühlzeit
beträgt insgesamt etwa acht Tage. Bei kunstharzge- Die Art des Schleifmittels wird durch die Bezeich-
bundenen Scheiben erfolgt eine Aushärtung bei nung A für Korund und C für Siliciumcarbid be-
Temperaturen von 180 °C bis 190 °C. schrieben. Durch ein vorgestelltes zusätzliches Zah-
lensymbol ist nach ISO IR 825-1966 noch der spezi-
Die Bezeichnung eines Schleifwerkzeugs aus ge- elle Typ des Schleifmittels (Normal- oder Edelko-
bundenen Schleifmitteln ist nach DIN ISO 525 ge- rund) zu erfassen. Die Kennzahl der Körnung des
normt. Sie enthält Angaben über Form und Abmes- Schleifmittels ist ein Maß für die Korngröße und
sungen des Schleifkörpers sowie über Werkstoff und entspricht der Maschenzahl je Quadratzoll. Die Zahl
die größte zulässige Umfangsgeschwindigkeit, wie 6 gibt die gröbste und die Zahl 1200 die feinste Kör-
aus Bild 4-96 hervorgeht. Den Werkstoff beschreibt nung an. Durch Sieben werden die Körnungen 6 bis
220 unterschieden und durch Fotosedimentation
240 bis 1200. Häufig verwendet man Kombinationen
mehrerer Körnungen, die durch weitere Zahlensym-
bole gekennzeichnet sind.

Der Härtegrad wird mit Buchstaben von A für wei-


che bis Z für harte Schleifkörper symbolisiert. Un-
ter der Härte von Schleifkörpern versteht man den
Widerstand, den die Bindung dem Ausbrechen der
Schleifkörner entgegensetzt. Adhäsion zwischen
Korn und Bindematerial sowie die Größe und Aus-
bildung der Bindungsstege bestimmen diese Härte
und das Gefüge des Schleifkörpers. Das Gefüge ist
gekennzeichnet durch die volumetrische Verteilung
von Schleifkörnern, die Bindung und den Poren-
raum (Offenheit) im Schleifkörper. Nach DIN ISO
525 wird die Offenheit dieses Gefüges durch Kenn-
zahlen von 0 bei geschlossenem Gefüge bis 14 bei
sehr offenem Gefüge bezeichnet.

Es ist für den Hersteller schwierig, über einen länge-


ren Fertigungszeitraum Schleifwerkzeuge gleicher
Güte herzustellen. Deshalb ist eine Härteprüfung
Bild 4-95 als Qualitätskontrolle und -sicherung für Hersteller
Schleifwerkzeuge aus gebundenem Schleifmittel
und Anwender notwendig.
(nach der ersatzlos zurückgezogenen DIN 69111).
1 Gerade Schleifscheiben
2 konische und verjüngte Schleifscheiben Die Schleifwerkzeughärte wird am häufigsten
3 Trennschleifscheiben durch die Stichelprüfung, das Sandstrahlverfahren
4 auf Tragscheiben befestigte Schleifkörper und die E-Modulmessung ermittelt.
5 Topfschleifscheiben, Tellerschleifscheiben
6 gekröpfte Schleifscheiben
Die Stichelprüfung erfolgt subjektiv ohne zusätzli-
7 Schleifsegmente
8 Schleifstifte che Prüfgeräte. Hierbei wird die von Hand aufzu-
9 Honsteine bringende Ritzkraft der Schleifkörper mit einem
10 Abrichtsteine Musterstück verglichen.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 317

F 400 x 100 x 127 DIN 69 126 - A60 K8 V45

Randform
Außendurchmesser d1
Breite b
Bohrungsdurchmesser d2
Schleifmittel
Körnung
Härtegrad
Bild 4-96 Gefüge
Bezeichnung für ein Schleifwerkzeug nach Bindung
DIN ISO 525 mit Korund oder Silicium-
carbid als Kornwerkstoff (Beispiel). zul. Umfangsgeschwindigkeit

Beispiel Schleifmittel
Korund A
Schleifmittel A
Siliciumcarbid B

Körnung 60
Körnung

Härtegrad K grob 6 8 10 12 14 16 20 24
mittel 30 36 46 54 60
Gefüge 8 fein 70 80 90 100 120 150 180
sehr fein 220 240 280 320 400 500 600 800 1000 1200

Bindung V
Härtegrad
äußerst weich A B C D
Bindung sehr weich E F G
weich H I J K
V Keramische Bindung
mittel L M N O
S Silicatbindung
hart P Q R S
R Gummibindung
sehr hart T U V W
Gummibindung
RF äußerst hart X Y Z
faserstoffverstärkt
B Kunstharzbindung
Gefüge
Kunstharzbindung
BF 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
faserstoffverstärkt
E Schellackbindung geschlossenes Gefüge
M Magnesitbindung offenes Gefüge

Bild 4-97
Spezifikationsbezeichnung für Schleifwerkzeuge nach DIN ISO 525 mit Korund oder Siliciumcarbid als Kornwerkstoff.

Mit dem Sandstrahlgerät nach Zeiss-Mackensen Den Zusammenhang zwischen Blastiefe und E-Mo-
wird unter Druck eine begrenzte Menge Quarzsand dul in Abhängigkeit von der Härtebezeichnung zeigt
bestimmter Körnung auf die Schleifscheibenober- Bild 4-98.
fläche geblasen. Dabei werden aus der Schleifschei-
benoberfläche Schleifmittelkörner herausgelöst. Die Die Bindungsart wird durch einen Kennbuchstaben
entstehende Vertiefung, die Blastiefe, ist ein Maß für beschrieben, wie es Bild 4-97 zeigt.
die Härte des Schleifscheibenmaterials.
Die größte zulässige Schleifscheibenumfangsge-
Der E-Modul wird mit Schwingungsanalysatoren schwindigkeit vs in m/s ist hinter der Werkstoffbezeich-
oder dem »Grindosonic«-Gerät über den Weg der nung angegeben. Zusätzlich sind entsprechend der
Eigenfrequenzmessung bestimmt. Unfallverhütungsvorschrift (UVV) die Schleifschei-
318 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

90
Schleifmittel: A fehlen. Gehärtete oder höher legierte Stähle können
4 80 Körnung: 60
Gefüge: 7
mit Schleifscheiben aus Edelkorund der Härte H bis
E- Modul
mm kN K gut bearbeitet werden.
Blastiefe

Bindung: V
mm2
3 60
Wird eine besonders lange Standzeit des Schleif-
50 E - Modul werkzeugprofils, wie z. B. beim Profilschleifen, ver-
2 40 langt, sind härtere Schleifwerkzeuge (M bis R) vor-
30 teilhaft. Je größer die Berührungsfläche zwischen
Blastiefe Werkstück und Schleifwerkzeug ist, um so weicher
1 20
und poröser muss das Schleifwerkzeug sein. Lang-
10 spanende Werkstückstoffe und wärmeempfindliche
0 Werkstücke sollten mit Schleifwerkzeugen bearbei-
G H I J K L M N O P tet werden, die größere Gefügeziffern haben oder
Härtegrad durch Ausbrennstoffe zusätzlich geöffnete Spankam-
Bild 4-98 mern aufweisen.
Zusammenhang zwischen E-Modul und Blastiefe in Abhängig-
keit vom Härtegrad der Schleifscheibe. 4.7.1.2.3 Schleifwerkzeuge mit Diamant- und
Bornitrid-Kornwerkstoff (CBN)
ben farblich gekennzeichnet: blaue Streifen bis 45 Auf einen Trägerkörper aus Aluminium, Kunst-
m/s, gelbe Streifen bis 60 m/s, rote Streifen bis 80 harz, Bronze oder Keramik ist ein dünner Schleif-
m/s und grüne Streifen bis 100 m/s Umfangsge- belag aus Diamant- oder Bornitridkorn und Bin-
schwindigkeit. Schleifscheiben, mit denen ein Pro- dung aufgebracht.
belauf vom Hersteller nach der UVV durchgeführt
wurde, tragen den Buchstaben P. Bei kunstharzgebundenen Schleifwerkzeugen be-
steht der Schleifbelag aus einem Gemisch aus Korn-
Bei einer Schleifwerkzeugwahl sind folgende Be- werkstoff, Phenolharz und Füllstoffen, das unter
dingungen zu berücksichtigen: Vernetzungstemperatur auf einen Trägerkörper ge-
presst wurde.
Eine gröbere Körnung hat eine kleinere Körnungs-
ziffer und ist bei einem weichen zu schleifenden Bei metallisch gebundenen Schleifwerkzeugen wird
Werkstückstoff zu verwenden sowie bei einem grö- zwischen Sinterbronzen, Sintermetallbindungen so-
ßeren Zeitspanvolumen in der Schruppbearbeitung. wie galvanischen Bindungen unterschieden. Bei die-
Mit einer kleinen Korngröße erzielt man bei Schlicht- sen wird ein Metallpulver- und Kornwerkstoffge-
arbeiten eine kleinere Oberflächenrauheit. misch unter großem Druck und hoher Temperatur
gesintert. Bei galvanischen Schleifbelägen hält ein
Von der gemessenen Schleifwerkzeughärte, auch Metallniederschlag den oft einschichtigen Diamant-
als Nennhärte bezeichnet, wird die Wirkhärte des oder CBN-Kornbelag auf dem Trägerkörper fest.
Schleifwerkzeugs beim Schleifvorgang unterschie-
den. Zu beurteilen ist die Wirkhärte durch das Ver- Keramisch gebundene Schleifwerkzeuge mit Dia-
schleißverhalten. Eine größere Wirkhärte ergibt sich mant- oder CBN-Kornwerkstoffen werden wie her-
mit zunehmender Schnittgeschwindigkeit. Daher ist kömmliche Schleifmittel hergestellt. Ein Bezeich-
bei einer größeren Schnittgeschwindigkeit und einer nungsbeispiel für Schleifwerkzeuge mit Diamant-
kleineren Zustellung je Werkstückumdrehung oder oder Bornitrid-Kornwerkstoff zeigt Bild 4-99.
Hub ein weicheres Schleifwerkzeug einzusetzen.
Weitere Ergänzungen zur Spezifikationsbezeich-
Bei normalen Schleifarbeiten ist die Härte des Schleif- nung zeigt Bild 4-100. Korngrößen für Diamant (D)
werkzeugs im umgekehrten Verhältnis zur Werk- und kubisch kristallines Bornitrid (B) entsprechen
stückstoffhärte zu wählen. So werden z. B. für wei- der Nennmaschenweite eines Prüfsiebes. Häufig ver-
che Werkstückstoffe harte Schleifscheiben verwen- wendete Korngrößen liegen im Bereich von 91 bis
det. Bei Außenrundschleifarbeiten von Baustahl, 181. Die folgenden Buchstaben bezeichnen den Bin-
Kupfer, Messing und Leichtmetall sind Scheiben dungstyp und die Bindungshärte, die nur in weich,
aus Normalkorund mit der Härte K bis M zu emp- mittel, hart und sehr hart unterschieden wird, da sie
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 319

1A1 - 500 - 15 - 2 - 305 - B 151 - KSS - TYB - V240

Schleifscheibenform
(zyl. Umfangsschleifscheibe)
Außendurchmesser
Belagsbreite
Belagshöhe
Bohrungsdurchmesser
Kornart
Korngröße
Bindungstyp
Bindungshärte
Einsatzgebiet
Bild 4-99 (Nassschliff Y)
Bezeichnung für ein Schleifwerkzeug mit
Bornitrid als Kornwerkstoff nach Grundkörper
DIN ISO 6104 (Beispiel). Konzentration

für übliche Schleifwerkzeuge weniger bedeutend Kornart


ist. Die Konzentrationsbezeichnung gibt die Menge Kornart B Diamant D
des im Bindemittel enthaltenen Kornwerkstoffs an. CBN B
Körnung 151
Bei den Schleifwerkzeugen bedeutet C 100 2), dass Körnung
je Kubikzentimeter Belagsvolumen 4,4 Kt (1 Karat Bindung KSS
46 91 181 356 711
= 0,2 g) Diamant oder CBN enthalten sind. Dies 54 107 213 426 851
entspricht einem Volumengehalt von 25 % Korn- 64 126 251 501 1001
Bindungshärte T 76 151 301 601 1181
werkstoff im Schleifbelag.

4.7.1.2.4 Werkzeugaufspannung Grundkörper B Bindung


Richtlinien für das Einspannen bruchempfindlicher BZ Bronze
Diamant

Schleifscheiben in Spannvorrichtungen sind in der Konzentration V240 G Galv. Metall


Unfallverhütungsvorschrift erfasst. Mit der Spann- M Sintermetall
vorrichtung wird die Schleifscheibe auf der Spindel- K Kunstharz
nase der Schleifmaschine befestigt. Gehalten wird Konzentration GSS Galv. Metall
KSS Kunstharz
CBN

die Schleifscheibe in der Spannvorrichtung zur Über- Bezeichnung Kt /cm3


Bezugssystem I

tragung der Schleifkräfte kraftschlüssig zwischen C 25 1,1 MSS Sintermetall


VSS Keramik
Spannflanschen. Für gerade Schleifscheiben wer- C3 1,65
den zwei Arten unterschieden. Bild 4-101 gibt hier- C 50 2,2
zu Erläuterungen. C 75 3,3 Bindungshärte
C 100 4,4 sehr hart T
C 125 5,5 hart R
Für Schleifscheiben mit einem Verhältnis von Boh-
mittel N
rungs- zu Außendurchmesser d2 /d1 > 0,2 sind Schleif- C 135 6,0
C 150 6,6 weich J
scheibenspannvorrichtungen nach Bild 4-101a) vor-
Bezugss. II

Vol. %
gesehen. Der Kraftschluss wird durch auf einem Grundkörper
V 120 12
Teilkreis angeordnete Schrauben erzeugt. V 180 18 Aluminium A
V 240 24 Kunstharz B
2)
Außer dem Bezugsystem I mit dem Basiswert C 100, in
dem die Konzentration mit C abgekürzt wird, existiert in Bild 4-100
der Praxis ein Bezugsystem II mit dem Basiswert 24 % Spezifikation für ein Schleifwerkzeug mit Diamant oder Bor-
(Volumengehalt), der mit V 240 bezeichnet wird. nitrid als Kornwerkstoff (nach Fa. Winter/Fepa).
320 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Bei d2 /d1 ≤ 0,2 können Spannflansche nach Bild


4-101b) zur Anwendung kommen. Die Flansche wer-
den in diesem Fall axial mit einer Zentralmutter ge-
spannt.

Um Biegespannungen in den Schleifscheiben bei


Unebenheiten in der Einspannzone zu vermeiden,
werden als Zwischenlagen zwischen Spannflansch
und Schleifscheibe Pappe, Gummi und Kunststoff
verwendet. Seit kurzem kommen verbesserte Spann-
vorrichtungen zum Einsatz, die besonders gut Un-
ebenheiten in den Spannzonen ausgleichen können.

Sind große Genauigkeiten und Oberflächengüten an


Werkstücken gefordert, müssen die Schleifscheiben Bild 4-102
ausgewuchtet werden. Unwuchten an Schleifscheiben Ursachen für Schleifscheibenunwuchten.
führen zu Schwingungen und erzeugen zwischen Formbedingte Unwucht:
a) Spiel zwischen Bohrung und Schleifscheibenaufnahme
Schleifscheibe und Werkstück Relativbewegungen,
b) Breitenunterschiede
die als Rattermarken und Welligkeiten an der Werk- c) außermittige Bohrung
stückoberfläche sichtbar werden. d) strukturbedingte Unwucht: Unterschiede in der Schleif-
scheibendichte
Verschiedene Ursachen für Schleifscheibenunwuch-
ten zeigt Bild 4-102. Eine statische Unwucht liegt ner Fliehkraft noch ein Fliehkraftmoment entsteht.
vor, wenn das zu wuchtende Werkzeug nur eine Flieh- Dies ist der allgemeine Fall, der bei fast allen wal-
kraft F in einer Ebene besitzt. Sie entsteht meist bei zenförmigen Schleifwerkzeugen auftritt. Eine dyna-
scheibenförmigen Schleifwerkzeugen und lässt sich mische Unwucht kann nur im Lauf bestimmt wer-
durch sog. statisches Auswiegen beseitigen. Dazu den. Beseitigt wird sie durch Verschieben von Aus-
wird in der Wuchtebene ein Ausgleichgewicht, das gleichgewichten in zwei schwalbenschwanzförmi-
sich in einer schwalbenschwanzförmigen Nut be- gen Nuten oder durch andere Methoden.
findet, gegenüber dem Schwerpunkt verschoben.
Eine neuere Möglichkeit des Wuchtens an der Ma-
Eine dynamische Unwucht liegt vor, wenn außer ei- schine ergibt sich durch den Hydrokompensator.
Nach Bild 4-103 besteht dieser aus einem Mehrkam-
mer-Flüssigkeitsbehälter, der je nach Lage der elekt-
ronisch ermittelten Unwucht über Düsen während
des Laufs mit Kühlschmierstoffflüssigkeit gefüllt
werd. Steht die Scheibe, entleeren sich die Kammern
wieder. Bei jedem Anlauf wird neu gewuchtet.

4.7.1.2.5 Abrichten des Schleifwerkzeugs


Vor dem Schleifprozess muss das Schleifwerkzeug ab-
gerichtet werden. Hierbei wird dem Schleifwerkzeug
die im Schleifprozess verlorengegangene Maß- und
Formgenauigkeit sowie die Schärfe wiedergegeben.

Beim Abrichten werden Schleifmittelkörner teilwei-


Bild 4-101 se oder ganz z. B durch Spanen, Zerteilen, Abtra-
Schleifscheibenspannvorrichtungen: gen oder Umformen aus der Bindung gelöst. Dabei
a) Schleifscheibenaufnahme
wird eine dem Schleifprozess angepasste Schleif-
d2 /d1 > 0,2; ü = h /6; ü − 2 mm > rs > ü − 3 mm;
d3 = d2 + 2 ü ≥ (d1 + 5 d2)/ 6 scheibentopographie der Schleifscheibe hergestellt.
b) Spannflansch Abgerichtet wird hauptsächlich mit Diamantwerk-
d2 /d1 > 0,2; ü = h / 6; rs = d3 / 6; d3 = d1 / 3 zeugen, in wenigen Fällen mit Stahlwerkzeugen.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 321

Beurteilt wird die erzeugte Rauheit auf der Schleif-


scheibenoberfläche mit der sog. »Wirkrautiefe Rtso«
nach Pahlitzsch. Durch einen besonderen Schleif-
prozess (Abbildvorgang) ist es möglich, die Oberflä-
chengestalt der Schleifscheibe auf einem Prüfwerk-
stück abzubilden. Die Rautiefenwerte des Prüfwerk-
stücks sind ein Maß für die wirkende Rautiefe der
Schleifscheibe, die Wirkrautiefe.

Die Profiländerung in Verbindung mit den Einstell-


bedingungen lässt sich mit dem Überdeckungsgrad
Ud zusammen berücksichtigen:
bDd
Ud = [4-56]
fad
mit
bDd Wirkbreite des Werkzeugs in mm,
fad Vorschub beim Abrichten in mm/U.

Zum Erreichen der geometrischen Form und der

Bild 4-103
Aufbau eines Hydrokompensators, schematisch.

Abrichten von Schleifwerkzeugen aus Korund


oder Siliciumcarbid-Kornwerkstoff
Zum Handabrichten werden Abrichtstäbe, die mit
Silicium- oder Borcarbid gefüllt sind, sowie Ab-
richtwalzen aus Stahl und Abrichter mit umlaufen-
der Kegelrolle aus Siliciumcarbid verwendet. Ab-
richtwerkzeuge sind als Rollen, Kegel, Rädchen oder
Scheiben ausgebildet, deren Oberflächen gerade,
gewellt oder gezackt sein können. Diese Werkzeu-
ge werden beim Abrichten durch die umlaufende
Scheibe in Drehung versetzt. Mit Handabrichtge-
räten lassen sich Schleifscheiben in Schleifböcken
oder grobe Topfsegmentschleifscheiben abrichten.

Zum Abrichten auf Schleifmaschinen sind die Dia-


mant-Abrichtwerkzeuge nach den Bewegungsver-
hältnissen in stehende und bewegte eingeteilt.

Zu den stehenden Abrichtwerkzeugen gehören Ein-


korndiamant, Abrichtplatte und Vielkornabrichter
gemäß Bild 4-104. Bei diesen Werkzeugen ist das
Abrichten vergleichbar mit dem Drehprozess. Das Bild 4-104
Werkzeug wird an der im Schleifprozess wirksam Stehende Abrichtwerkzeuge.
werdenden Schleifkörperoberfläche entlang bewegt. 1 Abrichtrad
2 Abrichtrolle
Das sich hierbei auf der Schleifscheibe ausbildende
3 Abrichtigel
Abrichtgewinde ist abhängig von dem Seitenvor- 4 Abrichtplatte
schub fad und dem Profil des Abrichtwerkzeugs. Bild 5 Einkorndiamant
4-105 erläutert die Zusammenhänge. 6 Profil-Abrichtdiamant
322 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

der Rolle frd, der Diamantkorngröße und -konzen-


tration lässt sich das Abrichtergebnis in weiten Be-
reichen verändern: von ungefähr Rtso = 2 μm für
Schlichtbearbeitungen (qd = − 0,7) bis etwa 18 μm
für Schruppbearbeitungen (qd = + 0,9).

Form- bzw. werkstückgebundene Diamantabricht-


rollen werden in der Massenfertigung hauptsächlich
zum Profilieren der Schleifscheibe eingesetzt, z. B.
beim Profil-Gerad- und -Schräg-Einstechschleifen
auf Rundschleifmaschinen sowie beim Flachschlei-
fen. Das Profilabrichten erfolgt im Einstich. Erzeugt
wird das Profil in sehr kurzer Zeit über der gesam-
ten Schleifkörperbreite. Beispiele zeigt Bild 4-107.

In der Kleinserienfertigung sind häufig wechseln-


de Profilformen herzustellen. Diese lassen sich mit
Bild 4-105
Kinematische Zusammenhänge (nach Weinert). formungebundenen Diamantrollen – wie in Bild
a) Abrichten mit stehendem Abrichtwerkzeug: 4-108 gezeigt – wirtschaftlich abrichten. Gesteuert
aed Eingriffsdicke beim Abrichten werden die Formabrichtrollen mit Kopiereinrich-
bd Wirkbreite tungen oder mit Hilfe der NC-Technik.
vfad Abrichtvorschubgeschwindigkeit
vsd Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit beim Abrichten
Die Diamantabrichtrollen sind in besonderen Ab-
gd Anstellwinkel des Abrichtwerkzeugs
b) Ausgangswirkrautiefe Rtso in Abhängigkeit vom Abricht- richtvorrichtungen an der Schleifmaschine spiel-
vorschub fad bzw. Überdeckungsgrad Ud für unterschied- und schwingungsfrei gelagert. Sie haben meist ge-
liche Profilformen des Abrichtwerkzeugs (nach Messer) ringe Rundlaufabweichungen. Treten Rundlaufab-
weichungen auf, so ergeben sich schlechte Profil-
Schneidfähigkeit ist in mehreren Überläufen ab- übertragungen und unrunde Schleifkörper, die zu
zurichten. Die Eingriffsdicke beim Abrichten aed soll Rattermarken am Werkstück und außerdem zu ge-
etwa 0,03 mm/Hub betragen. Der Abrichtvorschub ringen Standzeiten der Abrichtrolle führen. Abge-
bzw. Überdeckungsgrad ist nach der zu erzeugen- richtet wird unter großer Zufuhr von Kühlschmier-
den Werkstückoberfläche zu wählen. Für kleine zu stoff (etwa 100 1/min) bei der Schleifgeschwindig-
erzeugende Werkstückrauheiten ist z. B. ein klei- keit vc = vsd.
ner Vorschub einzustellen. Während des Abrichtens
muss man das Werkzeug ausreichend kühlen (etwa Abrichten von Schleifwerkzeugen mit Diamant-
10 l/min für Einkorndiamant). oder Bornitrid-Kornwerkstoffen
Beim Abrichten von Schleifwerkzeugen mit Dia-
Die Einflussgrößen beim Abrichten mit bewegten mant (D)- oder Bornitrid-Kornwerkstoffen (CBN)
Werkzeugen zeigt Bild 4-106. Diamantabrichtrollen kann das Profilieren und Schärfen der Schleifschei-
sind an ihrer Oberfläche mit Diamanten ein- oder ben durch die große Härte der Kornwerkstoffe nicht
mehrschichtig belegt. Beim Abrichten wird die Ab- in einem Arbeitsgang wie bei herkömmlichen Schleif-
richtrolle angetrieben. Je nach dem Geschwindig- scheiben durchgeführt werden.
keitsquotienten
vRd Beim Profilieren der Schleifscheibe wird bei vielen
qd = [4-57] Verfahren die Oberfläche so eingeebnet, dass durch
vsd anschließendes Schärfen die Rauheit der Schleif-
mit scheibe erst erzeugt werden muss.
vRd Geschwindigkeit der Abrichtrolle in m/s,
vsd Abrichtgeschwindigkeit der Schleifscheibe in Bild 4-109 zeigt gebräuchliche Verfahren. Am ein-
m/s, fachsten sind Schleifbeläge mit geradliniger Kon-
der Drehrichtung zwischen Rolle und Schleifscheibe tur, am schwierigsten mehrprofilige Konturen abzu-
(Gegen- oder Gleichlauf), dem radialen Vorschub richten.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 323

Bild 4-106
Kinematische Zusammenhänge (nach Pahlitzsch/Schmitt).
a) Abrichten mit bewegtem Abrichtwerkzeug
frd radialer Abrichtvorschub Bild 4-107
vsd Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit beim Ab- Profilieren von Schleifscheiben mit Diamantabrichtrollen.
richten 1 Abrichtrolle
vR Rollenumfangsgeschwindigkeit 2 Schleifscheibe
nsd Schleifscheibendrehzahl beim Abrichten 3 Werkstück
nR Rollendrehzahl a) Anordnung der Achsen von Abrichtrolle, Schleifscheibe
+ Gleichlauf von Schleifscheibe und Rolle und Werkstück beim Gerad-Einstechschleifen
− Gegenlauf b) Anordnung der Achsen beim Schräg-Einstechschleifen
b) Ausgangswirkrautiefe Rtso in Abhängigkeit von dem Ge- g Winkel zwischen Werkstück und Schleifscheibe
schwindigkeitsquotienten qd gd Winkel zwischen Abrichtrolle und Schleifscheibe

Ein häufig angewendetes Verfahren ist das Abrich- Qualitätsgrenzen können vorgegebene Rauheiten,
ten mit Siliciumcarbidschleifscheiben. Hierbei wird noch zulässige Profil- und Rundheitsabweichungen
der abzurichtende Schleifbelag schleifend bearbei- und Auftreten von Brandflecken oder Rattermarken
tet. Die notwendige Relativbewegung zwischen der an der Werkstückoberfläche sein. Zur Wiederher-
Siliciumcarbid-Abrichtscheibe und dem Schleifwerk- stellung der geometrischen Form und der Schneid-
zeug kann über einen eigenen Antrieb oder durch fähigkeit wird die Schleifscheibe abgerichtet. Ab-
Mitnahme der Schleifscheibe bei gleichzeitigem richtverfahren und -bedingungen legen den Aus-
Bremsen der Abrichtscheibe erfolgen. Während des gangszustand der Schleifscheibe fest.
Abrichtvorgangs mehrprofiliger Schleifbeläge ver-
schleißt die Abrichtscheibe stark, so dass sie öfter 4.7.1.3.1 Änderung des Schneidenraums im
nachprofiliert werden muss. Um den notwendigen Schleifprozess
Kornüberstand beim Schärfen von metallgebunde- Die Schneidfähigkeit des Schneidenraums ändert
nen Diamant- und Bornitridschleifscheiben zu errei- sich beim Schleifen infolge von Verschleiß. Sie än-
chen, wird ein Schärfstein aus keramisch gebunde- dert sich um so schneller, je größer die auftretenden
nen konventionellen Schleifmitteln verwendet. Beim
Schärfen von Scheiben mit großen Korndurchmes-
sern wird der Bindungswerkstoff elektrolytisch zu-
rückgesetzt.

4.7.1.3 Der Schleifprozess


Der Prozessverlauf wird hauptsächlich durch das
Verhalten der Schleifscheibe bestimmt. Der Schleif-
scheibenzustand ändert sich unter der Einwirkung
mechanischer und thermischer Beanspruchung
und beeinflusst die Werkstückqualität. Erreicht die
Werkstückqualität nach einer Schnittzeit eine vor-
gegebene Qualitätsgrenze, so ist ein Standzeitende Bild 4-108
der Schleifscheibe gegeben. Abrichten mit formungebundenen Richtrollen.
324 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

»stehende« Abrichtwerkzeuge »bewegte« Abrichtwerkzeuge


Abrichtwerkzeug
ohne
mit Diamant mit Diamant ohne Diamant
Diam.

Vielkornabrichter

rolle oder -block


Diamantabricht-

Diamantabricht-

langspanender

Stahlrolle, z. B.
Siliciumcarbid-
Einzeldiamant

»Roll-2-Dress«
Schleifmittel

Crushierrolle
Abrichtleiste

(Pro-dress)

Molybdän

scheibe
scheibe

Stahl
Bindungsart

Kunstharzbindungen
Metallbindungen
Diamant

(überwiegend Bronze)
Crushierbare Metallbindungen S
Keramische Bindungen

Kunstharzbindungen S S
Metallbindungen
CBN

(überwiegend Bronze)
Crushierbare Metallbindungen S S S

Keramische Bindungen

Bild 4-109
Gebräuchliche Verfahren zum Abrichten von Diamant- und CBN-Schleifwerkzeugen (nach Fa. Winter/Meyer).
S zusätzliches Schärfen erforderlich.

Belastungen an den einzelnen Schneiden der Kör- 4.7.1.3.2 Rauheit


ner im Schneidenraum werden, wie Bild 4-110d) Zu den wichtigsten Oberflächenkenngrößen eines
zeigt (s. a. Abschn. 4.7.1.1.3). Dies erfolgt so lange, Werkstücks gehört die Rauheit R. Sie ermöglicht
bis sich der Schneidenraum so vergröbert hat, dass Aussagen über die Feingestalt einer Oberfläche.
ein Gleichgewichtszustand zwischen den Haltekräf-
ten der Körner in der Schleifscheibe und den Schleif- Die gebräuchlichen Rauheitsmaße sind die Rautie-
kräften besteht. Die Schleifscheibe arbeitet im »Selbst- fe Rt, der arithmetische Mittenrauwert Ra und die ge-
schärfbereich«. Die Schleifscheibe verschleißt ste- mittelte Rautiefe Rz, die noch nach DIN nur noch
tig weiter bei nahezu konstanter Schleifkraft, Bild verwendet werden sollte. Bild 4-111 verdeutlicht Ein-
4-110c). Diese wird bestimmt durch die Abrichtbe- zelheiten. Zur Ermittlung von Rz wird die Bezugsstre-
dingung in Verbindung mit dem jeweiligen Zeit- cke ln in fünf gleichlange Strecken unterteilt. Inner-
spanvolumen. Bei kleiner Belastung stumpfen die halb dieser Teilstrecken wird dann die jeweilige Rau-
Kornflächen ab, und die Körner splittern. Die Schnei- tiefe Rt gemessen. Rz5 ist der Mittelwert dieser fünf
denzahl an den Körnern erhöht sich. Der Verschleiß Einzelrautiefen. Zur Kennzeichnung von Gleit- und
und die Rauheit im Schneidenraum sinken wie auch Wälzoberflächen wird auch häufig die Abottsche
die Rauheit am Werkstück. Mit zunehmender Schleif- Tragkurve beziehungsweise der Profiltraganteil tp
zeit geht der Einfluss der Abrichtbedingungen auf für bestimmte Schnittlinientiefen ermittelt. Der Profil-
den Schneidenraum allmählich verloren. traganteil tp ist das Verhältnis der tragenden Länge
des Profils zur Bezugsstrecke lm, wie Bild 4-112 zeigt.
Die Rauheitsänderung am Werkstück und an der
Schleifscheibenoberfläche ist wie bei der Schleif- Erfasst wird die Rauheit allgemein beim Spanen
kraft und dem Verschleiß abhängig vom Zeitspanvo- hauptsächlich mit Tastschnittgeräten, z. B. mit ei-
lumen Q und dem Anfangszustand der Schleifschei- nem Perth-O-Meter, das quer zu den Schleifriefen
benoberfläche, wie Bild 4-110a) zeigt. Durch Abstim- an gesäuberten Werkstücken die Oberfläche mit ei-
men von Abricht- und Schleifbedingungen lassen ner Nadel abtastet. Geräte, die nach dem Licht-
sich Rauheitsänderungen am Anfang des Schleif- schnitt- oder Interferenzverfahren arbeiten, werden
prozesses eingrenzen. Für die in Bild 4-110b) ge- beim Läppen eingesetzt. Rauheitsmessungen im
wählte Schleifbedingung wäre der Abrichtvorschub Schleifprozess unter Kühlmitteleinfluss sind seit
fad = 0,2 mm/U die geeignete Abrichtbedingung. kurzem mit neuen Messgeräten möglich.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 325

Rts Rz Das Geschwindigkeitsverhältnis q beeinflusst die


15 Bildung des Rauheitsprofils am Werkstück. Bei zu-
Q ’ = 3 mm3/mm × s
m m nehmendem Geschwindigkeitsverhältnis überlagern
Werkstückrautiefe Rz

10
sich immer mehr Schneidprofile der Scheibe auf der
Wirkrautiefe Rts

1 fad = 0,2 mm Werkstückoberfläche (s. a. Abschn. 4.7.1.2.2), so


dass sich die Rauheit vermindert. Dies kann er-reicht
5 werden durch eine höhere Schleifscheibenumfangs-
geschwindigkeit vs bzw. eine kleinere Werkstückum-
0 0,2
fangsgeschwindigkeit vw. Dabei steigt die Tempera-
a)
tur in der Randzone des Werkstücks und damit die
15 Gefahr von Schleifbrand und -rissen. Kleinere q-
m m
Q’= 1 fad = 0,4 mm Werte zeigen diese Nachteile nicht. Mit extrem klei-
0,3 nen q-Werten (q < 6) bei entsprechend großen Werk-
Wirkrautiefe Rts

10
stückumfangsgeschwindigkeiten vw werden kleine
Rauheiten und niedrige Schleiftemperaturen er-
5 reicht.
0,2
0,1
0 Beim Außenrundschleifen ist das Geschwindigkeits-
b) verhältnis q = 60 bis q = 80. Beim Planschleifen
kennt man zwei Bereiche: Für das Pendelschleifen
12
Q’= 1 gilt q = 50 bis 450 und für das Tief- oder Voll-
N
mm schnittschleifen q = 1000 bis 250 000.
bez. Normalkraft Fn’

fad = 0,1 mm
6 P M P Oberflächenprofil
0,2
M mittlere Linie
3
0,4
0 R M
Rt
c)
R Rauheitsprofil
20 ln Gesamtmessstrecke
ln Rt max. Rautiefe
m m Q’= 1
15
Radialverschleiß D rs

y
fad = 0,2 mm
x Ra Mittenrauwert
10
A60 K8 V
Ra
ln
Ra = 1 y dx
lm
5
Z t1 Z t2 Z t3 Z t4 Z t5
0
0 200 400 600 800 Rz5 gemittelte Rautiefe
Schnittzeit tc
d) Rz5 = 1 (Zt1 + Zt2 + Zt3 + Zt4 + Zt5)
lr 5
Bild 4-110 ln = 5 × lr lr Einzelmessstrecken
Schleifergebnisse in Abhängigkeit von der Schnittzeit tc:
a) Wirk- und Werkstückrautiefe bei verschiedenen Zeitspan- Bild 4-111
volumen Q’ und konstantem Abrichtvorschub fad Rauheitskenngrößen, s. a. Bild 4-193, S. 377.
b) Wirkrautiefe bei konstantem Zeitspanvolumen und verschie-
denen Abrichtvorschüben 0
c) bezogene Schleifnormalkraft F’n bei konstantem Zeitspan-
3
volumen und verschiedenen Abrichtvorschüben
d) Radialverschleiß Drs bei konstantem Zeitspanvolumen und
Profiltiefe

6
dem Abrichtvorschub fad = 0,2 mm
9
m m
Die sich im Schleifprozess einstellende Rauheit wird 12
bestimmt durch das Geschwindigkeitsverhältnis 0 25 50 mm 100
q = vs / vw, die Schleifscheibenumfangsgeschwin-
Bezugsstrecke lm Traganteil tp

digkeit vs und das Zeitspanvolumen Q bzw. die hier- Bild 4-112


mit verbundene Eingriffsdicke ae. Profiltraganteil tp, grafisch dargestellt.
326 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Ein größeres Zeitspanvolumen bzw. ein größerer


Vorschubeingriff verursacht eine zunehmende Rau-
heit. Wird der Vorschubeingriff bis af = 0 im Schleif-
prozess zurückgenommen (Ausfunken), nimmt die
Rauheit ab.

Liegen für eine Schleifscheiben-Werkstückstoff-


Kombination die Einstellbedingungen fest, so ist die
Rauheit nur noch von der Art der Schleifscheiben
abhängig. In diesem Fall hat die Körnung den grö-
ßeren Einfluss im Vergleich zum Gefüge und zur
Scheibenhärte.
Bild 4-114
4.7.1.3.3 Schleifkraft und Schleifleistung
Entwicklung der bezogenen Schleifkräfte in Abhängigkeit vom
Komponenten der Schleifkraft sind die Normal-, die bezogenen Zeitspanvolumen beim Außenrund-Einstechschlei-
Tangential- und die Vorschubkraft. Bild 4-113 ver- fen (Schleifscheibe: A60 K 8 V; Werkstückstoff: C45E (Ck 45 N);
deutlicht die Zusammenhänge. Die Normalkraft Fn vc = 45 m/s; q = 60; Kühlschmierstoff: Emulsion 2 %).
steht senkrecht auf der zu bearbeitenden Fläche und
ist verantwortlich für die Verformungen von Ma- Werden die Komponenten der Schleifkraft auf die
schine, Werkstück und Werkzeug. Die Tangential- Breite des aktiven Scheibenprofils bezogen, so er-
kraft Ft = Fc wirkt, bezogen auf das Werkstück, tangen- geben sich die bezogenen Schleifkräfte F’n , F’t
tial zur Scheibenoberfläche in Richtung der Schnitt- und F’f .
bewegung und bestimmt die im Schleifprozess not-
wendige Schleifleistung. Die Vorschubkraft Fa bzw. Schleifkräfte können mit Kraftsensoren gemessen
Ff wirkt in Vorschubrichtung und ist verhältnismäßig werden. Hierfür verwendete Messelemente sind
klein. Piezo-Quarze beim Planschleifen, Dehnmessstrei-
fen beim Außenrundschleifen oder Induktivaufneh-
mer beim Spitzenlos-Schleifen. Mit dem Zeitspan-
volumen Q = f (vf, af ) nimmt auch die Schleifkraft
zu, wie Bild 4-114 zeigt.

Der Schleifkraftverlauf für die bezogene Tangen-


tialkraft F’t kann angenähert nach
F’t O kc grind Akt oder [4-58]
F’t O hch kc grind mit [4-59]
Akt Eingriffsquerschnitt in mm2,
hch Spandicke in mm,
kc grind spezifische Schleifkraft in N/mm2

beschrieben werden. Setzt man vereinfacht für


vft ae Q ¢
hch O O , so gilt [4-60]
vc vc

Ft’ O ◊k mit
vc c grind
Bild 4-113
Schleifkräfte bei verschiedenen Schleifverfahren (auf das Q’ bezogenes Zeitspanvolumen in mm3/mm⋅ s,
Werkstück bezogen):
vc Schnittgeschwindigkeit in mm/s.
a) Plan-Umfangsschleifen
b) Plan-Seitenschleifen
c) Außenrund-Längsschleifen Der Zusammenhang zwischen Normal- und Tangen-
d) Außenrund-Einstechschleifen tialkraft ist durch das Kraftverhältnis m gegeben:
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 327

Tabelle 4-4. Mittlere spezifische Schleifkraft kc grind für verschiedene Werkstückstoffe (Körnung 60 bis 120; vc = 30 m/s
bis vc = 45 m/s).

Werkstoff kc grind Werkstoff kc grind

kN/mm2 kN/mm2

S235 (St 37) 30,41 55NiCrMoV6 (geglüht) (55 NiCrMoV 6) 29,75


E295, C35E (St 50, Ck 35) 34,03 55NiCrMoV6(vergütet) (55 NiCrMoV 6) 32,83
E335 (St 60) 36,08 EN-GJL-250 (GG 26) 18,98

E360 (St 70) 38,65 GS-45 (GS 45) 26,33

C45E, C45 (Ck 45, C 45) 37,96 GS-52 (GS 52) 29,24
C60 (C 60) 36,42 GJMW, GJMB (GTW, GTS) 19,32
16MnCr5 (16 MnCr 5) 35,91 Gussbronze 30,44
19CrNi8 (18 CrNi 8) 38,65 Rotguss 10,94
42CrMo4 (42 CrMo 4) 42,75 Messing 13,33
34CrMo4 (34 CrMo 4) 38,30 Aluminiumguss 10,94
50CrMo4 (50 CrMo 4) 37,96 Magnesiumguss 4,79
15CrMo5 (15 CrMo 5) 39,16

Fn Fn¢
m= = . [4-61] ten. Diese Temperaturen können zu Brandflecken
Ft Ft ¢ auf der geschliffenen Fläche des Werkstücks und zu
Gefügeänderungen führen.
Es ist abhängig von der Schleifscheiben-Werkstück-
stoffpaarung und den Kühlschmierbedingungen. Das Kühlschmiermittel (Öl-in-Wasser-Emulsion
Allgemein liegt das Kraftverhältnis zwischen m = 2 oder Öl) hat folgende Aufgaben:
und m = 3.
– Vermindern der Reibung zwischen Schleifkorn
Die Schnittleistung Pc ist der Tangentialkraft Ft di- und Werkstück,
rekt proportional: – Kühlung der Werkstückoberfläche,
Pc = Ft vc. [4-62] – Reinigung und Benetzung der Schleifscheibe,
– Korrosionsschutz für Maschine und Werkstück-
Unter Berücksichtigung des Wirkungsgrades h ist stoff.
die Motorleistung
Pc Eine abnehmende Reibung ergibt eine kleinere
PM = . [4-63] Schleifkraft und eine geringere Rauheit sowie eine
h niedrige Schleiftemperatur und geringen Verschleiß.
Diese Verbesserungen sind besonders groß bei rei-
ner Ölkühlung. Der Einsatzbereich von Öl ist be-
4.7.1.3.4 Schleiftemperatur und Kühlung grenzt durch eine vorgeschriebene Vollkapselung
Schleifkräfte und -temperaturen in der Randzone des der Schleifmaschine und eine Absaugung der Öl-
Werkstücks stehen in einem engen Zusammenhang. dämpfe sowie durch entstehende Probleme bei der
Die beim Zerspanungsvorgang benötigte Schleif- Werkstückreinigung.
leistung Pc wird bis zu 80 % in Wärme umgewandelt,
die vorwiegend in das Werkstück übergeht. Somit Außer dem Kühlschmiermittel beeinflusst auch die
wird deutlich, dass mit steigender Eingriffsdicke ae Leistung des Zuführsystems das Schleifergebnis er-
und höherer Umfangsgeschwindigkeit der Schleif- heblich. Eine Durchflussmenge von z. B. 5 l/min bei
scheibe vs die Temperatur zunimmt. Bild 4-115 zeigt 1 mm Schleifscheibenbreite und einem Zuführdruck
Temperaturen in der Randzone in Abhängigkeit von von 20 bar ermöglicht eine größere Schleifleistung
der Eingriffsdicke bei verschiedenen Kühlungsar- und eine geringere Rauheit.
328 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

800
trocken Für Schleifwerkzeuge mit Schleifmitteln aus Edel-
°C korund oder Siliciumcarbid liegen die Werte im
Bereich G = 20 bis 60. Schleifwerkzeuge mit Dia-
Maximaltemperatur Jmax

600
mant- oder Bornitridkornwerkstoffen erreichen G-
Emulsion
Werte über 500.
400
Schleiföl
4.7.1.3.6 Einflüsse verschiedener Einstell-
200 größen auf das Schleifergebnis
Eine größere Schleifscheibenumfangsgeschwindig-
0
keit vs bzw. Schnittgeschwindigkeit vc ergibt eine klei-
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 mm 0,6 nere Schleifkraft wegen der kleiner werdenden Span-
Eingriffsdicke ae dicke hch. Mehr Schneiden tragen das Werkstück-
Bild 4-115 volumen ab. Die erhöhte Schneidenanzahl bei vermin-
Maximale Schleiftemperatur in Abhängigkeit von der Ein- derter Spandicke hch je Schneide bewirkt flachere
griffsdicke und verschiedenen Kühlungsarten (nach König). Schleifriefen und damit eine geringere Werkstückrau-
heit. Weiter ergibt sich als Folge der abnehmenden
Eine weitere Verbesserung des Schleifergebnisses Belastung je Schneide ein verminderter Scheibenver-
wird durch Freispülen der Schleifscheibe beim schleiß. Die Schnittgeschwindigkeit wird begrenzt
Schleifen erreicht. Hierzu werden mehrere Reini- durch die sich einstellende hohe Temperatur in der
gungsdüsen am Umfang der Schleifscheibe ange- Kontaktzone einschließlich der Kühlprobleme so-
bracht, die mit hohen Drücken bis zu 100 bar und wie durch die Bruchumfangsgeschwindigkeit und
kleinen Düsenspalten die Schleifscheibenporen aus- die damit notwendigen Sicherheitsvorrichtungen zum
spritzen. Schutz der Bedienungsperson und der Maschine.

4.7.1.3.5 Schleifscheibenverschleiß Zur Steigerung des bezogenen Zeitspanvolumens


Man unterscheidet zwischen dem Radialverschleiß Q¢ = vw ae = vft ae kann außer der Eingriffsdicke ae
Δrs und dem Kantenverschleiß Δrsk. Beide Verschleiß- beim Außenrundschleifen die Werkstückumfangsge-
arten sind bei der Berechnung der Werkzeugkosten schwindigkeit vw verändert werden. Eine Erhöhung
von Bedeutung. Änderungen des Schneidenraums von vw bewirkt eine Temperaturverminderung in der
werden mit dem Radialverschleiß erfasst und die Randzone des Werkstücks. Die sich ausbreitende
der geometrischen Form der Schleifscheibe durch Wärme in der Kontaktzone hat nicht genügend Zeit,
den Kantenverschleiß. tiefer in die Oberfläche zu wandern, da die nachfol-
genden Schneiden die erwärmte Schicht sofort wie-
Mit zunehmendem bezogenen Zeitspanvolumen Q¢ der abschleifen.
vergrößert sich der Verschleiß am Schleifwerkzeug
0,90
infolge zunehmender Schleifkraft, wie Bild 4-116
zeigt, da durch die größere Belastung ganze Körner mm D rsk
aus der Schneidfläche ausbrechen. Im Bereich klei-
Kantenverschleiß D rsk
Radialverschleiß D rs

ner Zeitspanvolumina überwiegt der Verschleiß 0,60


durch Abrieb und Mikroausbruch am Schleifkorn.
D rs
D rsk

Für Schleifarbeiten mit großer Profilgenauigkeit


0,30
sind härtere Schleifwerkzeuge zu verwenden, da
diese langsamer verschleißen und länger ihre Pro-
D rs
filform beibehalten.
0
0 10 20 mm3 / mm × s 30
Zur Beurteilung des Verschleißverhaltens von Schleif-
bezogenes Zeitspanvolumen Q ’
werkzeugen wird außer Δrs und Δrsk der Verschleiß-
Bild 4-116
quotient G gebildet (Gl. [4-64]):
Entwicklung der Schleifscheibenverschleißarten in Abhängig-
Vw (t) abgetragenes Werkstückvolumen keit vom bezogenen Zeitspanvolumen (Schleifscheibe: A60 K8 V;
G= = . Werkstückstoff: C45E (Ck 45 N), vc = 45 m/s; q = 60; Kühl-
Vs (t) Scheibenverschleißvolumen schmierstoff: Emulsion 2 %).
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 329

Bei verschiedenen Schleifverfahren besteht die Mög- schaftlich über ein Regelmodell steuern. Bei einem
lichkeit, sowohl die Werkstückgeschwindigkeit als allgemeinen Signalflussplan für Adaptiv-Control-
auch die Zustellung bzw. Eingriffsdicke ae gegensin- Systeme unterscheidet man die ACO-Regelung (Adap-
nig so zu verändern, dass sich verschiedene Verfah- tiv Control Optimization) und die ACC-Regelung
rensvarianten ergeben, z. B. beim Planschleifen das (Adaptiv Control Constraint). Bei einer ACO-Re-
Pendel- und Tiefschleifen. Das Tiefschleifen erfolgt gelung wird der Prozess nach vorgegebenen Qua-
mit großem Vorschub af und niedriger Werkstück- litätskriterien so geregelt, dass die Kosten minimal
geschwindigkeit vw, das Pendelschleifen mit klei- werden. Bei einer ACC-Regelung werden durch
nem Vorschub und großer Werkstückgeschwindig- Änderung einer oder mehrerer Einstellgrößen die
keit. Kenngrößen des Schleifprozesses konstant gehalten.
So verändert man beim Planschleifen die Vorschub-
Für das Tiefschleifen müssen allgemein die verwen- bewegung des Schleiftisches, um bei unterschied-
deten Schleifscheiben über einen genügend großen lichen Aufmaßen mit konstanten Schleifkräften zu
Spanraum bzw. Porenraum verfügen, da eine klei- arbeiten.
ne Werkstückgeschwindigkeit in Verbindung mit
großer Zustellung zu einem größeren Werkstoffab- 4.7.1.3.8 Kostenberechnung
trag je Spanraum führt. Eine große Zustellung be- Aus den Schleifergebnissen in Verbindung mit den
wirkt eine große Schleifkraft. Der Leistungsbedarf Qualitätsgrenzen ergeben sich Beurteilungskriterien
der Maschine für Tiefschleifaufgaben nimmt zu. wie Werkstückqualität, Schleifscheibenstandzeit
Der Antriebsmotor muss also eine entsprechend gro-
ße Schleifleistung zulassen. vf1 Q ’ = f(vf1)
bez. Zerspanleistung Q ’
Zustellgeschwindigkeit vf

4.7.1.3.7 Mehrstufiger Schleifprozess


Beim mehrstufigen Schleifen besteht die Aufgabe
darin, das Schleifaufmaß eines Werkstücks in mög- Q 2’ (t )eff
lichst kurzer Zeit, d. h. kostengünstig abzutragen
und eine geforderte Werkstückrauheit unter Einhal-
tung vorgegebener Maßtoleranzen zu erzeugen. Dies Q 1’ (t )eff
ist zu erreichen, wenn der Schleifprozess in die Stu- Q 3’ (t )eff vf3 = 0

fen Schruppen, Schlichten und Ausfunken unter- vf2


teilt wird. Eine kurze Schleifzeit lässt sich nur durch Schruppen Schlichten Ausfunken
ein erhöhtes Zeitspanvolumen Q bzw. eine größere
Einstechgeschwindigkeit in der Schruppphase ver-
D rw3

wirklichen. Die Qualität wird in der Schlicht- und


Radiusabnahme des Werkstücks D rw

Ausfunkphase erreicht. In diesem Fall lässt sich der


Rauheitswert um bis zu 40 % verbessern.
D rw2

Bild 4-117 zeigt den grundsätzlichen Verlauf eines


mehrstufigen Schleifprozesses beim Außenrund-
Einstechweg l f

Einstech-Schleifen. Die bezogenen Zeitspanvolumi- lf D rw


na betragen beim Schruppen Q¢1 und beim Schlichten
Q¢.
2
Das effektive Zeitspanvolumen folgt den einge-
stellten Werten, verzögert durch Nachgiebigkeiten
im Maschinensystem. Zunächst wird weniger ab- Zeit tc

geschliffen, als eingestellt worden ist. Nachdem der Bild 4-117


Federweg des Maschinensystems durchfahren ist, Mehrstufiger Schleifvorgang: Der eingestellten Vorschubge-
sind Stellgrößen und effektive Größen identisch. schwindigkeit vf1 folgt das effektive Zeitspanvolumen Q¢1 verzö-
gert; dem Vorschubweg lf folgt der am Werkstückradius ge-
messene Abschliff Drw verzögert. Beim Erreichen des Schlicht-
Ein mehrstufiger Schleifprozess ist sehr viel schwie-
aufmaßes D rw2 wird auf Schlichtschubgeschwindigkeit vf2
riger optimal einzustellen als ein einstufiger Prozess, umgeschaltet. Beim Aufmaß D rw wird so lange ausgefunkt,
da sich mehr frei wählbare Einstellparameter erge- bis das Sollmaß erreicht ist; dann fährt der Schleifsupport
ben. Schleifmaschinen dieser Art lassen sich wirt- zurück (nach Saljé/Mushardt).
330 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Hierin bedeuten:
Vs Schleifscheibenverlustvolumen beim Schleifen

Fertigungskosten je Werkstück Ke
Fertigungszeit je Werkstück te

Ke in mm3,
te
td× kpl kw Kosten je Schleifscheibenvolumeneinheit in
td /mT €/mm3,
mT Standzahl der gefertigten Werkstücke zwischen
zwei Abrichtungen der Scheibe.
tc× kpl
tc
Die Abrichtkosten je Werkstück sind
Kd /mT
kpl ted + Vsd kw K wd
Qopt Qopt Kd = + . [4-68]
Zeitspanvolumen Q Zeitspanvolumen Q
mT m Td
a) b)
Bild 4-118 ted ist die Zeit je Werkstück durch Abrichten in s
a) zeitoptimales und b) kostenoptimales Schruppzeitspanvo- ted = td + tnd mit [4-69]
lumen (ohne die konstanten Zeitanteile).
td Abrichtzeit
sowie Fertigungskosten und Ausbringung. Bei Opti- tnd Nebennutzungszeit je Abrichtvorgang,
mierungsaufgaben wird allgemein angestrebt, durch Vsd Schleifscheibenverlustvolumen durch Abrichten,
die richtige Wahl der Einstellgrößen die Fertigungs- Kwd Abrichtwerkzeugkosten
kosten für ein Werkstück unter Einhaltung der Qua- mTd Abrichtstandzahl, die angibt, wieviel mögliche
litätsgrenzen zu minimieren. Abrichtvorgänge mit einem Abrichtwerkzeug
durchgeführt werden können.
Die Kosten für die Bearbeitung eines Werkstücks
Ke setzen sich zusammen aus den schleifzeitab- Die Ausbringung M errechnet sich aus der effektiven
hängigen Kosten Kc und den werkzeugabhängigen Stückzeit:
Kosten Kw: 1 1
M= = . [4-70]
Ke = Kc + Kw. [4-65] teff effektive Stückzeit
Die schleifzeitabhängigen Kosten ergeben sich aus Mit zunehmendem Zeitspanvolumen wird tc kleiner.
der Fertigungszeit für jedes Werkstück te und dem Gleichzeitig vermindert sich mT. Die auf ein Werk-
Platzkostensatz kpl: stück entfallenden Abrichtzeiten und Abrichtkos-
Kc = kpl te = kpl (tc + tn). [4-66] ten steigen an. Für die Kosten der Bearbeitung ei-
nes Werkstücks Ke ergibt sich ein Optimum. Diese
In den werkzeugabhängigen Kosten Kw sind das Zusammenhänge gehen aus Bild 4-118 hervor.
Verlustvolumen der Schleifscheibe im Prozess zu
berücksichtigen sowie die Abrichtkosten je Werk- 4.7.1.4 Schleifverfahren
stück Kd: Die Schleifverfahren sind nach Merkmalen der her-
Vs kw zustellenden Flächenform gemäß Bild 4-119 unter-
Kw = + Kd . [4-67] teilt. Durch Planschleifen werden z. B. ebene Flächen
mT
3 3 1

Schleifen
mit rotierendem
Werkzeug
DIN 8589 T1

3 3 1 1 3 3 1 2 3 3 1 3 3 3 1 4 3 3 1 5 3 3 1 6

Plan- Rund- Schraub- Wälz- Profil- Form-


schleifen schleifen schleifen schleifen schleifen schleifen
Bild 4-119
Einteilung der Schleifverfahren
(nach DIN 8589-1).
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 331

Bild 4-120
Wichtige Schleifverfahren und die zugehörigen Einstellgrößen.
➊ Außen-Rund-Umfangs-Längsschleifen ➑ Plan-Seiten-Längsschleifen
➋ Außen-Rund-Umfangs-Einstechschleifen ➒ Plan-Umfang-Drehschleifen
➌ Innen-Rund-Längsschleifen ➓ Plan-Seiten-Drehschleifen
➍ Innen-Rund-Einstechschleifen vc Schnittgeschwindigkeit
➎ Außen-Rund-Seiten-Längsschleifen vfa Vorschubgeschwindigkeit (axial)
➏ Plan-Umfang-Längsschleifen vfr Vorschubgeschwindigkeit (radial)
➐ Plan-Umfang-Einstechschleifen vft Vorschubgeschwindigkeit (tangential)

und durch Rundschleifen kreiszylindrische Flächen verfahren mit ihren Einstellgrößen zeigt Bild 4-120.
erzeugt. Weiterhin unterscheidet man Die Schnittbewegung ist durch die Schnittgeschwin-
– Außen- und Innenbearbeitung, digkeit vc gekennzeichnet und die Vorschubbewe-
– Art des verwendeten Schleifwerkzeugs (Um- gung durch die Bewegungsrichtungen, bezogen auf
fangs- und Seitenschleifscheiben), das Schleifwerkzeug, mit den Vorschubgeschwin-
– Art der Vorschubbewegung (Längs- und Ein- digkeiten vfa, vfr und vft (a für axial, r für radial, t für
stechbewegung). tangential). Die Vorschubbewegung kann schritt-
weise (diskontinuierlich) oder stetig (kontinuierlich)
Einige sich daraus ergebende Plan- und Rundschleif- erfolgen.
332 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.7.1.4.1 Planschleifen fahr des »Brennens« steigt, da die Eingriffslängen


Unterschieden wird das Plan-Umfangs- und das je Korn länger werden und sich die Spanräume
Plan-Seitenschleifen. Die Vorschubbewegung er- schneller füllen.
folgt geradlinig mit einem Längstisch oder drehend
mit einem Rundtisch bei vertikaler oder horizonta- Die Vorschubbewegung des Werkstücks kann dabei
ler Schleifspindelanordnung. rotatorisch und stetig auf Drehtischen oder trans-
latorisch und pendelnd auf Plantischen erfolgen.
Beim Plan-Umfangsschleifen wird der Werkstoff
mit der Mantelfläche der Schleifscheibe im Gleich- Wegen dieser Verfahrensvielfalt und der Möglich-
oder im Gegenlauf abgetragen. Das Gleichlauf- keit, das Werkstück im Durchlauf schleifen zu kön-
schleifen belastet die Schneiden infolge des Ein- nen, wird das Seitenschleifen wirtschaftlich in der
griffs schlagartig. Im Gegenlauf werden die Schnei- Massenfertigung angewendet, bei der eine Ebenheit
den stetig belastet durch die anfänglich kleinere und Planparallelität kleiner als 5 μm gefordert wird.
Spanungsdicke.
Durch Seitenschleifen mit Segmentschleifschei-
Der große Vorteil beim Plan-Umfangsschleifen sind ben lässt sich ein Zeitspanvolumen etwa bis zu 200
das einfache Spannen des Werkstücks auf einer mm3/mm ⋅ s erzielen, das mit anderen Schleifverfah-
Magnetspannplatte und die große Formgenauigkeit ren kaum zu erreichen ist. Maschinen mit einer An-
der bearbeiteten Fläche sowie die kleine erreichba- triebsleistung von mehr als 100 kW je Schleifschei-
re Oberflächenrauheit. benspindel bei einem Schleifscheibendurchmesser
von 2000 mm sind bereits realisiert worden.
Gleichungen für die Berechnung des Eingriffsquer-
schnitts, des Zeitspanvolumens sowie für die Schleif- 4.7.1.4.2 Rundschleifen
und Hauptzeit gibt Bild 4-121 wieder. Die wichtigs- Dies Verfahren wird unterteilt in Außen- und Innen-
ten Bauformen von Planschleifmaschinen mit hori- rundschleifen zwischen Spitzen sowie in das spit-
zontaler Schleifspindel zeigt Bild 4-122. Die Vor- zenlose Außen- und Innenrundschleifen.
schubbewegungen sind auf verschiedene Achsen
aufgeteilt. In Bild 4-122a) ist die Maschine mit Kreuz- Beim Außenrundschleifen zwischen den Spitzen
tisch und fester Rahmensäule ausgeführt. Einge- wird das Längsschleifen, das Längsschälschleifen,
setzt wird die Maschine zur Bearbeitung kleinerer das Einstechschleifen und das Schrägeinstechschlei-
Werkstücke. Größere Werkstücke lassen sich vor- fen unterschieden, wie Bild 4-123 näher erläutert.
teilhafter mit den Bauformen gemäß Bild 4-122b)
und 4-122c) bearbeiten, da das Werkstück nur in x- Beim Längsschleifen ist außer der Rotationsbewe-
Richtung bewegt werden muss. Die Zustellungen in gung die typische Bewegung eine Längsbewegung,
z- und y-Richtung können leichter über die Maschi- die von der Schleifscheibe oder dem Werkstück pa-
nensäule erfolgen. rallel zur Werkstückachse ausgeführt wird. Mei-
stens bewegt sich der Tisch mit dem Werkstück. Bei
Das Plan-Seitenschleifen (Stirnschleifen) wird mit Walzenschleifmaschinen bewegt sich der Schleif-
Topfschleifscheiben oder Schleifrädern mit Seg- schlitten in Längsrichtung. Die Zustellung erfolgt
menten ausgeführt. Vorteilhaft lassen sich Werkstü- entweder bei jeder Tischumkehr oder auf einer Sei-
cke mit planparallelen Flächen durch zwei gegen- te nach jedem Doppelhub. Am Ende eines jeden
überliegende Segmentschleifscheiben gleichzeitig Hubs sollte die Schleifscheibe um das 0,3fache bis
im Durchlauf- oder Taktverfahren bearbeiten. Dies 0,5fache der Scheibenbreite überlaufen. Durch meh-
können Wendeschneidplatten, Uhrenteile, Kugella- rere Leerhübe (Ausfunken) lässt sich die Formgenau-
ger, Pumpenflügel, Pleuel, Kupplungsscheiben oder igkeit verbessern. Die durchschnittliche Zustellung
Zylinderblöcke sein. In vielen Fällen wird hierbei beträgt beim Schruppen fr = 20 bis 30 μm/Hub und
die Schleifscheibe um einen kleinen Winkel zur der Seitenvorschub fa = bs /2.
Vor schubrichtung angestellt (getiltet). Bei den
Werkstücken kann hierdurch in einem Durchlauf Beim Längsschälschleifen stellt man die Schleif-
mit größeren Zeitspanvolumina geschruppt und ge- scheibe außerhalb des zu bearbeitenden Werk-
schlichtet werden. Ohne Anstellwinkel ergibt sich stücks um einen großen Betrag zu, so dass das ge-
auf dem Werkstück ein Kreuzschliffmuster. Die Ge- samte Werkstückmaterial in einem Hub abgenom-
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 333

Plan-Umfangs-Längsschleifen Plan-Seiten-Längsschleifen
Berechnungsgröße bH

bs

ds
vfa bü1 bw bü2

ds
ns

zw
fa(ap)

ap
hw
Ae zw vft
ae
vft

hw
bw lw fr(ae)
bü2 bü1 lü2 lü1 lü2 lw lü1
bH lH bü1 bw bü1
lH
bH

Eingriffs-
querschnitt Ae = ae ◊ ap = ae ◊ fa Ae = ae ◊ ap = fr ◊ ap
Ae (mm2)

Zeitspan-
volumen Q = Ae ◊ vft = ae ◊ fa ◊ vft Q = Ae ◊ vft = fr ◊ ap ◊ vft
Q (mm3/s)

mitt. Zeitspan-
l w bw 1 l w bw 1
volumen Q =Q◊ ◊ ◊ Q =Q◊ ◊ ◊
Q (mm3/s) l H bH (2) l H bH (2)

Hauptzeit l H bH l H bH
th = ◊ ◊ t c ◊ (2) th = ◊ ◊ t c ◊ (2)
th (s) l w bw l w bw

Schleifzeit Vw z w ◊ l w ◊ b w Vw z w ◊ l w ◊ b w
tc (s) tc = = ◊ (2) tc = = ◊ (2)
Q ae ◊ fa ◊ vft Q fr ◊ ap ◊ vft

Bild 4-121
Gleichungen zur Berechnung von Eingriffsquerschnitt, Zeitspanvolumen, Schleif- und Hauptzeit für das Plan-Umfangs-Längs-
schleifen und Plan-Seiten-Längsschleifen (in Klammern Faktor 2, wenn nach jedem Doppelhub zugestellt wird).

vc vc
vc v
fz
vfy

vfy vfy
vfz

vfx vfx
vfz
vfx

a) b) c)

Bild 4-122
Bauformen von Plan-Umfangsschleifmaschinen (nach Saljé).

men wird. Die Längsvorschubgeschwindigkeit und ohne Längsvorschub. Geschliffen werden kann
die Werkstückgeschwindigkeit sind kleiner als beim gleichzeitig mit geraden oder abgesetzten Schleif-
Längsschleifen. scheiben oder mit einem Satz von Schleifscheiben
(Satzschleifscheiben). Dies setzt starre Werkstücke
Beim Einstechschleifen bewegt sich die meistens oder gute Abstützungen der Werkstücke durch Lü-
profilierte Schleifscheibe radial in das Werkstück netten voraus. Durch das hierbei mögliche große
334 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Zeitspanvolumen wird bei Werkstücken mit länge- stechwinkel ist fest eingestellt. In einem anderen
ren Schleifstellen statt des Längsschleifens durch Fall ergibt sich der Einstechwinkel g durch zwei
meh rere Einstechschleifoperationen das Materi- unabhängig ansteuerbare Zustellbewegungen in
al abgeschruppt und anschließend durch Längs- vfz- und vfy-Richtung. Dies bietet den Vorteil, dass
schleifen die Oberflächengüte erzeugt. Die Zustel- der Schleifprozess den Bedingungen der Plan- und
lung erfolgt beim Einstechschleifen kontinuierlich Zylinderflächen angepasst werden kann.
und ist abhängig von der effektiven Schleifschei-
benbreite, dem Werkstückstoff und den geforder- Beim Innenrundschleifen werden hauptsächlich
ten Oberflächenqualitäten. zylindrische und kegelige Bohrungen bearbeitet.
Hierzu sind außer der Schnittbewegung der Schleif-
Für das Einstech- und Längsschleifen gibt Bild scheibe die Werkstück-, Einstech- und Längsvorschub-
4-124 die Berechnungen von Eingriffsquerschnitt, bewegung notwendig. Die Vorschubbewegung des
Zeitspanvolumen, Haupt- und Schleifzeit wieder. Werkstücks ergibt sich entweder aus der Drehbewe-
gung des Werkstücks oder aus der Planetenbewegung
Beim Außenrund-Schrägeinstechschleifen wird zwi- der Schleifspindel. Die Längsvorschubbewegung er-
schen Profil- und Form-Schrägeinstechschleifen un- folgt durch die Schleifscheibe. Die Einstechbewe-
terschieden. Die Werkstücke in Bild 4-125a) und gung bzw. die Zustellung wird abhängig von der
4-125b) werden durch Profil-Schrägeinstechschlei- Maschinenart entweder von der Schleifscheibe oder
fen bearbeitet. Die Schleifmaschine hat eine fest dem Werkstück ausgeführt. Durch die große Kon-
einstellbare Vorschubbewegungsachse, und die Schleif- taktlänge der Schleifscheibe mit dem Werkstück
scheibe bewegt sich mit der Vorschubgeschwindig- und der kleinen Spindelnachgiebigkeit müssen die
keit vfr in das Werkstück. Die Schleifscheibe trägt Einstellgrößen für eine Bearbeitungsaufgabe sorg-
das Gegenprofil des Werkstücks. Abgerichtet wird fältig festgelegt werden. Bild 4-126 zeigt die Drauf-
die Profilform durch Profilabrichtrollen, Einzeldia- sicht einer Innenrundschleifmaschine.
mant, Abrichtfliese oder Formabrichtrollen. Damit
an der Planfläche des Werkstücks nicht zuviel Mate- Bei der Wahl des Schleifscheibendurchmessers soll-
rial abgetragen wird, ist das Werkstück in Längsrich- te das Verhältnis ds /dw = 0,85 nicht überschritten
tung zu positionieren. Dies erfolgt mit Hilfe von Mess- werden. Bevorzugte Werte liegen für größere Werk-
steuerungen. stücke im Bereich ds /dw = 0,65 bis 0,75, die übliche
Schnittgeschwindigkeit beträgt vc = 30 bis 45 m/s.
Das Formschrägeinstechschleifen gemäß Bild 4-125c) Bei einer größeren Schnittgeschwindigkeit treten
wird bei größeren Schleiflängen eingesetzt. Dabei thermische Probleme in der Schleifspindel auf. Die
ist der Durchmesser fertig zu bearbeiten, bevor die Längsvorschubgeschwindigkeiten beim Schruppen
Schleifscheibe die Planfläche schleift. Der Ein- sind zwischen 3,5 m/min und 6 m/min und beim
schrittweise große einmalige
Zustellbewegung Zustellbewegung

hin- und hergehende langsame Längs-


Längsvorschubbewegung vorschubbewegung
a) b)

kontinuierliche kontinuierliche
Quervorschubbewegung Schrägvorschubbewegung

Bild 4-123
Außenrund-Schleifverfahren:
a) Längsschleifen
b) Längs-Schälschleifen
c) Gerad-Einstechschleifen
c) d) d) Schräg-Einstechschleifen
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 335

Bild 4-124
Gleichungen zur Berechnung von Eingriffsquerschnitt, Zeitspanvolumen, Haupt- und Schleifzeit für das Außenrund-Einstech-
und das Außenrund-Längsschleifen (in Klammern Faktor 2, wenn nach jedem Doppelhub zugestellt wird).

Schlichten zwischen 0,25 m/min und 3 m/min zu


wählen. Die Zustellung nach jedem Doppelhub soll
beim Schruppen fr = 0,03 mm und beim Schlichten
fr = 0,005 mm nicht überschreiten.

vfd
vfX (vfr)

nw ns vfz (vfa)

2 3 7 4 5 1 6
Bild 4-126
Innenrundschleifmaschine (Draufsicht; schematisch).
1 Schlitten mit Schleifscheibe und axialer Vorschubbewegung
2 Schlitten mit Werkstückspindelstock und Werkstückdreh-
bewegung
3 Werkstückachse
Bild 4-125 4 Abrichteinrichtung mit Einzeldiamant
Bearbeitungsbeispiele für das Schräg-Einstechschleifen: 5 Schleifscheibe
a) und b) Profil-Schräg-Einstechschleifen 6 Hydraulikeinheit
c) Form-Schräg-Einstechschleifen 7 Spannfutter
336 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Der Tischhub ist so einzuteilen, dass ein Überlauf kraft ausgelenkt, so dass eine kegelige Bohrung ent-
von etwa einem Drittel der Schleifscheibe möglich steht. Der Fehler lässt sich durch angepasste Abricht-
wird. Einen möglichen Innenrundschleifzyklus zeigt bedingungen und Schleifscheibenspezifikationen
Bild 4-127. sowie durch eine höhere Schnittgeschwindigkeit und
ein kleineres Zeitspanungsvolumen verringern.
Gleichungen für die Berechnung von Eingriffquer-
schnitt, Zeitspanvolumen, Haupt- und Schleifzeit Das spitzenlose Außen- und Innenrundschleifen
beim Innenschleifen zeigt Bild 4-128. setzt man hauptsächlich in der Massenfertigung ein,
da eine große Abtragsleistung und eine große Stück-
Beim Innenrundschleifen ist besonders in den Bohrun- zahl erzielt werden. Der Schleifvorgang ist ohne
gen für ausreichende Kühlung zu sorgen, da bei einem großen Aufwand zu automatisieren. Beim spitzen-
größeren Zeitspanvolumen leicht Brandflecke und losen Außenrundschleifen liegt das Werkstück auf
Risse auftreten. Rattermarken treten allgemein durch einer Auflageschiene, ohne dass es zwischen den
fremd- oder selbsterregte Schwingungen auf. Um Spitzen aufgenommen wird, wie Bild 4-129 zeigt.
fremderregte Schwingungen bei den mit großen Dreh- Geführt wird es zwischen Schleifscheibe, Auflage-
zahlen laufenden Innenschleifspindeln zu vermeiden, schiene und Regelscheibe. Schleif- und Regelschei-
müssen diese gut ausgewuchtet werden. Selbsterre- be haben die gleiche Drehrichtung. Der Abstand
gte Schwingungen sind durch steifere Maschinen, von Regelscheibe und Schleifscheibe bestimmt den
Dämpfungsmassen, Drehzahländerung oder Schleif- Werkstückdurchmesser. Die Regelscheibe besteht
scheiben größerer Körnung zu vermindern. aus Kunstharz oder Hartgummi und ist beim Ein-
stechschleifen zylindrisch oder beim Durchgangs-
Als Qualitätskriterium einer Bohrung sind der Kreis- schleifen als Rotationshyperboloid ausgeführt.
und der Längsformfehler von Bedeutung. Kreis-
formfehler können durch sorgfältiges Spannen ein- Mit Vorteil lassen sich im Durchlauf glatte zylin-
gegrenzt werden. Längsformfehler sind hauptsäch- drische Werkstücke und im Einstich zylindrische
lich abhängig von der Größe der Schleifnormalkraft Werkstücke mit Ansätzen und Bunden sowie pro-
Fn. Bei großer Nachgiebigkeit des Spindel-Lager- filierte Werkstücke gemäß Bild 4-130 bearbeiten.
Systems und des Spindeldorns werden die Schleif- Beim Durchlaufschleifen dreht sich das Werkstück
scheiben unterschiedlich stark durch die Normal- und bewegt sich zusätzlich in Achsrichtung. Hier-
zu ist die Regelscheibe um einen bestimmten Win-
Aufmaß
kel schräggestellt, so dass eine Axialkraft eine
Verschiebung des Werkstücks bewirkt. Die Dreh-
1. Einfahren in Bohrung zahl der Re-gelscheibe ist kleiner als die der Schleif-
scheibe und bremst das Werkstück, so dass eine
Relativgeschwindigkeit zwischen Werkstück und
2. Eilvorlauf bis zur Werkstück-
berührung Schleifscheibe zur Spanabnahme entsteht. Durch
das Verstellen des Winkels a wird die Durchlauf-
geschwindigkeit beeinflusst. Beim Einstechschlei-
3. Schruppschleifen fen ist das Werkstück kürzer als die Schleifschei-
benbreite. Bei diesem Verfahren führt die Regel-
scheibe außer der Drehbewegung noch eine Zustell-
4. Abrichten bewegung aus.
(mehrfach wiederholbar)

Beim spitzenlosen Innenrundschleifen entsprechend


Bild 4-131 arbeitet die Schleifscheibe a in der Boh-
5. Schlichtschleifen
rung des Werkstücks c. Ein großer Teil der Schleif-
kraft wird von der Regelscheibe b aufgenommen.
Die Stützrolle e ersetzt die Auflageschiene. Die Rol-
6. Rücklauf und Ausfahren
aus der Bohrung le d übernimmt die Aufgabe, eine Anpresskraft zu
den Teilen b und e zu erzeugen. Die axiale Vor-
Bild 4-127 schubbewegung lässt sich durch Neigen der Rollen
Innenschleifzyklus. um ihre horizontale Achse erreichen.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 337

Bild 4-128
Gleichungen zur Ermittlung von Eingriffsquerschnitt, Zeitspanvolumen, Haupt- und Schleifzeit für das Innenrund-Einstech-
und Innenrund-Längsschleifen.

Vorteile des spitzenlosen Rundschleifens sind bei 4.7.1.4.3 Schraubschleifen


dünnen langen Werkstücken zu sehen, die ohne Zum Schraubschleifen gehören das Gewinde- und
Unterstützung von Lünetten in einem Durchgang Schneckenschleifen. Das Gewindeschleifen wird
ohne Durchbiegung fertig geschliffen werden kön- zur Herstellung von Präzisionsgewinden an gehär-
nen. Das Einspannen und Zentrieren der Werkstü- teten und weichen Werkstücken sowie zur Her-
cke entfallen. Die Maschinen lassen sich leicht auf stellung von Gewindebohrern eingesetzt. Einige
andere Durchmesser umrüsten. Gewindeschleifverfahren zeigt Bild 4-132.

Bild 4-129
Spitzenloses Außenrundschleifen, schematisch.
338 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Beim Längsschleifen wird mit einer einprofiligen ein großes Zeitspanvolumen abtragen. Es wird bei
Schleifscheibe gemäß Bild 4-132a) der einzelne Ge- einer großen Stückzahl und einem kurzen Gewin-
windegang geschliffen. Bei jedem Überschliff ist de angewendet. Der Steigungsvorschub an der Ge-
der Vorschubweg gleich der Gewindelänge. Die windeschleifmaschine erfolgt über eine Leitspindel,
Schleifscheiben- und Werkstückachse müssen dem die als Kugelumlaufspindel ausgeführt ist oder über
Steigungswinkel entsprechend eingestellt sein. Das eine Leitpatrone. Der Werkstück- und der Schleifspin-
Verfahren ermöglicht eine sehr genaue Gewindebe- delantrieb werden über stufenlos verstellbare Ge-
arbeitung. Mit mehrprofiligen Schleifscheiben nach triebe ermöglicht. Das Abrichten von einprofiligen
Bild 4-132b) kann die Fertigungszeit verkürzt wer- Scheiben erfolgt mit einem Einzeldiamanten. Eine
den, aber die Fertigungsgenauigkeit nimmt ab. Die mehrprofilige Schleifscheibe profiliert man mit ei-
Schleifscheibe ist kegelig ausgeführt, um in einem ner Diamantrolle. Ein nicht genormtes Profil lässt
Durchgang das Gewinde fertig zu schleifen. sich wirtschaftlich mit einem CNC-gesteuerten Ab-
richtgerät herstellen, so etwa ein Hohlflächen-, Zy-
kloiden- oder Schraubenpumpenprofil einschließ-
lich der Korrektur. Bild 4-133 verdeutlicht das Ab-
richten eines Hohlprofils zum Schleifen einer zylin-
drischen Schnecke.

Bild 4-130
a) Einstechverfahren und
b) Durchlaufverfahren des spitzenlosen Außenrundschlei-
fens.

Beim Einstechschleifen mit einer mehrprofiligen a)


Schleifscheibe entsprechend Bild 4-132c) führt das
Werkstück etwas mehr als eine Umdrehung aus. Der
Vorschubweg ist gleich der Gewindesteigung. Werk-
stück- und Schleifspindelachse sind parallel zuein-
ander angeordnet. Mit diesem Verfahren lässt sich

e
b)
b

c Werkstück macht
eine Umdrehung

Vorschub
eine Ganghöhe
Bild 4-131 c)
Spitzenloses Innenrundschleifen.
a) Schleifscheibe Bild 4-132
b) Regelscheibe Gewindeschleifverfahren:
c) Werkstück a) Längsschleifen mit einprofiliger Schleifscheibe
d) Druckrolle b) Längsschleifen mit mehrprofiliger Schleifscheibe
e) Stützrolle c) Einstechschleifen mit mehrprofiliger Schleifscheibe
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 339

4.7.1.4.4 Wälzschleifen durch den Rollbogen 2 und die Wälzbänder 3 eine


Bei gehärteten Zahnrädern kann der Härteverzug Abrollbewegung des Werkstücks entsteht. Der Durch-
nur durch Schleifen beseitigt werden. Das Wälz- messer des Rollbogens entspricht dem Durchmesser
schleifen wird bei der Feinbearbeitung von größe- des Wälzkreises am Werkstück. Die Schleifscheibe
ren gerad- und schrägverzahnten Außenstirnrädern
eingesetzt. Das Schleifscheibenprofil entspricht ei-
nem Zahn oder mehreren Zähnen einer Zahnstan- Überkopfdiamant
ge, an der das Werkstück abgewälzt wird. Man un-
terscheidet das diskontinuierliche Wälzschleifen mit
einer Teilbewegung und das kontinuierliche Wälz- Flankendiamant
schleifen ohne Teilbewegung. Bild 4-134 vermittelt
hierzu Einzelheiten.

Das Teilwälzverfahren (Maag-Schleifverfahren) ar-


beitet mit Teller- oder Doppelkegelscheiben. Die
Schleifscheiben sind normalerweise unter 15 ° oder
20 ° geschwenkt. Geschliffen wird mit dem Umfang Bild 4-133
und der Seite des Tellerrades. Es entsteht auf dem Abrichten eines Hohlprofils zum Schleifen einer zylindrischen
Zahn ein Kreuzschliffmuster. Beim 0 °-Schliff ent- Schnecke (nach Fa. Klingelnberg).
steht ein Glattschliffmuster. Mit diesem Verfahren
lassen sich gut Zahnprofilformkorrekturen durch- führt in der Zahnlücke die hin- und hergehende
führen, Bild 4-135. Zur Erzeugung des Schleifvor- Schleifbewegung aus. Ist der Zahn fertiggeschliffen,
gangs wird der Wälzschlitten 1 so verschoben, dass dann wird zum nächsten weiter geteilt.

II II
Teller-(Plan-)Schleifscheibe
kontinuierlich

wf
wf wf
vf vf
vf mit 2 Stirnschleifscheiben
mit einer Stirnschleifscheibe Maag-15°(20°)-Methode Maag-0°-Methode
Doppelkegel-Schleifscheibe
Wälzschleifen
im Teilvorgang (diskontinuierlich)

wf wf wf
vf vf vf
mit Doppelkegelscheibe mit Kegelmantelscheiben mit mehreren Doppelkegelscheiben
Schleifschnecke

wf
mit Schleifschnecke
(nach Saljé/Bausch) © 464-28-00

Bild 4-134
Wälzschleifverfahren (nach TU Braunschweig, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik).
340 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Beim kontinuierlichen Wälzschleifen (Reishauer- Zeitspanvolumens und eine verminderte Schleifzeit


Schleifverfahren) kämmt eine Schleifschnecke mit sind damit verbunden.
einem Werkstück ähnlich dem Wälzfräsen. Während
der synchronisierten Wälzbewegung von Werkstück Das Profilschleifen mit der Umfangsschleifscheibe
und Werkzeug wird die Schleifschnecke in Richtung ist der hauptsächliche Anwendungsfall. Dabei wird
der Werkstückachse verschoben. zwischen Profilpendel- und Profiltiefschleifen bzw.
Schleichgang oder Vollschnittschleifen unterschie-
4.7.1.4.5 Profilschleifen den. Grundlegende Zusammenhänge zeigt Bild
Durch das Profilschleifen lassen sich an Plan- und 4-136. Beim Pendelschleifen gemäß Bild 4-136a),
Rundflächen Profile erzeugen. Die Profilschleifschei- wird mit kleiner Zustellung ae = 0,005 mm bis ae =
ben haben eine werkstückgebundene Kontur. Um 0,01 mm und großer Vorschubgeschwindigkeit vf =
diese auf das Werkstück zu übertragen, sind beim 3 m/min bis vf =15 m/min geschliffen. Es wird un-
Profilplanschleifen außer der Schnittbewegung der terschieden zwischen Schleifvorgängen, bei denen
Schleifscheibe nur noch eine radiale und tangentia- mit und ohne Überlauf gearbeitet wird. Beim Tief-
le Vorschubbewegung erforderlich. Die Kontur wird schleifen ohne Überlauf entsprechend Bild 4-136d),
mittels einer Diamant-Profilrolle oder eines NC-ge- wird mit konstanter Zustellgeschwindigkeit vfr senk-
steuerten Abrichtdiamanten in die Schleifscheiben- recht in das Werkstück geschliffen und bei Errei-
oberfläche gebracht. Der Schleifscheibenverschleiß chen des Sollmaßes auf den Längsvorschub umge-
an den Kanten ist beim Profilschleifen häufig das schaltet. Ein Zeitvorteil ergibt sich bei einem tiefen
Standzeitkriterium. Mit zunehmendem Einsatz von Profil und einem großen Schleifscheibendurch-
verhältnismäßig verschleißfesten Schneidstoffen, wie messer. Besondere Merkmale des Tiefschleifens ge-
z. B. CBN und Diamant, ergibt sich dann eine be- genüber dem Pendelschleifen sind eine kleinere Rau-
sonders wirtschaftliche Bearbeitung, wenn schwer tiefe, ein geringer Kantenverschleiß der Schleifschei-
schleifbare Werkstückstoffe, wie z. B. X210Cr12 be und damit eine größere Profilhaltigkeit des Werk-
oder EMo5Co5, zu schleifen sind. Das Abrichten zeugs, aber auch eine höhere Normal- und Tangen-
während des Schleifens (Continuous Dressing) hat tialkraft beim Schleifen sowie eine höhere Tem-
sich bei Werkstücken bewährt, die mit großer Pro- peratur in der Kontaktzone zwischen Schleifschei-
filgenaugkeit zu bearbeiten sind. Durch das konti- be und Werkstück.
nuierliche Abrichten bleiben die Anfangsschärfe
und die Profilform erhalten. Die Vergrößerung des Bei einem kleineren Zeitspanvolumen wird das Pen-
delschleifen hauptsächlich als Feinbearbeitungs-
verfahren bei der Fertigbearbeitung eingesetzt.

Das Profil-Planschleifen wird im Allgemeinen mit


einer einzigen, seltener auch mit mehreren Schleif-
spindeln ausgeführt. Die Maschinenausführung mit
mehr als einer Schleifspindel setzt man für Problem-
lösungen ein. Das Profilieren der beiden Schleifschei-
ben erfolgt über eine auf dem Tisch montierte Dia-
mantrolle.

4.7.2 Honen

Bild4-135 Beim Honen wird, wie beim Schleifen, ein Werkzeug


Wälzschleifmaschine (schematisch). aus gebundenem Korn verwendet, das die Werk-
1 Wälzschlitten stückoberfläche unter ständiger Flächenberührung
2 Rollbogen spanend bearbeitet. Angewendet wird dieses Verfah-
3 Wälzbänder
ren zum Verbessern der Maß- und Formgenauigkeit
4 Teilmechanismus
5 Schleifscheibe an der Oberfläche von Bohrungen, Zylinderlaufbuch-
6 Antriebsmotor sen und Lagerstellen an Zapfen. Da der Werkstoff-
7 Werkstück (Zahnrad) abtrag beim Honen klein ist, sind die Werkstücke
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 341

Beim Langhubhonen entsteht die Schnittbewegung


Pendelschleifen Tiefschleifen
(ae klein - vf groß) (ae groß - vf klein)
am Werkstück durch die Hub- und Drehbewegung
des Werkzeugs. Die Schnittbewegung vc setzt sich
vf vf aus der axialen Geschwindigkeit vca (etwa 10 m/min
bis 40 m/min) und der tangentialen Geschwindigkeit
vct (etwa 10 m/min bis 25 m/min) zur resultierenden
vf vf Geschwindigkeit zusammen:

a)
x
c)
x vc = vca2 + vct2 . [4-71]
vf
vf
ae + vca vc

a
vf 2
vf
vct vct
x x a a
b) d) 2

Bild 4-136
h
Profil-Pendel- und Profil-Tiefschleifen a) und c) mit Überlauf, - vca vc
b) und d) ohne Überlauf (nach Redeker). Abwärtshub Aufwärtshub

mit möglichst kleinem Formfehler vorzuarbeiten, Oberflächen-


um die Genauigkeit innerhalb der Zugabe von etwa struktur

0,05 mm bis 0,1 mm erzeugen zu können. Honen


lassen sich weicher und gehärteter Stahl, Gusseisen, d× p
Sintermetalle, Bronze, Messing, Kunststoffe, Glas
4-138
und Grafit. Am häufigsten werden Bohrungen mit Bewegungen der Honleiste beim Langhubhonen und die
einem Durchmesser von 2 mm bis 1200 mm – auch daraus entstehende Oberflächenstruktur in einer abgewickel-
mit Bohrungslängen über 20 m – gehont. ten Bohrung.

4.7.2.1 Kinematische Grundlagen Die Bewegung des Honsteins und die sich daraus
Bild 4-137 zeigt verschiedene Honverfahren. Sie ergebende Oberflächenstruktur auf dem Werkstück
werden eingeteilt in zeigt Bild 4-138. Bei konstanter Axial- und Tangen-
– Langhubhonen, bekannt auch unter der Bezeich- tialgeschwindigkeit ergeben sich Riefen mit einem
nung allgemeines Honen oder Ziehschleifen, konstanten Kreuzungswinkel a . Für den halben Kreu-
– Kurzhubhonen, bekannt auch unter der Bezeich- zungswinkel a /2 gilt die Beziehung
nung Feinhonen, Superfinish, Feinziehschleifen a v
oder Schwingschleifen. lm einzelnen werden = arctan ca . [4-72]
das Flach-, Spitzendreh-, Spitzenlos- und Lauf- 2 vct
bahnhonen unterschieden. Die axiale Geschwindigkeit ist beim Langhubhonen

Kurzhubhonen
Langhubhonen
Flach- Rund-Außen- Rund-Innen-
kraftschlüssig Spitzendreh-

Spitzenlos-

Bild 4-137
Honverfahren. formschlüssig Laufbahn
342 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

annähernd über die Werkstücklänge konstant, nur serung bis zu 75 % erreichbar. Die große Oberflä-
in den Umkehrpunkten fällt sie ab und steigt wieder chengüte und die Rundheitsverbesserung bewirken
an. Die Vorschubbewegung vf senkrecht zur Werk- z. B. in Wälz- und Gleitlagern einen ruhigen Lauf
stückoberfläche erfolgt kraft- oder formschlüssig. bei kleinem Verschleiß. Anwendung findet dieses
Auftretende Flucht- und Richtungsfehler zwischen Verfahren für Bauteile im Fahrzeug- und Motoren-
Maschinenspindelachse und Bohrungsachse müssen bau sowie in der Hydraulik- und Wälzlagerindus-
ausgeglichen werden. Bei starrer Werkstückaufspan- trie. Insbesondere werden Lauf- und Gleitflächen,
nung ist das Honwerkzeug doppelgelenkig mit der Gleitlagerzapfen an Kurbelwellen, Dichtflächen und
Maschinenspindel verbunden. Bei fester Werkzeug- Wälzlagerteile bearbeitet.
aufspannung müssen alle vier Freiheitsgrade in die
Werkstückaufspannung gelegt werden. 4.7.2.2 Einfluss der Einstellgrößen auf den
Honvorgang und das Honergebnis
Beim Kurzhubhonen ergibt sich die Schnittbewe- Das Honergebnis wird zu einem großen Teil von
gung vc aus der Drehbewegung des Werkstücks und den Eigenschaften der Maschine, der Geometrie
einer senkrecht zu dieser wirkenden kurzhubigen des Werkstücks und dem Werkstückstoff bestimmt.
Schwingbewegung des Werkzeugs, wie Bild 4-139 Die Spezifikation des Honwerkzeugs und die Art
zeigt: des Kühlschmierstoffs sind weitere wichtige Ein-
vc = vct2 + (h π f )2 ◊ cos2 (w h t ). [4-73] flussgrößen.

Die maximale Geschwindigkeit ist Mit den Einstellgrößen lässt sich der Honvorgang
vc max = v + (h π f ) .
2 2
[4-74] bzw. die Honzeit und das Honergebnis in weiten Be-
ct
reichen beeinflussen. Die wichtigsten Stellgrößen
Die Hublänge h beträgt 1 mm bis 6 mm bei einer sind die Schnittgeschwindigkeit und der Anpress-
Hubfrequenz f = 10 Hz bis 50 Hz. Hierbei wird die druck der Honleisten:
in seiner Form an die Werkstückkontur angepasste
Fn F N
Honleiste bzw. der Honstein an das Werkstück ge- p= = n in . [4-75]
drückt. Der Anpressdruck beim Zustellen liegt zwi- Akt b ◊ l mm 2
schen 0,1 N/mm2 und 0,4 N/mm2. Hierin bedeuten:
Akt Kontaktfläche in mm2,
Mit dem Kurzhubhonen erzielt man eine geringe b Leistenbreite in mm,
Rauheit sowie eine große Formgenauigkeit. Bei ge- l Leistenlänge in mm,
härteten und vorgeschliffenen Oberflächen ist ei- Fn Normalkraft in N.
ne Rauheit von Rz = 0,1 μm bis 0,2 μm bei einem
5 40
Traganteil bis zu 98 % und einer Rundheitsverbes-
Zylindrizitätsabweichung fz

fz
Rauheitsabweichung fk

m m
Rauheit Rz

m m

2,5 20

1,25 10
fk
0 0
2400 2000
Zerspanvolumen Vw

mm3 mm3
verschleißvolumen

1200 1000
Honleisten-

600 500
Bild 4-139
Bewegungen der Honleiste beim Kurzhubhonen. 0 0
0 5 10 daN/cm2 20 0 5 10 daN/cm2 20
F Anpresskraft Anpressdruck p Anpressdruck p
vca Axialgeschwindigkeit
vct Tangentialgeschwindigkeit Bild 4-140
h Hublänge Rauheit, Zerspanvolumen, Zylindrizitäts- und Rundheitsab-
g Umschlingungswinkel der Honleiste weichung sowie Honleistenverschleißvolumen in Abhängigkeit
nw Werkstückdrehzahl vom Anpressdruck des Honsteins (nach Tönshoff).
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 343

Infolge des höheren Anpressdrucks p dringen die geeigneter Wahl der Überlauflänge die Korrektur
Schneiden der Honleiste tiefer in die Werkstückober- der Bohrungsform. So wird z. B. bei kleineren Hub-
fläche ein. Mit größerer Eindringtiefe nimmt die An- längen in der Mitte der Bohrung mehr Werkstück-
zahl der am Zerspanungsvorgang teilnehmenden stoff abgetragen als bei den Bohrungsenden.
Schneiden zu. Viele Schneiden tragen mehr Werk- Vor- Fertig-
stückstoffvolumen ab, so dass das Zerspanvolumen honen honen
16
ansteigt. Gleichzeitig erhöht sich auch die Schnitt- m m
kraft. Infolgedessen brechen Körner aus der Bin- 14

Rauheit Rz
D W

Werkstückstoffabtrag D W
dung, und die Honleisten verschleißen schneller. Bild Sollmaß Sollmaß
60 12
4-140 verdeutlicht die Zusammenhänge. Mit zuneh-
50 10
mendem Zerspanvolumen vergrößert sich die Rau- Rz
D W
heit sowie die Zylindrizitäts- und Rundheitsabwei- 40 8
chung. Eine kleinere Rauheit wird durch eine höhe- 30 6
Absenken des
Anpressdrucks p
re Schnittgeschwindigkeit erreicht. Gute Honergeb-
20 4
nisse lassen sich mit axialen Geschwindigkeiten von
vca = 15 m/min bis vca = 30 m/min und tangentialen 10 2
Geschwindigkeiten von vct = 20 m/min bis vct = 50
Rz
0 0
m/min erzielen. 0 30 60 90 s 120 0 30 60 90 s 120
a) Honzeit b) Honzeit

Veränderungen der Axial- und Tangentialgeschwin- Bild 4-142


digkeit ändern zwangsläufig den Kreuzungswin- Werkstückstoffabtrag und Rauheit in Abhängigkeit von der
Honzeit (nach Haasis).
kel a . Verschiedene Kreuzungswinkel bewirken ei-
a) einstufiges Honen mit und ohne Absenkung des Anpress-
ne unterschiedliche mechanische Wechselbelastung drucks
am Korn. Als Folge hiervon splittert das Kornma- b) zweistufiges Honen mit erhöhtem Anpressdruck beim Vor-
terial, und darunterliegende scharfe Körner nehmen honen und Absenken des Anpressdrucks beim Fertighonen
am Zerspanungsvorgang teil. Günstige Abtragswer-
te bzw. höhere Zeitspanvolumina lassen sich bei a - Aus diesen Gründen ist das Honen von Sackloch-
Werten zwischen 40 ° und 70 ° erzielen. bohrungen problematisch, wenn am unteren Boh-
rungsende kein genügend großer Freistich zum Über-
Einen großen Einfluss auf den Zylindrizitätsfehler lauf vorhanden ist. Ausgleichen kann man den feh-
hat die Hublänge h. Am häufigsten treten »tonnen- lenden Überlauf durch geeignete Hubsteuerung. Am
förmige« Bohrungen und Bohrungen mit »Vorweite« Bohrungsgrund werden in Intervallen Kurzhübe
auf, wie Bild 4-141 zeigt. Durch unterschiedliche durchgeführt, so dass es dort auf diese Weise zu er-
Hublängen und einen festgelegten Überlaufweg lü bzw. höhtem Werkstückstoffabtrag kommt.
Auslaufweg des Werkzeugs aus der Bohrung können
Zylindrizitätsfehler korrigiert werden. In den Hubum- Einen allgemeinen Verlauf von Werkstückrauheit
kehrpunkten verringert sich die Axialgeschwindig- und Werkstückstoffabtrag in Abhängigkeit von der
keit bis zu va = 0. Gleichzeitig mit va wird der Kreu- Honzeit zeigt Bild 4-142a). Am Anfang des Honvor-
zungswinkel kleiner und der Werkstückstoffabtrag gangs berühren die Honleisten das Werkstück nur
ändert sich. Diese Abtragsänderung bewirkt bei mit einem kleinen Flächentraganteil, bedingt durch

kleiner
lü = l/3

Überlauf
großer
Überlauf
l

Bild 4-141
große Hublänge

Beeinflussung des Zylindrizitätsfeh-


kleine Hublänge

lers durch die Hublänge h des Hon-


werkzeugs.
h

l Honsteinlänge
lü Überlauflänge des Honwerk-
zeuges
h Hublänge
344 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

die Bohrung und eine große Anfangsrauheit, z. B. 4.7.2.3 Einfluss des Werkzeugs
Rz = 10 μm. An den Berührungsstellen wird der Einige Bauformen und Zustellmöglichkeiten von
Werkstückstoff durch den großen Anpressdruck Honwerkzeugen für die Bohrungsbearbeitung zeigt Bild
schnell abgetragen. Die Oberflächenrauheit verrin- 4-143. Die Honleisten werden in radialer Richtung
gert sich und geht gegen einen stationären Grenzwert. im Werkzeug geführt. Sie sind auf die Honleis-
Die Oberflächengüte lässt sich jetzt nicht mehr wesent- tenträger aufgeklebt, geklemmt oder bei Diamant-
lich verbessern. Geringfügig kann die Rauheit noch honleisten aufgelötet. Über Kegel werden die Hon-
durch das Absenken des Anpressdrucks weiter ver- leisten gespreizt und an die Bohrungswand gedrückt.
kleinert werden. Der Honvorgang wird beendet,
wenn der Werkstückstoff abgetragen und das Soll- Länge und Breite der Leisten beeinflussen das er-
maß erreicht worden ist. reichbare Honergebnis hinsichtlich Zylindrizitäts-
und Rundheitsabweichung. Mit längeren Leisten
Ein zweistufiger Honvorgang gemäß Bild 4-142b) werden vorhandene Zylindrizitätsabweichungen der
ist wegen der Zeiteinsparung wirtschaftlicher. In der Bohrung besser überbrückt als mit kürzeren. Mit brei-
ersten Bearbeitungsstufe, dem Vorhonen, wird infol- teren Honleisten und unsymmetrischer Leistenanord-
ge des erhöhten Anpressdrucks und wegen der grob- nung lassen sich aus gleichem Grund Rundheits-
körnigen Honsteine ein großer Werkstückstoffabtrag abweichungen leichter beseitigen. Breitere Honleis-
bzw. ein großes Zeitspanvolumen bei kurzer Bear- ten verhalten sich besonders schwingungsdämpfend.
beitungszeit möglich. Anschließend lässt sich mit an- Damit verbunden sind geringere Hongeräusche und
deren feinkörnigen Honsteinen, die sich ebenfalls ein kleinerer Honleistenverschleiß.
im Werkzeug befinden, die Oberfläche so verbes-
sern, dass nach verhältnismäßig kurzer Honzeit das Die kleinste erreichbare Rauheit ist im Wesentlichen
Sollmaß bei ausreichender Qualität erreicht wird. von der Spezifikation der Honleisten abhängig.
Hierzu gehören Kornwerkstoff, Korngröße, Bin-
dungsart, Härte und Tränkung (Abschn. 4.7.1.2.2).
3
Ein Bezeichnungsbeispiel gibt Bild 4-144 wieder.
4 3

4
2 Honstein DIN ISO 603-10 - A10 x 160 A150 L8 V (S)

6 A Quadrat
6 Querschnitt -
2
B Rechteck
1
1 Kantenlänge
Länge
a) b)
Schleifmittel
4 6 5 2 1 Körnung
6 5 Härte
Gefüge
4 Bindung
Sonderhinweis (z. B. geschwefelt)
1
Bild 4-144
c) Schnitt Bezeichnung für ein Honwerkzeug nach DIN ISO 603-10 mit
Korund als Kornwerkstoff (Beispiel).
Bild 4-143
Bauformen von Honwerkzeugen (Honahlen) für die Bohrungs-
bearbeitung: Verwendete Kornwerkstoffe sind Korund, Silicium-
a) Honwerkzeug mit Parallelleisten (mehrere Honleisten am carbid, Diamant und kubisch-kristallines Bornitrid.
Umfang verteilt) Die normalerweise verwendete Körnung liegt zwi-
b) Doppelhonwerkzeug mit Parallel- und Schwenkleisten für schen 120 und 1200. Honleisten aus Diamant und
Sacklochbohrungen
kubisch-kristallinem Bornitrid unterscheiden sich
c) Einleistenhonwerkzeug.
1 Honleiste 4 Zustellkonus von denen aus Korund und Siliciumcarbid-Korn-
2 Honleistenträger 5 Führungsleiste werkstoff im Schneidverhalten. Oberflächen mit
3 Rückholfeder 6 Werkstück einer Rauheit von unter 3 μm sind mit den Schleif-
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 345

mitteln aus Korund und Siliciumcarbid wirtschaft- 4.7.2.4 Einfluss des Werkstücks
lich herzustellen. Rauere Oberflächen werden mit Das Honergebnis und der Prozessverlauf werden
groberer Körnung durch Diamant und kubischkris- vom Zustand des Werkstücks vor der Bearbeitung
tallinem Bornitrid in Verbindung mit einem großen bestimmt. Dies sind die Härte des Werkstückstoffs,
Zeitspanvolumen vorteilhafter bearbeitet. Die Kör- vorhandene Zylindrizitätsfehler und eine große Aus-
ner dieser Kornwerkstoffe bleiben länger im Honleis- gangsrauheit der Vorbearbeitung. Eine zunehmen-
tenverband und werden stumpf. de Werkstückhärte ermöglicht eine kleine Ober-
flächenrauheit. Die Körner in der Honleiste stump-
0,02 fen durch den harten Werkstückstoff ab. Ein vor-
mm3 CBN handener Zylindrizitätsfehler und eine größere Aus-
mm ◊ s
gangsrauheit können nur bei größerem Aufmaß ver-
bezogenes Zerspanvolumen Q ’

0,015
Diamant
bessert werden.

0,01 4.7.2.5 Einfluss des Kühlschmierstoffs


Korund Der Kühlschmierstoff muss beim Honen haupt-
0,005
sächlich Späne transportieren, die Schneiden schmie-
ren und die Reibungswärme abführen. Das dünn-
flüssige Honöl wird durch Ringdüsen mit mehreren
0
0 25 50 75 m/min 100 Austrittsstellen den Honleisten zugeführt. Da eine
Schnittgeschwindigkeit vc örtliche Erwärmung beim Honen infolge einer klei-
Bild 4-145
nen Schnittgeschwindigkeit bedeutend niedriger ist
Erreichbares bezogenes Zeitspanvolumen Q’ in Abhängigkeit als beim Schleifen, hat das Honöl überwiegend die
von der Schnittgeschwindigkeit für verschiedene Kornwerkstof- Aufgabe, die Honleistenoberfläche zu reinigen.
fe (nach Haasis).
In Bild 4-147 sind bestimmte Honölzusam men-
Bild 4-145 zeigt das von Korund-, Diamant- und setzungen verschiedenen Werkstückstoffen zuge-
CBN-Honleisten erreichbare bezogene Zeitspan- ordnet. Honöle mit niedriger Viskosität ermöglichen
volumen Q¢ in Abhängigkeit von der Schnittge- einen größeren und schnelleren Werkstückstoffab-
schwindigkeit. Den Einfluss der Korngröße und der trag als Öle mit höherer Viskosität. Die höhervisko-
Härte von Korund- und Siliciumcarbid-Honsteinen sen Öle bilden einen dickeren Ölfilm zwischen dem
auf die Rauheit, den Honleistenverschleiß und den Werkstück und den Honleisten, die Kornspitzen
Werkstoffabtrag zeigt schematisch Bild 4-146. kom men weniger zum Vorschein, die Honleiste
wirkt härter.
große große große
100 % Petroleum gehärteter
Korngröße
h = 2 mm2/s (20 °C) Stahl (62 HRC)
D W
Rz

D V

kleine
Korngröße kurz
70 % Petroleum Gusseisen
kleine niedrige 30 % Hydrauliköl spanend,
kleine Korngröße Viskosität Baustahl zäh
Zeit t Zeit t Zeit t Vergütungsstahl
höhere lang
Aluminium spanend,
Viskosität Bronze
D W

zäh
D V
Rz

Kupfer
100 % Hydrauliköl austenitische
h = 33 mm2/s (55 °C) Stähle

Härtegrad Härtegrad Härtegrad Bild 4-147


Bild 4-146 Zuordnung der Werkstoffart zur Honölviskosität (nach
Einfluss von Korngröße und Härtegrad der Honleisten auf Haasis).
die Rauheit Rz, den Honleistenverschleiß DV und den Werk-
stoffabtrag DW. Bei der Bearbeitung von Gussteilen mit Diamant-
honwerkzeugen werden auch wasserlösliche Emul-
Tabelle 4-5 und 4-6 geben jeweils eine Übersicht sionen verwendet, z. B. bei Kolbenlaufbahnen in
über die erreichbaren Oberflächengüten mit Ko- Motorgehäusen. Hierdurch spart man bis zu 20 %
rund- und Diamant-Honleisten. der Honzeit bei gleicher zu erzielender Oberflächen-
346 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

rauheit. Ein besonderer Waschvorgang der Werk- Tabelle 4-6. Erreichbare Rauheitswerte mit Diamanthon-
leisten unterschiedlicher Korngröße bei Guss-
stücke auf der Transferstraße kann entfallen.
und Strahlbearbeitung (nach Haasis).

4.7.2.6 Plateauhonen Korngröße Gusseisen Stahl


Beim Plateauhonen erzeugt man auf einer Kolben- in Mesh 11m
Rauheit Rz in 7 11m
Rauheit Rz in 7
laufbahn eine Oberflächenstruktur, die aus perio- 180 HB 250 HB 50 HRC 62 HRC
disch auftretenden, tiefen Honspuren mit dazwischen-
liegenden Tragflächen (»Plateaus«) besteht. Diese D7 0,8 0,6 0,8 0,3
Vorgänge verdeutlicht Bild 4-148. Wegen der tiefen D 15 1,8 1,2 1,8 0,6
Honspuren kann eine bessere Haftung des Öls an D 20 2,0 1,8 2,0 0,8
der Lauf bahnwand erreicht werden. Die hierdurch
D 30 2,5 2,0 2,5 1,2
entstehenden Vorteile sind der geringere Verschleiß
der Kolbenlaufbahn und der Kolbenringe, der ge- D 40 3,5 2,5 3,0 1,5
ringere Ölverbrauch sowie die kürzere Einlaufzeit D 50 4,0 3,5 3,5 2,0
eines Motors.
D 60 4,5 4,0 4,0 2,5

Die Oberflächenstruktur wird durch Vor- und Fer- D 70 5,5 4,5 4,5 3,0
tighonen hergestellt. Beim Vorhonen wird mit grob- D 80 6,0 5,5 5,5 3,5
körnigen Diamanthonleisten, z. B. mit D 150, oder D 100 6,5 6,0 6,0 4,0
mit Siliciumcarbid-Honleisten der Körnung 60 Werk-
stückstoff abgetragen, bis das Fertigmaß der Zylin- D 120 7,0 6,5 6,5 4,5
derbuchse erreicht ist. Dabei entstehen die tiefen Hon- D 150 8,0 7,0 7,0 5,0
spuren. Beim Fertighonen werden mit feinkörnigen D 180 9,0 8,0 8,0 5,5
Honleisten die Spitzen der vorgehonten Flächen in
D 200 10,0 9,0 9,0 6,0
kurzer Zeit abgetragen. Dabei entstehen Plateaus

Tabelle 4-5. Erreichbare Rauheitswerte mit Korundhonleisten unterschiedlicher Korngröße und Bindung bei Guss- und
Stahlbearbeitung (nach Haasis).

Korngröße in Mesh Rauheit Rz in 11


7m (Gusseisen)
(Maschenzahl pro Zoll)
180 HB 250 HB

keramisch Bakelit keramisch Bakelit

120 7 bis 9 − 4 bis 6 −


Vorhonen 150 5 bis 7 − 3 bis 5 2 bis 3
220 4 bis 6 2 bis 4 2 bis 4 1 bis 2
400 2 bis 4 1 bis 3 1 bis 3 0,5 bis 1,5
Fertighonen 700 − 0,5 bis 1 − 0,5 bis 1
1000 − 0,5 − 0,3 bis 0,8

11m (Stahl)
Rauheit Rz in 7
Korngröße in Mesh
50 HRC 62 HRC
keramisch Bakelit keramisch Bakelit

120 7 bis 9 6 bis 8 4 bis 6 3 bis 4


Vorhonen 150 5 bis 7 4 bis 6 3 bis 5 2 bis 3
220 3 bis 5 2 bis 4 2 bis 4 1,5 bis 2,5
400 2 bis 4 1 bis 2 2 bis 3 1 bis 2
Fertighonen 700 1 bis 3 0,5 bis 1 1 bis 2 0,2 bis 1
1000 0,5 bis 1 0,2 bis 0,5 0,2 bis 1 −
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 347

mit großem Profiltraganteil. Die Oberflächenrauheit Plateau

der Plateaus liegt bei etwa Rz = 0,5 μm bis 1 μm und Traganteil tp

die der Honspuren beträgt bis zu Rz = 7 μm. 0 25 50 % 100

1
Bei dieser Honbearbeitung kommt es durch den gro-

Rauheit Rt
ßen Anpressdruck zu Verquetschungen in der Ober-

2
fläche von Gussteilen. Diese Verquetschungen wer-
den in der Praxis als »Blechmantel« bezeichnet. Bei
der »Blechmantelbildung« werden die Grafitlamellen
des Gusswerkstoffes durch perlitische Gefügebe-
standteile verschmiert. Besonders bei Kolbenlauf-
Bild 4-148
bahnen ist dies zu vermeiden, da wegen des abneh-
Profilschnitt einer plateaugehonten Oberflächenstruktur mit
menden Grafitanteils die Notlaufeigenschaften ver- Abbottscher Tragkurve, schematisch.
lorengehen. Der Effekt tritt auf, wenn die Körner in 1 tragende Rauheit
der Diamanthonleiste das Material nicht mehr tren- 2 Grundrauheit
nen, sondern plastisch verformen, so dass mit zuneh-
mender Stumpfung der Kornschneiden die Blech- Bohrung durch Verschleiß am Honwerkzeug über-
mantelbildung zunimmt. Eine geeignete Wahl der schritten, erfolgt eine Kompensation mit mechani-
Einstellgrößen kann die Blechmantelbildung klein scher Schrittzustellung (feedback).
halten, z. B. dann, wenn die Honleisten im Selbst-
schärfbereich arbeiten und immer wieder scharfe 1
Körner zum Schnitt kommen.

4.7.2.7 Messsteuerung des Honprozesses


Die Honmaschinen sind mit automatischen Mess-
einrichtungen versehen, die den Honvorgang beim
Erreichen des Fertigmaßes abbrechen. Die Messun-
gen erfolgen entweder mit einer pneumatisch arbei-
tenden Messeinrichtung oder mit einer elektroni-
schen Tastmesseinrichtung.

Bei einer pneumatischen Messeinrichtung – Bild


4-149 zeigt das Messprinzip – sind die Messdüsen
zwischen den Honleisten des Werkzeugs angebracht.
4 3 2
Der Luftdruck ist so groß, dass das Honöl örtlich
Bild 4-149
verdrängt wird. Der Toleranzbereich in der Maßab-
Messkopf einer pneumatischen Messeinrichtung beim Lang-
schaltung liegt bei 2 μm bis 5 μm. Der Vorteil des Ver- hubhonen, schematisch.
fahrens ist besonders in der berührungslosen Mes- 1 Differenzdruckmesser 3 Honwerkzeuge
sung des Bohrungsdurchmessers begründet. 2 Messdüse 4 Werkstück

Bei der Tastmesseinrichtung sitzt gemäß Bild 4-150 Eine elektronische Maß- und Formsteuerung ermög-
auf der Honspindel über der Honahle eine Messhül- licht eine Hublängen- und Hublagenverstellung, so
se, die sich axial verschieben lässt. Ist der erwünsch- dass Abweichungen von 2 μm von der Rundheit und
te Durchmesser erreicht, kann die Hülse in die Boh- der Zylinderform automatisch korrigiert werden.
rung eintauchen. Mittels eines Rings an der Hülse
wird ein Kontakt ausgelöst, der das Abschalten des
Arbeitsganges bewirkt. 4.7.3 Läppen

Kleinere gehonte Bohrungen unterhalb von 20 mm 4.7.3.1 Grundlagen


können durch eine Nachmessstation geprüft wer- Läppen ist ein Feinbearbeitungsverfahren, bei dem
den. Das Messprinzip geht aus Bild 4-151 hervor. Werkstücke mit großer Form- und Maßgenauigkeit
Wird hierbei eine vorgegebene Maßtoleranz der sowie hoher Oberflächengüte hergestellt werden,
348 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

wie Tabelle 4-7 zeigt. Im Gegensatz zum Schleifen


und Honen werden die Schneiden beim Läppen von
losen Körnern gebildet. Geläppt werden können fast 6

alle Werkstückstoffe, z. B. alle Metalle, Oxidkera-


miken, Rohgläser, Naturstoffe und sonstige Hart-
stoffe sowie verzugsempfindliche und unmagne-
tische Teile. Neuere Anwendungen finden sich in 5
7
den Bereichen Kunststoff- und Halbleitertechnik.

Es seien vier wichtige Vorteile des Läppverfahrens


genannt:
– Die meisten Werkstücke können ohne Einspan- 3
4
nung bearbeitet werden,
– Grob- und Feinstbearbeitung sind in einem Ar- 8
beitszyklus durchführbar unter Einhaltung der 8
geforderten Toleranzen;
– kleine zerbrechliche Teile mit einer Dicke klei-
ner als 0,1 mm (z. B. Scheiben aus Silicium und
Germanium) und Dichtflächen von großen Ma-
schinenteilen (z. B. Motorenblöcke) können
1 2
feinstbearbeitet werden;
– geläppte Oberflächen zeigen keinen Wärme- Bild 4-151
oder Spannungsverzug. Nachmesseinrichtung mit Schrittzustellung, schematisch.
1 Honstation
Der Werkstoffabtrag beim Läppen erfolgt durch 2 Nachmessstation
zwei gleichzeitig ablaufende Vorgänge. In einem 3 Honwerkzeug
4 pneumatischer Messdorn
Vorgang drücken sich Läppkörner jeweils in die
5 Anzeigegerät und Messwertgeber
Oberfläche der Läppplatte und des Werkstücks ein. 6 Zustellsteuerung
Die Körner werden in der Läppplatte so festgehal- 7 Zustellgetriebe
8 Werkstück

1 ten, dass infolge der Relativbewegung zwischen der


Platte und der Werkstückoberfläche ein Spanen er-
2
folgt. Bei dem anderen Vorgang rollen Läppkörner
3 zwischen der Läppplatte und dem Werkstück ab.
Die Kornspitzen verformen und verfestigen den
Werkstoff an der Werkstückoberfläche. Übersteigt
der Verformungswiderstand die Trennfestigkeit des
4 Werkstoffs, brechen Werkstoffteilchen aus.

Tabelle 4-7. Erreichbare Genauigkeit beim Läppen.

Formgenauigkeit Rautiefe

Ebenheit
5 Maschinenbau 1 μm/m bis 3 μm/m
Feinmechanik, Optik 1 μm/m
Messgeräte 0,2 μm/m
Planparallelität 0,3 μm/m
Maßgenauigkeit 1 μm/m
Bild 4-150 Oberflächengüte
Tastmesseinrichtung beim Langhubhonen, schematisch. Maschinenbau R = 2 bis 4 μm/m
1 Honspindel 4 Werkstück öl- und dampfdichte
2 Messhülse 5 Honwerkzeuge Flächen R = 0,2 bis 0,5 μm
Endmaßqualität Rz = 0,03 μm
3 Messkontakt
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 349

Planläppen Rundläppen Profilläppen Sonderverfahren

einseitig Außenrundl. mit Kugelläppen Tauchläppen


WS Linienberührung LS WS
LS WS

LS LS WS LS LG

planparallel LS Außenrundl. mit Kegelläppen Strahlläppen


Flächenberührung
LS LG
WS WS
LS
WS LS WS
LS

Innenrundläppen Verzahnungsläppen Polierläppen


WS
LS

LS WS LG WS WS

Schrauben- Schwingläppen
flächenläppen WS LS LG
WS Werkstück
LS Läppscheibe bzw. -stift
WS LS
LG Läppgemisch

Bild 4-152
Übersicht über die Läppverfahren.

Die Läppverfahren werden entsprechend Bild 4-152 ein besseres Tragbild erzeugt. Tauchläppen lässt sich
unterschieden in Plan-, Rund- und Profilläppen vorteilhaft zum Entgraten von Werkstücken einset-
sowie Sonderläppverfahren. Die ersten drei Verfah- zen. Hierbei wird das Werkstück in das in einer Trom-
ren verbessern die Maß- und Formgenauigkeit sowie mel rotierende Läppgemisch getaucht. Das vorbei-
die Oberflächenrauheit. Die Sonderläppverfahren strömende Läppkorn trägt den Werkstoff ab. Dieses
verbessern nur die Oberfläche. Verfahren kann auch dem Gleitschleifen zugeord-
net werden (Abschn. 4.7.4). Beim Strahlläppen wird
Die am häufigsten eingesetzten Läppverfahren sind das Läppkorn in einem Flüssigkeitsstrahl auf die
das ein- und beidseitig parallele Planläppen, das Oberfläche geschleudert (600 m/s bis 1000 m/s), so
Außenrundläppen mit Linienberührung sowie das dass eine Veränderung der Werkstückoberfläche er-
Innenrundläppen. Weitere Verfahren sind das Ver- folgt (Abschn. 4.7.5, Strahlspanen).
zahnungs-, Tauch- und Strahlläppen. Durch Verzah-
nungsläppen wird an spiralverzahnten Kegelrädern 4.7.3.2 Einfluss von Prozessgrößen auf das
Läppergebnis
Werkstückrauheit
Maschine, Läppplatte, Läppmittel und Werkstück
klein groß beeinflussen den Ablauf des Läppprozesses und das
Läppergebnis. An der Maschine werden Läppdruck
Korngröße und Läppdauer eingestellt. Die Bewegungsrichtung
zunehmend

und die Läppgeschwindigkeit von 5 m/min bis 150


Läppdruck m/min bestimmt die Läppplatte. Das Läppmittel
besteht aus dem Läppkorn und der Läppflüssigkeit;
Läppkorndichte
es hat die Aufgabe, zwischen Werkstück und Werk-
zeug einen Läppfilm zu bilden und im Läppvorgang
Läppfilmdichte
neue Läppkornschneiden zur Wirkung kommen zu
zuneh-
mend

Läppzeit
lassen. Neue Schneiden bilden sich ständig durch
splitternde Läppkörner bei höheren Läppdrücken.
Bild 4-153
Einfluss verschiedener Größen auf die Werkstückrauheit beim Das Mischungsverhältnis von Läppkorn zu Läppflüs-
Läppen. sigkeit und die zugeführte Menge des Läppmittels
350 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

sind auf den Läppvorgang abzustimmen. Kleine zeit zu erzielen. Eine größere Läppfilmdicke ver-
Läppkörner erfordern eine dünnflüssigere Läpp- hindert ein Eindringen der Körner in den Werk-
flüssigkeit, denn ein zu dicker Läppfilm würde die stückstoff. Eine längere Läppzeit bewirkt, dass im-
Körner am Werkstückstoffabtrag hindern. mer mehr Körner splittern und der Korndurchmes-
ser abnimmt (Bild 4-155).
Die Läppkorngröße beträgt 0,1 μm für feinste Läpp-
arbeiten bis zu 150 μm für grobes Schruppläppen. Das Zeitspanvolumen steigt mit dem Läppkorn-
Innerhalb einer Korngröße müssen die Korndurch- durchmesser und dem Läppdruck entsprechend Bild
messer möglichst gleich sein, damit beim Läppen 4-156. Eine Grenze tritt durch Abreißen des Läpp-
keine tieferen Kratzer auftreten. Vorwiegend werden films und Splittern der Körner bei höherem Läpp-
Siliciumcarbid und Edelkorund verwendet. Für harte druck auf. Steigern lässt sich das Zeitspanvolumen
Werkstückstoffe (z. B. Hartmetalle, Keramik) kom- innerhalb bestimmter Grenzen durch eine größere
men Borcarbid und Diamant zum Einsatz. Diese Läppkorndichte: Es werden immer mehr Körner am
ermöglichen einen größeren Läppdruck und damit Werkstoffabtrag beteiligt. Nimmt jedoch die Läpp-
ein größeres Zeitspanvolumen. korndichte so sehr zu, dass sich die Körner in der
Bewegung hindern, so vermindert sich das Zeit-
Die erreichbare Oberflächenrauheit wird beeinflusst spanvolumen, wie aus Bild 4-157 hervorgeht.
von der Läppkorngröße, dem Läppdruck, der Läpp-
1,2
korndichte, der Läppfilmdicke und der Läppzeit. p
Die Auswirkungen dieser Einflussgrößen auf die er- mm t = 1 min
Rauheit Rt

zielbare Oberflächenrauheit zeigt schematisch Bild 1,0


4-153. Ein großes Läppkorn und ein höherer Läpp-
p1 = konst. t = 2,5 min
druck bewirken besonders bei weichen Werkstück-
stoffen größere Riefen und tiefere Eindrücke und 0,8
damit eine größere Rauheit, wie Bild 4-154 und t = 4 min
4-155 zeigen. Mit zunehmender Läppkorndichte
0,6
werden die Körner in der Bewegung eingeschränkt
p2 = konst.
und am Splittern gehindert. Größere Körner blei-
ben so am Werkstoffabtrag länger beteiligt. Die 0,4
Oberflächenrauheit steigt. Eine kleinere Rauheit ist
mit zunehmender Läppfilmdicke und längerer Läpp- p3 = konst.
0,2
6

m m
0
Rauheit Rt

5 0 20 40 60 80 100 mm 120
mittlerer Korndurchmesser dg

4 Bild 4-155
Rauheiten Rt in Abhängigkeit vom mittleren Läppkorndurchmes-
weicher ser bei unterschiedlichen Läppzeiten t – Werkstückstoff:
Werkstückstoff
3 15CrB (64 HRC); Läppscheibe: Perlitguss; Läppkorn: SiC;
Läppkornmenge: 0,5 g/min (nach Lichtenberg).
Läppmittel: SiC

2 Die Beschaffenheit der Randzone des Werkstücks


wird von der Läpptemperatur beeinflusst. Für eine
1
ausreichende Kühlung und Schmierung beim Läp-
harter pen sorgt die Läppflüssigkeit. Läppflüssigkeiten sind
Werkstückstoff je nach Werkstückstoff Petroleum, Öl, Terpentin,
0
0 20 40 60 80 100 m m 120
Benzin, Benzol, Sodawasser und Wasser gemäß Ta-
mittlerer Korndurchmesser dg belle 4-8. In letzter Zeit setzt man immer häufiger
Bild 4-154
Rauheit Rt in Abhängigkeit vom mittleren Korndurchmesser Wasser mit Zusätzen ein, z. B. mit Korrosionsschutz-
dg bei hartem und weichem Werkstückstoff (nach Lichten- mittel. Hierdurch lässt sich ein 10 % bis 15 % höhe-
berg). res Zeitspanvolumen erreichen.
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 351

0,50 0,94
10
mm3
s
0,40 mm3
Zeitspanvolumen Q

Zeitspanvolumen Q
p s

6
0,30
0,76

4
0,20

2
0,10
1 0,58

0
0 20 40 60 80 mm 120 1,6 2,5 4 5 10 16 25 40 50 100
mittlerer Korndurchmesser dg Läppkorndichte 104 Körner/cm2

Bild 4-156 Bild 4-157


Zeitspanvolumen Q in Abhängigkeit vom mittleren Korndurch- Zeitspanvolumen Q in Abhängigkeit von der Läppkorndichte
messer dg bei unterschiedlichem Läppdruck p in N/cm2 – – Werkstückstoff: GJL 250 (GG 26); Läppscheibe: Perlitguss,
Werkstückstoff: E295 (St 50), Läppscheibe: GJL 250 (GG 26); 180 HB; Läppkorn: SiC; Läppflüssigkeit: Petroleum (nach
Läppkorn. SiC; Kornmenge: 3,5 g/min; Läppflüssigkeit: Was- Lichtenberg).
ser mit 3 % Läppkonzentrat (nach Martin).
im Einzelnen. Durch diese drehende Bewegung der
4.7.3.3 Läppverfahren Laufringe wird beim Läppvorgang die Läppscheibe
Beim Läppen von Hand wird das Werkstück oder ständig abgerichtet und bleibt über eine längere Zeit
das Werkzeug mit der Hand geführt; hierbei kann plan. Eine zusätzliche Belastung der Werkstücke
die Schnittbewegung von Hand oder maschinell er- durch Gewichtstücke oder eine pneumatisch arbei-
folgen. Angewendet wird dieses Läppverfahren in tende Belastungseinrichtung sorgt für den notwen-
der Einzelfertigung sowie im Werkzeug-, Lehren- digen Läppdruck.
und Messgerätebau. Das erzielbare Läppergebnis ist
in großem Maß abhängig von der Geschicklichkeit Beim Zweischeibenläppen können Werkstücke
des Ausführenden. gleichzeitig von beiden Seiten bearbeitet werden.
Hierzu liegen die Werkstücke in verzahnten Läufer-
Beim maschinellen Läppen werden Einzweckläpp- scheiben, die an einer äußeren Verzahnung abwäl-
maschinen und Universalläppmaschinen eingesetzt. zen. Angetrieben werden diese Scheiben von einem
Der Läppvorgang auf diesen Maschinen läuft meis- innenliegenden Zahnkranz. Die Werkstücke in den
tens automatisiert ab. Läuferscheiben durchlaufen zykloidenförmige Bah-
nen auf der Läppscheibe, so dass sich innerhalb ei-
4.7.3.3.1 Planläppen nes Bearbeitungszyklus maßgenaue und planparal-
Ebene Flächen werden mit Einscheiben- und Zwei- lele Werkstücke herstellen lassen. Drehrichtung und
scheibenläppmaschinen hergestellt. Beim Einschei- -geschwindigkeit des Läuferscheibenantriebs kön-
benläppen sind die Werkstücke in Laufringen auf nen so auf die Scheibengeschwindigkeit abgestimmt
der Scheibe so angeordnet, dass sie sich infolge von werden, dass ein gleichmäßiger Läppscheibenver-
Reibungsmitnahme drehen. Bild 4-158 zeigt dies schleiß auftritt und die Scheiben eben bleiben.

Tabelle 4-8. Läppkornarten, Läppkorngröße und Kühlschmierstoffe für einige wichtige Werkstückstoffe.
(Es bedeuten: SC Siliciumcarbid, BK Borcarbid, EK Edelkorund, NK Normalkorund, D Diamant).

Werkstückstoff Läppkornart, Läppkorngröße

Vorläppen Fertigläppen Kühlschmierstoffe

Petroleum, Fett,
Grauguss SC 200, NK 220 EK 220, NK 500
Benzol, Öl, Wasser
Bronze SC 220 SC 500, NK 220 Petroleum, Öl, Fett, Benzol
D (Staub)
Hartmetall SC 320, BK 220 Olivenöl
Ersatz: BK
352 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Muss die Läppscheibe abgerichtet werden, erfolgt 4.7.3.3.2 Außen- und Innenrundläppen
dies durch eine Abdreheinrichtung auf der Maschine Beim Außenrundläppen von Hand werden geschlitz
oder durch Einläppen beider Läppscheiben aufein- -te Läpphülsen verwendet, die mit der ganzen Länge
ander. auf dem Werkstück tragen. Geläppt wird mit dre-
hender und hin- und hergehender Bewegung. Die
Beim Planläppen müssen die Läppscheiben ihre Zustellung erfolgt durch Klemmen der geschlitzten
Geometrie möglichst lange beibehalten. Dazu wer- Hülse.
den die Scheiben aus Perlitguss mit einer gleichmä-
ßigen Härte von 150 HB bis 200 HB hergestellt. Für Das maschinelle Außenrundläppen wird auf Zwei-
Polierläpparbeiten bzw. Läpparbeiten mit kleiner scheibenläppmaschinen und mit einer größeren An-
Rauheit sind Scheiben geringerer Festigkeit aus zahl von Werkstücken entsprechend Bild 4-159 aus-
Kupfer, Zinn-Antimon oder Kunstharz einzusetzen, geführt. Die Werkstücke liegen in einem Käfig aus
da bei weichen Scheiben die Körner spanen. Dage- Stahlblech, Messing oder Kunststoff.
gen unterstützen harte Scheiben die Rollbewegung
des Korns und damit den Werkstoffabtrag. Größere
2
Scheiben sind mit Nuten versehen, um die Läpp-
3
kornwege zu verkürzen. Auf diese Weise kommen
im Läppvorgang öfter neue Schneiden zum Einsatz, 1
so dass man ein größeres Zeitspanvolumen erreicht.
Um die entstehende Reibungswärme beim Läppen
besser abzuleiten, werden die Läppscheiben gekühlt. a) b)

Bild 4-159
a) Anordnung von zylindrischen Werkstücken in Käfigen und
b) Bahnkurven der Werkstücke auf der Läppscheibe.
1 Rollen des Werkstücks
2 Gleiten des Werkstücks
3 Rollen und Gleiten des Werkstücks

Beim Innenrundläppen sind Läppwerkzeug und


Werkstückaufnahme kardanisch aufgehängt, um
Fluchtfehler zwischen der Spindel und der Bohrung
auszugleichen. Der Läppwerkzeugdurchmesser ist
wie beim Honen über einen Kegel in bestimmten
Grenzen verstellbar. Das Werkzeug führt außer der
Drehbewegung auch eine oszillierende Längsbewe-
gung aus.

4.7.3.3.3 Kugelläppen
Zum Läppen kleinerer Kugeln besitzt die untere
Läppscheibe mehrere Rillen. Die obere Läppscheibe
ist glatt. Infolge der sich so ergebenden Dreipunkt-
berührung zwischen der Kugel und der Läppscheibe
muss sich diese Kugel in der Rillenbahn drehen.
Hierbei kommt es zu einem gleichmäßigen Werkstoff-
abtrag. Zu- und abgeführt werden die Kugeln kon-
tinuierlich über Magazine.

4.7.3.3.4 Polierläppen
Eine Polierbearbeitung an Werkstücken wird aus
verschiedenen Gründen ausgeführt: Korrosions-
Bild 4-158 schutz, Hygiene, Schönheit sowie optische und aero-
Einscheibenläppmaschine. Werkfoto Fa. Wolters. dynamische Gesichtspunkte. Poliert werden können
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 353

wie beim Läppen alle Metalle, Keramiken, Rohglä- Das Poliermittel besteht aus dem Polierkorn und
ser, Naturstoffe und sonstige Hartstoffe. dem Bindemittel. Veränderliche Größen sind das
Mischungsverhältnis von Polierkorn zu Bindemit-
Der Poliervorgang besteht aus dem Schleifen und tel sowie die Zuführmenge des Poliermittels. Die
Einebnen der Oberfläche. Hierzu wird loses Polier- Polierkörner bestehen aus Kreide, Tonerde (Polier-
korn auf ein nachgiebiges Trägerwerkzeug gebracht. weiß), Eisenoxid (Polierrot), Chromoxid (Poliergrün)
Die scharfen und harten Polierkörner tragen den oder Diamant. Die Bindemittel sind pastenförmig
Werkstoff schleifend ab. Das Einebnen bzw. Glätten oder flüssig. Sie müssen das Korn binden, die Rei-
ohne Werkstoffabtrag bewirken weiche, abgerundete bung vermindern und die Kühlung verbessern. Die
Körner. Die hierbei auftretende plastische Verfor- Viskosität des Bindemittels beeinflusst die Dicke
mung an der Oberfläche wird durch eine hohe Tem- der Poliermittelschicht und die Polierwirkung.
peratur (200 °C bis 600 °C, örtlich bis zu 1000 °C) be- Pastenförmige Bindemittel sind aus Stearin, Paraf-
günstigt. Diese entsteht durch Reibung zwischen fin, Wachs oder Emulsionsfetten hergestellt. In letz-
der großen Kontaktfläche des nachgiebigen Träger- ter Zeit haben sich zunehmend flüssige Polieremul-
werkzeugs und der Werkstückoberfläche. Der Werk- sionen durchgesetzt. Sie lassen sich gleichmäßiger
stückstoff wird dabei teilweise angeschmolzen und auftragen und sparsamer anwenden. Das Auftragen
fließt in die feinen Oberflächenvertiefungen (Beilby- einer Emulsion ist mit Sprüheinrichtungen leichter zu
Schichten). Das Fließen erfolgt unter Aufhebung automatisieren. Wegen der besseren Kühlwirkung
der Kristallstruktur und anschließender Rekristalli- erreicht man eine größere Poliergeschwindigkeit so-
sation in feinere Kristalle. Bis zu einer Tiefe von etwa wie einen größeren Anpressdruck.
10 μm wird auf diese Weise die Werkstückoberfläche
beeinflusst. Die Randzone wird dadurch kaltverfes- Die Oberflächenqualität ist abhängig von dem Werk-
tigt und die Korrosionsbeständigkeit erhöht. stückstoff, der Werkstückgeometrie und der Vorbe-
arbeitung. Homogene Werkstoffe lassen gute Polier-
Polierarbeiten werden meistens noch von Hand auf ergebnisse erwarten. Scharfe Kanten, Übergänge und
Polierböcken durchgeführt. Automatisch poliert zurückspringende Flächen lassen sich schlecht polie-
wird auf Bearbeitungsstraßen und Rundtischen. Al- ren und erhöhen den Werkzeugverschleiß. Durch
le Einrichtungen sind mit einer Staubabsaugung in eine gleichmäßige Werkstückvorbearbeitung erzielt
der Arbeitszone versehen, um die Bedienungsperson man ein besseres Polierergebnis in kürzerer Zeit. Die-
zu schützen. Aus ergonomischen und wirtschaftlichen ses zeigt sich durch den Glanz und die Rautiefe des
Gründen kommen in zunehmendem Maß Roboter Werkstücks sowie durch das Bild der Randzone. Der
für Polierbearbeitungen, z. B. an Karosserieteilen, Glanz nimmt nach dem Überschreiten einer experi-
zum Einsatz. mentell zu ermittelnden optimalen Polierzeit ab, da
anschließend weichere Gefügebestandteile verstärkt
Das Polierergebnis wird beeinflusst von den Eigen- abpoliert werden und eine Reliefbildung auftritt.
schaften des Werkzeugs, des Poliermittels (Polier-
korn, Bindemittel) und des Werkstücks sowie von Eine größere Werkzeugumfangsgeschwindigkeit
den zugehörigen Einstellgrößen an der Maschine, verschlechtert den Glanzgrad, da das Werkzeug bei
d. h. Polierzeit und Anpressdruck. der Polierbearbeitung härter wirkt und mehr schlei-
fend arbeitet. Zunehmender Glanzgrad ist mit klei-
Die scheibenförmigen Werkzeuge sind flexibel und nerem Polierkorndurchmesser und feinerem Gewebe
bestehen aus Sisalfasern oder textilen Werkstoffen. des Trägerwerkzeugs zu erreichen.
Die Umfangsgeschwindigkeit der Scheiben reicht
von 30 m/s bei Stahl bis 60 m/s bei der Leichtme- Um ein gutes Arbeitsergebnis zu erhalten, müs-
tallbearbeitung; sie liegt also im Bereich der Schleif- sen die Werkzeuge schwingungsfrei laufen. Hierzu
bearbeitung. Mit bürstenartigen Werkzeugen aus ist das Trägerwerkzeug von Zeit zu Zeit mit einem
Fiber- oder Sisalfasern lassen sich Vorpolierarbei- scharfen Drehmeißel abzurichten.
ten durchführen. Zum Fertigpolieren, besonders bei
weichen Werkstückstoffen, werden Werkzeuge aus In automatischen Bearbeitungsstationen setzt man
Flanell, Seide oder Wolle angewendet. Harte Werk- auch bänderartige Trägerwerkzeuge ein, die einen
stückstoffe werden mit Nessel- oder Köpergewebe geringen Poliermittelverbrauch und eine bessere
bearbeitet. Polierwirkung mit sich bringen.
354 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.7.4 Gleitschleifen Beim Vibrationsschleifen wird die Relativbewe-


gung durch Schwingungen bewirkt. Zur Schwin-
Beim Gleitschleifen erfolgt eine spanende Bearbei- gungserzeugung verwendet man eine drehbar gela-
tung durch eine Relativbewegung zwischen vielen gerte Unwuchtmasse oder einen direkt angeflansch-
einzelnen Schleifkörpern (Chips) und der Werkstück- ten Schwingungsmotor. Infolge der unterschiedli-
oberfläche. Die spanende Wirkung der Schleifkör- chen Schwingbewegungen in horizontaler und verti-
per wird ergänzt durch Zugabe einer wasserlösli- kaler Richtung entsteht zwischen dem Schleifkör-
chen Chemikalienmischung (Compound). per und dem Werkstück in den äußeren Behälterzo-
nen eine Umwälzbewegung, so dass die Werkstü-
Angewendet wird dieses Verfahren hauptsächlich zur cke gezwungen werden, den Behälter der Anlage
Vorbehandlung von Oberflächen vor einer galvani- zu durchlaufen.
schen Metallbeschichtung, z. B. vor dem Verchro-
24
men. Maß- und Formverbesserungen sind nicht zu er-
mg 37,5 Hz 33,5 Hz
reichen. Bei Massen- oder auch Einzelteilen lässt sich
das Gleitschleifen zum Entgraten, Entzundern, Ent- 22

Werkstoffabtrag
rosten, Reinigen, Grob- und Feinschleifen sowie zum
Glätten und Polieren einsetzen. Es können alle Me- 20
talle, Kunststoffe und Holz bearbeitet werden.
29,2 Hz
18
Je nach der Erzeugung der Relativbewegung wird
das Gleitschleifen in das Trommel-, Vibrations- und
16
Fliehkraftverfahren eingeteilt.

Beim Trommelverfahren gemäß Bild 4-160 wird 14

der Trommelinhalt bei der Rotation bis zu einer be-


stimmten Höhe mitgenommen. An der obersten 12
Schicht einer Trommelfüllung beginnt das Gleiten 25 Hz

infolge der Schwerkraft. Die Schwerkraft ist maß- 10


gebend für die Schleifkraft zwischen dem Schleifkör-
per und dem Werkstück. Die Gleitbewegung wird
8
bestimmt durch die Umfangsgeschwindigkeit der
Trommel. Mit zunehmender Umfangsgeschwin-
digkeit kommt außer der Gleitbewegung noch eine 6

Rollbewegung hinzu.
4

0
0 1 2 3 4 5 h 6
Bearbeitungsdauer

Bild 4-161
Werkstoffabtrag in Abhängigkeit von der Bearbeitungsdauer
bei unterschiedlichen Vibrationsfrequenzen.

Entsprechend Bild 4-161 nimmt in der Anfangsphase


der Werkstoffabtrag proportional mit der Bearbei-
tungsdauer und der Frequenz zu, da mehr Schleif-
körper an der Werkstückoberfläche vorbeigeführt
Bild 4-160 werden. Gleichzeitig verringert sich die Rauheit.
Drehbare Trommel mit Werkstücken und Schleifkörpern, sche- Das gesamte Füllgut befindet sich ständig in einem
matisch. Schwebezustand, so dass nach einem solchen Vibra-
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 355

tionsverfahren dünnwandige Teile allseitig in ver- bzw. organisch gebundene Körper; Sonderchips
hältnismäßig kurzer Zeit bearbeitet werden können. aus Glas, Nussschalen, Hartholz, Plaste, Schla-
Die Anlagen kommen hauptsächlich in wendelför- cken, Filz und Leder.
mig aufgebauter Form oder in Langtroganordnung
zum Einsatz. Sie können verkettet mit Zufuhrgerä- Die Art der Schleifkörper richtet sich nach dem zu
ten und Trockengeräten in den Produktionsablauf bearbeitenden Werkstoff, dem Rohzustand der Werk-
eingebaut werden. stücke und der verwendeten Anlage. Die Größe wird
bestimmt durch die Form und Größe der Werk-
Um das Zeitspanvolumen beim Gleitschleifen zu er- stücke. Für Polierarbeiten werden z. B. feinschlei-
höhen und die Bearbeitungszeit zu verkürzen, müs- fende Chips verwendet mit geringem Gewicht und
sen die wirksamen Kräfte vergrößert werden. Das größerer Elastizität. Compound-Lösungen haben
Fliehkraftverfahren nutzt die Zentrifugalkraft aus. die Aufgabe,
Werkstückkanten lassen sich in kurzer Zeit verrun- – die Schleifwirkungen zu verstärken durch Ab-
den. Durch die sich drehende tellerförmige Boden- stumpfen der Chip-Oberfläche oder zu vermin-
platte der Anlage werden Schleifkörper und Werk- dern durch Filmbildung auf den Chips und dem
stücke nach außen an die Behälterwand gedrückt. Werkstück,
– Chips und Werkstücke zu reinigen,
Bild 4-162 zeigt das Verfahrensprinzip. Langsam – für einen ausreichenden Korrosionsschutz zu
wandern die Schleifkörper und Werkstücke nach sorgen und
oben und fließen zur Mitte des Tellers hin zurück. – unterschiedliche Wasserhärten auszugleichen.
Schleifkörper (Chips) in Verbindung mit der Com-
pound-Lösung sind Zuschlagstoffe, die den Gleit- Sie sollten leicht von den Werkstücken abspülbar
schleifprozess und das Arbeitsergebnis in weiten Be- und abwassertechnisch neutral sein.
reichen beeinflussen. Als Chips werden verwendet:
– Naturstein (gebrochen in verschieden klassier- Das Mischungsverhältnis von Volumen Gleitkörper
ten Größen): Basalt, Dolomit, Quarzstein, Schmir- zum Volumen der Werkstücke beeinflusst das Zeit-
gel, Bimsstein; spanvolumen sowie die Rauheit und Gleichmäßig-
– synthetische Schleifkörper, gebrochen in ver- keit der Werkstücke. Bei einfachen Teilen genügt
schieden klassierten Größen mit großem Ab- ein Mischungsverhältnis von 3:1, bei schwierigen
tragswert; Teilen, z. B. bei langen dünnen Teilen, kann es bis
– vorgeformte synthetische Schleifkörper (Kugel, zu 10:1 betragen.
Dreieck, Pyramide, Rhombus, Zylinder, Wür-
fel, Kegel) als keramisch oder metallkeramisch Die Bearbeitungszeit ist abhängig vom Werkstück
und von der abzutragenden Werkstückstoffmenge.
Kürzere Bearbeitungszeiten sind durch eine zwei-
stufige Arbeitsweise erreichbar, z. B. Entgraten in
der Fliehkraftanlage und Feinschleifen im Vibrator.

4.7.5 Strahlspanen

Beim Strahlspanen erfolgt eine Oberflächenverbes-


serung durch Spanen mit ungebundenen Körnern,
die in einem Luft- oder Flüssigkeitsstrahl mit großer
Geschwindigkeit (800 m/s) auf die vorbearbeitete
Werkstückoberfläche auftreffen. Hierbei wird das
Rauheitsgebirge auf der Oberfläche abgetragen und
gleichzeitig die Werkstückoberfläche kaltverfestigt.
Vorwiegend dient das Strahlspanen dem Reinigen
Bild 4-162 von verzunderten Oberflächen, aber auch dem Ent-
Fliehkraftverfahren: feststehender Behälter mit rotierendem spiegeln von blanken Flächen sowie dem Entgraten
Boden. und Abrunden von Kanten.
356 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Nach dem Verwendungszweck sind die Strahlver- reichbares Zeitspanvolumen, das von der kinetischen
fahren einzuteilen in Rau- und Glattstrahlen sowie Energie mvc2 / 2 abhängig ist, sind nachfolgend auf-
in Läpp- und Polierstrahlen (s. a. Abschn. 4.7.3.1). geführt:

Drei verschiedene Arten der Strahlgemischförde- Strahlwinkel a 45 °


rung werden hierbei je nach Art der Energieaufbrin- Düsenabstand l 50 mm
gung unterschieden: das Druckluft-, das Pumpen- Düsendurchmesser d 5 mm
sowie das Schleuderradverfahren. Luftdruck p 0,6 N/mm2 bis
0,8 N/mm2
Beim gebräuchlichsten Verfahren wird das Strahl- Läppgemischkonzentration 1:7
gemisch unter Druckluft beschleunigt. Hierzu wird Kornart Siliciumcarbid
das Strahlmittel im Wasser aufgewirbelt, um eine Korngröße dg 150 μm
gleichmäßige Verteilung zu gewährleisten. Die Zeitspanvolumen Qw
Druckluftzufuhr erfolgt in der Mischkammer; hier- Aluminiumlegierungen 0,44 cm3/min
durch erhält das Strahlgemisch die notwendige Ge- Zink 0,36 cm3/min
schwindigkeit. Bei den anderen Verfahren wird das Messing 0,25 cm3/min
Strahlgemisch mit Hilfe einer Pumpe oder mit ei- Stahl 0,20 cm3/min.
nem Schleuderrad gefördert. Als Strahlmittel wird
hauptsächlich Siliciumcarbid, weniger Korund ver- In den Strahlanlagen sind meistens Grifföffnungen
wendet. Speziell zur Verfestigung von Oberflächen mit Gummihandschuhen angebracht, die die Hand-
lassen sich Glaskugeln als Strahlmittel einsetzen. habung im abgeschlossenen Strahlraum ermögli-
chen. Aus dem Strahlraum wird der entstehende Si-
Die erreichbare Oberflächengüte ist von verschie- liciumcarbid- bzw. Korundstaub oder der Flüssig-
denen Einstell- und Verfahrensgrößen abhängig. Ei- keitsnebel abgesaugt. Größere Werkstücke werden
nige gebräuchliche Angaben für ein maximal er- in drehbaren Vorrichtungen im Strahl bewegt.

Mikroschleifscheiben
Mikroschleifscheiben Mikroschleifstifte

Galvanische Bindung Galvan. Bindung Sinterbindung Diamantschicht


20 —m 50 —m 50 —m 50 —m

1 mm 1 mm 0,2 mm

10 mm
Diamant- Diamant- CVD-Diamant-
Mikroschleifscheibe Schleifstift Schleifstift Schleifstift
D 1/2-3 D 64 D 46 D 2-6

Bild 4-163
Schleifwerkzeuge für das Mikroschleifen
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 357

4.7.6 Ansätze zur Miniaturisierung rasivkörnern in einer Kunstharz-, Sintermetall- oder


spanender Verfahren Nickelbindung. Die bei der Mikrobearbeitung zum
Einsatz kommenden Abrasivkörner haben mittlere
In den letzten Jahren hat sich das Einsatzgebiet von Korndurchmesser im Bereich zwischen 2 μm und
Mikrosystemen stetig vergrößert. Ungebrochen 45 μm. Die Breite der Schleifscheiben variiert zwi-
wächst die Anzahl an mikrotechnischen Produk- schen 20 μm und 1 mm. Während Mikroschleifschei-
ten in unserem Alltag. Die Herstellung von Struktu- ben sich vorwiegend für geradlinige Strukturen eig-
ren mit Abmessungen im Mikrometerbereich ist nen, bieten Mikroschleifstifte die Möglichkeit, ge-
die Voraussetzung für miniaturisierte Produkte für schlossene Strukturen beliebiger Form herzustellen.
mechanische, fluidische, magnetische, optische und Darüber hinaus ist mit ihnen die Herstellung kleins-
chemische Anwendungen. Unterschiedlichste Werk- ter Bohrungen möglich.
stoffe müssen hierfür bearbeitet werden können. Die
Strukturabmessungen von einigen Mikrometern und Konventionelle Mikroschleifstifte sind heute bis zu
die geforderte Oberflächenrauheit im Submikrome- einem minimalen Durchmesser von 0,2 mm verfüg-
terbereich stellen hohe Anforderungen an die Fer- bar. Die Grundkörper dieser Werkzeuge bestehen
tigungsverfahren. Für kleinste Strukturen in sprö- aus hochfestem Stahl oder Hartmetall. Die Schneid-
den und harten Werkstoffen eignet sich beispiels- körner werden durch galvanische oder gesinterte
weise hervorragend das Verfahren Mikroschleifen. Bindungen auf den Grundkörpern gehalten. Diesem
Werkzeugaufbau sind jedoch Grenzen gesetzt. Zur
Zur Strukturierung unterschiedlicher sprödharter Zeit werden bei diesen Schleifstiften keine kleine-
Werkstoffe stehen sowohl miniaturisierte Umfangs- ren Schneidkorndurchmesser als 15 μm verwendet.
schleifscheiben als auch Schleifstifte zur Verfügung Bei sehr kleinen Schleifstiftdurchmessern steigt die
(Bild 4-163). Für das Schleifen sprödharter, nicht Bruchgefahr, selbst bei nur geringen Schleif kräften.
eisenhaltiger Werkstoffe wird Diamant, für gehär- CVD-beschichtete Hartmetallschleifstifte eröffnen
teten Stahl CBN als Schneidstoff verwendet. hier jedoch die Möglichkeit, eine weitere Reduzie-
rung des Werkzeugdurchmessers zu erreichen. Die
Mikroschleifscheiben kommen vorwiegend beim CVD-Diamantschicht zeichnet sich durch eine raue
Präzisionstrennschleifen und Präzisionsprofilschlei- und schneidfreudige Struktur aus. Aufgrund der ge-
fen zum Einsatz. Diese Werkzeuge bestehen aus Ab- ringen Schichtdicke ist es hier möglich, Schleifstift-

0,1 mm 5 μm

Bild 4-164
Kleinster Diamant-Mikroschleifstift (REM-Aufnahmen: Fraunhofer Institut Braunschweig).
358 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen)

durchmesser von minimal 60 μm zu realisieren (Bild Mikroschleifscheiben erlauben die Herstellung ge-
4-164). Neben dem Vorteil der kleineren Werkzeug- rader Nuten oder Trennschliffe. Das Querschnitt-
durchmesser bietet die freie und flexible Formge- profil der erzeugten Nuten hängt von der Schleif-
bung des Grundkörpers eine Fülle von denkbaren scheibenform ab. Neben einem rechteckigen Profil
Schleifgeometrien. Die raue Diamantschicht ist et- werden gelegentlich auch Schleifscheiben mit V-
wa 10 μm dick und besitzt Strukturkorngrößen zwi- Profil verwendet. Um dieses V-Profil zu erzeugen,
schen 1 μm bis 10 μm. Mit dieser kleinen Struktur- müssen die rechteckigen Schleifscheiben profiliert
korngröße ist allerdings auch der Spanraum des Werk- werden. Als Konditionierwerkzeuge kommen Sili-
zeuges sehr gering, was zum Zusetzen der Schleifstif- ciumcarbid-Topfschleifscheiben oder Diamantpro-
te führen kann. Eine Konditionierung dieser Dia- filrollen zum Einsatz. Mit diesem Verfahren können
mantschleifstifte ist aufgrund des einschichtigen derzeit Flankenwinkel mit einer Genauigkeit von 1°
Auf baus nur schwer möglich. Daher ist die geo- sowie minimale Spitzenradien an den Schleifschei-
metrische Genauigkeit bei der Herstellung der Grund- ben von 10 μm erzeugt werden.
körper entscheidend für die Form- und die Rund-
laufgenauigkeit dieser Werkzeuge. Das Profilieren der empfindlichen und filigranen
Werkzeuge für das Mikroschleifen erfordert eine
Mikroschleifscheiben mit einer metallischen Bin- stabile schwingungsarme Konditioniervorrichtung.
dung müssen im Gegensatz zu den Schleifstiften Bild 4-165 zeigt eine experimentelle Konditionier-
wie konventionelle große Schleifscheiben vor ihrem vorrichtung für das Profilieren von Schleifstiften
Einsatz konditioniert werden. Hierfür wird mit den und Schleifscheiben. Ein Kipp- und Zentriertisch
Mikroschleifscheiben in einen Schärfstein einge- ermöglicht hier eine präzise Ausrichtung und Posi-
schliffen, um durch die abrasive Wirkung des Schärf- tionierung des Mikroschleifwerkzeuges gegenüber
steins die metallische Bindung zurückzusetzen und dem Konditionierwerkzeug. Die Werkzeugspannung
damit den Kornüberstand sowie den Spanraum zu der Mikroschleifwerkzeuge erfolgt über Präzisions-
vergrößern. Schärfsteine bestehen meist aus gesin- spannzangen und eine Hohlschaftkegelaufnahme,
tertem Siliciumcarbid oder Korund, ihre Härte und beides stellt einen reproduzierbaren Werkzeugwech-
Dichte wird in Abhängigkeit von dem zu spanen- sel sicher. Das Profilieren der Mikroschleifwerkzeuge
den Werkstoff und den Prozessbedingungen gewählt. wird wegen des geringen Zerspanungsvolumens in
Kunstharzbindungen weisen im Vergleich zu me- dieser Vorrichtung ohne Kühlschmierstoff durch-
tallischen Bindungen selbstschärfende Eigenschaf- geführt.
ten auf, da aufgrund ihrer geringen Härte und Hal-
tekräfte Abrasivkörner leichter aus der Bindung ge- Die sogenannte duktile Zerspanung ermöglicht beim
rissen werden, bevor sie abstumpfen. Diese Schleif- Mikroschleifen über die Fertigung von hohen Ober-
scheiben weisen immer eine gute Schleiffähigkeit flächengüten und kleinsten Kantenausbrüchen hin-
auf. Nachteil dieser Werkzeuge ist allerdings, dass aus eine Vermeidung der Beeinflussung der Werk-
sie sehr schnell verschleißen. stücksrandzone durch Mikrorisse und Versatz. Die

Bild 4-165
Profilieren von Mikroschleifwerkzeugen (links Schema, rechts Foto).
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 359

Werkzeug
Mikroschleifscheibe
bS = 100 μm
D = 1/2 - 3 μm
Bindung: 202 J

Prozessbedingungen
vc = 80 m/s
vft = 300 mm/min
Kühlschmierstoff: Emulsion

Werkstück
Silicium {100}

Bild 4-166:
50 μm Optimierte Prozessparameter für die
Mikrostrukturierung von Silicium.

duktile Zerspanung hat somit einen entscheidenden Neben dem Schleifen verfügen auch andere spanen-
Einfluss auf das erreichbare Bearbeitungsergebnis. de Verfahren mit geometrisch unbestimmter Schnei-
So ist es möglich, Mikrostrukturen mit Abmessungen de über ein großes Potenzial im Bereich der Mik-
von 5 μm bis 6 μm in einkristallines Silicium und rostrukturierung. So ist das Honen beispielsweise
Hartmetall zu schleifen. Die bei diesen Struktur- sehr gut für eine Endbearbeitung kleinster Bohrun-
größen erzielbaren Aspektverhältnisse liegen bei et- gen geeignet. Derzeit werden Werkzeuge entwickelt,
wa 15 :1. Eine weitere Reduzierung der Struktur- um Bohrungen kleiner als 1 mm zu honen. Auch
größe ist derzeit aufgrund der mechanischen Belas- das Polieren von Mikrostrukturen gewinnt eine im-
tung durch die Schleifkräfte zzt. noch nicht mög- mer stärkere Bedeutung, da die Anforderungen an
lich. die Oberflächenqualität von Mikrostrukturen und
-bauteilen stetig steigen. Hier besteht zzt. ebenfalls
Für das Erreichen eines bestmöglichen Schleifer- noch ein großer Entwicklungsbedarf.
gebnisses ist aber immer eine auf den Werkstoff be-
zogene Prozessoptimierung erforderlich, wie Bild
4-166 beispielhaft zeigt. Die für einen duktilen oder 4.7.7 Auswahl spanender
spröden Zerspanungsmodus erforderliche Spandi- Fertigungsverfahren
cke kann über die gewählten Einstellgrößen vari-
iert werden. Beim Mikroschleifen mit Umfangs- Die Auswahl von Fertigungsverfahren wird von den
schleifscheiben liegen die gewählten Schnittgeschwin- geometrischen und technologischen Merkmalen und
digkeiten im Bereich von vc = 60 m/s bis 100 m/s. Kenngrößen einer Bearbeitungsaufgabe bestimmt.
Die Vorschubgeschwindigkeiten sind dagegen sehr Exemplarisch seien diese für wellenförmige Bau-
klein. Die Zustellungen sind im Verhältnis zur Schleif- teile betrachtet, die mit 75 % einen erheblichen An-
scheibenbreite relativ hoch. Daher handelt es sich teil des Werkstückspektrums darstellen, und anhand
beim Mikroschleifen im Allgemeinen um einen eines Beispiels aus der Großserienfertigung beurteilt.
Tiefschleifprozess.
Ausgangspunkt sind zunächst die werkstückseiti-
Zusammengefasst ist das Mikroschleifen ein gutes gen Fertigungsanforderungen. Wellenförmige Bau-
Beispiel für den Einsatz von konventionellen Ferti- teile werden beschrieben durch die Werkstückkon-
gungsverfahren zur Herstellung von verschiedenar- tur (Komplexteil), die zu fertigenden Teilformele-
tigen Mikrostrukturen und Mikrobauteilen. Abhän- mente, die Abmessungen von Roh- und Fertigteil
gig von der Bearbeitungsaufgabe stehen unterschied- und den hieraus abgeleiteten geometrischen und
liche Umfangschleifscheiben und Schleifstifte zur technologischen Kenngrößen sowie den formele-
Verfügung, die eine qualitativ hochwertige Bearbei- mentspezifischen Toleranzen und Oberflächenmerk-
tung von spröden und harten Werkstoffen ermögli- malen, dem Werkstückstoff und den verlangten Stoff-
chen. eigenschaften, Bild 4-167.
360 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen)

Kontur der Welle


einseitig beidseitig mehrfach steigend

Art der Formelemente

zi
Abmessungen von dwi
Roh- und Fertigteil Zerspanvolumen : Vwi = f ( zi , dwi , bwi )
bwi

Geometrische bw dwmax
dwmax dwmin dwi l= D= d
Kenngrößen dwi wmin
bw S
i
Formelement-
spezifische Toleranzen
und Oberflächen-
merkmale Maß Form Lage Rauheit Oberflächencharakter

Werkstückstoff,
Stoffeigenschaften
randschichtgehärtet

Bild 4-167
Auswahl spangebender Fertigungsverfahren abhängig von der Werkstückkontur, den Formelementen, dem Zerspannvolumen
und der Oberflächengüte (nach TU Braunschweig, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik).

Technologische Merkmale, die die Auswahl span- sche Kenngrößen für die Verfahrensauswahl be-
gebender Fertigungsverfahren bestimmen, betref- stimmen, Bild 4-169.
fen die Art des Rohteils, die realisierbaren Zeitspan-
volumina, die Spanbildung und Zerspankräfte, den So sind z. B das Verhältnis der Bearbeitungszuga-
Verschleiß, die Temperatur, Oberflächengüte und ben Z oder der Stabilitätsgrad l wichtige Kenngrö-
die Einhaltung vorgegebener Maß-, Form- und La- ßen, die die Auswahl von Fertigungsverfahren be-
gegenauigkeiten, Bild 4-168. einflussen.

Die Einhaltung der verlangten Werkstückqualität Die Anforderungen an die Fertigung für diese Bear-
und die damit verbundene Prozess-Sicherheit ist be- beitungsaufgabe sind in Bild 4-170 den jeweiligen
sonders für die Serienfertigung ein entscheidendes Formelementen zugeordnet. Neben der Beurteilung
Beurteilungskriterium. So werden beispielsweise anwendbarer Fertigungsverfahren gestattet die for-
beim messgesteuerten Drehen kleinerer Werkstück- melementbezogene Analyse der Fertigungsanforde-
durchmesser Maß- und Formgenauigkeiten von IT rungen eine Überprüfung von Gestaltungsbereichen
8 bis IT 7 problemlos eingehalten. hinsichtlich ihrer Fertigungsgerechtheit. Können z.
B. Formelemente wie Einstiche oder Fasen verein-
Anhand eines typischen Bearbeitungsbeispiels aus heitlicht werden oder gar entfallen? Können abzu-
der Großserienfertigung für die Automobilindustrie trennende Zerspanvolumina durch konstruktive Maß-
wird deutlich, wie die Varianz von Werkstückkon- nahmen reduziert oder Forderungen an die Werk-
tur und die formelementbezogenen Konstruktions- stückgenauigkeit weiter minimiert bzw. vereinheit-
merkmale wichtige geometrische und technologi- licht werden?
4.7 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden 361

Rohteil
Stange Stangenabschnitt Urform-,Umformteil Fügeteil

Vwi Vwi
Zeitspanvolumen tci =
Q
Forderung : Q , Vwi
1 2 3 4 5
Formelemente
z.B. Spanformen

Spanbildung
Bandspäne Wirrspäne Wendelspäne Spiralspäne Spanbruchstücke Schleifspäne
Fp F'n

Kräfte
vc
vc Q'
VB vc D rs Q'
Ask
Verschleiß
tc tc

J J

Temperatur
vc Q'

Rz Rz

Oberflächengüte vc
tc tc

dw
Maß-, Form-,
Lagegenauigkeit
Anzahl der Teile © 380-65-00
Bild 4-168
Technologiebezogene Auswahlkriterien beim Spanen wellenförmiger Teile, wie z. B. Zeitspanvolumen, Spanbildung, Zerspan-
kräfte sowie Oberflächengüte und Maß-, Form- und Lagegenauigkeit (nach TU Braunschweig, Institut für Werkzeugmaschi-
nen und Fertigungstechnik).

In Weiterführung der auf das Formelement bezoge- Sie zeigt die Verfahrensalternativen, die in einer ers-
nen Betrachtungsweise lassen sich alle nach DIN ten Schätzung zusammenhängende Konturbereiche
8580 bekannten Fertigungsverfahren, die geeignet (Formelementkomplexe) zu erzeugen vermögen und
sind, die geometrischen und technologischen Ferti- eine minimale Anzahl von Fertigungsverfahren zum
gungsanforderungen zu erfüllen, in einer Verfah- Erzeugen der gesamten Werkstückkontur benötigen.
rensmatrix darstellen, wie sie in Bild 4-171 darge- Im vorliegenden Fall sind das die Fertigungsverfah-
stellt ist. ren Formdrehen und Profilschleifen, Bild 4-171.
362 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen)

lwmax

zmin

zmax Geometrische und technologische Kenngrößen:


dwmax dwi dwmin
VFt
Mittl. Werkstoffausnutzungsgrad hi = V i ~ 0,85
Rti

dwmax
Durchmesserverhältnis D= d ~ 5,6
wmin

1.0 Z max ~
Verhältnis der Bearbeitungszugaben Z = 26,6
0.9
h Z min
Werkstoffausnutzungsgrad h

0.8 lwmax
0.7 ~ 1,4
Längenverhältnis
0.6 dwmax
0.5 VFt ~
0.4 h= 0,85 lwmax
VRt Stabilitätsgrad l= ~ 3,2
0.3 dw i
0.2
S
i
0.1
0.0
0 10 20 30 40 50 60 70 80 mm 100 110
Koordinate z' © 380-62-00

Bild 4-169
Bearbeitungsbeispiel aus der Automobilindustrie: Einfluss der Werkstückkontur auf die geometrischen und technologischen
Kenngrößen (nach TU Braunschweig, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik).

01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
4,0

mm
Aufmaß der FE z

2,0

1,0

0
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16

7000
3
mm
Zerspanvolumen

5000
4000
pro FE Vwi

3000
2000
1000
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
Bild 4-170
Fertigungsanforderungen für verschiedene Formelemente, gemäß Beispiel in Bild 3-169 (nach TU Braunschweig, Institut für
Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik).
4.8 Abtragende Verfahren 363

Formelement

Fertigungs-
verfahren 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16
Plandrehen
Runddrehen
Profildrehen
Formdrehen
Planfräsen
Rundfräsen
Profilfräsen
Formfräsen
Hobeln, Stoßen
Räumen
Abtrennsägen
Planschleifen
Rundschleifen
Profilschleifen
Formschleifen
Bandschleifen
© 380-63-00 normal erfüllbar durch Sondermaßnahmen
Bild 4-171
Verfahrensmatrix für die Abschätzung zusammenhängender Konturbereiche (Formelementkomplexe) zwecks Minimierung
der Anzahl von Fertigungsverfahren zum Erzeugen der gesamten Werkstückkontur. Im vorliegenden Fall sind das die Ferti-
gungsverfahren Formdrehen und Profilschleifen (nach TU Braunschweig, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungs-
technik).

Für beide Verfahrensalternativen ließe sich nun ei- sowohl auf das Entfernen von Werkstoffschichten
ne feinere Unterteilung nach den in DIN 8589, Teil als auch auf das Trennen von Werkstückteilen. Diese
0 festgelegten Ordnungskriterien zugrunde legen Verfahren treten zunehmend in Konkurrenz zu spa-
und schrittweise eine nach den die Produktivität be- nenden Fertigungsverfahren. So sind z. B. die che-
stimmenden Faktoren Zeiten, Kosten, Qualität, Pro- mischen bzw. elektrochemischen Abtrageverfahren
zess-Sicherheit sowie Umweltverträglichkeit opti- für Mikrobearbeitungen von höchster Genauigkeit
mierte Fertigungsfolge ermitteln. unersetzlich (Herstellung von Leiterplatten, in der
Präzisionsmechanik und in der Luftfahrttechnik).

4.8 Abtragende Verfahren Die Gruppe 3.4 der abtragenden Verfahren unter-
teilt sich nach DIN 8590 gemäß Bild 4-1 in die Un-
Abtragen ist Fertigen durch Abtrennen von Stoff- tergruppen 3.4.1 Thermisches Abtragen, 3.4.2 Che-
teilchen von einem festen Körper auf nichtmecha- misches Abtragen und 3.4.3 Elektrochemisches Ab-
nischem Wege. Das Abtragen bezieht sich hierbei tragen.
364 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.8.1 Thermisches Abtragen Funkenerosives Abtragen (Erodieren)


Beim Erodieren (EDM: Elektro Discharge Machi-
Hierzu gehören das thermische Abtragen durch Gas ning) werden elektrisch leitende Werkstücke durch
(Brennhobeln, Brennschneiden), Abtragen durch elektrische Funkenentladungen in einem Dielektri-
Funkenentladung (Erodieren) und Abtragen durch kum (z. B. Petroleum) bearbeitet. Die dielektrische
Strahl (Licht, Laser, Elektronen). Die Verfahren des Flüssigkeit dient zum Ladungsaustausch und gleich-
thermischen Schneidens (Autogenes Brennschnei- zeitig als Spülmittel zum Abtransport der abgetra-
den, Plasmaschneiden, Laserschneiden) haben eine genen Teilchen. Die aufeinanderfolgenden, zeitlich
so große Bedeutung für die Blechteilherstellung und getrennten, meist nichtstationären Entladungen ent-
für die Fugenvorbereitung beim Schmelzschwei- stehen durch Funkenspannungen von ca. 20 V. Je
ßen erlangt, dass sie in einem eigenen Abschnitt nach Abstand der Elektroden und der Durchschlag-
(Abschn. 4.9) behandelt werden. Das gilt ebenso festigkeit des Dielektrikums bildet sich dabei ein
für das Wasserstrahlschneiden (Abschn. 4.10) als energiereicher Plasmakanal, der ein Schmelzen bzw.
in der industriellen Praxis erprobtes abrasives Ab- Verdampfen eines kleinen Materialvolumens be-
tragverfahren. wirkt.
1 Vorschub
Z 2 Werkzeug
1
1 3 Werkstück
4
4 Drahtvorschub
2 2 2
3

1
3

Bild 4-172
Varianten der funkenerosiven Bearbeitung EDM (nach J. Flimm, Hanser-Verlag).
a) funkenerosives Senken, b) Senken mit überlagerter Bewegung, c) Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode

Regel-
Pinolenantrieb
einrichtung

Maschinengestell

Pinole

Werkzeug

Pumpe
Dielektrikum

Filter
Werkstück

Vorratsbehälter Arbeitsbehälter Generator

Bild 4-173
Funkenerosive Fertigungsanlage, schematisch (nach W. König und F. Klocke).
4.8 Abtragende Verfahren 365

1000
– funkenerosives Senken, Bohren und Gravieren,
500
– funkenerosives Senken mit überlagerter Bewe-
Abtragrate Vw

mm3
ie = 60 A ie = 100 A gung,
min ii opt – funkenerosives Schneiden mit Draht oder Blatt.
100
50 Für jedes Senkerodieren ist eine spezielle Werkzeug-
ie = 20 A
Versuchsbedingungen
WSt: 56NiCrMoV7 elektrode erforderlich, die ihre Oberflächenkontur
WZ: Cu (+)
t: 0,94
im Werkstück abbildet. Die Vorschubbewegung wird
10 meist in der z-Achse durch die an der Pinole befes-
5 tigte Elektrode ausgeführt. Den Aufbau einer fun-
50 kenerosiven Fertigungsanlage zeigt Bild 4-173. Den
größten Einfluss auf die Abtrag- und Verschleiß-
kennwerte beim Senkprozess hat die Entladeener-
relativer Verschleiß J

% gie We, die durch den Entladestrom ie (10 bis 500 A)


10 und die Entladedauer te (10 bis 2000 μs) variiert wer-
den kann. Bild 4-174 zeigt die Abtragrate Vw am
5
Werkstück (max. 3000 mm3/min) in Abhängigkeit
ie = 100 A
von der Impulsdauer ti. Der Abfall nach den Maxi-
ma wird auf eine erhöhte Wärmeableitung durch
1 die Ausdehnung des Entladekanals bei Impulsdau-
ie = 20 A ie = 60 A erwerten größer als topt zurückgeführt.
0,5
10 50 100 500 1000 m s 5000
Impulsdauer ti
Der relative Verschleiß von Kupferelektroden steigt
Bild 4-174 mit dem Entladestrom ebenfalls an, sinkt aber mit
Abtragrate und rel. Verschleiß beim Senkerodieren (nach W. der Impulsdauer ab.
König und F. Klocke).
Grafitelektroden haben eine andere Verschleißkenn-
Die Verfahren der Funkenerosion können eingeteilt linie als metallische Werkstoffe. Während der rela-
werden in (Bild 4-172): tive Verschleiß von Elektrolytkupfer mit steigendem
Bewegung des obere Drahtführung
Werkstücks
y
Draht-
x
bewegung

Konstante Konizität Variable Konizität


(Kegelecken) (stetig oder unstetig)

untere Programmierbare Radius-


Drahtführung Scharfkantige Ecken Isoradiale Ecken differenz oben/unten

Bild 4-175
Geometrische Alternativen beim konischen Schneiden (nach AGIE).
366 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Entladestrom (Impulsdauer = konst.) wächst, nimmt wird die Impulsdauer auf 0,2 bis 4 μs begrenzt. Die
er bei Grafit ab. Daher sind Grafitelektroden sehr Pausendauer beträgt dagegen das 20fache, so dass
gut für Schrupparbeiten bei hohem Entladestrom ein hoher Entladestrom bei niedriger Amperebelas-
und langer Impulsdauer einzusetzen. Da die Wärme- tung entsteht. Um die elektrischen Verluste so klein
ausdehnung nur 1/4 von Kupfer beträgt, ist auch die wie möglich zu halten, liegen die Schleifkontakte in
Bearbeitungsgenauigkeit höher. der Drahtführung dicht an der Wirkfuge.

Die geringere Dichte wirkt sich bei Elektroden mit Oft wird dem Voll- oder Schnellschnitt, bei dem die
großem Volumen positiv aus. Bei der Verwendung Hauptkontur mit einer möglichst hohen Schnittrate
von Feinstkorngrafit (Korngröße < 5 μm) können erzeugt werden soll, ein Fein- oder Schlichtschnitt
die Oberflächenwerte Ra = 0,8 μm erreichen. nachgeschaltet. Dadurch kann eine wesentlich bes-
sere Oberflächengüte erzeugt werden.
Das funkenerosive Schneiden mit Draht hat sich bei
der Herstellung zylindrischer bzw. konischer Durch- Als Leistungskenngröße wird beim funkenerosi-
brüche in der Industrie weitgehend durchgesetzt. ven Schneiden die sog. Schnittrate Vw verwendet:
Besonders in der Stanzereitechnik können Schneid- Vw = vf h, wobei die Vorschubgeschwindigkeit vf des
werkzeuge (Stempel und Matrize) mittels Drahte- Drahts senkrecht zur Ablaufrichtung mit der Werk-
rosion aus gehärtetem Halbzeug kostengünstig her- stückhöhe h verknüpft ist. Daher hat hier die Ab-
gestellt werden. Eine Drahterosionsanlage besteht tragrate die Dimension Fläche/Zeiteinheit. Bei vor-
aus einem Gestell mit den Drahtführungen, dem gegebenem Drahtwerkstoff und -durchmesser wird
Antrieb für den umlaufenden Draht und dem auf die Schnittrate vorwiegend von der Entladeenergie
einem Kreuztisch angeordneten Arbeitsbehälter mit und der Impulsfrequenz bestimmt.
dem aufgespannten Werkstück. Das Werkstück
bewegt sich dabei relativ zum Draht, so dass durch Bei konstanter Entladeenergie nimmt die Schnittrate
Überlagerung in x- und y-Richtung beliebige zylin- mit der Anzahl der Entladungen bis zur Grenze der
drische oder konische Konturen erzeugt werden thermischen Belastbarkeit des Drahts zu, Bild 4-176.
können (Bild 4-175).
Als Elektrodendraht wird Messing (CuZn37) ver-
Die für das Drahtschneiden verwendeten Impuls- wendet, da Zink großen Einfluss auf die Bedingun-
generatoren arbeiten mit Spannungen bis 400 V und gen in der Wirkfuge hat. Es verdampft während der
Strömen bis ca. 250 A. Als Dielektrikum wird meist Entladung und verbessert die Zündfähigkeit im Spalt.
entionisiertes Wasser verwendet. Da der relativ dün- Da es sich mit einem Oxidfilm überzieht, wird ein
ne Draht nicht sehr hoch beansprucht werden kann, Aneinanderhaften der Partikel erschwert.
120

mm2
min
Schnittrate VW

Draht
100
Kernmaterial: CuZn20
Beschichtung: CuZn50
90
Messingdraht CuZn37

80 Messingdraht CuZn20

Drahtbruch
70

60 Werkstück: X210CrW12
Höhe: 30 mm
Impuldauer: 1,4 m s
50

0
40 50 60 70 80 kHz 90
Impulsfrequenz fp

Bild 4-176
Abhängigkeit der Schnittrate Vw von der Impulsfrequenz und Drahtart (Quelle: WZL, TH Aachen).
4.8 Abtragende Verfahren 367

Als weitere Anwendungsgebiete neben den Schneid- Rauheit (Bild 4-178). Für die Rauheitskennwerte Ra
werkzeugen kommt für das Drahterodieren der Bau und Rz gilt bei funkenerosiv erzeugten Oberflächen
von Extrudier- und Strangpresswerkzeugen und die (fast unabhängig von Werkstoffpaarung und Ein-
Herstellung von Spritz- und Druckgussformen in stellparametern): Rz 5 Ra.
Betracht. Moderne Schneidanlagen weisen eine Po-
sitioniergenauigkeit von < 1 μm und eine Umrissto-
100 100
50 50
leranz von ± 3 μm auf. Durch die hohen Schnittra-
m m m m
ten > 300 mm2/min bei der Bearbeitung von Stahl- Rz

arithmetische Rautiefe Ra

gemittelte Rautiefe Rz
10 10
werkstoffen wird das Drahterodieren auch in der 5 5
Serienfertigung eingesetzt. Ein Beispiel geht aus
Ra
Bild 4-177 hervor, das eine funkenerosiv geschnit-
1 1
tene Statorschaufel zeigt, bei der keine Nacharbeit 0,5 0,5
nötig ist. Werkstück:
Werkzeug:
56NiCrMoV7
Cu
Leerlaufspannung: ui = 120 ... 180 V
Entladestrom: ie = 1... 90 A
0,1
Die Oberfläche erodierter Werkstücke wird charak- 0,1 1 10 102 103 mJ 104
terisiert durch die Überlagerung einzelner Entlade- Entladeenergie We
krater, sie ist daher narbig und weist keine gerich- Bild 4-178
teten Bearbeitungsspuren auf. Zur überschlägigen Oberflächenrauheit in Abhängigkeit von der Entladungsener-
Beurteilung bzw. Klassifizierung wurde vom VDI gie beim Erodieren (Quelle: WZL, TH Aachen).
ein Oberflächennormal geschaffen. Die Rauheit der
Oberfläche wird durch die Größe der einzelnen Kra- 4.8.2 Chemisches Abtragen
ter und damit durch die Entladeenergie bestimmt.
Größere Erosionskrater führen zu einer größeren Beim chemischen Abtragen muss eine chemische
Reaktion zwischen Wirkmedium und Werkstück-
stoff ablaufen. Die Werkstoffteilchen werden da-
durch abgetrennt, dass sich die entstehende Verbin-
dung leicht entfernen lässt oder aber flüchtig ist.
Mindestens eine der Komponenten (Werkstück oder
Wirkmedium) ist elektrisch nichtleitend.

4.8.2.1 Abtragen durch Ätzen


Das Ätzen ist in der Metallographie das wichtigste
Verfahren zur Vorbereitung von Metallschliffen für
die mikroskopische Beurteilung von Gefügezustän-
den. Es existieren hier umfangreiche (z. T. histori-
sche) Rezepturen, die die besonders interessierenden
Kristallitstrukturen durch Tiefen- oder Korngrenzen-
ätzung unter dem Metall- oder Raster-Elektronen-
Mikroskop (REM) sichtbar machen.

Ein weiteres Beispiel für chemisches Abtragen ist


das Ätzen von Glas, um Ornamente und Beschriftun-
gen aufzubringen oder eine mattierte Oberfläche zu
erzeugen. Als Ätzmittel wird Flusssäure (Fluorwas-
serstoff) HF verwendet. Es entstehen das flüchtige
Siliciumtetrafluorid und Wasser:
SiO2 + 4 HF → SiF4 + H2O. [4-76]
Zuvor werden alle Partien, die nicht mit dem Ätz-
medium in Berührung kommen sollen, mit Wachs,
Bild 4-177 Paraffin oder Harzschichten abgedeckt. Man kann
Funkenerosiv geschnittene Statorschaufel (nach AGIE). natürlich auch die Schriften, Ornamente usw. in die
368 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Schutzschichten einritzen. Nach der Ätzung werden Die Anlage besteht aus einem Maschinengestell, in
die Schutzschichten durch Lösungsmittel entfernt. dem die als Glocke ausgebildete zylindrische Ent-
Wenn die Ätzung mit wässriger Fluorwasserstoff- gratkammer eingebaut ist. Ein Rundschalttisch, auf
lösung erfolgt, bleiben die geätzten Glasflächen dem je nach Anlagenmodell 2, 5, oder 6 Schließteller
durchsichtig klar. Wird gasförmiger Fluorwasser- lagern, ist in die Maschine integriert. Die Schließ-
stoff verwendet, ergibt sich eine mattierte, nur durch- teller dienen gleichzeitig als Werkstückauflage oder
scheinende Glasoberfläche. als Auflage für vielleicht erforderliche Werkstück-
haltevorrichtungen. Sie werden außerhalb der Ar-
4.8.2.2 Thermisch-chemisches Entgraten (TEM) beitszone be- und entladen und schwenken unter die
Bei der Thermischen Entgrat-Methode (TEM) wer- Entgratkammer. Der Schließteller wird hydraulisch
den in einer mit einem Sauerstoff-Brenngasgemisch oder mechanisch von unten gegen die Entgratkam-
gefüllten Kammer die am Werkstück befindlichen mer gepresst und schließt dort gasdicht ab.
Grate verbrannt (Bild 4-179). Der eigentliche Ver-
brennungsvorgang dauert nur wenige Millisekun- Die für die jeweilige Entgrataufgabe erforderliche
den, so dass die Werkstücke nur unwesentlich er- Gasmenge wird in Gaszylindern abgemessen und
wärmt werden (ca. 100 °C bis 190 °C je nach Wärme- hydraulisch in die Entgratkammer eingeschoben. In
kapazität des Werkstückes). einem vorgeschalteten Mischblock werden die Ga-
se gleichmäßig gemischt und nach dem Verschlie-
Durch den schlagartigen Temperaturanstieg, der je ßen der Gasventile durch eine Zündkerze gezündet.
nach Gasgemisch und Gasmenge bis zu 3000 °C
betragen kann, werden alle Werkstückpartien über- Als Brenngase können Erdgas, Methan oder Wasser-
hitzt, die ein großes Oberflächen/ Volumenverhält- stoff verwendet werden.
nis haben. Dies sind in aller Regel die Grate. Auf-
grund ihrer großen Oberfläche absorbieren sie sehr Stahl- und Graugussteile lassen sich von scharf-
viel mehr Strahlungswärme, als über die relativ klei- kantig gratfrei bis zu kleinen Kantenverrundungen
nen Gratquerschnitte abgeführt werden kann. Infol- problemlos entgraten, Bild 4-180.
gedessen kommt es zu einem Wärmestau im Grat,
der das Anzünden und anschließende Verbrennen Zink- und Aluminiumteile werden bei Zerspan-
mit freiem Sauerstoff ermöglicht. graten scharfkantig gratfrei, während Formteilungs-
grate mit dickem Gratfuß bei Druckguss bis auf klei-
ne Aufwürfe reduziert werden können.

Messingteile lassen sich scharfkantig gratfrei bis


zu einem kleinen Kantenbruch bearbeiten.

Mit Thermoplasten lassen sich lösliche Schwimm-


häute in Hohlkörpern oder Armaturenteilen entgra-
ten, die evtl. durch Werkzeugverschleiß auftreten.
Kanten werden dabei nicht angegriffen.
Sauerstoff

Brenngas

Gewindespitzen
werden nicht
angegriffen

Bild 4-179
Druckkammer für das Thermische Entgraten und Werkstück- Bild 4-180
beispiel mit Grat. Entgratbeispiel (Fa. Benseler Entgratungen GmbH).
4.8 Abtragende Verfahren 369

4.8.3 Elektrochemisches Abtragen ne gute Oberflächenbeschaffenheit auch bei hoher


Abtragleistung auf.
Das elektrochemische Abtragen (ECM) beruht auf
der Auflösung eines als Anode gepolten metalli- EC-Senkanlagen bestehen grundsätzlich aus der
schen Werkstoffs in einem elektrisch leitenden Me- Elektrolytversorgung, der Bearbeitungsmaschine
dium. Der dazu nötige Stromfluss wird meist durch und dem Gleichstromgenerator, der die geregelte
eine äußere Spannungsquelle bewirkt. Nach DIN Arbeitsspannung zwischen 20 und 30 V liefert. Ei-
8590 wird zwischen dem ne Vorschubeinheit sorgt für die Relativbewegung
– elektrochemischem Profilabtragen, dem zwischen Werkstück und Werkzeugelektrode, wo-
– Oberflächenabtragen und dem bei die Vorschubgeschwindigkeiten zwischen 0,1
– elektrochemischen Ätzen unterschieden. und 20 mm/min liegen können. Als Elektrolytpum-
pen werden häufig Kreiselpumpen eingesetzt (mit
Das EC-Profilabtragen wird mit hoher Wirkstrom- Förderleistungen zwischen 100 und 800 l/min und
dichte bis 10 A/cm2 durchgeführt. Der Elektrolyt Förderdrücken von 10 bis 50 bar). Die Abtragpro-
strömt mit hoher Geschwindigkeit durch einen en- dukte in Form von Metallhydroxiden müssen stän-
gen Spalt (ca. 0,1 mm) zwischen Werkstück und dig aus dem Elektrolytkreislauf durch Separatoren
Werkzeugelektrode hindurch und entfernt dabei den oder Zentrifugen entfernt werden.
Abtrag aus der Fuge. Beim EC-Oberflächenabtra-
gen werden Oberflächenschichten beliebiger Aus- Der Prozess wird vorwiegend durch die aufwändi-
dehnung mit niedriger Wirkstromdichte von etwa ge ECM-Vorrichtung beeinflusst (Bild 4-181). Die
0,4 bis 3 A/cm2 elektrolytisch bearbeitet (z. B. EC- Vorrichtung muss außer dem Spannen und Ausrich-
Polieren oder EC-Entmetallisieren). Wichtiger ist ten des Werkstücks auch die Kontaktierung sicherstel-
das EC-Senken, das besonders im Flugzeug- und len. Die Teile, die mit dem Elektrolyten in Berüh-
Automobilbau eingesetzt wird. rung kommen, sind besonders korrosionsgefährdet
und werden daher aus Kupfer, Messing oder rost-
Man kann damit komplizierte geometrische Profi- freiem Stahl angefertigt. Die Abtragprodukte und
le in schwer zerspanbare Werkstoffe einbringen. Die die Joulesche Wärme müssen schnell abgeführt wer-
Werkzeugelektroden sind weitestgehend verschleiß- den, was eine kurze Strömungslänge des Elektroly-
frei, es treten keine thermischen Gefügebeeinflus- ten im Arbeitspunkt bedingt. In der Praxis ist die
sungen auf, das Werkstück ist gratfrei und weist ei- äußere Zuströmung mit Elektrolytabfuhr durch das
Werkzeug einfacher zu handhaben als die innere.
Als gebräuchliche Elektrolyte kommen NaCl- und
NaNO3-Lösungen in Frage, deren Leitfähigkeit zwi-
schen 50 und 300 mS/cm liegt.
Elektrolytaustritt
Zur Ermittlung der elektrochemischen Bearbeitbar-
Maske keit wurde ein Normversuch entwickelt, um u. U.
Werkzeug umfangreiche Vorversuche einzusparen. Dadurch
Dichtung
Manschette
können für einen bestimmten Werkstoff Angaben
Zentrier- gemacht werden über das Abtragverhalten, die Spalt-
und Elektrolyt-
eintritt ausbildung und die Oberflächengüte. Bild 4-182
Kontaktier-
einrichtung Isolierung
zeigt für zwei verschiedene Werkstoffe die im Norm-
versuch ermittelte Abhängigkeit des Mittenrauwerts
Ra von der Stromdichte J. Der hyperbolische Ver-
lauf bestätigt, dass mit zunehmender Bearbeitungs-
geschwindigkeit die Oberflächengüte besser wird.
Die im Diagramm aufgeführten (auf der Stirnseite
gemessenen) Spaltweiten s90 = 0,3 bis 1 mm haben
Werkstück
keinen signifikanten Einfluss. Als nachteilig kann
Bild 4-181 angemerkt werden, dass im Seitenspaltbereich die
Vorrichtung für das elektrochemische Senken (nach W. König Oberflächengüte bei den dort herrschenden kleinen
und F. Klocke). Stromdichten schlechter ausfällt.
370 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.9 Thermisches Schneiden – Verbrennen,


– Schmelzen oder (und)
Die Bearbeitung und Herstellung von metallischen – Verdampfen
und nichtmetallischen Werkstücken mit thermischen des Werkstoffs. Die dadurch entstehende Trennfu-
Schneidverfahren gewinnt aus wirtschaftlichen und ge bewegt sich mit der Schneidgeschwindigkeit in
technischen Gründen ständig an Bedeutung. Die Schneidrichtung.
Qualität der Schnittflächen, die große Maßhaltigkeit
der Bauteile verbunden mit der Möglichkeit, auch
an gekrümmten Bauteilen nahezu beliebige Schnitt- 4.9.1 Autogenes Brennschneiden
kurvenverläufe zu erzeugen, wird im Gegensatz zu
den mechanischen Bearbeitungsverfahren ohne die 4.9.1.1 Verfahrensgrundlagen
Anwendung großer mechanischer Kräfte erreicht. Nach DIN 2310-6 ist Brennschneiden ein thermi-
sches Schneidverfahren, das mit einer Brenngas-
Die »Werkzeuge« z. B. Flamme, Plasma oder Ionen- Sauerstoff-Flamme und Sauerstoff ausgeführt wird.
strahl, die im Vergleich zu denen spangebender Be- Die von der Heizflamme abgegebene und die bei der
arbeitungsverfahren außerordentlich grob erschei- Verbrennung des Werkstoffes entstehende Wärme 3)
nen, erlauben also die Herstellung erstaunlich ober- ermöglicht eine fortlaufende Verbrennung durch den
flächen- und formgenauer Bauteile. Voraussetzung Schneidsauerstoffstrahl. Der Reaktionsprozess setzt
ist allerdings, dass die verfahrenstechnischen Beson- sich in die Tiefe und in die Richtung des sich in
derheiten und die Probleme der Einstellparameter Schneidrichtung bewegenden Schneidbrenners fort.
erkannt und berücksichtigt werden. Die entstehenden Oxide, vermischt mit Schmelze –
das ist die Schneidschlacke – werden vom Sauer-
Das Prinzip aller Schneidverfahren beruht auf einer stoffstrahl aus der Fuge ausgetrieben.
örtlichen Erwärmung der Werkstückoberfläche mit
einer geeigneten konzentrierten Wärmequelle. Die Das Brennschneiden erfordert ähnliche Einrichtun-
hohe Temperatur (abhängig von der Art der Wärme- gen und Betriebsstoffe wie das Gasschweißen, siehe
quelle und des Werkstoffes) führt zum Abschn. 3.3. Der wesentliche Unterschied besteht
in der Konstruktion des Düsensystems. Die Brenn-
3
Werkstoff: 56NiCrMoV7(3) schneiddüse hat die Aufgaben:
m m Elektrolyt: NaNO3; 20 kg/100 l H2O; 35 °C – den Werkstoff durch die Heizflamme (Heizdü-
se) auf Entzündungstemperatur zu bringen,
Mittenrauwert Ra

2
s90 = 0,3 mm – den Werkstoff zu verbrennen und aus der Schnitt-
s90 = 0,5 mm
s90 = 1,0 mm fuge zu blasen. Dies geschieht durch den Schneid-
sauerstoffstrahl, der durch den i. Allg. zentrisch
1
angeordneten Kanal auf die erhitzte Werkstück-
oberfläche geleitet wird.
0
Bild 4-183 zeigt schematisch die prinzipiellen Vor-
1,5
Werkstoff: TiAl6V4
gänge beim Brennschneiden. Für den Ablauf des
m m Elektrolyt: NaCl; 12 kg/100 l H2O; 35 °C Brennschneidvorganges ist das Vorwärmen der
Werkstückoberfläche auf die Entzündungstempera-
Mittenrauwert Ra

1,0 tur Tz von größter Bedeutung. Tz ist diejenige Tempe-


s90 = 0,3 mm
s90 = 0,5 mm ratur, oberhalb der der Werkstoff spontan mit Sau-
s90 = 1,0 mm
erstoff reagiert. Werkstoffe werden im klassischen
0,5 Sinn als brennschneidbar bezeichnet, wenn sie fol-
gende Bedingungen erfüllen:
– Tz muss unterhalb der Schmelztemperatur Ts lie-
0 gen. Anderenfalls schmilzt der Werkstoff, verliert
0,4 0,8 A/mm2 1,2
Stromdichte J
also seine feste Form und verbrennt erst dann.
Bild 4-182 Eine auch nur annähernd brauchbare Schnitt-
Einfluss der Stromdichte auf die Oberflächengüte beim elektro-
3)
chemischen Abtragen (nach W. König und F. Klocke). Die Verbrennungswärme von Eisen beträgt etwa 54 kJ/cm3.
4.9 Thermisches Schneiden 371

fläche ist nicht erzeugbar. Bestenfalls ist diese 4.9.1.2 Thermische Beeinflussung der
Qualität für »Schrottschnitte« akzeptabel. Tz ist Werkstoffe
abhängig von der Art des Werkstoffes und sei- Ähnlich wie bei jedem Schmelzschweißverfahren
ner Zusammensetzung. Sie liegt bei unlegierten entstehen auch beim Brennschneiden z. T. sehr hohe
und niedriglegierten Stählen bei ca. 1150 °C und Aufheiz- und vor allem Abkühlgeschwindigkeiten,
nimmt mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt zu. die eine Reihe von unerwünschten Änderungen der
Bei ca. 2 % Kohlenstoff ist sie gleich der Schmelz- Schweißverbindung und ihrer Eigenschaften hervor-
temperatur. Damit ist die Grenze der Brennschneid- rufen können, z. B.
barkeit gekennzeichnet. – Aufhärtung (bei umwandlungsfähigen Stählen)
– Die bei der Verbrennung entstehenden Oxide in der wärmebeeinflussten Zone im Bereich der
müssen einen niedrigeren Schmelzpunkt besit- Brennschnittfläche,
zen als der Werkstoff 4). Sie sollten so dünnflüs- – Eigenspannungen, die Verzug und Maßände-
sig sein, dass sie vom Schneidsauerstoffstrahl rungen des Bauteil bewirken können,
ausreichend leicht ausgetrieben werden können. – Rissbildung infolge Werkstoffversprödung und
– Die Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffes sollte der Wirkung hoher Eigenspannungen und extre-
möglichst klein, seine Verbrennungswärme mög- mer Härte aufgrund von Martensitbildung in der
lichst groß sein. Wärmeeinflusszone.

v Die Härte im Bereich der Schmelzschicht hängt im


Wesentlichen vom Kohlenstoffgehalt, in geringe-
rem Umfang von der Schneidgeschwindigkeit, der
Heizflammengröße und der Werkstückdicke ab. Bei
höhergekohlten Stählen (C > 0,3 %) muss wegen der
l Härterissgefahr die aufgekohlte Zone der Brenn-
1
schnittfläche in einer Breite von maximal 0,5 mm
bis 1 mm abgearbeitet werden. Während bei schweiß-
2
d

geeigneten Stählen keinerlei zusätzliche Maßnahmen


erforderlich sind, müssen aufhärtende Stähle (hö-
a) b)
f hergekohlt und (oder) legiert) wärmevor- bzw. -nach-
behandelt werden. Die Abkühlgeschwindigkeit wird
Bild 4-183 dadurch auf Werte begrenzt, die eine Martensitbil-
Vorgänge beim Brennschneiden, schematisch: dung nicht mehr zulassen.
a) Die Heizflamme (1) erwärmt den Werkstoff örtlich auf Ent-
zündungstemperatur T > Tz. Der Schneidsauerstoff beginnt,
Bild 4-184 zeigt exemplarisch die Härteverteilung
den Werkstoff örtlich zu verbrennen (2).
b) Der Brenner bewegt sich mit der Schneidgeschwindigkeit v, senkrecht zur Brennschnittfläche (gemessen an der
dabei wird Werkstoff geschmolzen und verbrannt. Es ent- Werkstückoberfläche) an einem Vergütungsstahl
steht die Schnittfuge mit der Breite f und der Schnittlänge l. C60 (C 60).

Danach erfüllen nur die üblichen un- bzw. niedrigle-


ohne Wärmebehandlung
gierten Stähle und trotz der Hinweise in Fußnote 4) 800 mit Vorwärmen
Härte HV1

auch Titan die Voraussetzungen für die Brenn-


schneidbarkeit. Insbesondere durch Chrom und Mo-
600
lybdän wird sie erheblich beeinträchtigt. Stähle mit
Cr > 1,5 % oder Mo > 0,8 % sind bereits nur noch
bedingt brennschneidbar. Die Ursache ist die sehr 400
hohe Schmelztemperatur der Cr- bzw. Mo-Oxide,
d. h. auch der Schneidschlacken.
200
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 mm 1,2
4)
Der Schmelzpunkt der Titanoxide ist um etwa 300 °C Einhärtetiefe
höher als der des Titans (etwa 1670 °C). Die Voraus- Bild 4-184
setzungen für die Brennschneidbarkeit der Metalle sind Einfluss des Vorwärmens auf die Härte der Brennschnittfläche,
daher nicht als prinzipiell gültig anzusehen. Werkstoff C60 (C 60), Wanddicke 10 mm.
372 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.9.1.3 Geräte und Einrichtungen Schneidsauerstoff

Im Schneidbrenner wird die für den Schneidpro- Brenngas Heizsauerstoff


zess erforderliche Heizflamme erzeugt und der
Schneidsauerstoffstrahl geführt. Der Saugbrenner
(Injektorbrenner) ist zumindest bei den Hand-
schneidbrennern die vorherrschende Bauart, Bild
Ansicht Ansicht
4-185. Kennzeichnendes Merkmal ist die im Bren-
ner erfolgende Mischung Brenngas/Sauerstoff durch
das Injektorprinzip. Genauere Hinweise zur Funk-
tionsweise sind in Abschn. 3.3.4 zu finden.

Die Brennschneiddüsen sind das eigentliche »Werk-


zeug«. Ihre Art und Bauweise bestimmen entschei-
dend die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens, die ma-
ximale Schneidgeschwindigkeit und die Schnittflä- a) b) c)
chengüte. Die Auswahl der für die jeweiligen Aufga-
Bild 4-186
be »optimalen« Brennschneiddüse sollte daher mit
Schematische Darstellung verschiedener Düsenbauarten:
großer Sorgfalt vorgenommen werden. a) einteilige Düse (Blockdüse)
b) Maschinenschneidbrenner mit einteiliger gasemischender
Die Bauart kann einteilig (z. B. Blockdüsen) oder Düse
zweiteilig sein, d. h., sie bestehen aus einer Schneid- c) mehrteilige Düse (Schlitzdüse)
düse und der sie konzentrisch umgebenden Heizdü-
se. Bei den zweiteiligen Düsen ist die Schlitzdüse die die plötzliche Expansion aus und verliert seine zy-
modernste Bauart: in die Schneiddüse sind schlitz- lindrische Form.
artige Nuten eingearbeitet, durch die das Heizgas-
gemisch strömt. Der zentrische Sitz der Schneiddüse Die Querschnittsform der Schneiddüse (zylindrisch,
ist durch die Bohrung in der Heizdüse gewährleis- zylindrisch abgesetzt, lavalähnlich) ist im Vergleich
tet. Bild 4-186 zeigt einige typische Düsenbauarten. zu ihrer Oberflächengüte von geringerer Bedeutung.
Daher ist für ihre einwandfreie Funktion Sauber-
Die Wirksamkeit und Qualität der Brennschneid- keit und Unversehrtheit der Schneiddüse (z. B.
düsen werden von zahlreichen Faktoren bestimmt, mechanische Beschädigungen, deformierter Quer-
von denen einige zzt. nur unzureichend quantitativ schnitt, festhaftende Spritzer usw.) eine wesentliche
beschreibbar sind. Die Aufgabe dieses »Werkzeugs« Voraussetzung. Gereinigt wird am zweckmäßigs-
besteht darin, den Schneidsauerstoffstrahl möglichst ten »nass« (wässerige Lösung von speziellen Dü-
zylindrisch und wirbelfrei austreten zu lassen. Der senreinigungspulvern) oder mit geeigneten mecha-
statische Druck in der Schneiddüse muss dazu voll- nischen Hilfsmitteln (Düsennadel). Die Verwen-
ständig in Geschwindigkeit umgesetzt werden. Ein dung von Draht, Nägeln oder anderen »Werkzeugen«
mit Überdruck ausströmender Strahl baucht durch führt zu einer schleichenden Qualitätsverschlechte-

Bild 4-185
Querschnitt eines Handschneidbrenners (Saugbrenner).
4.9 Thermisches Schneiden 373

rung der Brennschnittflächen. Nur durch eine ent- der Qualität der Führungseinrichtungen mit Werk-
sprechende Ausbildung des Brennschneiders – vor zeugmaschinen vergleichbar sein müssen. Dieser
allem die des Bedieners stationärer Brennschneid- häufig nicht genügend beachtete Umstand beruht
maschinen, dessen Bedeutung und dessen erforder- sicherlich z. T. auf der Fehleinschätzung, nach der
liche Kenntnisse häufig unterschätzt werden – kann das Werkzeug »Flamme« keine Reaktionskräfte
die Wirtschaftlichkeit und die Qualität des Brenn- auf das Schneidgut ausübt. Diese Vorstellung be-
schneidens erreicht werden. rücksichtigt nicht die erheblichen durch Tempera-
turdifferenzen entstehenden Kräfte und die Notwen-
Der Brennschnitt kann mit handgeführten, tragbaren digkeit einer möglichst ruckfreien, kontinuierlichen
oder mit stationären Brennschneidmaschinen aus- Brennerbewegung.
geführt werden, die in vielfältigsten Bauarten ange-
boten werden. Der Nachteil der handgeführten Ma- Das wichtigste Bauprinzip ist das Kreuzwagensy-
schinen ist, dass die für den auszuführenden Schnitt stem mit Längs- und Querantrieb (praktisch immer
erforderlichen Informationen auf dem Blech aufge- als Koordinatenantrieb), das in drei grundsätzlichen
zeichnet werden müssen. Die Schnittqualität hängt Bauweisen realisiert wird, Bild 4-187:
also von der Genauigkeit der »Zeichnung« und der – Ausleger,
manuellen Geschicklichkeit des Brennschneiders ab. – Portal,
Der Verarbeiter muss beachten, dass zum Herstel- – Kombination aus Ausleger- und Portalbauwei-
len hochwertiger, formgenauer Bauteile die Brenn- se.
schneidmaschinen im Aufbau, in der Stabilität und
Fotoelektrische vy
Abtasteinheit

v
y

a
a’
vx

vx = v × cos a
a) vy = v × sin a
v2 = v x2 + vy2 = konst.
a

x
Bild 4-188
Mechanische Grundlagen des Koordinatenantriebs:
a - a’ = Verlauf der Bahnkurve, v = Vektor der Schnittgeschwin-
digkeit

b)
Der oder die (maximal etwa 20) Brennschneidbren-
ner müssen führungsgenau im konstanten Abstand
von der Blechoberfläche erschütterungsfrei, ruck-
frei und mit konstanter Schneidgeschwindigkeit ent-
lang einer vorgegebenen Kontur bewegt werden. Mit
dem Koordinatenantrieb lassen sich viele dieser
Forderungen einfach und technisch elegant erfül-
len. Hierbei wird der Kreuzwagens in x- und y-Rich-
tung mit jeweils einem Servo-Motor bewegt. Die
c)
Schneidgeschwindigkeit v ist konstant und unabhän-
Bild 4-187 gig von der Bahnkurve des Schneidbrenners – das
Unterschiedliche Bauweisen der Kreuzwagen-Brennschneid-
ist die nachzufahrende Kontur des Bauteilumris-
maschinen, nach Hermann:
a) Ausleger ses – wenn zwischen v und den Geschwindigkeits-
b) Portal komponenten in x- und y-Richtung die Beziehung
c) Kombination aus Ausleger und Portal besteht, Bild 4-188:
374 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

10 dick
M16
M30

460
M20

700

a) b)

Bild 4-189
Werkstück mit Gewindebohrungen a) und zugeordneter Abtastplan b), in dem die Mittelpunkte der Ansenkungen miteinander
verbunden sind (nach Messer Griesheim).

v2 = vx2 + vy2 = v2 ⋅ (sin2 a + cos2 a ) = konst. [4-77] am Brenner befestigten Metallstück und dem Werk-
stück besteht. Der eingestellte Düsenabstand kann
Die Bewegung der Servomotore wird also von der innerhalb ± 1,5 mm konstant gehalten werden, bei
Lage der Koordinaten auf dem Schneidtisch be- größerem apparativen Aufwand sind auch ± 0,5 mm
stimmt. Mit dieser Antriebsart können Schneidge- möglich. Diese Werte sind z. B. für die Herstellung
schwindigkeiten bis 6000 mm/min erreicht und von Schweißfugen (Schrägschnitte!) erforderlich.
kleinste Radien von etwa 20 mm nachgefahren wer-
den. Mit Hilfe spezieller Einrichtungen lässt sich durch
Zusammenfassen der drei wichtigsten Bearbeitungs-
Beim Schneiden kleiner Radien wird der die Schnitt- verfahren Brennschneiden, Anreißen, und Ansen-
qualität bestimmende Rillennachlauf so groß (Ab- ken bzw. Bohren die Blechbearbeitung in großem
schn. 4.9.1.5), dass Nacharbeit des Schneidgutes er- Umfang rationalisieren. Pneumatisch arbeitende
forderlich ist. Dieser Nachteil lässt sich durch die au- Körn- oder Ansenkwerkzeuge erzeugen gut sichtba-
tomatische Eckenverzögerung beseitigen. Vor Er- re Körnungen/Senkungen in der Blechoberfläche.
reichen einer scharfen Umlenkung wird die Geschwin- Für einen mechanisierten Ablauf werden bei foto-
digkeit soweit verringert, dass der Rillennachlauf ver- elektrisch gesteuerten Brennschneidmaschinen sog.
nachlässigbar ist. Abtastzeichnungen verwendet 5), bei denen die Mit-
telpunkte der Ansenkungen/Bohrungen durch eine
Ein weiterer die Schnittqualität bestimmender Fak- Linie verbunden sind, die Codes in Form von Ver-
tor ist der richtige und gleichbleibende Abstand der dickungen enthält, Bild 4-189. Beim Erreichen einer
Schneiddüse von der Werkstückoberfläche. Bei der derartigen Markierung schaltet der Abtastkopf auf
unvermeidbaren Welligkeit der Bleche und der beim Schleichganggeschwindigkeit um, an ihrem Ende
Schneiden vor allem der dünnwandigen Bauteile hält die Maschine an, und es wird angesenkt. Die
entstehenden Verwerfungen ist eine automatische Positioniertoleranz ist dabei kleiner als ± 0,5 mm.
Brennerhöhenverstellung eine große Hilfe. Für
senkrechte Formschnitte hat sich die kapazitive In vielen Fällen sind auf dem Bauteil festhaftende
Brennerhöhenverstellung bestens bewährt. Der Ab- Markierungen, Schweißpositionen, Teile- bzw Po-
stand wird durch die Änderung der Kapazität eines sitionsnummern usw. anzubringen. Hierfür ist das
Kondensators geregelt, dessen »Platten« aus einem Pulvermarkieren hervorragend geeignet. Mit Hil-
fe eines Pulvermarkierbrenners wird Zinkpulver zu-
sammen mit Sauerstoff auf das Blech geblasen und
5)
Bei nummerisch gesteuerten Brennschneidmaschinen ist hier durch die Heizflamme angeschmolzen. Es ent-
keine Abtastzeichnung erforderlich. Sie fahren im Eilgang stehen festhaftende, deutlich begrenzte etwa 1 mm
jeweils zu der nächsten Position. breite Linien.
4.9 Thermisches Schneiden 375

Die Steuerung der Brennschneidmaschinen, d. h., Brennschneidmaschinen mit computergestützten


die Führung des Schneidbrenners entlang der Kon- nummerischen Steuerungen (CNC) erfordern höhe-
tur des auszuschneidenden Bauteils, erfolgt in vielfäl- re Investitionskosten, die sich aber erfahrungsge-
tiger Weise. Neben der nummerischen ist die foto- mäß bei Jahresleistungen von etwa 40 000 Schnitt-
elektrische die wichtigste Steuerungsart der moder- metern amortisieren. Sie besitzen eine Reihe wich-
nen Brennschneidmaschinen. Bei dieser werden die tiger Vorteile:
Mitten ca. 1 mm dicker Linien (Strichmittenabtas- – Sämtliche Bearbeitungsvorgänge laufen auto-
tung) oder aber die Kanten der Bauteilsilhouette ab- matisch ab. Manuelle Eingriffe des Bedienungs-
getastet, die auf dem schwarzen Grund des Zeich- personals im Hinblick auf Eilgangsbewegungen,
nungsauflagetisches liegt (Strichkantenabtastung). Schaltfunktionen und Bearbeitungsbewegungen
Bei der Strichmittenabtastung ist das Einzeichnen sind nicht erforderlich. Die bei fotoelektrisch ge-
von Verbindungslinien im Schablonenträger erfor- steuerten Brennschneidmaschinen erreichbare
derlich, wenn mehrere Bauteile ausgeschnitten wer- Nutzungsdauer von ca 35 % (nur Abfahren der
den sollen. Eine Lageänderung der Brennteile ist gezeichneten Kontur erfolgt automatisch!) kann
im Gegensatz zur Strichkantenabtastung nicht mög- auf 70 % erhöht werden.
lich. Der Schablonenträger muss in diesem Fall neu – Maßfehler durch Temperatur- und Feuchtigkeits-
gezeichnet werden. einflüsse der Vorlage entfallen. Die Genauigkeit
der Bauteile wird deutlich größer.
Die Informationsträger sind kunststoffkaschierte – Der Tafelnutzungsgrad wird mit Hilfe optimier-
und somit in bestimmtem Umfang temperatur- und ter »Schachtelpläne« erheblich verbessert. Diese
feuchtigkeitsempfindliche Folien. Ihre Größe sollte können mit entsprechender Software relativ ein-
daher 2 m2 bei einem Maßstab von 1:1 nicht über- fach hergestellt werden, Bild 4-190.
schreiten. Verkleinerte Zeichnungen (1:5 bzw 1:10) – Für den weiteren Arbeitsfortschritt und -ablauf
können mit entsprechenden Hilfsmitteln in einer notwendige Daten lassen sich einfach auf Loch-
Genauigkeit von ± 0,1 mm hergestellt werden. Ob- streifen speichern und verfügbar machen.
wohl bei Stationierung der »Gebermaschinen« in – Maschinenwartung und Systemdiagnose sind
klimatisierten Räumen bei einer Arbeitsfeldgröße effektiver, schneller und einfacher möglich. Die
von 3 m mal 10 m die Übertragungsgenauigkeit im Verbindung der Service-Zentrale mit der Steue-
Bereich von ±1,5 mm liegt, verwendet man für derar- rung (z. B. Akustikkoppler), erleichtert die Feh-
tige Aufgaben zunehmend Brennschneidmaschinen lerdiagnose im Hard- und Softwarebereich durch
mit nummerischen Steuerungen. Starten von Prüfroutinen ganz erheblich.

Bild 4-190
Mit einem Rechnerprogramm automatisch erzeugter Brennschneidplan (»Schachtelplan«), nach Messer Griesheim.
376 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Aus verschiedenen Gründen (näheres s. Abschn. 4.9.1.4 Technik des Brennschneidens


4.9.1.4) ist das Anschneiden innerhalb der Blechtafel Vor dem Einstellen der Heizflamme wird zunächst
dem Anschnitt von der Kante vorzuziehen. Für diese bei geöffnetem Schneidsauerstoffventil der korrek-
Aufgabe wird bei stationären Brennschneidmaschi- te Schneidsauerstoffdruck, danach die Heizflam-
nen die Lochstechautomatik verwendet. Auf die me neutral eingestellt. Die korrekte Heizflamme
auf Entzündungstemperatur erwärmte Werkstück- und der zylindrische Schneidsauerstoffstrahl sind
ober fläche strömt mit geringerem Druck (gerin- absolute Voraussetzungen für hochwertige Schnit-
ger als der Schneidsauerstoffdruck!) der Schneid- te, Bild 4-191.
sauerstoff, der den Verbrennungsvorgang einleitet
und den Maschinenvorschub einschaltet. Nach Ab- Der Brennschneidprozess kann an der Kante oder
lauf einer maschinenintern gespeicherten Zeit wird im Werkstückinneren mit der Technik des Lochste-
der Schneidsauerstoffdruck auf den für die Schneid- chens beginnen. Die Güte der Brennschnittoberflä-
dicke erforderlichen Wert erhöht. chen und die Maßtoleranzen (Formteilgenauigkeit)
werden von der Art des Anschneidens beeinflusst.
Das Brennschneiden von Werkstücken mit geringe- Als Regel und grundsätzliche Empfehlung gilt, dass
rer Wanddicke (1 mm bis 6 mm) führt wegen der fol- das Bauteil möglichst lange mit der Blechtafel ver-
genden Tatsachen meistens zu Schwierigkeiten, die bunden bleiben muss. Dadurch können sich die
Nacharbeit und z. T. erhebliche zusätzliche Kosten Rand- bzw. Abfallbereiche frei bewegen, die Lage
verursachen: des festen Bauteils relativ zur Lage des Informa-
– Verzug in der Blechebene, d. h., aufwendige tionsträgers (z. B. Schablone, Zeichnung) bleibt aber
Richtarbeiten sind erforderlich weitgehend unverändert. Daraus ergeben sich eini-
– Entstehen festhaftender Schlacke an der Schnitt- ge wichtige Folgerungen, Bild 4-192:
unterseite (»Bartbildung«).

Wenn nicht andere Trennverfahren verwendet wer-


den können (siehe Abschnitte 4.9.2 und 4.9.3), sind
diese Probleme mit speziellen Brennschneiddüsen
und konzentrisch um diese angeordnete Pressluft-
a) b) c)
duschen hinreichend wirksam zu bekämpfen.
1

2 3

d) e)

Bild 4-192
Technik des Anschneidens:
a) Falsch: das angeschnittene Bauteil bewegt sich sofort
nach dem Anschneiden, weil es mit der Blechtafel nicht
solange wie möglich verbunden blieb. Die Formteilge-
nauigkeit ist daher nicht optimal
a) b) c) b) Im Wesentlichen bewegt sich der Abfall, das Werkstück
bleibt lange fest mit der Tafel verbunden
Bild 4−191 c) Anschnitt im Tafelinneren verringert die Möglichkeit der
Flammeneinstellung: Bauteilbewegung noch weiter, daher zu bevorzugende
a) Bei geöffnetem Heizsauerstoffventil mit Brenngasventil Anschnitttechnik, i. Allg. ist aber eine Lochstechautoma-
zunächst Acetylenüberschuss einstellen tik erforderlich bzw. zweckmäßig
b) Brenngasventil solange schließen, bis neutrale Flamme d) Möglichst rechtwinklig zur Blechkante anschneiden: (1)
eingestellt ist besser als (2), optimal ist (3)
c) Schneidsauerstoffventil öffnen und Flamme erneut neutral e) Innenausschnitte in Formteilen zuerst schneiden (1). Auf
nachstellen. Zu beachten ist der zylindrische, scharf be- tangentialen Einlauf achten, um Bildung von Kerben zu
grenzte Schneidsauerstoffstrahl vermeiden (sonst Nacharbeit erforderlich)
4.9 Thermisches Schneiden 377

– Ein Anschneiden im Blechinneren ist dem Kan- 4.9.1.5 Qualität brenngeschnittener


tenanschnitt vorzuziehen. Erzeugnisse
– Der Anschnitt soll senkrecht zur Blechkante er- Die Güte brenngeschnittener Teile hängt wie die je-
folgen. Der Verzug der Bereiche neben der Schnitt- des technischen Erzeugnisses von einer Reihe quali-
fuge wird so am kleinsten. tätsbestimmender Faktoren ab:
– Innenausschnitte bei Formteilen immer zuerst – Bestimmte Form- und Lagetoleranzen,
schneiden. Hierbei ist wegen der Gefahr einer – Schnittflächenqualität und
Kerbbildung auf tangentialen Schnitteinlauf zu – Maßtoleranzen.
achten.
Häufig ist die wirtschaftlich vertretbare und tech-
Die Qualität der Brennschnittflächen (s. Abschn. nisch sinnvolle Qualitätssicherung brenngeschnitte-
4.9.1.5) wird sehr wesentlich von den Verfahrens- ner Erzeugnisse aus den verschiedensten Gründen
parametern (Schneidgeschwindigkeit, Heizflammen- nicht einfach zu realisieren.
einstellung, Schneidsauerstoffdruck) bestimmt. Ei-
ne praxiserprobte Empfehlung besagt: Form- und Lagetoleranzen
Nach DIN ISO 1101 definiert eine Form- oder Lage-
Einstellwerte sollen nach der Schneidtabelle des toleranz eines Elements (z. B. Fläche, Achse, Mit-
Brennschneidmaschinenherstellers gewählt wer- telebene) die Zone, innerhalb der jeder Punkt die-
den. Das gilt insbesondere für die Schneidge- ses Elementes liegen muss. Je nach der zu tolerie-
schwindigkeit und den Schneidsauerstoffdruck. renden Eigenschaft und der Art ihrer Bemaßung ist
die Toleranzzone sehr unterschiedlich. Sie kann z.
Allerdings wird die Schneidgeschwindigkeit für sog. B. die Fläche zwischen zwei parallelen Geraden (z.
Trennschnitte, bei denen keine oder nur sehr gerin- B. die Rechtwinkligkeitstoleranz) oder der Raum
ge Anforderungen an die Schnittflächenqualität ge- zwischen zwei parallelen Ebenen (z. B. die Neigungs-
stellt werden, erheblich erhöht. toleranz) sein.

Die Reinheit des Sauerstoffs beträgt i. Allg. 99,5 %. Bei Lagetoleranzen muss die genaue Lage der To-
Verringert sich dieser Wert z. B. auf 99 %, dann leranzzone angegeben werden. Dieser Bezug ist ein
sinkt die maximale Schneidgeschwindigkeit um et- theoretisch genaues, geometrisches Element, bei-
wa 10 %, die Schlackenablösung ist erschwert, und spielsweise eine gerade Linie oder eine Ebene, z. B.
die Schnittfuge wird etwas breiter. eine Brennschnittfläche. Man beachte, dass in den
Maßtoleranzen die Form- und Lagetoleranzen nicht
Der Schneidsauerstoffdruck ist abhängig von der enthalten sind.
Düsenbauart. Er beträgt bei den üblichen, noch weit
verbreiteten Düsen 3 bar bis 6 bar, bei Hochleis- Schnittflächenqualität
tungsdüsen 6 bar bis 12 bar und bei den Hochdruck- Die Qualität der Brennschnittflächen kann durchaus
düsen 10 bar bis 20 bar. mit der beim Bohren und Hobeln erreichbaren kon-
kurrieren. Bild 4-193 zeigt die möglichen Rautiefen
erreichbare Rautiefen Rz in m m
Rz einiger mechanischer Bearbeitungsverfahren im
Fertigungs- Vergleich zum Brennschneiden.
1000
0,63

250
400
630

verfahren
160
100
2,5

6,3
1,6

40
25

63
16
10
4
1

Längsdrehen Die Schnittflächengüte wird nach DIN EN ISO 9013


bestimmt. Die folgenden Kennzeichen sind hierfür
Hobeln
maßgebend:
Bohren – Die Rechtwinkligkeits- und Neigungstoleranz u.
Sie entspricht inhaltlich der bisherigen Kenn-
Umfangfräsen
größe Unebenheit. u ist der Abstand zweier pa-
Brennschneiden ralleler Geraden, die unter dem theoretisch richti-
gen Winkel (90 ° bei Rechtwinkligkeitstoleranz
Bild 4-193 bzw. von 90 ° verschieden bei der Neigungsto-
Erreichbare gemittelte Rautiefe Rz bei verschiedenen Ferti- leranz) das Schnittflächenprofil im höchsten und
gungsverfahren (nach DIN 4766-1). tiefsten Punkt berühren muss (Bild 4-194).
378 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

– Die gemittelte Rautiefe Rz5. Sie wird nach DIN aus wirtschaftlichen Gründen mit nur einer Messung
EN ISO 4288 aus den Einzelrautiefen (Z1 bis Z5) feststellbar sein.
fünf aneinandergrenzender Einzelmessstrecken
ermittelt (Bild 4-195). Die weniger wichtigen Kenngrößen Rillennachlauf
n und Anschmelzung r können zur visuellen Beur-
tw

teilung mit herangezogen werden, Bild 4-196. Die


Anschmelzung ist das bestimmende Kennzeichen
A für die Form der Schnittoberkante, die eine scharfe
Kante, eine Schmelzkante mit Überhang oder eine
u
Schmelzperlenkette sein kann. Der Rillennachlauf
ist typisch für jede Brennschnittfläche. Er entsteht
b) Rechtwinkligkeitsabweichung
durch dynamische Vorgänge im Schneidsauerstoff-
strahl und ist unvermeidbar. Seine leichte Erkenn-
barkeit ist häufig der Grund, ihn als Bewertungs-
maßstab für die Schnittflächengüte überzubewerten.
Tatsächlich ist die Bedeutung eher gering, wenn die
u
Rillentiefe klein und die Schnittfläche hinreichend
eben ist.
c) Neigungsabweichung

Zt4
Zt1
u u

Zt5
Zt3
Zt2
a)

Bild 4-194
Für die Beschreibung der Schnittflächenqualität erforderliche
Form- und Lagetoleranzen.
a) tw die auf A bezogene Rechtwinkligkeitstoleranz,
u Rechtwinkligkeitstoleranz in Schneidstrahlrichtung
b) Messbeispiel für die Ermittlung der Rechtwinkligkeits-
und lr
c) der Neigungstoleranz u (nach DIN EN ISO 9013) ln

l n = Gesamtmessstrecke
Lage und Anzahl der Messstellen hängen von der
Z t1 bis Z t5 = einzelne Profilelemente
Größe, Form und u. U. dem Verwendungszweck l r = Einzelmessstrecke (= 1/5 von l n)
ab z. B. bei thermisch geschnittenen Werkstücken,
bei denen eine hohe Schnittqualität gefordert wird Bild 4-195
Ermittlung der gemittelten Rautiefe Rz5 (nach DIN EN ISO
oder die nach dem Schneiden nicht weiter bearbei-
4288).
tet werden. DIN EN 12584 beschreibt die Termino- ln Gesamtmessstrecke
logie der Unregelmäßigkeiten an Brenn-, Plasma- Zt1 bis Zt5 Einzelrautiefen
und Laserschnitten. lr Einzelmessstrecke (= 1/5 von ln)

Die Anzahl der Messstellen beträgt bei der Recht- Die Qualität der Schnittflächen thermisch geschnit-
winkligkeits- und Neigungstoleranz u 2 mal 3 Mes- tener Werkstoffe wird eindeutig durch die Rechtwin-
sungen mit je 20 mm Abstand voneinander je Meter kligkeits- und Neigungstoleranz und die gemittelte
Schnitt, bei Rz5 eine je Meter Schnitt. Rautiefe Rz5 beschrieben. Die qualitative Eintei-
lung ist demnach abhängig von der Größe der Recht-
Bild 4-194 zeigt die Rechtwinkligkeits- und Nei- winkligkeits- und Neigungstoleranz, der gemittel-
gungstoleranz u. Das sind bezogene Richtungsto- ten Rautiefe und der geforderten Toleranz, darge-
leranzen, d. h., sie erfordern für ihre korrekte Be- stellt durch die Lage der Toleranzfelder Bereich 1
schreibung einen Bezug A . Sie werden bei brenn- bis Bereich 4 (5), Bild 4-197. Bei Bedarf können zu-
geschnittenen Teilen nicht einzeln angegeben, weil sätzliche Qualitäten vereinbart werden, wobei die
sich ihre Größe nicht mit einem vertretbaren Auf- Felder in der Reihenfolge u und Rz5 angegeben wer-
wand bestimmen lässt. Außerdem soll die geometri- den. Wird bei der Qualitätsfestlegung auf die Anga-
sche Beschaffenheit eines brenngeschnittenen Teils be eines Wertes verzichtet, ist eine Null zu setzen.
4.9 Thermisches Schneiden 379

Bezugslinie Rillenbreite f Schnittrille Schneidrichtung


r

r
r
Rillentiefe c

n n n

Bild 4-196
Erklärung einiger Qualitätsmerkmale von Brennschnittflächen: Rillentiefe c, Rillenbreite f, Rillennachlauf n, Anschmelzung r
(nach DIN EN ISO 9013).

Die Genauigkeit der Bauteilabmessungen wird von Je nach Toleranzklasse (z. B. 1 und 2) sind bestimmte
den Maßtoleranzen der Nennmaße (Zeichnungsma- Grenzabmaße zulässig (Tabelle 4-9), die für Maße
ße) bestimmt. Die für die Funktion vieler Werkstü- ohne Toleranzangaben gelten, wenn z. B. auf Zeich-
cke wichtigeren Form- und Lagetoleranzen, müssen nungen auf die Norm DIN EN ISO 9013 verwiesen
getrennt von den Maßtoleranzen angegeben werden. wird. Nach dem älteren Tolerierungsgrundsatz, der

6
mm
1: u = 0,005 + 0,004× a in mm
5 2: u = 0,15 + 0,007× a in mm
Rechtwinkligkeits- und

3: u = 0,4 + 0,01× a in mm Bereich 5


Neigungstoleranz u

4 4: u = 0,8 + 0,02× a in mm
5: u = 1,2 + 0,035× a in mm

3
Bereich 4
2
Bereich 3
1 Bereich 2
Bereich 1
0
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 mm 150
a) Schnittdicke a

350
1: Rz5 = 10 + (0,6 × a, a in mm)
2: Rz5 = 40 + (0,8 × a, a in mm)
m m
3: Rz5 = 70 + (1,2 × a, a in mm)
gemittelte Rautiefe Rz5

4: Rz5 = 110 + ( 1,8 × a, a in mm) Bereich 4


250

200
Bereich 3
150
Bereich 2
100

50
Bereich 1
0
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 mm 150
b) Schnittdicke a

Bild 4-197
Zur Definition und Beschreibung der Qualität von Brennschnittflächen, nach DIN EN ISO 9013:
a) Rechtwinkligkeits- und Neigungstoleranz u in mm
b) Zulässige gemittelte Rautiefe Rz5 in mm
380 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

aber in der Schweißtechnik noch weitgehend ange- (auch Tulpennähte sind mit einer speziellen Bren-
wendet wird, müssen die Form- und Lagetoleran- neranordnung und Schneidtechnik erzeugbar) kön-
zen kleiner gleich der Maßtoleranz sein. nen mit dem Brennschneidverfahren wirtschaftlich
hergestellt werden. Man schätzt, dass 75 % aller
Die geforderte Schnittqualität und die Toleranzklasse Schweißfugen mit diesem Verfahren erzeugt wer-
müssen auf einem Symbol nach DIN EN ISO 1302 den. In der Bundesrepublik Deutschland werden in
wie folgt angegeben werden: der metallverarbeitenden Industrie pro Jahr unge-
➊ ➋➌➍ ISO 9013 - 342
fähr 750 000 km Brennschnitte hergestellt. Die Inves-
z. B.
titionskosten für die apparative Einrichtung sind i.
Allg. gering, die Betriebsstoffe preiswert und leicht
➊ Angabe der Hauptnummer dieser Norm verfügbar.
(DIN EN ISO 9013),
➋ Angabe der Rechtwinkligkeits- und Neigungsto- Für Gusseisen und andere nicht brennschneidbare
leranz u, Bild 4-197a), Werkstoffe (z. B. hochlegierte Cr-Ni-Stähle, Alumi-
➌ Angabe der gemittelten Rautiefe Rz5, Bild 4-197b), nium) existieren Sonderverfahren, deren Anschaf-
➍ Angabe der Toleranzklasse, Tabelle 4-9. fungskosten deutlich niedriger sind als die des z. B.
hierfür wesentlich besser geeigneten Plasmaschnei-
4.9.1.6 Anwendung des Brennschneidens dens. Beim Pulverbrennschneiden wird die kineti-
Das Brennschneiden ist das universellste thermi- sche Energie des Schneidsauerstoffstrahls durch Zu-
sche Schneidverfahren für un- und niedriglegierte gaben von Spezialsand (SiO2) soweit erhöht, dass
Stähle. Die schneidbare Werkstückdicke liegt zwi- die Oxide und Schneidschlacken ausgetrieben wer-
schen 2 mm und 3000 mm, die in der Brennschneid- den können.
praxis übliche im Bereich 10 mm bis 300 mm. Bei
geringeren Werkstückdicken (1 mm bis 5 mm) sind Die künftige Entwicklung ist – bedingt durch die
andere thermische Schneidverfahren wirtschaftli- Konkurrenzsituation – gekennzeichnet durch den
cher (höhere Schneidgeschwindigkeit) und oft auch Zwang zu einer weitgehenden Mechanisierung und
technisch besser (deutlich höhere Schnittflächengü- Technisierung. Die ständig sinkenden Preise auf
te und nur in begrenztem Umfang Bartbildung). dem Computersektor machen die CNC-Steuerun-
gen besonders für den Großmaschinen- und Schiff-
Senkrechte Schnitte und Gehrungsschnitte sind an bau attraktiv. Rüst- und Nebenzeiten lassen sich da-
beliebig geformten Teilen durchführbar. Insbesonde- mit ebenfalls deutlich verringern, d. h. technische
re die vielfältigen Fugenformen der Schweißnähte Wertigkeit und Wirtschaftlichkeit nehmen zu.
Tabelle 4-9. Grenzabmaße für Nennmaße (DIN EN ISO 9013) in Abhängigkeit von der Toleranzklasse.
Diese gelten nur für Teile, deren Seitenverhältnis (l:b = Länge:Breite) höchstens 4:1 beträgt.

Toleranz- Werkstückdicke Grenzabmaße für Nennmaße in mm


klasse
mm 10 bis < 35 35 bis < 125 125 bis < 315 315 bis < 1000

> 3,15 bis 6,3 ± 0,4 ± 0,4 ± 0,5 ± 0,5


> 6,3 bis 10 ± 0,6 ± 0,6 ± 0,7 ± 0,7
> 10 bis 50 ± 0,6 ± 20,7 ± 0,8 ± 1,0
1
> 50 bis 100 ± 1,3 ± 1,3 ± 1,4 ± 1,7
> 100 bis 150 ± 1,9 ± 2,0 ± 2,15 ± 2,3
> 150 bis 200 ± 2,6 ± 2,7 ± 2,7 ± 3,0
> 3,15 bis 6,3 ± 0,8 ± 0,9 ± 1,1 ± 1,2
> 6,3 bis 10 ± 1,1 ± 1,3 ± 1,4 ± 1,5
> 10 bis 50 ± 1,8 ± 1,8 ± 1,9 ± 2,3
2
> 50 bis 100 ± 2,5 ± 2,5 ± 2,6 ± 3,0
> 100 bis 150 ± 3,2 ± 3,3 ± 3,4 ± 3,7
> 150 bis 200 ± 4,0 ± 4,0 ± 4,1 ± 4,5

Beispiel:
Schnittdicke a = 60 mm, Abmessungen des auszuschneidenden Bauteils (Rechteck): l = 400 mm, b = 100 mm, Toleranzklasse 1.
Die Grenzabmaße des geschnittenen Teils betragen: l = 400 ± 1,7 mm, b = 100 ± 1,3 mm. Bei einer geforderten Qualität der
Schnittfläche (»Bereich 2«) darf nach Bild 4-193 u maximal 0,95 mm, die Rautiefe Rz5 maximal 120 mm betragen.
4.9 Thermisches Schneiden 381

4.9.2 Plasmaschneiden – erhebliche Rauch- und Gasentwicklung (Ozon,


Stickoxide, Metallstäube).
Die Verfahrensgrundlagen sind in Abschn. 3.6 be-
schrieben. Das für diese Verfahrensgruppe entschei- In den meisten Fällen sind also für den gefahrlosen
dende und charakteristische Merkmal ist die starke Betrieb aufwändige Schutz- bzw. Entsorgungsmaß-
Konzentration des Lichtbogens durch die einschnü- nahmen erforderlich.
rende Wirkung einer wassergekühlten Kupferdüse
und (oder) den Plasmastrahl fokussierender Gase. Die maximal trennbare Werkstückdicke und die er-
Die erreichbaren Temperaturen liegen je nach Ver- reichbare Schnittflächengüte hängen praktisch von
fahrensvariante zwischen 20 000 K und 30 000 K. der begrenzten Möglichkeit ab, den Plasmastrahl
Ein typischer Unterschied zum Brennschneiden ist stabilisieren und formen zu können. Diese Ein-
der Ursprung der erforderlichen Energie. Beim Plas- schränkungen sind z. T. durch die Verfahrensvari-
maschneiden wird die Schnittfuge ausschließlich ante und das Schneidgas beeinflussbar.
durch die von außen zugeführte Energie erzeugt,
die konduktiv vom Plasma auf die Schnittfläche Als Schneidgase werden Argon, Wasserstoff und
übertragen wird. Durch die kinetische bzw. thermi- in begrenztem Umfang Stickstoff verwendet. Die
sche Energie des Plasmastrahls wird der Werkstoff wichtigsten Anforderungen an ein als Schneidgas
geschmolzen (und/oder verdampft) und herausge- geeignetes Gas sind
schleudert. Anders als beim Brennschneiden ent- – möglichst große Wärmeleitfähigkeit und
steht keine zusätzliche Verbrennungswärme. Da- – hohes Atom- bzw. Molekulargewicht.
raus ergeben sich zwei wichtige Verfahrenskennzei-
chen der Plasmaschneidverfahren: Die Wärmeleitfähigkeit ist für die Energieübertra-
– Der Schneidprozess ist im Wesentlichen nur an gung auf das Werkstück eine entscheidende Kenn-
die Bedingung geknüpft, dass schmelzbare me- größe. Das Atomgewicht erhöht den Impuls bzw.
tallische Werkstoffe vorliegen. Mit dem übertra- die kinetische Energie des Plasmastrahles, d. h. des-
genen Lichtbogen lassen sich allerdings nur lei- sen Fähigkeit, den flüssigen Werkstoff aus der Schnitt-
tende Werkstoffe (Metalle) trennen, weil sie im fuge zu treiben. Hinsichtlich der Schnittflächenqua-
Schneidstromkreis liegen (s. Bild 3-50a)). Plas- lität und der erreichbaren Schneidgeschwindigkeit
maschneiden lässt sich daher für alle nicht brenn- ist ein Ar-H2-Gemisch mit 60 % Ar und 40 % H2
schneidbaren Werkstoffe erfolgreich einsetzen. optimal. H2-Gehalte über 50 % können zu Instabi-
– Als Folge der fehlenden Verbrennungswärme, litäten des Plasmastrahles führen und sind daher
die insbesondere die Fortsetzung des Schnittvor- grundsätzlich nicht zu empfehlen. Schneiden mit rei-
ganges in Wanddickenrichtung ermöglicht, ist nem Argon ergibt zwar sehr hohe Schnittflächen-
die maximale Schnittdicke auf etwa 150 mm be- qualitäten, es wird aber wegen der sehr geringen
grenzt. Schnittgeschwindigkeit in der Praxis nur selten ver-
wendet. N2-Zusätze (Ar-N2- bzw. Ar-H2-N2-Gemi-
Das Plasmaschneiden wird bevorzugt zum Trennen sche) erweisen sich aus folgenden Gründen als über-
aller nicht brennschneidbaren Werkstoffe eingesetzt. wiegend nachteilig:
In erster Linie sind das die NE-Metalle wie Alumi- – Die Schnittflächenqualität nimmt ab.
nium und Aluminiumlegierungen, Kupfer und die – Die Ausbildung der Schnittfuge wird merklich
hochlegierten Stähle. Aber auch zum Schneiden un- V-förmig, parallele Schnittfugen sind nicht er-
legierter Stähle ist das Verfahren sehr geeignet, ins- reichbar.
besondere bei Anwendung bestimmter Verfahrens- – Die maximale Schnittgeschwindigkeit nimmt ab.
varianten und Schneidgase. – Starke Rauchentwicklung und die Bildung gif-
tiger Stickoxide erfordern eine aufwändige Ab-
Allerdings ergeben sich auch eine Reihe bemer- saugung bzw. Entsorgung, die die Verfahrens-
kenswerter Nachteile, deren Auswirkungen aber kosten erheblich erhöhen.
erheblich von der Verfahrensvariante abhängen: – Die Schnittflächen sind nicht mehr metallisch
– Hohe Arbeitsgeräusche, bis ca. 105 dB(A), blank.
– verfahrenstypische leicht V-förmige Schnittfu-
gen sind unvermeidbar, Lediglich bei manuellen Schnitten im Dünnblech-
– starke UV-Strahlung, bereich kann ein Verringern der Schneidgeschwin-
382 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

digkeit sinnvoll sein. Außerdem wird durch N2-Zu- Ein entscheidender Nachteil dieser Verfahrensvari-
satz die Neigung zur Bartbildung an der Schnittflä- ante ist die absolute Notwendigkeit, die in großem
chenunterkante verringert. Umfang entstehenden giftigen Gase Ozon und Stick-
oxide, durch eine aufwändige Absauganlage mit
4.9.2.1 Verfahrensvarianten nachgeschalteter Nassfiltration zu entsorgen.
Die konventionelle Ar-H2-Plasmatechnik, auch Fein-
strahl- oder »Spitzenelektrodentechnik« genannt, Plasmawasserinjektionsschneiden
wird hauptsächlich zum Trennen hochlegierter Stäh- Anstelle des die Umwelt erheblich belastenden Plas-
le und Aluminium verwendet. Infolge der ange- mapressluftschneidens hat sich für das Trennen un-
spitzten Wolframelektrode entsteht bei einem gerin- legierter und hochlegierter Stähle weitgehend das
gen Schneidstrom ein sehr konzentriertes Plasma, Plasmawasserinjektionsschneiden durchgesetzt.
mit dem schmale Schnittfugen und eine hervorra- Durch besondere konstruktive und verfahrenstech-
gende Schnittflächenqualität erzeugbar sind. Ein nische Maßnahmen ist der Aufwand für die Dampf-
erheblicher Nachteil beim Schneiden unlegierter und Rauchentsorgung und den Lärm- und Strah-
und hochlegierter Stähle mit dieser Verfahrensvari- lenschutz außerordentlich gering. Die Investitions-
ante ist die deutliche Bartbildung an der Schnittkan- kosten sind allerdings erheblich und der Umgang
tenunterseite im Schnittdickenbereich < 4 mm. Der mit diesem Verfahren gewöhnungsbedürftig, weil
Bart ist nur durch zusätzliche Nacharbeit zu besei- i. Allg. mit großen Wassermengen gearbeitet wird.
tigen, das Verfahren daher sehr viel teurer und
unwirtschaftlicher.

Plasmapressluftschneiden
Dieses Problem kann durch die Verwendung von
trockener, ölfreier Druckluft als Plasmagas besei-
tigt werden. Die Wirkung wird auf die Anwesen-
heit von Sauerstoffionen im Plasma zurückgeführt,
die offenbar die Schmelzenviskosität verringern.
Das Austreiben der jetzt dünnflüssigen, feintropfi-
gen Schmelze an der Materialunterseite wird sehr
erleichtert und damit die Bartbildung erschwert. Die
leicht temperatursteigernde Wirkung des Luftsau-
erstoffes sollte nicht überbewertet werden. Gleich-
zeitig sind die Schnittflächen an Werkstoffen aus
unlegiertem Stahl qualitativ hochwertig und die
Schneidgeschwindigkeiten außerordentlich groß 6).
Bild 4-198
Die oxidierende Wirkung des im Plasmagas vorhan- Verfahrensprinzip des Plasmawasserinjektionsschneidens,
denen Sauerstoffs erfordert den Einsatz oxidations- schematisch.
beständiger, hochschmelzender Elektrodenwerk-
stoffe (Wolfram scheidet völlig aus). Zirkonium- und Die Düsenkonstruktion besteht aus einem kupfer-
Hafniumlegierungen haben sich für diesen Zweck nen Düsenkörper (D), der als Anode für den Pilot-
bewährt. Ihre im Vergleich zu Wolfram deutlich ge- lichtbogen dient, und einem davor angeordneten
ringere Schmelztemperatur zwingt zu einer inten- Keramikteil (K), Bild 4-198. Der als Plasmagas ver-
siven Kühlung der flächig ausgebildeten Elektrode wendete Stickstoff (N2) wird tangential in den Raum
(geringere Stromdichte als bei einer »Spitzenelek- zwischen Elektrode (E) und Kupferdüse geblasen.
trode«) und der Kupferdüse. Trotzdem wird durch Dadurch schnürt sich der Plasmastrahl ein und wird
die hohe thermische Beanspruchung die Brenner- in Rotation versetzt. Durch den zwischen der Kup-
leistung auf etwa 30 kW begrenzt. ferdüse und der Keramikscheibe vorhandenen Ring-
spalt wird außerdem Wasser radial in den Plasma-
6)
Unlegierter Baustahl, Schnittdicke 5 mm, kann z. B. mit strahl injiziert, der eine weitere Strahlkonzentration
einer 30-kW-Schneidanlage mit ca. 5000 mm/min ge- hervorruft. Nur etwa 10 % des Wassers verdampft,
schnitten werden. der Rest verlässt den Brenner und kühlt ihn sehr in-
4.9 Thermisches Schneiden 383

tensiv. Der Brenneraufbau ist daher unkompliziert, zu schneidenden Bleche in Wasser ist die ther-
die erreichbaren Standzeiten sind mit keiner ande- mische Beeinflussung der Werkstücke (Verzug,
ren Verfahrensvariante erreichbar. Der austretende Maßhaltigkeit, Breite der Wärmeeinflusszone)
Wasserstrahl kühlt gleichzeitig das Werkstück, ver- sehr gering.
hindert die Oxidbildung, reduziert entscheidend den
Verzug der Bauteile und die Breite der thermisch
beeinflussten Zone im Bereich der Schnittfläche. 4.9.3 Laserschneiden

Ein Teil des in das Plasma eingespritzten Wassers Je nachdem, welche Zustandsänderung der die
dissoziiert. Die entstehenden Sauerstoffionen sind Schnittfuge bildende Werkstoff erfährt, unterschei-
die Ursache für bartfreie hochwertige Schnittflä- det man das Laser-Brennschneiden, Laser-Schmelz-
chen auch an unlegierten Baustählen. Der Elektro- schneiden und das Laser-Sublimierschneiden. Die
denwerkstoff E (Zirkonium, Hafnium) muss der an- Art des verwendeten Schneidgases und die Leistung
greifenden Wirkung des Sauerstoffs widerstehen der Schneidanlage bestimmen weitgehend die Form
können. der Zustandsänderung. Die letzte Verfahrensvarian-
te ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum realisier-
Eine Folge des rotierenden Plasmastrahls ist die un- bar, da die erforderliche extreme Fokussierung des
terschiedliche Abweichung der beiden Schnittflächen Laserstrahles noch nicht möglich ist.
von der Senkrechten. Normalerweise dreht sich der
Strahl in Uhrzeigerrichtung. Auf der rechten Seite Das Verfahren wird überwiegend zum Trennen ein-
ist wegen der größeren Anzahl der rekombinierten gesetzt, zum Schweißen sind deutlich höhere Strahl-
Teilchen die wirksame Energiemenge größer (Re- leistungen erforderlich. Als prinzipieller Ver fah-
kombinationswärme) als auf der linken. Diese Er- rensnachteil sind die sehr hohen Investitionskosten
scheinung ist zu beachten, da bei der »schlechten« und der geringe Wirkungsgrad des Laserstrahlers
rechten Seite Winkelabweichungen von 5 ° bis 8 ° zu nennen, der beim CO2-Laser maximal 20 % be-
entstehen, auf der »guten« linken nur etwa 2 °. Durch trägt 7).
richtige Wahl der Schneidrichtung bzw. des Umfah-
rungssinnes muss dafür gesorgt werden, dass die 4.9.3.1 Verfahrensprinzip
rechte Seite immer im Abfall liegt. Für schweißtechnische Anwendungen ist vor allem
der CO2-Gaslaser wegen der großen erreichbaren
Das Verfahren ist sehr umweltfreundlich und mit Ausgangsleistungen (größer 1000 W) und des sehr
einem geringen Belästigungsgrad für die beteiligten guten Wirkungsgrades (15 % bis 20 %) von Bedeu-
Personen verbunden. Es wird entweder betrieben tung 8). Der Mechanismus des Lasereffekts 9) ist kom-
– innerhalb einer geschlossenen Wasserglocke (M pliziert. Er soll im Folgenden nur sehr pauschal be-
= Water-Muffler) oder schrieben werden.
– in einem Wasserbehälter unterhalb der Wasser-
oberfläche (Bild 4-198). Das Wasserbecken muss Das Medium der Festkörperlaser besteht aus einem
dann das größte zu schneidende Werkstück auf- Festkörper (Kristall oder Glas) und der in ihm ein-
nehmen können. gelagerten aktiven Substanz (Dotierung, z. B. Cr +++).
Beim CO2-Laser ist das aktive Medium ein strömen-
Die Vorteile beider Verfahrensvarianten sind: des Gemisch aus CO2-He-N2. Der grundlegende Vor-
– Die entstehenden Schadstoffe (Rauche, Gase) gang des Lasereffektes ist die Anregung des aktiven
werden vom Wasser aufgenommen, die Schad-
7)
gase (Ozon, Stickoxide) zum größeren Teil im Der Wirkungsgrad von Festkörperlasern ist noch erheblich
Wasser gebunden. geringer. Er beträgt z. B. beim Rubinlaser nur etwa 1 %.
8)
– Die UV-Strahlung wird durch das Wasser so- Außer den Gaslasern werden noch Festkörperlaser ver-
weit absorbiert, dass keine besonderen Schutz- wendet. Die wichtigsten sind der Rubinlaser und der Neo-
dym-Yttrium-Aluminium-Granatlaser (YAG).
maßnahmen erforderlich sind. 9)
Das Kunstwort »Laser« wurde aus den Anfangsbuch-
– Der Lärmpegel wird beim Trennen im Wasser-
staben von »Light Amplification by stimulated Emission
becken auf ungefährliche 75 bis 80 dB(A) redu- of Radiation« gebildet. Frei übersetzt bedeutet dies etwa:
ziert. Lichtverstärkung durch erzwungene Emission von Strah-
– Durch das völlige bzw. teilweise Eintauchen der lung.
384 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Mediums durch äußere Energiezufuhr, z. B. durch stoff durch die freiwerdende Verbrennungswärme
eine Gleichspannung beim CO2-Laser. Die dadurch den Schneidvorgang.
auf äußere Bahnen (höhere Energieniveaus!) geho-
benen Elektronen kehren nach etwa 10 −8 Sekunden Der auf die Werkstoffoberfläche auftreffende Laser-
wieder auf ihre Grundbahnen zurück, wobei die ab- strahl kann reflektiert, absorbiert oder hindurchge-
sorbierte Energie in Form von Licht wieder abge- lassen werden. Nur durch Absorption kann der Werk-
strahlt wird. Dieser Vorgang ist normalerweise spon- stoff erwärmt werden. Das Absorptionsverhalten
tan, d. h., das emittierte Licht ist inkohärent, nicht wird u. a. durch die Art der Legierungselemente
in Phase und wird in alle Richtungen regellos ab- und die Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst. Die
gestrahlt. Der statistische Emissionsprozess geht meisten Metalle absorbieren im sichtbaren und nahen
von einer Vielzahl von Atomen ungeordnet und un- Infrarotbereich (Wellenlänge < 1 μm) bis zu 40 %
abhängig voneinander aus. Diese Vorgänge sind z. der Strahlung. Metalle mit hohem Reflexions- oder
B. charakteristisch und bestimmend für die Funk- niedrigen Absorptionsvermögen (z. B. Au, Ag, Al,
tion der Glühbirne. Mg, Cu) sind daher nur bedingt laserschneidbar.
Nichtmetallische Werkstoffe (Glas, Quarz, Kunst-
Das Laserprinzip erfordert die erzwungene und ge- stoffe, Holz, Leder, Pappe, Plexiglas, keramische
ordnete Emission. Sie wird durch »Anheben« der Werkstoffe!) verhalten sich umgekehrt. Sie sind im
Elektronen auf die oberste Schale ermöglicht und sichtbaren Bereich praktisch transparent, im Infra-
eingeleitet (»Pumpen«). Die technische Realisie- rotbereich können sie bis zu 96 % der Strahlung ab-
rung dieser Vorgänge geschieht in einem optischen sorbieren. Die Anzahl und die Unterschiedlichkeit
Resonator, Bild 4-199. Die Anregung des im Reso- der mit dem Laser schneidbaren Werkstoffe werden
nator strömenden CO2-N2-He-Gemisches erfolgt mit damit von keinem anderen Trennverfahren erreicht.
der Energie einer elektrischen Gasentladung. Die Für die Wirksamkeit des Schneidprozesses ist außer-
emittierte Laserstrahlung mit der Wellenlänge von dem die Art der Leistungsdichteverteilung über den
10,6 μm liegt im infraroten Bereich, d. h., sie ist Strahlquerschnitt wichtig. Die erwünschte Gauß-
nicht sichtbar 10). Von der in jede Richtung emittier- sche Amplitudenverteilung ist z. B. Voraussetzung
ten Strahlung wird der in Achsrichtung des Reso- für eine gleiche Schneidgeschwindigkeit in jeder
nators verlaufende Teil an dessen Endspiegeln re- Richtung.
flektiert. Dieser Anteil trifft auf weitere angeregte
CO2-Moleküle und erzwingt so eine weitere lawinen- 4.9.3.2 Verfahrensmöglichkeiten und Grenzen
artig anwachsende Emission (Laserstrahlung). Die große Leistungsdichte des Laserstrahles (8 ⋅108
bis 10 ⋅108 W/cm2) macht das Laserschneiden be-
Die gesamte emittierte Strahlung ist phasen- und sonders geeignet zum Trennen von Blechen mit ge-
amplitudengleich, also monochromatisch und ko- ringen Wanddicken (< 1 mm bis 4 mm). In diesem
härent. Sie wird solange verstärkt, bis ihre Intensi- Wanddickenbereich ist eine konzentrierte, punktför-
tät den »Durchbruchswert« des einen halbdurch- mige Wärmequelle ein entscheidender Verfahrens-
lässigen Endspiegels erreicht hat. Der Laserstrahl vorteil. Die Schnittfugenbreite beträgt nur 0,1 mm
verlässt jetzt den Resonator und wird über einen bis 0,5 mm, die Schnittflächengüte ist hervorragend
Umlenkspiegel und eine Infrarotoptik (Gallium-Ar- und der Verzug der geschnittenen Bauteile sehr ge-
senid-Halbleiter) auf das Werkstück fokussiert. Er ring. Das Verfahren füllt damit bei metallischen Werk-
erzeugt hier einen Brennfleck von 0,1 mm bis 0,5 mm stoffen im Wanddickenbereich der Fein- und Dünn-
mit einer Leistungsdichte von bis zu 5 MW/cm2. bleche (≤ 4 mm) eine Anwendungslücke. Mit ande-
Den fokussierten Laserstrahl umgibt zentrisch ein ren Verfahren lassen sich Halbzeuge dieser Dicke
von der Art des zu trennenden Werkstoffs abhängi- nicht oder nur unwirtschaftlich trennen. Bild 4-200
ges Schutzgas. Dessen Aufgabe besteht hauptsäch- zeigt die Anwendungsgrenzen verschiedener ther-
lich darin, die Schmelze aus der Schnittfuge zu bla- mischer und mechanischer Trennverfahren. Im
sen. Zum Trennen nichtmetallischer Werkstoffe wird Dünnblechbereich – als typischer Anwendungsbe-
Stickstoff verwendet, der ein Verbrennen verhin- reich kann stellvertretend die Automobilindustrie
dert. Bei Stählen und Metallen beschleunigt Sauer- genannt werden – konkurriert das Laserschneiden
sehr erfolgreich mit dem Nibbeln (und dem Wasser-
10)
Die Wellenlänge des sichtbaren Lichts liegt im Bereich strahlschneiden). Je komplizierter die zu schneiden-
zwischen 0,4 μm und 0,8 μm. den Konturen sind, desto wirtschaftlicher ist das
4.9 Thermisches Schneiden 385

Kühlmittel Kühlmittel

Lasergas Lasergas Lasergas Endspiegel


Kühlmittel Kühlmittel
Schneidkopf

Lasergas Lasergas Lasergas

Kühlmittel Kühlmittel

Schneid- bzw.
Schutzgas
Bild 4-199
Schematischer Aufbau eines CO2-Gaslasers mit gefaltetem
Resonator und Bearbeitungskopf zum Schneiden bzw. Schwei-
ßen (nach Messer Griesheim).

CO2 - Laser
(0,2 - 10 kW)

Plasma
(500 A, 100 kW)

Autogenes
Brennschneiden

Scherschneiden
Stanzen

Scherschneiden
Nibbeln

Wasserstrahlschneiden

0,1 1 10 100 mm 1000


unlegierter u. niedriglegierter Stahl Werkstückdicke
hochlegierter Stahl Kupfer
Aluminium u. Legierungen Titan
Nichtmetalle Grenzwerte für Werkstückdicke

Bild 4-200
Anwendungsgrenzen thermischer und mechanischer Trennverfahren zum Formschneiden metallischer und nichtmetallischer
Werkstoffe (nach Messer Griesheim).
386 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

20
die Schneidgeschwindigkeit an einem 2 mm
10 dicken Stahlblech etwa 2500 mm/min.
Schneidgeschwindigkeit

– Damit ergeben sich deutlich geringere Bearbei-


m
a) tungszeiten.
min – Die Arbeitsgeräusche sind verglichen mit me-
chanischen Trennverfahren sehr gering, d. h.
b) gesundheitlich unbedenklich.
1

Eine entscheidende Voraussetzung für hochwerti-


ge Schnitte sind ruckfreie, mechanisch und elek-
trisch hochwertige Koordinatenantriebe, die mög-
c) lichst mit einer nummerischen Bahnsteuerung aus-
0,1 gerüstet sind. Als Führungsmaschine wird häufig
1 10 100 mm 400 die sehr stabile Portalmaschine eingesetzt.
Schnittdicke

Bild 4-201
Erreichbare Schneidgeschwindigkeiten verschiedener thermi- 4.10 Wasserstrahlschneiden
scher Schneidverfahren.
––––– Stahl, – – – – austenitischer Cr-Ni-Stahl.
4.10.1 Einleitung
a) CO2-Laserschneiden (1 kW)
b) Plasmaschneiden (50 A bis 500 A) Die verschiedenen Trenntechnologien wie Sägen,
c) autogenes Brennschneiden Scheren, Stanzen, thermische Trennverfahren (auto-
genes Brennschneiden, Plasma-, Laserschneiden)
Verfahren. Es bietet eine Reihe wesentlicher Vortei- werden seit vielen Jahren in der Produktionstechnik
le gegenüber herkömmlichen Methoden: angewendet. Seit einigen Jahren findet das Wasser-
– Es sind keine i. Allg. sehr teuren Werkzeuge er- strahlschneiden aufgrund seiner vielen Vorteile ver-
forderlich. stärkt Eingang in die Praxis.
– Nacharbeit der Schnittflächen kann in den meis-
ten Fällen entfallen. Flüssigkeitsstrahlen als Schneidwerkstoff wurden
– Die Schneidgeschwindigkeiten sind sehr hoch, bereits seit mehr als hundert Jahren zum Abtragen
Bild 4-201. Mit einem 500 W-CO2-Laser beträgt von Werkstoffen, z. B. zum Abbau von Kies- und
Tonablagerungen eingesetzt, aber auch in den kalifor-
nischen Goldminen wurden sie verwendet, um Gold-
Speicher adern von Gestein und Erdreich zu trennen. Etwa
ab 1930 verwendeten amerikanische und russische
Ingenieure diese Technologie im Bergbau und zum
Druckübersetzer Putzen von Gussstücken, wobei mit Wasserdrücken
von etwa 100 bar gearbeitet wurde. Das erste Patent
erhielt Norman Franz für ein Hochdruck-Wasser-
Öltank strahl-Schneidsystem, das noch mit bescheidenen
700 bar Arbeitsdruck betrieben wurde. In den Jah-
ren 1968/70 trennte ein amerikanischer Flugzeug-
hersteller die besonders auf hohe Temperaturen,
Ölpumpe Elektromotor Drücke und spanende Bearbeitung kritisch reagie-
renden Faserverbund-, Waben- und Schichtwerkstof-
fe mit dem Wasserstrahlschneiden. Mit anderen kon-
ventionellen Verfahren wird beim Trennen die Struk-
Wasser vom Leitungsnetz
tur (d. h. die Gebrauchseigenschaften) dieser Werk-
zur Wasserstrahlschneiddüse (meist aufbereitet und gefiltert) stoffe bis zur Unbrauchbarkeit zerstört. Der entschei-
Bild 4-202 dende Durchbruch gelang um 1980 mit der Bei-
Schematische Darstellung des Hochdruckpumpensystems zum mischung von Feststoffpartikeln (Wasserstrahl-
Wasserstrahlschneiden. Abrasiv-Schneiden) zum Druckwasserstrahl.
4.10 Wasserstrahlschneiden 387

Mit dieser Verfahrensvariante lassen sich die kom-


π 2 2 1,5
pakten, harten und spröden Werkstoffe (sämtliche P= ◊ ◊d ◊ p . [4-79]
Metalle, Glas, Keramik, Gestein, Faserverbundwerk- 4 r 0
stoffe, Holz, Kunststoffe) trennen. Es bedeuten:
d0 Düsendurchmesser in m,
p Flüssigkeitsdruck vor der Düse in N/m2.
4.10.2 Verfahrensgrundlagen
Die bei gegebener Flüssigkeit (r ) nur von d0 und p
4.10.2.1 Physikalische Grundlagen abhängige Leistung P einschließlich der Verlustleis-
Die im Schneidstrahl enthaltene kinetische Energie tung muss der Druckerzeuger aufbringen.
wird beim Auftreffen auf die Werkstückoberfläche
in potenzielle umgewandelt, die sie stoßartig bean- Prinzipiell lassen sich alle pumpbaren Flüssigkei-
sprucht. Die dadurch hervorgerufenen Spannungen ten verwenden. Aufgrund seiner hohen Verfügbar-
haben elastische bzw. plastische Verformungen zur keit, seiner geringen Kosten und seiner physiologi-
Folge, die zur örtlich begrenzten Zerstörung der Werk- schen Unbedenklichkeit wird überwiegend Wasser
stoffoberfläche führen. Der Strahl reißt anschließend verwendet. Lediglich in der Lebensmittelindustrie
mikroskopisch kleine Werkstoffteilchen aus dem werden manchmal spezielle Öle eingesetzt.
Material und arbeitet sich dabei immer tiefer in das
Werkstück hinein. Der abrasiv wirkende Strahl schiebt 4.10.2.2 Technologische Grundlagen
auf seinem Weg im Werkstück Abraumpolster vor Der Druckerzeuger muss einen regelbaren Flüssig-
sich her und verliert aufgrund der großen Reibungs- keitsstrom mit einem konstanten an den Anwen-
verluste an den Schnittflächen mit wachsender Schnitt- dungsfall anpassbaren Druck liefern, der im Fall des
tiefe ständig an Energie, wodurch die Schnittgüte Wasserstrahlschneidens zwischen 1000 bar und
(Rauigkeit) mit der Schnittdicke kontinuierlich ab- 4000 bar liegt.
nimmt. Ganz ähnlich wie bei dem »Werkzeug« Brenn-
schneidstrahl kommt es auch hier zu einer ausge- Schneidsystem
prägten Riefenstruktur und einem mit zunehmender Für große Fördermengen und Drücke bis etwa 2000
Werkstückdicke größer werdenden »Rillennach- bar werden mechanisch angetriebene Plungerpum-
lauf«. Für die folgenden Hinweise soll die Flüssig- pen verwendet, die einen hohen Wirkungsgrad (70
keitsströmung als inkompressibel und innerhalb der bis 80 %) besitzen, aber wegen der ungleichförmi-
Düse als reibungsfrei angesehen werden. Unter der gen Kolbenbewegung einen nicht konstanten För-
Voraussetzung einer rotationssymmetrischen Strö- derstrom erzeugen. Höchste Schneidwasserdrücke
mung und einer über den Querschnitt konstant ver- (im Bereich 3000 bis 4500 bar) werden mit hydrau-
teilten Geschwindigkeit ist die Strahlleistung am lisch angetriebenen Kolbenpumpen realisiert. Bild
Düsenaustritt 4-202 zeigt schematisch ein Wasserstrahlschneid-
system. Das aus dem Leitungsnetz zugeführte Was-
v3
P = r ◊ A◊ . [4-78] ser wird zunächst mit Hilfe eines umgekehrten os-
2 motischen Prozesses deionisiert, wodurch gelöste
Hierin bedeuten: Feststoffe wie Eisen und Calcium entfernt werden.
P Strahlleistung in W, Danach durchläuft das Wasser einen Mikrofilter,
r Dichte der Flüssigkeit in kg/m3, der Partikel über einer Größe von etwa 45 μm besei-
A Querschnittsfläche des Strahls in m2, tigt. Dieser große Aufwand ist erforderlich, weil die
v Strahlgeschwindigkeit in m/s. genannten Fremdstoffe die Lebensdauer der teuren
Hochdruckkomponenten und der Schneiddüse sehr
Der extrem große Einfluss der Strahlgeschwindigkeit stark beeinträchtigen.
(v3!) auf die Strahlleistung und damit auf die Schneid-
leistung ist offenkundig. In der Hochdruckpumpe treibt ein Elektromotor ei-
ne selbstregelnde Ölpumpe an und erzeugt im Hy-
Setzt man für die Querschnittsfläche des Strahls den drauliköl etwa 200 bar, mit dem die Primärseite des
Düsenquerschnitt ein und die Strahlgeschwindig- Druckübersetzers beaufschlagt wird. Entsprechend
keit annähernd nach der Bernoulli-Beziehung an, dem Flächenverhältnis (etwa 20:1) wird das Schneid-
dann erhält man die Strahlleistung P wasser auf der kleineren Sekundärseite auf etwa
388 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4000 bar verdichtet. Der Druckübersetzer ist dop- und Reaktionskräfte sind die wichtigsten Gründe,
pelt wirkend, d. h., jeweils eine Seite fördert Druck- die eine Bearbeitung weicher und nachgiebiger
wasser, während die andere Wasser ansaugt. Wegen Werkstoffe erlauben, ohne ihre empfindliche Struk-
des hierdurch entstehenden diskontinuierlichen För- tur zu zerstören.
derstroms wird nach dem Druckbehälter ein Puffer
(Speicher) angeordnet. Das verdichtete Schneidwas- Das Werkstück liegt dabei auf dem Schneidrost, der
ser gelangt über eine flexible Hochdruckleitung zur sich in einem Wasserbecken befindet. Die gewünsch-
Schneiddüse. te Kontur wird mit dem Schneidkopf abgefahren,
der in einer Führungsmaschine, einem Roboter oder
Schneidkopf einem 2D- (bzw. seltener einem 3D-Mehrachsen-)
Das Hochdruckwasser wird der Schneiddüse zuge- CNC-Portal integriert ist, das die Bahnsteuerung
führt. Aus der Düsenbohrung mit einem zwischen für den Gesamtablauf übernimmt.
0,1 und 0,35 mm liegenden Durchmesser tritt der
Wasserstrahl mit einer Strömungsgeschwindigkeit Aufgrund der kleinen Schnitt- und Reaktionskräfte
von bis zu 900 m/s (entspricht etwa der 2,5 fachen sind zeit- und gerätetechnisch nur wenig aufwändige
Schallgeschwindigkeit) aus und trifft auf den unter Spann- und Fixiermaßnahmen für den zu trennen-
der Düse liegenden Werkstoff. Als Folge des sehr den Werkstoff bzw. die auszuschneidenden Teile
geringen Düsendurchmessers treten in der Düse erforderlich. Im Wesentlichen müssen die Tafeln/
erhebliche Reibkräfte auf, die zusammen mit der Schnittteile gegen die dissipativen Kräfte des expan-
hier erfolgenden starken Druckabsenkung (Gefahr dierenden Wasserstrahls gesichert werden. Die bei
der Kavitation) für einen erheblichen Verschleiß des anderen (thermischen) Trennverfahren als Folge von
Düsenwerkstoffs sorgen. Diese extreme Beanspru- Temperaturdifferenzen entstehenden Kräfte treten
chung macht die Wahl sehr verschleißfester Düsen- hier kaum auf. Weiterhin erzeugt der Wasserstrahl
werkstoffe wie z. B. Saphir, Rubin oder Diamant keinen direkten Anpressdruck auf den Werkstoff,
erforderlich. weil die mechanischen Reaktionen im Mikrobereich
stattfinden, d. h., der Werkstoff wird nicht deformiert,
vom Hochdruck-
also auch nicht »verschoben«.
pumpensystem
Das weitgehend spannungsfreie Trennen, verbun-
Hochdruck-
den mit sehr geringen Schnittbreiten (in der Größen-
wasser ordnung des Düsendurchmessers!), ermöglicht ein
(l 4000 bar)
bei den thermischen Trennverfahren nicht mögli-
ches Maß der Bauteilverschachtelung im Trennplan
Schneiddüse und Verzugsfreiheit der Schnittteile. Die bessere
(Ø l 0,1 - 0,35 mm)
Ausnutzung des Werkstoffs verringert den Verschnitt
zu trennender
und die Stückkosten.
Werkstoff
vom Hochdruck-
pumpensystem
(s. Bild 4-193)
Abrasivzusatz:
Granat, Olivin Hochdruck-
wasser
Bild 4-203
Schneiddüse
Prinzip des reinen Wasserstrahlschneidens. (Ø l 0,1 - 0,35 mm)

Wasserstrahlschneiden mit Reinwasser Mischrohr


zu trennender
Mit diesem mit Reinwasser arbeitenden Verfahren Werkstoff (Paserrohr)
werden weiche Werkstoffe (Kunststofffolien, Texti- Schneidstrahl
lien, Elastomere, Thermoplaste, Papier, Faserstoffe,
Schaum- und Dämmstoffe, Lebensmittel) mit Vor-
schubgeschwindigkeiten bis zu 200 m/min getrennt
(Bild 4-203). Die sehr geringe Schnittwärme und Bild 4-204
die trotz extremer Energiedichte sehr kleinen Schnitt- Prinzip des Wasserstrahl-Abrasiv-Schneidens.
4.10 Wasserstrahlschneiden 389

Das Wasserstrahlschneiden eignet sich besonders bar und (oder) verbrennbar sein – wird einer der
gut zum Erzeugen komplexer Konturen der Schnitt- größten Vorteile dieser Schneidtechnolgie deutlich,
teile, die sich in nahezu beliebigen Formen herstel- der »kalte Schnitt«. Die Temperatur im Schnittflä-
len lassen. Scharfe Kanten, Hinterschnitte, schräge chenbereich wird dabei nur wenig höher als die Um-
Schnittkanten, spitze Winkel, Einstechen von Lö- gebungstemperatur. Damit können »Wärmeeinfluss-
chern, beliebiges Starten des Schneidvorgangs (Ein- zonen« d. h. Aufhärtungen bei Stählen, rissbegüns-
stechen, fliegender Start von der Werkstückkante) tigende Eigenspannungen, Versprödung durch Gas-
sind leicht realisierbar. aufnahme, die Bildung intermediärer Phasen oder
die Maßhaltigkeit der Schneidteile beeinträchtigen-
Das Verfahren ist sehr umweltschonend, sauber, de Verzüge ebensowenig entstehen wie oxidierte
nicht sonderlich lärmintensiv, erzeugt keinerlei Spä- Schnittflächen und »wärmebehandelte« Gefüge, d.
ne, Schleifstäube, toxische Gase oder Luftverschmut- h. Eigenschaftsänderungen jeder Art.
zungen. Es sind keine Schneidemulsionen erforder-
lich. Das zum Schneidtisch ausgebildete Wasserbe- Zusammenfassend ergeben sich die folgenden wich-
cken (»Catcher«) dient gleichzeitig zum Absorbieren tigen Vorteile des Wasserstrahlschneidens:
der Restenergie des Strahls und mindert den Ge- – Durch den feinen Strahl ergibt sich eine hohe
räuschpegel auf ein erträgliches Maß. Schnittqualität. Es können filigrane und kom-
plizierte Konturen geschnitten werden.
Wasserstrahl-Abrasiv-Schneiden – Es lassen sich beliebige Konturen schneiden und
Zum Schneiden harter, fester und dickwandiger der Schnitt kann an jeder belibigen Stelle der
Werkstoffe wird dem Druckwasser feinkörniger (0,2 Werkstückoberfläche beginnen und enden.
- 0,5 mm Durchmesser, etwa 150 - 250 g/min) Gra- – Wegen der geringen Schnitt- und Reaktionskräf-
nat- oder Olivinsand (für weichere Werkstoffe auch te sind (auch bei dünnwandigen Werkstoffen!)
Korund) in der Mischkammer zugesetzt, wodurch nahezu gratfreie Schnittflächen möglich.
eine Mikrozerspanung erfolgt (Bild 4-204). Die ho- – Es wird ohne Anpressdruck auf den Werkstoff
he Strömungsgeschwindigkeit des Druckwassers er- gearbeitet. So wird trotz hoher kinetischer Ener-
zeugt in der Mischkammer einen Unterdruck, der gie eine Deformation des Materials vermieden
das Abrasivmittel ansaugt. Im mechanisch sehr hoch und eine hohe Schnittpräzision ohne Ausfransung
beanspruchten Mischrohr (Fokussierdüse, Paser- oder Grat erzielt. Die Materialoberfläche wird
rohr, Paser = PArticle Stream ERosion) wird der mit nicht verletzt.
dem Abrasivmittel vermischte Wasserstrahl erneut – Kohle- oder glasfaserverstärkte Kunststoffe, re-
gebündelt und auf das Werkstück gelenkt. Die Ab- flektierende Werkstoffe (problematisch z. B. bei
tragleistung nimmt mit der Härte und Scharfkantig- der Lasertechnologie) lassen sich ebenso ein-
keit des Abrasivmittels zu, ebenso wirkt eine mög- fach trennen, wie aus mehreren Lagen unterschied-
lichst konstante Korngrößenverteilung. licher Werkstoffe aufgebaute Materialien (La-
minate).
Mit dieser Verfahrensvariante lassen sich härtere – Der Wasserstrahl ist ein sich selbst freischneiden-
Materialien wie Stein, (Panzer-)Glas, Keramiken, des »Werkzeug«, ein Verklemmen im Schnitt-
Grafit, Holz, Marmor und alle Metalle, z. B. gehär- spalt ist daher nicht möglich.
teter Werkzeugstahl, Titan, Aluminium, Inconel, – Aufgrund der geringen Temperaturen im Be-
Cr-Ni-Stahl, Kupfer und Verbundwerkstoffe trennen. reich der Schnittflächen entstehen beim Kunst-
Die aus Werkstoffen mit unterschiedlichen Schmelz- stoffschneiden keine toxischen Bestandteile.
punkten bestehenden Laminate lassen sich nur mit – Mit dem Wasserstrahl-Abrasiv-Schneidverfahren
dem Wasserstrahlschneiden sauber schneiden! lassen sich Werkstoffe trennen, die mit keinem
anderen Verfahren geschnitten werden können.
Auf diese Weise können gehärtete Stähle bis 50 – Die Umweltverträglichkeit wird in besonderem
mm, Nichteisenmetalle (Cu, Ni, Ti, Al) bis 120 mm Maße gesichert, da der Schneidprozeß sauber
Dicke geschnitten werden. ist, kein Schneid- oder Schleifstaub, keine Spä-
ne und keine Luftverschmutzung erzeigt wird.
Beim Trennen der verschiedenartigsten Metalle – – Kostengünstige Programmerstellung durch den
sie können bei entsprechender Temperatureinwir- direkten Import der erforderlichen Dateien [z. B.
kung härtbar, versprödbar, rissempfindlich, schmelz- »dxf« der Firma AutoDesk (Autocad)].
390 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.10.3 Einsatz und Anwendung Die wichtigsten die Schnittflächenqualität bestim-


menden Geometrieabweichungen sind:
Das Werkzeug »Wasserstrahl« ist beim Wasser-
strahlschneiden flexibel und verformbar. Die Makro- Rillennachlauf (»Schleppfehler«)
geometrie der Schnittfuge wird daher durch die Er nimmt mit der Schneidgeschwindigkeit zu.
Stellgrößen sowie werkstück- und werkstoffabhän- Bei geraden Schnitten ist der Einfluss des Schlepp-
gige Bedingungen beeinflusst. Die Folgen sind fehlers auf die konstruktiven und bauteilbeding-
unkontrollierbare Einflüsse, die die Schnittflächen- ten Erfordernisse i. Allg. vernachlässigbar. Mit
qualität stark beeinträchtigen. Die Änderung der abnehmender Krümmung des Schnittpfads nimmt
Stellgrößen wirkt sich auf der Werkstückoberseite sein Einfluss (unbrauchbare untere Ränder im
wesentlich stärker aus als auf der Unterseite. Die Bereich des Radius bzw. der Ecke) kontinuier-
Schnittflächenqualität im Bereich des Strahleintritts lich zu. Jetzt ist es notwendig, die Schneidge-
ist deutlich besser als die auf der Unterseite. schwindigkeit soweit zu verringern, dass der Ril-
lennachlauf auf zulässige Werte verringert wird.
Die Maschine muss mit Hilfe geeigneter Regelein- Nach Passieren der Krümmung wird die Schneid-
richtungen (»Controller«) die Schneidgeschwindig- geschwindigkeit erneut auf die Geometrie des
keit abhängig vom Schnittweg, dem Werkstoff und nun vorhandenen Schnittpfads eingestellt.
der Werkstückdicke so bestimmen können, dass mit
den berechneten Einstellwerten (PC-gestützte Be- V-förmige Schnittflächen
rechnung) die geforderte Schnittflächenqualität er- Ähnlich wie beim Plasmaschneiden entstehen
reicht wird. Die Schneidgeschwindigkeit und die auch beim Wasserstrahlschneiden V-förmige
notwendigen negativen/positiven Beschleunigungen Geometriefehler der Schnittflächen. Bei sehr
beim Erreichen/Verlassen von Krümmungen im großen Schneidgeschwindigkeiten ist die Schnitt-
Schnittpfad werden bei modernen Regeleinrichtun- spaltbreite auf der Werkstückoberseite größer
gen wegen der weiter unten beschriebenen auf- als die auf der Unterseite, bei kleinen Schnitt-
tretenden typischen »Fehler« mehrere 100 Mal pro geschwindigkeiten verhält es sich umgekehrt.
Zentimeter Schnittlänge an die Erfordernisse und Bei bestimmten dazwischenliegenden Geschwin-
Vorgaben des Schnittpfads bzw. an die geforderte digkeiten tritt dieser Fehler nicht mehr auf, d.
Schnittqualität angepasst. h., die Schnittflächen verlaufen parallel.
160
A Cr-Ni-Stähle Der Winkelfehler der Schnittflächen nimmt i.
mm
D E
B verschiedene Legierungen Allg. ab mit:
140 C Baustahl
– abnehmendem Abstand der Düse von der
D Verbundstoffe
Werkstückdicke s

E Marmor/Granit Werkstückoberfläche;
120 – zunehmender Härte des zu trennenden Werk-
A B C
stoffs;
100 – zunehmender Qualität des Abrasivsands;
– abnehmender Werkstückdicke;
80 – zunehmender Fokussierfähigkeit der Schneid-
düse. Nur die geometrisch exakte Form der
60 »Düsenbohrung« erlaubt die Bildung eines
kohärenten, zylindrischen Flüssigkeitsstrahls.
A B C Das ist die entscheidende Voraussetzung für
40
die Erzeugung von Schnitten in dickwandi-
C gen Werkstoffen mit qualitativ hochwertigen
20
A Schnittflächen. In aus Diamant bestehenden
E
B Düsen können wegen verschiedener Eigen-
0
Wasserstrahl Laser Plasma heiten seines kristallinen Aufbaus sehr schwer
Trennverfahren
(teuer) die erforderlichen kreisrunden Durch-
Bild 4-205 brüche exakt hergestellt werden. Daher wer-
Schneidbare Werkstückdicken verschiedener Werkstoffe bei den überwiegend Rubin- bzw. Saphirdüsen
einigen bekannten Trennverfahren. verwendet.
4.10 Wasserstrahlschneiden 391

Das Wasserstrahlschneiden eignet sich zum Schnei- Die Schneidgeschwindigkeiten beim Wasserstrahl-
den komplexer Konturen (sehr geringe Schnitt- und schneiden sind im Bereich kleinerer Werkstückdi-
Reaktionskräfte treten auf!) in dickwandigen Werk- cken (≤ 5 bis 10 mm) i. Allg. geringer als bei den kon-
stoffen, vor allem dort, wo bisher mechanisch bear- kurrierenden Trennverfahren Plasma- und Laser-
beitet werden musste. Für alle Trennarbeiten an Stein- strahlschneiden (Bild 4-206). Für größere Werk-
arten, Gläsern, Kunststoffen und Verbundmateria- stückdicken ist das Wasserstrahlschneiden (neben
lien ist das Verfahren nahezu konkurrenzlos. Es den Möglichkeiten einer i. Allg. sehr viel teureren
lässt sich besonders vorteilhaft zum Schneiden al- spangebenden Bearbeitung) oft das einzig mögliche,
ler reflektierender und gut wärmeleitenden Materi- weil wirtschaftliche Trennverfahren.
alien (wie z. B. Kupfer, Aluminium, Silber) einset-
zen. Der Schneidprozess erfolgt oberhalb bestimm- Die Maßtoleranzen und die Beschaffenheit der
ter Werkstückdicken schneller als mit jedem ande- Schnittflächen sind im Wesentlichen von der Höhe
ren Verfahren. Stillstandszeiten für einen »Werkzeug- des Wasserdrucks, dem Abrasivmittel und in erheb-
wechsel« entfallen, weil keine Schneiden vorhan- lichem Umfang von der Schneidgeschwindigkeit ab-
den sind, die zu schärfen oder auszuwechseln sind. hängig. Nach VDI 2906 Blatt 10 werden die Merk-
Ebensowenig müssen Vorrichtungen und Anlagen male der Schnittflächenqualität wasserstrahlge-
zum Beseitigen von Staub oder toxischen Rückstän- schnittener Bauteile gemäß Bild 4-207 bestimmt.
den, die besonders bei der Bearbeitung umweltbela-
stender Werkstoffe entstehen, vorgesehen werden. Üblicherweise werden in der Praxis drei (noch nicht
genormte) Schnittqualitäten unterschieden:
Bild 4-205 zeigt die schneidbaren Werkstückdicken
verschiedener mit dem Wasserstrahlschneiden kon- Q1: Grob- oder Trennschnitt
kurrierender Trennverfahren. Die wesentlich größere Angaben über Toleranzen entfallen.
trennbare Werkstückdicke des Wasserstrahlschnei- Q2: Normal- oder Mittelschnitt
dens ist ebenso bemerkenswert wie die viel größere – Maßtoleranz
Anzahl der mit diesem Verfahren trennbaren Werk- ± 0,1 mm an der Teileoberkante,
stoffe. – Oberflächenrauigkeit Rz = 20 bis 50 μm,
– Winkelabweichung: 1 ° bis 3 °.
10
Q3: Qualitätsschnitt
9
m/min – Maßtoleranz
7 ± 0,05 mm an der Teileoberkante,
Schneidgeschwindigkeit vS

6 – Oberflächenrauigkeit Rz = 10 μm,
5 – Winkelabweichung: 0,5 ° bis 1 °.
4
Die Schnittflächenbreite ist abhängig vom Düsen-
3 durchmesser, dem Wasserdruck, der Abrasivart und
-körnung und dem Abstand Düsenunterkante zu
Werkstückoberfläche. Ein guter Näherungswert der
2
Laser Schnittflächenbreite ist etwa 1 mm.
(2500 W)
Der Hochdruckwasserstrahl lässt sich nicht nur zum
1
Trennen, sondern auch sehr wirtschaftlich zum Säu-
bern von Oberflächen (Flugrost, Salzlösungen, Be-
0,5
schichtungen) aller Art, Gussputzen und Entgraten
verwenden. Bild 4-208 zeigt in einer zusammen-
Wasserstrahl fassenden Darstellung die wichtigsten Anwendungs-
(3500 bar)
0 gebiete des Hochdruckwasserstrahls.
0 5 10 15 20 mm 30
Werkstückdicke s
Abschließend sollen lediglich einige Anmerkungen
Bild 4-206
Abhängigkeit der Schneidgeschwindigkeit von der Werkstück- zum Wasserstrahlen (ohne und mit Abrasivzusatz!)
dicke für Aluminium. Angegeben sind die Werte für das Laser- gemacht werden, das mit Strahldrücken zwischen
strahl- und das Wasserstrahlschneiden (nach Hunzicker-Jost). 350 bar und 800 bar arbeitet. Die Bedeutung dieses
392 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Verfahrens wird künftig zunehmen. Es konkurriert 4.11 Gestaltung spanend herzu-


direkt mit dem Sandstrahlen, das (noch) preiswer-
ter, schneller und leichter verfügbar ist. Andererseits
stellender Werkstücke
ist der Reinigungseffekt des Wasserstrahlens deut-
lich besser. Es kann Oberflächenschichten rückstands- 4.11.1 Allgemeines
los entfernen und ist wesentlich umweltfreundlicher
als das Sandstrahlen, das große Mengen nur auf- Das fertigungsgerechte Gestalten von Werkstücken,
wändig zu entsorgender Sandrückstände erzeugt. die spanend bearbeitet werden sollen, erfordert die
Beachtung einiger Grundsätze, die unabhängig vom
Ein besonderer Vorteil des Wasserstrahlens ist die Fertigungsverfahren gelten:
Fähigkeit, auch Salzablagerungen zu beseitigen, wie – Geometrisch einfache Grundkörper wählen,
z. B. die farblosen Eisenchloride oder Eisensulfate. – das Zerspanvolumen gering halten,
Korrosionszellen können sich dann nicht mehr bil- – auf Spannmöglichkeit für die Bearbeitung achten,
den. Die Erzeugung fehlerfreier Beschichtungen – nach Möglichkeit in einer Aufspannung fertig
und Anstriche wird dadurch sehr erleichtert. bearbeiten,
bO u
a
bO Breite der strahlbeeinflussten Zone
rE Kantenradius (Strahleintrittseite)
D s

D h hS Glattschnitt
rE

RS hR Restflächenhöhe
hS

siehe 1) hS /s Glattschnittanteil
M Messbereich zum Bestimmen
von u und = 
(hS)

RS Schnittflächenrauheit
M
M
s

(RS) s hR /s Restflächenanteil
RR Restflächenrauheit
bG Gratbreite
hR

RR hG Grathöhe
u Rechtwinkligkeits- und
D h

Neigungstoleranz
D s

a Flankenwinkel
hG

s Werkstückdicke
D s = 0,1 s für s < 2 mm
= 0,2 mm für s ³ 2 mm
bG
1)
Gemittelte Rautiefe Rz,DIN, gemessen bei 0,5 s für s < 2 mm
Ist eine durch eine wellenartige Struktur gekennzeichnete Rest-
fläche vorhanden, dann sollte RS bei D h = 0,5 hS und RR bei
D h = 0,5 hR gemessen werden.
Bild 4-207
Kenngrößen an Schnittflächen von abrasiv-wasserstrahlgeschnittenen Werkstücken in Anlehnung an DIN EN ISO 9013, nach
VDI 2906 Blatt 10.

Hochdruckwasserstrahlbearbeitung

Wasserstrahlen Gussputzen Entgraten Schneiden

Druckbereich > 350 bar 80 - 700 bar 200 - 1000 bar 1000 - 4000 bar

Kern- und Formreste Schwer zugängliche Faserverbundwerkstoffe,


Anwendung Säubern von Ober-
komplexer Geometrie Bearbeitungsgrate Kunststoffe, Dämmstoffe,
flächen aller Art
beseitigen entfernen Textil, Gummi, Steine

Reinigen/Beseitigen: Staubfrei, Kurze Bearbeitungszeit, Staubfrei, »kalter« Schnitt,


Flugrost, Salzlösungen, kurze Bearbeitungszeit, gleichzeitige Reinigung, geringe Schnittkraft,
Vorteile
Beschichtungen, beschädigungsfrei, flexibel einsetzbar, schmale Trennfuge,
Korrosionszellen flexibel einsetzbar automatisierbar beliebige Schnittrichtung
Werkstofffestigkeit
Werkstofffestigkeit
Verfahrensgrenzen Toträume Toträume Schnitttiefe
Gratdicke
Schnittqualität

Bild 4-208
Anwendungsgebiete des Hochdruckwasserstrahls (erweitert nach König).
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 393

– ebene Bearbeitungsflächen möglichst parallel dingt Nötige beschränken,


oder senkrecht zur Aufspannfläche legen, – Allgemeintoleranzen (DIN ISO 2768) beachten.
– die zu bearbeitenden Flächen müssen für das
Werkzeug gut zugänglich sein, Nachstehend folgen ausgewählte Gestaltungshin-
– Werkzeugauslauf (nach DIN 509) vorsehen, weise für die Fertigungsverfahren Drehen, Bohren,
– den Einsatz genormter Werkzeuge vorsehen, Senken, Reiben, Fräsen, Hobeln, Stoßen, Räumen
– Drehen und Bohren bevorzugen gegenüber Frä- und Schleifen sowie für Schnittteile aus Blech (Stanz-
sen und Hobeln, technik), die die konstruktiven Besonderheiten die-
– Oberflächengüten und Toleranzen auf das unbe- ser Verfahren verdeutlichen.

4.11.2 Gestaltung für das Drehen

4.11.2.1 Form- und Lageabweichungen


Die absolut genaue Fertigung eines Werkstücks ist
in der Praxis nicht möglich. Außer Abweichungen
von den Nennmaßen treten auch Form- und Lage-
abweichungen auf, die entstehen können durch:
– Eigenspannungen,
– Einspannung,
– Werkzeughalterung,
– Zerspankraft,
– Schnittgeschwindigkeit,
– Maschinenschwingungen.

Nachfolgend seien drei Beispiele für Ursachen von


Formabweichungen und ihre jeweiligen Auswirkun- Ursache Auswirkung
gen angeführt:

Bild 4-209
Wird ein Drehteil zwischen Spitzen aufgenommen,
so tritt durch die Kraft F des Drehmeißels auf das F
Drehteil eine Durchbiegung auf. Die auftretende
Formabweichung ist im rechten Bild dargestellt. Bild 4-209

Bild 4-210
Wird ein Drehteil einseitig eingespannt, so tritt als
F
Folge der Kraft F des Drehmeißels ebenfalls ein
Biegemoment auf, welches zur dargestellten Form-
abweichung führt. Bild 4-210
F

Bild 4-211
Wird ein Rundmaterial in ein Futter eingespannt,
um eine Bohrung auszudrehen, so ergibt sich in die- F F
ser eine Rundheitsabweichung infolge der Spann-
kräfte. Bild 4-211
394 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.11.2.2 Gestaltungsbeispiele Gestaltung


unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-212
Wellenabsätze, die keine Funktion erfüllen, sind
nicht als Planflächen auszuführen. Bei einer Kegel-
fläche kann ohne Werkzeugwechsel fertigbearbei-
tet werden; auch das Drehen auf Nachform-Dreh-
maschinen wird erleichtert.

Bild 4-212

Bild 4-213
Um die Fertigung zu vereinfachen, sind bei Dreh-
teilen die Außenkanten mit 45 °-Fasen statt mit Run-
dungen zu versehen. Innenkanten an Flächen, die
nachfolgend bearbeitet werden sollen, sind mit Frei-
stichen zu versehen. Bild 4-213

1 2

Bild 4-214
Wellen mit einem Bund erfordern einen großen Zer-
spanungsaufwand. Ein Stellring 1 oder ein aufge-
schrumpfter Ring 2 können u. U. den Bund erset-
zen. Bild 4-214

Bild 4-215
Beim Kegeldrehen soll der Drehmeißel auslaufen
können. Der Anschnitt sollte daher nicht wie bei 1
angeordnet sein, sondern wie bei 2 freiliegen. Bild 4-215

Bild 4-216
Abgesetzte lange und dünne Drehteile sind zu ver- Rundstahl
DIN 668
meiden. Wirtschaftlicher ist das Herstellen aus zwei
Teilen unter Verwendung von Halbzeugen. Bild 4-216
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 395

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-217
Das Abdrehen langer Bolzen von der Stange ist un-
wirtschaftlich. Beim Einsatz von gezogenem Halb-
zeug brauchen nur die Enden dicht an der Ein-
spannung bearbeitet zu werden.
Bild 4-217

Bild 4-218
Ausreichend breite Spannflächen sind besonders bei
Teilen vorzusehen, die im Dreibackenfutter ge-
spannt werden, um ein sicheres Spannen und eine
große Spanabnahme zu ermöglichen. Bild 4-218

Bild 4-219
In Richtung zur Einspannung ansteigende Durch-
messer ermöglichen auf Drehautomaten gleichzei-
tiges Drehen und Bohren. Bild 4-219
b1

b1

b2
b2

Bild 4-220

b3
b3

Bei gleichzeitigem Plandrehen mehrerer Wellenab-


sätze auf Drehautomaten hängt die Bearbeitungs-
zeit von der größten Durchmesserdifferenz ab. Da-
her sollte b1 = b2 = b3 sein. Bild 4-220

4.11.3 Gestaltung für das Bohren, Senken,


Reiben

Bild 4-221
Grundlöcher mit ebenem Bohrungsgrund sind zu
1 2 3
vermeiden. Bei geforderter ebener Auflagefläche ist
vorzubohren und nachfolgend zu senken (2, 3). Bild 4-221

d2

Bild 4-222
d1
Bei abgesenkten Bohrungen ist der Einsatz genorm-
ter Zapfensenker zu ermöglichen (d1, d2; s. hierzu
DIN 373, DIN 375). Bild 4-222
396 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-223
Wie beim Kegeldrehen (Bild 4-215) ist auch bei Ke-
gelsenkungen, insbesondere für nachfolgende Fein-
bearbeitungen, der Werkzeugauslauf zu ermögli-
chen. Für das linke Bild sind Sonderwerkzeuge
erforderlich. Sie sind sowohl in der Beschaffung wie
in der Instandhaltung teuer.

Bild 4-223

Bild 4-224
Nicht nur ein schräger Anschnitt, sondern auch ein
schräger Auslauf von Bohrungen kann zum Ver-
laufen oder zum Abbrechen des Bohrers führen. Bild 4-224

Bild 4-225
Bohrungen in Wellen sind sowohl für den Anschnitt
als auch für den Auslauf mit Flächen senkrecht zur
Bohrungsachse vorzubereiten oder sie sind mittig
zu führen. Die Vorbereitung kann durch Senken,
besser durch Fräsen erfolgen, aber sie verteuert die
Fertigung. Bild 4-225
hart Werkstoffe etwa
gleicher Härte

Bild 4-226
Beim gleichzeitigen Bohren unterschiedlich harter
Werkstoffe, wie z. B. für das Verstiften, besteht die
Gefahr des Verlaufens und Abbrechens des Boh- weich

rers. Bild 4-226


d
d

Bild 4-227
Lässt sich die Durchdringung zweier Bohrungen d1
b
nicht vermeiden, so ist der Abstand b so groß zu wäh- d2
len, dass zunächst die Bohrungen mit den Durch-
b
messern d und d1 gebohrt und dann der Durchmesser
d2 mit dem Zapfensenker aufgebohrt werden kann. Bild 4-227

Bild 4-228
Die Bearbeitung ist auf die Funktionsflächen zu be-
grenzen. Man achte dabei auf den Werkzeugaus-
lauf. Bild 4-228
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 397

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-229
Bohrungen, die gerieben werden müssen, sind so
zu gestalten, dass die Reibahle durchgehend reiben 1
kann 1. An Stelle eines Absatzes zum Einhalten des
2
Abstandes können Buchsen (2) oder Sicherungsrin-
ge (3) vorgesehen werden.
3

Bild 4-229
4.11.3.1 Gestaltung von Gewinden
Ø7 Ø6,7
Bild 4-230
Bohrungen und Gewinde an einem Werkstück sol- M8 M12 M8 M8

len möglichst den gleichen Durchmesser haben. Er-


forderliche Anschraubteile können mit entsprechend
erhöhter Anzahl von Schrauben kleineren Durch-
messers befestigt werden. Bild 4-230

Bild 4-231
Freistiche für Innengewinde sind nach DIN 76-1 bis
3 ausreichend lang vorzusehen, um den Werkzeug-
auslauf zu sichern. Bild 4-231

Bild 4-232
e

Bei Gewindegrundlöchern kann das Gewinde nicht


bis zum Ende der Bohrung geschnitten werden, da
Gewindebohrer einen Anschnitt haben. Der Grund-
lochüberhang e ist nach DIN 76-1 bis 3 zu wählen. Bild 4-232

Bild 4-233
Bohrungen, die sich an ein Gewinde anschließen,
sollten immer gleich oder kleiner als der Kerndurch-
messer des Gewindes ausgeführt werden, da sonst
die Bearbeitung von beiden Seiten des Werkstücks
erfolgen muss. Bild 4-233

Bild 4-234
Gewindedurchgangsbohrungen für Stiftschrauben
müssen in ausreichendem Abstand von Wandungen
angeordnet werden, da sonst der Gewindebohrer
einseitig beansprucht wird und verläuft (Bruchge-
fahr). Bild 4-234
398 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

4.11.4 Gestaltung für das Fräsen Gestaltung


unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-235
Für das Fräsen eines Vierkants ist ein Absatz 1 oder 2 1

3 vorzusehen, damit die Stirnfläche 2 vor dem Frä-


sen fertiggedreht werden kann.
3

Bild 4-235
R = b/2 R = b/2 R > b/2

b b

Fräser versetzt
gegenüber Werkstück
Bild 4-236
Um saubere Werkstückkanten zu erhalten, ist der R>a
Radius genormter Werkzeuge R > b/2 zu wählen,
so dass die Rundung nicht tangential in die vorhan- a
denen Flächen übergehen muss. Rechts unten: Vier-
telkreis-Verrundung. Bild 4-236

Bild 4-237
Um alle Flächen in nur einer Einstellung fräsen
zu können, müssen sie in einer Ebene liegen. Da-
mit wird oft auch das Spannen des Werkstücks er-
leichtert. Bild 4-237

Fräserweg

Bild 4-238 1 2
Die eben verlaufende Grundfläche 1 der Gabel er-
fordert einen langen Fräsweg. Die gewölbte Grund-
fläche 2 erfordert nur das kürzere Eintauchen des
Fräsers. Bild 4-238
Fräser Fräser

Bild 4-239
Das Fräsen mit großen Walzen- oder Messerkopf-
fräsern ist wirtschaftlicher als das Fräsen mit klei-
nen Stirnfräsern. Bei der Lage der zu bearbeiten-
den Flächen sind die Abmessungen der Fräser zu
berücksichtigen. Bild 4-239
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 399

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-240
Nuten, die bis an den Bund 1 geführt werden, sind 2
zu vermeiden. Wirtschaftlicher als mit einem Schaft- 1
fräser, Nut 2, sind Nuten mit einem Scheibenfräser,
Nut 3.
3

Bild 4-240

Bild 4-241

h
Passfedernuten sind bei geringen Durchmesserun-
terschieden abgesetzter Wellen mit gleichen Abmes-
sungen (b × h) auszuführen. Sie sollten aus ferti-
gungstechnischen Gründen in einer Flucht liegen. Bild 4-241

4.11.5 Gestaltung für das Hobeln und


Stoßen

Bild 4-242
Hobeln und Stoßen gegen eine Kante ist nicht mög-
lich. Der Meißel muss über die Bearbeitungsfläche
hinauslaufen, um den Span vom Werkstück abzu-
trennen. Er muss schon vor Beginn des Spanens aus
der abgehobenen Stellung, die er beim Rücklauf hat-
te, auf die Arbeitsposition zurückgefallen sein. Der
nötige Vorlauf ist größer, als die Höhe der Schnei-
de über der Meißelaufspannfläche. Aber auch seit-
lich neben der Bearbeitungsfläche (mindestens auf
der Seite des Vorschubbeginns) muss mehr Raum
freigehalten werden als der Meißel breit ist. Bild 4-242

Bild 4-243
Unterbrochene Flächen, die durch Hobeln oder Sto-
ßen zu bearbeiten sind, sollen möglichst in einer
Ebene liegen. Bild 4-243

Bild 4-244
Auflageflächen an Gehäusen und dgl. sind so zu ge-
stalten, dass der Meißel nicht die gesamte Grund-
fläche mit der Vorschubgeschwindigkeit überstrei-
chen muss. Im Beispiel ist die umlaufende Auflage-
fläche ersetzt durch zwei Auflageleisten. Bild 4-244
400 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-245
Nicht senkrecht zueinander liegende Bearbeitungs-
flächen erschweren die Bearbeitung und erfordern
u. U. Spannvorrichtungen.

4.11.6 Gestaltung für das Räumen


Bild 4-245
Bild 4-246
Das zu räumende Werkstück muss an einer senk-
recht zur Bearbeitungsrichtung liegenden Fläche 1 2 2 1

abgestützt werden, um Sondervorrichtungen zu ver-


meiden. Die schrägen Flächen 2 sind unvorteilhaft,
da die Räumnadel dort einseitig schneidet und ver-
laufen kann.
Bild 4-246

Bild 4-247
Das Räumen in großen Werkstücken, z. B. in Ge-
häusen oder in Hohlwellen, kann übergroße Räum-
nadellängen erfordern. Günstiger ist das Einsetzen
einer geräumten Buchse. Bild 4-247

Bild 4-248
Zwei oder mehrere Nuten in einer kegeligen Bohrung
können nur dann in einem Zug geräumt werden,
wenn sie parallel zur Achse verlaufen. Nuten, die
parallel zum Kegelmantel angeordnet sind, erfordern
für jede Nut einen Zug. Bild 4-248

Bild 4-249
Polygone mit geringer Seitenanzahl erfordern län-
gere Räumwerkzeuge mit mehr Schneiden als sol-
che mit größerer Seitenanzahl. Vier- und Sechsecke
sind deshalb der Dreiecksform vorzuziehen. Bild 4-249

1 2
Bild 4-250
Räumnadel und Werkstück werden bei 1 einseitig
belastet. Das bedeutet Gefahr des Verlaufens oder
des Werkzeugbruchs. Mehrfachsymmetrische Pro-
file wie in 2 sind vorzuziehen. Bild 4-250
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 401

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-251 b1 b2 b b
Bei Serien- und Kleinserienfertigungen ist anzu-

t2
t1
streben, dass für alle Konstruktionen eine einheit-
liche Nutenbreite (b1 = b2 = b) für die Räumnuten
vorgesehen wird. Dann können alle Nuten, auch
wenn sie unterschiedliche Tiefen haben, mit der-
selben Räumnadel geräumt werden.
Bild 4-251

4.11.7 Gestaltung für das Schleifen

Bild 4-252
Übergangsrundungen an Absätzen von zylindrisch
zu schleifenden Teilen sind nur erlaubt, wenn im
Quer- oder Schräg-Einstechverfahren mit Profil- Bild 4-252
schleifscheiben rundgeschliffen wird. Für das genau-
ere Längs-Rundschleifen muss vorher ein Einstich
für den Schleifscheibenauslauf vorgedreht oder ge-
schliffen werden, wobei gleichzeitig die Stirnfläche
des Absatzes geschliffen werden kann.

Bild 4-253
Auch beim Innenschleifen muss Raum für den Schleif-
scheibenauslauf vorhanden sein. Bild 4-253

Bild 4-254
Das Längs-Rundschleifen von Teilen, die beidsei-
tig durch einen Bund begrenzt sind, ist teurer als
das Schleifen mit axial ungehindertem Anstellen
der Schleifscheibe. Bild 4-254
1

Bild 4-255
Zylindrische Teile sind so zu gestalten, dass spitzen- 2
loses Schleifen möglich ist 1. Die wirtschaftlichste
Lösung ist Ausführung 2, bei der blankgezogenes
oder spitzenlos geschliffenes Halbzeug verwendet Rd DIN 668

wird. Bild 4-255

Bild 4-256
Wenn es die Genauigkeitsforderungen erlauben,
sollte Einstechschleifen ermöglicht werden. Dafür
müssen die zu schleifenden Profillängen kleiner als
die zu verwendende Schleifscheibenbreite sein. Bild 4-256
402 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Bild 4-257
Mehrere (möglichst alle) Formelemente sollten mit
dem gleichen Schleifscheibenprofil schleifbar sein.

Bild 4-258
Für das Einstech-Profil-Rundschleifen sollen mög-
lichst kurze Profillängen angestrebt werden. Die
maximalen Schleifbreiten sind nicht nur durch die
verwendbaren Scheibenbreiten, sondern auch durch
die Nachgiebigkeit des Werkstücks und seiner Ein-
spannung begrenzt; je dünner das Werkstück, um
so kürzer ist die zulässige Profillänge.

Bild 4-259
Es sind möglichst gleiche Kegel an einem Werk-
stück vorzusehen. Man achte auf den Schleifscheiben-
auslauf.

Bild 4-260
Verdeckt liegende Flächen können nicht mit gera-
den Schleifscheiben oder Topfschleifscheiben er-
reicht werden. Die Anwendung möglichst großer
Schleifkörper erlaubt ein wirtschaftliches Schleifen.

Bild 4-261
Konturen, die über die Bearbeitungsfläche hinaus-
ragen, behindern in der Regel das Flachschleifen.
Auch bei ausreichendem Werkzeugauslauf sollten
Überstände vermieden werden. Bild 4-261
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 403

4.11.8 Gestaltung von Schnittteilen Gestaltung


unzweckmäßig zweckmäßig
4.11.8.1 Werkstoffausnutzung

Bild 4-262
Schnittteile sind mit möglichst kleinem Flächenin-
halt AW zu entwerfen. Bei der Gestaltung ist darauf
zu achten, dass sie sich im Werkstoffstreifen gut an-
einanderreihen lassen. Die optimale Werkstoffaus-
nutzung ist erreicht, wenn die Schnittteile ohne Ab-
fall aus dem Werkstoffstreifen geschnitten werden.
Als Kennzahl dient das Verhältnis von Werkstückflä- AW ASt
che AW zu Streifenfläche ASt, der Werkstoffausnut-
zungsgrad y = AW / ASt. Bild 4-262

R65
R52
R96

R65
5 1
2, R2
R2
95 95

2000 2000

1000
1000

140
140

Bild 4-263
Dieses Beispiel zeigt, wie durch eine geringe Maß-
änderung Flächenschluss und damit eine bessere
Werkstoffausnutzung erreicht wird. Runde Schnitt-
kanten sind – wenn sie nicht funktionswichtig sind
– zu vermeiden und durch gerade zu ersetzen (Ab-
schneiden ohne Abfall). Bild 4-263

Bild 4-264
Die runde Form der Scheibe erfordert einen großen
Werkstoffbedarf, der durch Mehrfachschnitte herab-
gesetzt werden kann. Eine größere Einsparung wird
durch das Ändern der runden in eine dreieckige
Form erzielt. Die geringsten Werkstoffverluste wer-
den durch Abschneiden nach dem Ausklinken der
dunkler dargestellten Flächen erreicht. Bild 4-264
404 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Gestaltung Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig unzweckmäßig zweckmäßig

Form 1 Form 2

20

20
40

40
40

35

t = 14 mm
t = 40 mm
40 36

Bild 4-265

B = 52 mm

Bild 4-268
80
83

25

32,5

Bild 4-266

16
19
61,5

80

Bild 4-267

Bild 4-268
Wirtschaftlichere Ausschnittsformen lassen sich
auch durch Ändern der Schnittteilform erreichen.
Dieser Hebel hat die Aufgabe, drei Punkte starr mit-
Bild 4-265 bis Bild 4-267 einander zu verbinden. Durch Ändern der Form 1
Durch abschnittgerechtes Gestalten können Aus- in die Form 2 können 30 % des Werkstoffs einge-
schnitte durch Abschnitte ersetzt werden, die ein spart werden. Eine weitere Ersparnis wäre durch
lückenloses Aneinanderreihen gestattet. Flächenschluss möglich.
4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 405

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-269
In manchen Fällen kann eine schräge Anordnung
der Schnittteile wirtschaftlicher sein als die gerade
Anordnung.

Um einen möglichst hohen Werkstoffausnutzungs-


grad y zu erreichen, sollten folgende Hinweise be- Bild 4-269
achtet werden:
– Einfaches Aneinanderreihen ergibt den einrei-
higen Streifen. Der Werkstoffverbrauch kann
durch Anordnen der Teile in mehreren Reihen
gesenkt werden (Bild 4-264 und 4-267).
– Eine schräge Anordnung der Schnittteile im
Streifen ist oft vorteilhafter als eine gerade (Bild
4-269).
– Die durch die Stegbreite bedingten Verlustflä-
chen beim Ausschneiden lassen sich durch den
Übergang zum Abschneiden vermeiden (Bild
4-262 bis 4-267).
– Runde Schnittkanten sind zu vermeiden und Form 1 Form 2
durch gerade Kanten zu ersetzen (Bild 4-263).

4.11.8.2 Fertigung

Bild 4-270
Je einfacher die Form eines Ausschnittes ist, desto
geringer sind die Werkzeugkosten. Unregelmäßig
gekrümmte Umrisse vergrößern die Werkzeugkos-
ten erheblich. So verhalten sich z. B. die relativen
Werkzeugkosten für diesen Drehwählerarm im Ver-
gleich von Form 1 zu Form 2 wie 3:2. Bild 4-270

Bild 4-271
Lochungen sollten möglichst rund und mit gleichen
Durchmessern ausgeführt werden. Dadurch erge-
ben sich preisgünstige Schnitte, einheitliche Stempel
und eine vereinfachte Nacharbeit (z. B. vereinfach-
tes Entgraten). Bild 4-271

Bild 4-272
Aufteilen der Schneidstempel in einfache, gut schleif-
bare Querschnitte mit scharfkantigen Übergängen
ermöglicht ein einfaches Fertigen. Bild 4-272
406 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-273
Stempelecken sollten abgeschrägt und nicht abge-
rundet werden, um ein einwandfreies Zusammen-
treffen der Schnittlinien zu gewährleisten.

Schneidstempel Vorlocher

Bild 4-273

Bild 4-274
Kräftig ausgebildete Stempelecken bewirken einen
geringeren Werkzeugverschleiß und eine größere
Sicherheit gegen Werkzeugbruch. Bild 4-274

4.11.8.3 Genauigkeit
R
Bild 4-275

B
Bei nacheinander abgeschnittenen Kanten ist ein
Vorschubrichtung
tangentiales Einmünden zu vermeiden und durch
Ecken zu ersetzen (R > B/2). Bild 4-275

Bild 4-276
Ein Lochversatz fällt optisch bei geradlinigen Be-
grenzungskanten weniger auf als bei runden Kan- Bild 4-276
ten.
Vorschub
b1
Bild 4-277
b2
Beim schrägen Abschneiden eines Werkstücks ist
die Breite b1 durch den spitzen Auslauf in hohem
h

Maße von der Vorschubgeschwindigkeit abhängig (b1 B


verkürzt sich zu b2). Außerdem wird die Fertigung
des Werkzeugs erschwert. Bild 4-277
Vorschub b1 b
a1

Bild 4-278
Man sollte keine unterschiedlichen Ecken und Run-
a2

dungen am gleichen Teil vorsehen (Bild links). Mit a b2


b
= a1 = a2 und b = b1 = b2 erspart man das Vorlochen B

und nutzt den Werkstoff vollständig aus. Bild 4-278


4.11 Gestaltung spanend herzustellender Werkstücke 407

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 4-279
Bei Umgrenzungen, die im Folgeschnitt gefertigt
sind, kann Versatz entstehen, der durch Streifen-
toleranzen, Führungsfehler oder den Stempelver-
satz bedingt ist. Bei geraden Kanten im Schnittwerk-
zeug können solche Fehler vermieden werden.

Bild 4-279

4.11.8.4 Beanspruchung

Bild 4-280
Bei Blechdicken s ≥ 3 mm verhindern abgeschrägte
Stempelformen eine Eckendeformation des Werk-
stücks. Bild 4-280

Biegekante
Bild 4-281
Bei Schnittteilen, die anschließend gebogen wer-
den, ist die Biegekante rechtwinklig zur Außen-
kante zu legen, da sonst die Gefahr des Einreißens
beim Biegen besteht. Bild 4-281

Rissgefahr

Bild 4-282
Ausreichende Steg- und Randbreiten vermindern
die Rissgefahr beim Ausschneiden bzw. Lochen
(siehe VDI 3367). Bild 4-282

Bild 4-283
Man sollte einen minimalen Lochdurchmesser dmin =
s nicht unterschreiten, da sonst eine erhöhte Bruch-
s

gefahr für das Werkzeug besteht. Bei günstigen Be-


dingungen kann dmin O 0,4 s erreicht werden (Bera- d
tung mit dem Werkzeugkonstrukteur erforderlich). Bild 4-283
408 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum

Abschnitt 4.1 bis 4.6

Degner, W., H. Lutze, u. E. Smejkal: Spanende For- ISO 3002: Grundbegriffe für das Zerspanen und
mung, Hanser-Verlag, München, Wien, 15. Aufl. Schleifen; Teil 1: Geometrie am Schneidteil spa-
2002. nender Werkzeuge; Allgemeine Begriffe, Bezugs-
DIN 1416: Räumwerkzeuge; Gestaltung von Schneid- systeme, Werkzeug, Spanbrecher und Wirkwin-
zahn und Spankammer, 11/1971. kel, 8/1982.
Gomol, V.: Keramische Schneidstoffe – Stand der
DIN 2310: Thermisches Schneiden.
Technik und Ausblicke. VDI-Z 122 (1980) Nr.
Teil 6: Einteilung, Prozesse, 6/2003.
13, S. 160/74.
DIN 6580: Begriffe der Zerspantechnik; Bewe- Kienzle, O.: Die Bestimmung von Kräften und
gungen und Geometrie des Zerspanvorganges, Leistungen an spanenden Werkzeugen und Werk-
10/1985. zeugmaschinen. VDI-Z. 94 (1952), S. 229.
DIN 8580: Fertigungsverfahren – Begriffe, Eintei- König, W., u. F. Klocke: Fertigungsverfahren. Bd.
lung, 9/2003. 1: Drehen, Fräsen, Bohren. 5. Aufl. Springer-Ver-
DIN 8589: Fertigungsverfahren Spanen. lag, Berlin, Heidelberg 1997.
Teil 0: Allgemeines; Einordnung, Unterteilung, Krupp WIDIA: Spanformdiagramme für verschie-
Begriffe, 9/2003. dene Spanformrillen. Firmenschrift 1983.
Teil 1: Drehen; Einordnung, Unterteilung, Be- Leiseder, L. M.: Kühlschmierstoffe für die Metall-
griffe. 9/2003. zerspanung. verlag moderne industrie, Lands-
Teil 2: Bohren, Senken, Reiben; Einordnung, berg/Lech 1988.
Unterteilung, Begriffe, 9/2003.
Teil 3: Fräsen; Einordnung, Unterteilung, Be- Meins, W. (Hrsg.): Handbuch Fertigungs- und Be-
griffe, 9/2003. triebstechnik. Vieweg-Verlag, Braunschweig, Wies-
Teil 4: Hobeln, Stoßen; Einordnung, Untertei- baden 1989.
lung, Begriffe, 9/2003. Milberg, J.: Werkzeugmaschinen – Grundlagen.
Teil 5: Räumen; Einordnung, Unterteilung, Be- Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1992.
griffe, 9/2003. Opitz, H.: Moderne Produktionstechnik. Verlag W.
DIN 8590: Fertigungsverfahren Abtragen – Einord- Girardet, Essen, 1970.
nung, Unterteilung, Begriffe, 9/2003. Perović, B.: Arbeitsmappe für den Konstrukteur:
DIN 9812: Säulengestelle mit mittig stehenden Füh- Fertigungsverfahren, Werkzeuge, Spannvorrich-
rungssäulen, 12/1981. tungen, Werkzeugmaschinen. VDI-Verlag, Düs-
seldorf 1993.
DIN 51385: Schmierstoffe; Kühlschmierstoffe; Be-
Perović, B.: Fertigungstechnik. Springer-Verlag,
griffe, 6/1991.
Berlin, Heidelberg 1990.
DIN EN 12584: Unregelmäßigkeiten an Brennschnit- Pintat,T., K. Wellinger, u. P. Gimmel: Werkstoff-
ten, Laserstrahlschnitten und Plasmaschnitten – tabellen der Metalle. Kröner-Verlag, Stuttgart
Terminologie, 6/1999. 2000.
DIN ISO 513: Klassifizierung und Anwendung von REFA: Methodenlehre des Arbeitsstudiums, Teil 2,
harten Schneidstoffen für die Metallzerspanung Datenermittlung. Carl Hanser Verlag, München,
mit geometrisch bestimmten Schneiden – Be- Wien 1996.
zeichnung der Hauptgruppen und Anwendungs-
Reiter, N.: Hartmetall-Schneidstoffe – Stand der
gruppen, 11/2005.
Technik und Ausblicke. VDI-Z. 122 (1980) Nr.
DIN ISO 525: Schleifkörper aus gebundenem Schleif- 13, S. 155/159.
mittel – Allgemeine Anforderungen, 8/2000. Spur, G., u. T. Stöferle: Handbuch der Fertigungs-
DIN ISO 1832: Wendeschneidplatten für Zerspan- technik. Bd. 3/1 u. 3/2. Carl Hanser-Verlag, Mün-
werkzeuge – Bezeichnung, 11/2005. chen, Wien 1979 u. 1980.
Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum 409

Tönshoff, H. K., B. Karpuschewski, u. Ch. Bla- DIN EN ISO 9013: Thermisches Schneiden – Ein-
witt: Hochgeschwindigkeitszerspanung – Stand teilung thermischer Schnitte – Geometrische Pro-
der Technik und Entwicklungstendenzen. VDI- duktspezifikation und Qualität, 7/2003.
Z. 139 (1997) Nr. 9, S. 26/33. Flimm, J.: Spanlose Formgebung, 7. Aufl. Carl-Han-
Tönshoff, H. K.: Spanen – Grundlagen. Springer- ser-Verlag, München, Wien 1996.
Verlag, Berlin, Heidelberg 1995. Fritz, A. H., J. Sternberg, u. W. Kühnlein: Geräusch-
Tschätsch, H.: Taschenbuch spanende Formge- minderung beim Schweißen und Brennschneiden.
bung. München. Carl Hanser Verlag, München, EG-Forschungsbericht Nr. 7257-73-78/376/01.
Wien 1980. Berlin: TFH/ILFA-Institut 1988.

Victor, H. R.: Zerspankennwerte. Industrie-Anzei- Gäbler, J., L. Schäfer, A. Wenda, u. H.-W. Hoffmeis-
ger 98 (1976), Nr. 102, S. 1825. ter: Development and application of CVD dia-
mond micro tools for milling and grinding, Pro-
Victor, H. R., M. Müller, u. R. Opferkuch: Spanende ceedings of the 1st international conference and
Fertigungsverfahren. Teil 6: Räumen. wt-Z. ind. general meeting of the european society for pre-
Fertig. 71 (1981) Nr. 4. cision engineering and nanotechnology, Bremen,
Victor, H. R., M. Müller, u. R. Opferkuch: Zerspan- 31. Mai – 4. Juni 1999, S. 434-438.
technik I: Grundlagen. Springer-Verlag, Berlin, Guo, N.-S.: Schneidprozeß und Schnittqualität beim
Heidelberg 1981. Wasserabrasivstrahlschneiden. VDI-Fortschritts-
VDI 3321, Bl. 1: Optimieren des Spanens. Heraus- berichte, Reihe 2, Fertigungstechnik Nr. 328. VDI-
geber: Verein Deutscher Ingenieure, Ausg. März Verlag, Düsseldorf 1994.
1976. Haasis, G.: Möglichkeiten der Optimierung beim
Weck, M.: Werkzeugmaschinen, Bd. 2. Konstruk- Honen. Werkstatt und Betrieb 108 (1975), H. 2,
tion und Berechnung. 6. Aufl. Springer-Verlag, S. 95/107.
Berlin, Heidelberg 1997. Hermann, F.-D.: Thermisches Schneiden. Die Schweiß-
Wertheim, R., u. J. Bacher: Siliciumnitrid – Schneid- technische Praxis, DVS-Verlag Düsseldorf 1979.
stoff mit Zukunft. VDI-Z. 128 /1986), Nr. 5, S. Hinz, H. E.: Gleitschleifen – Grundlagen, Maschi-
155/159. nen, Chips, Compound, Analysen, Abwasser,
Wiebach, H.-G.: Einführung in die Schnittopti- Kostenrechnung. Reihe Kontakt und Studium,
mierung. VDI-Z. 120 /1980), Nr. 18, S. 825/29. Fertigungstechnik, Bd. 65. Expert-Verlag 1980.
Hirschberg, H.: Thermisches Schneiden von Stahl.
Merkblatt STAHL 252. Düsseldorf 1985.
Hoffmeister, H.-W., u. M. Hlavac: Schleifen von
Mikrostrukturen. Tagungsband, 10. Internatio-
Abschnitt 4.7 bis 4.11 nales Braunschweiger Feinbearbeitungskolloqui-
Bernard, P., u. G. Schreiber: Verfahren der Autogen- um, Braunschweig, 7. bis 9. Oktober 2002.
technik. Fachbuchreihe Schweißtechnik, DVS- Hoffmeister, H-W., u. M. Hlavac: Profilieren von
Verlag, Düsseldorf 1973. CBN-Mikroschleifscheiben mit Diamantprofil-
Blickwedel, H.: Erzeugung und Wirkung von Hoch- rollen. Jahrbuch Schleifen, Honen, Läppen und
druck-Abrasivstrahlen. VDI-Fortschrittsberichte, Polieren, 63. Ausgabe. Vulkan-Verlag, Essen 2007,
Reihe 2, Fertigungstechnik Nr. 206. VDI-Verlag, S 220/230.
Düsseldorf 1990 Horowitz, J.: Oberflächenbehandlung mittels Strahl-
Böge, A.: Lexikon Technik. Vieweg-Verlag, Braun- mitteln. Bd. 1 und 2. Foster-Verlag AG, Zürich
schweig, Wiesbaden 1997. 1976.

DIN EN ISO 1101: Geometrische Produktspezifi- Klink, U.: Honen. Jahresübersichten in der VDI-Z.
kation (GPS) – Geometrische Tolerierung – To- König, W., u. F. Klocke: Fertigungsverfahren. Bd. 2.
lerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf, Schleifen, Honen, Läppen. Springer-Verlag, Ber-
2/2006. lin, Heidelberg 1996.
410 4 Trennen (Zerteilen; Spanen; Abtragen; thermisches Schneiden)

König, W., u. F. Klocke: Fertigungsverfahren. Bd. Saljé, E., u. G. Rohde: Rundschleifmaschinen. VDI-
3: Abtragen und Generieren. 3. Aufl. Springer- Z. 124 (1982), Nr. 23/24.
Verlag, Berlin, Heidelberg 1997. Schulze, G.: Die Metallurgie des Schweißens. (VDI-
Buch), 4. Aufl. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
Meyer, H.-R.: Über das Abrichten von Diamant- 2010.
und CBN-Schleifwerkzeugen. Jahrbuch: Schlei-
fen, Honen, Läppen und Polieren, 50. Ausgabe. Spur, G. u. T. Stöferle: Handbuch der Fertigungs-
Vulkan-Verlag, Essen 1981. technik. Bd. 3/2: Spanen. Carl Hanser Verlag,
München, Wien 1980.
REFA-Methodenlehre des Arbeitsstudiums, Teil 1
bis 6. München, Carl Hanser-Verlag, München, Tamaschke, W.: Schneiden von Stahlblech mit CO2-
Wien 1978. Laser. Zeitschrift für industrielle Fertigung 72
(1982), S. 323/26.
Saljé, E., u. E. Westkämper (Hrsg.): Jahrbuch Schlei-
fen, Honen, Läppen und Polieren. Vulkan-Ver-
lag, Essen 1993.
411

5 Umformen nen zwei oder mehrere Grundverfahren gleichzei-


tig oder nacheinander in einem Arbeitsgang durch-
geführt werden. Ein Arbeitsgang ändert in einem
einzelnen Schritt die Form und (oder) die Stoffei-
5.1 Einteilung und Vorteile der genschaften. Aus einer Übersicht über die Umform-
Umformverfahren verfahren gemäß Bild 5-2 gehen der jeweilige Aus-
gangs- und Endzustand des Werkstücks hervor.
Unter Umformen versteht man gemäß DIN 8580,
eine gegebene Roh- oder Werkstückform in eine be- Das Umformen kann bei unterschiedlichen Tem-
stimmte andere Zwischen- oder Fertigteilform zu peraturen durchgeführt werden. Die Ausgangstem-
überführen. Dabei werden die Stoffteilchen so ver- peratur des Werkstücks beeinflusst sowohl den Um-
schoben, dass der Stoffzusammenhalt und die Mas- formverlauf als auch die Werkstück-Stoffeigenschaf-
se unverändert bleiben. Das Umformen bezeichne- ten. Dabei kann eine bleibende oder nur beim Um-
te man früher auch als plastische oder bildsame formvorgang feststellbare vorübergehende Festig-
Formgebung. keitssteigerung auftreten. Für die Bedürfnisse der
Praxis unterteilt man die Umformverfahren nach
Die Einteilung der Umformverfahren erfolgt ent- DIN 8582 bis 8587 in:
sprechend DIN 8582 unter dem Gesichtspunkt der – Kaltumformen: Umformen ohne Anwärmen des
wirksamen Spannungen in der Umformzone in die Rohlings,
fünf Beanspruchungsgruppen Druck-, Zugdruck-, – Warmumformen: Umformen mit Anwärmen des
Zug-, Biege- und Schubumformen. Rohlings 1).

Bild 5-1 vermittelt einen Überblick über die Eintei- Umformverfahren, bei denen sowohl kalt als auch
lung der Fertigungsverfahren. Die Gruppen sind in warm umgeformt wird, sind z. B. das Walzen, Fließ-
den Normen DIN 8583 bis 8587 nach den Kriterien
der Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werk- 1)
Als Warmumformen wurden früher die Verfahren bezeich-
stück, der Werkzeuggeometrie und der Werkstück-
net, bei denen die Umformtemperatur über der Rekristalli-
geometrie gegliedert. Sie umfassen 18 Untergrup- sationstemperatur des Werkstückstoffs lag. Oberhalb der
pen mit etwa 230 Grundverfahren. Häufig werden Rekristallisationstemperatur TRk tritt keine Verfestigung
auch Verfahrenskombinationen eingesetzt. Es kön- des Werkstoffs ein

Hauptguppe 2
Umformen

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Druckumformen Zugdruckumformen Zugumformen Biegeumformen Schubumformen


DIN 8583 DIN 8584 DIN 8585 DIN 8586 DIN 8587
Biegen mit geradliniger

Biegung mit drehender


Werkzeugbewegung

Werkzeugbewegung
Gesenkformen

Knickbauchen
Durchdrücken

Kragenziehen
Durchziehen

Verschieben
Eindrücken
Freiformen

Verdrehen
Tiefziehen

Drücken

Längen
Walzen

Weiten

Tiefen
2.1.2

2.1.3

2.1.4

2.1.5

2.3.1

2.3.2

2.3.3

2.4.1

2.4.2
2.2.1

2.2.2

2.2.3

2.2.4

2.2.5

2.5.1

2.5.2
2.1.1

Bild 5-1
Unterteilung der Fertigungsverfahren der Umformtechnik in Untergruppen nach DIN 8582.
412 5 Umformen

pressen und Prägen. Eine Einteilung der Umform- nauigkeit und Oberflächengüte der Erzeugnisse
verfahren nach der geometrischen Rohlingsform (z. können verbessert werden durch Kombinieren
B. Stangenabschnitt oder Blech) führt zu der Un- von Umformprozessen mit Endbearbeitungs-
terscheidung Massiv- und Blechumformung. verfahren. Mit einigen Umformverfahren lassen
sich sehr kleine Toleranzen einhalten. Zum Bei-
Vorteile der Umformverfahren sind spiel kann beim Fließpressen eine Wanddicken-
– bessere Werkstoffausnutzung; die modernen Ver- abweichung bei 600 mm Durchmesser bis zu ±
fahren des Umformens erlauben in besonderen 0,01 mm und beim Oberflächenfeinwalzen eine
Fällen die Fertigung von einbaufertigen Teilen. Ge- Rauheit bei Stahlteilen bis zu Rz = 0,2 mm er-
genüber der spanenden Bearbeitung sind Werk- reicht werden.
stoffeinsparungen von 10 % bis 50 % möglich. – Erhöhung der Werkstückstoff-Festigkeit; bei
– Einsparen von Fertigungszeit; Umformmaschi- mehreren Verfahren des Kaltumformens kann
nen ermöglichen ein höheres Ausbringen durch eine solche Festigkeitssteigerung vorteilhaft aus-
verkürzte Haupt- und Nebenzeiten. Die Erhö- genutzt werden. Beim Kaltfließpressen steigt die
hung der Pressenhubzahl, der Einsatz automa- Härte des eingesetzten Stahls bis zu 120 % und
tisierter Zuführ- und Entnahmevorrichtungen beim Oberflächenfeinwalzen (je nach Umform-
sowie die Mehrmaschinenbedienung führen zu grad) bis zu 40 %. Dadurch können preiswerte-
einer Einsparung von Fertigungszeit bis zu 30 %. re Stähle mit geringerer Festigkeit als Rohling
– Steigerung der Werkstückqualität; die Maßge- eingesetzt werden.

Druckumformen Zugdruckumformen Zugumformen


Walzen Draht- Längen
ziehen

Freiformen Tiefziehen Weiten

Gesenkformen Drücken Tiefen

Eindrücken Kragenziehen Biegeumformen


Biegen

Durchdrücken Knickbauchen Schubumformen


Verdrehen
Mt

Mt
90°

Bild 5-2
Beispiele für das Umformverfahren, eingeteilt nach überwiegender Beanspruchung in der Umformzone. Im jeweils linken
Bildteil ist die Ausgangsform, im rechten Bildteil die Endform des Werkstücks dargestellt.
5.2 Grundlagen der Umformtechnik 413

– Eine höhere Gestaltfestigkeit und eine verringer- mit chemischen Mitteln das Gefüge der einzelnen
te Kerbwirkung lassen sich bei Umformteilen mit Kristallkörper und ihre Korngrenzen sichtbar ma-
nicht angeschnittenem Faserverlauf erreichen. chen. Man erkennt unter dem Mikroskop eine Struk-
tur etwa entsprechend Bild 5-4.

Die unregelmäßigen Körper mit zueinander statis-


5.2 Grundlagen der tisch regellos orientierten Zellen sind die Kristallite
Umformtechnik oder Körner. Die mechanischen und physikalischen
Eigenschaften der Metalle werden durch die Lage
Für die Anwendung der Umformtechnik ist der kris- und die Durchmesser der Atome, deren Abstand
talline Aufbau der Metalle von grundlegender Be- voneinander und durch die Verteilungsdichte im
deutung. Das kleinste Bauelement eines Kristalls Atomgitter bestimmt. Die Eigenschaften eines Kris-
ist die Elementarzelle (Bild 5-3). In Metallen findet tallits sind daher richtungsabhängig, also anisotrop.
Im Verbund eines Vielkristalls gleichen sich die
Vorzugsrichtungen statistisch aus; die Eigenschaften
sind daher quasi-isotrop.

Bei der plastischen Formänderung von Metallen


werden große Gitterbereiche von Elementarzellen
gegeneinander um endliche Strecken verschoben.
Dieses Verschieben oder Gleiten erfolgt bevorzugt
parallel zu den am dichtesten gepackten Gitterebe-
nen, verdeutlicht im Bild 5-5. Die Ebenen sind bei
kubisch-raumzentrierten (krz) Metallen (z. B. a -Ei-
sen, Wolfram, Chrom) die Flächen des sog. Rhom-
ben-Dodekaeders. Bei Metallen mit kubisch-flächen-
zentriertem (kfz) Gitter (z. B. g -Eisen, Aluminium,
Bild 5-3 Kupfer, Nickel) sind es die Flächen des Oktaeders.
Anordnung von Atomen in einer kubisch-raumzentrierten Ele- Bei Metallen mit hexagonalem (hdP) Gitter (wie z.
mentarzelle (Gitterabstand bei a-Eisen: a = 287 ◊ 10 - 9 mm). B. Zink, Magnesium) sind die Basisflächen am dich-
testen mit Atomen besetzt. Entlang dieser Ebenen
man meist drei Grundformen: die kubische, die te- setzt die Gleitung oder Translation ein 2).
tragonale und die hexagonale Elementarzelle. Beim
Erstarren einer Schmelze (Abschn. 2, Urformen) Bei einem Vielkristall, der aus zahlreichen Kristalli-
ordnen sich die Elementarzellen nahezu parallel an ten mit unregelmäßigen Korngrenzen besteht, ha-
und bilden feste Bereiche, die immer größer wer-
den. Wenn sich alle Zellen gegenseitig berühren, ist 2)
Genauer lassen sich diese Vorgänge nur mit dem Verset-
die Schmelze erstarrt. Auf einer feingeschliffenen zungsbegriff beschreiben, dessen Erklärung in diesem
Oberfläche kann man durch eine geeignete Ätzung Zusammenhang aber zu weit führen würde.

a) b)
Bild 5-4
Aus Kristalliten aufgebautes Gefüge eines Metalls: a) Vielkristall im Ausgangsgefüge, b) Gefüge nach der Umformung.
414 5 Umformen

Bild 5-5
Elementarzellen von Metallen mit den am dichtesten mit Atomen besetzten Gitterebenen.
a) kubisch-raumzentriertes Gitter (a -Eisen, Wolfram, Chrom)
b) kubisch-flächenzentriertes Gitter (g -Eisen, Aluminium, Kupfer, Nickel)
c) hexagonales Gitter (Zink, Magnesium)

ben die Gleitebenen unterschiedliche Orientierung – Unter der absoluten Formänderung versteht
(Bild 5-4). Das Gleiten setzt in diesem Fall richtungs- man den Unterschied der geometrischen Abmes-
unabhängig ein, da immer zur Beanspruchungs- sungen vor und nach der Umformung (Höhenab-
richtung günstig liegende Gleitsysteme vorhanden nahme, Breitenabnahme, Längenabnahme):
sind. Eine große Anzahl von Kristalliten befindet Δh = h1 − h0; Δb = b1 − b0; Δl = l1 − l0.
sich aber auch in solchen Lagen, in denen ein Glei-
ten in der Kraftrichtung nicht möglich ist. Daher ist – Bei der bezogenen Formänderung wird die ab-
der Umformwiderstand eines vielkristallinen Metall- solute Formänderung zu den Ausgangsabmes-
stücks viel größer als derjenige eines Einkristalls. sungen ins Verhältnis gesetzt (bei positivem Vor-
zeichen »Dehnung«, meist in % angegeben):
Für das Berechnen der Umformvorgänge hat man h1 - h0 b -b l -l
Kenngrößen der Formänderung definiert. Während eh = ; eb = 1 0 ; el = 1 0 .
h0 b0 l0
des Umformvorgangs bleibt das Volumen des um-
geformten Körpers annähernd gleich. Wird ein Qua- – Das Formänderungsverhältnis ist das Verhält-
der mit den Ausgangsabmessungen h0, b0 und l0 auf nis der geometrischen Abmessungen vor und
die Endabmessungen h1, b1 und l1 gemäß Bild 5-6 nach dem Umformen (Stauchgrad, Breitungs-
gestaucht, so gilt die Beziehung grad, Streckgrad):
V = h0 b0 l0 = h1 b1 l1 = konst. [5-1] g =
h1 b l
; b= 1; l= 1.
h0 b0 l0
Die Größe von Formänderungen kann in verschie-
dener Weise angegeben werden: – Der Umformgrad ist das logarithmische Ver-
hältnis:
h1 b l
j h = ln ; j b = ln 1 ; j l = ln 1 .
h0 b0 l0
Der Umformgrad wird bei der Ermittlung des Kraft-
h0

und Arbeitsbedarfs benötigt. Formänderungen treten


h1

l1
nicht allein in einer Richtung auf. Beim Strecken
l0 eines Zugstabs wird sein Querschnitt gleichzeitig
b0 b1
abnehmen; beim Stauchen eines Bolzens vergrö-
Bild 5-6 ßert sich der Durchmesser. Für alle Berechnungen
Gestauchter Quader mit idealisierter Geometrie nach dem des erforderlichen Kraftbedarfs ist stets der Ver-
Umformen. gleichsumformgrad jv (Größtbetrag von j ) einzu-
5.2 Grundlagen der Umformtechnik 415

t
setzen. Der Satz von der Volumenkonstanz lässt sich

Trennfestigkeit (sT)
tB
mit Hilfe des Umformgrads formulieren: Die Summe
plastisches
der orthogonalen Umformgrade ist gleich null: Formänderungsvermögen S
tF
jh + jb + jl = 0. [5-2]

tmax
Aufgrund des kristallinen Aufbaus zeigen die metal-
s3 s2 s1 s T
lischen Werkstoffe ein proportionales Verhalten im -s + s
smin
Spannung-Dehnung-Schaubild bis zur Fließgrenze smax
(Hooke-Gerade). Die elastische Verformung ent-
steht durch reversible Gitterdehnungen und Gitter-
stauchungen. Beim Fließbeginn gleiten große Git- s2 s2 s2
terbereiche irreversibel ab.
s3 s 3 = smin
Die bevorzugten Gleitebenen stimmen bei homoge- s1 s1 s1 s1 s1 = smax
nen Werkstoffen mit der Richtung der maximalen
Schubspannung überein. Durch die im Werkstoff in Bild 5-7
Mohrsche Spannungskreise und Grenzfestigkeiten für unter-
großer Anzahl enthaltenen eindimensionalen Git-
schiedliche Hauptnormalspannungszustände.
terdefekte (Versetzungen) setzt der Fließbeginn bei tB Schubfestigkeit
wesentlich niedrigeren Schubspannungen ein als bei tF Schubfließgrenze
idealem Gitteraufbau. Für einen dreiachsigen Span- tmax maximale Schubfestigkeit
nungszustand kann in Anlehnung an Mohr ohne Be- Li
rücksichtigung der mittleren Hauptnormalspannung
die Fließbedingung definiert werden:
Fi Si
smax − smin = 2 tmax = sv [5-3] L0

mit sv als der einachsigen Vergleichsspannung. Diese


wird nach unterschiedlichen Festigkeitshypothesen
S0
(Fließbedingungen) berechnet und zwar nach der
Fi Fi
Normalspannungshypothese, der Schubspannungs- 500 kf = s=
Si S0
hypothese nach Tresca (s. Gl. [5-3]) und der Gestalt- N
mm2
Fließspannung kf, Zugspannung s

änderungsenergie-Hypothese (GEH) nach v. Mises. 400


Bruch
Der Einfluss ein- und mehrachsiger Spannungszu-
300
stände auf den Verlauf der Schubfließgrenze tF und
der Schubfestigkeit tB geht aus Bild 5-7 hervor. Da-
rin sind die Mohrschen Spannungskreise für den 200
Agl
Fließbeginn dargestellt. Der jeweilige Abstand zwi-
ReH

Rm

schen tF und tB ist ein Vergleichsmaß für das plasti- 100


sche Formänderungsvermögen.
0
Oberhalb des Schnittpunkts S der beiden Kenngrö- 0 5 10 15 20 25 % 30
ßen ist im Bereich mehrachsiger Zugspannungen Dehnung e = D L 100
L0
mit Trennbruchgefahr zu rechnen. Unter mehrach-
Bild 5-8
sigen Druckspannungszuständen wird ein größeres Spannung-Dehnung-Schaubild für S235 (St 37), aufgenommen
Umformvermögen erreicht als unter Zugspannungs- beim Zugversuch nach DIN EN 10002-1.
zuständen. Im Grenzfall können mehrachsige Zug- s Zugspannung (s = Fi / S0 )
spannungen verformungslose Trennbrüche auslö- kf Fließspannung (kf = Fi / Si)
sen. ReH obere Streckgrenze (ReH = FeH / S0 )
Rm Zugfestigkeit (Rm = Fmax / S0 )
L0 Ausgangs-Messlänge, Δ L = Li - L0 (Verlängerung)
Im Spannung-Dehnung-Schaubild nach Bild 5-8 tritt S0 Ausgangs-Querschnitt
beim Werkstoff Stahl (mit verhältnismäßig wenig Si Querschnitt bei Belastung Fi
Kohlenstoff) eine ausgeprägte obere Streckgrenze Agl Gleichmaßdehnung
416 5 Umformen

ReH auf. Wird beim Zugversuch die der Zugprobe Für kleine Werte von e < 0,2 sind beide Kenngrö-
aufgezwungene Verlängerung ΔL kontinuierlich ge- ßen etwa gleich groß.
steigert, so erhöht sich die messbare Kraft Fi und
damit die Zugspannung s = Fi /S0. Am Höchstlast- Zur mathematischen Beschreibung von Fließkur-
punkt ist die Nennzugfestigkeit Rm des Werkstoffs ven wurden (nach Ludwik u. a.) Potenzfunktionen
erreicht; im Zugversuch kommt es infolge von Insta- vorgeschlagen. Für unlegierte und niedriglegierte
bilitäten zur Einschnürung, bei weiterer Dehnung Stähle sowie für Leichtmetalle gilt beim Kaltum-
zum Bruch. Die Spannung s ist eine fiktive Größe, formen für die Fließspannung im Bereich j = 0,2
da sie stets auf den Ausgangsquerschnitt S0 der Zug- bis j = 1,0 die Beziehung
probe bezogen wird.
k f = C j n. [5-5]
Die wahre Spannung kf = Fi /Si wird Fließspannung Für die Konstanten C und n gelten nach Reihle
genannt. Der Verlauf der Fließspannung kf in Ab- folgende Zusammenhänge:
hängigkeit vom Vergleichsumformgrad etwa gemäß C = Rm (e/n)n, [5-6]
Bild 5-9 heißt Fließkurve und ist für unterschiedli- n = jgl. [5-7]
che Werkstoffe von der Höhenlage und dem Verfes-
tigungsanstieg abhängig. Für die meisten in der Um- Hierin bedeuten:
formtechnik angewendeten Metalle und Metallle- n Verfestigungsexponent,
gierungen sind die Fließkurven in den Arbeitsblät- Rm Zugfestigkeit,
tern VDI 5-3200 und VDI 5-3201 festgelegt. e Basis der natürlichen Logarithmen,
j gl Umformgrad bei der Gleichmaßdehnung im
Fließkurven lassen sich einfacher handhaben, wenn Zugversuch.
sie durch eine mathematische Beziehung näherungs-
weise erfasst werden. Zwischen j und e besteht der Fließkurven, die sich nach Gl. [5-5] annähern las-
Zusammenhang 3) sen, sind in doppellogarithmischer Darstellung der
Fließspannung kf in Abhängigkeit vom Umform-
j = ln (1 + e). [5-4]
grad j eine Gerade. Der Verfestigungsexponent n
800 ergibt sich als tan a des Anstiegswinkels dieser Ge-
N raden.
mm2 St
Si
Fi

600
Die Fließkurve selbst kann aus dem Zugversuch
Fließspannung kf =

nach DIN EN 10002-1 bis zur Gleichmaßdehnung


400
Cu Agl ermittelt werden, die man aus den Werten für Rm,
A10 und A5 näherungsweise berechnen kann:
Al n = jgl = ln (1 + Agl) = ln (1 + 2 A10 − A5). [5-8]
200
Aus vorverfestigten Proben, die z. B. durch Walzen
0
oder Drahtziehen zu mehr als j O 0,4 umgeformt
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 wurden, lässt sich im Zugversuch die Fließspannung
h
Vergleichsformänderung jh = ln 0
ermitteln. Die Spannung-Dehnung-Schaubilder sol-
h1
cher Zugproben zeigen fast keinen Dehnungsbereich
Bild 5-9 mehr, so dass die Zugfestigkeit Rm der Fließspan-
Fließkurven von Stahl [unlegierter Einsatzstahl C10E (Ck 10)],
nung kf entspricht.
Kupfer und Aluminium.
Beispiel: Für die Stauchung auf die halbe Ausgangshöhe er-
gibt sich ein Vergleichsumformgrad jv = 0,69; die dazugehö- Im Stauchversuch kann die Fließkurve bis zu Ver-
rige Fließspannung für Stahl beträgt kf = 620 N/mm2. gleichsumformgraden von j > 1,0 ermittelt werden.
Beim Stauchen zwischen ebenen Bahnen wird die
3)
gleichmäßige Breitung an den Berührungsflächen
Nach Definition ergibt sich die wahre Dehnung oder der infolge der Reibung behindert. Die Probe verliert
Umformgrad j aus:
ihre zylindrische Gestalt und baucht entsprechend
l1
l l + Dl
Ú
dl Bild 5-10 aus: Kurze Zylinderproben nehmen Ton-
j= = ln 1 = ln 0 = ln (1 + e ).
l0 l l0 l0 nenform an, schlanke Proben bauchen an den En-
5.2 Grundlagen der Umformtechnik 417

den aus. Dadurch kann keine homogene Umformung Mit Hilfe der Fließkurven können Umformkräfte
erfolgen, der Spannungszustand ist nicht mehr ein- und Umformarbeiten berechnet werden.
achsig. Um dies zu vermeiden, werden die Stauch-
flächen poliert und geschmiert, Kunststofffolien als Nach Lösungsansätzen der elementaren Plastizi-
Zwischenlage benutzt, oder es wird der Kegelstauch- tätstheorie ergibt sich zum verlustfreien Umformen
versuch angewendet. Dabei sind Stauchbahnen und eines nicht verfestigten Werkstoffs die ideelle Um-
Probenstirnflächen kegelig ausgebildet. Die dadurch formarbeit zu
entstehenden Radialspannungen sollen gerade so j1

groß werden, dass sie die Reibschubspannungen Wid = V Ú kf dj = V kf j1. [5-11]


auf heben. Dies ist der Fall, wenn zwischen dem Nei- 0

gungswinkel a der Kegelflächen und der Reibungs- Hierin bedeutet:


zahl m die Beziehung V umgeformtes Werkstoffvolumen,
kf Fließspannung des Werkstückstoffs,
m = tan a [5-9]
j Umformgrad.
besteht. Für Stahl bei Raumtemperatur und bei
guter Schmierung gilt a = 1,5 °; hierbei kann man Bei verfestigten Werkstoffen ist eine mittlere Fließ-
den Umformgrad noch mit guter Näherung aus der spannung kfm als Integralwert einzusetzen:
mittleren Probenhöhe errechnen. j1
1
kfm =
j1 Úk f dj. [5-12]
Der Kegelstauchversuch eignet sich auch für die 0

Fließkurvenermittlung an Blechen. Dabei werden Näherungsweise kann auch der arithmetische Mit-
die geschichteten Proben in einer Spannhülse zen- telwert der Fließspannungen vor und nach der Um-
triert und nach geringer Belastung frei weiter ge- formung aus der Fließkurve berechnet werden:
staucht. Der Spannungsverlauf wird durch die Trenn- kf0 + kf1
schichten der Bleche nicht gestört. kfm = . [5-13]
2
Solange der Spannungszustand im Zug- oder Stauch- Bei den Umformverfahren in der Praxis bewirken
versuch näherungsweise als einachsig angesehen zusätzliche Verluste durch Reibung, innere Schie-
werden kann, gilt für die Formänderungsfestigkeit bungen im Werkstoff, Biegung u. ä. eine im Vergleich
oder Fließspannung zu Gl. [5-11] größere Umformarbeit:
F j Wid
kf = ◊e ; [5-10] Wges = . [5-14]
A0 hF
hierbei bedeuten F die gemessene Umformkraft, A0 Außer den Näherungsansätzen zur Abschätzung
die Fläche vor der Umformung und dieser Verluste muss besonders bei komplexer Werk-
stückgeometrie der Umformwirkungsgrad hF experi-
l1 h
j = ln bzw. j = ln 1 . mentell bestimmt werden (hF = 0,4 bis hF = 0,8).
l0 h0 Dieser ist abhängig von der äußeren Reibung an den
Unverformter
Werkzeugflächen, der Art des Umformverfahrens,
F F
Stauchkörper dem umgeformten Werkstoff, der Werkstückgeome-
d0 trie und dem Stofffluss. Häufig wird er aus dem Ver-
hältnis ideelle Umformkraft Fid zur tatsächlich er-
forderlichen Umformkraft Fges bestimmt:
Fid
hF = [5-15]
h0

.
h1

Fges
Diese Beziehung gilt allerdings nur für stationäre
a)
Vorgänge; bei allen anderen Umformvorgängen
b)
muss statt mit Fges mit einer mittleren Kraft gemäß
Bild 5-10
Ausbauchung bei zylindrischen Stauchkörpern: F = Wges / s [5-16]
a) kurze Probe mit h0 /d0 = 1,0
b) schlanke Probe mit h0 /d0 = 2,5 mit s als dem Umformweg gerechnet werden.
418 5 Umformen

Hinsichtlich der Kraftwirkung ist es zweckmäßig, Stab- und Drahtziehen sowie Tiefziehen, muss zu-
die Umformverfahren in solche mit unmittelbarer sätzlich der Umformgrad berücksichtigt werden:
und solche mit mittelbarer Kraftwirkung zu unter-
Fid = A1 kfm j1. [5-18]
teilen. Bei den Umformverfahren mit unmittelbarer
Kraftwirkung, wie z. B. beim Stauchen, Recken und In dieser Gleichung ist A1 der Endqerschnitt, kfm die
Walzen, wirkt die äußere Kraft in der Hauptumform- mittlere Fließspannung (gemittelt zwischen kf0 am
richtung. Für eine idealisierte, verlustfreie Umfor- Anfang und kf1 am Ende des Vorgangs) und j1 der
mung ergibt sich die senkrecht zur gedrückten Flä- Umformgrad am Ende der Umformung. Die tatsäch-
che A1 erforderliche ideelle Umformkraft Fid: lich erforderliche Kraft lässt sich mit Hilfe des Um-
formwirkungsgrads hF berechnen. Entsprechende
Fid = A1 kf . [5-17]
Beispiele werden bei den einzelnen Verfahren erläu-
Hierbei ist A1 die augenblickliche Querschnittsflä- tert.
che senkrecht zur Kraft und kf die augenblickliche
Fließspannung des Werkstoffs. Die Fließspannung und damit die Fließkurvencha-
rakteristik hängt in großem Maße von der Umform-
Für Umformverfahren mit mittelbarer Kraftwir- temperatur ab, wie Bild 5-11 zeigt. Je höher die Um-
kung, wie z. B. für das Voll-Vorwärts-Fließpressen, formtemperatur ist, desto niedriger ist die (Warm-)

800 °C 900 °C 1000 °C 1100 °C


360

N
mm2
Fließspannung kf

320
10

280

240 10

0,1
200

1
0,01 10
160
j
.

0,1
10
120
1
0,01
j
.

0,1 1
80

0,01 0,1
j
.

40 0,01
j
.

0
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5

Vergleichsumformgrad jv

Bild 5-11
Warmfließkurven bei verschiedenen Temperaturen für den Stahl C45, Umformgeschwindigkeit j = dj /dt in s - 1
(nach H.-G. Müller).
5.3 Druckumformen 419

Fließspannung bei konstanter Umformgeschwin- 400

digkeit j = dj /dt, und um so flacher ist der Verfes- N


mm2 Umformtemperatur:
tigungsanstieg der Fließkurven. 300

Fließspannung kf
250 °C
Besonders dann, wenn die Temperatur so hoch ist, 800

dass eine Rekristallisation während des Umformpro-


200
zesses ablaufen kann, nimmt der Gleitwiderstand auf
°C
den Kristallebenen erheblich ab. Bei diesem zeitab- 900
hängigen Prozess wird die auftretende Verfestigung 150

sofort wieder rückgängig gemacht. Mit einer zweck-


mäßigen Temperaturführung kann auch ein bestimm- °C
00
tes Gefüge erzielt werden (z. B. feinkristallines Grob- 10
100
blech).
80
°C
Während beim Kaltumformen vor allem der Um- 00
11
formgrad j die Form der Fließkurve beeinflusst, ist 60
für das Warmumformen die Umformgeschwindigkeit
j von ausschlaggebender Bedeutung. Eine größe-
re Umformgeschwindigkeit behindert die Rekristalli-
40
sation während des Umformens oder macht sie so-
gar unmöglich. Bild 5-12 zeigt als Beispiel für den
Umformgrad j = 0,3 die Fließspannungen kf für den 30
Stahl C45 (nach H.-G. Müller). Je höher die Um-
formtemperatur ist, desto steiler verläuft die Kurve. j = 0,3 = konst.

20
Bei j = 10 s−1 fließt der Stahl C 45 bei einer Umform- 0,01 0,1 1 s- 1 10
.
temperatur von 1100 °C erst bei der dreifachen Fließ- Umformgeschwindigkeit j
spannung im Vergleich zu j = 0,01 s−1. Das Werk- Bild 5-12
stück hat bei dem schnelleren Umformvorgang ei- Fließspannung kf für den Stahl C45 in Abhängigkeit von der
ne höhere Festigkeit als ein gleiches Werkstück bei Umformgeschwindigkeit j .
900 °C, das langsam umgeformt wird (j = 0,01 s−1).
DIN 8583 gehören dazu die Walzverfahren (Halb-
Der Einfluss der Umformgeschwindigkeit j auf die zeugherstellung und sog. Stückwalzverfahren). Die
Fließspannung kann mit sogenannten Plastometern Freiform- und Gesenkformverfahren umfassen die
ermittelt werden. Diese Maschinen erlauben z. B. Druckumformverfahren mit gegeneinander beweg-
ein Stauchen mit konstanter Umformgeschwindig- ten Werkzeugen. Diese können die Form des Werk-
keit. Da j bei homogener Umformung nach der stücks gar nicht oder nur teilweise (Freiformen) bzw.
Gleichung zu einem wesentlichen Teil oder völlig umfassen
j = d j /dt = Y /h (Gesenkformen).
wz
[5-19]
von der Werkzeuggeschwindigkeit Ywz und der au- Beim Eindrücken dringt das Werkzeug in das Werk-
genblicklichen Probenhöhe h abhängt, wird bei Plas- stück ohne oder mit einer Relativbewegung zwi-
tometern die Stauchbahngeschwindigkeit hydrau- schen Werkzeug und Werkstück entlang der Oberflä-
lisch oder mechanisch nach entsprechenden Kur- che ein.
venscheiben gesteuert.
Den Durchdrückverfahren kommt in der Umform-
technik eine sehr große Bedeutung zu. Das Verjün-
5.3 Druckumformen gen und das Fließpressen werden zur Herstellung
einzelner Werkstücke angewendet (z. B. Radbefes-
Bei den Verfahren für das Druckumformen wird tigungsschrauben). Strangpressen dient vorwiegend
der plastische Zustand im Werkstoff durch ein- oder der Herstellung von Halbzeug (Hohl- und Winkel-
mehrachsige Druckspannungen hervorgerufen. Nach profile aus Aluminiumlegierungen).
420 5 Umformen

5.3.1 Walzen

5.3.1.1 Definition und Einteilung nach


DIN 8583
Das Verfahren ist definiert als stetiges oder schritt-
weises Druckumformen mit sich drehenden Werk-
zeugen (Walzen). Beim Walzen von Hohlkörpern
werden mitunter auch Gegenwerkzeuge (z. B. Dor-
ne, Stopfen, Stangen) verwendet. Die Walzen kön- Flachwalzen Profilwalzen
nen entweder angetrieben oder vom Walzgut mitge-
schleppt werden. In Sonderfällen werden an Stelle a) b)
einer oder mehrerer Walzen anders geformte Werk-
zeuge verwendet, z. B. hin- und hergehende Backen Bild 5-14
beim Gewindewalzen. Walzenausführungen beim Längswalzen.

Im Ordnungssystem der Druckumformverfahren


nach DIN 8583 unterscheidet man Längs-, Quer- Pilgerwalze

und Schrägwalzen, wie die Übersicht Bild 5-13 zeigt.


Pilgerdorn
Beim Längswalzen wird das Walzgut senkrecht zu
den Walzenachsen ohne Drehung durch den Walz-
spalt bewegt. Es tritt als Strang aus den gegensinnig Werkstück
umlaufenden Walzen aus. Der Strang mit gleichblei-
bendem Querschnitt ist meist Halbzeug, das weiter
verarbeitet wird. Die Erzeugnisse können nach ih-
rer Geometrie in Flach- und Profilprodukte unter- Bild 5-15
teilt werden. Die Werkzeuge heißen dementspre- Pilgerschrittwalzen zum Erzeugen nahtloser Rohre (Mannes-
chend Flach- bzw. Profilwalzen, wie in Bild 5-14 mann-Verfahren).
angedeutet.
Das Pilgerschrittwalzen dient zum Erzeugen dünn-
Nach diesen Walzverfahren können auch Hohlkör- wandiger nahtloser Rohre. Hierbei erfolgt das Um-
per hergestellt werden. Hervorzuheben sind das Wal- formen abschnittweise durch Strecken der dickeren
zen von Vierkantrohren und die Rohrherstellung Rohrwand über einem Dorn gemäß Bild 5-15. Üb-
nach dem Pilgerschrittverfahren. licherweise wird beim Warmwalzen ein zylindri-

2 1 1

Walzen

2 1 1 1 2 1 1 2 2 1 1 3

Längswalzen Querwalzen Schrägwalzen

2 1 1 1 1 2 1 1 1 2 2 1 1 2 1 2 1 1 2 2 2 1 1 3 1 2 1 1 3 2

Flach- Profil- Flach- Profil- Flach- Profil-


Längswalzen Längswalzen Querwalzen Querwalzen Schrägwalzen Schrägwalzen

Bild 5-13
Einteilung der Walzverfahren nach DIN 8583.
5.3 Druckumformen 421

scher Dorn, beim Walzen bei Raumtemperatur ein Werkstück Walze

kegeliger Dorn benutzt.

Das Reckwalzen ist ein Profil-Längswalzen von Voll-


körpern, bei dem der austretende Querschnitt nicht
konstant bleibt. Die Walzen, entsprechend Bild 5-16,
sind so ausgebildet, dass sich der Profilquerschnitt
in Umfangsrichtung stetig oder sprunghaft ändert.
Das Verfahren wird häufig angewendet, um für das
Schmieden im Gesenk Zwischenformen mit güns-
tiger Massenverteilung herzustellen.
Bild 5-18
Das Prinzip des Längswalzens kann auch als Pla- Querwalzen von Vollkörpern für das Glattwalzen im Ein-
netenwalzverfahren angewendet werden. Bild 5-17 stechverfahren.
zeigt die Arbeitsweise. Zwei angetriebene Walzköpfe
Profilwalze Zylinderwalze
Walzsegment

Werkstück

Werkstück

Auflage
Bild 5-16
Reckwalzen zum Erzeugen von Formteilen (Massenverteilung Bild 5-19
für Gesenkschmiede-Rohlinge). Querwalzen von Hohlkörpern für das Walzen von Eisen-
bahnrädern.

rotieren gegenläufig; an ihrem Umfang sind plane-


tenartig die Profilwalzen gelagert. Diese zeigen ein
Antrieb
Profil, das der Lückenform des zu erzeugenden
Werkstücks entspricht. Sie treffen bei jeder Umdre-
hung gleichzeitig auf dem Werkstück auf. Dieses
dreht sich schrittweise weiter, so dass nach einer voll-
ständigen Umdrehung die gesamte Anzahl der Zäh-
ne am Umfang ausgewalzt ist. Diesem Bewegungsab-
lauf ist eine Vorschubbewegung des Werkstücks in
Längsrichtung überlagert.

Beim Querwalzen rotiert das Walzgut ohne Vorschub-


bewegung zwischen gleichsinnig umlaufenden Wal-
zen um die eigene Achse. Auch bei diesem Druckum-
formverfahren unterscheidet man das Querwalzen
Antrieb von Vollkörpern gemäß Bild 5-18 und von Hohlkör-
pern entsprechend Bild 5-19.

Beim Walzen von Ringen werden geschlossene Hohl-


Bild 5-17 körper hergestellt, deren Umfang sich ständig ver-
Planetenwalzverfahren für Vielkeilwellen (Grob-Verfahren). größert.
422 5 Umformen

Zum Profil-Querwalzen von Vollkörpern gehört das Die vom Kern in Richtung der äußeren Randzonen
Gewindewalzen, das Bild 5-20 zeigt. Falls die Genau- ansteigende Härteverteilung eines gewalzten Gewin-
igkeitsanforderungen nicht zu hoch sind, ist das Wal- des geht aus Bild 5-21 hervor. Auf den äußeren Ge-
zen von Gewinden häufig wirtschaftlicher als eine windeflanken tritt eine weitere Härtesteigerung beim
spanende Gewindeherstellung. Es wird als Kaltum- Erzeugen der pressblanken Oberfläche auf. Im Ge-
formverfahren mit Werkstoffen durchgeführt, deren gensatz zu den anderen Verfahren der spanlosen
Zugfestigkeit Rm unter 1200 N/mm2 liegt und deren Zahnradherstellung (Schmieden, Pressen, Strang-
Mindestbruchdehnung A5 = 8 % beträgt. Die gewalz- pressen, Fließpressen), deren gemeinsames Merk-
ten Gewinde (sowie Schnecken, Rillen, Rändelungen mal das Kopieren der Werkstückform von einer Ne-
und Verzahnungen) haben folgende Vorteile: gativform des Werkzeugs ist, kann das Walzen von
– stark verfestigte Gewindeflanken, Gewinden und Verzahnungen kinematisch mit dem
– nicht unterbrochener Faserverlauf, Wälzfräsen verglichen werden. Das Umformen er-
– pressblanke Oberfläche, folgt allmählich; die erforderlichen Maximalkräf-
– erhöhte Dauerfestigkeit, te sind bedeutend niedriger als beim gleichzeitigen
– ausreichende Genauigkeit, Umformen eines ganzen Zahnkranzes.
– erhebliche Werkstoffeinsparung gegenüber dem
Spanen, Hinsichtlich der Werkzeuganordnung beim Gewin-
– minimale Fertigungszeit auf Automaten. dewalzen müssen verschiedene Verfahren unter-
schieden werden. Das älteste Verfahren, das in der
Walze Automobilzulieferindustrie weit verbreitet ist, ver-
wendet als Umformwerkzeuge Flachbacken gemäß
Bild 5-22. Der Schraubenrohling wird zwischen den

Werkstück

Bild 5-20
Profil-Querwalzen von Vollkörpern für das Gewindewalzen Bild 5-22
im Einstechverfahren. Flachbackenwerkzeuge für das Erzeugen von Gewinden oder
Vielkeilwellen (Roto-Flo-Verfahren).

ortsfeste bewegliche
Gewindewalze Gewindewalze
446

450 440 450


460 460
420
470 470
480 400 480
490 490
e

380
500 500
370

360
600 600
550 550
500 500
350
hartmetallbestücktes
Werkstück Auflagelineal

Bild 5-21 Bild 5-23


Härteverteilung nach dem Gewindewalzen (Gewinde M8, Gewindewalzen mit einseitiger radialer Zustellung.
vergüteter Chrom-Vanadium-Stahl; Kernhärte 340 HV 0,1). e = Exzentrizität des Werkstückmittelpunktes.
5.3 Druckumformen 423

flachen Backen gewalzt. Diese enthalten das Ge- Glättwalze

windeprofil unter dem Winkel der Gewindesteigung.


Das Gewinde ist nach 1,1 Überrollvorgängen auf
dem parallelen Backenabschnitt fertiggeformt.
glatt gewalzte
Welle Wulst Drehriefen
Bei runden Werkzeugen muss das Gewindeprofil
ebenfalls unter dem Steigungswinkel des Gewindes
angebracht sein, wenn die Drehachsen von Werk-
stück und Werkzeug zueinander parallel stehen. Dies
ist beispielsweise beim Radial-Gewindewalzverfah- l
ren der Fall, das Bild 5-23 verdeutlicht. Dabei liegt
das Werkstück auf einem hartmetallbestückten Auf-
Bild 5-25
lagelineal, das den Werkstückmittelpunkt um das Schräggestellte Glättwalze zum Einebnen von Drehriefen;
Exzentrizitätsmaß e unterhalb der Walzenachsen fi- erreichbare Rauheit Rz O 0,5 m m.
xiert. Die bewegliche Gewindewalze wird durch ei- l = Länge der Eindruckmarke.
ne hydraulische Vorrichtung radial gegen das Werk-
stück und die ortsfeste Gewindewalze zugestellt.
Walze
Dieses Verfahren ist bis zu einer Gewindelänge von
etwa 120 mm geeignet.

Längere Gewinde müssen im Axialverfahren her-


gestellt werden. Hierbei wird das Werkstück gleich-
zeitig beim radialen Zustellen der Gewindewalzen
axial vorgeschoben. Die Vorschubgeschwindigkei-
ten liegen zwischen 80 mm/min und 200 mm/min.
Im Durchlaufverfahren sind nach diesem Walzprin-
zip Gewindestangen mit »endlosen« Gewinden her-
stellbar.
Werkstück
Beim Schrägwalzen sind die Walzenachsen entspre- Bild 5-26
chend Bild 5-24 gekreuzt. Dadurch entsteht ein Längs- Schräggestellte Profilwalzen zur Gewindeherstellung (Durch-
vorschub in dem um seine Längsachse rotierenden laufverfahren für Endlosgewinde).
Werkstück. Das Werkstück wird im Walzspalt durch
Anlageleisten und eine Führungswalze (nicht im walzen sind unter einem Kreuzungswinkel von 3 °
Bild gezeigt) gehalten. Die doppelkegeligen Arbeits- bis 6 ° angeordnet, so dass das Werkstück schrauben-
förmig in Vorschubrichtung über die Stopfenstan-
Walze
ge bewegt wird. Infolge des Kegelwinkels verengt
sich der Walzspalt; dies führt zu einer Stauchung
Stopfen- des Werkstoffs mit seitlichem Ausweichen. Die ra-
stange
dialen Zugspannungen verursachen im Zusammen-
wirken mit dem ständigen Wechsel der Beanspru-
chungsrichtung ein Aufreißen des Werkstücks im
Kern. Der rotierende Stopfen glättet das Rohrinnere
und bewirkt eine präzise Wanddickenauswalzung
im Querwalzteil des Walzspalts.
Werkstück
Schrägwalzverfahren werden auch mit scheiben-
und kegelförmigen Walzen bei der Rohrherstellung
Stopfen sowie mit zylinderförmigen Walzen beim Glattwal-
Bild 5-24 zen von Rohren und Stäben gemäß Bild 5-25 ein-
Schrägwalzen mit doppelkegeligen Walzen (Stopfenwalzwerk gesetzt. Beim Gewindewalzen im Durchlaufverfah-
zur Rohrherstellung). ren können schräggestellte Profilwalzen mit in sich
424 5 Umformen

geschlossenen Gewindefurchen eingesetzt werden; Ein großer Teil der Walztechnik beruht auf Erfah-
dies verbilligt die Werkzeugherstellung. Bild 5-26 rung. In den letzten Jahren konnten jedoch viele
zeigt das Prinzip. Vorgänge durch plastizitäts-theoretische Betrach-
tungen erfasst werden. An dieser Stelle soll nur kurz
5.3.1.2 Verhältnisse im Walzspalt die sog. elementare Walztheorie erläutert werden.
Zur Konstruktion von Walzwerken und deren An-
trieben ist es notwendig, die Walzkräfte, Walzmo- Die grundlegenden Bezeichnungen sind an Hand
mente, den Arbeitsbedarf und die Walzleistungen der Walzspaltgeometrie beim Flachwalzen gemäß
vorauszuberechnen. Dazu müssen die Verhältnisse Bild 5-28 zu erkennen:
im Walzspalt betrachtet werden; dies geschieht am – Der Walzspalt ist der Raum zwischen den Wal-
übersichtlichsten an Walzen für die Flachmaterial- zen, der durch die Verbindungslinien EE’/AA’
herstellung. und die Walzgutbreite bm begrenzt wird.
– Die Walzebene wird durch die Fläche gebildet,
Die im Stahlwerk abgegossenen Blöcke (Blockguss die durch die Walzenachsen gelegt werden kann.
von Einzelstücken) oder Stranggussbrammen (kon- (Sie verläuft durch die Auslaufpunkte des Walz-


tinuierlicher Endlosguss) werden mit zylindrischen guts A und A’).
oder leicht balligen Walzen zu Grobblech, Warm- – Als gedrückte Länge ld bezeichnet man die Pro-
breitband und dieses dann weiter zu Kaltband, z. B. jektion des Walzbogens E A auf die gedachte
zu Karosserieblech mit 2050 mm Breite und 0,7 mm Mittellinie des Walzguts. Die gedrückte Fläche
Dicke, ausgewalzt. Die Anordnung der Walzen kann Ad = ld bm ist die Projektion der Berührungsfläche
paarig sein (Duo), aus drei (Trio) oder vier Walzen zwischen Walzgut und Walzen. Die mittlere Brei-
(Quarto) bestehen, wie aus Bild 5-27 hervorgeht. te des Walzguts ergibt sich aus bm = (b0 + bl)/2.
Druckspannung s

k w max
kw
kf

vu Fließscheide

u0 E
A u1
h0

h1
A’
Duo Trio Quarto E’
Rückstauzone

v’u
Bild 5-27
Voreilzone

Walzenanordnung in Walzgerüsten (schematisch).

In neueren Walzanlagen sind die einzelnen Walzge-


ld
rüste hintereinander aufgestellt und bilden kontinu-
ierlich arbeitende Walzstraßen, z. B. Warmbreit-
bandstraßen mit sieben Quarto-Gerüsten im Ab- Bild 5-28
Verhältnisse im Walzspalt beim Flachwalzen (schematisch).
stand von 1,5 m. Dadurch werden die Walzzeiten
u0 Einlaufgeschwindigkeit
erheblich verkürzt sowie engere Maßtoleranzen, u1 Auslaufgeschwindigkeit des Walzguts
größere Fertigungslängen, höhere Walzgeschwin- h0 Ausgangsdicke
digkeiten und höhere Leistungen erreicht. Erforder- h1 Enddicke des Walzguts
lich sind aber lange Werkshallen bis zu 400 m Län- Yu Umfangsgeschwindigkeit der Walzen
ge und der Einsatz von Gleichstrommotoren mit ei- ld gedrückte Länge
E Einlaufpunkt an der Walze
ner präzisen Regelungstechnik für die von Gerüst
A Auslaufpunkt an der Walze
zu Gerüst zunehmende Bandgeschwindigkeit (z. B. kf Fließspannung
30 m/s bei Warmbreitband mit der Endwalztempe- kw Umformwiderstand
ratur von 900 °C). kw max maximaler Umformwiderstand
5.3 Druckumformen 425

– Die Walzenöffnung ist der kleinste Abstand AA’ ratur J sinkt die Reibungszahl, z. B. von m = 0,5
zwischen den Walzen in der Walzebene und wird bei 700 °C auf m = 0,25 bei 1200 °C, der
durch die Anstellung der Walzen verändert. Der – Walzengeschwindigkeit (von m = 0,6 bei 1,75 m/s
Walzensprung wird durch die Nachgiebigkeiten auf m = 0,5 bei 3,5 m/s für J = 700 °C) und von
im Walzgerüst verursacht, er ist eine Vergröße- der
rung der Walzenöffnung beim Durchgang des – Oberfläche, d. h. gegossene, raue Walzen grei-
Walzguts. fen besser als geschmiedete, glatte.
– Die elastische Abplattung der Walzen führt zu
einer Vergrößerung des Walzenradius R. Nachdem die Walzen das Walzgut gegriffen haben,
spricht man vom Durchziehen. Die Winkel ändern
In Bild 5-28 läuft das Walzgut mit der Ausgangshö- sich, wie Bild 5-29b) zeigt. Der Normaldruck auf
he h0 und der Einlaufgeschwindigkeit u0 in den Walz- das Walzgut verteilt sich längs des Eingriffsbogens,
spalt ein. Es wird auf die Endhöhe h1 gewalzt und die Resultierende kann bei a 0 /2 angesetzt werden.
verlässt das Gerüst mit der Auslaufgeschwindigkeit Damit ergibt sich unter Berücksichtigung des Cou-
u1. Im Walzspalt stimmt bei näherungsweiser Be- lombschen Reibgesetzes FR = m FN die Beziehung
trachtung der Vorgänge nur in einer Ebene die Walz-
tan a /2 ≤ m = tan r. [5-21]
gutgeschwindigkeit um mit der Umfangsgeschwindig-
keit der Walzen Ym überein. Diese Ebene wird Fließ- Hieraus folgt die Durchziehbedingung a ≤ 2 r, d.
scheide genannt. h., der Eingriffswinkel a ist kleiner als der doppel-
te Reibungswinkel. Beim Walzen kann der Eingriffs-
Vor der Fließscheide (in Durchlaufrichtung gesehen) winkel also doppelt so groß sein wie beim Greifen.
liegt die Rückstauzone. In diesem Bereich ist die Man versucht daher in der Praxis, den Walzgutan-
Geschwindigkeit des Walzguts kleiner als die Wal- fang anzuspitzen, oder das Walzgut zu beschleuni-
zenumfangsgeschwindigkeit Yu. In der Voreilzone gen, um Greifen zu erzwingen. Auch durch partiel-
zwischen Fließscheide und Walzspaltauslauf ist die le Kühlung kann die Reibungszahl am Walzgutan-
Walzgutgeschwindigkeit um etwa 3 % bis 6 % grö- fang heraufgesetzt werden, infolgedessen vergrößert
ßer als Yu. sich der Eingriffswinkel.

Im oberen Teilbild 5-28 sind die Spannungsverhält- Die Theorie des Flachwalzens gilt in erster Linie
nisse im Walzspalt dargestellt. Der Walzdruck ent- für breitungsfreies Walzen. In Wirklichkeit aber tritt
spricht dem Walzspaltein- und auslauf der Fließspan- beim Walzen auch eine Breitung des Walzguts ein.
nung kf. Bedingt durch die Reibungsbehinderung an Von Einfluss auf die Breitung sind
den Walzenflächen steigt der Druck bis zur Fließ- – die Geometrie des Walzspalts,
scheide an. Der mittlere Druck kw lässt sich mit der – der Werkstoff und seine Temperatur,
Beziehung kw = kf/ hF abschätzen. – die Geschwindigkeit und

Für das Greifen des Walzguts ist die Reibung von


großem Einfluss. Bild 5-29a) verdeutlicht die Greif- M0 M0
bedingungen im Walzspalt. Zur Aufrechterhaltung a r
a
r 2r
des Walzvorgangs muss eine Fließscheide im Walz- r r
spalt vorhanden sein. Vor der Fließscheide (von der
r
r

h1

h1
h0

h0

Einlaufseite her gesehen) wird das Walzgut durch


die Walzen mitgezogen, dahinter zieht das Walzgut
die Walzen mit. Ein Greifen ist möglich, wenn der Fließscheide
Mu Mu
Walzwinkel a kleiner als der Reibungswinkel r ist.
Grundsätzlich gilt
tan a = m ≤ tan r, [5-20]
a) b)
mit dem Walzwinkel a O ΔK5 
Bild 5-29
Winkelverhältnisse im Walzspalt beim Flachwalzen:
Das Greifvermögen ist abhängig von der a) Greifen des Walzgutes
– Walzguttemperatur, d. h. mit steigender Tempe- b) Durchziehen des Walzgutes
426 5 Umformen

180
– die Reibung, z. B. gilt für das Walzen von Stahl N kf
im Bereich J = 700 °C bis J = 1200 °C: mm2
160
J [5-22]

Fließspannung kf
kfm
m = 1,05 - 0,5 ◊ - 0,056 ◊ vu .

Umformgeschwindigkeit j
.
1000
140 25
Die Reibung beeinflusst beim Warmwalzen eben- .
j s- 1

falls erheblich die Kinematik des Stoffflusses. Dies 120 20


verdeutlicht Bild 5-30. Die Geschwindigkeitsverhält- .
nisse sind am Beispiel des breitungsfreien Warm- jm
100 15
bandwalzens dargestellt. Da die Walzguthöhe h in
Walzrichtung ständig kleiner wird, muss die Walz-
gutgeschwindigkeit u in der gleichen Richtung stän- 80 10
Stahl mit 0,15 % C
dig zunehmen. Theoretisch gäbe es nur einen einzi- Temperatur: 1000 °C
gen Punkt im Walzspalt, an dem sich Walzgut und 60 5
Walze gleich schnell bewegen. Dies ist die schon
erläuterte Fließscheide. In Wirklichkeit bildet sich 0 0
aber eine breitere Haftzone aus, da der Werkstoff- 58,5 50 40 30 20 10 mm 0
fluss inhomogen verläuft. Die Ausdehnung der zwi- Eintritt Walzspaltkoordinate x Austritt
schen den beiden Gleitzonen liegenden Haftzone
Bild 5-31
nimmt mit wachsender Reibung zu. Dadurch kann Verlauf der Fließspannung kf und der Umformgeschwindigkeit
der Einfluss der Geschwindigkeitszunahme in der j längs des Walzspalts, Warmbandwalzung (nach K.-H.
Voreilzone vernachlässigt werden. Weber).

Mit w = 2 π nw /60 lässt sich aus der Walzendrehzahl


v = 1,8 m/s
u
u
nw und dem Walzwinkel a die mittlere Umformge-
schwindigkeit j m ermitteln, nach der die gültige
u0 = 0,93 m/s u1 = 1,9 m/s
Warmfließkurve (Bild 5-11) ausgesucht werden
h

muss:
w
j m = ◊ j1 in s −1. [5-23]
Gleitzone a
Voreilzone
Beim Warmwalzen von Grobblechen gilt j m = 0,1
Gleitzone Haftzone
Nacheilzone
s −1, beim Blockwalzen j m = 1 s −1 bis 10 s −1, beim
2,0
Walzengeschwin-
Bandwalzen j m = 10 s − 1 bis 300 s − 1 und beim
m/s
digkeit v Drahtwalzen j m = 1000 s −1.
1,6
Geschwindigkeit

In Bild 5-31 ist der Verlauf der Fließspannung kf


1,2 und der Umformgeschwindigkeit j in Abhängigkeit
Walzgutgeschwindigkeit u
an der Oberfläche bei von der Walzspaltkoordinate x dargestellt. Es ergibt
0,8
inhomogenem Werkstofffluss sich ein j -Maximum innerhalb des Walzspalts. Die
Fließspannung kf ist beim Warmwalzen in stärkerem
Maße von der Umformgeschwindigkeit j als vom
0,4
Vergleichsumformgrad abhängig. Deshalb ergibt
0 sich im Walzspalt zur Austrittsseite hin ebenfalls
58,5 50 40 30 20 10 mm 0 ein Abfall von kf.
Walzspaltkoordinate
5.3.1.3 Kraft- und Arbeitsbedarf beim Walzen
Bild 5-30 Die vertikal ansetzende Walzkraft Fw, die als Resul-
Geschwindigkeitsverteilung im Walzspalt nach Pawelski; Warm-
tierende der Normalspannungen über dem den Werk-
bandwalzung bei J = 1000 °C, Eintrittshöhe h0 = 20 mm,
Austrittshöhe h1 = 9,8 mm, Walzenradius R = 325 mm, abge- stoff stauchenden Walzenbogen wirkt, greift mit dem
platteter Radius R’ = 335 mm. Hebelarm a vom Walzenmittelpunkt an, Bild 5-32.
Y = Walzengeschwindigkeit, u = Walzgutgeschwindigkeit Sie wird berechnet aus:
5.3 Druckumformen 427

vu
a
5.3.2 Schmieden
Fw M
E R Schmieden gehört zu den Warmumformverfahren;
A die wichtigsten Verfahrensvarianten sind das Freifor-
men und das Gesenkformen. Außer diesen herkömm-
h0

h1
l0 ld l1
lichen Verfahren werden das Warmstauchen, das
A’ A1
E’
Feinschmieden und das Schmiedewalzen eingesetzt.
A0
Für das Nachbearbeiten von Schmiedestücken wen-
vu det man zum Erzielen hoher Genauigkeiten das
Warmkalibrieren und das Kaltprägen an.
Bild 5-32
Vertikale Walzkraft Fw.
a Hebelarm (halbe gedrückte Länge ld) Schmiedbare Stähle haben einen Kohlenstoffgehalt
M Walzenmittelpunkt zwischen 0,05 % und 1,7 %. Die Schmiedetempera-
R Walzenradius (R = D/2) tur ist abhängig von der Stahlsorte. Je nach Kohlen-
h0 Ausgangshöhe stoffgehalt wandelt sich im Stahl die Struktur bei
h1 Endhöhe
bestimmten Temperaturen von der kubisch-raum-
l0 Ausgangslänge eines Volumenabschnitts
l1 Endlänge eines Volumenabschnitts zentrierten a -Modifikation (Ferrit) in das kubisch-
A0 Ausgangsfläche des Walzguts flächen-zentrierte g -Eisen um. Das entstehende Ge-
A1 Endfläche des Walzguts füge bezeichnet man als Austenit. Es ist u. a. durch
eine sehr gute Verformbarkeit gekennzeichnet.
kf
Fw = Ad kw = Ad . [5-24]
hF Stähle werden im austenitischen Zustand warm um-
Die gedrückte Fläche Ad ergibt sich aus der mittle- geformt, weil die g -Modifikation des Raumgitters
ren Breite bm und der sog. gedrückten Länge ld zu der Eisenatome und der darin gelöste Kohlenstoff
eine Umformung begünstigen.
b0 + b1
Ad = bm ld = ◊ R Dh . [5-25]
2 5.3.2.1 Freiformschmieden
Als Hebelarm a kann näherungsweise die halbe ge- Beim Freiformschmieden wird ohne begrenzende
drückte Länge ld angesetzt werden. Dies setzt eine Werkzeuge aus dem Rohling die gewünschte End-
konstante Normaldruckverteilung über die ganze form erzeugt, hierbei kann der Werkstoff zwischen
gedrückte Länge voraus, was beim Kaltwalzen oft den Werkzeugen frei fließen. Die Fertigform ent-
nicht exakt zutrifft. Vor- und Rückzüge mindern die steht durch geeignete Führung des Werkstücks und
Druckverteilung in Bild 5-28 und verschieben die der Werkzeuge.
Fließscheide zur Einlauf- oder Auslaufebene. Die
Druckverteilung hängt auch vom Walzenradius R Freiformen wird oft als Vorstufe für das Gesenk-
und der Stichabnahme Δh ab. Mit zunehmendem R schmieden angewendet. Für bestimmte Arbeiten der
und Δh wächst auch ld an, und damit nehmen die Einzelfertigung ist es noch heute gebräuchlich.
Reibung und der Umformwiderstand kw zu.

Man kann dies in der Rechnung durch größere Werte


für den Hebelarm a berücksichtigen:
a = 0,4 ld beim Kaltwalzen,
a = 0,5 ld beim Warmwalzen von Rechteck-Quer-
schnitten,
a = 0,6 ld für runde Profile (Bild 5-14b)),
a = 0,7 ld für geschlossene Kaliber gemäß Bild
5-33.

Mit der vertikalen Walzkraft ist das Moment jeder


Walze M = Fw a und die Leistung P
kf Bild 5-33
P = 2 M w = bm Dh vu . [5-26] Geschlossenes Kaliber ohne Möglichkeit der Gratbildung.
hF
428 5 Umformen

Die Umformung geschieht meist zwischen Amboss Deshalb wird das Schmiedestück nach jedem Schlag
und Hammer mit verschiedenen Formhämmern und um 90 ° gewendet, um die Breitung zurückzuschmie-
Vorschlaghämmern. den. Der bei jedem einzelnen Hammerschlag oder
Pressenhub erzielte Umformgrad hängt von der Ge-
Das Freiformen stellt meist eine Kombination der schwindigkeit und Masse des Pressenstößels und
drei Grundarbeitsvorgänge Stauchen, Strecken und der gedrückten Fläche Ad unter den Werkzeugen ab.
Breiten dar. Dazu kommen weitere Fertigungsschrit- Die Breite des Rohlings wird durch Stauchen quer
te wie z. B. Lochen, Schlitzen, Absetzen, Schroten. zum Faserverlauf oder Wenden vergrößert.

Das Stauchen ist der einfachste Schmiedevorgang Beim Breiten sind die Längsachsen von Werkzeug
(Bild 5-10). Bei diesem Umformen zwischen zwei und Werkstück parallel angeordnet. Die im Bild 5-36
ebenen Werkzeugflächen wird die freie Ausbreitung erkennbare flache Rillenstruktur wird auf der um-
des Werkstoffs nur durch die Reibung an den Werk- geformten Oberfläche zum Schluss mit einem fla-
zeugflächen behindert. Dies führt zum Ausbauchen chen Werkzeug geglättet. Ein einseitiges Breiten quer
des Werkstücks. Ist der Stauchkörper schlank, bil- zur Faserrichtung in größerem Ausmaß sollte ver-
den sich die Ausbauchungen zunächst nahe den En- mieden werden, weil dabei leicht Risse entstehen.
den aus. Werkstücke mit einer Höhe von etwa dem
a b c d
dreifachen Durchmesser knicken beim freien Stau-
chen erfahrungsgemäß aus. Will man bei derartigen
Werkstücken eine Verdickung an einer bestimmten
Stelle erzeugen, so muss der Stab an dieser Stelle
erwärmt werden. Eine Anwendung dieses Prinzips
ist das Elektrostauchverfahren gemäß Bild 5-34.
Vor der Verschleißplatte a befinden sich zwei beweg-
liche Klemmbacken b, die den zu stauchenden Stan-
genabschnitt c führen. Ein elektrischer Stromkreis
e erwärmt das Werkstück auf die Umformtempera-
tur. Die Druckkraft wird durch den Stauchstempel
d aufgebracht.

Das Streckschmieden ist der häufigste Schmiede- e


vorgang. Im Gegensatz zum Stauchen wird hierbei
jeweils nur ein kleiner Teil des Werkstückvolumens Bild 5-34
umgeformt. Um ein Werkstück zu recken (oder zu Elektrostauchen von Rundstäben.
a Verschleißplatte
strecken), müssen gemäß Bild 5-35a) viele kleine
b Klemmbacken
Einzelstauchungen mit schmalen Werkzeugbah- c Stangenabschnitt (Rohling)
nen durchgeführt werden, die dabei senkrecht zur d Stauchstempel
Streckrichtung angeordnet sind. Nach dem Prinzip e Widerstandsheizung
des kleinsten Zwangs fließt der Werkstoff in Rich-
tung der kleineren Reibungsbehinderung, d. h. über Dickwandige Rohre werden nicht ausgebohrt, son-
die ballige Druckfläche ab und verlängert dabei das dern durch Strecken über einem Dorn hergestellt.
Werkstück. Auf der gestauchten Oberfläche bleibt Dabei geht man von einem zylindrisch vorgeschmie-
durch die balligen Werkzeugformen eine Struktur deten Rohling aus, der nach dem Warmlochen auf
mit Querrillen zurück. Durch Umsetzen des Werk- einen Dorn genommen wird. Bild 5-37 verdeutlicht
stücks um 90 ° wird in einem nachfolgenden Arbeits- das Verfahren. Der Dorn wirkt als Amboss, und das
gang die Oberfläche geglättet. Die längere Seite der senkrecht zur Dornachse angeordnete schmale
Hammerbahnen (Ober- bzw. Untersattel) bedeckt Werkzeug bewirkt ein Verlängern des Werkstücks.
mehrere Rillenkämme zugleich und glättet die wel- Eine erwünschte Aufweitung des Rohrs wird an-
lige Fläche, wie Bild 5-35b) zeigt. schließend in einem Arbeitsgang mit parallel zur
Dornachse eingesetzter Hammerbahn gemäß Bild
Die gewünschte Verlängerung des Werkstücks ist 5-38 bewirkt. Nach jedem Schlag oder Pressvor-
mit einer meist unerwünschten Breitung verbunden. gang wird der Dorn mit dem Rohr etwas gedreht.
5.3 Druckumformen 429

Pressenstößel Ansicht x
(Bär)

Obersattel

Untersattel

Bild 5-36
Schabotte Breiten eines Vierkantquerschnitts durch Freiformen.
a) b)
Oberwerkzeug
Bild 5-35
Streckschmieden:
a) Recken Dorn Rohr
b) Glätten

Beim Lochen wird in das erwärmte Schmiedestück


ein Volldorn getrieben; dies ist aus Bild 5-39 ersicht-
lich. Dabei weichen die Werkstoffteilchen zunächst
seitlich aus und fließen bei weiterem Vordringen des
Dorns an diesem entlang nach oben. Ist der Dorn etwa
bis zur Hälfte eingetrieben worden, wird das Werk-
stück gewendet und von der anderen Seite gegenge-
locht. Höhere Werkstücke können mit einem Hohl- Bild 5-37
dorn entsprechend Bild 5-40 gelocht werden. Dabei Streckschmieden von Rohren über Dorn.
erreicht man eine bessere zylindrische Lochform.

Durch Schroten trennt man überflüssigen Werkstoff


vom Schmiedestück. Wenn scharfe Absätze beim
Schmieden erzeugt werden sollen, wird der Werk-
stoff an der abzusetzenden Stelle zunächst einge-
schrotet und anschließend auf die gewünschte Di-
cke geschmiedet.

Weitere Verfahren beim Freiformen sind das Bie-


gen und das Verdrehen.

Als Arbeitsschritte ergeben sich beim Freiform- Bild 5-38


schmieden Aufweiten von Rohren (Vergrößern des Umfangs).
– das Erwärmen des Rohblocks im Schmiedeofen,
– das Abtrennen des Blockkopfes mit Lunker und
Seigerung, mitunter auch des Blockfußes gemäß Volldorn
Bild 5-41,
– das Stauchen und Durchschmieden des Roh-
blocks,
– die spezielle Formgebung in den vorgesehenen
Umformstufen etwa entsprechend Bild 5-42,
evtl. mit Zwischenerwärmung,
– das Abkühlen des Rohlings in der Kühlgrube Bild 5-39
– und die Wärmebehandlung. Lochen mit Volldorn.
430 5 Umformen

Die Aufheizgeschwindigkeit muss besonders bei


Hohldorn
großen Schmiedestücken sorgfältig überwacht wer-
den, damit keine Spannungsrisse auftreten. Bis zu
etwa 650 °C muss sehr langsam erwärmt werden, z.
B. mit Aufheizgeschwindigkeiten von 30 °C/h. Da-
nach kann man wesentlich schneller bis auf die
Schmiedetemperatur zwischen 900 °C und 1100 °C
aufheizen. Bei großen Stücken kann das Durchwär-
men mehrere Stunden dauern. Das Schwindmaß
beim Schmieden von Stahl beträgt 1 % bis 1,5 %.
Die Toleranzen beim Freiformen sind verhältnismä- Bild 5-40
ßig grob. Lochen mittels Hohldorn.
Lunker
Freiformschmieden kann sowohl auf Schmiedehäm-
mern als auch auf -pressen erfolgen. Der Schmie-
dehammer wirkt mit einem Schlagimpuls auf das
Schmiedestück. Bei größeren Werkstücken reicht
aber die Durchschmiedung oft nicht bis in die Kern-
zone. Deshalb werden für sehr große Werkstücke
Pressen eingesetzt.
Blockfuß max. Blockausnutzung Blockkopf
Mit Luft angetriebene Hämmer sind wegen ihrer
einfachen Bauart und der guten Steuermöglichkeit Bild 5-41
weit verbreitet. Die maximale Bärmasse kann bis Blockeinteilung beim Freiformschmieden.
zu 1,6 t betragen. Bild 5-43 zeigt die Arbeitsweise
eines Schmiedehammers. Der Wirkungsgrad des
Hammers wird von der stoßenden Bärmasse und
der gestoßenen Masse (Unterwerkzeug mit der Scha-
botte) bestimmt. Die Schabotte ruht auf einem Fun-
dament mit elastischer Zwischenlage. Die in den a)

Boden eingeleiteten Fundamentschwingungen und


Körperschallanteile können erheblich sein, so dass eingekehlt
Umweltschutzprobleme zu berücksichtigen sind. In
neuerer Zeit werden deshalb statt der Hämmer be- b)
vorzugt Schmiedepressen eingesetzt.

Schmiedepressen können wasser- oder ölhydrau-


Zerreißprobe
lisch betrieben werden. Je nach Bauart kann man
weiter in Säulen- und Ständerpressen unterteilen. c)
Die weit verbreiteten Säulenpressen können als Lauf-
holm- oder Laufrahmenpressen mit zwei oder vier
Säulen versehen sein. Auf letzteren kann man Roh-
blöcke bis zu 300 t Masse verarbeiten. Der Arbeits-
d)
ablauf ist wie folgt vorzusehen:
– Im Leerhub wird das Werkzeug auf das Schmie-
destück aufgesetzt;
– im Arbeitshub wird der Druck erhöht und der
Umformschritt durchgeführt;
e)
– beim Rückzug wird der Laufholm hinaufgezo-
gen,
– der Laufholm wird in seiner oberen Lage schwe- Bild 5-42
bend gehalten. Einzelschritte beim Schmieden einer großen Kurbelwelle.
5.3 Druckumformen 431

Zum Verringern der Nebenzeiten (Heranbringen Hitze durch den letzten Arbeitshub von der Stange
des Schmiedeblocks, Vorschub- und Drehbewegun- ab. Das Verfahren wird vorwiegend für Werkstücke
gen) werden Schmiedemanipulatoren eingesetzt. in besonders lang gestreckter Form mit Massen bis
Der Manipulator ist eine fahrbare Schmiedezange zu 3 kg und Stangendurchmessern bis zu 50 mm an-
und wird entweder frei beweglich oder schienenge- gewendet. Bei diesem Verfahren entfällt das um-
bunden betrieben. Die Ausnutzung der Schmiedean- ständliche Spannen des Stücks in einer Schmiede-
lagen kann dadurch bis auf 85 % der Betriebszeit zange.
heraufgesetzt werden. Infolge der besseren Ausnut-
zung der Blockhitze ergibt sich eine Einsparung an Beim Gesenkschmieden vom Spaltstück werden
Primärenergie. überwiegend kleine, flache Werkstücke hergestellt.
Bild 5-45 lässt erkennen, dass aus einem Grobblech-
5.3.2.2 Gesenkschmieden abschnitt die Ausgangsform durch Flächenanschluss
Gesenkschmieden ist Umformen von vorgewärm- nahezu verlustlos als Spaltstück abgeschnitten wird.
ten Metallen mit gegeneinander bewegten Hohlfor- Der Faserverlauf bleibt nicht ungestört erhalten, dies
men, den Gesenken. Dem Werkstoff werden durch kann u. U. für die Biegewechselfestigkeit nachteilig
Ober- und Untergesenk die Fließrichtung und die sein. Die Zwischenformen stellt man ähnlich wie
Form vorgeschrieben. beim Schmieden von der Stange oder wie beim Ge-
senkschmieden vom Stück her.
Das Gesenkschmieden wird für Massenteile (z. B.
Werkzeuge, Fahrzeugteile und Bestecke) eingesetzt. Das Gesenkschmieden vom Stück wird bei großen
Als Vorteile sind die geringe Einsatzmasse, der oder schwer zu schmiedenden Werkstücken oder
günstige Faserverlauf im Werkstück (dadurch bes- bei erhöhten Genauigkeitsanforderungen angewen-
sere Festigkeitseigenschaften) und die geringe zu- det. Ausgangsform ist ein abgescherter oder abge-
sätzlche spanende Bearbeitung zu nennen. Die Kos- sägter Stangenabschnitt. Langgestreckte Werkstü-
ten für die Einrichtungen, Gesenke und Wärme- cke werden meist quer zur Walzrichtung umgeformt,
quellen sind dagegen verhältnismäßig hoch. Die Fer- prismatische und scheibenförmige vorwiegend in
tigungstoleranzen (DIN EN 10243) sind beim Schmie- der Walzrichtung (Längsschmieden).
den im Gesenk erheblich geringer als beim Frei-
formschmieden. Beim Gesenkschmieden unterscheidet man grund-
sätzlich drei Arbeitsvorgänge, die meist kombiniert
Gesenkschmiedestücke können Massen von eini- werden: Stauchen, Breiten und Steigen. Bild 5-46
gen Gramm bis zu mehreren Tonnen haben. Typi- erläutert dies im Einzelnen. Das Stauchen ist ein
sche Werkstückarten sind Verringern der Anfangshöhe bei geringer Breitung
– Maschinenteile (Scheiben, Naben, Achsschen- ohne große Gleitvorgänge an den Gesenkwänden.
kel, Pleuel), Bär
– Normteile (Schrauben, Bolzen, Muttern, Nie-
ten),
– Werkzeuge (Zangen, Scheren, Hämmer, Schrau-
benschlüssel),
– Blechteile (Besteckteile, Beschlagteile). Oberwerkzeug

Unterwerkzeug
Nach der Form des Rohlings lassen sich die Verfah-
ren einteilen in
– Gesenkschmieden von der Stange,
– Gesenkschmieden vom Spaltstück, Schabotte

– Gesenkschmieden vom Stück. Zwischenlage

Beim Gesenkschmieden von der Stange wird eine


Stange von etwa 2 m Länge an dem einem Ende auf
Fundament
Schmiedetemperatur erhitzt und im Gesenk ge-
schmiedet. Die Umformstufen sind in Bild 5-44 zu Bild 5-43
erkennen. Das fertige Teil trennt man in gleicher Aufbau eines Schmiedehammers.
432 5 Umformen

Der Werkstoff fließt vorwiegend in Richtung der


Arbeitsbewegung. Beim Breiten muss der Werkstoff
längere Gleitwege quer zur Arbeitsbewegung zu-
rücklegen. Das Steigen erfolgt vorzugsweise entge-
gen der Arbeitsbewegung, teilweise rechtwinklig
dazu. Das Ausfüllen von Vertiefungen (Zapfenschmie-
den) erfordert längere Gleitwege, wobei stärkerer
Gesenkverschleiß auftritt.

Ausgangsform Reckstück Rollstück Genaue Angaben über Bearbeitungszugaben, Kan-


ten- und Dornkopfrundungen, Hohlkehlen sowie
Außen- und Innenschrägen von Gesenkschmiede-
stücken sind der Norm DIN 7523-2, zu entnehmen.
Grat Der Grat am Gesenkschmiedeteil ist erforderlich,
um eine vollständige Gesenkfüllung sicherzustellen.
Die Gratdicke s und das Gratverhältnis b / s nach
Bild 5-47 richten sich nach der Projektionsfläche As
im Gesenk und dem jeweiligen Arbeitsvorgang.
Richtwerte für die Gratausführung sind in Tabelle
Biegestück Vorschmiedestück Gesenkschmiedestück
5-1 enthalten.

Bild 5-44 Zwecks einwandfreier Abgratung soll der Grat im-


Gesenkschmieden von der Stange. mer an der Linie des größten Werkstückumfangs
liegen, wie Bild 5-48 zeigt. Für die Gesenkfertigung
ist zu beachten, dass Werkstückkanten nicht mit Tei-
Grobblech lungsebenen zusammenfallen dürfen.

Genauschmieden wird für Werkstücke mit gerin-


gen Bearbeitungszugaben und Maß-, Form- und La-
getoleranzen angewendet. Dazu gehören die Verfah-
ren Gratlos-Schmieden, Kalibrieren, Prägen. Hier-
Spaltstück für müssen sehr genaue Gesenke mit hoher Ober-
flächengüte verwendet werden. Zum Nachbearbei-
Bild 5-45 ten ist dann vielfach nur noch Schleifen erforder-
Spaltstückherstellung für Gesenkschmiedeteile. lich. Als Rohlinge werden Profilwalzstahl, Strang-
pressmaterial oder gezogene bzw. geschälte Stäbe
eingesetzt. Das Volumen des Rohlings sollte genau
dem Fertigteil entsprechen. Die Schnittflächen müs-
sen rechtwinklig zur Längsachse liegen. Genauschmie-
destücke werden auf Reibrad-Spindelpressen oder
Kurbelpressen hergestellt. Schmiedehämmer sind
wegen ihrer Schlagwirkung und des zu großen Spiels
in der Bärführung weniger gut geeignet.

Stauchen Breiten Steigen Erhebliche Einsparungen an Werkstoff und Bearbei-


tungszeit machen das Verfahren bei der Herstellung
von z. B. Zahnrädern, Zahnleisten und Turbinen-
schaufeln wirtschaftlich. Bild 5-49 zeigt einen Werk-
zeugaufbau zum Genauschmieden von Zahnrädern.
Der überschüssige Werkstoff kann im mittleren Teil
Bild 5-46 des Obergesenks (sog. »Kompensator«) aufsteigen
Gesenkschmieden vom Stück (mit Haupt-Arbeitsgängen). und wird durch Lochen entfernt.
5.3 Druckumformen 433

Tabelle 5-1. Richtwerte für die Gratausführung (nach K. Lange).

Schmiedestück-Projektionsfläche Gratdicke Gratverhältnis (b = Breite des Gratsteges, Bild 5-47)


in Gratebene (ohne Gratbahn)
As s b/s

mm2 mm Stauchen Breiten Steigen

bis 1800 0,6 8 10,0 13,0


1800 bis 4500 1,0 7 8,0 10,0
4500 bis 11200 1,6 5 5,5 7,0
11200 bis 28000 2,5 4 4,5 5,5
28000 bis 71000 4,0 3 3,5 4,0
71000 bis 180000 6,3 2 2,5 3,0
180000 bis 450000 10,0 1 2,0 2,5

5.3.2.3 Kraft- und Arbeitsbedarf beim Die zum Schmieden erforderliche Umformkraft ist
Schmieden F = Ad kwe. [5-27]
Vor der Wahl der geeigneten Umformmaschine muss
die größte auftretende Umformkraft bestimmt wer- Ad ist die gedrückte Fläche als Projektion der Schmie-
den. Bei mechanischen Pressen ist dies zur Vermei- destückfläche senkrecht zur Kraftrichtung und kwe
dung von Überlastungen wichtig. Bei hydraulischen der Umformwiderstand am Ende des Umformvor-
Pressen kann mit dieser Feststellung abgeschätzt gangs.
werden, ob die Pressen-Nennkraft ausreicht, das
Schmiedestück einwandfrei auszuschmieden. Die für das Stauchen geltende Gleichung [5-27] gilt
b sinngemäß auch für das Recken und Breiten, aller-
dings erhöht der mit der Umformzone verbundene
Obergesenk Werkstoff die Spannungen. Nach Siebel errechnet
sich die Kraft beim Recken zu
Ê ml h ˆ
s

F = Ad kf Á1 + + . [5-28]
Ë 2 h 4 l ˜¯
Hierbei bedeuten:
Gratrille Untergesenk
h Höhe des Schmiedestücks,
Bild 5-47
l Länge des Stempels oder Sattels.
Gratgesenk mit Gratrille zur Aufnahme von überschüssigem
Werkstoff.
s Gratdicke Beim Gesenkschmieden kann der Umformwider-
b Breite des Gratsteges stand am Ende der Umformung kwe bis zu zwölf-
mal so hoch sein wie der Anfangswert. Dies ist
Stempel

Stößel
Schmiedestück
Grat
Schnittplatte
Obergesenk

Rohling

Untergesenk

Bild 5-48 Schabotte Auswerfer


Entgraten und gleichzeitiges Lochen eines Gesenkschmiede- Bild 5-49
stücks (Auswerferstifte nicht gezeichnet). Werkzeug zum Genauschmieden von Zahnrädern ohne Grat.
434 5 Umformen

Form 1 Form 2 Form 3 Form 4 Form 5 Form 6 Form 7

Stauchen Stauchen Stauchen Stauchen Stauchen Gesenk- Gesenk-


h0/d0 l 1,5 im Gesenk ohne h0/d0 l 1,5 im Gesenk ohne im Gesenk mit schmieden ein- schmieden ver-
j h l 0,4 Gratbildung j h l 0,6 Gratbildung leichter Grat- facher Teile mit wickelter Teile mit
bildung Grat Grat

Spindel- und
Exzenterpresse
hydraul. Presse Hammer
400
N
mm2 2 1 2 3 4 5 6 7
1
250
kwa

160

°C
900
100 J=
0 °C
100
63 0 °C
110 °C
20 0
1
40

25
40 63 100 160 250 400 630 N/mm2 1600 0,4 1 2,5 6,3 16 40 s- 1 100 250
.
kwm jm

4
3 4
10 100 160
0 0
630
25 400
jh 250
m = 0
63 ,25
160
0,40
jhm × k wm

100
160 0,63
63
1,0
1,6 25 40
400
16
V=
1000 10×
10 3
N/mm2 mm 3
2500
40 63 100 160 250 400 630 N/mm2 1600 1000 1600 2500 4000 6300 10000 Nm 25000
kwm W

Bild 5-50
Nomogramm zur Ermittlung des Arbeitsbedarfs W für rota- pressen mit 0,35, für Hydraulische Pressen mit 1,5 und für
tionssymmetrische Schmiedeteile aus niedriglegiertem Stahl Kurbel- bzw. Exzenterpressen mit 0,5 der jeweiligen Anfangs-
(nach K. Lange). geschwindigkeiten angesetzt werden. Demnach beträgt die
mittlere Umformgeschwindigkeit für das ausgewählte Beispiel
Beispiel: Ein Schmiedeteil entsprechend Form 6 soll unter
einem Gegenschlaghammer hergestellt werden (Ausgangs- j m = 0,9 ⋅ 111 s −1 = 100 s −1.
durchmesser d0 = 29 mm). Gegeben sind die Schmiedetempera-
Aus Feld 1 ergibt sich damit ein Peilstrahl ins Feld 2; aufgrund
tur 1200 °C, die Geschwindigkeit des Hammers Y= 6,66 m/s,
der Form 6 wird hier ein mittlerer Umformwiderstand von
die Anfangshöhe h0 = 60 mm sowie h1 = 22 mm.
k wm = 400 N/mm2 abgelesen. In Feld 3 ergibt sich für den
Lösung: Die anfängliche Umformgeschwindigkeit beträgt j 0 Umformgrad jh = ln (h1 / h0) = ln (22 / 60) O - 1 der Peilstrahl
ins Feld 4: Bei einem Volumen V = p4 d0 ◊ h0 O40 000 mm3 ist
2
= (6660 mm/s)/(60 mm) = 111 s −1. Nach Lange kann die mitt-
lere Umformgeschwindigkeit für Hämmer mit 0,9, für Spindel- W = 16 kNm.
5.3 Druckumformen 435

abhängig von der jeweiligen Form des Gesenks, Beim Prägen unterscheidet man das Hohl- vom Voll-
von der Temperatur des Werkstücks und von der prägen. Beim ersteren Verfahren bleibt die Werk-
Umformgeschwindigkeit. Aus diesem Grund ist eine stückdicke annähernd gleich, beim zweiten wird sie
Vorausberechnung des Umformwiderstandes sehr gezielt verändert, wie Bild 5-51 zeigt.
schwierig. Daher wurden für verschieden gestal-
Obergesenk Führungsring
tete Formen Arbeitsschaubilder gemäß Bild 5-50
erstellt, aus denen man den Kraft- und Arbeitsbedarf
ermitteln kann.

Die erforderliche Umformarbeit muss für das Ge-


senkschmieden auf arbeitsgebundenen Maschinen
(Hämmer, Pressen mit Schwungrad) bekannt sein,
damit der Arbeitsschritt vollständig durchgeführt
Untergesenk
werden kann. Berechenbar ist die Umformarbeit W Blechabschnitt Vorform
aber nur für das Stauchen zwischen ebenen Bahnen
(Freiformen):
W = V jh kfm / hF. [5-29] a) b)

Bild 5-51
Für den Umformwirkungsgrad hF ergeben sich da-
Prägewerkzeuge und Rohlinge:
bei je nach Umformgrad j h, Zustand der Stauch- a) Hohlprägen ohne Dickenänderung (z. B. für Nummerie-
bahnen, Verzunderung u. a. Einflüssen Werte zwi- rung von Karosserieblechen)
schen hF = 0,6 bis hF = 0,9. Diese Werte nehmen b) Vollprägen mit Führungsring (z. B. für das Münzprägen)
beim Gesenkschmieden infolge der Form- und Grat-
einflüsse bei einfachen Teilen auf hF = 0,4 und bei Das Glattprägen ist eine Umformung zum Verbes-
sehr komplizierten Formen mit Grat sogar bis auf sern der Oberfläche eines Werkstücks durch gerin-
hF = 0,2 ab. ges Kaltstauchen. Die Werkzeugflächen müssen
feingeschliffen oder geläppt sein. Wenn man beim
Für genauere Bestimmungen der Kraft- und Arbeits- Stauchvorgang höhenbegrenzende Anschläge ein-
werte sind Vorversuche zur Korrektur der Schauta- setzt, dann spricht man vom Maßprägen. Hierdurch
feln in Bild 5-50 unerlässlich. werden Dickenunterschiede an Gesenkschmiedetei-
len beseitigt. Ein Beispiel hierfür zeigt Bild 5-52.
Diese Nachbearbeitung wird meist auf Kniehebel-
5.3.3 Eindrücken pressen durchgeführt, die am unteren Totpunkt bei
kleinen Wegen sehr große Kräfte aufbringen kön-
Zu den Eindrückverfahren zählen das Prägen, das nen. Durch Mehrfachprägen ist eine Maßgenauig-
die Oberfläche eines Werkstücks reliefartig verän- keit bis ± 0,025 mm erreichbar. Bei ringförmigen
dert, und das Einsenken zum Herstellen eines Ge- Werkstücken ist die ISO-Qualität IT 8 zu erzielen.
senks. Es handelt sich in beiden Fällen um eine
Kaltumformung. Die Umformkraft ergibt sich nach Gl. [5-27]. An-
haltswerte für den Umformwiderstand kwe am Ende
Tabelle 5-2. Formänderungswiderstand kwe am Ende des des Prägevorgangs gehen aus Tabelle 5-2 hervor. Je
Prägevorgangs.
Prägefläche
Werkstoff Hohlprägen kwe Vollprägen kwe

N/mm2 N/mm2 h = Prägemaß

Aluminium 99 % 50 bis 80 80 bis 120


Al-Legierungen 80 bis 150 120 bis 350
Kupfer, weich 200 bis 300 800 bis 1000
CuZn37 200 bis 300 1500 bis 1800
h

Nickel, rein 300 bis 500 1600 bis 1800


Neusilber 300 bis 400 1800 bis 2200
Stahl USt 12 300 bis 400 1200 bis 1400
Bild 5-52
Chrom-Nickel-Stahl 600 bis 800 2500 bis 3200
Maßprägen an einem entgrateten Gesenkschmiedeteil.
436 5 Umformen
π 2
schärfer die Kanten ausgeprägt werden sollen, des- F = 4,5 kf d . [5-31]
to höher ist der Wert für kwe anzusetzen. Beim Voll- 4
prägen legierter Stähle werden die Gesenke bis na- Zu den Eindrückverfahren mit geradliniger Bewe-
he an ihre Zugfestigkeit belastet. gung gehört außer den eben besprochenen auch das

Prägestempel

Druckplatte
Stempel Werkstück

Werkstück
Aussparungen

Haltering
Druckplatte

Bild 5-54
Einprägen mittels Prägestempel.

Bild 5-53 Körnen mittels Körnerspitze, Lochen mittels Hohl-


Kalteinsenken zur Herstellung eines Hohlgesenks. dorn (Bild 5-40) und das Einprägen von Zeichen
mittels Prägestempel entsprechend Bild 5-54.
Einsenken ist nach DIN 8583 das Eindrücken von Prägewalze Werkstück
Formwerkzeugen in ein Werkstück zum Erzeugen
einer genauen Innenform. Auf diese Weise können
z. B. Gesenke sehr wirtschaftlich hergestellt wer-
den, da die erhabene Form eines Einsenkstempels
spanend billiger herzustellen ist als eine hohle Gra-
vur. Auf ölhydraulischen Einsenkpressen wird ein
Einsenkstempel mit sehr geringer Geschwindigkeit
in das Werkstück eingedrückt, wie Bild 5-53 verdeut-
licht. Das seitliche Ausweichen des Werkstoffs ver- a)
hindert man durch einen Haltering.
Werkstück

Die auftretenden Druckspannungen können Werte


bis zu 3000 N/mm2 erreichen, die höchsten Nenn- Rändelwalze
kräfte von Einsenkpressen liegen bei 32 000 kN. Gewindefurcher

Um die auftretende Reibung möglichst klein zu


halten, werden die Werkzeugflächen verkupfert und
mit Molybdändisulfid (MoS2) geschmiert. Nach der
Richtlinie VDI 3170 beträgt die erforderliche Druck-
spannung das 4,5fache der Fließspannung kf. Dieser
Werkstück
Wert wird der jeweiligen Fließkurve bei maximalem
Umformgrad jmax entnommen. Die Größe jmax kann
näherungsweise berechnet werden:
t b) c)
j max = 0,33 - 0,01; [5-30]
d Bild 5-55
Eindrücken mit umlaufender Werkzeugbewegung:
t ist die Einsenktiefe und d der Stempeldurchmesser a) Walzprägen,
in Millimeter. Die zum Kalteinsenken erforderliche b) Rändeln,
Druckkraft beträgt c) Gewindefurchen von Innengewinden
Neusilber
5.3 Druckumformen 437

Eine andere Gruppe von Eindrückverfahren arbei-


tet mit umlaufender Bewegung des Werkzeugs. Da-
zu gehören das Walzprägen, Rändeln und Kordeln a)
sowie das Gewindefurchen. Einige dieser Möglich-
keiten zeigt Bild 5-55.

Durch Warmeinsenken können die Verfahrensgren- b)


zen des Kalteinsenkens erheblich erweitert werden.
Beispielsweise kann die Einsenkgeschwindigkeit
von 0,003 mm/s bis 0,2 mm/s beim Kalteinsenken
auf 2,5 mm/s bei Schmiedepressen erhöht werden. c)
Oft lassen sich auch Schmiedehämmer (v = 4 m/s
bis v = 6 m/s) einsetzen. Genauigkeit und Oberflä-
chengüte sind geringer als beim Kalteinsenken. Das
Verfahren wird zur Herstellung von Schmiede- und
Pressgesenken eingesetzt. Der Stempel muss um das d)
Schwindmaß a des Werkstückstoffs größer herge-
stellt werden. Eingesenkte Werkzeuge haben gegen- Bild 5-57
Durch Strangpressen hergestellte Profile:
über spanend hergestellten Gesenken den Vorteil
a) runde und eckige Vollprofile
des ungestörten Faserverlaufs. Die Standzeit ist etwa b) symmetrische und unsymmetrische Winkelprofile
dreimal höher. Ein Einsenkstempel kann zum Her- c) offene und geschlossene Hohlprofile
stellen von etwa 100 Gesenken verwendet werden. d) komplizierte Profilrohre
Matrizenhalter Presszylinder Schale Lochdorn

5.3.4 Durchdrücken
F
Durchdrücken ist Druckumformen eines Werkstücks
a

durch formgebende Werkzeugöffnungen hindurch. v1


Die wichtigsten Verfahren sind das Strangpressen
F
und das Fließpressen.

5.3.4.1 Strangpressen
Beim Strangpressen wird ein aufgeheizter Block in
einem Presszylinder (Blockaufnehmer) durch einen Matrize Block Pressscheibe Pressstempel

Matrizenhalter Pressscheibe Pressstempel Bild 5-58


Hohl-Vorwärts-Strangpressen.
F Presskraft
a halber Öffnungswinkel der Matrize
v1 Austrittsgeschwindigkeit des Hohlprofils
a

v1 F Blocktemperatur

Presswerkstoff 200 400 600 800 1000 °C


Pb-, Sn-Leg.
Zn-Leg.
Mg-Leg.
Al-Leg.
Messing
Matrize Block Presszylinder (Blockaufnehmer) Kupfer
Cu-Ni-Leg.
Bild 5-56 Stahl
Voll-Vorwärts-Strangpressen mit Schale.
F Presskraft Bild 5-59
a halber Öffnungswinkel der Matrize Strangpresswerkstoffe mit den Bereichen üblicher Verarbei-
v1 Austrittsgeschwindigkeit des Strangs tungstemperaturen.
438 5 Umformen

Stempel unter hohen Druck gesetzt, wie es Bild 5-56 block wird zunächst in Glaspulver gewälzt, und vor
zeigt. Der Werkstoff beginnt zu fließen und tritt die Matrizenöffnung legt man eine Scheibe aus ge-
durch die Matrizenöffnung als Strang mit der Aus- presstem Glas. Beim Auspressen schmilzt das Glas
trittsgeschwindigkeit Yl aus. und übernimmt die Rolle des Schmierstoffs. Gleich-
zeitig schützt es Matrize und Stempel vor zu hoher
Wenn die dem Pressstempel vorgelagerte Pressschei- Erwärmung und die Blockoberfläche vor zu schnel-
be kleiner als der Durchmesser des Presszylinders ler Abkühlung. Da kein Verzundern des Blocks auf-
ist, bleibt eine Schale stehen. In diesem Fall wird treten kann, entfällt auch die Reibwirkung des Zun-
der Block vor dem Einlegen nicht geschmiert, der ders in der Matrize. Zurzeit werden in der Bundesre-
Werkstoff wird beim Auspressen abgeschert. publik Deutschland Stahlprofile hergestellt, die sich
in einen Kreis von 150 mm Durchmesser einzeich-
Mittels Strangpressen können Halbzeuge bis 20 m nen lassen. Die kleinste Wanddicke beträgt etwa 3,5
Länge hergestellt werden. Die Möglichkeiten zum mm, der Mindestdurchmesser der Hohlprofile etwa
Herstellen unterschiedlicher Profilformen sind sehr 20 mm. Bei kleineren Wanddicken oder Durchmes-
zahlreich, wie Bild 5-57 erkennen lässt. Im Gegen- sern wäre die Werkzeugbeanspruchung übermäßig
satz zum Walzverfahren sind auch hinterschnittene hoch.
Querschnitte und Hohlprofile herstellbar. Aus Bild
5-58 geht hervor, dass die Strangpresse für Hohlpro- Für die Konstruktion einer Matrize muss man vom
file doppelte Antriebsmechanismen aufweisen muss, Profilquerschnitt gemäß Bild 5-60 ausgehen. Da-
weil der Block zunächst gelocht und dann über dem nach werden Presse und Aufnehmer sowie Matri-
stehenbleibenden Lochdorn ausgepresst wird. zentyp ausgewählt. Für die Festlegung des Presszy-
linder-Durchmessers dz gilt der Maximalwert für den
Zum Strangpressen eignen sich besonders alle gut profilumschreibenden Kreis
umformbaren (zähe, verformbare) Werkstoffe, z. B.
du max = 0,85 dz. [5-32]
Aluminium und seine Legierungen sowie Kupfer,
Nickel, Zink, Zinn, Blei und deren Legierungen. Ei- Als vorteilhaftester Wert gilt aber du = 0,6 dz.
nige gebräuchliche Strangpresswerkstoffe mit dem
Temperaturbereich, in dem sie ver presst werden, Aus wirtschaftlichen Gründen wird oft mehrsträn-
zeigt Bild 5-59. gig gepresst, wie Bild 5-61 andeutet. Mit Rücksicht
auf einen möglichst gleichmäßigen Werkstofffluss
Das Stahl-Strangpressen ist erst in den fünfziger bevorzugt man symmetrische Anordnungen. Da die
Jah ren des vorigen Jahrhunderts gelungen. Nach Matrizendurchbrüche so angeordnet sein sollen,
dem Ugine-Séjournet-Verfahren wird dabei Glas dass der Flächenschwerpunkt in der Matrizenmitte
bestimmter Zusammensetzung als Schmierstoff ver- liegt, werden bei unsymmetrischen Profilstangen
wendet. Der auf Presstemperatur erwärmte Stahl- häufig runde Abfallstangen mitgepresst. Das Ziel

Abfallstange

Profilstange

du

Bild 5-60 Bild 5-61


Zur Festlegung von Matrize und Presszylinder. Matrize für unsymmetrische Profilstangen sowie runde Abfall-
du Durchmesser des profilumschreibenden Kreises. stangen zum Ausgleich des Stoffflusses.
5.3 Druckumformen 439

dieser Maßnahme ist es, möglichst gerade austre- dekorative Zwecke benötigt werden (sog. Eloxal-
tende Stränge zu erhalten. Qualität). Kratzer und Riefen in den Reibflächen
der Matrizendurchbrüche, d. h. eine oxidierte Alu-
Je nach Strangpresswerkstoff und Profilform stehen minium-Oberfläche sowie ungenügendes Beseitigen
verschiedene Matrizentypen zur Auswahl. Am häu- der festklebenden Pressrückstände führen zu erheb-
figsten verwendet man die Flachmatrize mit einem lichen Oberflächenmängeln.
Öffnungswinkel 2 a = 180 °. Für NE-Schwermetal-
le und Stahl werden konische Matrizen (Bild 5-56 Herstellungsbedingte Pressfehler sind im Einzelnen
und 5-58) eingesetzt (Öffnungswinkel 2 a = 90 °). – Trichterbildung am Strangende bei zu geringem
Pressrest (Presslunker),
Der Stofffluss beim Voll-Vorwärts-Strangpressen – Materialtrennung im letzten Drittel des Strang-
führt bei Flachmatrizen (2 a = 180 °) zu vier unter- kerns (Zweiwachsbildung),
schiedlichen Fließtypen. Bild 5-62 vermittelt eine – Innenrisse und sog. Holzfaserbruch infolge zu
Übersicht. Der Fließtyp S ist ein idealisiertes Mo- kalter Innenschichten,
dell. Er tritt bei homogenem Strangpresswerkstoff – Schalen- oder Dopplungsbildung durch Verun-
auf, wenn eine sehr kleine Reibung eine praktisch reinigungen in der Oberfläche des Produktes
unbehinderte Werkstoffbewegung entlang aller (Oxidschichten der Rohteile, Schmierstoff),
Grenzflächen zulässt. Der Fließtyp A zeigt sich bei – Aufreißen des Strangs in Umfangsrichtung (Tan-
homogenem Werkstoff, wenn nur an der Matrizen- nenbaumfehler) infolge Warmbrüchigkeit bei zu
stirnfläche eine bestimmte Reibung auftritt. Der großer Umformgeschwindigkeit,
Fließtyp B tritt bei homogenen Werkstoffen auf, – Blasenbildung durch örtliche Aufschmelzungen
wenn eine nennenswerte Reibung an allen Kontakt- (Y- oder T-Werte zu hoch),
flächen vorhanden ist. Der Fließtyp C ist kennzeich- – Längsrisse auf der Rohroberfläche durch zu star-
nend für Blöcke mit ungleicher Verteilung der plasti- ke Abkühlung der Außenschicht,
schen Eigenschaften (Phasenänderungen in den – Poren und Riefen durch Aufschweißungen am
Randzonen oder ungleiche Temperaturverteilung) Werkzeug,
sowie mit sehr große Reibung. Im letzten Pressd- – Oberflächenfehler, die durch die Strang-Leit-
rittel ergeben sich meist Werkstofftrennungen durch schienen verursacht werden,
das unterschiedliche Fließverhalten. – streifiges Gefüge als Folge zu niedriger Presstem-
peratur,
Die Qualität der Matrizen ist sowohl für die Maß- – Gefügeungleichmäßigkeit über die Stranglänge
haltigkeit des Strangs als auch zum Erzielen glatter durch Blockabkühlung,
und sauberer Oberflächen von Bedeutung. Letzte- – Grobkornbildung mit Abnahme der Festigkeits-
res gilt besonders dann, wenn Strangpressprofile für werte und Korrosionsfestigkeit sowie erhöhte
Neigung zur Rissbildung beim Abschrecken.

Fließtyp Der Kraft-Weg-Verlauf beim Strangpressen von Voll-


profilen ist schematisch in Bild 5-63 dargestellt. Die
S A B C Kraft zeigt für das Vorwärtsstrangpressen zunächst
einen großen Anstieg, weil zum Pressbeginn der
W e rk s to ff- eingesetzte Block, dessen Außendurchmesser gering-
h o m o g e n h o m o g e n h o m o g e n in h o m o g e n
a rt
fügig kleiner als der Presszylinder-Durchmesser war,
aufgestaucht wird. Nach Abschluss dieses instationä-
W e rk s to ff- P b , A l m it C u , A l, A l- M g , ren Anlaufvorgangs nimmt die Presskraft stetig ab,
th e o r e tis c h S c h m ie r u n g L e g ie r u n g e n
B e is p ie l a- u n d b - M s da die Reibung zwischen Block und Aufnehmer li-
near mit der Blocklänge abnimmt. Die Neigung die-
ses Bereiches hängt vom verwendeten Schmierstoff
R e ib u n g k e in e g e r in g s ta rk s ta rk
ab. Zum Ende des Strangpressvorgangs ergibt sich
ein Kraftanstieg, da der Stempel in die vor der Ma-
Bild 5-62 trize liegende Umformzone eindringt, den Werkstoff-
Einteilung der Fließtypen beim axial-symmetrischen Voll- fluss stört und zusätzliche innere Schiebungen her-
Vorwärts-Strangpressen (nach Dürrschnabel). vorruft.
440 5 Umformen

Beim Rückwärts-Strangpressen, bei dem ein hoh- Der Umformwirkungsgrad hF liegt bei der Warm-
ler Stempel den ausgepressten Strang aufnimmt, umformung bei hF = 0,2 bis hF = 0,6. Bei nicht run-
fehlt die Relativbewegung zwischen Block und Auf- den Strängen wird zusätzlich ein Formfaktor ein-
nehmer. Die Presskraft hat einen geringeren An- geführt, der die höheren Fließwiderstände in der
fangswert und bleibt annähernd konstant. Form berücksichtigt. Dieser Formfaktor kann bis
1,5 betragen. Ergibt sich nach der Berechnung, dass
Zum Schmieren können beim Strangpressen von die erforderliche Kraft Fges nicht zur Verfügung steht,
Nichteisenmetallen alle Hochdruckschmierstoffe kann der Anwender folgende Maßnahmen treffen:
verwendet werden, die einen zusammenhängenden – Eine Maschine mit höherer Nennkraft beschaf-
Schmierfilm ergeben und den Temperaturen stand- fen,
halten. Auf die Glasschmierung beim Séjournet- – einen kleineren Blockdurchmesser verwenden,
Verfahren zum Strangpressen von Stahl wurde be- – mit verkleinerter Blocklänge arbeiten,
reits hingewiesen. – bei erhöhter Umformtemperatur strangpressen,
– die Reibung verkleinern,
Eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftli- – größere Ausgleichsstränge vorsehen.
che Fertigung von Strangpressprodukten ist die
zweckmäßige Auslegung einer Auslaufeinrichtung Das Quer-Strangpressen ist ein Sonderverfahren,
hinter der Pressanlage. Sie muss das Pressgut mög- bei dem der Werkstoff quer zur Wirkrichtung fließt.
lichst dicht hinter der Matrize selbsttätig annehmen Hiernach können beispielsweise Tiefseekabel mit
und unter leichtem, einstellbarem Zug führen kön- einem biegsamen Bleimantel umhüllt werden, wie
nen. Auf diese Weise wird ein Richteffekt ausgeübt es Bild 5-64 verdeutlicht. Zum Einsetzen eines neu-
und ein Verdrallen und Ablaufen des Profils von der en Blocks muss der Fertigungsprozess kurz unter-
Auslauf bahn vermieden. Bei mehrsträngigem Pres- brochen werden.
sen mit einer Auszieheinrichtung ergibt sich als wei-
terer Vorteil das gleichmäßige Austreten aller Strän- 5.3.4.2 Fließpressen
ge. Fließpressen ist das Durchdrücken eines zwischen
Werkzeugteilen aufgenommenen Werkstücks mit-
Für die Errechnung des Kraftbedarfs kann zunächst tels Stempel durch eine Düse. Es ist ein Massivum-
angenommen werden, dass die Umformung zum formverfahren, bei dem metallische Werkstoffe meist
Strang ausschließlich in der kegeligen Umformzo- bei Raumtemperatur durch große Druckspannun-
ne vor der Matrize stattfindet. Hierzu wird die Um- gen in Radial- und Axialrichtung zum Fließen ge-
formkraft Fu benötigt: bracht werden.
kf
Fu = A0 j . [5-33] Der Werkstoff wird durch eine Bohrung in der Ma-
hF ges trize, im Stempel oder durch einen Spalt zwischen
Der Gesamtumformgrad beträgt jges = ln (z A1 /A0)| Matrize und Stempel verdrängt. Als Rohlinge die-
mit z als der Anzahl der Stränge, A1 als dem Aus-
trittsquerschnitt und A 0 als dem aufgestauchten
Blockquerschnitt. Die Reibkraft FR zwischen Block a
Presskraft

und Presszylinder beträgt


b
FR = m kfo dz π h. [5-34]
Dabei ist dz der Zylinderdurchmesser und h die je-
weilige Blockhöhe. Die Gesamtkraft ergibt sich aus
Fges = Fu + FR zu
kf
Fges = A0 ◊ j + m kfo dz π h. [5-35]
hF ges
Stempelweg
Wird mit Schale gepresst, dann muss die Reibspan-
Bild 5-63
nung m kf0 zwischen Block und Aufnehmerwandung Schematischer Kraft-Weg-Verlauf beim Strangpressen:
durch die Schubfließspannung k = kf0 /2 des Werk- a) Voll-Vorwärts-Strangpressen
stoffs ersetzt werden. b) Voll-Rückwärts-Strangpressen
5.3 Druckumformen 441

Stempel durch Schmierstoffe behoben werden. Besonders


geeignet für dieses Verfahren ist eine chemische
Blockaufnehmer Vorbehandlung der Rohlinge mit einer Phosphat-
schicht (sog. Bondern). Nach dem Werkstofffluss
Pressscheibe lassen sich grundsätzlich drei Verfahren gemäß Bild
5-65 unterscheiden:
Block

Rückwärts-Fließpressen ist das gegenläufige Um-


formen eines Werkstücks in Bezug auf die Maschi-
Werkzeugaufnehmer nenwirkrichtung. Der Werkstoff fließt entgegen der
Matrizenhalter Stempelbewegung. Das Verfahren wird hauptsäch-
lich zum Herstellen von Hülsen und Näpfen ange-
Kabelseele
wendet; somit ist das fertige Werkstück meist ein
einseitig offener Hohlkörper (Bild 5-65a)).

Vorwärts-Fließpressen ist gleichläufiges Umformen


eines Werkstücks in Bezug auf die Maschinenwirk-
richtung. Der Werkstoff fließt in Richtung der Stem-
pelbewegung (Bild 5-65b). Es können axialsymme-
Strang
Matrize (Kabelmantel) trische Voll- und Hohlkörper erzeugt werden.
Bild 5-64
Quer-Strangpressen zum Herstellen von ummantelten Tief- Gemischt-Fließpressen ist die Kombination beider
seekabeln (schematisch). genannter Verfahren. Der Werkstoff fließt mit und
entgegen der Stempelbewegung (Bild 5-65c). In ei-
nen Scheiben, Stangenabschnitte oder Vorpresslin- nem Arbeitsgang können daher komplizierte For-
ge, die durch Ändern des Querschnitts ihre Form
erhalten.

Das Kalfließpressen hat sich aus der Verarbeitung


von Tuben und Hülsen entwickelt. Zu deren Her-
stellung wurden zunächst nur sehr weiche Metalle,
später auch Zink, Aluminium und Kupfer verwen-
det. Im Jahre 1934 gelang es erstmals, auch Stahl
kaltfließzupressen. Die anfänglichen Schwierigkei-
ten bezüglich der Standzeit der Werkzeuge und der a) b) c)
Oberflächenbeschaffenheit der Werkstücke konnten

d) e) f)

Bild 5-66
a) b) c)
Verfahrenskombinationen für Fließpress-Hohlkörper:
Bild 5-65 a) Napf-Vorwärts mit Napf-Rückwärts
Prinzipdarstellung der wichtigsten Fließpressverfahren nach b) Voll-Vorwärts mit Napf-Rückwärts
DIN 8583. c) Hohl-Vorwärts mit Napf-Rückwärts
a) Napf-Rückwärts-Fließpressen d) Napf-Vorwärts mit Flanschanstauchen
b) Voll-Vorwärts-Fließpressen e) Napf-Rückwärts mit Napf-Rückwärts
c) Gemischt-Fließpressen f) Voll-Rückwärts mit Napf-Rückwärts
442 5 Umformen

men, etwa entsprechend Bild 5-66, hergestellt wer- Weitere Vorteile des Kaltfließpressens sind die gro-
den, auch mit unterschiedlichen Wanddicken. ße Stoffeinsparung gegenüber dem Spanen und auch
gegenüber vielen anderen Umformverfahren (z. B.
Als Fließpress-Werkstoffe eignen sich die meisten dem Warm-Gesenkschmieden) sowie die hohe Men-
Nichteisenmetalle sowie niedriggekohlte und nied- genleistung selbst bei schwierigen Formteilen. Der
riglegierte Stähle (Cr, CrMn). Stähle mit Korngrö- Hauptabnehmer für Fließpressteile ist die Automo-
ßen von 9 bis 7 nach der ASTM-Korngrößen-Richt- bilindustrie. Die Produktion nimmt in der Bundesre-
reihe 4) eignen sich besonders gut. Von den Nichtei- publik Deutschland und in den USA jährlich um et-
senmetallen sind Sn, Zn, Cu sowie die gut kaltum- wa 12 % zu.
formbaren Legierungen Al-Mg-Si, Al-Cu-Mg und
Al-Mg-Mn für das Fließpressen geeignet (Korngrö- Wirtschaftliche Stückzahlen sind:
ße 6 bis 4 nach ASTM).
Mindestmenge Werkstückmasse
Die Schmierung ist für das Verfahren von ausschlag-
gebender Bedeutung. Da die Reibarbeit nahezu die 10 000 1 g bis 20 g,
Hälfte der gesamten Umformarbeit betragen kann, 5 000 20 g bis 500 g,
werden vom Schmierstoff niedrige Reibung, ausrei- 3 000 0,5 kg bis 10 kg.
chende Druckbeständigkeit, gute Oberflächenhaf-
tung, Zusammenhalt auch bei starker Oberflächen- Die Standzeit der Werkzeuge kann zwischen 10 000
vergrößerung und das Verhindern von Kaltschweiß- und 20 000 Pressungen liegen. Geometrische Grenz-
stellen gefordert. werte für fließgepresste Hohlkörper sind:

Für Nichteisenmetalle werden in der Praxis mine- Länge 5 mm bis 1200 mm,
ralische Öle und Fette sowie Metallstearate einge- Außendurchmesser 5 mm bis 150 mm,
setzt. Bei Stahl muss eine Trennschicht zwischen Wanddicke 0,5 mm bis 50 mm,
Werkstück und Werkzeug vorhanden sein. Am bes- Mindestwanddicke • 0,1 mm.
ten hat sich das Phosphatieren (Schichtdicke 5 μm bei Aluminium.
bis 10 μm) bewährt. Als Schmierstoff können dann
Natronseife, Molybdändisulfid oder Grafit eingesetzt Der Werkstofffluss beim Fließpressen kann durch
werden. Für nichtrostende Stähle hat sich dagegen Versuche mit geteilten Rohlingen und an Hand der
eine Oxalatschicht als Schmierstoffträger oder ein auf der Teilungsebene eingebrachten Liniennetze ge-
metallischer Überzug (Cu, Pb, Sn, Zn) bewährt. mäß Bild 5-67 ermittelt werden. Es ist vorteilhaft,
wenn die Rohteile dem Matrizenwinkel entspre-
Zum Erzielen einwandfreier Werkstücke sind Ober- chend vorgeformt werden. Der Werkstofffluss wird
flächenzustand und Volumen des Rohlings maßge- vorwiegend durch die Werkzeuggeometrie und den
bend. Als Ausgangsrohlinge können Platinen (Blech- Reibzustand beeinflusst.
ausschnitte), Stangenabschnitte (abgeschert oder ge-
sägt) und Vorpresslinge verwendet werden. Je nach a

den Anforderungen an das Pressteil wird Walzstahl, a


gezogener oder geschälter Werkstoff eingesetzt. Er-
a
reichbare Werkstückgenauigkeiten im Durchmesser
liegen bei IT 13 bis IT 8. Die Oberfläche kann eine
a

Rauheit von Rz = 6,3 μm erreichen. Fließgepresste


Teile haben hervorragende Festigkeits- und Dauer-
festigkeitswerte. Ursache ist die Kaltverfestigung
im Zusammenwirken mit dem nicht angeschnitte-
nen Faserverlauf. Dadurch können Stähle mit nied-
riger Festigkeit für höher beanspruchte Teile einge-
setzt werden, ohne dass vergütet werden muss. a = 20 ° a = 35 ° a = 50 ° a = 70 °

Bild 5-67
Werkstofffluss beim Hohl-Vorwärts-Fließpressen bei verschie-
4)
ASTM: American Society of Testing Materials. denem Neigungswinkel a (Matrizenöffnungswinkel = 2 a).
5.3 Druckumformen 443

vStempel Fges
50
men, nämlich aus der jeweiligen Kraft für die ideel-
le Umformung Fid, für die innere Schiebung FSch,
für die Verluste im Matrizentrichter durch Reibung
FR und für die äußere Zylinderreibung F’R:

25
D0
° Fges = Fid + FSch + FR + FR’ =
F R’ A0 60
Ê 2 a mˆ

5
a
FR
= A0 kfm j g Á1 + + ˜+ [5-36]
Ë 3 jg a ¯
+ π D0 hk m kf0 .

45
30
Die Umformarbeit lässt sich über die Umformlei-
D1
stung berechnen (s. auch Bild 5-68):

a)
A1
b)
W = Fges ◊ vStempel bzw. W = W ◊ t. [5-37]

Bild 5-68 Beim Rückwärts-Fließpressen kann der für die Pres-


a) Zur Kraftwirkung beim Voll-Vorwärts-Fließpressen senauswahl und Auslegung der Werkzeuge benö-
b) Berechnungsbeispiel zum Voll-Vorwärts-Fließpressen. tigte Kraftbedarf zweckmäßigerweise nach Bild
5-69 aus folgender Modellvorstellung hergeleitet
Gegeben: werden:
Ausgangsdurchmesser D0 = 50 mm
Enddurchmesser D1 = 30 mm
Ausgangshöhe h0 = 25 mm In einem ersten Schritt wird nur das Stauchen un-
Endhöhe h1 = 45 mm ter dem Stempel mit dem Durchmesser D1 von der
Neigungswinkel a = 60 ° O1 (im Bogenmaß) Rohlingshöhe h0 auf die Bodenhöhe h1 betrachtet.
Reibungszahl m = 0,1 (geschätzt) Hierfür lässt sich nach Siebel ansetzen:
Kopfhöhe hk = 5 mm
π 2 Ê 1 D1 ˆ
FStauch = D k 1+ m . [5-38]
Zu berechnen ist die erforderliche Umformkraft Fges. 4 1 f1 ÁË 3 h1 ˜¯
Lösung: In einem zweiten gedachten Schritt wird der Ringzy-
linder auf seine Wanddicke s umgeformt. Hierfür
A1 A 50 2 gilt:
j g = ln = ln 0 = ln 2 = ln 2,78 = 1,02.
A0 A1 30
π 2 È h1 Ê mˆ˘
Der Fließkurve für Stahl (Bild 5-9) wird die dazugehörige FZylinder = D1 kf2 Í1 + Á 0,25 + ˜ ˙ . [5-39]
Fließspannung kf1 = 670 N/mm2 entnommen. Da kf0 = 270 4 Î s Ë 2 ¯˚
N/mm2 beträgt, ergibt sich aus der grafischen Mittelung kfm =
580 N/mm2. Somit ist die Umformkraft nach Gl. (5-41) Die Gesamtkraft für das Hohl-Rückwärts-Fließpres-
Ê 2 1 0,1 ˆ sen beträgt dann:
Fges = 1963,5 ◊ 580 ◊ 1,02 Á 1 + ◊ + N+
Ë 3 1,02 0,5 ◊ 0,87 ˜¯
Fges = FStauch + FZyl =
+ p ◊ 50 ◊ 5 ◊ 0,1 ◊ 270 N =
= 1,16 ◊ 10 6 ◊ (1 + 0,65 + 0,23) N + 21205,75 N = Ê 1 Dˆ
= A1 kf1 Á1 + m 1 ˜ + [5-40]
= 22 MN . Ë 3 h1 ¯
Die Kraftwirkungen beim Voll-Vorwärts-Fließpres- È h Ê mˆ˘
+ A1 kf2 Í1 + 1 Á 0,25 + ˜ ˙ .
sen lassen sich an Hand von Bild 5-68 erläutern: Î s Ë 2 ¯˚
Der Stangenabschnitt wird von der Querschnittsflä-
che A0 auf den Austrittsquerschnitt A1 vermindert. Im Vergleich zu Warmumformverfahren sind die
Der größte Umformgrad, bei dessen Betrag die Beanspruchungen der Werkzeuge beim Kaltfließ-
Fließspannung kf der Fließkurve entnommen wird, pressen besonders hoch. Bild 5-70 zeigt einen Werk-
ist zeugsatz für das Napf-Rückwärts-Fließpressen. Die
Umformkraft wirkt in axialer und radialer Richtung
jg = _1n (A1 /A0)_.
auf das Werkzeug. Axiale Druckspannungen wer-
Die Umformkraft setzt sich aus Teilkräften zusam- den vom Werkzeug auf die Presse übertragen und
444 5 Umformen

D0 = 50 ohne große Schwierigkeiten abgeleitet. Die radiale


Komponente wirkt dagegen als Innendruck auf die
Innenwand des hohlen Werkzeugs (Matrize oder

h0 = 28
Aufnehmer). An dieser Stelle entstehen große Zug-
spannungen, die das Werkzeug auseinanderreißen
können. Daher werden oft vorgespannte Werkzeug-
sätze verwendet, etwa wie Bild 5-71 zeigt. Als Richt-
D1 = 35 s = 7,5
werte für die Anzahl der Armierungsringe kann an-
gegeben werden:

Innendruck pi Anzahl Durchmesser-


H = 45
h1 = 10

N/mm2 der verhältnis


Ringe da /di

bis 1000 0 4 bis 5


1000 bis 1600 1 4 bis 5
Bild 5-69
Berechnungsbeispiel für das Napf-Rückwärts-Fließpressen. 1600 bis 2000 2 5 bis 6

Gegeben: D0 = 50 mm Die Werkzeugform beeinflusst die Höhe der Umform-


D1 = 35 mm kräfte. Die Stempel-Wirkseitenform kann verschie-
h0 = 28 mm den ausgeführt werden; Bild 5-72 zeigt eine Aus-
h1 = 10 mm
Napfhöhe H = 45 mm
wahl. Flache Stempel sind zwar am einfachsten her-
zustellen, bewirken aber wegen des Werkstoffglei-
50 - 35 tens unter hohen Flächenpressungen höhere Reib-
Wanddicke s= mm = 7,5 mm,
2 kräfte. Stempel mit kegeliger Wirkseite (Bild 5-72b)
Reibbeiwert m = 0,1 mm (geschätzt). und 5-72c) zeigen je nach ihrem Kegelwinkel 2 a
geringere bezogene Stempelkräfte. Wegen der ge-
Lösung: Der Umformgrad unter dem Stempelboden be- forderten kleinen Unterschiede in der Bodendicke
trägt: des Produktes wird mit Kegelwinkeln von 2 a = 160 °
ho bis 2 a = 170 ° gearbeitet. Stempel mit kugeliger Wirk-
j 1 = ln = ln 2,8 = 1,03.
h1
Druckplatte
Für diesen Wert müsste die Fließspannung kf der Fließkurve
entnommen oder aber berechnet werden. Für C10E (Ck 10)
ergibt eine Berechnung nach Gl. [5-5]:

k f = C ◊ j n = 690 ◊ j 0,2519 N/mm 2 . Das ergibt mit j 1 : Stempel


2
k f1 = 695 N/mm . Spannring
Die Formänderung für den Hohlzylinder des Wandbereichs
ergibt sich zu Matrize

Ê D ˆ Ê 35 ˆ Gegenstempel
j 2 = j 1 Á 1 + 1 ˜ = 1,03 Á 1 + = 1,63.
Ë 8◊s¯ Ë 8 ◊ 7,5 ˜¯
Grundplatte
Die dazugehörige Fließspannung kf errechnet sich zu
k f2 = 690 ◊ j 20,2519 N/mm 2 = 780 N/mm 2 .

Somit ist die Gesamtkraft gemäß Gl. [5-40]

Ê 1 35 ˆ
Fges = 962 ◊ 690 Á 1 + ◊ 0,1 ˜ N +
Ë 3 10 ¯ Auswerferstift

È 10 Ê 0,1 ˆ ˘
+ 962 ◊ 780 Í1 + ÁË 0,25 + 2 ˜¯ ˙ N Bild 5-70
Î 7,5 ˚ Werkzeugsatz für das Napf-RückwärtsFließpressen; Matrizen-
= 1791 kN = 1,8 MN . ausführung ohne Schrumpfring.
5.4 Zug-Druck-Umformen 445

Schrumpfring Dorn Schaft Kopf

Stempel zum Voll-


Vorwärtsfließpressen
a)

Stempel zum Hohl-


Vorwärtsfließpressen
mit abgesetztem Dorn
b)

Auswerfer
Stempel zum Hohl-
Bild 5-71 Vorwärtsfließpressen
mit eingesetztem festem
Beispiele für die Pressbüchsengestaltung mit Schrumpfring Dorn
beim Napf-Rückwärts-Fließpressen. c)

Bild 5-73
seite haben die kleinsten Reibungsverluste, sind aber Stempelformen für das Vorwärts-Fließpressen.
mit Rücksicht auf die Werkstückgeometrie selten
einsetzbar. fenpressen ausgeführt werden. Außerdem werden
auch hydraulische Pressen eingesetzt.
Für Stempelformen zum Hohl-Vorwärts-Fließpres-
sen gibt es ebenfalls mehrere Ausführungsbeispie- Beispiele für die maximale Nennkraft sind:
le, wie aus Bild 5-73 hervorgeht. Beim Stempel mit Kurbelpressen FN = 25 MN,
festem Dorn (Bild 5-73b)) soll das Verhältnis Dorn- Kniehebelpressen (einstufig) FN = 32 MN,
länge/Durchmesser = 1,5 sein. Der Übergangsradius Mehrstufenpressen
zwischen Stempel und Dorn muss möglichst groß ge- mechanische FN = 14 MN,
wählt werden (wegen hoher Spannungskonzentrati- hydraulische Pressen FN = 40 MN.
onen). Der eingesetzte feste Dorn (Bild 5-73c)) wird
verwendet, wenn mit kegeligem Dorn eine schwächer Auch größere Einheiten wären technisch zu realisie-
kegelig ausgeführte Bohrung erzeugt werden soll. ren; sie sind jedoch derzeitig nicht wirtschaftlich
Wenn vorgesehen ist, den Hohlstempel auch als Ab- einsetzbar.
streifer einzusetzen, kann ein federnder beweglicher
Dorn im Hohlstempel angeordnet werden.
5.4 Zug-Druck-Umformen
Als Werkzeugmaschinen zum Fließpressen dienen
mechanische weggebundene Pressen (Kurbel-, Ex- Bei dieser Verfahrensgruppe wird der plastische Zu-
zenter-, Kniehebelpressen). Sie können in stehender stand durch zusammengesetzte Zug- und Druckbe-
oder liegender Bauart als Einstufen- oder Mehrstu- anspruchung erzeugt. Nach DIN 8584-1 gehören
hierzu die technischen Fertigungsverfahren Durch-
ziehen als Draht- und Stabziehen, Tiefziehen von
Blechen zu Hohlkörpern und deren weitere Umfor-
mung mit Verringern des Durchmessers, Drücken
von Hohlkörpern und deren Formänderung durch
Weiten oder Verengen sowie das Kragenziehen und
Knickbauchen.

Das Kragenziehen wird häufig in Verbindung mit


dem Lochen im Behälterbau angewendet. Dabei muss
der gelochte Behälter (z. B. für Hochspannungs-
a) b) c) d) Schaltanlagen) mit Schweißbrennern erhitzt wer-
Bild 5-72 den, um ein ausreichend leichtes Fließen des Werk-
Stempel-Wirkseitenformen für das Hohl-Rückwärts-Fließ- stoffs zu ermöglichen. Die in den Behälter einzu-
pressen a) flach, b) kegelig, c) Kegelstumpf, d) kugelig. schweißenden Rohrstutzen können dann kostengüns-
446 5 Umformen

tig längs einer Kreisbahn von Schweißautomaten schädigenden oder belästigenden Gase oder Rauch-
eingeschweißt werden. Die umständliche Fugenvor- schwaden auftreten. Ehe der Schmierstoffträger auf-
bereitung bei elliptischen Schnitten kann entfallen. gebracht wird, muss man eine metallisch reine Ober-
fläche erzeugen. Stahlwerkstoffe werden deshalb me-
chanisch oder chemisch entzundert.
5.4.1 Draht- und Stabziehen
In der Drahtindustrie ist das Kälken noch weit ver-
Alle Durchziehverfahren haben nach DIN 8584 das breitet, da Kalk die letzten Reste der Beizsäure neu-
gemeinsame Merkmal, dass das Rohteil durch eine in tralisiert und später beim Ziehen mit organischen
Ziehrichtung verengte, formgebende düsenförmige Ziehfetten verseift. Wird Borax an Stelle von Kalk
Matrize hindurchgezogen wird. Dabei unterscheidet als Schmierstoffträger verwendet, ergibt sich durch
man das Gleitziehen als Durchziehen von Voll- und die größere Haftfähigkeit eine bessere Oberflä-
Hohlkörpern durch ein feststehendes Ziehwerkzeug chenfeinheit.
– z. B. das Zieheisen gemäß Bild 5-74 – vom Walz-
ziehen, bei dem der Ziehring durch ein drehbar gela- Auch Alkali und Seifen können als Schmierstoffträ-
gertes Ziehrollenpaar ersetzt wird (vgl. Bild 5-14b), ger eingesetzt werden. Eine besondere Bedeutung ha-
Längswalzen von Profilquerschnitten). ben die Phosphatierverfahren (Bondern) beim Gleit-
ziehen von höhergekohltem Stahldraht mit hohen
Das Draht- und Stabziehen wird zum Herstellen Ziehgeschwindigkeiten und Umformgraden erlangt.
von meist kreisringförmigen Vollprofilen verwen-
det. Es ist ein Gleitziehverfahren zur Halbzeug- und Als Schmierstoff selbst werden Petroleum, Rüböl,
Drahtherstellung. Dazu werden warmgewalzte Roh- Mineralöle, Seifenemulsionen, teilweise mit MoS2-
teile als Stabmaterial entzundert und an einem En- und Grafit-Zusatz (Nassschmierstoff) sowie Bienen-
de angespitzt. An dieser sog. Angel greift die Zieh- wachs, Talg, Kalkmischungen und Metallseifen, wie
zange an. Al-, Ca-, Zn-Stearate (Trockenschmierstoff) verwen-
det. Als Richtwerte für die Reibungszahl kann bei
Als Schmierstoffe werden häufig Zwischenschichten Rüböl m = 0,05 für Hartmetall- und m = 0,10 für Stahl-
auf der Basis von Kalk, Borax, Phosphat oder Oxa- Ziehringe angegeben werden.
lat verwendet. Wie bei anderen Umformverfahren
soll hier der Schmierstoff eine geringere Reibung be-
wirken, gute Trenneigenschaften in der Wirkfuge ha-
ben, temperaturbeständig sein und glatte Werkstück-
oberflächen ermöglichen. Der Schmierstoff muss
weiterhin druckbeständig, leicht aufzubringen und FD
a

gut zu entfernen sein. Wegen der Sicherheitsbestim-


mungen am Arbeitsplatz dürfen keine gesundheits-
FZ
d0

d1

FD

Ziehring
(Hartmetall)

Schrumpfring

Bild 5-75
Ziehstein aus Hartmetall mit Schrumpfring aus Stahl.
d0 Ausgangsdurchmesser des Drahts
Bild 5-74 d1 Enddurchmesser des Drahts
Zieheisen (aus chromlegiertem Stahl) zum stufenweisen Redu- a halber Kegelwinkel des Ziehhols
zieren des Drahtdurchmessers. Der Innenraum des Werkzeugs FZ Ziehkraft
heißt Ziehhol. FD Druckkraft
5.4 Zug-Druck-Umformen 447

Für Stahl-Ziehringe beträgt die Standmenge etwa Nach Siebel und Kobitzsch kann nach der elemen-
2000 kg Draht je Durchgang. Bei Hartmetallwerk- taren Plastizitätstheorie ausreichewnd genau eine
zeugen kann sie auf das 30- bis 200fache gesteigert adiabatische mittlere Temperaturerhöhung in ° C für
werden. Ziehsteine aus Hartmetall – Bild 5-75 zeigt homogen umgeformte Volumenelemente angegeben
die Anordnung – sind in DIN 1547 genormt. Bis zu werden:
einem Öffnungs-Durchmesser von d1 = 0,3 mm wer- A
1
den die Hartmetallziehsteine gleich mit der Boh- DT = kfm ln 0 . [5-41]
rung gesintert. Geschliffen und poliert wird danach c r A1
mit Diamantpulver oder Borcarbid verschiedener Hierin sind:
Körnung. c spezifische Wärmekapazität des Werkstoffs,
r Dichte des Werkstoffs.
Fein- und Feinstdrähte mit 1,5 mm bis zu 5 μm
Durchmesser werden häufig mit Diamant-Ziehstei-
nen gezogen. Die Fertigung dieser verschleißfesten
Werkzeuge erfolgt in einer Kombination von me-

chanischen, chemischen, elektrischen und elektroly-
tischen Verfahren. Der Poliereffekt wird durch ei-
ne feinabgestimmte Funkenerosion im Ziehhol er-
reicht, wie in Bild 5-76 erläutert ist.

Der Ziehvorgang erfolgt in mehreren Stufen. Die
mögliche Formänderung je Stufe ist durch die Be-
lastbarkeit des Kraft-Einleitungsquerschnitts A1 be-
grenzt 5). Man kann je Zug unter Berücksichtigung der
Kaltverfestigung jmax = 0,2 bis jmax = 0,5 ansetzen. ➌

Beim Ziehen von Stahl muss nach fast jedem Zug ➍ ➍


eine Zwischenglühung erfolgen.

Dicke Stäbe mit d0 = 16 mm sowie Rohre und Pro-
file werden auf Ziehbänken gezogen. In den Indus- ➊
trie-Betrieben ist die Kettenziehbank weit verbrei-
tet, die mit einhakbarem Kettenwagen arbeitet. Zieh-
maschinen mit zwei gegenläufig bewegten Ziehwa- Bild 5-76
gen ermöglichen einen kontinuierlichen Ziehpro- Arbeitsgänge am Diamant-Ziehstein (nach O. Fritsch).
➊ Bearbeitung chemisch (Ausbrennen mit Sauerstoff)
zess. Bei Mehrfach-Drahtziehmaschinen wird der
➋ mechanisch-elektrisch
von der Haspel ablaufende Draht nach Durchlaufen ➌ elektrolytisch
der Ziehdüse auf der angetriebenen Ziehtrommel ➍ elektrisch durch Funkenerosion
aufgewickelt. Es erfolgt ein sog. Endlos-Ziehen, ➎ mechanisch-elektrisch
schematisch dargestellt in Bild 5-77.
Die Reibung zwischen Ziehhol und Drahtoberflä-
Die Temperaturerhöhung beim Gleitziehen entsteht che entlang der Umformzone bewirkt eine zusätzli-
durch die fast zu 90 % in Wärme umgesetzte Um- che Temperaturerhöhung in der Randzone des Drah-
formarbeit. Eine Festigkeitsabnahme kann sich auf- tes. Man kann eine parabolische Temperaturvertei-
grund der Erwärmung in der Umformzone nicht ne- lung in Richtung auf die Drahtachse annehmen. Je
gativ auswirken, weil die Ziehgeschwindigkeiten im schneller gezogen wird, desto höher wird die Ober-
Vergleich zu den meisten anderen Umformverfah- flächentemperatur entlang der Umformzone, weil
ren mit über 60 m/s sehr hoch sind. die abgeleitete Reibungswärme auf ein geringeres
Volumen konzentriert bleibt. Aufgrund der unter-
5)
Die Ziehkraft FZ soll aus Sicherheitsgründen 70 % des schiedlichen Wärmedehnungen, gemessen über den
Wer tes A1 ⋅ Rm, der Abreissbedingung bei mittelbarem Querschnitt, bleiben Eigenspannungen im Draht
Kraftangriff, nicht überschreiten. zurück.
448 5 Umformen

Bild 5-77
Schematische Darstellung einer Mehrfach-Drahtziehmaschine (Block-Ziehmaschinen).

Der Kraftbedarf beim Draht- und Stabziehen ist am Damit ergibt sich die Gesamtziehkraft zu
einfachsten für den Fall des runden Vollstrangzie-
hens herzuleiten. Die Zugkraft FZ in Bild 5-75 erzeugt Fges = Fid + FR¢ + FS =
im Querschnitt A1 die Zugspannung s = FZ/A1. Infol- È Ê mˆ 2 ˘ [5-46]
ge der im Ziehtrichter auftretenden Druckspannun- = kfm A1 Íj Á1 + ˜ + a ˙ .
gen werden die Volumenelemente gleichzeitig in der Î Ë a¯ 3 ˚
Umformzone in radialer Richtung gestaucht. Die ide- Daraus lässt sich nach Siebel der optimale Neigungs-
elle Umformkraft ist bei mittelbarer Kraftwirkung winkel berechnen:
Fid = A1 kfm j in N. [5-42]
40 000
Die mittlere Fließspannung kfm muss berücksichtigt
N Fges
Umformkraft F

werden, weil in Richtung auf den Ziehholaustritt ei-


35 000
ne zunehmende Verfestigung auftritt. Den Wert für
kf max muss man beim größten Umformgrad 31,2 kN
30 000
A1 d
j max = ln = 2 ln 1
A0 d0 25 000
Fid
aus der Fließkurve für den jeweiligen Werkstoff
20 000
entnehmen.
aopt = 14°

15 000
Die Reibung längs der kegeligen Düsenwand beträgt
FS
FR = m FN O m kfm A1 j . [5-43] 10 000

Die Ziehkraft muss die axiale Komponente der Reib-


kraft überwinden: 5 000
FR
1 1
FR¢ = m FN = m kfm A1 j . [5-44] 0
tan a tan a 0 5 10 15 20 25 30 35 40 grd 45
Neigungswinkel a
Der halbe Kegelwinkel a der Ziehdüse beeinflusst
nicht nur die Reibung, sondern auch den Kraft- und Bild 5-78
Arbeitsbedarf für Schiebungsverluste am Ein- und Umformkraft F in Abhängigkeit vom Neigungswinkel a (nach
K. Grüning).
Austritt in die Umformzone
Berechnungsbeispiel für das Gleitziehen eines Stahlrohrs aus
2
FS = kfm A1 tan a . [5-45] dem Stahl Ck 10 mit den Abmessungen 20 x 2 mm. Das Rohr
3 soll auf d1 = 12 mm und s1 = 0,8 mm umgeformt werden. Als
Reibungszahl ist m = 0,05 angenommen. Der maximale Um-
Da die Winkel an Ziehdüsen verhältnismäßig klein formgrad sei auf jmax = 0,6 festgelegt. Es ergeben sich drei
sind (a = 10 ° bis a = 15 °), kann näherungsweise
 Züge mit den Gesamtkräften Fges 1 = 22,2 kN, Fges 2 = 20,3 kN
tan a dem Bogenmaß a gleichgesetzt werden. und Fges 3 = 11,1 kN.
5.4 Zug-Druck-Umformen 449

Beim Gleitziehen über festen Stopfen muss zusätz-


2
a opt = mj. [5-47] lich zu der ideellen Umformarbeit, der Reibungsar-
3 beit an der Schulter des Ziehrings und an der Zieh-
Er ergibt sich auch aus der graphischen Darstellung ringrundung die Reibungsarbeit am Dorn berück-
der Kräfte gemäß Bild 5-78. sichtigt werden. In der Praxis werden beim Rohrzie-
hen gleichzeitig der Durchmesser und die Wanddi-
cke verringert (Bild 5-79). Es handelt sich also um
5.4.2 Gleitziehen von Rohren eine Kombination des Hohlgleitziehens mit dem
Stopfengleitziehen.
Rohre können nach zwei Verfahren, dem Hohl-Gleit-
ziehen und dem Gleitziehen über festen Stopfen ent- Zur Berechnung der Umformkräfte kann der Um-
sprechend Bild 5-79 gefertigt werden. Beim Hohl- formgrad durch Abstrecken jmax G ungefähr dem
Gleitziehen befindet sich im Inneren des Rohres kein Umformgrad der Wanddicke js gleichgesetzt wer-
Werkzeug, so dass die Umformung dort frei erfol- den:
gen kann. Je nach den geometrischen und techno- s0
logischen Verhältnissen kann die Wanddicke s grö- j max G O j s = ln . [5-49]
ßer werden, gleich bleiben oder sich verringern. We- s1
gen der freien Umformung zeigt die Innenoberflä- Der Gesamtumformgrad setzt sich aus der Wanddi-
che eine größere Rauheit als die Außenoberfläche. ckenänderung und der Durchmesseränderung zu-
Die Krafteinleitung erfolgt wie bei allen Durchzieh- sammen:
verfahren über den Werkstückwerkstoff. Die Um- jges O js + jd. [5-50]
formung wird in erster Linie durch tangentiale Stau-
chung und axiale Dehnung bewirkt, so dass nach Zwecks weiterer Vereinfachung der Kraft- und Ar-
dem Fließkriterium von Tresca gilt beitsberechnung kann angesetzt werden, dass die
sz − st = kf. [5-48] mittlere Fließspannung beim Gleitziehen und beim
Hohlziehen gleiche Werte erreicht.
Die Axialspannung sz steigt in der Umformzone
von null am Werkstoffeintritt bis auf den Endwert
am Werkstoffaustritt an. Die Drucktangentialspan- 5.4.3 Abstreckziehen von Hohlkörpern
nung st bewirkt zusammen mit der Axialspannung
die Umformung, während die Radialspannung sr Das Abstreckziehen wird zum Vermindern der Wand-
an der Innenseite des Rohrs gleich null ist. Auch in dicke von hülsenförmigen Hohlkörpern mit Boden
der Rohrwandung können keine großen Werte von verwendet. Diese Stückgutteile sind entweder tief-
sr auftreten, weil sich das Rohr nach innen frei ver- gezogen oder fließgepresst und haben immer einen
formen kann. Boden, mit dem das Werkstück mittels eines Stem-
pels durch einen oder mehrere Abstreckringe gezo-
Ziehring
gen wird, wie Bild 5-80 zeigt. Aus Wirtschaftlich-
keitsgründen wird man versuchen, in einem einzi-
gen Arbeitsgang einen möglichst hohen Umform-
a

grad zu erreichen. Wenn aber die Spannung in der


Werkstück umgeformten Napfwand die Zugfestigkeit übersteigt,
tritt ein Versagen durch Bodenreißer auf. Der Ab-
streckwinkel a beeinflusst in starkem Maß die Bo-
Stopfen denkraft, die für dieses Versagen maßgebend ist.
Die Bodenkraft wird um so geringer, je kleiner der
Abstreckwinkel ist. Für kleine Winkel a wird die
Bodenkraft sehr klein. Die Differenz zwischen der
Durchmesser- Wanddicken-
änderung änderung
vom Stempel aufzubringenden Umformkraft FSt und
der Bodenkraft FB ist die vom Stempel auf die Napf-
Bild 5-79
Gleitziehen von Rohren über festen Stopfen mit Verringern wand übertragene Reibkraft FRSt. Für kleine Win-
von Durchmesser und Wanddicke. a Neigungswinkel der Zieh- kel wird nahezu die gesamte Umformkraft mittels
ringöffnung. Haftreibung übertragen.
450 5 Umformen

Mit abnehmendem Abstreckwinkel a kann der ma- Vielfach wird mit kombinierten Werkzeugen gleich-
ximale Umformgrad jmax größer gewählt werden. zeitig tiefgezogen und abgestreckt. Bild 5-81 zeigt
Allerdings nimmt mit kleinerem a auch die Umform- die Arbeitsweise. Bei der Getränkedosenherstellung
kraft FSt zu, die damit verbundene Erhöhung der Ra- befinden sich beispielsweise im Tiefziehwerkzeug
dialspannung erfordert die Verwendung armierter unter dem eigentlichen Ziehring drei weitere Ab-
Ziehringe mittels eines Schrumpfverbandes. Als streckringe mit kleinerem Durchmesser, so dass der
Vorteile des Abstreckgleitziehens gegenüber dem Außendurchmesser von d1 auf d2 und im zweiten
Fließpressen ergeben sich kleinere Umformkräfte Abstreckring auf d3 verringert wird. Hierbei berech-
und geringe Werkzeugspannungen. Die Wanddi- net man den Umformgrad aus der Wanddickenver-
ckengenauigkeit ist sehr groß. Allerdings können ringerung. Wegen der Kaltverfestigung erhält die
Dickenunterschiede, die von der Vorform her vorhan- Dose eine größere Festigkeit im abgestreckten Wand-
den sind – z. B. die Zipfelbildung infolge Anisotro- bereich. Die Dosenwanddicke kann zur Zeit bis auf
pie des Werkstoffs – nicht völlig ausgeglichen wer- smin = 0,182 mm verringert werden. Die zum Abstre-
den. Die Oberflächenrauheit wird gegenüber den cken erforderliche Kraft setzt sich aus der eigentli-
Ausgangswerten beim Abstreckziehen vermindert. chen Umformkraft und den Reibverlusten zusam-
Mit steigender Querschnittsabnahme werden die men, die überschlägig im Umformwirkungsgrad hF
Napfoberflächen glatter und zugleich auch deutlich zusammengefasst werden können. Somit wird die
homogener. Abstreckkraft je Abstreckring berechnet zu
kfm
Da in den meisten Fällen lange Hülsen zu fertigen FAZ = A j. [5-51]
sind, werden Pressen mit großem Hub benötigt. Der hF Z s
Hub muss mindestens die doppelte Länge der Hül- Der Umformwirkungsgrad beträgt hF O 0,35. Der
se aufweisen. Mechanische Pressen sollten so aus- Umformgrad j s kann auch aus den Abmessungen
gelegt sein, dass ihr Kraftmaximum der höchsten vor und nach dem Abstreckziehen des Zargenquer-
auftretenden Ziehkraft entspricht. Hydraulische schnitts AZ berechnet werden (j s = 1n (A1/A2)).
Pressen eignen sich besser für das Gleitziehen, sie
sind aber für die Getränkedosenfertigung viel zu Niederhalter
langsam (zzt. 800 bis 1200 Dosen je Minute in Mehr-
fachlinien).
Stempel FSt

ds
Hülse

Tiefziehring
d1
FRSt
d2
FRR 1. Abstreckring
s1
2. Abstreckring
s2

Matrize FB d3

gefährdeter
Querschnitt
(Bodenreißer)
Bild 5-81
Werkzeug zum kombinierten Tiefziehen bzw. Abstreckziehen
Bild 5-80 (nach G. Oehler und F. Kaiser).
Abstreckziehen von Hohlkörpern. ds Stempeldurchmesser
a Abstreckwinkel d1 Durchmesser des Tiefziehrings
FSt Stempelkraft d2 Durchmesser des ersten Abstreckrings
FRSt Stempelreibkraft d3 Durchmesser des zweiten Abstreckrings
FRR Ringreibkraft an der Matrize s1 Wanddicke nach dem ersten Abstrecken
FB Bodenkraft s2 Wanddicke nach dem zweiten Abstrecken
5.4 Zug-Druck-Umformen 451

5.4.4 Tiefziehen Damit kann der Umformwirkungsgrad für das Tief-


ziehen berechnet werden:
Das Tiefziehen zählt zu den wichtigsten Verfahren
dWid F s
des Blechumformens. Es bildet die Grundlage für hF = = id = id . [5-55]
die Massenfertigung von Werkstücken für die ver- dWges FSt s z
schiedensten Anwendungsgebiete, wie z. B. Feuer- Der Umformwirkungsgrad beim Tiefziehen liegt im
zeuggehäuse, Teile für Automobilkarosserien, Haus- Allgemeinen zwischen hF = 0,5 bis hF = 0,8.
haltsgeräte sowie Blechteile des Maschinen- und Ap-
paratebaus. Nach DIN 8584-1 wird das Tiefziehen Wenn der Stempel in den Ziehring eintaucht, wird
wie folgt definiert: Tiefziehen ist Zugdruckumformen die Ronde in den Ziehring hineingezogen (Bild
eines Blechzuschnitts – je nach Werkstoff auch einer 5-82). Der Ausgangsdurchmesser D0 verkleinert sich
Folie oder Platte, eines Ausschnitts oder Abschnitts ständig, bis er über verschiedene Stadien von D dem
– zu einem Hohlkörper, ohne beabsichtigte Verände- Stempeldurchmesser d0 unter Berücksichtigung der
rung der Blechdicke. Blechdicke s0 entspricht. Dabei bewirkt die maxima-
le Ziehspannung sz max, die an der Ziehringrundung
Es kann auch ein Hohlkörper zu einem Hohlkörper umgelenkt wird, gemäß Bild 5-83 eine radiale Zug-
mit kleinerem Umfang tiefgezogen werden. Dann spannung sr auf ein Volumenelement, das in der
spricht man vom Tiefziehen im Weiterschlag. Das Umformzone des Flansches liegt. Durch die Veren-
Tiefziehen im Erstzug (früher »Tiefziehen im An- gung der im Flansch liegenden Sektoren des Blech-
schlag« genannt), ist schematisch in Bild 5-82 dar- zuschnitts ergeben sich die tangential wirkenden
gestellt. Beim Tiefziehen handelt es sich um ein Ver- Druckspannungen st. Der Flansch neigt dann beson-
fahren der mittelbaren Krafteinleitung. Die erforder- ders bei dünnen Blechen zum Ausknicken bzw. zur
liche Ziehkraft FSt wird vom Stempel auf den Zieh- Faltenbildung. Dieser unerwünschte Effekt wird
teilboden übertragen und von der Napfwand, der vermieden, wenn der Niederhalter mit ausreichender
sog. Zarge, in den Flansch weitergeleitet. Der zwi- Kraft auf den Flansch gepresst wird. Die zum Ver-
schen Ziehring und Niederhalter liegende Flansch meiden von Falten benötigte Druckspannung sN ist
entspricht der Formgebungszone dieses Umform-
FSt
verfahrens. Die Grenze der Verformung ist erreicht, + s
wenn die Bodenzone die zur Umformung des Flan- Stempel

sches erforderliche Kraft nicht mehr übertragen kann


und der Boden abreißt (Bodenreißer). Dies bedeutet, sr kfi
dass beim Tiefziehen das Gleichgewicht der erfor- ± 0
kfa sN FN
derlichen Ziehkraft FSt und der übertragbaren Kraft d0 Niederhalter
st
betrachtet werden muss, die maximal der Bruchlast
FBr entsprechen kann:
FSt ≤ FBr. [5-52]
rM

Die dazugehörigen Spannungen ergeben sich nach


rs

Division durch den fiktiven Zargenquerschnitt


AZ = π (d0 + s0) s0 zu
Ziehring
s0

F F
s z = St £ Br = s Br . [5-53] D
AZ AZ D0

Die erforderliche Ziehspannung sz setzt sich zusam- Bild 5-82


men aus der ideellen Ziehspannung sid für die ver- Tiefziehen im Erstzug und schematische Darstellung des
lustfreie Umformung, den Reibspannungen sR, die Spannungsverlaufs in der Umformzone (Flanschbereich).
an Ziehring und Niederhalter auftreten, sowie aus FSt Stempelkraft
der Rückbiegespannung srb zum Rückbiegen des FN Niederhalterkraft
d0 Stempeldurchmesser
gebogenen Bleches im Auslauf der Ziehringrun-
D0 Zuschnittdurchmesser (Ronde)
dung: D augenblicklicher Flanschdurchmesser
rs Stempelradius (O 0,15 ⋅d0 )
sz = sid + sR + srb. [5-54] rM Ziehringradius (O 8⋅s0 )
452 5 Umformen

von dem Werkstückstoff, der relativen Blechdicke


sN
und dem Ziehverhältnis b 0 = D 0 /d0 abhängig. Diese
Druckspannung liegt zwischen 1,25 N/mm2 für Alu-
miniumlegierungen und 2,5 N/mm2 für Tiefzieh-
sr
stahl. Nach Siebel gilt für die erforderliche Nieder- st
halterkraft FN
Rm È d0 ˘
FN = AN s N = AN Í(b0 - 1) +
2
˙ . [5-56]
400 Î 200 ◊ s0 ˚
Es bedeuten: Flansch
sz max
AN vom Niederhalter geklemmter Flansch,
sN Niederhalterdruckspannung,
Zarge
b 0 Ziehverhältnis,
d0 Stempeldurchmesser,
s0 Ausgangsblechdicke,
Rm Zugfestigkeit des Werkstückstoffs. Bodenrundung

Nach Panknin wird die maximale Ziehkraft FSt max, Bild 5-83
die aus dem Diagramm Bild 5-84 entnommen wer- Auf ein Volumenelement im Flansch einwirkende Spannungen
beim Tiefziehen.
den kann, mit Hilfe des Umformwirkungsgrads hF sN Niederhalter-Druckspannung
berechnet: st tangentiale Druckspannung
È k Ê D ˆ˘ sr radiale Zugspannung
FSt max = π dm s0 Í1,1 fm Á ln 0 - 0,25˜ ˙ . [5-57] sz max maximale Zugspannung in der Zarge
ÎÍ hF Ë d0 ¯ ˚˙
Hierin sind: In Bezug auf die Umformgrade im Tiefziehteil muss
dm mittlerer Napfdurchmesser mit Berücksichtung die Kontinuitätsbedingung erfüllt sein:
der Wanddicke s0,
jr + jt + jn = 0. [5-59]
kfm Fließspannung im Flansch (näherungsweise
kfm = 1,3 Rm). Unmittelbar nach dem Aufsetzen des Stempels auf
die Platine ist die Umformung zunächst auf die Ring-
Das Ziehverhältnis b0 = D0 /d0 kennzeichnet die Grö- fläche im Ziehspalt zwischen Stempel und Ziehring
ße der Umformung. Beim Überschreiten des Grenz- sowie auf den späteren Boden des Ziehteils be-
ziehverhältnisses b max= D 0 max /d0 erfolgt am Über- schränkt. Mit zunehmendem Stempelweg wird die-
gang vom Napfboden zur Zarge der sog. »Bodenrei- ser Bereich einem Streckziehen unterworfen; hier-
ßer«. Überschlägig ergibt sich für die Bodenabreiß- bei erfolgt zusätzlich noch eine Biegung um die
kraft Rundung des Stempels rs und den Ziehringradius rM
(Bild 5-82).
FBr O π dm s0 Rm. [5-58]
Das Grenzziehverhältnis hängt von der Blechdicke Der Umformgrad j n in Blechdickenrichtung nimmt
s0 , der Werkzeuggeometrie und dem Werkstoff ab. am Napfboden stets negative Werte an, wie aus dem
Besonders stark ist der Einfluss der senkrechten Diagramm Bild 5-85 hervorgeht; d. h., das Blech
Anisotropie, der durch den R-Wert ausgedrückt wird wird dort dünner, um dann im Bereich der Zarge
(s. Abschn. 5.5.4). Je höher der R-Wert, desto grö- stetig zuzunehmen. Am oberen Rand des Napfes ist
ßer ist bmax. Eine Folge der ebenen Anisotropie R die Wanddicke s1 im Allgemeinen größer als die
des Bleches ist aber auch die Zipfelbildung: Die Ausgangsblechdicke s0. Der Verlauf der Wanddicke
Napfhöhe ist über dem Umfang nicht konstant, son- über Napfhöhe und Napfumfang hängt u. a. von
dern in den Richtungen mit hohem R-Wert groß folgenden Größen ab:
(Zipfel) und in den Richtungen mit kleinem R-Wert – Tiefziehverhältnis,
gering (»Tal« in der Napfwand). Für einige Tief- – Werkzeuggeometrie,
ziehbleche sind praxisübliche Werte für Ziehver- – Niederhalterdruck,
hältnisse im Erst- und Weiterzug in Tabelle 5-3 an- – Eigenschaften des Blechwerkstoffs (wie z. B.
gegeben. Anisotropie).
5.4 Zug-Druck-Umformen 453

30
jr
%
j = ln D
dm

Umformgrad j
20
Ziehkraft FSt
Fließspannung kfm
Umformungsgrad j

kfm
10
jn

FSt max
0
enger A B C D
weiter
Ziehspalt uz - 10 D

FSt ø = 100
- 20 C
R1 jt
A B 5
D l 0,77 × D0
- 30
Stempelweg h 10 30 50 70 90 110 mm 130
Abwicklung a
Bild 5-84
Kraft-Weg-Verlauf sowie Umformgrad und dazugehörende Bild 5-85
Fließspannung beim Tiefziehen im Anschlag. Verlauf der örtlichen Umformung über der Abwicklung eines
D0 Ausgangsdurchmesser der Ronde Tiefziehteils.
D jeweiliger äußerer Flanschdurchmesser
den. Für die Werkzeuggestaltung ist zu berücksich-
Der größte Umformgrad jmax tritt am oberen Rand tigen, dass der Ziehringradius rM (Bild 5-82) das
des Napfes in tangentialer Richtung auf. fünf- bis zehnfache der Blechdicke s0 betragen soll.
j max = j t . Eine gute Kraftübertragung im Bodenteil des Tief-
ziehstempels lässt sich mit einem Stempelradius rs
Die experimentelle Ermittlung der örtlichen Form- von 0,15 d0 erreichen. Vorteilhaft ist eine Stempel-
änderungen erfolgt meist mit Liniennetzen, die ent- rundung, die drei- bis fünfmal größer ist als die
weder mechanisch oder photochemisch auf die Aus- Ziehringrundung. Für den Ziehspalt uz setzt man
gangsronden aufgebracht werden. Durch Ausmessen
uz = s0 + a 10 s0 . [5-60]
der zu Ellipsen verzerrten ursprünglichen Kreise
und der Blechdicke können zwei Formänderungen Hierbei gilt a1 = 0,07 für Stahlblech, a2 = 0,02 für
an dieser Stelle ermittelt werden. Die dritte Form- Aluminium und a3 = 0,04 für sonstige Nichteisen-
änderung kann aber auch nach der Kontinuitätsbe- metalle. Bei zu großem Spalt wird der Napf nicht
dingung (s. Blechprüfung, Abschn. 5.5.4) ermittelt zylindrisch und bekommt u. U. Falten. Bei zu klei-
werden. nem Ziehspalt wird das Werkstück abgestreckt, es
kommt öfter zu Bodenreißern.
Beim Tiefziehen im Weiterzug entsprechend Bild
5-86 wird aus einem Napf ein anderer Behälter mit Relativ dicke Blechteile mit d0 /s0 < 25 haben genü-
kleinerem Durchmesser und größerer Höhe herge- gend Eigensteifigkeit, so dass kein Niederhalter
stellt. Der Niederhalter muss der Ausgangsform an- notwendig ist. Beim Ziehen von kegeligen und pa-
gepasst sein und den Durchmesser d1 haben. In sei- rabolischen Hohlteilen hat die Zarge beim Umfor-
ner Mitte bewegt sich der Stempel mit dem Durchmes- men keinen Kontakt zum Werkzeug; hieraus ergibt
ser d2, der mit dem Ziehring die Endform herstellt. sich dann wieder eine größere Gefahr der Faltenbil-
Die Ziehkraft FSt max muss wiederum kleiner sein als dung.
die Bodenabreißkraft, die wie beim Erstzug berech-
net werden kann. Bodenreißer lassen sich vermei- Bei niederhalterlosem Tiefziehen dickerer Teile
den, wenn die Ziehverhältnisse nach Tabelle 5-3 aus- (d0 /s0 = 25 bis 40) wird meist ein traktrixförmiger 6)
gewählt werden. Bei Näpfen, die in mehreren Arbeits- Ziehring verwendet. Wegen der fehlenden Niederhal-
gängen gezogen werden, ist das Gesamtziehverhält- terreibung und der geringeren Biegeverluste erhöht
nis bges gleich dem Produkt der einzelnen Ziehver- sich das Grenzziehverhältnis.
hältnisse.

Beim Ziehen ohne Zwischenglühen muss das Zieh- 6)


Eine Traktrixkurve ist z. B. die spiralähnliche Kurve, die
verhältnis bei jeder folgenden Stufe verkleinert wer- bei einer geschleppten Kette entsteht.
454 5 Umformen

Die Schmierstoffe sollen die Reibkräfte beim Tiefzie- von Bodenreißern) wichtig. Da sich die Blechdicke
hen kleinhalten und ein Fressen zwischen Werkzeug beim Tiefziehen im Mittel nicht verändert, bleibt bei
und Werkstück verhindern. In der Fertigung wird da- einfachen rotationssymmetrischen Ziehteilen außer
rauf Wert gelegt, dass man den Schmierstoff nach der dem Volumen auch die Oberfläche von Platine und
Bearbeitung mühelos beseitigen kann. Einige Hin- Fertigteil gleich groß. Deshalb kann man aus den
weise auf Schmierstoffe finden sich in Tabelle 5-3. Teilflächen mit Hilfe der Guldin-Regel den Platinen-
durchmesser D 0 berechnen. Für ein zylindrisches
5.4.4.1 Zuschnittermittlung beim Tiefziehen Ziehteil der Höhe h und des Durchmessers d ohne
Eine möglichst genaue Ermittlung des Zuschnitts Bodenrundung ergibt sich
ist aus Gründen der Wirtschaftlichkeit (Werkstoff-
ersparnis) und der Technologie (z. B. Vermeidung D0 = d 2 + 4 dh . [5-61]

Tabelle 5-3. Werkstoffe zum Tiefziehen; erreichbares Ziehverhältnis b0 und übliche Schmierstoffe (nach Dubbel, Taschenbuch
für den Maschinenbau, 14. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, New-York, Heidelberg).

Werkstoff Rp0,2 Rm Erreichbares Schmierstoff


Ziehverhältnis

Erstzug 1. Weiterzug

ohne mit

N/mm2 N/mm2 Zwischenglühen

Unlegierte weiche Stähle In Wasser emulgierbare Öle mit bei


DC01 (U St 12) ≤ 280 270 bis 410 1,9 1,2 1,6 wachsender Beanspruchung steigen-
DC03G1 (U St 13) ≤ 250 270 bis 370 2,0 1,25 1,65 dem Seifen- bzw. Feststoffanteil. Für
DC04 (RR St 14) ≤ 220 270 bis 350 2,1 1,3 1,7 gebonderte Bleche genügt Kalkmilch
bzw. Seifenwasser mit Grafit. Zieh-
folien.
Nichtrostende Stähle
ferritisch:
X8Cr17 270 450 bis 600 1,55 − 1,25
austenitisch:
X15CrNiSi25-20 185 500 bis 700 2,0 1,2 1,8 Wasser-Grafit-Brei oder dicke Mi-
schung aus Leinöl-Bleiweiß mit 10 %
Hitzebeständige Stähle Schwefel, Natrium-Palmitat.
ferritisch:
X10CrAl13 295 500 bis 650 1,7 1,2 1,6
austenitisch:
X15CrNiSi25-20 295 590 bis 740 2,0 1,2 1,8
Nickellegierung
NiCr20Ti (Nimonic 75) 195 bis 440 685 bis 880 1,7 1,2 1,6
Kupfer: Cu-DHP (SF-Cu)
< 140 215 bis 255 2,1 1,3 1,9
sauerstofffrei
Cu-Zn-Legierung (Ms)
CuZn40 F35 < 235 345 2,1 1,4 2,0 Starke Seifenlauge, mit Öl vermischt,
CuZn37 F30 < 195 295 bis 370 2,1 1,4 2,0 oder Rüböl, seifen- und fetthaltige in
CuZn28 F28 < 155 275 bis 350 2,2 1,4 2,0 Wasser emulgierbare Öle, ggf. mit Zu-
CuZn10 F24 (Tombak) < 135 235 bis 295 2,2 1,3 1,9 satz von kornfreiem Grafit.
CuNi12Zn F24 (Neusilber) < 295 340 bis 410 1,9 1,3 1,8
Dicke Seifenlauge, mit Öl vermischt,
CuNi20Fe F30 (Monel) 110 295 1,9 1,3 1,8
oder Rüböl.
Al 99,5 w < 59 69 2,1 1,6 2,0
Al 99,5 F10 68 100 1,9 1,4 1,8 Petroleum mit Zusatz von kornfreiem
Al 99 w < 68 79 2,05 1,6 1,95 Grafit oder Rübölersatz, mineralische
Al-Legierungen Fette, sofern keine Markenschmier-
Al 99,9 Mg 0,5 w 30 70 2,05 1,6 1,95 stoffe verwendet werden.
AlMgSi1 w − 145 2,05 1,4 1,9
5.4 Zug-Druck-Umformen 455

Niederhalter Stempel Das Ziehen von unregelmäßig geformten flachen


Teilen in der Karosseriefertigung ist eine Kombi-n-
ation von Tiefziehen (Zug-Druck-Umformen) und
Streckziehen (Zugumformen). Untersuchungen der
Umformungen mit Linienrastern zeigen, dass nur
wenig Werkstoff vom Flansch nachfließt. Der größte
Ausgangs- Teil des für die Hohlkörperbildung benötigten Werk-
form
d1 stoffs wird durch Vermindern der Blechdicke bereit-
Zwischen-
form gestellt.

Die größte in der Fläche auftretende Dehnung soll


25 % nicht überschreiten. Damit die Teile ohne Nach-
behandlung lackiert werden können, bleibt man
meist unter 15 % Dehnung. Dadurch kann man die
sog. Apfelsinenhaut vermeiden. Mit Rücksicht auf
die Aufrauung der Blechoberflächen kann also nur
d2 mit geringer Ziehtiefe und nur in einer Ziehstufe ge-
arbeitet werden. Die erforderlichen Ziehkräfte und
Grenzen des Verfahrens müssen experimentell er-
mittelt werden.
Ziehring Endform

Bild 5-86 Wegen des meist ungleichförmigen Werkstoffflus-


Tiefziehen im Weiterzug zum Reduzieren des Hohlkörper- ses werden bei bestimmten Karosserieteilen in vie-
Durchmessers. len Fällen Bremswülste im Werkzeug und Entlastungs-
löcher im Ziehteil verwendet. Bremswülste erschwe-
Die so berechneten Platinendurchmesser D0 für ren das Einziehen des Bleches an geraden, flachen
häufig vorkommende rotationssymmetrische Zieh- Ziehkanten. Umgekehrt sollen größere Ziehradien
teile sind in Bild 5-87 zusammengestellt. Wenn sich an Ecken von z. B. Autotüren das Einziehen von
ein Ziehteil aus sehr vielen Einzelteilen zusammen- Blech erleichtern. Entlastungslöcher werden dort
setzt, ist die Berechnung der einzelnen Teilflächen vorgegeben, wo an vertieften Stellen im Ziehteil (z.
außerordentlich umständlich. Dann empfiehlt sich B. an später ausgeschnittenen Fensteröffnungen) die
eine zeichnerische Ermittlung mit Hilfe des Seil- Zugspannungen in der Nähe von Ecken bis an die
eckverfahrens. Zugfestigkeit Rm heranreichen.

Für die Ermittlung des Zuschnitts von quadrati- Zum Tiefziehen werden mechanische weggebun-
schen und rechteckigen Ziehteilen werden die ge- dene oder hydraulische Pressen benutzt. Um eine
raden Wände des Hohlkörpers in die Bodenebene zu hohe Auftreffgeschwindigkeit des Stößels zu ver-
abgewickelt bzw. umgeklappt und durch Bögen meiden, arbeiten große Karosserieziehpressen höchs-
verbunden. Da der Werkstoff in den Ecken beim tens mit 15 Hub/min. Die Hubzahl lässt sich durch
Fließen durch die Seitenwände behindert wird, müs- veränderte Kinematik (z. B. Verbundkurbelantrieb
sen die umgeklappten Seitenwände verkürzt und die mit schnellerem Vorlauf und Rückhub) bis auf et-
Verbindungs-Viertelbögen erhöht werden. Anderen- wa 20 Hub/min steigern.
falls ergeben sich zu hohe Wände und zu niedrige
Ecken am Ziehteil. Hydraulische Tiefziehpressen erreichen nur kleinere
Hubzahlen. Die Anschaffungs- und Betriebskosten
Die Zuschnittermittlung von unregelmäßig geform- sind höher als die von mechanischen Pressen. Der
ten Karosserieteilen ist bisher noch weitgehend Er- Vorteil liegt in der guten Regelbarkeit von Ziehge-
fahrungssache. Man versucht in diesem Fall eben- schwindigkeit und Niederhalter. Werden versehent-
falls, nach dem Umklappprinzip die Zuschnittform lich zwei Platinen in das Werkzeug eingelegt, tritt
grob vorzubestimmen. Nach der Erprobung im bei hydraulischen Pressen keine Beschädigung durch
Werkzeug wird die Platine so lange korrigiert, bis Überlastung auf. Die größten serienmäßigen Hyd-
der Zuschnitt optimal ist. raulikpressen haben eine Nennkraft von 20 MN und
d d2
456

d1

h
' = G  +  ⋅ G ⋅ K G + G  +  G ⋅ K

d2
5 Umformen

d2

d1

h2
d1 G  +  ⋅ G ⋅ K G  +  K + G ⋅ K
( )

h
h1

h2
d2 d2

d1 G  +  ⋅ ( G ⋅ K + G  ⋅ K ) d1 G +  V ( G + G  )

h1
s
d2 d3
d2


f


h
d1 G +  ⋅ G ⋅ K +  I ( G + G  ) d1 s G +  V ( G + G  ) + G − G 

d
d2

G +    U ⋅ G +  U  RGHU
 d1 r
 ⋅ G =   ⋅ G
G  +    U ⋅ G  −   U 

d2
d3
d1
d2 G +    U ⋅ G +  U  +  I ( G  + G ) RGHU
G + G 
d1 r G  +    U ⋅ G  +  I ( G  + G ) −  U 
f

Bild 5-87
Berechnung des Zuschnittdurchmessers D0 nach Schuler GmbH (Hrsg.): Handbuch der Umformtechnik, Springer-Verlag 1996.
5.4 Zug-Druck-Umformen 457

eine Ständerweite von 5 m. Meist werden mehrere tem Stahl. In diesen Fällen versucht man, die kom-
solcher Pressen zu Pressenstraßen kombiniert. Das plette Futterkontur durch eine bewegliche Formrol-
Einlegen, Herausnehmen und Transpor tieren der le auf der Gegenseite der Drückwalze zu ersetzen.
Werkstücke erfolgt teil- oder vollautomatisch durch
Zangen- oder Greifervorrichtungen und ist zzt. Das in einem Arbeitsgang erzielbare maximale
Gegenstand von Rationalisierungsinvestitionen mit Drückverhältnis bD = D0 /d1 = 1,6 [für den Stahl DC01
Robotersystemen. (St 13)] wird nur erreicht, wenn folgende Versagens-
formen nicht eintreten:
– Ausknicken des nur im Bereich der Drückwal-
5.4.5 Drücken ze formschlüssig gestützten Flansches durch
Wellen- oder Faltenbildung,
Drücken wird zum Herstellen rotationssymmetri- – Risse in tangentialer Richtung am Übergang
scher Hohlkörper aus Blech mit nahezu beliebiger zwischen Flansch und Zarge besonders bei zu
Mantellinie angewendet. Die Blechdicke bleibt im kleiner Drückwalzenrundung,
Mittel unverändert. In der örtlich eng begrenzten Um- – radiale Risse im äußeren Flanschbereich beim
formzone treten wie beim Tiefziehen tangentiale Wegdrücken von Falten durch Biegewechselbe-
Druck- und radiale Zugspannungen auf. Beim Drü- lastung.
cken sind die Ausgangsformen meist ebene Blechzu-
schnitte. Sie werden mit einer Andrückscheibe zen- Das Drücken ist bei kleinen Stückzahlen und großen
trisch gegen die Stirnfläche des Drückfutters ge- Durchmessern wirtschaftlicher als das Tiefziehen,
spannt, das der Innenform der Fertigteils entspricht. z. B. bei der Herstellung größerer Waschmaschinen-
Während Drückfutter und Werkstück rotieren, wird trommeln und Kochkessel für Großküchen. Bei noch
das Werkzeug als Drückwalze oder abgerundeter größeren Durchmessern, wie sie z. B. bei Parabol-
Drückstock längs der Mantellinie geführt, Bild 5-88. spiegeln, Radarreflektoren, Kümpelböden für Groß-
Für Großserien setzt man Drückmaschinen mit hy- kessel oder bei sehr langen Teilen im Flugzeug- und
draulisch betätigtem Schlitten und automatischer Pro- Raketenbau vorliegen, ist das Drücken praktisch das
gramm-Nachformsteuerung ein. Für sehr große Blech- einzig mögliche (und wirtschaftliche) Fertigungs-
teile im Raketen- und Behälterbau sind Sondermaschi- verfahren.
nen mit vertikaler Drehachse entwickelt worden. Da
diese Teile aus Ti-, Wo-, Mo- und Zr-Legierungen Sobald die Drückwalzen die Wanddicke vermin-
warm umgeformt werden müssen, ergeben sich ho- dern gehört das Verfahren nach DIN 8583-2 zu den
he Kosten für das Futter aus hochlegiertem warmfes- Walzverfahren (Druckumformen). Hierunter fällt
das Projizierstreckdrücken, das zum Herstellen rota-
s0 tionssymmetrischer Hohlkörper mit kegeligen, kon-
1
0 kaven oder konvexen Wandformen angewendet wird,
2 Bild 5-89. Die Endform kann in den meisten Fällen
3
in einem Arbeitsgang erreicht werden. Dabei wird
4
5 die Wanddicke reduziert, indem Volumenelemente
6
Drückfutter im Werkstoff parallel zur Rotationsachse verscho-
7
Drückwalze
ben werden. Die Endwanddicke s1 über der Höhe h
Andrückscheibe des Hohlkörpers lässt sich aus der Ausgangsdicke
s0 und dem halben Öffnungswinkel (a = 6 ° bis 42 °)
berechnen:
s1 = s0 sin a. [5-62]
Der Einsatzbereich der Drückverfahren ist sehr groß.
dm

d0
dF

So werden z. B. durch Drücken bzw. Drückwalzen


Bild 5-88 hergestellt:
Drücken eines Hohlkörpers mit den Zwischenstufen 0 bis 7.
– Fässer und Trommeln,
s0 Rondendicke
d0 Rondendurchmesser – Pfannen und Kochtöpfe,
dF Durchmesser des Drückfutters – Radkappen und Kfz-Schalldämpfer,
dm mittlerer Durchmesser des Hohlkörpers – Lampen- und Scheinwerfer-Reflektoren,
458 5 Umformen

– Keilriemenscheiben und Kfz-Felgen, gem Spalt (uz Os0) und kleiner Ziehringrundung RR
– Präzisionsrohre und Hydraulikzylinder, ergibt sich die Kragenhöhe zu
– Strahltriebwerk- und Raketenteile.
h = 21 (dR - d0 ). [5-63]
Im Vergleich zum Tiefziehen ist der Kraftbedarf Bei großer Ziehringrundung oder weitem Spalt gilt
bei den Drückverfahren wesentlich kleiner, da im-
h = 21 (dm - d0 ) + 0, 43 ◊ RR + 0,72 ◊ s0 . [5-64]
mer nur ein örtlich eng begrenzter Bereich umge-
formt wird. Wegen der geringeren Werkzeugkosten Durch Abstrecken (uz < s 0) kann auf Kosten der
können Drückverfahren auch in der Kleinserienfer- Wanddicke ein höherer Kragen erzielt werden. Die
tigung eingesetzt werden. Schon bei Serien von ca. Außenwand des Kragens wird genau zylindrisch,
800 zylindrischen Hohlkörpern kann das Verfah- wenn uz < 0,6 s0 gewählt wird. Die Wanddicke darf
ren wirtschaftlich sein. Ein weiterer Vorteil ergibt allerdings nicht zu sehr geschwächt werden, weil
sich durch die Kaltverfestigung (Festigkeitserhö- sonst der ganze Kragen abreißt.
hung!) im Wandbereich.
h s0

dSt
D0

Gegenhalter
<h

s0
t
RS
d1

d0
a

uz
Werkstück
h

RR

di
enger Spalt dm weiter Spalt
Drückfutter Drückrolle da
dR

Bild 5-89 Bild 5-90


Projizierstreckdrücken eines kegeligen Hohlkörpers. Auswirkungen der Spaltweite beim Kragenziehen.
D0 Rondendurchmesser dSt Stempeldurchmesser
d1 Innendurchmesser (Boden) RSt Stempelabrundung
s0 Ausgangsblechdicke s0 Blechdicke
h Höhe des kegeligen Mantels uz Spaltweite
a halber Kegelwinkel d0 Lochdurchmesser
di Innendurchmesser des Kragens
dm mittlerer Durchmesser des Kragens
da äußerer Kragendurchmesser
5.4.6 Kragenziehen dR Ziehringdurchmesser
(Bördeln von Öffnungen) RR Ziehringrundung
h = (dR − d0 ) / 2 Kragenhöhe für einen engen Spalt (uz O s0)
Dieses Verfahren hat den Zweck, an Hohlkörpern
Kragen aufzurichten, um daran Gewinde schnei-
den, Bolzen einpressen oder Rohre einlöten oder 5.5 Zugumformen
einschweißen zu können. Dabei taucht ein Stempel
in ein vorgeschnittenes Loch und weitet es auf. Es Bei diesen Umformverfahren wird die gewünschte
erfolgt eine Durchmesservergrößerung bei gleichzei- Fertigform überwiegend durch Zugbeanspruchung
tiger Wanddickenabnahme. Bild 5-90 zeigt diesen erreicht. Dabei tritt eine Oberflächenvergrößerung
Vorgang. Druckspannungen wirken im Kragen in bei einer Wanddickenabnahme auf. Die wichtigsten
radialer und axialer Richtung, Zugspannungen in Unterteilungen der Zugumformverfahren sind das
Umfangsrichtung. Bei weiten Borden (di > 5 s0 ), en- Längen, Weiten und Tiefen.
5.5 Zugumformen 459

5.5.1 Längen gleichmäßige Dickenabnahme und Formgenauigkeit


von 0,2 % bis 0,3 % des Durchmessers erreicht. Bei
Längen ist Zugumformen eines Werkstücks durch diesem Maß-Aufweiten kann die Durchmesserab-
eine von außen aufgebrachte, in der Werkstücklängs- weichung einschließlich der Formfehler bis auf ei-
achse wirkende Zugkraft. Dabei wird unterschieden nen Wert von 0,05 mm verringert werden.
zwischen Strecken zum Vergrößern der Werkstück-
abmessungen in Kraftrichtung wie beim Zugversuch Außer dem Weiten mit starren Werkzeugen gibt es
an Rundproben, und Streckrichten zum Beseitigen auch Verfahren mit elastischen Werkstoffen, wie z.
von Biegungen an Stäben, Rohren und Wellen, oder B. Kautschuk, Elastomerkunststoffen und Kork. Mit
von Ausbeulungen an Blechen. Gummistempeln können in den meisten Fällen nur
kleinere Werkstücke bis zu 100 mm Durchmesser
Das zu richtende Werkstück wird in Zangen einge- wirtschaftlich ausgebaucht werden. Durch die Rei-
spannt und meistens hydraulisch gestreckt. Die Zug- bung zwischen Gummistempel und Werkstück erge-
kraft wirkt zunächst auf teilverkürzte Stellen ein ben sich verhältnismäßig große Kräfte und ein Ver-
und bringt diese Bereiche zum Fließen. Dadurch kürzen der Teile in Achsrichtung (z. B. bis zu 12 %
steigt die Fließgrenze in diesem Bereich an, so dass bei CrNi-Stahlblechen). Dadurch kann die Umfangs-
nachfolgend der gesamte Querschnitt plastifiziert dehnung deutlich erhöht werden (z. B. bis zu 60 %
wird. für CrNi-Stahl).

Für das Streckrichten z. B. von Rohren, Strangpress- Als Wirkmedien zum Aufweiten können auch Öl
profilen und Grobblechplatten reichen plastische oder Wasser verwendet werden. Der Druck wird
Dehnungen von 1 % bis 2 % aus. Die größten Streck- durch Eintauchen des Stempels in das flüssige Medi-
bänke für Blechwerkstoffe haben eine Nennkraft um aufgebaut, dabei unterliegt die Ringdichtung ei-
von 140 000 kN und können Blechplatten von 20 m nem starken Verschleiß. Als Folge der gleichmäßi-
Länge und 150 mm Dicke bis zu 5 % strecken. gen Druckverteilung in der Flüssigkeit besteht die
Gefahr des Ausbeulens und Reißens an Stellen mit
geringerer Wanddicke.
5.5.2 Weiten
Das hydraulische Ausbauchen wird zum Herstellen
Weiten ist Zugumformen durch eine im Werkstück von Fittings mit zwei oder mehr Abzweigungen in
radial nach außen wirkende Kraft. Die Verfahren beliebigen Richtungen angewendet. Meist wird der
zum Weiten werden bei der Herstellung von Gehäu- mittels einer Pumpe mit Druckverstärker aufge-
sen, Trommeln, Karosserieteilen und großen Blech- brachte Innendruck durch eine mechanische Längs-
formteilen angewendet. Außer runden und ovalen kraft unterstützt, um größere Dehnungen zu errei-
können auch vieleckige Hohlkörper umgeformt wer- chen. Solche Maschinen haben eine Werkzeug-
den. Ist die Vorform mit Schweißnähten hergestellt, schließkraft bis zu 35 000 kN, um das Druckmedi-
muss darauf geachtet werden, dass an diesen Stel- um mit 1500 bar wirken zu lassen (s. Abschn. 5.7
len keine Werkzeugbeschädigung eintritt. Innenhochdruckumformen, IHU).
Ausgangsform Endform
Das Weiten kann mit einem Dorn erfolgen. Hierbei des Werkstücks des Werkstücks
werden entweder nur die Enden oder die gesamte
Länge des Werkstücks aufgeweitet. Beim Weiten mit
Spreizwerkzeug kann man dagegen auch die Mitte
eines Werkstücks aufweiten. Die segmentförmigen Stempel
Werkzeugteile werden mittels Keil oder Kegel nach
außen gedrückt und formen dadurch das Werkstück Werkstück
entweder in einer Matrize oder frei. Letzteres ge-
schieht z. B. bei der Durchmesserkalibrierung von Gummikissen
geschweißten Großrohren. Dabei wird durch eine Grundplatte
plastische Dehnung von 1,5 % eine genaue kreis- Bild 5-91
runde Rohrform erreicht. Da das Aufweiten über Hohlprägen mit elastischem Wirkmedium (Verfahren des
den ganzen Umfang gleichzeitig erfolgt, wird eine Tiefens nach DIN 8585-4).
460 5 Umformen

5.5.3 Tiefen (Streckziehen) Nach dem völligen Anliegen wird das Werkstück
kurz nachgestreckt, um die Rückfederung klein zu
Tiefen ist das Anbringen von Vertiefungen in einem halten. Im Vergleich zum Biegen, bei dem Rest-
ebenen oder gewölbten Blech. Die dabei eintreten- spannungen mit verschiedenem Vorzeichen auftre-
de Oberflächenvergrößerung wird durch Verringern ten, ist die Rückfederung aber wesentlich geringer.
der Blechdicke erreicht. Tiefen kann mit starrem Beim anschließenden Beschneiden oder Schweißen
oder nachgiebigem Werkzeug erfolgen. Beim Tie- wirft sich das umgeformte Teil nicht. Dieser Effekt
fen mit elastischem Wirkmedium lassen sich kei- wird auch beim Streckrichten von Strangpresspro-
ne großen Formänderungen erreichen. Daher bleibt filen ausgenutzt.
das Verfahren auf verhältnismäßig flache Teile be-
schränkt (Hohlprägen von Nummernschildern für Die Festigkeit von Werkstücken, die durch Streck-
Kraftfahrzeuge oder Kennzeichnung von Karos- ziehen hergestellt wurden, ist höher als die von
serien, Bild 5-91). tiefgezogenen Teilen. Infolge der Verfestigung des
Werkstoffs wird die Streckgrenze bei Karosserie-
Das wichtigste Tiefungsverfahren mit starrem Werk- teilen bis 10 %, die Härte bis 2 % erhöht. Da beim
zeug ist das Streckziehen. Entsprechend Bild 5-92 Streckziehen keine Druckspannungen entstehen,
geschieht das Umformen unter verschiedenen Zug- kann keine Faltenbildung auftreten. Durch das
richtungen. Dabei ist das Werkstück mit Spannzan- Strecken werden Eigenspannungen im Werkstoff
gen am Rand fest eingespannt und nimmt die Form abgebaut.
des Stempels an. Dieses Verfahren wird besonders
im Karosseriebau für Aufbauten von Omnibussen Die Verfahrensgrenze beim Streckziehen ist erreicht,
und Lastkraftwagen, für Türen, Dächer und Kot- wenn der Werkstoff einschnürt oder reißt. Tritt dies
flügel sowie in der Luftfahrtindustrie für Blechform- ein, ehe die gewünschte Werkstoffform vollständig
teile bis zu 50 m2 angewendet. Die Teile sind meist ausgebildet ist, so ist die Gleichmaßdehnung im Ver-
über die ganze Ausdehnung hin gekrümmt, oft auch hältnis zur erforderlichen Dehnung zu klein, oder
in querliegender Richtung. Der Blechzuschnitt ist die auftretenden Reibkräfte sind zu groß. Es wer-
rechteckig oder trapezförmig. Die notwendigen Zug- den drei verschiedene Arten von Reißern unter-
spannungen werden über den beweglichen Stempel schieden:
aufgebracht, der als Außenform für das Werkstück – Risse infolge von Überbeanspruchung in der
dient. Das Blech legt sich zuerst an der Kuppe des Nähe der Spannbacken: Kerbspannungen be-
Stempels an und passt sich mit fortschreitendem Hub achten;
der Stempelform an. Die Spannzangen sind um ih- – Sprödbruch im Bereich des Scheitels am Streck-
re Achsen drehbar. Wenn die Spannvor richtungen ziehstempel: Spröde Werkstoffe können sich
den Werkstoff zunächst um etwa 2 % gleichmäßig schlecht der Werkzeugform anpassen;
dehnen und dann durch Schwenken an den Stempel – Einschnürung im Scheitelbereich: Beanspru-
anlegen, spricht man vom Tangential-Streckziehen. chungsgrenze gemäß den Grenzformänderungs-
Es tritt keine Relativbewegung zwischen Werkzeug schaubildern.
und Werkstück auf, die Kraft wirkt stets tangential
zur Werkzeugkontur.
5.5.4 Blechprüfung zur
Kennwertermittlung

Bei kleinen Formänderungen können auch Fließfi-


guren auftreten, wenn der Werkstoff nur an örtlich
begrenzten Stellen fließt und daneben unverformte
Querschnitte vorhanden sind. Dies tritt besonders bei
Werkstoffen mit ausgeprägter Streckgrenze auf.

Zum Beispiel zeigen ausgehärtete Aluminium-Le-


a) b) gierungen schon bei sehr kleinen Dehnungen im
Bild 5-92 Bereich von 5 % Fließfiguren, die etwa unter einem
Streckziehen von Blechteilen über einen Formklotz. Winkel von 120 ° zueinander verlaufen, die sog. Lü-
5.5 Zugumformen 461

ders-Linien. Zum Beurteilen von Werkstoffen für stoffs muss das Werkstoffverhalten bekannt sein.
das Streckziehen werden die Ergebnisse des Zug- Wichtig ist z. B. die Anisotropie eines Werkstoffs.
versuchs herangezogen: Die Gleichmaßdehnung egl, Sie gibt an, ob die Orientierungen der Kristalle von
die Bruchdehnung ABr, die Erichsentiefung IE so- der statistisch regellosen Verteilung abweichen und
wie der n-Faktor. dabei ausgeprägte Orientierungen, Texturen genannt,
vorhanden sind. Texturen können bei vielkristalli-
Je größer die Gleichmaßdehnung ist, um so gerin- nen Werkstoffen durch Gieß-, Umform- und Glüh-
ger ist die Neigung eines Werkstoffs zum Einschnü- bedingungen entstehen. Als Maß für die Anisotropie
ren. Die beim Erichsen-Versuch ermittelte Tiefung der plastischen Eigenschaften von Blechen wird der
ist ein Maß für die Dehnung unter zweiachsiger Zug- sog. senkrechte Anisotropiewert R im Zugversuch
beanspruchung. Dieser Wert kann deshalb gut mit als Verhältnis der Umformgrade in Breiten- und Di-
dem einfachen Streckziehen verglichen werden. Der ckenrichtung ermittelt:
n-Faktor ist ein Maß für die Verfestigung eines Werk- b
stoffs und entspricht bei unlegierten und niedrigle- ln 0
j b1
gierten Stählen der Steigung der Fließkurve in dop- R= b = [5-66]
js s
pelt logarithmischer Auftragung: ln 0
s1
n = jgl = ln (1 + egl). [5-65]
Danach kann das Grenzziehverhältnis gemäß Bild
Ist der n-Faktor groß, so ist auch die Verfestigung 5-93 abgeschätzt werden. Der Anisotropiewert R
groß und die Bauteilfestigkeit höher. Aufgrund der ändert sich aber mit dem Winkel zur Walzrichtung.
Stützwirkung benachbarter Bereiche besteht eine Deshalb wird die sog. ebene Anisotropie ΔR als Än-
geringere Neigung zum örtlichen Einschnüren. Dies derung des R-Werts in der Blechebene aus den Ein-
bedeutet, dass bei einem großen n-Faktor eines zelwerten berechnet. Dazu müssen die Flachproben
Blechs eine gute Streckzieheignung vorliegt. der Blechtafel unter den Winkeln 0 °, 90 ° und 45 °
zur Walzrichtung entnommen werden:
Für die fertigungs- und funktionsgerechte Werkstoff-
auswahl, zum Sichern eines ungestörten Fertigungs- D R = 21 ( R0∞ + R90∞ - 2 R45∞ ). [5-67]
verlaufs und zur optimalen Ausnutzung des Werk-
2,35 5.5.4.1 Tiefungsversuch nach Erichsen
Versagen Gute Werkstücke Diese in DIN EN ISO 20482 genormte Blechprü-
fung wird zum Ermitteln der Tiefzieheigenschaften
Grenzziehverhältnis b0 max

2,30 von Fein- und Feinstblech eingesetzt. Sie besteht im


Ausbeulen einer fest eingespannten Blechprobe bis
2,25 ø 33

Stempel
2,20
Blechhalter

Probe
l ø20
2,15 5 Kuge
,7
R0
s0

Vertrauensbereich
5
,7
5 ,7
2,10 R0 R0
s0
s<

Grenzwert für Rl

2,05
ø 27 Matrize

2,00 ø 55
0,50 0,75 1,00 1,25 1,50 1,75
R-Wert in Längsrichtung Rl Bild 5-94
Bild 5-93 Werkzeug zum Durchführen des Erichsen-Tiefungsversuchs
Einfluss der senkrechten Anisotropie R auf das Grenzziehver- nach DIN EN ISO 20482, für Bleche und Bänder mit einer
hältnis bomax. Dicke von 0,2 mm bis 2 mm.
462 5 Umformen

zum eintretenden Riss (Bild 5-94). Als Kennwert tem Durchmesser D 0 ein Näpfchen mit flachem Bo-
wird der Tiefungswert IE (IE = Erichsen cupping den gezogen, bis die Grenze der Ziehfähigkeit durch
Index) gemessen, bis zu dem der Stempel ohne Auf- einen Bodenreißer auftritt. Der größte, noch fehler-
treten von Rissen das Blech ausbeulen kann. Für frei gezogene Durchmesser D0 max bildet im Verhält-
Feinbleche und Bänder aus unlegiertem Stahl sind nis zum Stempeldurchmesser d0 das maximale Grenz-
die Mindest-Tiefungswerte in Abhängigkeit von der ziehverhältnis bmax = D0 max/d0. Dieses Prüfverfahren
Blech- bzw. Banddicke genormt. ist verhältnismäßig aufwändig und wird daher vor-
wiegend als Modellversuch mit einem konstanten
Die Tiefung wird durch eine zweiachsige Zugspan- Stempeldurchmesser von d0 = 33 mm angewendet.
nung erzeugt. Deshalb besteht eine deutliche Ab- Infolge des großen Einflusses der Reibungsbedin-
hängigkeit des Tiefungswerts vom Verfestigungs- gungen auf das Grenzziehverhältnis bmax lassen sich
exponenten n. Ein Zusammenhang zwischen dem die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf das Tiefzie-
Tiefungswert und dem Grenzziehverhältnis b 0 max hen von Blechen mit Großwerkzeugen übertragen.
beim Tiefziehen besteht dagegen nicht. Das Aus- Im Näpfchenziehversuch werden größere Grenz-
beulen der Blechkuppe erfolgt auf Kosten der Blech- ziehverhältnisse als bei der betrieblichen Umfor-
dicke; deshalb hat diese den größten Einfluss auf mung erreicht, da das Grenzziehverhältnis mit grö-
die erreichbare Tiefung. Blechdickenunterschiede ßer werdendem Verhältnis von Stempeldurchmesser
– unter Umständen auch Änderungen in den Schmier- d0 zu Blechdicke s0 abnimmt (Bild 5-95). Die gro-
verhältnissen – sind die häufigsten Fehlerquellen bei ßen Karosserieteile sind wegen der relativen Dünn-
der Erichsen-Prüfung. wandigkeit d0 /s0 wesentlich empfindlicher, dies ist
besonders auf die Reibung am Niederhalter zurück-
5.5.4.2 Näpfchen-Tiefziehprüfung nach Swift zuführen.
Dieses Prüfverfahren wird vorwiegend zum Beur-
teilen von Blechen für das Tiefziehen angewendet. 5.5.4.3 Beurteilung von Blechen mittels
Dabei wird mit gleichbleibendem Stempeldurch- Messrastertechnik
messer d0 aus Ronden mit stufenweise vergrößer- Bei umformtechnisch schwierigen Karosserieteilen,
bei der Festlegung der Anzahl von Ziehstufen so-
wie der Erprobung neuer Werkstoffe und Werkzeu-
ge wird eine Formänderungsanalyse durchgeführt.
Hierzu werden Kreisrasternetze vor dem Umfor-
Grenzziehverhältnis b0 max

2,2
men auf die Blechoberfläche aufgetragen und deren
DC
04/ Verzerrungen nach dem Umformprozess gemessen.
Cu
Zn
37 Das aufgebrachte Raster soll die Oberfläche nicht
j 1 = - j2 j1 = - 2 j2 j2 = 0 j1 = j2
2,0
X5C
Umformgrad j1

EN rNi
AW 18-
-Al9 9
9,5 X8
Cr
17
1,8
gleichmäßiger Zug

n
he
ein

Ti zie
ach

ef k
zie c
he re
sig

1,6 n St
er

es l1
l1 ig
Zu

j1 = ln hs
c
g

d
eia
l2 zw
d

j2 = ln
l2

d
- 0 +
0 100 200 300 400 Umformgrad j2
d
bez. Stempeldurchmesser s 0 Bild 5-96
0
Formänderungen von Kreisrastern je nach Beanspruchung.
Bild 5-95 j1 Längenumformgrad
Grenzziehverhältnis bmax in Abhängigkeit vom bezogenen j2 Breitenumformgrad
Stempeldurchmesser d0 /s0 für verschiedene Werkstoffe. j3 Dickenumformgrad: j3 = - (j1 + j2)
5.6 Biegen 463

beeinflussen und nach dem Umformen noch gut Im Bereich zwischen der Kurve j 2 = 0 und dem
erkennbar sein. Die beste geometrische Form zum Streckziehen (j1 = j 2) liegt die kritische Verfor-
Erkennen von Verzerrungen an der Blechoberfläche mungsbeanspruchung. In diesem Dehnbereich er-
ist der Kreis (Bild 5-96). Durch den Ziehvorgang gibt sich ein Minimum in der Grenzformänderungs-
werden die Kreise auf dem Werkstück ellipsenförmig kurve (Bild 5-97). Diese Grenzformänderungskur-
verzerrt. Die Hauptachsen können dann messtech- ven nach Keeler und Goodwin zeigen die Grenzen
nisch erfasst werden. Bei großflächigen Ziehteilen für die untersuchte Blechqualität für Bruch- bzw.
werden Kreise mit 5 mm Durchmesser durch elekt- Einschnürbeginn. Die Werte ergeben sich aus der
rochemisches Markieren mittels Schablonen aufge- Bestimmung des größten Umformgrades j1 (große
bracht. Auf die vorher gesäuberte Blechplatine wird Ellipsenachse) und des kleinsten Umformgrades j2
eine Kunststoff-Ätzvorlage mit dem entsprechen- (kleine Ellipse). Die Grenzformänderungskurve
den Messraster aufgelegt. Über eine Filzmatte wird (Forming Limit Curve) liegt entlang dieser Mess-
ein Elektrolyt aufgetragen, der je nach Stromstärke werte. Als kritische Stellen sind diejenigen Berei-
und Einwirkzeit das Rasterbild von der Folie auf che am Ziehteil zu betrachten, bei denen ein Reißen
die Blechoberfläche überträgt. Eine weitere Möglich- beim Umformen zu befürchten ist.
keit ist das photochemisch-elektrochemische Auf-
tragen der Messgitter. Dabei wird die Rasterfolie Ein Problem beim Beurteilen der Umformeignung
durch einen Photolack ersetzt, wie er z. B. für die von Blechen nach diesem Verfahren der Formän-
Leiterplattenfertigung oder als Offsetdruckplatte derungsanalyse ist der nur schwer erfassbare Ein-
eingesetzt wird. fluss der Reibungsbedingungen auf die Formände-
rungsverteilung. Das Verfahren erlaubt daher nur
Die Auswertung der Messraster nach dem Umfor- eine annähernde Beurteilung von Blechen für gro-
men ist ein arbeitsintensiver Teil der Formände- ße und flache, unregelmäßige Ziehteile beim Ka-
rungsanalyse. Mit Hilfe einer entsprechenden Soft- rosseriebau. In diesen und ähnlichen Fällen lohnt
ware werden über der Werkstückkontur die Durch- sich der Aufwand, weil bei dem Entwurf und der
messer der aufgebrachten Kreise ausgemessen (Bild Konstruktion von Werkzeugen genauere Unterlagen
5-96). Im vorliegenden Koordinatensystem mit j1 über die Gleichmäßigkeit der Formänderung am
als Längenumformgrad und j 2 als Breitenumform- Ziehteil ermittelt werden können.
grad sind das reine Tiefziehen mit j1 = − j 2 sowie
das reine Streckziehen mit j1 = j 2 unter den mög-
lichen Verformungsarten als Idealfälle zu bezeich- 5.6 Biegen
nen. In der Praxis finden sich meist Verformungs-
zustände, die zwischen diesen beiden Extremen ein- Biegeumformen ist nach DIN 8586 das Umformen
zuordnen sind. eines festen Körpers, wobei man den plastischen
Zustand (Fließen) im Wesentlichen durch eine Bie-
j2
gebeanspruchung herbeiführt. Für das Umformen
durch Biegen eignen sich alle metallischen Werkstof-
größter Umformgrad j1

j1

Bruch fe. Das Biegen wird bei der Blechumformung sehr


Einschnürbeginn häufig angewendet (Massenfertigung kleinster Werk-
stücke bis zur Einzelfertigung im Schiff- und Appa-
Bereich kritischer ratebau). Außer Bleche werden auch Rohre, Dräh-
»Versagen«
Dehnung te und Stäbe mit sehr unterschiedlichen Querschnitts-
formen mit einer Vielzahl von Verfahren durch Bie-
»gut«
gen – im Allgemeinen durch Kaltumformen – umge-
formt. Nur bei sehr großen Blechdicken oder sehr
kleinen Biegeradien wird warm gebogen, um die
Zug - Druck Zug - Zug notwendigen Kräfte klein zu halten und eine Kaltver-
j2 < 0 0 j2 > 0 sprödung des Werkstoffes zu vermeiden. Im Fol-
Umformgrad j2 genden sei kurz das Biegen um gerade Achsen er-
Bild 5-97 läutert. Beim Biegen um gekrümmte Achsen, wie
Grenzformänderungsschaubild (Forming Limit Diagram) für es beim Kragenziehen auftritt, werden zusätzliche
Blechformteile (nach Keeler und Goodwin). Zug- oder Druckspannungen überlagert.
464 5 Umformen

5.6.1 Einteilung der Biegeverfahren haltene Blech wird bis zur Anlage an die Auflage-
wange gebogen (Schwenkbiegen).
Entsprechend der Werkzeugbewegung kann man
Anschlag Spannpratze Biegewange
Biegeumformen mit geradliniger und drehender
Mt
Werkzeugbewegung unterscheiden. Zur ersten Grup-
pe gehört das Biegen im V-förmigen Biegegesenk,
wie es Bild 5-98 zeigt. Das auf den Rändern des Ge-
senkes ruhende Werkstück wird durch die geradli-
nige Bewegung des Biegestempels in das V-Gesenk
gedrückt. Der Stempel belastet das Blech mit einer
Kraft Fb. Unter dem Biegemoment Mb = 1/4 w ⋅ Fb
Werkstück
beginnt der Werkstoff zu fließen, bis das Blech an
der Gesenkwand anliegt. Dieses Verfahren wird auf
der Abkantpresse durchgeführt. Der Krümmungs-
radius wird durch das Gesenk vorgegeben. Analog
zu diesem Vorgang kann auch ein Biegen im U-för-
migen Biegegesenk vorgenommen werden. Hierbei
entsteht allerdings beim Biegen ohne Gegenhalter Auflagewange
im Bodenteil eine elastische Durchbiegung, die erst
im Gesenkgrund eben gedrückt wird. Bild 5-99
Biegen mit drehender Werkzeugbewegung.
Eine technische Anwendung dieses Verfahrens stellt
die Großrohrfertigung dar. Aus einer Blechtafel Ähnlich arbeitet das Rundbiegen entsprechend Bild
wird zunächst ein U-förmiges Teil vorgebogen, das 5-100. Ein Klemmbolzen spannt das zu biegende
dann in einer Formpresse zu einer offenen O-Form Blech auf die Biegerolle. Das freie Ende kann unbe-
umgeformt wird. Da die Kanten zuvor angebördelt hindert an einer Blechführung nachrutschen. Das
werden, ergibt sich ein offenes Schlitzrohr, das mit- zum Umformen erforderliche Moment Mt , wird
tels Unterpulver-Schweißverfahren verschweißt wird. durch einen Hebel aufgebracht. Lange Biegeform-
teile können statt auf einer Abkantbank auch durch
Beim Biegeumformen mit drehender Werkzeugbe-
wegung gemäß Bild 5-99 wird eine schwenkbare Mt Klemmbolzen

Biegewange eingesetzt. Das mittels Spannpratze ge-

Einspannzapfen

Biegestempel

s Biegerolle
Werkstück
Fb

Gesenk

w
Werkstück

Bild 5-98
Biegegesenk in V-Form.
Fb Biegekraft
Werkstückführung
w Gesenkweite
b Breite des Biegeteils (im Bild nicht sichtbar) Bild 5-100
s Blechdicke Werkzeuganordnung für das Rundbiegen.
5.6 Biegen 465

Hohlnieten als Biegen um gekrümmte Achsen, das


Fügen durch umgebogene Blechlappen sowie das
Fügen durch geschränkte oder einseitig oder zwei-
seitig umgebogene Lappen. Das Verbinden von Glas-
scheiben mit Blech oder das Schließen eines Dosen-
deckels erfolgt durch Umbördeln; diesen Prozess
kann man als partielles Biegen längs einer Kreis-
bahn ansehen.

Hohe Anforderungen werden an Falze gestellt. Ebe-


Profilwalzen ne und zylindrische Bleche und Behälter werden
durch Falze verbunden, die vor allem dicht sein sol-
len. Bei vielen Gebrauchsgegenständen müssen sie
Werkstück verhältnismäßig große Drücke aushalten, z. B. in
Spraydosen. Beim Verbinden von ebenen Blechtei-
len zu einem Kasten dichtet schon der einfache Falz
gemäß Bild 5-102a) an drei Flächen, die unter den
nach dem Umformen zurückbleibenden elastischen
Kräften aufeinandergepresst bleiben. Beim stehenden
oder liegenden Doppelfalz werden bereits vier bis
fünf Dichtflächen erzeugt, wie Bild 5-102b) zeigt.
So können zylindrische Behälter mit ihren Böden
verbunden werden, wobei der Zylinder bei Kon-
servendosen von der Deckelseite her oder auf der
Bild 5-101 Innenseite abgestützt wird. Ein ebener Boden ist
Herstellen von langen abgewinkelten Werkstücken (Profil- schwieriger herzustellen, weil die Abstützung von
schienen) mittels Profilwalzen. innen unhandlicher ist als auf einem durchgedrück-
ten Boden von außen.
Biegen mittels Profilwalzen hergestellt werden. Das
Prinzip verdeutlicht Bild 5-101. Das Werkstück wird
durch den Formschlitz der Profilwalzen geführt und 5.6.2 Biegespannungen, Verformungen
nimmt die gewünschten Biegewinkel an. Meist wer- und Kräfte
den mehrere Walzenpaare hintereinander angeord-
net, wenn die Geometrie oder die Größe des Biege- Beim Umformen durch Biegen unterscheidet man
betrages nicht mit einem Walzenpaar erreicht wer- nach Bild 5-103 drei Zonen:
den kann. – Reine Zugzone: Bereich zwischen der ursprüng-
lich mittleren Faser und der äußeren Randfaser;
Biegen wird auch vielfach angewendet, um ein Fü- – Druck-Zug-Zone: Zone zwischen der ungeläng-
gen durch Umformen zu erreichen. Dazu gehört das ten und der spannungsfreien Faser;
– reine Druckzone: Zone zwischen der Grenzdeh-
nungsfaser und der inneren Randfaser.

Bei scharfkantigem Biegen ist die Spannungsver-


teilung nicht mehr symmetrisch zur Werkstückmitte.
Die innen auftretende maximale Druckspannung
ist nicht mehr so groß wie die auftretende maxima-
le Zugspannung. Die größte Druckspannung am
a) b)
Rand ist beim Biegen größer als die Zugfestigkeit
Bild 5-102
(Rm) des Werkstoffes. Die äußeren Zonen werden
Herstellen von Falzen an Blechbehältern durch mehrmaliges
Umbiegen: unter den Zugspannungen gelängt und damit dün-
a) einfacher Falz ner, die inneren Schichten werden gestaucht und da-
b) Doppelfalz her dicker.
466 5 Umformen

Da die Streckgrenze des Werkstoffs zu beiden Sei- Liegt die Biegeachse parallel zur Walzrichtung, so
ten der spannungsfreien Faser überschritten wird, tritt bereits bei kleineren Randdehnungen Rissge-
suchen die elastischen Formänderungen im Inneren fahr auf. Das gilt besonders für Bleche mit höherer
nach Wegfall der äußeren Biegekräfte das Werkstück Festigkeit und geringerem Dehnver mögen. Nach
in seine Ausgangslage zurückzubringen. Dabei fe- DIN 6935 liegen die Werte für rmin um 0,5 s höher
dert das gebogene Werkstück zurück, bis ein (inne- als beim Biegen senkrecht zur Walzrichtung.
res) Gleichgewicht eintritt. Die Außenfaser befindet
sich dann unter Druckspannung und die Innenfaser s
unter einer Zugspannung. Die dadurch bewirkte
Rückfederung hängt von der Streckgrenze des Werk-
stoffes und von der Biegeart ab. Je kleiner der Biege-
radius und je größer die Werkstückdicke sind, desto
größer ist die plastische Umformzone.

Das Rückfederungsbestreben ist bei allen Biegever-


fahren zu beachten. Um formgenaue Werkstücke zu
erhalten, muss vor Auslegung der Biegewerkzeuge
der Rückfederungsfaktor k = a 2 / a 1 nach Bild 5-104
ermittelt werden. Das ist das Verhältnis aus dem ge-
forderten Biegewinkel a 2 zum erforderlichen Bie-
gewinkel a1, der die unerwünschte Rückfederung Bild 5-104
Zur Geometrie der Rückfederung.
durch Überbiegen ausgleicht. Die k-Werte hängen a1 Winkel am Werkzeug
von den Werkstoffeigenschaften und vom Verhältnis a2 Winkel am Werkstück (aus dem Gesenk entnommen)
r/s (Biegeradius/Blechdicke) ab. Diese Zusammen- s Blechdicke
hänge gehen für verschiedene Werkstoffe aus den ri1 Innenradius am Werkzeug
Rückfederungsdiagrammen in Bild 5-105 hervor. ri2 Innenradius am Werkstück
a r + 0,5 s
Rückfederungsfaktor k = 2 = i1 <1
Für die Praxis ist der minimale Biegeradius rmin von a1 ri2 + 0,5 s
Bedeutung, weil an den Blechrändern leicht Risse
durch eine überproportionale Randverfestigung auf- Vielfach kommt es zu Versagensfällen an Bauteilen
treten können. Er wird durch die Höhe der Umfor- aus Blech, wenn die Gratlage am Biegeteil nicht be-
mung in den Randfasern festgelegt und kann über rücksichtigt wird. Mit abnehmender Dehnung, an-
die maximal zulässige Dehnung in der Außenfaser steigendem Streckgrenzenverhältnis Re /Rm und zu-
berechnet werden. Vereinfacht ergibt sich nach Oeh- nehmendem bezogenen Radius ri / s steigt die Ge-
ler der Zusammenhang rmin = c ¹ s. Dabei ist c der fahr der Rissbildung an den Biegekanten, wenn der
sog. Mindestrundungsfaktor für die Blechdicke s. Schnittgrat außen liegt. Deshalb ist in kritischen
In Tabelle 5-4 sind für verschiedene Werkstoffe Min- Fällen bereits auf der Konstruktionszeichnung zu
destrundungsfaktoren zusammengestellt. Diese Wer- vermerken »Gratlage innen« oder »Vor dem Biegen
te gelten für Biegevorgänge quer zur Walzrichtung. entgraten«.

s
ungelängte
Faser
ri
ra

Bild 5-103
Biegezone bei Werkstücken mit einem Bie-
gewinkel von 90° (nach König u. Klocke:
Fertigungsverfahren. Bd. 5. Blechumfor- Werkstück
mung).
s Blechdicke
ri Innenradius mittlere Faser Bereich der Querschnittsminderung
ra Außenradius (»neutrale Faser«) durch Streckung
5.6 Biegen 467

1,0
USt 1404 Al 99 w
USt 1405
CuZn38 F 29 St 37 K
AlCuMg1
0,9
Rückfederungsfaktor k

AlMgSi1
CuSn8 HV 170 AlCuMg1 F 38
(weich)
0,8
CrNi-Stahl USt 1203 AlMgSi F 38
(ausgehärtet) C15
0,7
X12CrNi18-8 AlZnMgCu 0,5 F 46
(geglüht)
0,6
Stahl Aluminium-
Nickel-Basis- legierungen
0,5 Kupferlegierungen (Leichtmetalle)
1 2,5 6,3 16 40 100 1 2,5 6,3 16 40 100
Verhältnis r i /s Verhältnis r i /s

Bild 5-105
Rückfederungsdiagramm für verschiedene Werkstoffe (nach J. Flimm, Hanser Verlag).

Ein weiteres Problem bei Biegeteilen ist die Rand- Bei der Zuschnittsermittlung von Biegeteilen wird
verformung. Diese tritt vorwiegend beim Biegen di- die gestreckte Länge L Z der zu biegenden Teile aus
cker Bleche mit kleinem Biegeradius auf. Der an der Summe der geraden Teilstrecken sowie der da-
der inneren Biegekante liegende Werkstoff wird ge- zwischenliegenden Kreisbögen berechnet zu:
staucht und versucht daher seitlich zum Rand hin
auszuweichen, Bild 5-106. Die Ausgangsbreite b
nimmt dadurch um das Maß 2 t auf bi = b + 2 t zu. A

Die außen liegenden Werkstofffasern verhalten sich


umgekehrt: Es entsteht eine Schrumpfung von der
ri

Größe ba = b − 2 t. Nach Versuchen von Oehler be-


ra

trägt die Breitendifferenz im Biegegrund für wei- t

chen Baustahl t = 0,4 s / ri. Da der Werkstoff nach


A b
innen fließt, vermindert sich die Ausgangsdicke s a =
b
-
um bis zu 10 % auf s1. Gleichzeitig tritt an den En- 2t
den der Biegekanten mit kleiner werdendem bezo-
genen Biegeradius ri /s ein zunehmendes Aufwerfen s t
b
der Außenkanten auf. Der Querschnitt im Biegebe- =
b

i
b
+
reich zeigt eine deutliche Aufwölbung. Um den seit- 2t
s1

lichen Überstand des Wulstes zu verhindern, wird


s

bei Präzisionsteilen und bei Passungen eine teure


Nacharbeit oder ein vorheriges Freischneiden im Bild 5-106
Biegebereich erforderlich. Randverformung beim Biegen (nach W. König und W. Klocke)

Tabelle 5-4. Mindestrundungsfaktor für verschiedene Werkstoffe.

Werkstoff c-Faktor Werkstoff c-Faktor Werkstoff c-Faktor

Stahlblech 0,6 Aluminium, halbhart 0,9 AlMn, weich 1,0


Tiefziehblech 0,5 Aluminium, hart 2,0 AlMn, presshart 1,2
rostfreier Stahl AlMg3, halbhart 1,3 AlMn, hart 1,2
martensitisch-ferritisch 0,8 AlMg7, weich 2,0 AlCu, weich 1,0
austenitisch 0,5 AlMg7, halbhart 3,0 AlCu, ausgehärtet 3,0
Kupfer 0,25 AlMg9, weich 2,2 AlCuMg, weich 1,2
Zinnbronze 0,6 AlMg9, halbhart 5,0 AlCuMg, presshart 1,5
Aluminiumbronze 0,5 AlMgSi, weich 1,2 AlCuMg, ausgehärtet 3,0
CuZn28 0,3 AlMgSi, ausgehärtet 2,5 AlCuNi, geglüht 1,4
CuZn40 0,35 AlSi, weich 0,8 AlCuNi, ungeglüht 3,5
Aluminium, weich 0,6 AlSi, hart 6,0 MgMn 5,0
468 5 Umformen

1,0 Ausgangspunkt für die Berechnung der Biegekraft


bei Verwendung von V-förmigen Gesenken ist das
Biegemoment Mb (s. Bild 5-98).
Korrekturfaktor z

0,8
Biegewinkel a = 30 ° Wird ein Blech der Breite b und der Dicke s mit
a = 90 ° rechteckigem Querschnitt im Gesenk belastet, so er-
a = 150 ° gibt sich zu Beginn der plastischen Umformung ein
0,6
Biegemoment von
1
Mb = w ◊ Fb = kf ◊ W . [5-69]
0,4 4

s
l2 Hierin ist Fb die mittig aufgebrachte Biegekraft, w
die Gesenkweite der beiden Auflagepunkte, kf die
rm = ri + s /2
0,2 Fließspannung und W das Widerstandsmoment des
Werkstücks mit W = b s2 / 6. Dieses verschiebt sich
mit zunehmender Krümmung (bei fortschreitender
Biegung im plastischen Bereich bzw. kleinerem r/s-
0
0 2 4 6 8 Verhältnis) zu W = b s2 /4. Damit lässt sich aus Gl.
rm
Verhältnis s
5-69 die in der Praxis gebräuchliche Beziehung für
Bild 5-107 die maximale Biegekraft herleiten:
Korrekturfaktor z zur Ermittlung der gestreckten Länge (nach Fb = C ⋅b ⋅ s2 ⋅ Rm /w. [5-70]
K. Grüning, Vieweg Verlag).
Nach Mäkelt ist dabei die Fließspannung kf durch
πa Ê sˆ den größeren Wert der Zugfestigkeit Rm ersetzt wor-
LZ = l1 + l2 + r +z ˜.
180∞ ÁË i
[5-68] den. Der Berichtigungsfaktor C nach Cali kommt
2¯ insbesondere für kleine Gesenkweiten (w/s < 10)
Der Korrekturfaktor z zur Berücksichtigung der zum Tragen. Aus Kraftmessungen bei Biegeversu-
Verlagerung der neutralen Faser (mit zunehmendem chen wurde von Oehler der praxisgerecht korrigierte
Biegewinkel nach außen hin) kann Bild 5-107 ent- C-Wert zu C = 1 + 4 s/w bestimmt, Bild 5-108.
nommen werden.
Lochen Ausklinken, Lochen
nach Lochen und nach
1,9 innen Umbiegen außen
Beiwert nach Oehler
1,8
Beiwert nach Cali und Oehler C

C= 1+ 4s
w
1,7

1,6 pi
s

1,5

w
1,4

1,3

1,2
Beiwert nach Cali
1,1
pi
1,0

0 5 10 15 20 25 30
w
Verhältnis s
Bild 5-109
Bild 5-108 Innenhochdruckumformen eines rohrförmigen Bauteils mit
Beiwert nach Cali und Oehler zur Biegekraftberechnung. zusätzlichen Lochoperationen (Quelle: Schuler-Handbuch).
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 469

5.7 Innenhochdruckumformen Bauteilspezifisch können sich folgende Vorteile ge-


genüber anderen Fertigungsverfahren ergeben:
(IHU) – geringeres Gewicht,
– höhere Festigkeit,
5.7.1 Allgemeines – höhere Steifigkeit,
– weniger Einzelteile,
Die Blech verarbeitende Industrie ist gezwungen, ne- – komplexere Geometrie,
ben einer Minimierung von Kosten und Gewicht, die – weniger Fertigungsstufen,
Festigkeit und Steifigkeit der Produkte zu optimie- – höhere Genauigkeit.
ren. Dabei hat in den letzten Jahren das Innenhoch-
druckumformen (IHU) durch Flüssigkeitsdruck als Als Rohlinge für das Innenhochdruckumformen
alternatives Fertigungsverfahren von Hohlkörpern können Hohlprofile (Rohre, Strangpressprofile usw.)
mit komplexer Geometrie größere Bedeutung er- oder Bleche eingesetzt werden. Bei letzteren wird
langt. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf im Gegensatz zum Tiefziehen mit Wirkmedien nach
das »Handbuch der Umformtechnik« (Hrsg. Schuler ISO/DIS 8500 das gleichzeitige Umformen von zwei
GmbH, Springer-Verlag 1996), die VDI-Richtlinie oder mehreren Blechen verstanden, zwischen denen
3146 Blatt 1 und Blatt 2 sowie die Ausführungen nach Beendigung des Umformvorganges ein Hohl-
von F.-U. Leitloff (Feb. 2005, Aug. 2007). raum entstanden ist. Die Einteilung der Verfahrens-
varianten des Innenhochdruckumformens von Hohl-
Das Innenhochdruckumformen gehört zu den Um- profilen erfolgt nach den in der Umformzone wir-
formverfahren mit einem flüssigen Wirkmedium. Das kenden Spannungen:
Rohteil wird dabei durch ein fluides Medium um- – Zug-Druck-Spannungen beim Aufweitstauchen
geformt, das in einem Hohlraum wirkt, Bild 5-109. im offenen oder geschlossenen Gesenk,
Ziel ist die Herstellung von Bauteilen, die durch an- – Zugspannungen beim Innenhochdruck-Aufwei-
dere Fertigungsverfahren nicht oder nur sehr auf- ten oder -Kalibrieren,
wändig umformtechnisch hergestellt werden kön- – Biegespannungen bei Innenhochdruck-Biege-
nen. Konkrete Anwendungsgebiete sind die Automo- vorgängen,
bil- und Armaturen-Industrie sowie der Anlagen- – Schubspannungen beim Innenhochdruck-Durch-
bau, Bild 5-110. setzen.

5.7.2 Anwendungsgebiete

Die möglichen IHU-Anwendungsgebiete umspan-


nen viele technische Branchen, Tab. 5-5. Im Auto-
mobilbau 7) wird das Innenhochdruckumformen be-
reits seit etwa zehn Jahren in größerem Umfang an-
gewendet. Bauteile, die nach diesem Verfahren ge-
fertigt werden, übernehmen hier im Wesentlichen
zwei Funktionen: Zum einen kommen sie als Kraft
und Moment übertragende Strukturbauteile in An-
triebsstrang, Karosserie und Fahrwerk zum Einsatz.
Zum anderen dienen sie im Antriebsstrang sowie
im Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystem als Me-
dien führende Elemente.
7)
Im Gegensatz zum Innenhochdruckumformen konnte
sich das hydromechanische Tiefziehen aufgrund der höhe-
ren Zykluszeiten im Automobilbau nicht durchsetzen. In
der Vergangenheit wurde dieses Verfahren z. B. zur Herstel-
Bild 5-110 lung von Scheinwerferreflektoren eingesetzt, weil sich
Werkstücke, hergestellt durch Rohraufweiten (Quelle: Siem- damit eine bessere geometrische Qualität der Bauteile
pelkamp Pressen Systeme). erzielen ließ.
470 5 Umformen

Abgasbauteile
In der Automobilindustrie wurde das Innenhoch-
druckumformen als Fertigungsverfahren für die
Großserie bei Abgassystemen entdeckt. Dabei wur-
den die Gusstechnik und die Blech-Halbschalen-
bauweise substituiert.

Folgende Vorteile lassen sich für IHU-Abgassysteme


nennen:
– Weniger Einzelteile, dadurch weniger Schweiß-
nähte,
– deutlich höhere Haltbarkeit,
– besserer Gasdurchfluss,
– geringeres Gewicht,
– niedrigere Herstellkosten.

Heute gehört das Innenhochdruckumformen zu den


Standardverfahren bei der Entwicklung neuer Ab-
Bild 5-111
gassysteme, Bild 5-111.
Serienfertigung von Abgaskrümmern bei Fa. Arvin Exhaust,
Finnentrop (Quelle: Schuler Hydroforming GmbH).
Fahrwerksbauteile Reduzierung der Einzelteile auf 53 %, der Herstellkosten auf
Die Erfolge des Verfahrens wurden sehr bald auch 85 %, Erhöhen der Lebensdauer um 50 %.
im Fahrwerkbau genutzt. Ein bekanntes Beispiel ist
hier die Aluminium-Hinterachse des 5er BMW von PKW-Motorträger wurde 1997 bei Opel in Bochum
1995, Bild 5-112. Die erste vollautomatisierte IHU- in Betrieb genommen. Die hier erreichten technisch-
Großserien-Fertigungsanlage der Welt für einen wirtschaftlichen Ziele waren:

Tabelle 5-5. Anwendungsgebiete für das Innenhochdruckumformen (nach Schuler-Handbuch, Springer-Verlag, 1996).

Branche Baugruppe Bauteil (Beispiel)

Automobilindustrie Fahrwerk Quer-, Längsträger


Fahrzeuge Abgas-, Ansaugsysteme Krümmer
– Straße Anbauteile, Antrieb Dachreling, Spoiler
– Wasser Sitze, Rahmen/Karosserie Getriebewellen
– Luft Lenkung Sitzrahmenteile, A-, B-, C-Säule
– Schiene Dachrahmenprofile
Lenksäule mit Kompensator
Chemie-, Gas-, Leitungs- und Behälterteile T-Stücke, Reduzierstücke
Ölindustrie, Kraftwerksbau Rohrformstücke Gehäuse, Verkleidungen
Armaturen Rohrbögen, T-Stücke, Reduzierstücke
Haushaltstechnik
Maschinen Kreuzstücke, Bögen
Zweiradindustrie Rohrformstücke Tretlager, Knoten, Rahmen
Gerüstbau, Rohrhalbzeuge Knoten, Träger, kalibrierte Rohre
Profilverarbeitung Schienenfahrzeuge und Profile, Dachspriegel, Rahmen
Nutzfahrzeuge Träger, Knoten
Pumpen und Armaturen Gehäuse Ansaugstutzen
Rohrbögen, Reduzierstücke
Heizung, Lüftung, Klima Formstücke
T-Stücke, Sammelrohre
Rahmen Füße, Träger, Knoten, Schalen
Möbelindustrie
Formelemente Regalböden
Beleuchtungsindustrie Straßenbeleuchtung Lichtmasten, Lampenschalen
Optik Fernrohre, Taschenlampen Gehäuse
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 471

Bild 5-112
BMW 5er Hinterachse, bestehend aus 4 IHU-Teilen: 2 Längsträger, 2 Querträger aus Aluminium-Rohr, geschweißt (Quelle:
Siempelkamp Pressen Systeme).

– Werkzeugkosten um 60 % reduziert, Karosserie- und Chassisbauteile


– Gewicht um 30 % eingespart, In den USA hatte man zeitlich parallel sehr viele
– Bauteilepreis um 20 % abgesenkt. Rohr-Hydroform-Anwendungen verwirklicht. Da-
bei lag der Schwerpunkt bei Strukturbauteilen im
Diese und ähnliche Projekte führten zu weiteren Chassis und in der Karosserie. Diese IHU-Bauteile
Anwendungen der IHU-Technik im Achsenbau. Zum wurden entsprechend der stark praxisorientierten
Beispiel machte der Motorträger von Opel Schule amerikanischen Vorgehensweise gezielt fertigungs-
für viele weitere U-förmig ausgelegte IHU-Motor- gerecht ausgelegt, wobei die umgebende Gesamtkons-
träger (Engine Cradle). truktion eine Anpassung an das IHU-Bauteil erfuhr
(nicht umgekehrt!). Als Folge einer größeren Varian-
tenvielfalt bei geringeren Stückzahlen gewinnen al-
ternative Karosseriekonzepte zunehmend an Bedeu-
tung, z. B. Rohrrahmen- oder Space Frame Bauwei-
sen. Solche Bauweisen erleichtern dem Konstruk-
teur den sinnvollen Einsatz der Innenhochdruck-
umformverfahren. In Europa steht diese Technik im
Bereich der Karosserie trotzdem noch in den An-
fängen, Bild 5-114.

5.7.3 Bauteil- und Prozessauslegung


Bild 5-113
Kompletter Motorträger für Opel-Astra / Zafira (Quelle:
Bei der Entwicklung von IHU-Bauteilen ist eine ex-
Schuler Hydroforming).
Reduzierung der Werkzeugkosten um 60 %, der Produktkosten akte Analyse der Randbedingungen erforderlich.
um 20 %, des Gewichtes um 30 % (bezogen auf die bisherige Eine optimale Gestaltung der Bauteile unter Be-
Fertigung). rücksichtigung der verfahrensspezifischen Beson-
472 5 Umformen

derheiten erhöht die Sicherheit und Wirtschaftlich- – maximale Länge L = 12 m,


keit im Serienbetrieb. – maximaler Durchmesser D = 660 mm,
– Wanddicke s = 0,6 mm bis 50 mm.
Die Machbarkeitsanalyse, die Bauteilauslegung so-
wie eine Festlegung des Fertigungsablaufs sind eng
miteinander verknüpft. Wenn alle Punkte zu einem Bedarfsfallaufnahme
positiven Ergebnis führen, kann die Prototypent-
wicklung der Bauteile beginnen, Bild 5-115.
Änderungs-
potenzial prüfen
Eine Checkliste zur Machbarkeitsanalyse besteht Machbarkeitsanalyse Verbesserungs-
aus folgenden Punkten: vorschläge
– Überprüfung der Geometriedaten, ausarbeiten
– Bestimmung des erforderlichen Innendrucks, nein
– Festlegung der Werkzeuglage, Bauteil ist
– Umformanalyse, machbar
– Untersuchung der Lochgeometrien, ja
– Festlegung der Biegelinie.
Entwicklung eines
Fertigungskonzeptes

Auftrag

Umformsimulation/FEM

Bild 5-115
Ablaufdiagramm für die Bauteilauslegung.

Bild 5-114 Die maximal erreichbare Aushalsungshöhe an ei-


Überrollbügel als IHU-Bauteil für Porsche Boxster (Quelle: nem geraden T-Stück ist deutlich höher als an ei-
Schuler Hydroforming). nem Bogen, weil hier das Nachschieben von Werk-
stoff behindert wird, Bild 5-117.
Der erforderliche Innendruck pi ergibt sich aus der
Fließspannung kf (O 1,25 ⋅ ReH) und der Rohrwanddi- Eine erhöhte Aushalsung ist dann möglich, wenn
cke s, bezogen auf den mittleren Rohrdurchmesser sie in der Nähe eines Axialzylinders liegt. Bei der
Rm. Sobald aber ein (im Verhältnis zur Wanddicke) Auslegung eines Bauteiles sollten grundsätzlich
kleinerer Eckradius rmin im Rohr ausgeformt werden scharfe Ecken und Kanten vermieden werden. Ra-
soll, steigt der Innendruck hyperbolisch an. Dieser 10000
Zusammenhang ist in Bild 5-116 dargestellt. bar
kf × s
8000 pi =
rm
Bauteilauslegung
Innendruck pi

6000
Hierzu muss die verfahrensspezifische Technologie
berücksichtigt werden. Dazu gehört neben der Ver- 4000
wendung von vorgebogenem Rohr z. B. die Erzeu-
gung von Querschnittsveränderungen, Durchset- 2000

zungen, Durchbrüchen, Einfach- und Mehrfach- 0


aushalsungen oder die Erzeugung von Schweißzen- 1 2 3 4
trierflächen. Für rohrförmige Rohteile gelten nach Eckradius rmin / Wanddicke s
dem derzeitigen Stand der Technik folgende Grenz- Bild 5-116
werte: Erforderlicher Innendruck als Funktion vom Verhältnis rmin / s.
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 473

dien müssen an die jeweilige Wanddicke angepasst – Funktionale Verknüpfung der Prozessparame-
werden. Querschnittsübergänge sollen weich gerun- ter: Innendruck, verschiedene zusätzliche Werk-
det sein, falls dies möglich ist. zeugelemente wie Lochstempel und Gegenhal-
ter sowie axiale Zylinder,
Machbarkeitsanalyse – elastische Rückfederung,
Die Machbarkeitsanalyse besteht meist aus folgen- – Versagenskriterien: Knicken und Bersten,
den Einzelschritten: – Werkstoffverhalten: Anisotropie und Fließkurve,
– Modelleingabe, – Kontaktbeschreibung.
– Vernetzung,
– automatische Wahl der Mittellinie,
– Anordnung der Schnitte über der gewählten Mit-
tellinie,
– sofortige Darstellung der Umfänge,
– Angabe der Dehnungen für unterschiedliche
Rohre,
– Festlegung des Vorrohr-Durchmessers.

Als Ergebnis der Machbarkeitsanalyse liegen da-


nach auf der Werkzeugseite vor: Innendruck, erfor-
derliche Lochzylinder, Schiebeweg und auf der Ma-
schinenseite: Schließkraft der Presse, erforderliche
Axialkraft und Biegelinie.

Simulation der Formgebung


In der Umformtechnik hat sich die Methode der
finiten Elemente (FEM) fest etabliert. Ziel hierbei
Bild 5-118
ist, teure und aufwändige experimentelle Untersu- Fertigungsstufen für den Opel-Motorträger aus modifiziertem
chungen durch eine schnelle und preiswerte Simu- niedriggekohltem Baustahl. Vorrohr: 2600 x 65 x 2mm.
lation zu ersetzen. Bei der Umsetzung aller Vorüber- (Quelle: Schuler Hydroforming).
legungen in die Praxis müssen die folgenden Beson-
derheiten der Innenhochdruckumformung beachtet Folgende Ergebnisse lassen sich mit einem entspre-
werden: chend ausgelegten FEM-Programm berechnen:
– Berücksichtigung der partiellen Kaltverfestigung – Plastische Vergleichsdehnung,
an vorverformten Rohren, – Vergleichsspannung,
– Zusammenhang der Prozessparameter: Bewe- – Dickenverteilung,
gungen und Kräfte der Axialzylinder, zeitlicher – Verteilung der Dehngeschwindigkeiten,
Verlauf des Innendrucks, Bewegung zusätzlicher – Hauptdehnungen,
Werkzeugelemente, Schließbewegung des Werk- – Abstand der Werkstückaußenwand zur Werk-
zeugs, zeugwand.
15 % D
75 % D
100 % D
D

Bild 5-117
Erreichbare Aushalsungshöhe in Abhängigkeit von der Bauteilgeometrie (nach Schuler-Handbuch).
474 5 Umformen

Mit diesen Ergebnissen lassen sich dann einzelne Zusätzlich ist zu beachten, dass Späne, Verschmut-
Fertigungsstufen festlegen, Bild 5-118. zungen und Oberflächenbeschädigungen oder auch
Schweißnahtüberhöhungen usw. vermieden wer-
Werkstoffeinsatz den.
Als Werkstoffe für das Innenhochdruckumformen
kommen alle die in Frage, die sich auch für andere Verfahrensgrenzen
Kaltumformverfahren eignen. Heute werden Bau- Für die erfolgreiche Durchführung des Innenhoch-
und Tiefziehstähle, höherfeste Stähle, hitzebestän- druckumformens von z. B. Hohlprofilen müssen die
dige und nichtrostende Edelstähle, Aluminium und Verfahrensparameter innerhalb eines sog. Prozess-
seine Legierungen sowie Kupfer und seine Legierun- fensters liegen, um die typischen Versagensfälle zu
gen eingesetzt. Allgemeine Anforderungen in Be- vermeiden (Bild 5-119). Die Prozessparameter müs-
zug auf die Umformfähigkeit sind: sen dabei folgende Anforderungen erfüllen:
– Große Gleichmaßdehnung, – Die aus Axialkraft und Innendruck resultie-
– hoher Kaltverfestigungsexponent, renden Spannungen müssen der Fließbedingung
– hohe senkrechte Anisotropie, genügen,
– gute Umformbarkeit der Fügestellen. – die Axialkraft muss so groß sein, dass eine siche-
re Abdichtung des Hohlprofils gewährleistet ist,
Rohteil-Geometrie – der maximale Innendruck darf nicht zur Ein-
Unter einem IHU-Rohteil wird das Werkstück ver- schnürung der Profilwand führen,
standen, das dem Prozess zugeführt wird. Das Roh- – die maximal aufbringbare Axialkraft muss stets
teil besitzt sowohl stoffliche als auch geometrisch unterhalb der Knicklast liegen.
bestimmte Eigenschaften. Es wird aus dem Halb-
zeug Rohr oder Blech hergestellt, z. B. durch Vor- Versagensfälle
formen oder Vorbiegen. Als typische Versagensfälle beim Innenhochdruck-
umformen gelten:
Anforderungen an die Rohteil-Geometrie sind eine – Falten in Profilumfangsrichtung (durch zu hohe
auf die Endteilgeometrie abgestimmte Form und Axialkraft bei niedrigem Innendruck),
Abmessung sowie geringe Form-, Maß- und Lage- – Knicken (bei Überschreiten der kritischen axia-
toleranzen, insbesondere Länge, Schnittfläche und len Drucklast, die abhängig von der Rohrlänge
Wanddicke. Die quantitative Festlegung hierzu muss und der Wanddicke ist),
bauteilspezifisch erfolgen. Folgende geometrische – Bersten durch zu große Aufweitung (tritt bevor-
Formen kommen zum Einsatz: zugt in Zonen mit zweiachsigen Zugbeanspru-
– Hohlprofile (gerade, vorgeformt, geschweißt, chungen auf).
stranggepresst, Doppelwandrohr),
– Doppel- oder Mehrfachplatinen (eben oder vor- Tabelle 5-6. Reibungszahlen des verwendeten Schmierstoff-
geformt, Tailored Blanks). typs beim Innenhochdruck-Umformen (Quelle:
Schuler Hydroforming).

Schmierstofftyp Reibungszahlen

Ohne Schmierstoff 0,1


Öle 0,025 bis 0,06
Lacke 0,015 bis 0,02
Wachse 0,01 bis 0,015

Tribologie
Die tribologischen Einflüsse auf das Prozessfenster
beim Innenhochdruckumformen sind sehr komplex.
Während manche Umformprozesse ohne zusätzli-
che Schmierstoffe auskommen, erfordern andere ei-
Bild 5-119 ne gezielte lokale oder globale Schmierung. Hierzu
Prozessfenster im IHU-Arbeitsdiagramm (VDI 3146, Blatt 1). werden zurzeit hauptsächlich Gleitlacke auf MoS2-
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 475

Basis, Wachsemulsionen, grafithaltige Gleitlacke Mitunter ergibt sich bereits zum Vorformen des Roh-
und jeweils auf Wasserbasis eingesetzt (Tab. 5-6). teils die Notwendigkeit einer gesteuerten oder ge-
Es ist aber auch möglich, die tribologischen Verhält- regelten Schließbewegung. Diese Funktionen wer-
nisse durch Beschichten oder spezielle Oberflächen- den durch eine Schließ- und Zuhalteeinrichtung er-
behandlung zu verbessern. füllt. Aufgrund des Prozessablaufs und der erfor-
derlichen Kräfte kommen kraftgebundene Pressen,
Prozessauslegung und Prototyping mechanisch verriegelte Maschinen oder deren Kom-
Dieser Schritt umfasst die Festlegung des Fertigungs- bination zum Einsatz. Die unter Wirkung des Innen-
ablaufs und die Auslegung der benötigten Ferti- drucks auftretenden Werkzeugauffederungen müs-
gungsanlagen. Von besonderer Bedeutung ist die sen durch geeignete Maßnahmen kompensiert wer-
konsequente Umsetzung der Ergebnisse des Proto- den.
typings. Nur ein Zusammenspiel von theoretischer
Analyse und praxisgerechter Versuchsdurchführung Die eigentliche Formgebung erfolgt beim Innen-
liefert ein optimales Produkt. Die Festlegung quali- hochdruckumformen in einem Hohlformwerkzeug
tätsrelevanter Daten gehört ebenfalls dazu. mit integrierten aktiven Formelementen. Diese kön-
nen mittels regelbarer Achsen die Hohlräume im
Werkzeug verkleinern oder vergrößern.
5.7.4 Anlagen- und Werkzeugtechnik
Ein IHU-Werkzeug besteht grundsätzlich aus Werk-
Zur praktischen Durchführung von Innenhochdruck- zeugober- und -unterteil, Bild 5-121. Die Aufnah-
Verfahren bedarf es einer speziellen Anlage (IHU- meplatten für die Werkzeuge ermöglichen die An-
Zelle). Diese besteht aus einer hydraulischen Pres- passung an die Einbauhöhe, die durch Pressenhub
se, der Wasserhydraulik und dem eigentlichen Werk- bzw. Höhe der Zylinderkonsolen vorgegeben ist. Die
zeug. Zusätzlich werden Steuer- und Regeleinrich- (z. B. wegabhängig geregelten) horizontal bewegten
tungen sowie Werkzeugwechselsysteme benötigt. Dichtstempel dichten die Rohrenden ab und schieben
Vorgelagerte Prozesse sind das Ablängen und Vor- sie beim Stauchprozess nach. Die Zylinderkonsolen
formen (Biegen und Querschnitt ändern), nachge- nehmen die Axialkräfte auf und ordnen die Axial-
lagert ist die Endenbearbeitung. zylinder konzentrisch zu den Einläufen an. Sie kön-
nen auf der Tischplatte bzw. Stößelplatte verscho-
Grundlegende Funktionen beim Innenhochdruck- ben werden.
umformen sind:
– Schließen - Zuhalten - Öffnen, Durch einen modularen Grundaufbau der Werkzeu-
– Füllen und Dichten, ge kann eine gewünschte Bauteilgeometrie flexibel
– Druck erzeugen und regeln, Bild 5-120, realisiert werden. Diese Maßnahme hat das Ziel, die
– Form geben, Fertigungskosten und die Wechselzeiten für Werk-
– Prozess führen. zeuge und Verschleißteile zu minimieren. Während
der Entwicklungsphase kann man ohne Werkzeug-
pkal
wechsel verschiedene Rohrwerkstoffe und Wanddi-
Werkzeuggebundene

cken erproben.
Innendruck pi

Anfahren

Bei der Auslegung eines Prototypwerkzeugs spielt


Aufweitung
Dichten

freie Aufweitung die Lebensdauer eine untergeordnete Rolle. Abge-


sehen von den Schiebeeinsätzen kann auf das zeitin-
Kalibrieren

pg
tensive Beschichten bzw. Behandeln der Oberflä-
chen verzichtet werden. Die schrittweise Annähe-
pf rung an ein serientaugliches Werkzeug, das sog.
p0
Prototyping, findet in folgenden Stufen statt:
– Entwicklung der Grundgeometrie eines Bau-
sf sf + sg teils,
Weg s – Integration von Zusatzoperationen wie Lochun-
Bild 5-120 gen,
Typischer Druck-Wegverlauf eines IHU-Aufweitevorgangs. – Fertigung modifizierter Einsätze.
476 5 Umformen

Dabei beeinflussen folgende Parameter die Auswahl geprägter Längsachse ist meist nicht sinnvoll. Da-
der Werkzeugwerkstoffe sowie deren notwendige her wurde von F.-U. Leitloff eine begleitende Qua-
Beschichtung bzw. Behandlung der Oberfläche: litätssicherung mit spezieller Messung der Außen-
– Geometrie des Bauteils, kontur von IHU-Bauteilen vorgeschlagen.
– Werkstoff des Bauteils,
– maximaler Innendruck, Vorausplanung mit dem Kunden
– Dichtsystem, Zu Beginn eines Entwicklungsprojektes werden ei-
– Verwendungszweck (Prototyping oder Serienbe- ne Machbarkeitsanalyse und eine fertigungs- und
trieb). funktionsgerechte Bauteilauslegung durchgeführt.
Bereits in dieser frühen Projektphase muss die »Pro-
jektbegleitende Qualitätssicherung« mit Kunde und
5.7.5 Fertigteilqualität IHU-Entwicklungsingenieur ein Team bilden. Zu-
nächst muss die Analyse der Kundenwünsche erfol-
Ob eine Prozessauslegung und das anschließende Pro- gen in Bezug auf:
totyping ein gutes IHU-Bauteil ergeben, hängt von – Weitere Verwendung des Bauteils,
der Beurteilung dieser Bauteile durch den Kunden – Toleranzen des IHU-Bauteils,
ab. Eine rein optische Prüfung auf Falten oder Mar- – Maße der Außenkontur und der Wanddicke,
kierungen durch den Fertigungstechniker nach der – Form und Lage von Anbauteilen und Löchern,
Entnahme des Bauteils aus dem Werkzeug genügt – Anzahl der zu vermessenden Bauteile bei Qua-
nicht. Schon beim Prototyping müssen Wanddicken litätsprüfungen,
und zum Teil auch Außenkonturen gemessen wer- – Art der Auswertung dieser Messungen.
den, deren Ergebnisse wiederum zur Anpassung des
IHU-Prozesses verwendet werden. Der dafür auf- Ergebnis dieses Vorgehens sollte es sein, die für den
zubringende Zeit- und Kapazitätsbedarf ist bei der Kunden primär wichtigen Bauteilbereiche und die
Planung der Pressenbelegung zu berücksichtigen. zugehörigen Maße und Toleranzen herauszuarbei-
ten (z. B. Stellen für Anbauteile). Die weniger wich-
Die Übertragbarkeit von Qualitätsdefinitionen und tigen Bereiche werden dann nicht mit überflüssigen
Kontur-Messmethoden von ebenen Formpressteilen Messpunkten überfrachtet, um so für die Serienfer-
auf IHU-Bauteile mit geschlossenem Profil und aus- tigung zu einem bauteilspezifisch optimierten Prüf-

Stößelplatte Zentrierung

Werkzeug-
oberteil Werkzeugauf-
nahmeplatte

Axialzylinder

Dichtstempel
Zylinderkonsole mit
Werkzeug- Schwenkeinrichtung
unterteil
Werkzeugauf-
nahmeplatte

Tischplatte IHU-Werkstück

Bild 5-121
Prinzipieller Werkzeugaufbau für das Innenhochdruckumformen (nach Schuler-Handbuch).
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 477

umfang zu kommen. Diese Überlegungen beein- des IHU-Fertigungstechnikers die weitere Vorgehens-
flussen die Konstruktion und Fertigung der Serien- weise.
werkzeuge, Bild 5-122.
Prüfung von IHU-Prototypen
Der Entwicklungsingenieur muss die voraussicht- Prototypbauteile sollten bereits während des Proto-
lich zu erwartenden Toleranzen und Abmessungen typings stichprobenartig geprüft werden. Danach
des fertigen IHU-Bauteils zunächst abschäzen. Die- kann der Umformprozess entsprechend angepasst
se Schätzungen sind für weitere Planungen des Kun- werden, um die gewünschten Bauteileigenschaften
den sehr wichtig. Die Erfahrung zeigt, dass erst nach zu erreichen. Nach Abschluss des Prototypings wird
Abschluss des Prototypings mit den vorgesehenen dann die vereinbarte Anzahl IHU-Bauteile nach
Messungen die tatsächlich erreichbaren Maße und dem festgelegten Prüfplan bewertet. Die Ergebnis-
Toleranzen bekannt sind. In einem abschließenden se werden interpretiert und mit dem Kunden bespro-
Schritt werden die Ergebnisse gemeinsam mit dem chen. Sie dienen jetzt der Festlegung tatsächlich
Kunden in eine Zeichnung des Bauteils eingetragen, erreichbarer Toleranzen für die geplante Serienfer-
die als Prüfplan gilt. tigung.

Spezifikation des Rohteils Projektbegleitende Messungen an IHU-Prototypen


Bereits während der Bauteilauslegung wurde das durch das entwickelnde Unternehmen beschränken
zu beschaffende »Vorrohr« hinsichtlich Durchmes- sich auf folgende Punkte:
ser, Wanddicke, Werkstoff und Biegekontur durch – Messung der Außenkontur (Oberfläche und Lö-
den IHU-Entwickler festgelegt. Nun lassen sich cher),
weitere Anforderungen an das Vorrohr gemeinsam – Messung der Wanddicke,
mit dem Qualitätssicherungs-Ingenieur spezifizie- – optische Beurteilung der Oberfläche (sichtbare
ren und an den Rohrlieferanten und den Bieger Trennkanten, Abdrücke von Biegebacken, Mi-
weiterleiten. Bei Lieferung der Vorrohre ist eine krofalten).
Wareneingangsprüfung anhand der Spezifikation
durchzuführen. Bei Abweichungen entscheidet der Der Kunde bewertet weitere Punkte durch eigene Un-
Qualitätssicherungs-Ingenieur unter Hinzuziehung tersuchungen, z. B. Gewicht und Crashverhalten.

Machbarkeitsanalyse
Bauteildefinition Bauteilanalyse

Entwicklung eines
Fertigungskonzepts Umformsimulation / FEM
(fertigungs- und funktionsgerechte
Bauteilauslegung)

Konstruktion auf Basis


Fertigung der Werkzeuge
des Fertigungskonzeptes

Bewertung der IHU-Bauteile


Prototyping
nach festgelegtem Prüfplan

Konstruktion der Fertigung der


Sonderwerkzeuge Serienwerkzeuge

Bild 5-122
Einzelschritte für die Serien-Werkzeugfertigung (nach Leitloff).
478 5 Umformen

Definitionen Die Maschine gilt als »fähig«, wenn die Toleranz T


Zum Vermeiden von Missverständnissen und zum mindestens den 8fachen Wert von s beträgt. Die
Schaffen einer gemeinsamen Nomenklatur für Ge- Maschinenfähigkeitskennzahl cm erreicht dann den
spräche zwischen Kunde, Qualitätssicherungs-Inge- Wert 1,33 oder größer.
nieur und IHU-Entwicklungsgingenieur wurde die
Verwendung folgender Definitionen vorgeschlagen: Im Automobilbau ist man dazu übergegangen, ei-
nen Wert für s < 0,1 T zu fordern. Demzufolge ist
Abformgenauigkeit eine Maschine erst fähig, wenn ein cm-Wert von 1,67
Sie ergibt sich aus dem Vergleich der Messdaten ei- oder größer vorliegt.
nes IHU-Bauteils mit den ursprünglichen CAD-Da-
Toleranz T
ten. Die Abformgenauigkeit kann durch Mittel der
D krit
statistischen Prozessregelung (SPC) bewertet wer- ³ 4× s

Häufigkeit g(x)
den, z.B. als Maschinenfähigkeit mittels cm- oder
cmk-Wert.
s
Toleranz T ³ 8 s
s
m
T
Häufigkeit g(x)

cm = Merkmalswert x
6× s

Toleranz T
D krit
³ 4× s
Häufigkeit g(x)

D krit
cmk =
3× s
s

m Merkmalswert x

Bild 5-124
m Merkmalswert x Normalverteilung mit außermittiger Lage im Toleranzfeld.
Bild 5-123
Normalverteilung einer Maschinenfähigkeitsuntersuchung. Der cm-Wert sagt nun nichts über die Lage der Ver-
teilung innerhalb des Toleranzbereiches T aus, Bild
Unter Maschinenfähigkeit versteht man die Fähig- 5-124. Daher wird mit dem kleinsten Abstand vom
keit einer Maschine, die Werte eines Merkmals mit Mittelwert zur Toleranzgrenze ' krit nach obiger Be-
genügender Wahrscheinlichkeit innerhalb der vorge- ziehung der cmk-Wert ermittelt. Ergibt sich dabei
gebenen Merkmalsgrenze zu fertigen. Hierzu wird ebenfalls ein Wert von 1,33 oder größer, ist die Ma-
eine fortlaufende Stichprobe vom Umfang n > 50 schine auch jetzt zur Fertigung in der geforderten
entnommen. Alle Einflussgrößen auf den Fertigungs- Qualität fähig.
prozess müssen dabei konstant bleiben, wie z. B.
Prüfmittel, Rohmaterial, Maschineneinstellung und Wiederholgenauigkeit
Bedienungspersonal. Der geschätzte Mittelwert m Sie ergibt sich aus dem Vergleich der Messwerte ei-
und die geschätzte Standardabweichung s dieser nes IHU-Bauteils mit denen eines weiteren IHU-
Stichprobe charakterisieren die Fertigungsgenauig- Bauteils. Sie gibt Auskunft über die Stabilität bzw.
keit der Maschine, Bild 5-123. Wiederholbarkeit einer Serienfertigung. Die Wei-
derholgenauigkeit wird durch Mittel der statistischen
Aus diesen Kennwerten der Stichprobe werden die Prozessregelung (SPC) bewertet, z.B. als Prozessfä-
beiden Kennzahlen cm und cmk nach folgenden For- higkeit mittels cp- oder cpk-Wert.
meln berechnet:
Bei der Ermittlung der Prozessfähigkeit wird der
T D gesamte Fertigungsprozess mit sämtlichen Einfluss-
cm = bzw. cmk = krit . [5-71]
 ◊s ◊s größen (Personal, Maschine, Rohmaterial, Umwelt-
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 479

einflüsse, Prüfmethode usw.) untersucht. Die Bestim- Eine hohe Abformgenauigkeit ist für den Kunden
mung der Verteilungsparameter basiert auf der wichtig, da er die Anbauteile (Abmessungen und
Grundlage von mindesten 25 Stichproben in einem Toleranzen) auslegen muss. Andererseits muss die Se-
Umfang von mindestens n = 7. Diese werden in re- rienfertigung stabil und die Wiederholgenauigkeit
gelmäßigen Abständen dem Fertigungsprozess ent- groß sein. Denn es ist preiswerter, Anbauteile und
nommen. Auch hier werden aus den geschätzten Pa- entsprechende (Schweiß-) Vorrichtungen einmalig
rametern Standardabweichung s und Mittelwert m an einen stabilen Prozess anzupassen, als während
analog zu den oben angegebenen Beziehungen die einer instabilen Serienfertigung ständig korrigierend
Prozessfähigkeitskennzahlen cp und cpk gebildet und eingreifen zu müssen. Ein fachgerecht ausgelegter
bewertet. IHU-Prozess weist i. Allg. eine überdurchschnitt-
lich hohe Wiederholgenauigkeit auf.
45,00
mm cp = 33,6 cpk = 4,6
Querschnitttoleranz
Durchmesser

44,80
Möchte der Kunde z. B. ein Stanz-Biegeteil an ei-
obere Toleranz
nem IHU-Bauteilquerschnitt anbringen, so interes-
44,60 siert ihn die so genannte Querschnitttoleranz. In
Sollwert
diesem Fall wird ein Querschnitt hinsichtlich Hö-
44,40 he, Breite und Eckradien vermessen.

44,20
untere Toleranz
Formlinientoleranz
Muss andererseits ein IHU-Bauteil zwischen zwei
44,00
0 20 40 60 80 100
anderen Bauteilen einer Baugruppe eingefügt wer-
Anzahl der Teile in 103
den, so ist die Lage der Endquerschnitte (z. B. hin-
Bild 5-125 sichtlich des Schweißspaltes) wichtig. Diesbezüg-
Beispiel für eine Qualitätsregelkarte (Quelle: Schuler Hydro- lich spricht man von der Formlinientoleranz. Sie
forming GmbH). gibt Auskunft darüber, ob das IHU-Bauteil in sei-
ner Längsachse dem gewünschten Verlauf entspricht
Das Bild 5-125 zeigt ein Beispiel für eine Qualitäts- oder z. B. durch Rückfederung davon abweicht.
regelkarte mit der Erfassung des Durchmessers an
84 000 IHU-Teilen und der Angabe der Prozessfä- Diese vier Definitionen erleichtern dem Kunden und
higkeitskennzahlen cp und cpk. dem entwickelnden Unternehmen die Kommuni-
kation hinsichtlich der Fragen nach Genauigkeit und
Mit Qualitätsregelkarten werden die Kennwerte Toleranzen des herzustellenden Bauteils.
für die Verteilung der Merkmalswerte laufend über-
wacht. Dazu werden dem Prozess in regelmäßigen Werkzeugeinfluss
Abständen Stichproben entnommen, ausgewertet Das IHU-Werkzeug ist das formgebende Element
und die Kennwerte dokumentiert. Mit diesen Kar- des Prozesses. Es enthält starre formgebende Hohl-
ten lassen sich im Wareneingang auch die Liefer- räume (Werkzeuggravuren) sowie bewegliche Ele-
qualitäten überwachen. mente, die Teile dieser Hohlräume entweder schlie-
ßen oder freigeben (z. B. Stanzstempel, Schieber).
Um frühzeitig auf Änderungen im Prozessablauf Tabelle 5-7. Vergleich der konventionellen mit der IHU-
reagieren zu können, setzt man obere und untere Bauweise eines 6-Zyl.-Abgaskrümmers (nach
Toleranzgrenzen. Wenn die noch davor liegenden Schuler-Handbuch).
Warngrenzen erreicht werden, haben die Überschrei-
tungsanteile zwar noch ein erträgliches Maß. Es be- Einzelheit Konventionelle IHU-Fertigung
Fertigung
steht aber die Gefahr, dass der Prozess noch weiter
abdriftet. Daher werden obere und untere Eingriffs- Anzahl Einzelteile 17 9
Lebensdauer 700 bis 1000 Std. > 1500 Std.
grenzen festgelegt, bei denen der Prozess angehal-
Herstellkosten 100 % 85 %
ten werden muss, um Werkzeuge auszuwechseln Entwicklungszeit 100 % 33 %
oder die Maschineneinstellungen zu korrigieren. Flansch-Art unterschiedlich gleich
Welche Maßnahmen speziell zu treffen sind, ist dem Gewicht 100 % 100 %
Ausschuss 1% < 0,5 %
Prüfplan zu entnehmen.
480 5 Umformen

Die Genauigkeit des Werkzeugs entscheidet über von Formlinienmessungen mit den CAD-Sollda-
die des Bauteils und hängt von folgenden Hauptfak- ten auf, so ist das durch die Rückfederung bedingt.
toren ab: Querschnitte haben etwas engere Toleranzen als
– Güte der CAD-Bauteil- und CNC-Bearbeitungs- Formlinien. Dies gilt besonders für lange, gebogene
daten (Fräsprogramme), IHU-Bauteile. Die Wiederholgenauigkeit ist prinzi-
– Präzision der Bearbeitungsmaschinen und de- piell etwas besser als die Abformgenauigkeit, was
ren Werkzeuge, vorteilhaft für eine stabile Serienfertigung ist. Da-
– Genauigkeit der Montage und der Einpassarbei- mit hat das Innenhochdruckumformen seine Taug-
ten. lichkeit für die Fertigung von Großserien bewiesen.

Unter dem Einfluss von Schließkraft und Innen-


druck verformen sich das Werkzeug und die darin 5.7.6 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
enthaltenen Hohlräume. Das kann Einfluss auf die
Außenkontur des Bauteils haben. Daher sind IHU- Eine Gegenüberstellung des Innenhochdruckum-
Werkzeuge nicht nur auf Dauerfestigkeit, sondern formens mit anderen Verfahren (z. B. Formpres-
auch auf Steifigkeit auszulegen. Die Steifigkeit ei- sen und Verbinden von Blechschalenteilen, Gießen
ner Konstruktion (und damit ihr elastisches Verhal- oder Verbinden gebogener Rohre, Schweißen) muss
ten) hängen von den zwei Faktoren E-Modul des sowohl technische als auch wirtschaftliche Aspekte
verwendeten Konstruktionswerkstoffs und Geome- einbeziehen. Dabei sind auch vorangehende und
triemaße der tragenden Querschnitte ab. nachfolgende Arbeitsschritte sowie die technischen
Eigenschaften des fertigen Bauteils zu beachten,
Beispiele für Messungen und Toleranzen Tabelle 5-7. So kann durchaus eine Fertigung durch
Aus verschiedenen Projekten gibt es Erfahrungen Innenhochdruckumformen für geringe Stückzahlen
über die auftretenden Toleranzen an Querschnitten bei alleiniger Betrachtung der Bauteilkosten unwirt-
und an Längsachsenverläufen von IHU-Bauteilen. schaftlich sein, da die Zykluszeiten relativ lang sind.
So müssen z. B. Strangpressprofile aus Aluminium
kalibriert werden, um die für diesen Werkstoff typi- Bei mittleren und hohen Stückzahlen eines IHU-
schen rückfederungsbedingten Toleranzen zu mini- gerecht ausgelegten Bauteils können die technisch-
mieren. Bei nicht genügender Kaltverfestigung kann wirtschaftlichen Vorteile der Innenhochdruckum-
es zum Einfallen gerader, flacher Querschnittswände formung so gravierend sein, dass andere Herstellver-
auf der Außenseite von Biegungen kommen. Hier fahren ausscheiden.
muss der IHU-Prozess angepasst werden.
Für die Weiterverarbeitung der Teile lassen sich al-
Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: le Fertigungsschritte anführen, die nach dem In-
Vergleicht man Messdaten von IHU-Bauteilen mit nenhochdruck-Umformprozess direkt am Bauteil
den CAD-Solldaten, so erhält man typische Abform- durchgeführt werden. Können die Teile aufgrund
genauigkeiten für ihrer Geometrie oder besonderer Vorgaben nicht
– Querschnitte von ca. 0,15 mm bis 0,50 mm, auf Endmaß gepresst werden, so ist eine Endbear-
– Formlinien von ca. 0,40 mm bis 1,40 mm (rück- beitung notwendig. Dabei kann das Teil gelocht, an-
federungsbedingt). geschnitten oder gebogen werden, sofern dies nicht
bereits beim IHU-Prozess erfolgte.
Beim Vergleich einer größeren Menge vermessener
Bauteile untereinander ergeben sich für die Wieder- Durch Kalibrieren bzw. Anformen lassen sich spe-
holgenauigkeit in der Serienfertigung folgende typi- zielle Konturen an den Rohrenden herstellen. Das
sche Werte: Anbringen von Anbauteilen bzw. der Zusammen-
– Querschnitte ca. 0,10 mm bis 0,20 mm, bau mit verfahrensfremden Komponenten, muss in
– Formlinien ca. 0,15 mm bis 0,35 mm. einem separaten Prozess (meist durch Schweißen)
durchgeführt werden.
IHU-Bauteile zeigen relativ geringe Abweichungen
von den CAD-Solldaten, die sich i. Allg. im Be- Folgende technisch-wirtschaftliche Aspekte der In-
reich von wenigen Zehntel Millimetern bewegen. nenhochdruckumformung können aufgeführt wer-
Treten Abweichungen von > 1 mm beim Vergleich den:
5.7 Innenhochdruckumformen (IHU) 481

– Bauteile mit sehr komplexer Geometrie sind in ein Jahr später wurden für Opel die Ladeluftrohre
einem Stück herstellbar. für die ISUZU-Dieselmotore produziert. Im Okto-
– Durch die einteilige Bauweise entfallen Verbin- ber 2004 konnte eine neue Fertigungslinie für die
dungsschweißnähte. Land Rover Plattform T5 mit Investitionen von rd.
– Der Kalibriervorgang sorgt für eine sehr hohe 28 Mio. € eingeweiht werden, wodurch mehr als 20
Form- und Maßgenauigkeit der Bauteile. neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, Bild 5-124.
– Die Kaltverfestigung macht die Bauteile im All-
gemeinen verwindungssteif (sie federn deutlich
weniger zurück als solche aus verschweißten
Blechschalen).
– Oft ist die Wanddicke des IHU-Bauteils im Ver-
gleich zum Schalen- oder Gussteil geringer (Ef-
fekt der Gewichtseinsparung).
– Im selben Werkzeug können u. U. Rohre mit un-
terschiedlichen Wanddicken und Ausgangs-
durchmessern eingesetzt und erprobt werden
(Optimierung von Gewicht und Festigkeit).
– Bei Abgasanlagen ergibt sich oft ein geringerer
Strömungswiderstand und eine höhere Dauer-
festigkeit.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich durch eine


Bild 5-124
gezielte Gestaltung von IHU-Bauteil und Umform- Vollautomatisierte Fertigungslinie für Leiterrahmen aus un-
prozess sowohl Energie als auch Material einspa- gewöhnlich langen IHU-Bauteilen, sog. Hydro-Frames.
ren lassen. Die Entwicklungs- und Produktionszei- (Werkbild: Finow Automotive GmbH, Eberswalde).
ten können wesentlich verkürzt werden, was insge-
samt zu einer Kostensenkung führt. Bisher war es nur in Nordamerika üblich, die rel.
schweren Geländewagen (SUV) und sog. Light
Trucks auf »Hydroform-Frames« zu setzen. Diese
5.7.7 Fertigungsbeispiele Leiterrahmen bestehen aus ungewöhnlich langen
IHU-Bauteilen. In den USA laufen solche IHU-Rah-
Mit über 5000 Beschäftigten und einem Umsatz von men in großen Stückzahlen (mehrere 100 000 p.a.)
mehr als 2 Mrd. € stellt die Automobilindustrie im vom Band. In Europa dagegen ist dieses Konzept
Raum Berlin-Brandenburg eine Schlüsselbranche »Integrated Body Frame« erstmalig von Finow Au-
dar. Aus einem mittelständischen Fertigungsbetrieb,
der innerhalb von 5 Jahren eine beachtenswerte Er-
folgsgeschichte schrieb, sollen hier einige aktuelle
Beispiele für das Innen-Hochdruck-Umformen (IHU)
aufgeführt werden.

Die Finow Automotive GmbH in Eberswalde hat


sich auf die Entwicklung von rohrförmigen Bautei-
len für die Automobil-Industrie spezialisiert. Dazu
gehören Baugruppen für die Abgas-, Fahrwerk-,
Chassis- und Karosserie-Struktur. Als System-Zulie-
ferer arbeitet das Unternehmen mit ganzheitlichem
Projektmanagement.

Im Jahre 2000 begann man mit der Serienfertigung


Bild 5-125
von Hinterachsschenkeln für den Jaguar X 400 und IHU-Längsträger »Rear« für Land Rover T5-Plattform, Typ
ein Jahr später für den Ford Fiesta. 2002 folgte das Discovery und Range Rover.
IHU-Bauteil Diagonalstrebe für den BMW E 65, (Werkbild: Finow Automotive GmbH, Eberswalde)
482 5 Umformen

tomotive in Eberswalde GmbH als T5-Plattform für 5.8 Gestaltung von


Land Rover (Typ Discovery und Range Rover) ver-
wirklicht worden. Da diese Fahrzeuge bei großzügi-
Umformteilen
ger Dimensionierung möglichst stabil gestaltet wer-
den sollen, ergab sich als Lösung eine selbst tragen- 5.8.1 Allgemeines
de Karosserie, die mit einem stabilisierenden Rah-
men verschraubt wird. Ein sog. Frame-Set besteht Umgeformte Werkstücke sollten in enger Zusammen-
dabei immer aus einem Paar Front-Rails und ei- arbeit zwischen Besteller und Hersteller gestaltet
nem Paar Rear-Rails. Letzteres wiegt 21 kg und ist werden. Der Hersteller kann dann aufgrund seiner
als geteiltes Fertigteil 1955 mm lang bei einem Rohr- Erfahrung die funktionsbedingten Anforderungen
querschnitt von 100 x140 mm. Mit einer Länge von des Bestellers umformtechnisch optimal erfüllen.
ca. 4 m durchläuft der doppelte Längsträger die Pro-
duktionslinie, Bild 5-125. Im Folgenden wird zunächst auf die Herstellung von
Schmiedestücken eingegangen. Es liegt im Interes-
Als Vormaterial wird ein Präzisionsstahlrohr nach se des Kunden und des Herstellers, dass die Schmie-
ASTM 513 (Werkstoff AISI 1008) mit den Maßen destückzeichnung unter Beachtung der nachstehen-
135 Ø x 3,2 x 4 500 mm verwendet. Bei der Weiter- den DIN-Normen angefertigt wird:
verarbeitung muss besondere Sorgfalt beim Schmier- – DIN EN 10031: Halbzeug zum Schmieden –
mittelauftrag aufgewendet werden. Die Rohroberflä- Grenzabmaße, Formtoleranzen und Grenzab-
che muss völlig sauber und trocken und das Material weichungen der Masse, 6/2003.
vorgewärmt sein. Erst nach dem Waschen, Spülen – DIN EN 10243: Gesenkschmiedeteile aus Stahl
und Erwärmen kommt das Rohteil in die Sprühka- – Maßtoleranzen – Teil 1: Warm hergestellt in
bine. In der Vorformpresse erhält das bereits vorge- Hämmern und Senkrecht-Pressen, 6/2000.
bogene Werkstück seine genaue geometrische Form – DIN EN 10243, Berichtigung 1: Gesenkschmiede-
für die Aufnahme im IHU-Werkzeug, Bild 5-126. teile aus Stahl – Maßtoleranzen.
Teil 1: Warm hergestellt in Hämmern und Senk-
Die voll automatisierte Fertigungslinie besteht also recht-Pressen, 7/2005.
aus der Vorformpresse, der Prüfeinrichtung, der – DIN EN 10243, Berichtigung 2: Gesenkschmiede-
IHU-Presse und der Vorrichtung für den Beschnitt teile aus Stahl – Maßtoleranzen.
der Rohrenden. Teil 1: Warm hergestellt in Hämmern und Senk-
recht-Pressen, 12/2007.
In 4 Laser-Zellen werden danach die Aussparun- – DIN 7527-1: Schmiedestücke aus Stahl; Bear-
gen, Bohrungen und Vierkantlöcher in den Fahr- beitungszugaben und zulässige Abweichungen
werkträger eingebracht. Nach der Endkontrolle wer- für freiformgeschmiedete Scheiben, 10/1971.
den die Fertigteile konserviert und verpackt.
Für die Herstellung von Freiformschmiedeteilen sind
u. a. folgende DIN-Normen zu beachten:
– DIN EN 586: Aluminium und Aluminiumlegie-
rungen – Schmiedestücke.
Teil 2: Mechanische Eigenschaften und zusätz-
liche Eigenschaftsanforderungen, 11/1994.
– DIN EN 586: Aluminium und Aluminiumlegie-
rungen – Schmiedestücke, 2/2002.
Teil 3: Grenzabmaße und Formtoleranzen.
– DIN 7523-2: Schmiedestücke aus Stahl; Gestal-
tung von Gesenkschmiedestücken; Bearbeitungs-
zugaben, Seitenschrägen, Kantenrundungen,
Hohlkehlen, Bodendicken, Wanddicken, Rippen-
breiten und Rippenkopfradien, 9/1986.
Bild 5-126
IHU-Werkzeug mit Abdichtstempel zur Herstellung von Fahr- – VG 81237: Stäbe, Profile, Formschmiedestücke,
werkträgern (Werkbild: Finow Automotive GmbH, Ebers- nahtlos gewalzte Ringe aus nichtmagnetisierba-
walde). ren Stählen – Technische Spezifikation, 12/2005.
5.8 Gestaltung für das Umformen 483

5.8.2 Gestaltung von Gestaltung


Gesenkschmiedestücken unzweckmäßig zweckmäßig

Bild 5-127
Lage und Verlauf der Gesenkteilung sind mitbe-
stimmend für Anzahl, Größe, Form und Kosten der
Umformwerkzeuge. Vorteilhaft ist i. Allg. eine Teil-
fuge in halber Höhe des Gesenkschmiedestücks,
besonders dann, wenn es in Bezug auf die Gesenk-
teilung symmetrisch ist:
– Die für die Aushebeschrägen benötigte Werk-
stoffmenge ist so am kleinsten, dadurch ist der
Aufwand bei einer spanenden Bearbeitung am Bild 5-127
geringsten,
– der Versatz ist leichter zu erkennen,
– die Werkzeugherstellung ist durch die Verwen-
dung nur eines Modells für die Herstellung bei-
der Gesenkhälften billiger.

Bild 5-128
Zur Verbesserung des Werkstoffflusses kann eine
andere Lage der Gesenkteilung besser sein. Dies ist
z. B. der Fall, wenn hohe enge Gravurräume aus-
gefüllt werden müssen, wie z. B. bei ringförmigen
Schmiedestücken größerer Höhe und bei U-förmi-
gen Querschnitten. Bild 5-128

Bild 5-129
Die Teilung des Gesenks unmittelbar an einer Stirn-
fläche ist möglichst zu vermeiden, da die Gratnaht
dort das leichte Erkennen von Versatz verhindert
und das Abgraten erschwert. Bild 5-129

Bild 5-130
Unterschneidungen nach Möglichkeit vermeiden,
da das Werkstück aus einem einteiligen Werkzeug
nicht ausgehoben werden kann. In unvermeidbaren
Fällen sind teure, geteilte Werkzeuge einzusetzen. Bild 5-130
484 5 Umformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-131
Es werden drei Grundformen der Gesenkteilung
unterschieden:
– eben,
– symmetrisch gekröpft, symmetrisch gekröpft
– unsymmetrisch gekröpft. eben

Bei der ebenen Gesenkteilung ist der Herstellungs-


aufwand des Werkzeugs am geringsten. Auch schmie-
unsymmetrisch gekröpft
detechnisch ist die ebene Gesenkteilung vorteilhaft,
da die Neigung zum Versatz gering ist. Bild 5-131

Bild 5-132
Die Neigung der Kröpfungen sollte nicht zu steil
sein. Bei zu kleinem Winkel a zwischen Gratnaht
und Umformrichtung besteht die Gefahr, dass der
Grat nicht glatt geschnitten, sondern abgequetscht
wird. Bild 5-132

Bild 5-133

Gesenke mit unsymmetrisch gekröpfter Teilung er-


fordern einen noch höheren Herstellungsaufwand.
Um den zulässigen Versatz einhalten zu können,
müssen sie ein Widerlager erhalten, das die auftre-
tenden Schubkräfte aufnimmt. Dadurch werden die
Gesenkblockabmessungen noch größer als bei ver-
gleichbaren Gesenken mit symmetrischer Teilung. Bild 5-133

l1

l2 b1

Versatz Versatz b2
Bild 5-134
Beim Festlegen der Teilung muss auch der Versatz
am Schmiedestück berücksichtigt werden. Nach
DIN EN 10243-1 ist der zulässige Versatz nicht in
die zulässigen Maßabweichungen einbezogen, son-
dern gilt unabhängig und zusätzlich zu diesen. Dies
muss beim Bemaßen von Gesenkschmiedestücken,
Versatz
besonders von spanend zu bearbeitenden Flächen,
berücksichtigt werden. Bild 5-134
5.8 Gestaltung für das Umformen 485

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-135
Beim Hohlfließpressen entsteht ein Versatz durch
das Verlaufen des Pressstempels. Er ist um so grö-
ßer, je kleiner das Verhältnis Durchmesser zu Län-
ge der Innenform ist.

Versatz

Bild 5-135

Umformrichtung
nur unter bestimmten
Voraussetzungen schmiedbar Innenflächen

Außenflächen
Bild 5-136
Um Stahlschmiedestücke aus aus dem Gesenk he-
ben zu können, müssen ihre in Umformrichtung lie-
genden Flächen eine ausreichende Neigung aufwei-
sen. Richtwerte für Stahl sind in DIN 7523-2 ange-
geben. Bild 5-136

Bild 5-137
Durch die zweckmäßige Wahl der Gesenkteilung
bzw. der Lage der Hauptachsen des Schmiedestücks
zur Gesenkteilung kann der Konstrukteur bestim-
men, an welchen Flächen Seitenschrägen vorgese-
hen werden müssen. Sie werden zweckmäßigerwei-
se an Flächen gelegt, wo sie auch am Fertigteil nicht
stören, oder an Flächen, die bearbeitet werden müs-
sen. Bild 5-137

zylindrischer Schaft mit


Schaft Seitenschrägen

Bild 5-138
Durch die Veränderung der Gesenkteilung kann
sich der Werkzeug- und Fertigungsaufwand sowohl
verringern als auch erhöhen. Bei diesem Beispiel Gesenkherstellung Gesenkherstellung
durch Fräsen durch Drehen
erzielt man eine Verringerung der Werkzeugkosten
durch eine andere Gesenkteilung. Bild 5-138
486 5 Umformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-139
Eine Verringerung des Aufwandes beim Fertigbe-
arbeiten ergibt sich in diesem Beispiel durch die
Wahl einer vorteilhaften Gesenkteilung (Vermei-
den von Schrägen).

Bild 5-139
Schlagrichtung Schlagrichtung

Bild 5-140
Durch eine sinnvolle Führung der Gratnaht – auf- Stich

gezeigt an zwei Beispielen – können Stichbildun-


gen vermieden werden. Stiche sind Stellen, an de-
nen Werkstoff aus zwei Richtungen gegeneinander-
fließt, ohne dass es zu einer Verbindung kommt. Bild 5-140

Bild 5-141 scharfe Übergänge fließende Übergänge


Der Werkstoff setzt dem Umformen in den Gesen-
scharfe Kanten gerundete Kanten
ken Widerstand entgegen, der besonders dann zu-
nimmt, wenn der Werkstoff scharfe Kanten umflie-
ßen oder tiefe, enge Gravurteile ausfüllen muss. Da-
her müssen ausreichende Kantenrundungen und
Hohlkehlen vorgesehen werden (DIN 7523-2). Bild 5-141

Radius zu klein Radius ausreichend

Bild 5-142
Bei zu kleinen Rundungen von Hohlkehlen entste-
hen Schmiedefehler (Stiche, Bild 5-140). Bild 5-142
<R

>R
3

Bild 5-143
Enge Hohlräume und schmale, hohe Rippen und
Stege erschweren das Eindringen des Werkstoffs
30

30

infolge schnellerer Abkühlung und des dadurch be-


>R

dingten Anstiegs seiner Festigkeit. Daher sollen Rip-


<R

6
6

pen und Stege eine gedrungene Querschnittsform


erhalten. Um das Fließen zu erleichtern, sollen sie
große Hohlkehlen am Übergang in den Schmiede- < 7° > 7°
stückkörper aufweisen. Mindestwerte für die Wand-
und Rippendicke enthält DIN 7523-2. Bild 5-143
5.8 Gestaltung für das Umformen 487

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-144
Bei der Gestaltung von Querschnittsübergängen sol-
len Rundungshalbmesser stets so groß gewählt wer-
den, wie es ohne Nachteile für die Funktionsei-
genschaften des Werkstücks möglich ist.

A B

Schnitt A - B

Bild 5-144

Bild 5-145 u. 5-146


Durch Prägen erzielt man bei einzelnen Maßen klei- Bild 5-145
nere Toleranzen und eine hohe Oberflächengüte, so
dass in vielen Fällen auf eine spanende Bearbeitung
verzichtet werden kann. Maßprägeflächen sollen ge-
genüber den angrenzenden Formelementen erhaben
sein. Um die erforderlichen Presskräfte klein zu hal-
ten, werden die notwendigen Flächen durch vertiefte
Formelemente verkleinert. Bild 5-146

Bild 5-147
Die Schwierigkeit, schräge Flächen anzubohren,
lässt sich dadurch umgehen, dass man eine rechtwink-
lig zur Bohrerachse stehende Tasche oder einen ent-
sprechenden Ansatz vorsieht. Bild 5-147
488 5 Umformen

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-148
Ausgleich für
Bearbeitungszugaben für die Stirnflächen langer Schwindmaßabweichungen
Schmiedestücke müssen wegen des unterschiedli-
chen Schwindens ausreichend bemessen werden.
Aus diesem Grund sollte man Augen, Zapfen oder
Nocken, die bearbeitet werden sollen, oval ausbil-
den. Bei langen Hebeln mit Augen an beiden En- 220
den sollte nur eines mit vorgeschmiedetem Loch,
das andere hingegen massiv ausgeführt werden.

Bild 5-148

Bild 5-149
Werkstoffanhäufungen sind besonders gefährlich,
wenn von ihnen Partien mit geringerem Querschnitt
im Winkel zueinander ausgehen. Bei diesem Win-
kelhebel ist die Gratform beim 1., 2. und 3. Schlag
durch strichpunktierte und ausgezogene Linien an-
gedeutet. Links erkennt man, dass die beiden Grat-
lappen übereinanderfließen, und dass sich beim drit-
ten Schlag ein Stich bis in das Werkstück hin-
einschiebt. Durch eine konstruktive Änderung der
Hebelform (rechtes Bild) wird der Stich außerhalb
des Schmiedestücks gehalten. Bild 5-149

5.8.3 Gestaltung von Tiefziehteilen

Bild 5-150 x = 2,0


Komplizierte Teile und asymmetrische Grundfor-
men sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Auf nor-
malen Werkzeugmaschinen leicht zu fertigende Um-
risslinien sind anzustreben. Die Herstellkosten für
verschiedene Werkzeugformen können mit dem x = 1,9
x = 1,0
Kostenfaktor x abgeschätzt werden. (x 2 bedeutet
z. B. doppelt so große Werkzeug-Herstellkosten wie
x 1) Bild 5-150
DSt

Bild 5-151 de
n
r Bo
Runde Böden sind schwieriger durch Tiefziehen her-
zustellen als ebene mit genügend großer Boden-
rundung. Die günstigste Bodenrundung (rBoden) ent-
spricht dem 0,15fachen Stempeldurchmesser DSt. Bild 5-151
5.8 Gestaltung für das Umformen 489

Gestaltung
unzweckmäßig zweckmäßig
Bild 5-152
Tiefe Teile mit breitem Flansch erfordern einen gro-
ßen Rondendurchmesser sowie große und teure
Werkzeuge. Es kann sehr viel wirtschaftlicher sein,
den Flansch nachträglich anzubringen.

Bild 5-152

Bild 5-153
d

h
Die Höhen ausgezogener Vertiefungen, Augen oder
Stutzen sind niedrig zu halten (h ≤ 0,3 d) und sol-

h
° 0°
len mit möglichst großer Schräge und großen Ra- 90 14
dien ausgeführt werden. Sie sind dann meist in ei-
nem Zug zu fertigen. Bild 5-153

Bild 5-154
Senkrechte Zargen sind billiger als Kegelflächen.
Eine Außenrolle ist leichter als eine Innenrolle zu
fertigen. Bild 5-154

Bild 5-155
Teile mit Hinterschneidungen sind nicht ziehbar. In
diesen Fällen ist das Werkstück so zu teilen, dass
einfache Grundformen entstehen. Bild 5-155

Bild 5-156
Ebene Verschalungsbleche mit Randbördel neigen
eher zu Verwerfungen als leicht gewölbte Blechfor-
men. Bild 5-156
Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum 491

Ergänzendes und weiterführendes Schrifttum

Abschnitt 5.1 bis 5.6

Billigmann, J., u. H.-D. Feldmann: Stauchen und DIN EN 10002: Metallische Werkstoffe – Zugver-
Pressen. München: Carl Hanser Verlag 1973. such.
Buchmayr, B.: Werkstoff- und Produktionstechnik Teil 1: Prüfverfahren bei Raumtemperatur, 12/
mit Mathcad. Modellierung und Simulation in 2001.
Anwendungsbeispielen. Springer-Verlag Berlin, DIN EN 10111: Kontinuierlich warmgewalztes Band
Heidelberg, New York 2002. und Blech aus weichen Stählen zum Kaltumfor-
Dahl, W., R. Kopp, O. Pawelski: Umformtechnik, men – Technische Lieferbedingungen, 6/2008.
Plastomechanik und Werkstoffkunde. Düsseldorf: DIN EN 12420: Kupfer- und Kupferlegierungen –
Verlag Stahleisen und Springer-Verlag, Berlin Schmiedestücke, 3/1999.
1993.
DIN EN 10243, Berichtigung 1: Gesenkschmiede-
DIN 1547-1: Hartmetall-Ziehsteine und -Ziehringe;
Begriffe, Bezeichnung, Kennzeichnung, 7/1969 teile aus Stahl – Maßtoleranzen.
Teil 1: Warm hergestellt in Hämmern und Senk-
DIN 7523-2: Schmiedestücke aus Stahl; Gestaltung recht-Pressen; Berichtigungen zu DIN EN 10243-1:
von Gesenkschmiedestücken; Bearbeitungszuga- 6/2000; 7/2005.
ben, Seitenschrägen, Kantenrundungen, Hohlkeh- Teil 2, Berichtigung 1: Warm hergestellt in Waa-
len, Bodendicken, Wanddicken, Rippenbreiten gerecht-Stauchmaschinen, 7/2005.
und Rippenkopfradien, 9/1986.
DIN EN ISO 20482: Metallische Werkstoffe – Ble-
DIN 8580: Fertigungsverfahren – Begriffe, Eintei-
che und Bänder – Tiefungsversuch nach Erich-
lung, 9/2003.
sen, 12/2003.
DIN 8582: Fertigungsverfahren Umformen – Ein-
ordnung; Unterteilung, Begriffe, Alphabetische Doege, E., u. a.: Tiefziehen auf einfach und doppelt
Übersicht, 9/2003. wirkenden Karosseriepressen unter Berücksich-
tigung des Gelenkantriebs. Werkstatt u. Betrieb
DIN 8583: Fertigungsverfahren Druckumformen.
104 (1971), S. 737/47.
Teil 1: Allgemeines; Einordnung, Unterteilung,
Begriffe, 9/2003. Flimm, J.: Spanlose Formgebung, 7. Aufl. München
Teil 2: Walzen; Einordnung, Unterteilung, Be- Wien: Hanser 1996.
griffe, 9/2003. Fritz, A. H. u. Chr. Wagner: Herstellung von bio-
DIN 8584: Fertigungsverfahren Zugdruckumformen. kompatiblen Implantaten durch Massivumfor-
Teil 1: Allgemeines; Einordnung, Unterteilung, mung. Tagungsband XIX Verform. Kolloquium,
Begriffe, 9/2003. Montanuniversität Leoben, 2000.
DIN 8586: Fertigungsverfahren Biegeumformen – Fritz, A. H., H. Gattinger, K. Peters u. a.: Herstel-
Einordnung, Unterteilung, Begriffe, 9/2003. lung von Grobblech, Warmbreitband und Fein-
DIN 8587: Fertigungsverfahren Schubumformen blech. Düsseldorf: Verlag Stahleisen 1976.
– Einordnung, Unterteilung, Begriffe, 9/2003. Grote, K-H., J. Feldhusen (Hrsg.): Dubbel Taschen-
DIN EN 586: Aluminium und Aluminiumlegierun- buch für den Maschinenbau. 21. Aufl. Berlin, Hei-
gen – Schmiedestücke. delberg, New York: Springer-Verlag 2005.
Teil 2: Mechanische Eigenschaften und zusätzli-
che Eigenschaftsanforderungen, 11/1994. Grüning, K: Umformtechnik. Braunschweig, Wies-
baden: Verlag Vieweg & Sohn 1982.
DIN EN 923: Klebstoffe – Benennungen und De-
¿nitionen, 6/2008. Handbuch der Umformtechnik. Firmenschrift. Schu-
DIN 65033: Luft- und Raumfahrt; Schmiedestücke ler GmbH (Hrsg.). Berlin, Heidelberg, New York:
aus Aluminium- und Magnesium-Legierungen; Springer-Verlag 1996.
Technische Lieferbedingungen; Nicht für Neu- König, W., u. F. Klocke: Fertigungsverfahren. Bd.
konstruktionen von Schmiedestücken aus Alu- 5. Blechumformung, 3. Aufl. Berlin, Heidelberg,
minium-Legierungen, 8/1990. New York: Springer-Verlag 1995.
492 5 Umformen

Kohtz, D.: Werkstoffbehandlung metallischer Werk- Abschnitt 5.7


stoffe: Grundlagen und Verfahren. Düsseldorf.
VDI-Verlag 1994. Birkert, A. R. u. R. Sünkel: Hydroforming: Umfor-
Lange, K.: Umformtechnik. Handbuch für Indus- men mit Wirkmedien im Automobilbau. Verlag
Moderne Industrie, Landsberg 2002.
trie und Wissenschaft.
Bd. 1: Grundlagen. Böhm, A.: Hydroforming – Zukünftige Verfahren
Bd. 2: Massivumformung. zur Herstellung von IHU-Ausgangsteilen. Pro-
ceedings Inno-Meeting EuroBlech. Hannover
Bd. 3: Blechumformung.
2000.
Bd. 4: Sonderverfahren, Prozesssimulation. Ber-
Cherek, H., F.-U. Leitloff u. M. Prier: Innenhoch-
lin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag 1984,
druck-Umformen – Eine Technologie für die Zu-
1988, 1990.
kunft. UKD-Kolloquium, TU Darmstadt 2003.
Oehler, G., u. F. Kaiser: Schnitt-, Stanz- und Zieh- Leitloff, F.-U: Die Fertigungslinie für die Längsträ-
werkzeuge. 6. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York: ger der LandRover T5-Plattform. EFB-Kolloqui-
Springer-Verlag 1973. um, Prag, Februar 2005.
Pawelski, O., W. Rasp, u. W. Wengenroth: Advan- Malle, K: Aufweiten – Stauchen – Expandieren,
ced Technology of Plasticity. Vol. III, Proc. of VDI-Z 137 (1995) 9.
6th ICPT, Sept. 1999, S. 1753/1762. Schmied, D. u. a.: Produktionsorganisation mit
Panknin, W., u. A. H. Fritz: Der Einfluß einer Um- Qualitätsmanagement und Produktpolitik, 2. Aufl.
kehr der Verformungsrichtung auf die Formän- Verlag Europa Lehrmittel, Haan-Gruiten, 2002.
derungsfestigkeit von metallischen Werkstoffen. Schuler GmbH (Hrsg.): Handbuch der Umform-
Draht 18 (1967) Nr. 1, S. 1/6. technik. Berlin, Heidelberg, New York: Springer-
Verlag 1996.
Rasp, W., A. Yusupov: A Newly Developed Upper-
Bound Approach for Calculating the Width Flow Siegert, K. (Hrsg.): Hydroumformung. Internat.
in Hot Rolling. Steel Research International 76 Konf., Stuttgart-Fellbach. MAT INFO Werkstoff-
Informationsges. mbH, Frankfurt/Main 1999.
(2005), H. 2/3, S. 99/105.
Schal, W. (Hrsg.): Fertigungstechnik 2., 7. Aufl.
Hamburg: Verlag Handwerk u. Technik 1995.
Schwenzfeier, W.: Walzwerwktechnik. Berlin, Hei-
delberg, New York: Springer-Verlag 1979.
Siegert, K.: Umformen. In: Betriebshütte 7. Aufl.
Bd. 1. Berlin, Heidelberg, New York: Springer-
Verlag 1996.
Siegert, K. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der
Blechumformung. MAT INFO Werkstoff-Infor-
mationsges. mbH, Frankfurt/Main 2002.
Spur, G., u. T. Stöferle: Handbuch der Fertigungs-
technik. München, Wien: Carl Hanser Verl. 1980.
Tschätsch, H: Praxiswissen Umformtechnik: Ar-
beitsverfahren, Maschinen, Werkzeuge. Wiesba-
den: Vieweg Verlag 1997.
Wagner, C., u. A. H. Fritz: Walzenwechselvorrich-
tungen aus technischer und wirtschaftlicher Sicht.
Stahl u. Eisen 95 (1975) Nr. 5, S. 188/94.
VG 81237: Stäbe, Profile, Formschmiedestücke,
nahtlos gewalzte Ringe aus nichtmagnetisier-
baren Stählen – Technische Spezifikation, 3/1996.

Das könnte Ihnen auch gefallen