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und Lawinenforschung
6. t~Ov. jog~j
Juli 1990 Edc~. F:nrscnungsafls~a~? ~‚ Nr. 47
W-1d. Scnn,-~e unr~ Lad~ha~
~‘ibiiü~ho9
CH-3903 Brm~
B.SaJm, A.Burkard
und H.U. Gubler
A EINLEITUNG
Die vorliegende Anleitung soll vor allem dazu dienen, bei den lawinentechnischen Berech
nungen für die Ausarbeitung von Lawinengefahrenkarten eine einheitliche Methode anzu
wenden. Sie ist als Ergänzung zu den “Richtlinien zurBerücksichtigung der Lawinengefahr
bei raumwirksamen Tätigkeiten“, 1984, Bundesamt für Forstwesen und EISLF gedacht.
Wie in diesen Richtlinien erwähnt ist, stellen Berechnungen nur einen Teil der Grundlagen
für die Ausarbeitung von Lawinengefahrenkarten dar. Sie sind aber notwendig, um die
massgebenden extremen Ereignisse —welche im Lawinenkataster meist fehlen— abschätzen
zu können. Mit anderen Worten muss eine Antwort gefunden werden auf die Frage “was
kann alles passieren, wenn man über das relativ kurze Menschengedenken hinaus geht?“
— Sie entspricht etwa dem heutigen Stand der Erkenntnisse, kann und muss also in Zu
kunft den Fortschritten angepasst werden.
— Es sei davor gewarnt, diese Anleitung als “Kochbuch“ zu verwenden (man beachte das
häufige Auftreten der Worte “etwa“ und “Richtwerte“). Vielmehr verlangt jede Lawi
ne eine individuelle Behandlung, wobei unbedingt weiterer Stoff aus der Lawinenkunde
beherrscht werden muss. Zudem spielt die Erfahrung —die sich jedermann selbst ver
schaffen muss— eine sehr wichtige Rolle. Schliesslich ist zur Kenntnis zu nehmen, dass
nicht jede Lawine streng berechenbar ist.
—1—
B. ZUSAMMENFASSUNG
— Mittlere Anrissmächtigkeit d0
— Reibungskoeffizient p
Vorgehen:
—2—
C. BERECHNUNGSVORGANG, ANGABEN UND FORMELN
1. ANRISSGEBIET
1.1 Ausmass des Gebietes und mittlere Neigung
Ausmass gegeben durch den Neigungsbereich zwischen 30° (eventuell 28°) und 500.
Mittlere Neigung ~om bestimmt aus Stichproben über die ganze Fläche, durch mehrere Ge
ländeprofile oder aus Horizontalabstand der Höhenkurven gemäss Tabelle 1.
[mm]
28 1.88 3.76
30 1.73 3.46
35 1.43 2.86
40 1.19 2.38
45 1.00 2.00
50 0.84 1.68
Tabelle 1
—3—
f(~b) Neigungsfaktor, gegeben durch Schneefestigkeit (erfahrungsgemäss wird an
genommen, dass die Festigkeit mit d~ wächst)
1.2.1 Richtwertefürd~
30 0.88 1.50
100 1.06 1.81
300 1.23 2.10
Tabelle 2
Diese Richtwerte sind gultig fur ca 2‘OQO m ü M Fur hoher resp tiefer gelegene Gebiete
gilt ein Zuschlag resp Abzug von ca 5 cm/100 m
Das Verhältnis
d* (T = 300)
° ~ 1.4
d~ (T = 30)
bleibt immer ungefähr konstant.
Bei Triebschneeablagerungen in mehr oder weniger grossen Teilen des Anrissgebietes sollen
dort die d~ um etwa 0.3 m bis 0.5 m erhöht werden. Das zur Berechnung massgebende d~
ist der Mittelwert über das ganze Anrissgebiet.
—4--
Bei hoch gelegenen Gebieten dominiert die Windwirkung, der erwähnte Höhenzuschlag von
5 cm/100 m tritt dabei in den Hintergrund.
Schneehöhenzuwachs Region
gross Nordtessin/Simplon
Gotthardgebiet
Glarner Alpen
Oestliches Wallis
Zentralschweiz
Prättigau (Rätikon)
Mittleres Wallis
Oestliches Berneroberland
Säntisgebiet
Nordbünden (ohne Prättigau/Rätikon)
Südbünden
Mittelbünden
Freiburger— und Waadtländeralpen
Westliches Berneroberland
Westliches Wallis
klein Engadin
Tabelle 3
Innerhalb der angegebenen Regionen können wesentliche Abweichungen von der obigen
Reihenfolge auftreten. Kleinräumige Verhältnisse sind also zu berücksichtigen.
—5—
1.2.2 Neigungsabhängigkeit f(~b)
28 1.00
30 0.90
32.5 0.79
35 0.71
37.5 0.65
40 0.60
45 0.52
50 0.46
Tabelle 4
2. DURCHFLUSSMENGE
2.1 Ungeffihr rechteckförmige Anrissgebiete
0 = B0 d0 v0 [m3/s] (3)
B0 [mJ Grösste Breite Anrissgebiet (gerade gemessen, also nicht entlang der Höhen-
kurven)
—6—
d0 [m} Fliesshöhe Anrissgebiet (= Anrissmächtigkeit)
Mit der Fliesshöhe ist im folgenden immer die hangsenkrechte Distanz ge
meint.
[ v~ = J
d~ (sin~
____________________
[m/s2]
— [m/s]
[1] Reibungskoeffizient
~t =L [s] (6)
Vm
Die Distanz £ soll keinesfalls zu gross gewählt werden (z.B. keine Berücksichtigung von Sei
tenarmen eines Anrissgebietes), weil sonst Q kleiner wird als der massgebende Maximal
wert.
—7—
3. GESCHWINDIGKEIT UND FLIESSHOEHE IN DER STURZBAHN
Falls nötig, kann die Geschwindigkeit v und Fliesshöhe d an beliebigen Stellen der Sturz-
bahn aus Q berechnet werden.
3.1 Flächenlawine
etwa 20:1)
v = F
LB
~ ~ (sin~b — p cos‘~b) ] 1/3 [m/sJ (7)
B [mj Lawinenbreite
3.2 Runsenlawinen
[m] (10)
U
—8—
U [mi Benetzter Umfang
Nach P muss für die mittlere Neigung der Auslaufstrecke ‘~b5 gelten:
trip
P
—9—
Punkt P
Tabelle 5
Der Horizontalabstand ist der mittlere Abstand der Höhenkurven über die Lawinenbreite.
Im Auslaufgebiet muss die Neigung kleiner resp. der Kurvenabstand grösser sein als in
Tabelle 5.
Aus Q (Formel 3 oder 5) werden in der Sturzbahn direkt oberhalb von P die Geschwindig
keit Vp, Fliesshöhe d~ und die Lawinenbreite B~ berechnet resp. geschätzt.
[m/sJ (13)
[m] (14)
— 10 —
B~ [m] Lawinenbreite in P, abgeschätzt in der Sturzbahn oberhalb von P
(s. Abschnitt 4.3)
Die Lawinenbreite unterhalb P nach Verlassen der Runse (Flächenlawine mit gegebenem Q
ohne seitliche Ausbreitung) wird gern. (7):
[m] (17)
Obiges Vorgehen ergibt di~ meist massgebenden grössten Auslaufstrecken, weil keine seitli
ehe Ausbreitung angenommen wird.
Einsetzen des Schätzwertes B~ in (13) und (14) bei Flächen— und Runsenlawinen.
— 11 —
4.3 Massgebende Sturzbahnneigung oberhalb P
4.3.1 Allgemeines bei Neigungswechsel
Aendert die Neigung von ~b1 auf ~‚ wobei ~ ~ ~ sein kann, braucht es eine Uebergangs-
strecke
bis die der neuen Neigung ‘~b2 entsprechende Geschwindigkeit v2 und Fliesshöhe d2 erreicht
wird.
Fall 1
Der Punkt P liegt auf einem deutlichen Geländeknick oberhalb dessen die Neigung niinde
stens grösser ist als die kritische Neigung in Tabelle 5.
40_50
Vorgehen:
4) Gegebenenfalls Bestimmung einer neuen mittleren Neigung über die korrigierte Ueber
gangsstrecke (das Gelände ist i. allg. nicht gleichmässig geneigt).
— 12 —
5) Neue Berechnung von Vp und d~.
Meist genügt eine Korrektur (x~ muss auf etwa 10 % genau stimmen).
Mit endgültigem ~ Berechnung von Vp und d~ und Berechnung der Auslaufstrecke gern.
Abschnitt 5.
Fall 2
Oberhalb von P ist die Neigung über eine gewisse Distanz nur wenig grösser als die kriti
sche Neigung der Tabelle 5.
Vorgehen:
1) Von P aus solange bergwärts gehen als die kritische Neigung um nicht mehr als etwa
3° 4° überschritten wird (Neigung etwa
— ~ ~k + 3.5°). Sobald sie mehr über
schritten wird, ist der Punkt A erreicht.
A
p
‘hp
‘4)s
— 13 —
Punkt A
Tabelle 6
Der Horizontalabstand ist der mittlere Abstand der Höhenkurven über die Lawinenbreite.
5. AUSLAUFSTRECKE
[m] (19)
— 14 —
V2 = d~ ~ (~ cos~b5 — sin~b5) [m2/s2} (20)
v2
s= ~ in [mj (21)
2g V2
Bei gekrünimten Auslaufst recken ist s die der gekrümmten Lawinenachse nach gemessene
Distanz.
x [mj Abstand P1 —
Mit ‘~b52, Vp2 und mit d52 = d51, die Auslaufstrecke s2 rechnen
— Totale Auslaufstrecke s = x + s2
— 15 —
6. RICHTWERTE FUER ~ UND p
(Anrissgebiet, Sturzbahn und Auslaufgebiet)
Verhältnisse
[m/s2] (unabhängig von der Lawinengrösse)
Tabelle 7
— ~ hängt vor allem von der Geometrie der Sturzbahn ab (Rauhigkeiten, Kanalisierung,
Bäume).
— Mässige Rauhigkeiten können vor allem bei Grosslawinen mit Schnee ausgestrichen
werden, deshalb im Zweifelsfall Grösstwert von ~ nehmen!
— Ein und dieselbe Lawine kann verschiedene ~—Werte aufweisen (z.B. flächiges Anriss
gebiet und stark kanalisierte Sturzbahn).
— 16 —
~u Verhältnisse
Tabelle 8
— Im selben Lawinenzug und unter sonst gleichen Verhältnissen kann bei Grossiawinen
= 0.155 und bei kleinen Lawinen p = 0.30 sein.
— 17 —
D. KRAFTWIRKUNGEN VON LAWINEN
Die beim Auftreffen auf ein Hindernis entstehenden Kräfte werden normalerweise als sta
tionär (d.h. zeitunabhängig) betrachtet.
//
7
/
.4.
— 18 —
PS = P P~ ~/m2J (24)
p~ [N/m2J Druck senkrecht zur Fläche. Beim Ueberffiessen eines Hindernisses (Galerie,
Ebenhöch etc.) kommt zu p11 = p v2 sin2a noch das Gewicht des Lawinen
schnees dazu ~ = p g d cos~ (~b Neigung der Dachfläche).
Die Reibung soll beim Ueberffiessen eines Hindernisses auf einer ev. vorhandenen ruhenden
Schneedecke voll vom Bauwerk aufgenommen werden können.
= 0.30 ÷ 0.40
“Klein“ heisst, dass die Schneeteilchen das Hindernis umströmen und nicht um einen ein-
heitlichen Winkel abgelenkt werden.
— 19 —
P =cF~-~ [NJ (25)
2
— Aus Sicherheitsgründen soll für die Dichte normalerweise 300 kg/m3 angenommen
werden.
1
d
d~0~ = d
[mj
+ v2
2g?~
[mJ
— 20 —
Die Drücke von der Fliesshöhe d bis zu dt0t nehmen linear bis zu null ab (dreieckförrnige
Belastung).
Die Gleitfläche (unteres Ende der Fliesshöhe) liegt normalerweise oberhalb der Bodenober
fläche. Der Abstand Gleitfläche—Bodenoberfläche entspricht dem natürlich abgelagerten,
unbewegten Schnee. Die dynamischen Kräfte auf das Hindernis können dort vernachlässigt
werden.
d [mJ Fliesshöhe
Richtwerte:
— Rammeffekte durch mitgeschleppte Bäume, Steine oder Trümmer können örtlich grös
sere Kräfte hervorrufen als Lawinenschnee.
Mit der normalerweise angenommenen Dichte von 300 kg/m3 und mit p~ = p v2 (Druck
senkrecht auf ein grosses Hindernis), ergibt sich eine Geschwindigkeit von
— 21 —
Mit linearer Abnahme von v2 im Auslaufgebiet erhält man den Abstand der 30 kN/m2~
Grenze vom Auslaufende b zu:
x
1 S(3OJahre) 1« b “-1
S(300 Jahre)
Die gesamte Auslaufstrecke der 30—jäbrigen Lawine stellt jedenfalls rotes Gebiet dar. Es ist
deshalb immer zu kontrollieren, ob diese Bedingung nicht schärfer ist als diejenige der
30 kN/m2- Grenze.
-22-
E. BERECHNUNGSBEISPII~1E VON BEOBACHTETEN LAWINEN
Charakterisierung
= 0.155
— Einheitliches
Cl Aurissgebiet
C1.1 Ausmass
C1.2 Anrissmächtigkeit
f(38.5) = 0.63
-23-
C4.2 und 4.3 Geschwindigkeit und Fliesshöhe in P
1. Annahme für
2. Amiabme für
B~ =60m
in Ordnung!
— 24 —
C5 Auslaufstrecke
ds 2.26 + 26.432
lOg = 9.38 m (19)
— 25 —
ARIEFA / SAMEDAN
2. MALBUN / TRIESENBERG (20.1.1951)
Charakterisierung
= 0.155
— Einheitliches
Cl Anrissgebiet
C1.1 Ausmass
C1.2 Anrissmächtigkeit
f(37.6) = 0.65
— 26 —
C4.2 und 4.3 Geschwindigkeit und Fliesshöhe in P
Begri~ndung: Von 1‘720 bis 1‘750 m iLM. beträgt auf einer Länge von 160 rn die
Neigung
Daraus = 21.8°
Vp = 25.46 mIs
Das vorhandene x~ ist nur unwesentlich zu kurz. Ein Einbeziehen des Steilabsturzes ober
halb 1‘810 m tLM. würde unrealistisch stark erhöhen.
—27—
C5 Auslaufstrecke
d
5
= 2.85 + 25.462
lOg
= 9.46 m (19)
— 28 —
-~ -~
~ ‘1 ~~—_~--
~ ~-;*~
~~J/ .~4
3. PARDENN / KLOSTERS (23.2.1970)
Charakterisierung
Cl Anrissgebiet
Cl.1 Ausmass
C1.2 Anrissmächtigkeit
f(33.0) = 0.78
— 29 —
Weiteste Distanz = 485 m (Grundriss)
Begri~ndung: Von 1‘470 bis 1‘480 m ü.M. beträgt auf einer Länge von 50 m die
Neigung
Daraus = 21.45
x~= 560
~ cos2l.45 =602m
— 30 —
Idealisiertes Sturzbahnprofil in 1‘600 m u.M.
79m
40m
Mit dem gegebenen Q ergibt sich nach einer Iterationsrechnung eine Fliesshöhe von 8.69 m.
Kontrolle: F = 517.21 m2
U= 82.73m
R ._517.21 =6.25m
82.73
— 31 —
C5 Auslaufstrecke
Beobachteter Auslauf:
d =d =20.36m
Si
— 32 —
Totale Auslaufstrecke (ab Punkt P1)
Gegenüber der beobachteten totalen Auslaufstrecke von ca. 600 m ist die berechnete etwas
zu kurz (s. Plan). Dazu ist zu bemerken, dass die im Plan eingezeichnete Auslauffläche die
jenige von Fliess— und Staubanteil darstellt, also eher zu gross ist (vor allem auch seitlich).
Oertliche Feststellungen zeigten jedoch einen Fliessanteil bis nahe zur Höhejikurve 1‘440 m
vor der Gegensteigung.
— 33 —
PARDENN / KLOSTERS
4. GROSSI CHIRCHENLAUI / MURGTAL
Charakterisierung
Die grösste beobachtete Lawine innerhalb ca. 20 Jahren wies eine Auslaufstrecke von 50 —
55 m auf.
= 0.3
— Lawine kommt sowohl als trockene Fliessiawine wie auch als Nassschneelawine (nach
starken Regenfällen)
Cl Anrissgebiet
C1.1 Ausmass
Mittlere Breite B0 = 30 m
C1.2 Anrissmächtigkeit
f(39.4) = 0.61
= 1.1~0.61 = O.7m
— 34 —
C2. 1 Durchflussmenge (rechteckförmiges Anrissgebiet; massgebend orographisch
linker Arm)
1. Annahme für
Lawinenbreite B~ = 50 m
— 35 —
2. Annahme für
B~ =50m
Vp = 11.8m/s d~ = O.6m
in Ordnung!
C5 Auslaufstrecken
Geschwindigkeit in P2 (Distanz P1 — P2 = 40 m)
—36—
Vp2
2
= 11.82 1 ~
69j
1 = ~ m2/s2 (22)
d =d =2.Om
S2 Si
S2 = 2.0 ~ in 1 + = 10 in (21)
2g 600
Beachte hier ~ = 1‘OOO mis2
s = 40 + 10 = 50 m
Stimmt sehr gut mit der beobachteten Auslaufstrecke von 50 —55 m überein.
— 37 —
1:10000