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Sozialwissenschaften GK 11 Frau Moeßner

Ziele der Wirtschaftspolitik – das „magische Viereck“

Nach den Jahren des Wirtschaftswunders, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu
Wohlstand und Vollbeschäftigung geführt hatten, kam es 1966/67 zum ersten
wirtschaftlichen Abschwung nach dem Krieg. Plötzlich kehrte das Gespenst der
Krise mit Arbeitslosigkeit und sinkendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder.
In dieser Situation griff man auf die wirtschaftspolitische Theorie des 1946
gestorbenen britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes
zurück (= so genannte Nachfrageorientierung) und verabschiedete 1967 das Gesetz zur Förderung der
Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) zur Zeit der Regierung der Großen Koalition1. In ihm
wurden die noch heute geltenden wirtschaftspolitischen Ziele verankert, die Richtschnur für das
wirtschaftspolitische Handeln der Bundesregierung sein sollen und die der SVR2 bei seinen
Jahresgutachten zugrunde legt.

Grundprinzipien und Ziele des StWG


Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ist vor allem mit dem Namen
von Karl Schiller, Wirtschaftsminister zur Zeit der Großen Koalition, verbunden. Das Grundprinzip des
StWG beschrieb Karl Schiller so: „Die optimale Zuordnung der Mittel besteht also in der kombinierten
Anwendung des Prinzips der Selbststeuerung durch den Wettbewerb für die Mikrorelationen3 und der
Globalsteuerung für den makroökonomischen4 Komplex. Dies ist die wirtschaftspolitische
Grundentscheidung nach dem Prinzip: Wettbewerb so weit wie möglich, Planung so weit wie nötig.“
Auszug aus dem Stabilitätsgesetz: „§1 [Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts] – Bund
und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanz-politischen Maßnahmen die Erfordernisse des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im
Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen
Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem
Wirtschaftswachstum beitragen.“

Das StWG legt also die Ziele der Wirtschaftspolitik fest:


 ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum (das heißt die Vergrößerung des BIPs):
eine durchschnittliche Zuwachsrate des realen BIPS von mindestens 2% bis reichlich 4,5 %, das
Wirtschaftswachstum sollte dabei nach heutiger Auffassung zugleich ökologisch nachhaltig sein.
 einen hohen Beschäftigungsstand (also möglichst geringe Arbeitslosenquote von
jahresdurchschnittlich ca. 3%, bei Vollbeschäftigung höchstens 1 %).
 die Preisniveaustabilität (also eine möglichst geringe Inflation: eine durchschnittliche
Zuwachsrate des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus und insbesondere des Harmonisierten
Verbraucherpreisindex (HVPI) von höchstens 2 %).
 das außenwirtschaftliche Gleichgewicht (das heißt, dass Im- und Exporte möglichst ausgeglichen
sein sollen, der Anteil des Außenbeitrags am BIP sollte höchstens 1,5-2% betragen).

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Große Koalition – Regierungsbildung durch die beiden großen Parteien CDU / CSU und SPD 1966 bis 1969
unter Bundeskanzler Kiesinger, nachdem Ludwig Erhard am 1. Dezember 1966 als Bundeskanzler
zurückgetreten war. Erhards Ansehen als Wirtschaftsfachmann wurde erschüttert, als 1966 US-Präsident
Lyndon B. Johnson hohe zusätzliche Zahlungen u.a. für den Vietnamkrieg einforderte und die bis dahin
schwerste Rezession der Nachkriegszeit mit drastisch steigenden Arbeitslosenzahlen einsetzte. Erhard bildete
am 26. Oktober 1966 eine Minderheitsregierung aus CDU und CSU. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wählte
indes Kurt Georg Kiesinger zum Kanzlerkandidaten, der eine große Koalition mit der SPD zustande brachte.
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SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die so genannten „Fünf
Wirtschaftsweisen“.
3
Mikrorelationen – Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten, z.B. zwischen Verkäufern und
Käufern und die sich daraus ergebende Preisbildung.
4
makroökonomisch – gesamtwirtschaftlich, Analyse gesamtwirtschaftlicher Größen wie z.B.
gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Produktion.
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Doch warum werden diese wirtschaftspolitischen Ziele dem Staat zur Erfüllung vorgegeben?
Ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum wird erstrebt, um die öffentlichen Aufgaben
(einschließlich der Hilfe für sozial Schwache und für strukturschwache Regionen) besser erfüllen zu
können, ohne die Steuern dabei zu erhöhen und um den Individuen in der Zukunft und den künftigen
Generationen einen höheren Konsumstandard zu ermöglichen sowie um den Aufbau von
Überkapazitäten in wirtschaftlichen Hochphasen zu ermöglichen und damit die Gefahr der
Unterauslastung und das Abgleiten in ein wirtschaftliches Tief zu vermeiden.
Ein hoher Beschäftigungsstand wird erstrebt, weil er der Arbeitnehmerschaft mehr wirtschaftliche
Sicherheit verschafft und ihr ein erhöhtes Maß an Unabhängigkeit verleiht. Ein hoher
Beschäftigungsstand verstärkt zudem nach Auffassung des SVR die Zustimmung zu dem System, in dem
die Arbeitnehmer leben und wirkt damit systemstabilisierend.
Das Ziel der Preisniveaustabilität wird angestrebt, weil ein Prozess „schleichender“ Geldentwertung
unerwünschte Verteilungseffekte bewirkt. Die privaten Haushalte und Sparer werden durch die Inflation
am stärksten betroffen, ebenso wie der Staat. Gewinner der Inflation sind die Unternehmer und reiche
Menschen, deren Vermögen überwiegend aus Realvermögen (Mietshäuser etc.) bestehen, die einen
wirksamen Schutz gegen Inflation bieten.
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wird angestrebt, um die Gefahr der importierten Inflation durch
zu hohe Exportüberschüsse abzuwehren und um die Stabilität der eigenen Währung zu gewährleisten
sowie um die binnenwirtschaftlichen Maßnahmen der Wirtschaftspolitik nicht durch Einflüsse des
Auslands zu zerstören.
Allerdings ist es leichter, diese Ziele zu postulieren5, als sie zu erreichen. Deshalb spricht man auch vom
„magischen Viereck“. Es wird so genannt, weil die Realisierung eines Ziels die Erreichung eines anderen
in Mitleidenschaft zieht. So gefährdet beispielsweise ein hoher Beschäftigungsstand die Preisstabilität,
weil wegen der guten Arbeitsmarktlage höhere Lohnforderungen gestellt werden können, was zu
Preissteigerungen der Produkte führt. Alle vier Ziele gleichzeitig und gleichmäßig zu verwirklichen ist
praktisch unmöglich. Tatsächlich kann es in der Konjunkturpolitik nur darum gehen, den Zielen des
„magischen Vierecks“ so nahe wie möglich zu kommen.

Arbeitsaufträge:
1) Erklären Sie mithilfe des Textes, was die wirtschaftspolitischen Ziele des Staates
sind, wie sich diese begründen und warum das „Viereck“ ein „magisches“ ist
(Nutzen Sie auch die weiterführenden Informationen auf Seite 6-9).
2) Zeichnen und beschriften Sie ein „magische Viereck“.
3) Werten Sie die statistischen Daten zur Entwicklung der Konjunktur von 1980 bis
2011 (M1) aus, indem Sie mit verschiedenen Farben
a. das magische Viereck in das Diagramm eintragen (beachten Sie dabei die
angestrebten wirtschaftspolitischen Zielwerte - vgl. Text) (M2),
b. die wirtschaftlichen Daten aus den Jahren 1989, 2009 und einem weiteren
Jahr eintragen (M1, M2),
c. die im Zieldiagramm erkennbaren Überschreitungen und Unterschreitungen
der Zielwerte bewerten.

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postulieren - fordern
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M1 Auswertung einer Datenreihe: Wurden die wirtschaftspolitischen Ziele erreicht?

Arbeitslosenquote
Veränderung in %
gegenüber dem Vorjahr

Wachstum Inflation
Veränderung des BIP in % Veränderung Preisindex in %
gegenüber dem Vorjahr gegenüber dem Vorjahr

Außenbeitrag
Veränderung in %
gegenüber dem Vorjahr

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M2 Daten: Entwicklung der Konjunktur von 1980 bis 20116

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Prof. Dr. Dr. Hans W. Möller: Angewandte Volkswirtschaftslehre. Wirtschaftspolitische Fallstudien mit
Lösungstechniken, 3. aktualisierte und ergänzte Auflage, S.8.
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M3 Einfache Modellrechnungen: Wie wird gemessen, ob die Ziele erreicht wurden?

Arbeitsaufträge:
4) Berechnen Sie Wachstum (BIP), Arbeitslosenquote, Preisniveau (HVPI) und außenwirtschaftliches
Gleichgewicht (Außenbeitrag).
5) Beurteilen Sie, ob die wirtschaftspolitischen Ziele erreicht wurden.
6) Zeigen Sie jeweils drei mögliche Folgen für diese Volkswirtschaft auf.

a) Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum


Das Wirtschaftswachstum wird daran gemessen, ob das BIP (=BruttoInlandsProdukt) jährlich
durchschnittlich real steigt. BIP: Summe aller Güter- und Dienstleistungen, die in einer
Volkswirtschaft im Inland in einem Jahr produziert und verkauft werden.

Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 werden in einer Volkswirtschaft in einem Jahr Möbel im


Gesamtwert von 60 € und Dienstleistungen im Gesamtwert von 40 € produziert. Im Jahr
2005 wird dieser Gesamtwert verkauft und es werden 10 € Güter mehr produziert, die
exportiert werden und es werden 5 € Güter importiert.

b) Hoher Beschäftigungsstand
Der Beschäftigungsstand wird mit der Arbeitslosenquote gemessen. Die Arbeitslosenquote
gibt den Anteil der registrierten Arbeitssuchenden an den Erwerbspersonen an. Zu den
Erwerbspersonen zählen alle Menschen, die arbeiten und Arbeit suchen.

Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 leben in einer Volkswirtschaft 144 Menschen: 20 Kinder und
nicht-erwerbstätige Frauen und Männer, 24 Rentner, 95 Menschen, die Arbeit haben und 5,
die Arbeit suchen und sich beim Arbeitssamt gemeldet haben.

c) Preisniveaustabilität
Preisniveaustabilität wird daran gemessen, ob das Preisniveau, d.h. die durchschnittlichen
Preise, sich verändert haben. Der HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) gibt an, wie
sich ein „Warenkorb“ mit ca. 750 Gütern- und Dienstleistungen, die als repräsentativ für
unsere Konsumgewohnheiten gelten, preislich entwickelt. Je nach durchschnittlich
konsumierter Menge haben einzelne Waren im Warenkorb ein unterschiedliches Gewicht.

Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 kostet ein Glas Kölsch 1,5 € und eine Cola 2 €. Die
Konsumenten haben die Gewohnheit doppelt soviel Kölsch wie Cola zu konsumieren. Im
Jahr 2005 erhöht sich der Kölschpreis auf 2 €. Vereinfacht nehmen wir an, dass unser
Warenkorb nur zwei Gütern beinhaltet.

d) Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wird am Devisenbilanzsaldo oder am Anteil der
Außenbeitrags (Export minus Import) am BIP gemessen. Das Devisenbilanzsaldo gibt an, ob
Importe und Exporte von Gütern- und Dienstleistungen ausgeglichen sind. Sind Ex- und
Importe nicht ausgeglichen, dann gibt es einen Geld- (fremde Währungen bezeichnen wir als
Devisen) oder Güterüberschuss, der nur einen bestimmten Anteil vom BIP betragen soll.

Übungsaufgabe: Im Jahr 2004 produziert die Volkswirtschaft Güter- und Dienstleistungen


im Wert von 100 €, von denen Güter im Wert von 20 € exportiert werden. Zusätzlich
werden Güter im Wert von 5 € importiert.
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Das magische Viereck - Zusatzinformationen

1. Ziel: Angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum

Bruttoinlandsprodukt und Wachstumsrate


Als Indikator für das Wirtschaftswachstum hat sich auch inter-
national die Wachstumsrate des BIP durchgesetzt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) selber ist
die weltweit verwendete Größe, mit der die Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche
Wachstum einer Volkswirtschaft ermittelt werden.
5 Wirtschaftswachstum bezeichnet eine Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität in einer
Volkswirtschaft. Es wird primär durch die Zuwachsrate des BIP gemessen.
Wirtschaftswachstum kann entweder positiv oder negativ sein. Negatives Wachstum wird
auch als ein Schrumpfen der Wirtschaft bezeichnet und kann im Abschwung auftreten,
jedoch nicht zwingendermaßen. Positives Wachstum verbindet man mit Aufschwung und
10 Hochkonjunktur.
Unter dem BIP eines Landes versteht man den in Marktpreisen ausgedrückten Wert aller
Sachgüter (z.B. Autos, Schweine, Düsenjäger, Drehbänke, Äpfel) und Dienstleistungen (z.B.
ärztliche Behandlung, Postzustellung, Tätigkeit eines Polizisten), die in einer Periode, z.B.
einem Jahr, in einem Land erstellt worden ist. Es bildet damit den gesamtwirtschaftlichen
15 Output ab, der von den Unternehmen und dem Staat produziert worden ist und entspricht
dem gesamtwirtschaftlichen Angebot. Dabei handelt es sich um eine rückblickende (Ex-post)
Analyse, also um die Ermittlung für eine zurückliegende Wirtschaftsperiode.

2. Ziel: Hoher Beschäftigungsstand

Wer gilt amtlich als arbeitslos?


In der öffentlichen Diskussion wird der Arbeitslosigkeit mindestens eine ebenso hohe
Bedeutung beigemessen wie dem Wirtschaftswachstum.
Dies ist leicht nachzuvollziehen, da eine hohe Unterbeschäftigung sehr viele Menschen sehr
unmittelbar berührt. Selbst wenn man seinen Arbeitsplatz noch nicht verloren hat, kann die
5 Sorge, plötzlich ohne Job dazustehen, eine große persönliche Belastung darstellen. Die
Arbeitslosigkeit wird in Deutschland anhand der Statistik der Bundesagentur für Arbeit
ermittelt. Als arbeitslos wird dabei gezählt, - wer das 15., aber noch nicht das 65.
Lebensjahr vollendet hat, - wer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis
steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt, - der Arbeitsvermittlung zur
10 Verfügung steht, - nicht arbeitsunfähig erkrankt ist, - und ein versicherungspflichtiges,
mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassendes Beschäftigungsverhältnis mit einer Dauer
von mehr als 7 Kalendertagen sucht. Also ist Arbeitslosigkeit der Zustand eines Individuums
auf der Suche nach einer bezahlten Arbeit in einer Zeit, wo das Individuum keine Arbeit hat.
Arbeitslosigkeit schließt nicht ein: Vollzeitstudenten, Rentner, Kinder und Menschen, die
15 nicht aktiv nach einer Arbeit suchen.
Das Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes wurde nie genau quantifiziert, aber es besteht
ein Konsens [Einigung] darüber, dass man bereits bei einer Arbeitslosenquote von 3-4 % im
Bereich der Vollbeschäftigung liegt. Dies ist damit zu erklären, dass es auch bei einer sehr
guten Konjunkturlage Arbeitslosigkeit gibt, weil: Die Beschäftigten von einem Job zum
20 anderen wechseln (z.B. weil sie den Berufszweig wechseln oder an einen anderen Ort
ziehen) und dabei nicht immer einen lückenlosen Übergang finden (friktionelle
Arbeitslosigkeit); in manchen Branchen – wie z.B. der Bauwirtschaft – im Winter nicht

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gearbeitet werden kann (saisonale Arbeitslosigkeit); ein Mangel an Nachfrage nach


verfügbaren Arbeitskräften entsteht, aber auch, wenn die verfügbaren Arbeitskräfte nicht
25 qualifiziert sind (ist bspw. das Ergebnis schneller technologischer Entwicklungen, die die
Fähigkeiten bestimmter Arbeiter überflüssig machen – z.B. Bergarbeiter im Ruhrgebiet).
Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit ist an die Wachstumsrate der Wirtschaft gebunden.
Diese Art der Arbeitslosigkeit ergibt sich aus der Rezession (Wirtschaftsabschwung), d.h.
wenn das Wachstum des BIPs klein ist oder gar negativ, ist die Arbeitslosigkeit hoch.
30 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit kann durch wirtschaftspolitische Maßnahmen reduziert
werden.

3. Ziel: Stabilität des Preisniveaus


Ermittlung des Verbraucherpreisindex
Inflation ist ein anhaltender Prozess von Preissteigerungen auf breiter Front, der zu
einem sinkenden Geldwert führt. Der Geldwert oder die Kaufkraft des Geldes wird am
Preisniveau gemessen. Dem Preisniveau wird der so genannte Verbraucherpreisindex
(VPI) als gebräuchlicher Indikator zugrunde gelegt. Steigt der VPI, sinkt der Geldwert, bei
5 fallendem Verbraucherpreisindex – fallendem Preisniveau - steigt der Geldwert. Der
Geldwert kommt also im reziproken Wert [Kehrwert, Vertauschung von Zähler und
Nenner im Bruch] des Preisniveaus zum Ausdruck. Für die Bestimmung des Preisindex
werden die Preise solcher Waren und Dienstleistungen ausgewählt, die von den privaten
Haushalten typischerweise nachgefragt werden. Während man bis 2002 für
10 verschiedene Haushaltstypen den Lebenshaltungskostenindex ermittelte, wird ab 2003
mit der Umbenennung in Verbraucherpreisindex nur ein Index, der sich auf alle
Haushalte bezieht, berechnet. Der zugrunde gelegte Indexhaushalt, bei dem das
Statistische Bundesamt für das Jahr 2000 von 2,1 Mitgliedern ausgeht, repräsentiert
einen Mittelwert aus allen an einem bestimmten Stichtag in Deutschland vorhandenen
15 Haushalten. Er ist eine rein rechnerische Größe, eine gedankliche Konstruktion, da es in
der Realität natürlich keinen Haushalt mit 2,1 Personen geben kann. Ebenso verhält es
sich mit den Gütern, die dieser Indexhaushalt nachfragt. Der Nachfrage liegt die
durchschnittliche Ausgabenstruktur aller privaten Haushalte zugrunde. Da kein realer
Haushalt aus 2,1 Personen bestehen kann und jeder einzelne Haushalt einen
20 individuellen Verbrauch hat, ist der Preisindex für einen individuellen Haushalt nur
eingeschränkt aussagefähig dafür, wie ihn die Geldwertentwicklung betrifft.
Für die Ermittlung des Verbraucherpreisindex muss das statistische Bundesamt die
Verbrauchsgewohnheiten und die Preise für die von den Haushalten nachgefragten
Waren erfassen.
25 Was ist Inflation und Deflation?
In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet Inflation einen generellen
durchschnittlichen Preisanstieg von Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft
in einer festgelegten Zeitspanne. Wenn das Preisniveau steigt, dann kann man für einen
festen Betrag (z.B. 100 €) weniger Waren und Dienstleistungen kaufen. Inflation ist daher
30 ein Verlust der Kaufkraft einer Währung, ein Verlust des realen Wertes.
Inflation entsteht, wenn die Geldmenge in einer Volkswirtschaft zunimmt, was
verschiedene Gründe haben kann.
In den Wirtschaftswissenschaften bezeichnet Deflation das Gegenteil von Inflation: Eine
Abnahme des allgemeinen Preisniveaus von Waren und Dienstleistungen. Deflation tritt
35 auf, wenn die Inflationsrate unter 0 % (= negative Inflationsrate) fällt, was zu einer
Zunahme der Kaufkraft der Währung führt.

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Warenkorb und Wägungsschema


Die Begriffe Warenkorb und Wägungsschema werden häufig als Synonyme verwandt.
Diese Art der Darstellung ist aber sehr vereinfachend und oft Anlass für
40 Missverständnisse. Der wichtigere Begriff für die Verbraucherpreisstatistik ist der Begriff
des Wägungsschemas, in der Öffentlichkeit bekannter ist dagegen der Begriff Warenkorb.
Der Verbraucherpreisindex für Deutschland will ein umfassendes Bild der
Preisentwicklung vermitteln, soweit davon die privaten Haushalte betroffen sind. Es ist
deshalb erforderlich, deren Verbrauchsgewohnheiten umfassend und sehr detailliert zu
45 erfassen und den Berechnungen eines Verbraucherpreisindex (VPI) zugrunde zu legen. Es
ist aber nicht möglich und auch nicht erforderlich, die Preise für alle angebotenen und
von privaten Haushalten gekauften Waren und Dienstleistungen zu erheben. Es ist
vielmehr ausreichend, aus der Fülle des Güterangebots einige hundert auszuwählen, die
stellvertretend sowohl den gesamten Verbrauch als auch die Preisentwicklung der von
50 den Haushalten nachgefragten Güter mit hinreichender Genauigkeit repräsentieren. Die
Gesamtheit der ausgewählten Güter heißt Warenkorb. Der Warenkorb für die Preisindizes
in der Bundesrepublik Deutschland umfasst zurzeit etwa 700 Waren und
Dienstleistungen.
Diese Güterauswahl muss von Zeit zu Zeit daraufhin überprüft werden, ob sie noch den
55 aktuellen Verbrauchsgewohnheiten entspricht. Es ist dabei nicht nötig, jede kurzfristige
Konsumveränderung exakt abzubilden. Längerfristige Veränderungen im
Verbrauchsverhalten müssen aber berücksichtigt werden. Darüber hinaus werden ständig
neue Produkte angeboten, alte verschwinden vom Markt. […]
Viel wichtiger als die Auswahl der einzelnen Preisrepräsentanten, also die Festlegung des
60 Warenkorbes, ist die Bestimmung des Gewichts, mit dem die Preisentwicklung einzelner
Preisrepräsentanten in die Gesamtindizes eingeht. Das Wägungsschema quantifiziert,
welchen Anteil zum Beispiel die Mietausgaben oder andere Ausgabepositionen an den
gesamten Verbrauchsausgaben der privaten Haushalte haben. Höhe und Struktur der
Ausgaben der privaten Haushalte werden vom Statistischen Bundesamt aus den
65 Ergebnissen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe, die alle fünf Jahre
durchgeführt wird, und der jährlichen Statistik der laufenden Wirtschaftsrechnungen
abgeleitet. Ergänzend werden hierfür Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnungen, der Steuerstatistiken und vieler anderer amtlicher und nicht-
amtlicher Datenquellen verwendet.
70 Weil sich Güterangebot und Präferenzen der Verbraucher im Zeitablauf ändern, stehen
der Grundsatz der Aktualität des Wägungsschemas und das Ziel der Preisstatistik, reine
Preisveränderungen auszuweisen, in einen gewissen Widerstreit. Das Statistische
Bundesamt trägt dem dadurch Rechnung, dass es den Verbraucherpreisindex für
Deutschland mit einem konstanten Wägungsschema auf fester Basis berechnet. Nach
75 jeweils circa fünf Jahren wird ein neues Wägungsschema und damit eine neue
Basisperiode eingeführt. Veränderungen im Wägungsschema können sowohl durch
veränderte Angebots- als auch durch veränderte Nachfragekonstellationen bedingt sein.

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4. Ziel: Außenwirtschaftliches Gleichgewicht

Indikator für das außenwirtschaftliche Gleichgewicht


Als Indikator für das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts wird vorwiegend der
prozentuale Anteil des Außenbeitrags am realen BIP herangezogen. Der Außenbeitrag
(Außenhandelsbilanz) ist die Differenz zwischen Export und Import von Gütern und
Dienstleistungen. Er setzt sich dabei zusammen aus sichtbarem und unsichtbarem Handel sowie
5 den Finanztransaktionen. Sichtbarer Handel meint den Handel von Gütern die man sehen, anfassen
und wiegen kann; die Bilanz des sichtbaren Handels ist demnach der Wert sichtbarer Exporte
minus Wert sichtbarer Importe.
Unter unsichtbarem Handel versteht man den Austausch von Dienstleistungen, die man nicht
sehen oder anfassen kann, wie zum Beispiel Tourismus und Versicherungen; die Bilanz des
10 unsichtbaren Handelns ist demnach der Wert der unsichtbaren Exporte minus Wert der
unsichtbaren Importe.
Der Außenbeitrag ist positiv, wenn der Wert der Exporte größer ist als der Wert der Importe. Ein
Überschuss der Exporte über die Importe erhöht das BIP. Ferner entstehen dadurch
Devisenreserven, also Forderungen gegenüber dem Ausland. Ist umgekehrt der Import größer als
15 der Export, ist der Außenbeitrag negativ. Ein Importüberschuss verringert das BIP, Devisenreserven
werden in diesem Fall abgebaut, um die Forderungen des Auslands zu bezahlen. Sind keine oder
nicht ausreichende Devisenreserven vorhanden, entstehen gegenüber dem Ausland Schulden. Es
müssen im Ausland Kredite aufgenommen werden, für die Zinsen gezahlt werden müssen, um die
Importe zu finanzieren. Ist die Auslandsverschuldung zu hoch und können die Zinsen für die
20 aufgenommenen Auslandskredite nicht gezahlt werden, wird die betroffene Volkswirtschaft
international zahlungsunfähig. Banken werden solchen Ländern keine Kredite gewähren.
Es ist schwierig zu entscheiden, wann das außenwirtschaftliche Gleichgewicht als realisiert gelten
kann. Da die Bundesrepublik in erheblichem Maße unentgeltliche Leistungen z.B. für die
Entwicklungshilfe, Beiträge zum EU-Haushalt und für internationale Organisationen aufbringen
25 muss, ist sie auf einen positiven Außenbeitrag angewiesen. Wenn allerdings der Außenbeitrag zu
groß wird, baut die Bundesrepublik dadurch ihre Gläubigerposition aus, während ihre
Handelspartner zwangsläufig in Schuldnerpositionen gedrängt werden. Auf Dauer müssten solche
außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte den internationalen Güteraustausch gefährden, weil die
Handelspartner Deutschlands Probleme bekommen, ihre Importe zu bezahlen.

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