Thomas Grass und Dietrich Demus
ANTON STADLER, WOLFGANG AMADEUS MOZART, KV 622, KV 581
UND MUSIK FÜR DIE BASSETTKLARINETTE
Während des 11. Symposiums der
Deutschen Klarinettengesellschaft
2018 in Düsseldorf wurde von Thomas
Grass der Prototyp eines einfachen,
relativ preiswerten Bassettunter-
stücks für die A-Klarinette ausge-
stellt (Abb. 1), eine Stachelhalterung
aus Aluminium/Carbon für das Spiel
im Sitzen, und neue Bassett-Editi-
onen von Mozarts Klarinettenkonzert
KV 622 und dem Klarinettenquintett
KV 581, den Genrewerken für die
Bassettklarinette.
Die Bassettklarinette ist schon seit län-
gerer Zeit Gegenstand musikwissen-
schaftlicher Untersuchungen.1,2,3,4 Aber
erst in der Zusammenschau mit neu kom-
ponierter Musik und der beginnenden
Entdeckung historischer Literatur, nicht
zuletzt durch die bedeutende Publikati-
on von Harald Strebel5, spricht Einiges für
ein Revival eines der seltensten Klarinet-
teninstrumente. Dazu beitragen wird auch
Pamela Poulins lang erwartetes Buch über
den Mozart-Klarinettisten Anton Stadler.6
Bisher wurden weltweit etwa 200 Kompo-
sitionen und Arrangements erfasst.7
1
Poulin, Pamela, The Basset Clarinet of An-
ton Stadler and its Music, Master of Arts Thesis,
University of Rochester, New York 1976 (online)
2 Rice, Albert R., »The Basset Clarinet: Instru-
ments, Makers and Patents«, in: L. Libin (ed.),
Instrumental Odyssey: A Tribute to Herbert Hey-
de, Hilldale, New York, S. 157–178. Pendragon
Press 2016.
3 Lawson, Colin, »The Basset Clarinet Revived«,
in: Early Music (November 1987), S. 487–500.
4 Ders., Mozart: Clarinet Concerto, Cambridge
University Press, 1996.
5 Strebel, Harald, Anton Stadler: Wirken und
Lebensumfeld des Mozart-Klarinettisten, Wien:
Hollitzer, 2016.
6 Poulin, Pamela, In the Footsteps of Mozart‘s
Clarinetist Anton Stadler, Pendragon Press. Im
Druck. Persönliche Mitteilung A. Rice 2018.
7 Anforderung per email: thomasgrass@
web.de
rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4
Mozarts Klarinettenkonzert KV 622
Am 7.10.1791, freitags um halb 11 Uhr
nachts, schrieb Mozart an Constanze:
»…Nun meinen Lebenslauf;– gleich nach
Deiner Abseeglung Spielte ich mit Hr:
von Mozart/: der die Oper beim Schika-
neder geschrieben hat:/ 2 Parthien Billard.
— dann verkauffte ich um 14 Duckaten
meinen kleper. — dann liess ich mir durch
Joseph den Primus rufen und schwar-
zen koffé hollen, wobey ich eine herrliche
Pfeiffe toback schmauchte; dann Instru-
mentirte ich fast das ganze Rondò vom
Stadtler...«.8
Die erste und bis zum Jahr 1802 einzige
auf Programmzetteln nachgewiesene Auf-
führung des Konzerts fand am 5.3.1794 in
Riga während der Europatournee durch
Anton Stadler statt. Während die gängige
Lesart aufzeigt, die erste Aufführung sei
am 16.10.1791 im Prager Nationaltheater
erfolgt,4 etwa acht Tage nach Beendigung
der Komposition, wird dies neuerdings
wegen logistischer und zeitlicher Inkom-
patibilität zumindest für fraglich5 oder für
nicht durchführbar gehalten.
Das Winterthur-Fragment
Das Mozartsche Autograph, ursprünglich
im Besitz Anton Stadlers, ist verschollen.
Als »Winterthur-Fragment« KV 621b ist ei-
ne autographe Skizze des Beginns des er-
sten Satzes erhalten.
Alan Tyson schränkt durch die Analyse
von Wasserzeichen (WZ) des verwende-
ten Papiers9 Entstehungszeiträume ein.
8 Müller von Asow, Erich H., Briefe und Auf-
zeichnungen Wolfgang Amadeus Mozarts.
Zweiter Teil. Familienbriefwechsel aus den Jah-
ren 1780–1891. Berlin: Metzner, 1942.
9 Neue Mozart-Ausgabe: Serie X, Supplement,
Werkgruppe 33, Dokumentation der auto-
Abb. 1: Beispiel eines mechanisch einfa-
graphen Überlieferung. Abteilung 2: Wasserzei-
chen-Katalog von Alan Tyson, 2 Bände, Kassel: chen Bassettunterstücks für eine Oehler-
Bärenreiter, 1992. A-Klarinette (Leitner & Kraus 2016).
151

Die Blätter 1 bis 6 zeigen das WZ Nr. 5510,
die Blätter 7 bis 12 das WZ Nr. 8211. Zeit-
licher Treffpunkt beider von Mozart simul-
tan verwendeter Papiersorten ist das Jahr
1787, der wahrscheinlichste Entstehungs-
zeitraum von KV 621b.
199 Takte sind auf 24 Seiten notiert. Die
Takte 1 bis 179 stehen in G-Dur, sind für
ein Bassetthorn in G bestimmt und in
einem Zug niedergeschrieben. Von Takt
180 an fährt Mozart mit einer spitzeren
Feder und dunklerer Tinte fort. Wie aus
der Bassstimme hervorgeht, skizzierte er
die restlichen 20 Takte für eine Bassettkla-
rinette in A.
Das seltene Bassetthorn in G kannte Mo-
zart durch die Logenbrüder und Klarinet-
tisten Anton David und Vincent Springer,
die sich bis Ende 1785 in Wien aufhielten.
Pamela Weston hat gute Argumente, Vin-
cent Springer als den ursprünglichen Wid-
mungsträger anzunehmen.12
Warum sollte Stadler nicht in einem Ge-
spräch mit Mozart bei der gemeinsamen
Durchsicht des Winterthur-Fragments ein
leichter zu bedienendes Instrument für
den virtuosen ersten Satz vorgeschlagen
haben? Die Komposition des zweiten und
dritten Satzes ist später, vielleicht nach
dem Erfolg des Quintetts KV 581, entstan-
den. Es war vermutlich Anton Stadler, der
den Instrumentenwechsel angeregt hat,
denn die Erfordernisse von KV 621b spra-
chen für ein äußerst bewegliches und mit
brillantem Ton versehenes Instrument.
Stadlers Klarinetten
Im September 1791 besaß Anton Stadler
neben verschiedenen Sopranklarinetten,
wohl corps-de-rechange-Instrumente mit
Wechelstücken für B-A und H-C Stim-
mungen, eine B-Bassettklarinette mit
tief-d und -c sowie eine A-Bassettkla-
rinette5 und ein F-Bassetthorn mit tief-es,
10 Diese Papiersorte wurde von Mozart in Salz-
burg oder München 1780 oder 1781 verwendet.
Später benutzte er sie in Wien 1784 bzw. 1786
und 1787 sowie wahrscheinlich nicht später als
1788. Nach Tyson kommt für KV 621b der Zeit-
raum von 1787–1788 in Betracht. S. Anm. 9.
11 Mozart benutzte das Papier erstmals Ende
1785 in Wien. Nach Tyson kommt für KV 621b
der Zeitraum von 1785, 1786, 1787 und 1791
infrage. S. Anm. 9.
12 Weston, Pamela, »Vorläufer des Mozart-
schen Klarinettenkonzerts. Das Konzert-Frag-
ment KV 621b für Stadler oder Springer?«, in:
Rohrblatt 17/2 (2002), S. 64–66.
152
-d, -cis und -c.13 Das von Lotz und Stadler
gebaute Bassetthorn war von der Bauform
her der technische Vorläufer der Stadler-
schen Bassettklarinette, wurde im zeitge-
nössischen Wien jedoch abgesehen von
Opern-Obligati nicht als Soloinstrument
verwendet, im Gegensatz zum zeitgleichen
Soloeinsatz in der höfischen Musik Prags.
Die Bassettklarinette besitzt einen oder
mehrere zusätzliche Töne unterhalb des
tiefsten Tons der Normalklarinette tief-e,
mindestens jedoch tief-d. Sie wird in den
Stimmungen A und höher gebaut. Heu-
te wird am häufigsten für die A-Bassett-
klarinette komponiert. Das B-Bassett-
instrument wurde besonders im zeitge-
nössischen Wien bei Opern-Obligati, Kla-
rinettenkonzerten (z. B. von J. W. Michl, J.
Woelfl) und vermutlich auch bei Klarinet-
ten-Doppelkonzerten, die Anton Stadler
zusammen mit seinem Bruder Johann auf-
führte, eingesetzt.
Durch die verlängerte Tonröhre ist der
Klang der Bassettklarinette weicher und
etwas gedeckter, füllig bis stark im mittel-
tiefen Chalumeau- und Bassettregister
und etwas weniger hell in der hohen La-
ge als die Normalklarinette. Ihr regulärer
Tonumfang geht von notiert tief-c bis c4
und höher.
Die Bauform des vom Wiener k. k. Hof-In-
strumentenmachers Theodor Lotz zusam-
men mit Anton Stadler hergestellten In-
struments war seinerzeit äußerst modern:
ein gestreckter Korpus mit einer langen,
gebogenen Birne aus Holz. Die Stürze, der
untere Schallaustritt, war eher fass- als ku-
gelförmig, mit mehreren Schallaustritts-
öffnungen versehen, mit Ringen verziert
und so im rechten Winkel an den Korpus
angesetzt, dass sie nach hinten ragt. Damit
konnte Stadler das Instrument bequem
zwischen die Knie nehmen, um sicheren
Halt beim Greifen der tiefen Bassetttö-
ne zu erhalten, da er dafür einen freien
rechten Daumen benötigte, der normaler-
weise das Instrument hält. Dieselbe Instru-
mentenform ist bei Bassetthörnern des
Wiener Herstellers J. F. Hammig erhalten.5
Werner Breig und Heike Fricke vermuten,
dass der Begriff »Inventions Clarinette« ein
13 Mozart verwendete bereits 1784 F-Bassett-
hörner in der Gran Partita mit tief-c, -d und –es
sowie 1783 in den Notturni zusätzlich tief-cis.
Für die Ausführungen war ein Instrument mit
Bassettchromatik erforderlich.
Thomas Grass und Dietrich Demus
corps-de-rechange-Instrument mit einem
Wechselstück meint, in Analogie des Wort-
gebrauchs bei Inventions-Hörnern und In-
ventions-Trompeten. Eine solche, anonym
um 1800 gebaute A-Bassettklarinette, de-
ren B-Wechselstück verloren ging, wird
im Berliner Musikinstrumentenmuseum
SIMPK (Kat. Nr. 2886) aufbewahrt.14
Durch ein in den unteren Teil des Korpus
gebohrtes seitliches Resonanztonloch war
bei Stadlers sämtlichen Bassettinstru-
menten durch Abdecken mit dem Knie als
tiefster Ton sogar ein notiertes Großes H
spielbar. Diese Technik wird bis heute ver-
wendet.15 In Franz Xaver Süßmayrs Oper
Der Wildfang (UA 1797 Wien) wurde die
mehrfache Verwendung dieses Tons durch
Anton Stadler in der Arie Nr. 16 »Wenn das
mindeste Verbrechen« mit obligatem Bas-
setthorn nachgewiesen16 und von Hanno
Fendt ediert.17
Der Begriff Bassettklarinette
Der Begriff Bassettklarinette wurde erst-
mals in J. F. von Schönfelds Jahrbuch 1796
verwendet, der die musikalischen Fähigkei-
ten der Gebrüder Stadler beschrieb.18 Ge-
baut wurden Bassettklarinetten u. a. von
Bischoff/Darmstadt, Ziegler/Wien, Scholl/
Wien, Lotz/Wien, Strobach/Carlsbad, Ei-
senbrand/Göttingen, Peuckert/Breslau und
Larshof/Copenhagen.19 Auch Simiot/Lyon
hat Klarinetten bis tief-d hergestellt.20
Mindestens elf historische Instrumente
sind erhalten. Die ältesten Instrumente
14 Breig, Werner und Fricke, Heike, »Studien zu
Mozarts Klarinettenquintett KV 581«, in: Mo-
zart-Studien 15, Tutzing 2006, S. 179–215.
15 Persönliche Mitteilung Martin Bewersdorff
2018. Bedingt durch eine längere Bauform ent-
steht bei einigen modernen Bassetthörnern
durch Abdecken des Resonanztonlochs ein
Großes B.
16 Harlow, Martin, »The Clarinet in Works of
Franz Xaver Süßmayr (1766–1803): Anton
Stadler and the Mozart Example«, in: Acta Mo-
zartiana 57 (2010), S. 147–165.
17 F. X. Süßmayr, Larghetto und Allegro »Wenn
das mindeste Verbrechen« aus der Oper Der
Wildfang für Sopran, Bassetthorn (Klarinette)
und Klavier, hrsg. v. Hanno Fendt, Edition Bas-
setto (2014). Bei Harlow (Anm. 16) wird diese
Arie als »Was pocht mein Herz« bezeichnet.
18 Kalker, Johan van, Die Geschichte der Kla-
rinetten, Oberems: Verlag Textilwerkstatt, 1997,
S. 153.
19 Grass, Thomas und Dietrich Demus, Das
Bassetthorn, 2. Aufl., Norderstedt: BOD, 2004
20 Persönliche Mitteilung Jean Jeltsch 2018.
rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4
Musik für die Bassettklarinette
stammen von Mayrhofer/Passau und ano-
nymen Herstellern, deren Instrumente in
Londoner und Pariser Museen erhalten
sind und um 1770 datiert werden.3,4,5,19
Wie das Bassetthorn ist auch die Bassett-
klarinette zeitnah von 1770 bis 1795 an
unterschiedlichen Orten, in unterschied-
lichen Bauformen, unter verschiedenen
Bezeichnungen (Baß=Klarinette, Inven-
tions Clarinette, Clarinet d’amour) und in
unterschiedlichen Stimmungen (A, B, C)
mehrfach »erfunden« worden. Auch heu-
te existieren verschiedene Bauformen ne-
beneinander: solche mit einem gestreck-
ten Korpus unterschiedlicher Länge und
einer Klarinettenstürze, solche nach his-
torischem Vorbild mit einem am unteren
Ende geknickten Korpus und einer Ku-
gelstürze, sowie historische Kopien aus
Buchsbaum.
Das erste Bassettklarinettenkonzert
Aufschluss über das erste Bassett-
klarinettenkonzert gibt eine Wiener
Konzertanzeige:
»Heute Mittwoch den 20ten Februar 1788
wird im Kais.-Königl. National=Hof=Thea-
ter Herr Stadler der ältere, Klarinettist, in
wirklichen Diensten Sr. Majestät des Kai-
sers, die Ehre haben in einer großen mu-
sikalischen Akademie zu seinem Vortheile
auszuführen (…):
2) wird Herr Stadler ein Konzert auf der
Baß=Klarinet spielen (…)
4) Spielt Herr Stadler eine Variazion auf
der Baß=Klarinet; einem Instrument von
einer neuen Erfindung, und Verfertigung
des k. k. Hof=Instrumentenmachers, The-
odor Loz; dieses Instrument hat zwey tie-
fe Töne mehr, als die gewöhnliche Klarinet
(…)«3
Das Programm stellt die erste Erwähnung
und das erste datierte Konzert auf einer
Bassettklarinette dar, gespielt wahrschein-
lich auf einem Instrument in B-Stimmung
und den Bassetttönen d und c. Außerdem
datiert das Programm das erste Solostück
auf einer Klarinette allein. Das erwähnte
Konzert auf der Baß=Klarinette gibt Rät-
sel auf, da der Komponist nicht genannt
wird und das Werk verschollen ist. Oft
spielte Anton Stadler ein selbst kompo-
niertes B-Bassettklarinettenkonzert.21
21
A. Stadler spielte ein eigenes B-Bassettkla-
rinettenkonzert 1794/Riga, 1794/Hamburg und
1801/Wien sowie 1788 und 1796 eines ohne
rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4
Es könnte sich auch um das Konzert des
deutschen Komponisten Joseph Willibald
Michl (1745–1816) handeln, dessen erhal-
tene Wiener Abschrift in fünf Kadenzen
und Eingängen fremder Hand tief-d und
–c enthält22 und heute das älteste erhal-
tene Konzert für eine Bassettklarinette
darstellt.
Das Stadler-Quintett KV 581
Am 29.9.1789 schrieb W. A. Mozart in
sein Werkverzeichnis: »Ein Quintett á 1
clarinetto, 2 violini, viola e violoncello«.
Die Uraufführung erfolgte in der Wie-
ner Tonkünstler-Sozietät am 22.12.1789
durch Anton Stadler und seine A-Bassett-
klarinette. Die zweite nachgewiesene Auf-
führung fand im Hause Antonio Salieris
am 28.8.1800 in Wien statt.5 Rekonstruk-
tionsmöglichkeiten des verschollenen Mo-
zartschen Autographs geben u a. Werner
Breig und Heike Fricke.14
Mozart begann zwischen 1790 und 1791
zwei weitere Quintette zu komponieren,
darunter das heute als »Allegro in B« KV
516c bekannte Fragment für eine B-Bas-
settklarinette und Streicher. Ursprüng-
lich war es eine weiter ausgeführte oder
vollendete Komposition, weil das Auto-
graph am Ende einer komplett beschrie-
benen Seite abbricht, als seien die nach-
folgenden Seiten verloren gegangen. Die-
ser Satz wurde von Duncan Druce ergänzt
und von Tony Turrill zu einem viersätzigen
Quintett erweitert.23
Das »Rondo in A« KV 581a ist ein Fragment
für eine A-Bassettklarinette und Strei-
cher. Beide Fragmente sind nach Duncan
Druce keine Probierstücke, sondern Nach-
folger von KV 581 (Vorwort zum Quintett,
s. Anm. 23).
Die Bassettklarinette in Wien
Für den Spieler eines neu erfundenen In-
struments gibt es mehrere Möglichkeiten,
sich Literatur zu beschaffen. Er arbeitet Abb. 2: Bassettklarinette in C von Os-
Komponistennennung, s. Anm. 5, vielleicht das- kar Adler, Markneukirchen, 1. Hälfte 20.
selbe Werk. Jahrhundert. Musikinstrumenten-Muse-
22 Es entstand ca. 1782–1784 in B-Dur und wird
um Berlin SIMPK, Kat.-Nr. 5493. Dieses
im Thematischen Katalog von Breitkopf geführt.
Instrument ist vermutlich eine Spezial-
Abschrift in der österreichischen Nationalbibli-
othek Wien (A-Wn, Mus. Hs. 5856), s. Anm. 5. anfertigung für einen Musiker, der nicht
23 W. A. Mozart, Quintet in Bb for Basset Cla- transponieren und außerdem eine grund-
rinet & String Quartet mit alternativer Stimme tönige, in die Tiefe erweiterte Klarinet-
für eine B-Klarinette. Drei zusätzliche Sätze aus
te spielen wollte (aus: »Faszination Kla-
KV 589 und KV 464. Norvik Music, Thirsk (1998).
http://www.norvikwindmusic.co.uk/html/bb_ rinette«, Hrsg. v. Conny Restle und Heike
quintet.html Fricke, München: Prestel, 2004, S. 113).
153
 Thomas Grass und Dietrich Demus

Abb. 3: Die erste bekannte Oehler-A-Bassettklarinette des 20. Jahrhunderts, die 1966 für
den Musikliebhaber Wilhelm Rey/Münster, gebaut wurde. Das Oberstück mit Holzknick-
birne stammt von R. Müller/Bremen, das Unterstück, die Metallbirne und die Stürze von
Rud. Trejdal/Prag. W. Rey verwendete einen langen Stahlstachel für das Spiel im Sitzen
(Sammlung M. Rey/Regensburg).

selbst geeignete, ältere Kompositionen um
oder fügt Kadenzen hinzu, er komponiert
selbst, er erteilt Auftragskompositionen,
oder es kommt zu einer entsprechenden
Widmung. Diese Möglichkeiten wurden
von Anton Stadler genutzt.
Am 8.10.1791 schrieb Mozart an Constan-
ze in Baden: »… treibe den Süßmayr daß er
für Stadler schreibt, denn er hat mich sehr
darum gebeten«.8
Das von Süßmayr komponierte Konzert für
eine A-Bassettklarinette entstand in di-
rekter Nachfolge von Mozarts KV 622 mit
deutlichen Anklängen an das Mozartsche
Vorbild und an die Vorlieben A. Stadlers.
Süßmayr verwendete kantable Melodien,
Registerkontraste, Arpeggien und Skalen
über den gesamten Tonumfang des Instru-
ments von notiert tief-c bis c4. Es wurde
von A. Stadler in Riga am 5.3.1794 in ei-
ner »tour de force« zusammen mit KV 622,
»Parto, parto« und 8 Variationen für eine
unbegleitete Klarinette uraufgeführt (5). E.
Duda nimmt an, daß es in allen Sätzen voll-
endet war. Heute sind zwei Fragmente des
ersten Satzes erhalten, die von E. Busch-
mann und M. Freyhan für die A-Klarinette Abb. 4: Beispiel einer vollausgestatteten
ergänzt wurden.5,16 Marc Naylor hat ein A-Bassettklarinette bis tief-c für das Oeh-
dreisätziges Konzert für die A-Bassettkla- ler-System (Leitner & Kraus 2018). Bas-
rinette durch Hinzufügen zweier Sätze aus settklarinetten für das Oehler-System
derselben Sammlung wie die Bassettfrag- werden u. a. von W. Dietz, M. Foag, F.
mente aus der British Library London re- Hammerschmidt, O. Hammerschmidt, G.
konstruiert.24 Meinel, Schwenk & Seggelke, G. Wolf und
H. Wurlitzer hergestellt, z. T. auch Unter-
24 Persönliche Mitteilung Marc Naylor 2018. stückbau für Fremdfabrikate.

154 rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4

Musik für die Bassettklarinette
Abb. 5: Beispiel für eine vollausgestattete
Boehm-A-Bassettklarinette bis Groß H.
Ein ursprünglich gestrecktes Instrument
von Leblanc wurde von Martinelli & Co
(USA) umgebaut.Die Gestalt gleicht dem
Instrument Stadlers, das Klappenwerk ist
modern. Instrument und Foto: Marc Nay-
lor, England.
rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4
Die Bassettklarinette erlebte von 1788 bis
ca. 1803 ihre erste kurze Blütezeit, be-
sonders in Wien. 1796 von seiner Euro-
pa-Tournee zurückgekehrt, erfährt Anton
Stadler den größten Aufschwung seines
bisherigen Musikerlebens. Er spielte 1796
das Konzert von Joseph Woelfl25 und 1797
»ein neues Konzert von der Erfindung des
Herrn Kapellmeisters Cartellieri auf zwey
Klarinetten«, das als Handschrift in Prag
nachgewiesen wurde.26 1798 schreibt
Joseph Eybler ein Konzert B-Dur, das
1802 dreimal vom Bruder Johann gespielt
wurde.5 Ein weiteres, heute verschollenes
Doppelkonzert für zwei Klarinetten war
von den Gebrüdern Stadler bereits am
19.9.1790 in Wien aufgeführt worden.5
In Wien entstanden zu Lebzeiten von An-
ton und Johann Stadler weitere Solokon-
zerte, Doppelkonzerte und Kammermu-
sik in unterschiedlichsten Besetzungen,
die möglicherweise den Stadler-Brüdern
gewidmet oder von ihnen in Auftrag ge-
geben wurden (von G .C. Wagenseil, J. B.
Vanhal, L. Kozeluch, P. Wranitzky, A. Eberl,
A. Hoffmeister).5 Gerade bei Hoffmeister
finden sich virtuose Werke, welche frag-
los für Könner vom Schlag der Gebrüder
Stadler geschrieben worden sein könnten,
etwa zwei konzertante Sinfonien für zwei
Klarinetten, ein Konzert für zwei Klarinet-
ten und die Klarinettenkonzerte Nr. 2 und
Nr. 3 – alle in Hoffmeisters Wiener Zeit vor
1800 entstanden.5 Auch bei Hoffmeisters
zweiter Quartett-Serie für Klarinette und
Streichtrio fallen ungewöhnlich virtuose
Passagen auf.5
Unklar ist, ob und welche dieser Werke
Anton Stadler mit seinen Bassettklarinet-
ten gespielt hat. Er liebte den Klang dieser
Instrumente und spielte während seiner
Europa-Tournee fast nur auf ihnen und
seinem Bassetthorn. Es ist anzunehmen,
dass er aus rein klanglichen Gründen sei-
ne Bassettklarinetten der normalen B- und
A-Klarinette vorzog.
25 Das Konzert steht in B-Dur, der Mittelsatz in
Es-Dur. Es wurde für die B-Klarinette geschrie-
ben. Der Schwierigkeitsgrad der Solopartie ist
sehr hoch (mehrfach bis g3) und ist auch auf
der modernen Klarinette eine Herausforderung
(persönliche Mitteilung Dr. H. Dechant 2018).
Verlag Apollon Musikoffizin OHG. Nach Martin
Bewersdorff und Harald Strebel (s. Anm. 5) ist
es ein B-Bassettklarinettenkonzert.
26 Nr.1 Concerto pour deux Clarinettes par Car-
tellieri, Prag, Archiv des Konservatoriums, = CZ-
Pk Sig. 512, s. Anm. 5.
1806 erfährt Anton Stadler durch das Auf-
treten des Klarinettisten Vincent Springer
in Wien von einer moderneren, »kaum ge-
bogenen« Bassettklarinettenform des Her-
stellers Peuckert/Breslau.5 1809 erfährt
er auch von den innovativen Versuchen
Iwan Müllers zusammen mit dem Wiener
Instrumentenbauer Merklein, die zu einer
geradezu sprunghaften Weiterentwick-
lung der Klarinette führen sollten.5 A. Gy-
rowetz schrieb: »Man kann auf dieser Kla-
rinette, ohne die Stücke zu wechseln, aus
allen Tonarten leicht und sicher spielen.«
Die Klappenzahl erhöhte sich von 6 auf 13,
Filzpolster wurden durch Lederpolster er-
setzt, und die Befestigung des Blattes mit-
tels einer Schnur wurde durch eine Metall-
blattschraube ersetzt.5
Die Bassettklarinette in Wiener Opern
In der Arie des Ferrando Nr. 24 »Ah lo veg-
gio« aus Cosi fan tutte, dessen Urauffüh-
rung am 26.1.1790 stattfand, verwendete
Mozart die B-Bassettklarinette. Im Sep-
tember 1791 komponierte er für sie solis-
tisch in der Oper Titus. Die Arie Nr. 9 »Par-
to, parto« aus dem ersten Akt mit obliga-
ter B-Bassettklarinette wurde von Anton
Stadler 113 mal gespielt sowie auch von
seinem Bruder Johann.5,27
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit
Stadlers mit Mozart wurde später mit
Süßmayr fortgesetzt.16 Für Stadler kom-
ponierte Süßmayr Arien mit obligater Kla-
rinette, so in »Die Freiwilligen«, in der Kan-
tate »Der Retter in Gefahr« (1796) und in
»Soliman der Zweite« (1799). Die Notation
der Bassetttöne tief-d und –c erfolgte ei-
ne Oktave höher, so dass die Stimme auch
von einer normalen B-Klarinette gespielt
werden konnte. Im Kontext stimmig ist je-
doch die nicht notierte tiefe Fassung, die
Anton Stadler auch gespielt hat.16 Es ist
möglich, dass andere Komponisten, z. B.
Antonio Cartellieri in seinem 2. Klarinet-
tenkonzert5, gleichartig verfahren sind.
In der Oper Sargino von Ferdinando Paer
(UA 1803) ist die Arie »Una voce al cor mi
parla« mit obligater Klarinette versehen.
Anton Stadler hat diese Arie bis ins Jahr
1809 auf seinem B-Bassettinstrument ge-
spielt.5,27
27 Rice, Albert R., »The Repertoire for Voice,
Clarinet, and Orchestra or Piano, ca. 1780–
1888«, in: The Clarinet, (Juni 2018), S. 2–9.
155

Neue Kompositionen
für Bassettklarinette
Für die moderne Bassettklarinette wird
seit etwa 1990 zunehmend komponiert.
Viele historische Werke liegen nur als
Handschrift vor oder sind verschollen. In
dem im Internet aufrufbaren »Musik-Ka-
talog für Bassetthorn und Bassettklarinet-
te«28 sind 177 Werke und Arrangements
angeführt. Seitdem sind weitere Kompo-
sitionen und Arrangements angefordert
und erfasst worden. Eine ausführliche Li-
ste kann als PDF angefordert werden.7
Neue Rekonstruktionen von Mozarts
KV 622 und KV 581 von Thomas Grass
Nicht endende Rekonstruktionsmöglich-
keiten sind Mozarts KV 581 und KV 622
immanent und verstärken die Einzigartig-
keit jeder Aufführung. Es liegen mehrere
Rekonstruktionen und Alternativfassun-
gen von KV 62229 und KV 58130 vor.
28 Grass, Thomas und Dietrich Demus, Mu-
sik-Katalog für Bassetthorn und Bassettkla-
rinette, Stand 17.3.2017, online-Katalog www.
bassetti-paletti.de/News.html, als CD s. Anm. 7.
156
Die neue KV 622-Edition für die A-Bas-
settklarinette versucht eine Rekonstrukti-
on der tiefen Melodieebene als ossia-Form
in einem Notensystem mit für den Solisten
auswählbaren Spielfassungen. Die von der
Bassettfassung ausgehende Reformaus-
gabe von KV 622 für die A-Klarinette hat
das Ziel, so wenige Noten wie erforderlich
zu verändern und bietet z. T. Tonalternati-
ven unterhalb der Oktavierung, im Gegen-
satz zur flächigen Transpositionstechnik
des Bearbeiters der heute noch gängigen
Erstausgaben von 1802. Mit dieser mini-
mal-change-Technik wird eine Verbesse-
rung, aber keine vollständige Wiederher-
stellung der tiefen Melodieebene erreicht.
Die neue KV 581-Edition für die A-Bassett-
29 U. a. von: J. Kratochvìl/Prag; H. Deinzer/
Hannover; E. Hess (für HR Stalder 1968); P.
Weston/ Universal Edition Wien 1996; F. Gieg-
ling/Bärenreiter Verlag Kassel; A. Hacker/Schott
Mainz; C. Neidich/Verlag Lauren Keiser; Wiese/
Schulze/Verlag Henle; R. Wehle und S. Meyer/
Schott Mainz 2015.
30 U. a. von: G. Dazeley; J. Kratochvíl (1956);
W. Breig/Breitkopf & Härtel Wiesbaden; A. Ha-
cker/Norvik Music Thirsk England 1999; H. Jä-
gemann/Darmstadt; E. F. Schmid/ NMA Bären-
reiter Verlag Kassel.
Thomas Grass und Dietrich Demus
klarinette ist ebenfalls nach der minimal-
change-Technik ausgeführt. Ein Anhang
zeigt weitere Spielmöglichkeiten auf. Die
vielen aufgezeigten Varianten ergaben
überraschenderweise in etwa gleich ho-
he Verwendungsfreiheiten bei KV 581 und
KV 622. Die Ausgaben sind Prof. Wolfgang
Meyer gewidmet und wurden von Jan Wil-
lems als Broschur gedruckt.31 Freiexem-
plare sind beim Autor erhältlich.7 Heute
bauen viele Hersteller komplette A-Bas-
settklarinetten oder Unterstücke für das
Oehler-System32 sowie für das Boehm-
System.33 Möge der Artikel und die Musik-
literatur das Interesse für die Bassettkla-
rinette mit ihrem einzigartigen, schönen
Klang wecken und zu ihrer weiteren Ver-
breitung beitragen. •
31 Willems Music Productions, Email: noten-
satz@jan-willems.de
32 U. a. die Hersteller F. Hammerschmidt, W.
Mack, O. Hammerschmidt, M. Foag, G. Meinel,
W. Dietz, Schwenk & Seggelke, H. Wurlitzer und
Leitner & Kraus, G. Wolf. Unterstückbau teilwei-
se auch für Fremdfabrikate.
33 U. a. Buffet-Crampon, Stephen Fox, Guy
Chaddash, Leblanc, Selmer, Guy Cowley Clarinets.
rohrblatt · 33 (2018) · Heft 4
Title: Anton Stadler, Wolfgang Amadeus Mozart, KV 622, KV 581 und Musik für die Bassettklarinette

Author(s)/Editor(s): Thomas Grass, and Dietrich Demus

Source: 'rohrblatt: Die Zeitschrift für Oboe, Klarinette, Fagott und Saxophon 33/4 (Dezember 2018) 151–156) 151–156

ISSN: 0944-0291

e-ISSN: 0000-0000

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