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Magisches Viereck PDF
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Nach den Jahren des Wirtschaftswunders, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu
Wohlstand und Vollbeschäftigung geführt hatten, kam es 1966/67 zum ersten
wirtschaftlichen Abschwung nach dem Krieg. Plötzlich kehrte das Gespenst der
Krise mit Arbeitslosigkeit und sinkendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder.
In dieser Situation griff man auf die wirtschaftspolitische Theorie des 1946
gestorbenen britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes
zurück (= so genannte Nachfrageorientierung) und verabschiedete 1967 das Gesetz zur Förderung der
Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) zur Zeit der Regierung der Großen Koalition1. In ihm
wurden die noch heute geltenden wirtschaftspolitischen Ziele verankert, die Richtschnur für das
wirtschaftspolitische Handeln der Bundesregierung sein sollen und die der SVR2 bei seinen
Jahresgutachten zugrunde legt.
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Große Koalition – Regierungsbildung durch die beiden großen Parteien CDU / CSU und SPD 1966 bis 1969
unter Bundeskanzler Kiesinger, nachdem Ludwig Erhard am 1. Dezember 1966 als Bundeskanzler
zurückgetreten war. Erhards Ansehen als Wirtschaftsfachmann wurde erschüttert, als 1966 US-Präsident
Lyndon B. Johnson hohe zusätzliche Zahlungen u.a. für den Vietnamkrieg einforderte und die bis dahin
schwerste Rezession der Nachkriegszeit mit drastisch steigenden Arbeitslosenzahlen einsetzte. Erhard bildete
am 26. Oktober 1966 eine Minderheitsregierung aus CDU und CSU. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wählte
indes Kurt Georg Kiesinger zum Kanzlerkandidaten, der eine große Koalition mit der SPD zustande brachte.
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SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die so genannten „Fünf
Wirtschaftsweisen“.
3
Mikrorelationen – Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten, z.B. zwischen Verkäufern und
Käufern und die sich daraus ergebende Preisbildung.
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makroökonomisch – gesamtwirtschaftlich, Analyse gesamtwirtschaftlicher Größen wie z.B.
gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Produktion.
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Doch warum werden diese wirtschaftspolitischen Ziele dem Staat zur Erfüllung vorgegeben?
Ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum wird erstrebt, um die öffentlichen Aufgaben
(einschließlich der Hilfe für sozial Schwache und für strukturschwache Regionen) besser erfüllen zu
können, ohne die Steuern dabei zu erhöhen und um den Individuen in der Zukunft und den künftigen
Generationen einen höheren Konsumstandard zu ermöglichen sowie um den Aufbau von
Überkapazitäten in wirtschaftlichen Hochphasen zu ermöglichen und damit die Gefahr der
Unterauslastung und das Abgleiten in ein wirtschaftliches Tief zu vermeiden.
Ein hoher Beschäftigungsstand wird erstrebt, weil er der Arbeitnehmerschaft mehr wirtschaftliche
Sicherheit verschafft und ihr ein erhöhtes Maß an Unabhängigkeit verleiht. Ein hoher
Beschäftigungsstand verstärkt zudem nach Auffassung des SVR die Zustimmung zu dem System, in dem
die Arbeitnehmer leben und wirkt damit systemstabilisierend.
Das Ziel der Preisniveaustabilität wird angestrebt, weil ein Prozess „schleichender“ Geldentwertung
unerwünschte Verteilungseffekte bewirkt. Die privaten Haushalte und Sparer werden durch die Inflation
am stärksten betroffen, ebenso wie der Staat. Gewinner der Inflation sind die Unternehmer und reiche
Menschen, deren Vermögen überwiegend aus Realvermögen (Mietshäuser etc.) bestehen, die einen
wirksamen Schutz gegen Inflation bieten.
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wird angestrebt, um die Gefahr der importierten Inflation durch
zu hohe Exportüberschüsse abzuwehren und um die Stabilität der eigenen Währung zu gewährleisten
sowie um die binnenwirtschaftlichen Maßnahmen der Wirtschaftspolitik nicht durch Einflüsse des
Auslands zu zerstören.
Allerdings ist es leichter, diese Ziele zu postulieren5, als sie zu erreichen. Deshalb spricht man auch vom
„magischen Viereck“. Es wird so genannt, weil die Realisierung eines Ziels die Erreichung eines anderen
in Mitleidenschaft zieht. So gefährdet beispielsweise ein hoher Beschäftigungsstand die Preisstabilität,
weil wegen der guten Arbeitsmarktlage höhere Lohnforderungen gestellt werden können, was zu
Preissteigerungen der Produkte führt. Alle vier Ziele gleichzeitig und gleichmäßig zu verwirklichen ist
praktisch unmöglich. Tatsächlich kann es in der Konjunkturpolitik nur darum gehen, den Zielen des
„magischen Vierecks“ so nahe wie möglich zu kommen.
Arbeitsaufträge:
1) Erklären Sie mithilfe des Textes, was die wirtschaftspolitischen Ziele des Staates
sind, wie sich diese begründen und warum das „Viereck“ ein „magisches“ ist
(Nutzen Sie auch die weiterführenden Informationen auf Seite 6-9).
2) Zeichnen und beschriften Sie ein „magische Viereck“.
3) Werten Sie die statistischen Daten zur Entwicklung der Konjunktur von 1980 bis
2011 (M1) aus, indem Sie mit verschiedenen Farben
a. das magische Viereck in das Diagramm eintragen (beachten Sie dabei die
angestrebten wirtschaftspolitischen Zielwerte - vgl. Text) (M2),
b. die wirtschaftlichen Daten aus den Jahren 1989, 2009 und einem weiteren
Jahr eintragen (M1, M2),
c. die im Zieldiagramm erkennbaren Überschreitungen und Unterschreitungen
der Zielwerte bewerten.
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postulieren - fordern
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Arbeitslosenquote
Veränderung in %
gegenüber dem Vorjahr
Wachstum Inflation
Veränderung des BIP in % Veränderung Preisindex in %
gegenüber dem Vorjahr gegenüber dem Vorjahr
Außenbeitrag
Veränderung in %
gegenüber dem Vorjahr
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Prof. Dr. Dr. Hans W. Möller: Angewandte Volkswirtschaftslehre. Wirtschaftspolitische Fallstudien mit
Lösungstechniken, 3. aktualisierte und ergänzte Auflage, S.8.
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Arbeitsaufträge:
4) Berechnen Sie Wachstum (BIP), Arbeitslosenquote, Preisniveau (HVPI) und außenwirtschaftliches
Gleichgewicht (Außenbeitrag).
5) Beurteilen Sie, ob die wirtschaftspolitischen Ziele erreicht wurden.
6) Zeigen Sie jeweils drei mögliche Folgen für diese Volkswirtschaft auf.
b) Hoher Beschäftigungsstand
Der Beschäftigungsstand wird mit der Arbeitslosenquote gemessen. Die Arbeitslosenquote
gibt den Anteil der registrierten Arbeitssuchenden an den Erwerbspersonen an. Zu den
Erwerbspersonen zählen alle Menschen, die arbeiten und Arbeit suchen.
Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 leben in einer Volkswirtschaft 144 Menschen: 20 Kinder und
nicht-erwerbstätige Frauen und Männer, 24 Rentner, 95 Menschen, die Arbeit haben und 5,
die Arbeit suchen und sich beim Arbeitssamt gemeldet haben.
c) Preisniveaustabilität
Preisniveaustabilität wird daran gemessen, ob das Preisniveau, d.h. die durchschnittlichen
Preise, sich verändert haben. Der HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) gibt an, wie
sich ein „Warenkorb“ mit ca. 750 Gütern- und Dienstleistungen, die als repräsentativ für
unsere Konsumgewohnheiten gelten, preislich entwickelt. Je nach durchschnittlich
konsumierter Menge haben einzelne Waren im Warenkorb ein unterschiedliches Gewicht.
Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 kostet ein Glas Kölsch 1,5 € und eine Cola 2 €. Die
Konsumenten haben die Gewohnheit doppelt soviel Kölsch wie Cola zu konsumieren. Im
Jahr 2005 erhöht sich der Kölschpreis auf 2 €. Vereinfacht nehmen wir an, dass unser
Warenkorb nur zwei Gütern beinhaltet.
d) Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wird am Devisenbilanzsaldo oder am Anteil der
Außenbeitrags (Export minus Import) am BIP gemessen. Das Devisenbilanzsaldo gibt an, ob
Importe und Exporte von Gütern- und Dienstleistungen ausgeglichen sind. Sind Ex- und
Importe nicht ausgeglichen, dann gibt es einen Geld- (fremde Währungen bezeichnen wir als
Devisen) oder Güterüberschuss, der nur einen bestimmten Anteil vom BIP betragen soll.
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