Leitthema
Anaesthesist 2017 · 66:5–10
DOI 10.1007/s00101-016-0246-4
Online publiziert: 19. Dezember 2016
© Springer Medizin Verlag Berlin 2016
Die Klassifikation der American So-
ciety of Anesthesiologists (ASA-
Klassifikation) ist eine weitverbrei-
tete Einteilung von Patienten, die
sowohl in der klinischen Routine
als auch in wissenschaftlichen Un-
tersuchungen zu perioperativer
Morbidität und Letalität zum Einsatz
kommt. Ein Problem bei der Verwen-
dung der ASA-Klassifikation ist die
Subjektivität der Beurteilung, die
sich in nur geringer Übereinstim-
mung bei der Anwendung durch
verschiedener Untersucher äußert.
Dies mag u. a. daran liegen, dass in
der aktuellen Literatur uneinheit-
liche Definitionen der ASA-Klassen
existieren.
Hintergrund
Die „American Society of Anesthesiolo-
gists Physical Status (ASA PS) Classifica-
tion“, im Deutschen häufig nur als ASA-
Klassifikation bezeichnet, teilt Patienten
nach ihren Erkrankungen in 5 Grup-
pen ein. Diese Einteilung war anfäng-
lich lediglich als Beschreibung des phy-
sischen Zustands der Patienten unter Be-
rücksichtigung ihrer Erkrankungen kon-
zipiert [23]. In der Folge zeigten jedoch
zahlreiche Studien, dass die ASA-Klassi-
fikation gut mit dem perioperativen Ri-
siko korreliert [7, 12]. Kürzlich ist die bis
dato größte Studie mit knapp 2,3 Mio.
Patienten publiziert worden, die erneut
den prognostischen Stellenwert der ASA-
Klassifikation für die perioperative Mor-
bidität und Letalität eindrücklich belegen
konnte. Die Dreißigtagesterblichkeit war
mit steigendem ASA-Status deutlich er-
höht. Es zeigte sich eine Zunahme der
„odds ratios“ (OR; 95 %-Konfidenzinter-
T. Irlbeck · B. Zwißler · A. Bauer
Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum der Universität München (LMU), München, Deutschland
ASA-Klassifikation
Wandel im Laufe der Zeit und Darstellung in
der Literatur
vall, 95 %-KI) für die perioperative Le-
talität von OR 6 (95 %-KI 4–8) bei ASA-
Klasse 2 über OR 47 (95 %-KI 33–67)
bei ASA-Klasse 3 und OR 293 (95 %-KI
205–417) bei ASA-Klasse 4 bis hin zu
OR 2011 (95 %-KI 1403–2885) bei ASA-
Klasse 5 [15].
Im Kerndatensatz der Deutschen Ge-
sellschaft für Anästhesiologie und Inten-
sivmedizin (DGAI) wird für allen Patien-
ten, die von Anästhesisten betreut wer-
den, die Einstufung in eine ASA-Klasse
gefordert. Daher gehört die ASA-Klassi-
fikation für jeden klinisch tätigen Anäs-
thesisten zum täglichen Handwerkszeug.
Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass
die Definitionen der ASA-Klassifikation
in der deutschsprachigen, aber auch an-
gloamerikanischen Literatur uneinheit-
lich dargestellt und daher auch unter-
schiedlich benutzt werden.
Dies ist insbesondere deshalb ein in-
akzeptabler Zustand, da die ASA-Klassi-
fikation in Zukunft eine wohl noch be-
deutendere Rolle spielen wird. Sie ist
wichtiger Bestandteil eines neuen kardia-
len Risiko-Scores, der im Rahmen des
„American College of Surgeons Natio-
nal Surgical Quality Improvement Pro-
grams“ (ACS-NSQIP) in den USA vali-
diertund 2011 publiziertwurde [14]. Die-
ser Score wird in den aktuellen europä-
ischen Leitlinien zur perioperativen Be-
urteilung und Behandlung kardiovasku-
lärer Risikopatienten für nichtherzchir-
urgische Eingriffe als Klasse-I-Empfeh-
lung für die kardiale präoperative Risi-
kostratifizierung empfohlen [19]. In ei-
ner Studie mit über 210.000 Patienten
aus der Datenbank des ACS-NSQIP wur-
den 5 Risikofaktoren für einen periope-
rativen Myokardinfarkt oder Herz-Kreis-
lauf-Stillstand identifiziert und ein Risi-
komodel validiert. Neben der Art des chi-
rurgischen Eingriffs waren das Alter und
die möglicherweise bestehende Pflegebe-
dürftigkeit der Patienten, der präoperati-
ve Serum-Kreatinin-Spiegel und eben die
ASA-Klasse die entscheidenden Deter-
minanten für das perioperative kardiale
Risiko [14]. Die korrekte Gruppierung
bezüglich des ASA-Status ist hierbei es-
senziell.
Entstehung und Entwicklung
Präoperativer Gesundheitszustand
als Grundstein
Der Grundstein für die ASA-Klassifika-
tion wurde 1940 gelegt, als ein Komi-
tee der damals noch sogenannten Ame-
rican Society of Anesthetists beauftragt
wurde, ein Gerüst für eine systematische
statistische Datenerhebung in der Anäs-
thesie zu entwickeln. Der multifaktori-
elle Charakter des „operativen Risikos“
wurde hierbei diskutiert und bereits auf
die Bedeutung des spezifischen Eingriffs,
aber auch auf die Rolle des individuellen
Operateurs und Anästhesisten bezüglich
der perioperativen Morbidität und Le-
talität verwiesen. Die Anästhesisten Sa-
klad, Rovenstine und Taylor konzentrier-
ten sich daher auf eine Gruppierung der
Patienten bezüglich ihrer Vorerkrankun-
gen und der akuten, zur Operation füh-
renden Erkrankung. Saklad bezeichnete
dies als „physical state“ [23]. Ziel war
es hierbei, eine einfache und gut repro-
duzierbare Klassifikation der Patienten
bezüglich ihrer präoperativen körperli-
chen Verfassung zu schaffen, mit deren
Hilfe die wissenschaftliche Aufarbeitung
des perioperativen Risikos in Abhängig-
keit von eingriffs- und anästhesiespezifi-
Der Anaesthesist 1 · 2017 5
 Leitthema

Tab. 1 ASA-Klassifikation „Physical State“ (körperliche Verfassung) von 1941. (Nach Saklad et al. [23])
Class Definition
1 No organic pathology or no systemic disturbance
(Keine organische Erkrankung oder keine systemische Störung)
2 Moderate but definite systemic disturbance
(Mäßiggradige, aber eindeutige systemische Störung)
3 Severe systemic disturbance
(Schwere systemische Störung)
4 Life-threatening disease regardless of the type of treatment
(Lebensbedrohliche Erkrankung, ungeachtet der Behandlungsform)
5 Emergency surgery in patients otherwise class 1 or 2
(Notoperation bei Patienten, die ansonsten Klasse 1 oder 2 zuzuord-
nen wären)
6 Emergency surgery in patients otherwise class 3 or 4
Notoperation bei Patienten, die ansonsten Klasse 3 oder 4 zuzuord-
nen wären
7a A moribund patient, not expected to survive 24 h with or without
an operation
(Moribunder Patient, der mit oder ohne Operation die nächsten
24 h vermutlich nicht überlebt)
a
Zwischen 1941 und 1961 hinzugefügte ASA Class 7
Beispiel
Fracture without blood loss, localized infections etc.
(Fraktur ohne Blutverlust, lokal begrenzte Infektionen u. a.)
Mild diabetes, moderate anemia, acute sinusitis, superficial infec-
tions etc.
(Leichter Diabetes, mäßige Anämie, akute Sinusitis, oberflächliche
Infektionen u. a.)
Combination of heart and pulmonary disease, severe diabetes etc.
(Kombination von Herz- und Lungenerkrankung, schwerer Diabetes
u. a.)
Severe trauma with irreparable damage, cardiac decompensation
(Schweres Trauma mit irreparabler Schädigung, kardiale Dekom-
pensation)
–
–
–

Tab. 2 ASA-Klassifikation der körperlichen Verfassung von 1963. (Nach American Society of Patienten (Class 1) bis hin zu Patienten
Anesthesiologists [4]) mit lebensbedrohlichen Erkrankungen
ASA Class Beschreibung (Class 4). Für die einzelnen Gruppen
1 A normal healthy patient innerhalb der Klassifikationen wurden
(Normaler, gesunder Patient) Beispielerkrankungen genannt, mit dem
2 A patient with mild systemic disease Ziel, eine hohe Objektivität und damit
(Patient mit leichter Systemerkrankung) Reproduzierbarkeit der Einteilung zu er-
3 A patient with severe systemic disease that limits activity but is not incapacita- reichen. Zusätzlich wurden 2 Kategorien
ting für Patienten, die sich einer Notfallope-
(Patient mit schwerer Systemerkrankung, die ihn in seiner Aktivität einschränkt,
aber keine Behinderung bedeutet)
ration unterziehen mussten definiert:
Gesunde oder mäßig vorerkrankte Pa-
4 A patient with an incapacitating severe systemic disease that is a constant threat
to life tienten der Classes 1 und 2 wurden in
(Patient mit schwerer Systemerkrankung, die mit einer Behinderung einhergeht Class 5 eingruppiert, und multimorbide
und eine ständige Lebensbedrohung bedeutet) Patienten der Classes 3 und 4 wurden
5 A moribund patient who is not expected to survive 24 h with or without the als Class 6 definiert (. Tab. 1).
operation Im Rahmen der weiteren Entwick-
(Moribunder Patient, der mit oder ohne Operation die nächsten 24 h vermutlich lung der Klassifikation wurde zwischen
nicht überlebt)
den Jahren 1941 und 1961 die Kategorie
6a A declared brain dead patient, whose organs are being removed for donor pur- ASA Class 7 für moribunde Patienten,
poses
(Für hirntot erklärter Patient, dessen Organe zur Transplantation entnommen die voraussichtlich mit oder ohne Ope-
werden) ration die nächsten 24 h nicht überleben
a
Später hinzugefügte Definition von ASA Class 6 werden, hinzugefügt. Weder die Urheber
noch der genaue Zeitpunkt dieser Erwei-
terung der ASA-Klassifikation sind uns
schen Faktoren möglich ist. Um die his- Text bewusst die englische Originalspra- bekannt ([18]; . Tab. 1).
torische Entwicklung und die Verände- che verwandt.
rungenderASA-Klassifikationmöglichst In der ursprünglichen Klassifikation Änderungen 1961 und 1963 sowie
präzise und unabhängig von Überset- durch Saklad [23] – publiziert 1941 – Nachtrag 1980
zungsunschärfen abzubilden, wurde in wurden zunächst 4 Schweregrade („clas-
einigen Tabellen und Stellen in diesem ses“) des präoperativen Gesundheits- Im Jahr 1961 erfolgte eine Änderung der
zustands unterschieden: von gesunden Klassifikation durch die Anästhesisten

6 Der Anaesthesist 1 · 2017


Robert Dripps und Kollegen, die die Rolle
der Anästhesie bei der Sterblichkeit von
über 33.000 chirurgischen Patienten un-
tersucht hatten [11]. Hierbei wurde zu-
nächst der Begriff „disturbance“ in der
ASA-Klassen 2 und 3 durch „disease“ er-
setzt. Als weiteres Unterscheidungskrite-
rium der ASA-Klassen 3 und 4 wurde der
Einfluss auf die Leistungs- oder Arbeits-
fähigkeit („incapacitating“) hinzugefügt.
Die Definition der ASA-Klasse 7 wurde
wortwörtlich übernommen, jedoch jetzt
als ASA-Klasse 5 deklariert. Dies war
möglich, weil die anfängliche Einteilung
der Notfallpatienten in nur 2 Kategorien
(ASA-Klassen 5 und 6) verlassen wurde
und der Zusatz „E“ für „emergency“ bei
Patienten der ASA-Klassen 1 bis 5 einge-
führt wurde. Im Jahr 1963 wurde diese
Modifikation auch durch die ASA über-
nommen und publiziert [4]. Bei dieser
Novellierung wurde gezielt auf Beispie-
le für die einzelnen Klassen verzichtet
(. Tab. 2).
Ein Nachtrag zu dieser ASA-Klassi-
fikation erfolgte 1980 durch die ASA:
Es wurde ASA-Klasse 6 hinzugefügt,
die hirntote Organspender klassifiziert
(. Tab. 2; [8, 12]).
Definitionsänderung der ASA-
Klasse 5
Im September 1986 empfahl das Econo-
mics Committee der ASA auf Anregung
der American Medical Association eine
Änderung der Definition von Patienten
mit ASA-Klasse 5 [3, 8]. Der bis dahin
moribunde Patient mit einer Lebenser-
wartung unter 24 h unabhängig davon, ob
eine Operation durchgeführt wird oder
nicht, sollte in Zukunft als moribunder
Patient definiert werden, der ohne Ope-
ration versterben wird: „A moribund pa-
tient who is not expected to survive with-
out operation“. Hierbei wurden 2 ganz
entscheidende Änderungen der Defini-
tion vorgeschlagen: (1) Die angestrebte
Operation ist nun in der Lage, die Überle-
benswahrscheinlichkeit des Patienten zu
verbessern, und (2) die sehr konkret de-
finierte Zeitspanne des zu erwartenden
Todes innerhalb 24 h wurde verlassen.
Dies wurde auch bereits von Thackray
und Gibbs 2011 in einem Leserbrief an
Anesthesiology aufgezeigt, und die Auto-
Zusammenfassung · Abstract
Anaesthesist 2017 · 66:5–10 DOI 10.1007/s00101-016-0246-4
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T. Irlbeck · B. Zwißler · A. Bauer
ASA-Klassifikation. Wandel im Laufe der Zeit und Darstellung in
der Literatur
Zusammenfassung
Die Klassifikation der American Society of
Anesthesiologists (ASA-Klassifikation) ist eine
flächendeckend angewandte Kategorisierung
des präoperativen Status von Patienten. Sie
hat einen guten prädiktiven Wert bezüglich
der perioperativen Morbidität und Letalität.
Die Definitionen der ASA-Klassen wurden seit
1941 mehrfach verändert. In der aktuellen
Literatur wird die aktuell gültige Klassifikation
jedoch nicht einheitlich zitiert. Hierbei exis-
tieren insbesondere bei den ASA-Klassen 3, 4
und 5 konkurrierende Definitionen. Die hohe
Variabilität der individuellen Eingruppierung
durch unterschiedliche Anästhesisten ist aber
auch durch bisher fehlende Beispieldiagnosen
ASA classification. Transition in the course of time and depiction
in the literature
Abstract
The American Society of Anesthesiologists
classification of physical status (ASA PS) is
a widely used system for categorizing the
preoperative status of patients. The ASA
class is a good independent predictor of
perioperative morbidity and mortality. The
definitions of the ASA classes have been
amended several times since 1941, resulting
in inconsistent and confusing usage in the
current literature. Conflicting definitions
of ASA PS exist, particularly for classes III,
IV and V. The high variability of individual
classifications by different anesthesiologist,
ren wiesen auf die teilweise noch veraltete
Klassifikation selbst in aktuellen wissen-
schaftlichen Arbeiten hin [25].
Die ehemalige ASA-Klasse 5 hätte
ja bereits als Kontraindikation für eine
Operation gesehen werden können, da
ursprünglich per definitionem auch die
Operation nichts an der infausten Prog-
nose des Patienten, innerhalb von 24 h zu
versterben, geändert hätte. Diese Verän-
derungen führen dazu, dass ein weitaus
größerer Anteil von schwerstkranken Pa-
tienten nun als ASA-Klasse 5 klassifiziert
werden muss. Patienten mit einem rup-
turierten Bauchaortenaneurysma, einer
Aortendissektion mit Perikardtampona-
zu erklären. Seit 2014 wird von der ASA
ein Beispielkatalog für Diagnosen zur
vereinfachten Klassifikation vorgehalten.
Dieser hat bisher im deutschsprachigen Raum
nur begrenzt Aufmerksamkeit gefunden. Der
vorliegende Beitrag beschreibt den Wandel
der ASA-Klassifikation über die letzten
fast 75 Jahre und fasst die aktuell gültige
Definition zusammen.
Schlüsselwörter
Gesundheitsstatus · Risikoeinschätzung ·
Interobserver-Variabilität · Morbidität ·
Sterblichkeit
however, can be explained by the previous
lack of examples for diagnoses. In 2014, the
ASA has added a catalogue of examples for
a simplified definition for classification of
the ASA PS. This has so far received limited
attention in German-speaking countries.
This article describes the transition of the
ASA classification over the past 75 years und
summarizes the currently valid definitions.
Keywords
Health status · Risk assessment · Interobserver
variability · Morbidity · Mortality
de, einer intrakraniellen Blutung, die
sich einer Notfalltrepanation unterzie-
hen müssen, aber auch Patienten mit
z. B. Darmischämie oder septischem
Schock nach Darmperforation fallen da-
mit nach der aktuell gültigen Definition
in die ASA-Klasse 5. Die an vielen Stellen
noch verwandte, aber überholte Klassi-
fikation aus dem Jahr 1963 würde diese
Patienten als ASA-Klasse 4 definieren.
Diese Veränderung ist weder unbedeu-
tend noch ausschließlich semantisch,
sondern, wie oben dargestellt inhaltlich,
wichtig.
Der Anaesthesist 1 · 2017 7
 Leitthema

Tab. 3 ASA-Klassifikation im Kerndatensatz 3.0 DGAI 2010. (Heinrichs et al. [17]) herangezogen werden. Ein Patient mit
ASA-Klasse Beschreibung einem Myokardinfarkt, der weniger als
I Normaler, gesunder Patient 3 Monate zurückliegt, sollte als ASA-
Klasse 4 klassifiziert werden, auch wenn
II Patient mit leichter Allgemeinerkrankung (z. B. gut eingestellter Hypertonus,
schwach ausgeprägter Diabetes) er gut belastbar ist und ggf. bereits wieder
III Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung (z. B. Angina pectoris, früherer Myo-
2 Stockwerke steigen kann [2].
kardinfarkt, COPD) Die Begrifflichkeit „incapacitating“ ist
IV Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedro- wohl auch eher im Sinne von hilfs- oder
hung darstellt (z. B. chronische Herzinsuffizienz, Nierenversagen) pflegebedürftig zu verstehen. Eben die-
V Moribunder Patient, von dem nicht erwartet wird, dass er ohne Operation über- se Abhängigkeit von fremder Hilfe bei
lebt (z. B. rupturiertes BAA) den „Aktivitäten des täglichen Lebens“
VI Hirntoter Organspender ist auch Bestandteil der Risikostratifizie-
BAA Bauchaortenaneurysma, COPD „chronic obstructive pulmonary disease“ (chronisch obstruktive rung des ACS-NSQIP [14] und sollte in
Lungenerkrankung) Zukunft mehr Beachtung finden. In einer
aktuellen Untersuchung an über 12.000
Patienten war die postoperative Sterb-
Tab. 4 ASA-Klassifikation im Kerndatensatz 3.0 DGAI 2010 und Beispieldiagnosen der American
lichkeit bei Patienten, die bereits bei einer
Society of Anesthesiologists Physical Status (ASA PS) Classification. (Auszug aus American Society
of Anesthesiologists [2]) oder mehreren Aktivitäten des täglichen
ASA-Klasse DGAI 2010 ASA 2014 Lebens Hilfe benötigten, auch innerhalb
derselben ASA-Klasse signifikant erhöht
I Normaler, gesunder Patient Gesund, Nichtraucher, kein oder mini-
maler Alkoholkonsum im Vergleich zu jenen, die nicht hilfsbe-
II Patient mit leichter Allgemeinerkran- Raucher, regelmäßiger Alkoholkonsum
dürftig waren [27].
kung (z. B. gut eingestellter Hyperto- (z. B. zu sozialen Anlässen), Schwanger-
nus, schwach ausgeprägter Diabetes) schaft, Adipositas (BMI 30–40 kg/m2), Fazit
gut eingestellter DM oder aHT, leichte
Lungenerkrankung Aufgrund der intransparenten und in
III Patient mit schwerer Allgemeinerkran- Schlecht eingestellter DM oder aHT; der medizinischen Fachliteratur kaum
kung (z. B. Angina pectoris, früherer COPD, BMI ≥ 40 kg/m2, Hepatitis, Dro- beschriebenen und diskutierten Ände-
Myokardinfarkt, COPD) genmissbrauch (einschließlich Alkohol),
Schrittmacher, reduzierte myokardiale rungen der ASA-Klassifikation seit 1961
EF, terminale Niereninsuffizienz mit Dia- verwundert es nicht, dass sowohl in
lysepflichtigkeit, Apoplex, TIA, MI oder wissenschaftlichen Aufsätzen als auch
KHK mit Stent-Versorgung >3 Monate in einigen aktuellen Lehrbüchern die
zurückliegend ASA-Klassifikation auch in der deut-
IV Patient mit schwerer Allgemeiner- MI, Apoplex, TIA oder KHK mit Stent- schen Übersetzung uneinheitlich ist und
krankung, die eine ständige Lebens- Versorgung <3 Monate zurückliegend,
teilweise nicht dem aktuellen Stand ent-
bedrohung darstellt (z. B. chronische schwere Herzklappenvitien, Herzinsuf-
Herzinsuffizienz, Nierenversagen) fizienz mit stark reduzierter EF, Sepsis, spricht. Dies trifft insbesondere auf die
DIC, akutes Nierenversagen hier beschriebenen Veränderungen der
V Moribunder Patient, von dem nicht Rupturiertes abdominales/thorakales Definitionen der ASA-Klassen 3, 4 und
erwartet wird, dass er ohne Operation Aortenaneurysma, schweres Polytrau- 5 zu.
überlebt (z. B. rupturiertes BAA) ma, intrakranielle Blutung mit Hirn-
druck/Mittellinien-Shift, kritische Darm-
ischämie, Multiorganversagen
Individuelle Variabilität
VI Hirntoter Organspender –
Die bereits 1978 erstmals beschriebene
aHT arterielle Hypertonie, BAA Bauchaortenaneurysma, BMI Body-Mass-Index, COPD „chronic hohe Variabilität der Klassifikation ein-
obstructive pulmonary disease“ (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), DIC „disseminated
zelner Patienten durch unterschiedliche
intravasal coagulation“ (disseminierte intravasale Gerinnung), DM Diabetes mellitus, EF Ejektions-
fraktion, KHK koronare Herzkrankheit, MI Myokardinfarkt, TIA transitorisch ischämische Attacke Anästhesisten [20] ist ein mittlerweile
gut untersuchtes Phänomen [10, 21, 24].
Die „Unschärfe“ der ASA-Klassifikation
Wegfall des Unterscheidungs- Auch dies ist eine wichtige Änderung der ist mit Sicherheit durch die sehr grobe
merkmals „incapacitating Definition, die beachtet werden sollte. und subjektive Einteilung von Patienten
disease“ Insbesondere sollte die aus der peri- in nur 5 Gruppen zu erklären, wird aber
operativen Beurteilung kardiovaskulärer durch die beschriebene Ungenauigkeit
Als weitere Änderung wurde die Leis- Risikopatienten [13] bekannte körper- der verwendeten Definition begünstigt
tungsminderung („incapacitating dis- liche Belastbarkeit anhand von z. B. [25].
ease“) als Unterscheidungsmerkmal zwi- „metabolischen Äquivalenten“ nicht als In vielen Studien zeigte sich aber
schen ASA-Klassen 3 und 4 verlassen. Entscheidungshilfe für eine ASA-Klasse überdies, dass eine hohe Variabilität der

8 Der Anaesthesist 1 · 2017

interindividuellen Klassifikation häu-
fig mit „Problemdiagnosen“ assoziiert
war. Trauma, Schwangerschaft, hohes
Alter, Tumoren, Adipositas permagna,
obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom,
chronisch obstruktive Lungenerkran-
kungen, aber auch Diabetes, ein mög-
licher schwieriger Atemweg und eine
Raucheranamnese führten hierbei zu
besonders hohen Abweichungen [5, 6,
9, 10, 16]. Andererseits ist festzustel-
len, dass die fehlenden Trennschärfen
zwischen den Klassen 1 und 2 sowie zwi-
schen den Klassen 2 und 3 ebenfalls für
eine hohe Variabilität mitverantwortlich
sind [22, 26].
Während Saklad und Mitarbeiter bei
der ursprünglichen Klassifikation für die
unterschiedlichen ASA-Klassen jeweils
Beispielerkrankungen angeführt hatten,
wurden diese Entscheidungshilfen in den
folgenden Novellierungen der ASA-Klas-
sifikation ab 1963 aufgegeben. Vonseiten
der ASA war dies explizit so gewünscht,
und es fand sich stets der Vermerk:
„There is no additional information that
will help you further define these catego-
ries.“ Zur Verringerung der Interobser-
ver-Variabilität wurde die Einführung
von Beispieldiagnosen immer wieder
gefordert [25].
Einführung von Beispiel-
diagnosen
Bereits 2010 hat die DGAI in der Defi-
nition der ASA-Klassifikation im Kern-
datensatz Anästhesie einige Beispieldia-
gnosen für die unterschiedlichen ASA-
Klassen aufgeführt ([17]; . Tab. 3). Der
Zusatz „E – emergency surgery“ [2] der
von der ASA bei Notfallpatienten vor-
gesehen ist, wird im Kerndatensatz der
DGAI jedoch nicht erwähnt.
Im Oktober 2014 hat nun auch die
ASA reagiert und ebenfalls Diagnosebei-
spiele publiziert [2]. Dies begründet die
ASA insbesondere durch den nunmehr
immer weiter verbreiteten Gebrauch
der ASA-Klassifikation. Mitunter hat
diese zumindest in den USA bereits
auch medicolegale und ökonomische
Implikationen [1]. Da eine größere An-
wendergruppe – und hierunter auch in
zunehmendem Maß Nichtanästhesisten
– die Klassifikation anwendet, hat sich
die ASA entschieden, Beispieldiagnosen
zu benennen. Sie weist jedoch explizit
auf den medizinisch-klinischen Sach-
verstand hin, der natürlich weiterhin
notwendig ist, um Patienten korrekt
in eine ASA-Klasse einzugruppieren.
Die Beispiele sollen als Entscheidungs-
hilfe gesehen werden, sind aber nicht
als exklusive Definition zu verstehen
(. Tab. 4).
Die Verwendung von Beispieldia-
gnosen bringt naheliegende Vorteile,
muss aber naturgemäß einheitlich er-
folgen. Während die DGAI 2010 einen
„früheren Myokardinfarkt“ als Beispiel-
diagnose für ASA-Klasse 3 nennt, wird
ein Myokardinfarkt oder eine korona-
re Stent-Implantation, die weniger als
3 Monaten zurückliegt, von den ame-
rikanischen Kollegen als Beispiel für
ASA-Klasse 4 aufgeführt. Medizinisch
kann man sicherlich über diese und
auch andere Zuordnungen von Diagno-
sen zu ASA-Klassen diskutieren und
vielleicht sogar streiten. Da die ASA-
Klassifikation jedoch letztendlich, wie
in diesem Beitrag beschrieben, aus der
Feder der American Society of Anesthe-
siologists stammt, sollte auch im Sinne
einer internationalen Vergleichbarkeit
auf die Definition und die Beispieldia-
gnosen der amerikanischen Gesellschaft
zurückgegriffen werden. Diese müssen
aber einheitlich übersetzt und sollten
idealerweise von der DGAI konsentiert
und publiziert werden.
Es wird sich erst noch zeigen müssen,
ob die Einführung der Beispieldiagno-
sen dazu führt, dass auch die Reprodu-
zierbarkeit der präoperativen Eingrup-
pierung von Patienten weiter verbessert
werden kann. Es bleibt jedoch zu hoffen,
dass im Rahmen dieser Änderungen die
immer noch häufig zitierte, aber veraltete
Definition der ASA-Klassifikation in der
aktuellen internationalen und nationalen
Literatur zunehmend verschwindet. Der
Kerndatensatz der DGAI liefert für alle
in Deutschland tätigen Anästhesisten die
korrekte Übersetzung der Definitionen
der ASA-Klassifikation. Die erweiterten
Beispieldiagnosen der ASA sind in die-
sem Beitrag zusammengefasst, der somit
hoffentlich zu einer weiteren Vereinheit-
lichung beitragen kann.
Fazit für die Praxis
4 Die ASA-Klassifikation ist ein guter
Prädiktor der perioperativen Morbi-
dität und Letalität.
4 Die Definitionen unterlagen seit
1941 diversen Änderungen, die
in der aktuellen Literatur zu einer
uneinheitlichen Darstellung geführt
haben.
4 Aktuell stehen Beispieldiagnosen zur
Verbesserung der Reproduzierbarkeit
der Klassifikation zur Verfügung.
4 Auf die einheitliche Verwendung der
aktuellen, korrekten Version der ASA-
Klassifikation ist zu achten.
Korrespondenzadresse
PD Dr. A. Bauer
Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum der
Universität München (LMU)
Marchioninistr. 15, 81377 München,
Deutschland
andreas.bauer@med.uni-muenchen.de
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. T. Irlbeck, B. Zwißler und A. Bauer
geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren
durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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auf knapp 4,8 Milliarden Euro jährlich.
12. Fitz-Henry J (2011) The ASA classification and peri-
operative risk. Ann R Coll Surg 93:185–187
13. Grossmann E, Ninke T, Probst S et al (2015) Peri- Die Wissenschaftler untersuchten spezi-
operative Beurteilung und Behandlung kardiovas-
ell die Krankenhausfälle, die durch eine
kulärer Risikopatienten für nichtherzchirurgische
Eingriffe : Leitlinien 2014 der European Society of effektive und rechtzeitige ambulante Ver-
Cardiology/European Society of Anaesthesiology. sorgung prinzipiell hätten verhindert wer-
Anaesthesist 64:324–328
den können; insgesamt haben sie 3,453
14. Gupta PK, Gupta H, Sundaram A et al (2011)
Development and validation of a risk calculator for Millionen solcher Fälle ermittelt. Darunter
prediction of cardiac risk after surgery. Circulation sind 1,768 Millionen Fälle mit Aufnahme-
124:381–387
anlass Notfall, denen in der Regel keine
15. Hackett NJ, De Oliveira GS, Jain UK et al (2015) ASA
class is a reliable independent predictor of medical Einweisung zugrunde liegt. Den deutlichs-
complications and mortality following surgery. Int ten Zustrom erhalten Krankenhäuser laut
J Surg 18:184–190
Statistik montags und dienstags tagsüber.
16. Haynes SR, Lawler PG (1995) An assessment of the
consistency of ASA physical status classification Überhaupt liege an Werktagen die Zahl ver-
allocation. Anaesthesia 50:195–199 meidbarer Aufnahmen ohne Einweisung zu
17. Heinrichs W, Blumrich W, Deil S, Freitag M, Kutz N,
Lüdtke I, Röhrig R, Streuf R (2010) Aktualisierung
Praxisöffnungszeiten etwa genauso hoch
und Erläuterung des Kerndatensatzes Anästhesie. wie außerhalb der Sprechzeiten. Die Stu-
Anästhesiol Intensivmed 51:S33–S55 die legt hier große regionale Unterschiede
18. Keats AS (1978) Editorial Views. Anesthesiology
49:233–236
offen. Die Zahl grundsätzlich vermeidba-
19. Kristensen SD, Knuuti J, Saraste A et al (2014) rer Krankenhausaufnahmen während der
2014 ESC/ESA Guidelines on non-cardiac surgery: Praxisöffnungszeiten ist demnach im Ruhr-
cardiovascular assessment and management:
The Joint Task Force on non-cardiac surgery:
gebiet und in ländlichen Regionen pro
cardiovascular assessment and management of Kopf der Bevölkerung größer als in Groß-
the European Society of Cardiology (ESC) and the stadtzentren. Dabei ist der Notfallanteil,
European Society of Anaesthesiology (ESA). Eur
Heart J 35:2383–2431
das heißt der Anteil der Aufnahmen oh-
20. Owens WD, Felts JA, Spitznagel EL Jr. (1978) ne ärztliche Einweisung, ausgerechnet in
ASA physical status classifications: a study of Großstadtzentren an Werktagen während
consistencyofratings.Anesthesiology49:239–243
21. Ranta S, Hynynen M, Tammisto T (1997) A survey
der Praxisöffnungszeiten am höchsten. Die
of the ASA physical status classification: significant Auswertung basiert auf Krankenhausdaten
variation in allocation among Finnish anaesthesio- aus dem Jahr 2013.
logists. Acta Anaesthesiol Scand 41:629–632
22. Riley R, Holman C, Fletcher D (2014) Inter-rater
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10 Der Anaesthesist 1 · 2017