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Determinativkomposita

Morphologie
- Stamm + Stamm; u.U. morphologisch komplex, aber immer binär
verzweigend:
Stierkampfarena besteht aus Stierkampf und Arena;
Stierkampf besteht aus Stier und Kampf;
- Zweitglied kategoriebestimmend
- Reihenfolge fest: Determinans vor Determinatum
- Wortakzent auf dem Determinans (Akzentverschiebung aus rhythmischen
Gründen möglich: Autobahn-behélfsausfahrt statt
Aútobahn-behelfsausfahrt)

Semantik
- Erstglied bestimmt Zweitglied näher;
- Gesamtwort bezeichnet häufig eine Teilmenge des Zweitglieds; wie z.B.
Honig-biene 'Biene, die Honig produziert'
Öl-scheich 'Scheich, der Öl besitzt'
Schul-angelegenheit 'Angelegenheit, die die Schule betrifft'
aber: Beinahe-unfall, Nicht-schwimmer
- manchmal Benennungsirrtum: Wal-fisch, Erd-beere
- manchmal metaphorische Bedeutung: Akte-n-hengst, Jäger-braten
- verdeutlichendes Kompositum:
Schutz-patron, Grizzly-bär, Einzel-individuum
- früher Einteilung in viele semantisch definierte Subklassen (nicht sinnvoll,
da morphologisch nicht motiviert und Übergänge fließend)
Braunbär ‚Bär, der braun ist‘
Eisbär ‚Bär, der im Eis lebt‘
Brillenbär ‚Bär, der eine brillenförmige Gesichtszeichnung hat‘
Kragenbär ‚Bär, der eine kragenförmige Zeichnung am Hals hat‘
Malaienbär ‚Bär, der bei den Malaien lebt‘
Waschbär ‚Bär, der (scheinbar) seine Nahrung wäscht‘
Nasenbär ‚Bär, der eine auffällig große Nase hat‘
Wickelbär ‚Bär, der seinen Schwanz um Äste wickelt‘
Gummibär ‚Bär, der aus Gummi ist‘
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aber (in einem Ausstellungskontext):


Eisbär ‚Bär aus Eis‘
Holzbär ‚Bär aus Holz‘
Specksteinbär ‚Bär aus Speckstein‘
Granitbär ‚Bär aus Granit‘
Kunststoffbär ‚Bär aus Kunststoff‘

Kombinatorik (Auswahl)
als Erstglied fast alle Wortarten möglich, als Zweitglied v.a. Substantive und
Adjektive, z.T. Adverbien;
Substantiv + Substantiv: Auto-reifen, Killer-spiel, Tötung-(s)-absicht,
Wörtbildung-(s)-analyse, Rose-(n)-züchter,
Liebe-(s)-brief, Fürst-bischof, Strumpf-hose, Blut-bad
Substantiv + Adjektiv: verfassung-(s)-treu, titel-geil, erfolg-(s)-verwöhnt,
wein-rot, bruch-fest, nacht-aktiv, haut-freundlich
Adjektiv + Substantiv: Gelb-sucht, Gleich-schritt, Rot-kehlchen, Groß-macht,
Klein-tier, Unter-wäsche, Rot-kohl
Adjektiv + Adjektiv: rót-braun, (nicht rót-bráun!), taub-stumm, nass-kalt,
dunkel-blau, früh-reif
Verb + Substantiv: Bad-(e)-zimmer, Trink-becher, Les-(e)-ratte, Raub-tier,
Schlaf-störung, Ausgeh-uniform, Rausch-(e)-bart,
Fahr-kunst
Verb + Adjektiv: ess-gestört, lauf-begeistert, fern-gelenkt, rutsch-fest,
trink-freudig, reiß-fest
Pronomen + Substantiv: Ich-Erzähler, Wir-Gefühl
Präposition + Substantiv: Gegen-verkehr, Vor-tag, Über-ich
Präposition + Adjektiv: vor-schnell, vor-laut, über-lang
Präposition + Adverb: vor-gestern, über-morgen
Partikel + Substantiv: Nicht-Erscheinen, Nur-Hausfrau
Adverb + Substantiv: Beinah-Unfall, Fast-Absturz, Links-drall,
Sofort-wirkung
Adverb + Adjektiv: selbst-sicher
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Fugenelemente

Grimm: EIGENTLICHE (seit dem Indogerm.) vs. UNEIGENTLICHE KOMPOSITION (d.h.


DK vs. Zsr.);
des Freundes Hand → Freundeshand
des Menschen Leid → Menschenleid

heute Determinativkomposita nur noch Stamm + Stamm; z.T. Einschübe zwischen


den beiden Stämmen (keine Flexionsaffixe, sondern Elemente ohne Bedeutung,
also keine Morpheme);

- Varianten ohne Bedeutungsveränderung: Schwein-e/s-braten,


Rind-s/er-braten, Kind-es/er-mörder;
- semantisch falsche Plurale: Gänsebraten, Hühnerei, Tintenfleck, Sonnenschein
(alter Genitiv);
- semantisch falsche Singulare: Anwaltskammer, Buchhandlung, Gasthaus,
Freundeskreis;
- formal falsche Genitive: Liebesbrief, Einheitskleidung;
- formal falsche Plurale: Mausefalle;

-e-: Lieg-e-stuhl, Pferd-e-wagen, Bind-e-glied, Hund-e-zucht


-en-: Klasse-n-zimmer, Frau-en-zimmer
-n-: Klasse-n-zimmer, zitrone-n-gelb, Sonne-n-finsternis
-es-: Land-es-verteidigung, Bund-es-verfassung
-ens-: Schmerz-ens-schrei, Herz-ens-angelegenheit
-ns-: Glaube-ns-frage
-r-: Mitte-r-nacht
-er-: Räd-er werk, Büch-er-regal, Hühn-er-stall
-s-: Arbeit-s-anzug, Mann-s-bild, freiheit-s-liebend, mann-s-toll

„Subtraktionsfuge“ (Wolldecke, Münzautomat)

Ersetzung: -s- für –e, Hilfsangebot

„Nullfuge“ ?
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Tendenzen
z.T. bedeutungsunterscheidend: Volk-s-kunde – Völk-er-kunde, Glas-schrank –
Gläs-er-schrank;
-e- signalisiert oft Verbalität (aber: Pferdewagen, Früchtetee) des Erstglieds;
-s-: markiert fast immer Substantivität des Erstglieds;

Kopulativkomposita (Koordinativkomposita)

1. Forschungsgeschichte
- in den frühen Werken des 18. Jhs. (Bödiker 1746, Aichinger 1754, Gottsched 1762)
nicht thematisiert;
- Adelung (1782): keine Komposita, sondern nur eine Aneinanderreihung von
Wörtern, die keinen einheitlichen Begriff bilden;

- historisch-vergleichende Sprachwissenschaft:
ai. Klasse der DVANDVA (‚Paar‘, wörtlich ‚zwei und zwei‘) wird auch in Europa
bekannt, mit KOPULATIVKOMPOSITUM übersetzt und auch fürs Deutsche
postuliert;

Definition vorwiegend semantisch:


Wenn ein Wort der Struktur AB durch ‚A und B‘ paraphrasiert werden kann, ist es
ein Kopulativkompositum dagegen ist ein Wort der Struktur AB ein
Determinativkompositum, wenn mit A B irgendwie näher bestimmt.
Die prinzipielle Umstellbarkeit und die Gleichartigkeit der Konstituenten werden
gelegentlich erwähnt, aber nicht wirklich ernsthaft als Kriterien herangezogen.
Diese Definition wird lange beibehalten, z.B. bei Paul (1920), Henzen (31963) und
Erben (21983).
Erst Altmann/Kemmerling (2000) und Pittner (1991) verwenden eine
morphologische Definition;

Problem: semantische Verhältnisse oft schwer zu beurteilen:


Radiowecker ‚zugleich Radio und Wecker‘ oder ‚Wecker, der ein Radio enthält‘
Strichpunkt ‚zugleich Strich und Punkt‘ oder ‚Punkt mit einem Strich dran‘
Kindfrau ‚Kind und Frau zugleich‘ oder ‚Frau mit kindlichen Zügen‘
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- weitere Beispiele, die so unsinnigerweise als Kopulativkomposita eingeordnet


wurden:
Waisenkind, Gottkönig, Strumpfhose, Hosenrock, Dichterfürst, Laienprediger,
Kleiderschürze, Bettsofa, Schneeregen, Hassliebe, Gastdozent, Prinzgemahl,
Frauenleiche, Zielort, Fliederstrauch, Lindenbaum, Tannenbaum, Jeanshose,
Kieselstein, nasskalt, taubstumm u.v.a.

- Breindl/Thurmair (1992) zeigen anhand verschiedener Umfragen und


Untersuchungen, dass Wörter obigen Typs von vielen SprecherInnen eher wie
Determinativkomposita paraphrasiert werden und dass eine Umstellung der
Bestandteile auch nicht als semantisch gleichwertig akzeptiert wird. Daher
lehnen sie diesen Wortbildungstyp bei Substantiven (wozu sie Eigennamen nicht
zählen) ab.

2. Morphologische Beschreibung

- beteiligte Kategorien: Kombination aus zwei oder drei Wortstämmen; im


Gegensatz zum Determinativkompositum nicht zwingend binär verzweigend
(schwarz-rot-gold);

- alle Bestandteile und auch das Gesamtwort haben die gleiche Wortart [ entweder
Substantiv + Substantiv oder Adjektiv + Adjektiv (+ Adjektiv)]
- alle Bestandteile und auch das Gesamtwort gehören derselben semantischen
Subklasse an: deutsch-französisch aber nicht *deutsch-schön.
- das Genus der Teile kann gleich oder unterschiedlich sein, wobei nicht immer der
letzte Teil das Genus des Gesamtwortes bestimmt:
(Marxismusmask.-Leninismusmask.)mask.
(Wasserstoffmask.-Peroxidneutr.)neutr.
(Nordrheinmask.-Westfalenneutr.)neutr.
(Rheinlandneutr.-Pfalzfem.)neutr.

Wortbildungstyp der Ausgangswörter spielt aber keine Rolle:

cremig-weich: Suffigierung + Simplex


schonend-mild: Sytaktische Konversion + Simplex
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- Reihenfolge der Bestandteile prinzipiell vertauschbar (grün-weiß = weiß-grün),


wenn auch oft konventionell festgelegt (Schleswig-Holstein);
- Wortakzent: starker Akzent auf allen Bestandteilen (bláu-wéiß), wobei der zweite
gelegentlich als etwas stärker empfunden wird (blàu-wéiß); bei dreigliedrigen
Kopulativkomposita wird der mittlere Akzent manchmal aus rhythmischen
Gründen abgesenkt (schwárz-ròt-góld statt schwárz-rót-góld)
- keine Fugenelemente;
- Flexion ausschließlich am Ende des Gesamtwortes, d.h. ein einheitliches Wort;

3. Überblick über die Kopulativkomposita des Deutschen

- Farbadjektive (gráu-bláu, rót-schwárz, rót-wéiß-rót usw.), die Farbkombinationen


bezeichnen; diese sind häufig Erstglieder von Determinativkomposita wie
Schwárzwéißfernseher, bláu-rót-gestreift usw.
Farbadjektive, die Farbmischungen (bláugrün, gélbgrün) bezeichnen, sind
immer Determinativkomposita;
- Kombinationen aus Adjektiven, die Völker oder Staaten bezeichnen wie
énglisch-fránzösisch(e Beziehungen), schwédisch-fínnisch-nórwegisch(er
Vertrag) usw.;
- weitere Eigenschaftskombinationen, z. T. aus der Werbesprache schónend-míld,
crémig-wéich, sűß-sáuer, féucht-wárm, féucht-frőhlich,
wíssenschaftlich-téchnisch usw.
- Himmelsrichtungen Nórdóst, Nórdwést usw.; auch diese können als Erstglied eines
Determinativkompositums auftreten (Nórdóstdeutschland usw.), aber auch als
Zweitglied von Kopulativkomposiata (Nórdnórdóst);
- geographische Bezeichnungen wie Wánne-Éickel, Gármisch-Partenkírchen,
Nórdrhein-Westfálen, Élsaß-Lóthringen usw.
- kombinierte Vor- oder Zunamen: Kláus-Díeter, Ánna-Mária, (Eli)
Béinhorn-Rósemeyer, (Monika) Hólzner-Pflúg
nicht zu den Kopulativkomposita gehören Eigennamen mit deutlichem
Erstakzent wie Ánnemarie, Ánnegret, Hánnelore usw.
- Bezeichnungen für chemische Verbindungen: Wásserstoffpéroxid,
Schwéfelwásserstoff
- Marxísmus-Leninísmus
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abgekürzt zitierte Literatur

Adelung, J. Chr. (1782): Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache zur


Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. [Neudruck: Hildesheim,
1971]
Aichinger, Carl Friedrich (1754): Versuch einer teutschen Sprachlehre. Frankfurt
Altmann, Hans und Silke Kemmerling (2000): Wortbildung fürs Examen.
Wiesbaden
Bödiker, Johann (1746): Grundsaeze der Teutschen Sprache. Berlin
Breindl, E. / Thurmair, M. (1992): Der Fürstbischof im Hosenrock. Eine Studie zu
den nominalen Kopulativkomposita des Deutschen. In: Deutsche Sprache 20,
267-272
Erben, J. (21983): Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin
Gottsched, J. Chr. (1762): Vollständigere und Neuerläuterte Deutsche Sprachkunst.
Leipzig
Henzen, W. (31963): Deutsche Wortbildung. Tübingen
Paul, H. (1920): Deutsche Grammatik Bd. V, Teil IV: Wortbildungslehre. Halle a. d.
S.
Pittner, Robert J. (1991): Der Wortbildungstyp Kopulativkomposition im heutigen
Deutsch. In: Elisabeth Feldbusch, Reiner Pogarell und Cornelia Weiß (Hg.):
Neue Fragen der Linguistik. Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums.
Paderborn 1990. Bd. 1: Bestand und Entwicklung. Tübingen, 267-272
(=Linguistische Arbeiten 270)
Tobler, L. (1868): Über die Wortzusammensetzung nebst einem Anhang über
verstärkende Zusammensetzungen. Berlin

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