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FRAGESTELLUNG 2:
Skizzieren Sie Goffmans Modell des "korrek-
tiven Austauschs". Veranschaulichen Sie die
Mechanismen der Erklärung und der Ent-
schuldigung anhand eines aktuellen, gesell-
schaftlich relevanten empirischen Beispiels.
Gliederung
1. Vorbetrachtungen 3
1.1. Begriffseinführungen 3
1.2. Das Image und öffentliche Verhaltensregeln 3
2. Das Modell des korrektiven Austausches 4
2.1. Veranschaulichung an einem herkömmlichen Beispiel 6
3. Der korrektive Austausch in Zeiten des Internets 7
4. Anhang I: Weitere Begriffe 8
5. Bibliographie 9
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1. Vorbetrachtungen
1.1 BEGRIFFSEINFÜHRUNGEN
Um Goffmans Modell des korrektiven Austausches anwenden zu können, benötigt man ein
gewisses Begriffsinventar, welches er vor allem in „Das Individuum im öffentlichen
Austausch“ festsetzt (Goffman, 2000). Einige davon sind selbsterklärend, andere gehören zum
alltäglichen Selbstverständnis. An dieser Stelle werde ich nur die zum Verständnis wichtigsten
Begriffe einführen, eine ausführliche Liste finden Sie im Anhang I.
Neben dem Begriff der Sanktion, welche sowohl negativ als auch positiv sein kann, ist vor
allem das „Ritual“ elementar – Goffman definiert dies als ein regulierendes Verhalten,
welches als korrektive Handlung einen Fehler zwar nicht wieder gut macht, diesen aber als
solchen eingesteht und den Regelverletzenden in korrekten Bezug zu den verletzten
Konventionen (also vorübergehenden Übereinkünften) und Prinzipien (unabdingbaren
Normen) stellt. (Vgl. Goffman, 2000.) Diese Normen bestehen wiederum aus Verpflichtungen
(auf bestimmte Weise in Bezug auf Andere zu handeln) und Erwartungen (dass Andere auf
einen selbst bezogen auf gewisse Weise handeln), welche sich als Rechte (also erwünschte
Normen) und Pflichten (unerwünschte Normen) präsentieren.
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Interaktionsprozesses ist. Länge und Intensität der Ausgleichshandlung sind dabei dem
Ausmaß der Normverletzung angepasst. (Vgl. ebd., 1991, 25)
3. Die Annahme des Angebots von Seiten des Betroffenen, welche selbige als
befriedigendes Mittel zur Image- und Ordnungswiederherstellung akzeptiert.
Dies ist selbstverständlich ein allgemeines Modell, das nach Belieben variiert werden kann
und um mehrere Zwischenschritte erweitert oder auch verkürzt werden kann, ebenso wie
ausgedrückte Emotionen (Schmerz, Zorn etc.) nicht nur unmittelbarer Bestandteil dieses
Ablaufes sind, sondern auch Verbaläußerungen in jedem der Schritte ganz ersetzen können.
(Vgl. ebd, 1991, 26ff)
An die (nicht zwingendermaßen stattfindende) Dankbarkeitssignalisierung schließt sich die
erneute Aufnahme der ursprünglichen Interaktion an, was das eigentliche Ziel der korrektiven
Handlung ist – die Rückkehr zur Normalität. Aus diesem Grund kommt es auch vor, dass
Unbeteiligte die Schuld an Stelle des Verletzenden auf sich nehmen, um auf schnellstem Wege
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zum Interaktionsprozess zurückkehren zu können.
Als Normverletzender muss eine Person stets von dem sogenannten „virtuellen Vergehen“,
also der schlimmstmöglichen Deutung seines Deliktes ausgehen, was in den meisten Fällen
einem schlechten Charakter (noch vor persönlicher Rivalität) entspricht. Sein korrektives
Handeln entspricht also der Deutungstransformation von einem offensiven in ein akzeptables
Motiv. Hierfür stehen ihm verschiedene Methoden zur Verfügung, welche gesellschaftlich klar
definiert sind und ihren jeweils passenden Anlass haben. Goffman legt hier die Mechanismen
von Erklärung, Entschuldigung und Ersuchen dar, wovon ich im Folgenden auf die ersten
zwei Elemente näher eingehen möchte (da das Ersuchen eine im voraus anzubringende
Methode ist, die somit bei Annahme den Deliktbestand negiert). Häufig werden Erklärung
und Entschuldigung auch in einer Kombination verwendet.
Eine Entschuldigung entspricht einer rituellen Wiedergutmachung, welche die Tat nicht
substantiell entschädigt – da im öffentlichen Leben in der Regel kein materieller Schaden
entsteht, ist dies meist auch gar nicht möglich. Stattdessen ist es eine Methode, „durch die ein
Individuum sich in zwei Teile spaltet“ (ebd., 2000, 161), von denen eines das Vergehen
begangen hat und das andere sich von selbigem distanziert und die verletzte Regel anerkennt.
Dadurch bestätigt der Verletzende, dass er weiterhin in einem korrekten Bezug zur Norm
befindet und in Zukunft versuchen wird, den verletzenden Teil seines Selbst zu unterdrücken.
Zu einer Entschuldigung gehören in der Regel aufrichte Bekümmerung, das Wissen um die
richtige Verhaltensweise, das Ankündigen einer freiwilligen Entschädigung (sofern restitutiv
möglich) und die (meist sprachliche) Selbstverurteilung; im Extremfall auch die körperliche
Selbstkasteiung. Letztere Elemente zeigen dem Verletzten vor allem, dass dieser eine u.U.
angebrachte Bestrafung nicht mehr ausüben muss. (Vgl. ebd, 2000, S. 161ff)
Eine Erklärung kann sich auf viele verschiedene Aspekte berufen und sind entweder
Rechtfertigungen (obejktiv berechtigt) oder Ausreden (objektiv unberechtigt). Dies kann sich
zum Beispiel in einem Einspruch (also dem Bestreiten der Tat oder der Verantwortung), dem
Einbringen von übergeordneten (meist mildernden) Umständen oder Erwägungen oder
verminderter Zurechnungsfähigkeit bzw. in der Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse ausprägen.
Sämtliche Erklärungen können objektiv gut oder schlecht sein, je nachdem wie stark sie die
Schuld des Verletzenden mindert – dies ist nicht gleichzusetzen mit den Termini „falsch“ oder
„wahr“, denn oftmals kann eine gelogene Erklärung den Verletzenden besser von einer Schuld
befreien als es die wahre könnte. (Vgl. ebd, 2000, 159ff)
Entschuldigung und Erklärung (sowie in gewissem Ausmaß Ersuchen) sind, zusammen-
gefasst, Methoden, um das eigene Image wieder in das Licht zu rücken, in dem man es sehen
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will. Da jeder Mensch ständig, meist ungewollt, in die Territorien seiner Mitmenschen eintritt,
haben wir das Recht, durch die Annahme dieser korrektiven Maßnahmen die Verletzung des
Anderen zu annullieren und sein Selbstbild wieder herzustellen (vorausgesetzt die
Erklärungen sind berechtigt), sowie die Pflicht, diese Methoden selbst zu nutzen, wenn wir
selbst in die Rolle des Normverletzenden versetzt werden. (Vgl. ebd., 2000, 173)
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welche zwar falsch ist, da die Protagonistin als Frau nicht farbenblind sein kann, aber
trotzdem als gute Erklärung gelten kann, da sie zumindest oberflächlich zur Wiederher-
stellung ihres Images und zur Rückkehr zum normalen Gespräch führt, nachdem die Be-
troffene das Angebot der Verletzenden akzeptiert hat – wobei es durchaus möglich ist, dass sie
dies trotz einer Kenntnis der Lüge getan haben könnte, um zur Gesprächsnormalität
zurückzukehren zu können.
Ich habe mich vor allem nach folgenden, im Internet als Regelverletzungen angesehenen
Beiträgen umgesehen: Texten in GROSSBUCHSTABEN (Situation A), was allgemein mit
verbalem Schreien gleichgesetzt wird, unpassenden Anreden (Situation B), Beschimpfungen
(Situation C) und sarkastischen Äußerungen (Situation D).
Während der erste Schritt in alltäglichem face-to-face Verhalten oft gestisch ausgedrückt
wird und nur in härteren Fällen tatsächlich ausgesprochen wird, findet sich in Internetplatt-
formen nur die schriftliche Möglichkeit sowie das Abwarten auf eine von selbst stattfindende
Korrektivhandlung sowie den sogenannten „Smileys“ als Gestenersatz. Eine schriftliche
Herausforderung dürfte also beispielsweise folgendermaßen aussehen: „Bitte sieh mal nach
deiner Caps-Lock Taste, vielleicht ist sie festgeklemmt“ wäre eine höfliche Reaktion auf die
Situation A, da sie ein Versehen voraussetzt, eine komplementäre Reaktion wäre z.B. eine
Beschimpfung als „Troll“ (Autor unsachmäßiger Posts) in Situation C oder D.
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Die korrektive Handlung des zweiten Schrittes besteht interessanterweise in äußerst seltenen
Fällen aus einfachen Entschuldigungen, sondern ist fast durchgängig mit einer Erklärung
versehen. Dies liegt einerseits daran, dass einfachste Delikte wie Niesen oder eine
versehentliche Berührung, die in der realen Welt von einer simplen Entschuldigung gefolgt
werden würden, in Foren nicht passieren können und es sich bei einer weit größeren Zahl um
erklärungsbedürftiges Verhalten handelt. Des weiteren bleibt eine Provokation durch die
schriftliche Archivierung länger aktuell. Viel häufiger als im öffentlichen Leben erfolgt dieser
Schritt jedoch nicht sofort auf die Herausforderung, sondern wird erst mit wiederholtem
Schlagabtausch von Provokationen beantwortet, bevor einer der Teilnehmenden zur Einsicht
kommt. Dies liegt sicherlich an der (scheinbaren) Anonymität im Internet, durch welche viele
Interaktionsteilnehmer sich eher auf ein Streitgespräch einlassen, als sie es in der realen Welt
tun würden.
Den dritten und vierten Handlungsschritt beobachtet man generell recht selten im Internet –
höchstens den Schritt der Annahme kann man hin und wieder beobachten, die Dankbarkeits-
stufe fällt jedoch so regelmäßig weg, dass man Goffmans Modell bezogen auf Internet-
kommunikation modifizieren müsste, da dieser Schritt eher die Ausnahme als die Regel
bildet, und daher getrost gekürzt werden kann.
Ebenso wie sich Goffmans Modell nicht nur an Alltagssituationen (wie auf Seite 6), sondern
auch an erweiterter Alltagskommunikation wie dem Internet veranschaulichen lässt, so lässt
es sich auch auf weitaus größere Delikte erweitern, da auch hier die vier Schritte der
korrektiven Interaktion vorgenommen werden – mit dem Unterschied, dass hier die
Feststellung des Schuldigen von weitaus größerer Relevanz ist als bei alltäglichen Delikten,
bei denen die Wiederaufnahme des Kommunikationsprozesses im Mittelpunkt steht. Dies
zeigt, dass Goffman mit seinem Modell nicht nur eine Bestandaufnahme vorgelegt hat,
sondern eine Möglichkeit gefunden hat, selbst Austauschhandlungen in neuen, zu damaliger
Zeit noch kaum relevanten Medien zu analysieren.
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Standard ein Ideal, das nicht oder nicht immer erfüllt werden muss (z.B.
Schönheitsideal).
Anforderung ein Ideal, welches eine vollständige Regelbefolgung fordert (z.B.
nicht zu morden).
Verantwortlichkeit Vor allem unmittelbar (für die eigene Tat) oder für Schadenersatz
(Vormundschaft), außerdem definiert als V. des vorsätzlichen
Handelns (trotz Kenntnis der negativen Auswirkung ausgeführt) oder
der eigentlichen Absicht (mit Ziel dieser negativen Auswirkung).
Goffman beschreibt außerdem noch die moralische Verantwortung
als Frage nach der Handlung und wie gehandelt hätte werden sollen.
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5. Bibliographie
Gemünden, J., 1996. Gewalt gegen Männer in hetereosexuellen Intimpartnerschaften. Ein
Vergleich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auf der Basis einer kritischen Auswertung
empirischer Untersuchungen. Seite 93f. 1. Auflage. o.O.:Tectum Verlag.
http://books.google.com/books?
id=vBIEi1DRtUgC&pg=PA93&lpg=PA93&dq=Goffman+korrektive+Ausgleich&source=bl
&ots=7rJvhCrpML&sig=H3U0oV_claQSpamP-
3q7JGs6vDA&hl=de&sa=X&oi=book_result&resnum=1&ct=result
Goffman, E., 2000. Das Individuum im öffentlichen Austausch: Mikrostudien zur öffentlichen
Ordnung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.