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Geschichte

KLAUSUR
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Nationalsozialismus
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Reichstagsrede des SPD-Abgeordneten Otto Wels zum „Ermächtigungsgesetz“ am 23.


März 1933 in der Berliner Kroll-Oper

[…] Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird
billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte
Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehr-
heit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu
regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Kritik ist heilsam und notwendig.
Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegen-
heiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt
geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche
Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungs-
freiheit entbehrt.

Meine Damen und Herren! Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in kras-
sen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was mei-
ne Partei betrifft, so erkläre ich hier: wir haben weder in Paris, um Intervention gebeten, noch Millionen
nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht. Solchen Übertreibun-
gen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inlande eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres
vom Falschen unterscheidet. Noch besser wäre es, wenn wir mit gutem Gewissen bezeugen können,
dass die volle Rechtssicherheit für alle wiederhergestellt sei. Das, meine Herren, liegt bei Ihnen.
Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von Ihnen entfesselte Bewegung eine
nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialis-
mus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die
seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch
bleiben wird […].

Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein
Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der
Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht. Vergeblich wird der Versuch bleiben, das
Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsa-
chen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache
Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische
Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren.
Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen

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des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deut-
schen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen
der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsge-
setz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich
ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch
aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.
Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit
und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine
hellere Zukunft.

Zitiert nach: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Geschichte 1933-1945. Dokumente zur Innen- und
Außenpolitik, Frankfurt am Main 1993, S. 24-25.

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Aufgabe 1: Analysiere die vorliegende Quelle und erläutere Wels‘ zentrale Thesen!
Aufgabe 2: Ordne die Quelle in den historischen Kontext ein!
Aufgabe 3: Beurteile, welche Rolle das „Ermächtigungsgesetz“ für den Aufstieg der NS-Diktatur und
Verfolgung der Sozialdemokraten gespielt hat!

Die nächsten Seiten beinhalten die Erwartungs-


horizonte. Aufgaben erst lösen, dann überprüfen.

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Aufgabe 1: Erwartungshorizont

Autor: Otto Wels (SPD-Abgeordneter und Parteivorsitzender)


Textart: Politische Rede
Quellenart: historische Quelle (Rede vor dem Reichstag)

Adressaten: Publikum im Reichstag, politisch-interessierte Öffentlichkeit


Anlass: Verfolgung und Ausschaltung politischer Parteien durch das „Ermächtigungsgesetz“;
Aushebelung des Parlaments; Zerstörung der Demokratie
Thema: Die Stellung der SPD zum „Ermächtigungsgesetz“
Intention: Kritik und Ablehnung des „Ermächtigungsgesetzes“, Solidarität mit politisch Verfolgten
Zentrale Thesen von Wels:
- Wahlen vom 5. März 1933 erbrachten für die NSDAP zwar parlamentarische Mehrheit,
jedoch sei Kritik notwendiges Mittel der Demokratie
- Ausschaltung politischer Gegner durch das „Ermächtigungsgesetz“
- NSDAP-Parteidiktatur; fehlende Rechtssicherheit, keine freie Presse mehr
- Verfolgungen und Verhaftungen von SPD-Mitgliedern und Gewerkschaften
- SPD im Gegensatz zur NSDAP die einzig wahre sozialistische Partei
- Appell an das Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes
- Bezug zum Sozialistengesetz: Keine Schwächung, sondern Stärkung der SPD
- Solidarität mit den Verfolgten
Stilistische Merkmale: Entschlossene Wortwahl; häufige Wiederholung des „Wir“

Die vorliegende Quelle ist eine am 23. März 1933 vom SPD-Abgeordneten und
Parteivorsitzenden Otto Wels in der Berliner Kroll-Oper (Reichstag) gehaltene politische
Rede zum „Ermächtigungsgesetz“. Dabei sprach er vor den Mitgliedern des Reichstages und
wendete sich an eine politisch-interessierte Öffentlichkeit, um auf die Zerstörung der
parlamentarischen Demokratie durch die NSDAP hinzuweisen und die Haltung der SPD zum
„Ermächtigungsgesetz“ zu demonstrieren.

Otto Wels zeigt sich in seiner politischen Rede als klarer Gegner des
„Ermächtigungsgesetzes“. Er bezieht sich zu Beginn der Quelle auf die Reichstagswahlen
vom 5. März 1933. Seiner Ansicht nach hätte die NSDAP dabei zwar die parlamentarische
Mehrheit erhalten, jedoch müsse eine Opposition als legitimes Mittel der Demokratie
weiterhin vorhanden sein. Wels kritisiert die Ausschaltung politischer Gegner durch das
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„Ermächtigungsgesetz“ und behauptet, dass es diese Form der Parteidiktatur im Deutschen


Reich bislang nie gegeben habe. Diese sei davon geprägt, dass sich die Regierung immer
autoritärer zeige und demokratische Elemente wie Rechtssicherheit und freie Presse nicht
mehr gewährleistet seien. Als Beispiel für die Zerstörung der Demokratie nennt Wels die
Verfolgung von SPD-Politikern und Gewerkschaftsmitgliedern. Im weiteren Verlauf seiner
Rede nimmt Wels Stellung zum angeblich „sozialistischen“ Charakter der NSDAP.
Diesbezüglich behauptet Wels, dass die SPD die einzig wahre Trägerin sozialistischer Ideen
sei und bleiben werde. Die NSDAP mache hingegen nur den „Anschein“ einer solchen Partei.
Wels beginnt seine Sätze in diesem Abschnitt häufig mit dem Wort „Wir“ und betont auf
diese Weise die Stärke und Größe der Sozialdemokraten. Im letzten Teil seiner Rede
appelliert Wels an das Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes und betont die
Grundelemente eines Rechtsstaates. Mit einem Vergleich auf das Sozialistengesetz in Zeiten
des Kaiserreichs will Wels die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die SPD durch das
„Ermächtigungsgesetz“ nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgehen werde.
Abschließend wendet sich Wels solidarisch an die politisch Verfolgten und zeigt sich als
entschlossener Gegner der NSDAP.

Aufgabe 2: Erwartungshorizont:

Einordnung in den historischen Kontext: Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ im


Reichstag am 23. März 1933
„Machtergreifung“ der NSDAP: Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, Reichstagsbrand,
Notverordnungen, Tag von Potsdam
Verfolgung & Verhaftung von SPD-Mitgliedern/Gewerkschaften und Kommunisten
Reichstagsbrandverordnung: Einschränkung von Freiheits- und Grundrechten, Gewalt
gegen politische Gegner, Zerstörung der Demokratie
Reichstagswahlen vom 5. März 1933: NSDAP als stärkste Partei gewählt; keine absolute
Mehrheit, sondern Koalition mit der DNVP
Situation der SPD: noch zweitstärkste Partei im Reichstags; jedoch durch zunehmende
Verfolgung und politischen Terror geschwächt
Haltung der SPD als Oppositionspartei gegen die Regierung
Politische Erfolge der SPD in der Weimarer Republik: Einführung von Rechtsgleichheit,
soziales Arbeitsrecht, Eröffnung der hohen Politik für alle Bürger
SPD als langjähriger politischer Träger in der Weimarer Republik
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Bekenntnis zu den Grundsätzen der Menschlichkeit, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit

Die vom SPD-Parteivorsitzenden Otto Wels im Reichstag gehaltene Rede fand am Tag der
Durchsetzung des „Ermächtigungsgesetzes“ am 23. März 1933 statt. Dies war eines von
mehreren Ereignissen, die die Weimarer Demokratie aushebelten und schließlich zur
Errichtung der NS-Diktatur führten. Der Prozess der nationalsozialistischen
„Machtergreifung“ begann mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. In
den folgenden Wochen wurden die Freiheits- und Grundrechte der Verfassung schrittweise
außer Kraft gesetzt. Einen entscheidenden Einschnitt markierte der Reichstagsbrand am 27.
Februar 1933, für den die NSDAP die Kommunisten verantwortlich machte. Durch die einen
Tag später erlassene Reichstagsbrandverordnung führte die Regierung Nordverordnungen
ein, mit denen Gewalt gegen politische Gegner wie Sozialdemokraten und Kommunisten
legitimiert werden konnten. Auf den Reichstagwahlen am 5. März erhielt die NSDAP zwar die
parlamentarische Mehrheit, war jedoch auf eine Koalitionsregierung mit der DNVP
angewiesen. Die alleinige Herrschaft war auf diese Weise noch nicht möglich. Die SPD war zu
diesem Zeitpunkt noch die zweitstärkste Partei im Reichstag, wurde jedoch durch die
zunehmenden Verfolgungen ihrer Mitglieder entschieden geschwächt. Die SPD übernahm in
diesem Zeitraum die Rolle als Oppositionspartei und stützte sich auf ihre politischen Erfolge
in der Weimarer Republik. Dazu gehörten unter anderem die Einführung von
Rechtsgleichheit, Freiheits- und Grundrechte sowie soziale Gerechtigkeit. Demzufolge waren
die Sozialdemokraten langjährige Träger des politischen Systems der Weimarer Republik und
stützten sich auf die Elemente der Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit. Auf diese
Weise zeigt sich Otto Wels in seiner Rede als entschlossener Gegner der NSDAP und beruft
sich auf die oben genannten Errungenschaften seiner Partei.

3. Aufgabe: Erwartungshorizont

Bedeutung des „Ermächtigungsgesetzes“ für den Aufstieg der NS-Diktatur und


Ausschaltung der SPD
Ausschaltung politischer Parteien; Aushebelung des Parlaments als freie Willensbildung
Einzig die SPD stimmt gegen das „Ermächtigungsgesetz“, alle anderen Parteien stimmen
zu; Kommunisten sind zu diesem Zeitpunkte bereits ausgeschaltet
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Begeisterung der Massen durch die NSDAP; Das „Zähmungskonzept“ bürgerlicher Parteien
scheitert; unter Hitler kommt es zur Errichtung der NS-Diktatur
Notverordnungen als legitimierte Grundgesetze ab 1933

Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 führte in Deutschland zum endgültigen
Bruch der parlamentarischen Demokratie. Mit diesem Gesetz wurde die Ausschaltung
politischer Regierungsgegner legitimiert. Auf diese Weise wurde das Parlament als Ort der
Meinungsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt stimmte einzig die SPD
gegen die Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ und zeigte sich somit als
entschlossene Oppositionspartei. Ihre Bedeutung als Gegner der Nationalsozialisten wird
dadurch bestärkt, dass politische Gegner bereits Verfolgungen und Verhaftungen durch die
NSDAP ausgesetzt waren. Die Kommunisten waren schon vor der Abstimmung am 23. März
1933 als politische Partei ausgeschaltet worden. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien
zeigten sich die Sozialdemokraten von der Gewalt der NSDAP unbeeindruckt und setzten
sich weiterhin für ihre politischen Grundsätze ein. Der Aufstieg der NSDAP wurde zum einen
dadurch ermöglicht, dass sie die Massen in schwierigen politischen und wirtschaftlichen
Zeiten begeistern und politische Gegner mithilfe der SA gewaltsam einschüchtern konnte.
Darüber hinaus war das von den bürgerlichen Parteien geplante „Zähmungskonzept“, mit
dem sie die Nationalsozialisten in der Regierung von wichtigen politischen Ämtern
fernhalten wollten, von großer Bedeutung. Da dieses aufgrund der Notverordnungen
scheiterte und Hitler als Reichskanzler eine zunehmende Autorität gewann, wurde die
Errichtung der NS-Diktatur begünstigt. Auf diese Weise dienten die
Reichstagsbrandverordnung und das „Ermächtigungsgesetz“ als legitimierte Mittel für die
Ausschaltung der Demokratie.

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