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I.

Wirtschaftspolitik
A. Grundlagen
1. 0. Einführung
• Gestaltung von Institutionen, die das Ziel haben die Wirtschaft zu beeinflussen
• Institutionen: Normen, Gesetze und Konventionen
o Lieferung von Anreizen und Beschränkungen für Personen → Beeinflussung von
Angebot und Nachfrage
o Ergebnis kollektiver Entscheidungen (Politik)
• Begrenzung auf:
o Arbeitsmarkt-/Beschäftigungspolitik
o Finanzwissenschaft (Ökonomische Analyse des Staates, E – A)
• Politik und Wirtschaft

• Grundprinzipien der Veranstaltung


o Fokus auf Institutionen
o Nicht nur Wirkungen von Institutionen → Existenz
o Konzentration auf Ansätze (Arbeitsmarktökonomen, Finanzwissenschaftlern)

2. Normative Theorie der Staatstätigkeit


Einführung
Handeln des Staates
Wann sollte er handeln? Wann handelt er tatsächlich? Empirie und
Theorie:
• Marktversagen (Effizienzziel) • Wann greift Staat bei Marktversagen ein?
• Gerechtigkeit (Verteilungsziel) • Wann und wie verteilt Staat Einkommen
um? (Gerechtigkeitsziele oder Andere?)

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Marktversagen: Überblick
• Mögliche Rechtfertigung für Staatseingriffe
• Markt führt unter bestimmten Bedingungen zu effizienten Ergebnissen

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• Bedingungen nicht erfüllt → Marktversagen
o Informationsprobleme
o Monopole
o Externe Effekte (Klimapolitik)
o Öffentliche Güter
o Entscheidungsfehler (Verhaltensorientierte Ökonomie)
Marktversagen: Öffentliche Güter
Private Güter Öffentliche Güter
• Ausschlussprinzip • Nichtausschlussprinzip
• Rivalität • Nichtrivalität
→ Offenbarung von Präferenzen: → Verhüllung von Präferenzen:
→ Markt funktioniert → Markt funktioniert schlecht/nicht

Wird ein Optimum erreicht?

• Bei individuelle Bestellung:


o B bestellt Müllabfuhr, A wird Trittbrettfahrer
→ Unterversorgung mit öffentlichem Gut

• Bei Verhandlung:
o Bei wenig und kooperativen Personen: Einigung

o Kostenaufteilung nach Zahlungsbereitschaft (𝐵𝑖 = 𝑀𝑍𝐵𝑖


o Erreichung des Pareto-Optimums
• Wie realistisch ist Verhandlungslösung?

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o Verhandlungskosten: Steigen mit Gruppengröße und Komplexität des Gegenstands
o Strategisches Verhalten:
▪ Anreiz zu Trittbrettfahrer-Verhalten
▪ B behauptet geringere Zahlungsbereitschaft zu haben
▪ Möglicherweise Staat erforderlich für kooperative Lösung
Trittbrettfahrer-Probleme

• Filsharingsysteme:
o Viele Downloader, wenig Uploader
→ User-Rating
• Medien, Dokumentationen:
o YouTube: Nur Bruchteil der Nutzer zahlt (Kanäle, die sich über Förderer finanzieren)
→ Gebühren pro Haushalt

Marktversagen: Allmendegüter
Eigentumsreche lassen sich nicht exklusiv zuteilen
• Regenwälder
• Hochseefischerei
Einzelner nutzt Ressource – Reduzierung der Erträge Aller
→ Ressourcenübernutzung

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Was kann getan werden?

• Zutrittsbeschränkung
• Fangquoten

• Steuer
• Bedingungen für kooperative Lösungen
→ Potenzielle Rolle für den Staat

Entscheidungsfehler (Abweichung vom Rationalverhalten/ Internalitäten)


• Auswirkung des Handelns auf den eigenen Nutzen, die später anders bewertet wird als im
Entscheidungsmoment
• Beispiele:
o Status Quo Verzerrung (Verlustaversion): 1 € Verlust schlimmer als 1 € Gewinn
o Begrenzte Selbstkontrolle, Gegenwarts-Verzerrung: Drogen/ Sparen für Alter
• Beispiele:
o Risikoeinschätzungen (over confidence)
▪ Glücksspiel
▪ Unterversicherung (Moral Hazard)
• Lösung:
o Opt-out System:
▪ Organspende
o Libertärer Paternalismus: Kriterium bleibt Nutzen der Person
▪ Unterschied zu strengem Paternalismus, dem gemäß Staat weiß besser, was gut
für einen ist

Effizienz und Gerechtigkeit


• Bei Entscheidungen über Umverteilung nach bestimmten Gerechtigkeitsnormen ist auch
Auswirkung auf produzierte Menge zu berücksichtigen
• Einfaches Modell:
o Zwei Personen: Anna ist produktiv → Hoher Lohn
Bert ist unproduktiv → Niedriger Lohn
o Umverteilung: Steuer auf Lohneinkommen von Anna
o Fallender Grenznutzen (Nutzenverlust von Reichen < Nutzengewinn von Armen)
o Lohnsteuer steigt →Arbeitsanreiz sinkt →Output sinkt →verteilbarer Kuchen schrumpft
o Steuersatz: 100 % Anna arbeitet gar nicht → Keine Umverteilung → Bert geht es nicht
besser als in der Ausgangssituation

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Effizienz und Gerechtigkeit

Gerechtigkeitsnormen

Soziale Wohlfahrtsfunktionen (WF)


Viele Gerechtigkeitsnormen lassen sich im Nutzenmöglichkeitenraum mit sozialen
Wohlfahrtsfunktion darstellen
Allgemeine Form: 𝑊(𝑈1 , 𝑈2 , … 𝑈𝑛 )
Anforderungen an WF
• Nicht-Paternalismus
Für Wohlfahrt ist nur Nutzen der Individuen entscheidend (𝑈𝑗 )

• Pareto-Eigenschaft
W steigt mit 𝑈𝑗 : Wenn Nutzen einer Person steigt → Steigt Wohlfahrt

• Symmetrisch
Nutzen jeder Person hat gleiches Gewicht

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Erfordert: Nutzen ist kardinal messbar und interpersonell vergleichbar

• Konkav
Ist W(.) konkav in allen 𝑈𝑗 , sind die Isowohlfahrtskurven konvex

Je stärker die Krümmung der Isowohlfahrtskurven → Desto größer die Ungleichheitsaversion


𝜌
Soziale Wohlfahrtsfunktionen (WF)

Effizienz und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit: Capability-Ansatz (Amartya Sen)

Ziel: Gleichheit der grundlegenden Befähigungen (equality of basic capabilities)


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Befähigungen: Substantielle Freiheiten das Leben so zu führen, wie wir es mir guten Gründen wollen

• Informationen in der Nutzenfunktion reichen nicht aus, um Gerechtigkeitskriterien


abzuleiten
• Öffentlicher Vernunftgebrauch kann zu einer Verständigung auf Liste von Befähigungen
führen, die jedem zukommen sollten:
o Nahrung, Wohnung
o Bildung
o Gesundheitsversorgung, Freiheitsrechte, …
• Standard in Entwicklungsökonomie; eingegangen in Nachhaltigkeitsziele der UN
Effizienz und Gerechtigkeit
• Es gibt Trade-off zwischen Effizienz und Gerechtigkeit

• Zielkonflikt berührt alle wirtschafts-politischen Entscheidungen, da jede Maßnahme Effizienz-


und Verteilungswirkungen hat
• Welchen Effizienzverlust eine Gesellschaft akzeptieren will, hängt von Gerechtigkeitsnormen
ab

3. Positive Theorie der Staatstätigkeit


Staatshandeln bei Marktversagen
Wann handelt der Staat?

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• Vorliegen von Marktversagen: Erklärt, wie Staat handeln sollte, nicht wie er tatsächlich
handelt
• Wohlwollende Diktatur: Fiktion
• Es gibt Fälle von Marktversagen, wo Staat handeln sollte, es aber nicht tut
→ Politikversagen

• Staatsaktivität entsteht aus den Präferenzen von Individuen, die einen kollektiven
Beschluss fassen
Staatshandeln bei Marktversagen
• Mikroökonomische Methode anwenden auf Politik
o Wähler- und Politikerverhalten aus deren Präferenzen zu erklären
o Politische Ökonomie, Kollektive Entscheidungen (public choice)
• Ergebnis hängt von Entscheidungsregeln ab
o Einstimmigkeitsregel
▪ Möglich in kleinen Gruppen oder bei identischen Präferenzen
▪ Gewährleistet pareto-optimale Entscheidungen
o Mehrheitsregel
▪ bei heterogenen Präferenzen (praktischer, aber mit Problemen)
▪ Direkte oder repräsentative Demokratie

Einstimmigkeitsregel
Identische Präferenzen
• Tullock: Social Costs and Government Action (1969)
• Beispiel: Moskito-Plage in Illinois 1952 → Bekämpfung mit DDT

• DDT wie bereitstellen? privat → kollektiv (öffentliches Gut)

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Einstimmigkeitsregel
Identische Präferenzen
• Bei gleichen individuellen Präferenzen ist bei Marktversagen: Eingriff des Staates zu erwarten
→ einstimmiger Beschluss

• Lösung: Pareto-optimal (Optimalitätsbedingung: N*MZB(x)=GK)


Heterogene Präferenzen
• Einstimmigkeit durch Verhandlungen erreichbar? Abhängig von Verhandlungskostenhöhe
Gefahr: Keine Einigung
• In Praxis: Mehrheitsregel
Problem:
o Beschlüsse möglich, die einer Mehrheit Vorteile bringen
→ Nachteile für Minderheit (Umverteilung ohne Effizienzgewinn)
o Auch möglich: Maßnahmen, die allen Vorteile brächten
Nicht beschlossen, weil Verhandlungskosten zu groß sind
→ Mögliches Politikversagen

Mehrheitsregeln in der direkten Demokratie


Medianwählermodell
Annahmen:
• Institutionelle Kongruenz: Wähler sind Konsumenten des öffentlichen Gutes und Steuerzahler

• 100 % Wahlbeteiligung
• Separate Abstimmung über jeden Vorschlag

• Einfache Mehrheitsregel → Keine Einstimmigkeit erforderlich


• Hohe Verhandlungskosten → Keine Absprache über Abstimmung (Unterschied zu Logrolling-
Modell)
• Eingipflige Präferenzen (Nutzen hat lokales Minimum)
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• Vorschlag: x=4 erhält gerade noch die Mehrheit
• Es gibt keinen Gegenvorschlag, der x=4 überstimmt → stabiles Gleichgewicht

• Medianwähler entscheidet
• Gleichgewicht ist nicht notwendig Paretooptimum

Mehrheitsregeln in der direkten Demokratie


Mehrgipflige Präferenzen

Ergebnis ist Spezialfall von Arrows


(Un)möglichkeitstheorem (Arrow, 1951)

• Es gibt keinen Mechanismus, der Präferenzen aggregiert und gleichzeitig folgende Bedingungen
erfüllt:
o Gilt für alle logisch möglichen Präferenzen der Personen

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o (Schwache) Pareto-Eigenschaft: Alternative, die alle besser finden, wird vorgezogen
o Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen (UiA): Aggregierte Reihung von x und y
hängt nur davon ab, wie viele Personen x und y reihen (keine weiteren Alternativen)
o Nicht diktatorisch

• Diskussion in Literatur: Welche Kriterien sollen gelockert werden, um Aggregation zu


ermöglichen?

Mehrheitsregeln in der repräsentativen Demokratie


Zusätzliche Akteure in repräsentativer Demokratie: Politiker
Annahmen im Grundmodell von Downs (1957):
• Wähler
o Nutzenmaximierer (keine Parteiloyalität)
o können entlang einer Achse geordnet werden
o Präferenzen sind eingipflig
• Zwei Parteien
o Stimmenmaximierer (politische Unternehmer auf Wählermarkt)
o verorten sich mit Programm an der Achse
• Wahlbeteiligung: 100 %

• Wähler und Politiker sind vollständig informiert


• Einfache Mehrheitsregel

Grundmodell von Downs (1957)


Ergebnis:

• Stabiles Gleichgewicht beim Median (mittlerer Wähler)

• Jede Partei hat gleich viel Stimmen und vertritt das gleiche Programm
• Welche Partei regiert → zufällig
• Gleichgewicht ist nicht notwendig (Paretooptimum: Wie bei Medianwähler-Gleichgewicht bei
direkter Demokratie)
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Erweiterungen:

• Mehrdimensionale Wahlprogramme
• Stimmenmaximierung bei Unsicherheit (Probabilistisches Wählerverhalten)
o Wähler sind unsicher über Politiker
o Parteien sind unsicher über Wähler

• Partisanenmodelle:
o Parteifunktionäre haben ideologische Präferenzen

Erklärung der Umverteilung


Abstimmungsregeln
• Bei Einstimmigkeitsregel
o Hohe Grenzen für Umverteilung
o Umverteilung nur auf Basis von allseits akzeptierten Gerechtigkeitsregeln durchsetzbar
• Bei Mehrheitsentscheidungen
o Umverteilung nach Gerechtigkeitsregeln möglich, aufgrund von Gruppeninteressen →
Politikversagen
▪ Verteilungskoalitionen (Stimmentausch-Modell)
▪ Politiker weichen von Wählerwillen ab: Einfluss von Interessengruppen (Lobbys)

Erklärung der Umverteilung


Stimmentauschmodell (Tullock 1959)
Bei repräsentativer Demokratie mit Mehrheitsentscheidungen:
• Wenige Entscheidungsträger, geringe Transaktionskosten: Stimmentausch möglich (logrolling)
• Expliziter und impliziter Stimmentausch
• Stimmentausch-Karussell möglich
• Empirie: Koalitionsregierungen neigen zu höheren Ausgaben als Einparteienregierungen

• Stimmentausch: Koalition der Sport- und Kulturfreunde

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o Mehrheit für beide Projekte
o Beide haben Vorteil, z. B. für S gilt: + 500 (Freibad) -200 (Theater) = +300
o Umverteilung von den Anspruchslosen zu allen anderen
o Im Beispiel:
▪ Aggr. Wohlfahrt steigt: Nutzengewinn von S und K (+600) > Verlust von A (-400)
▪ Wohlfahrtsgewinn bei gleichzeitiger Umverteilung
o Bei anderen Werten auch Wohlfahrtsverschlechterung möglich

Erklärung der Umverteilung


Einfluss von Lobbygruppen (Olson 1965, Becker 1983)
Interessengruppen können womöglich der ganzen Gesellschaft nützen, sind aber darauf ausgelegt,
nur Gruppenmitgliedern zu helfen
Erfolgreich wenn:

• Stabil
o Je kleiner, desto geringer die Gefahr von Trittbrettfahrern
o Homogen (Gruppeninteresse leichter definierbar)
o Exklusive und hinreichend hohe Vorteile
• Attraktiv (nach außen)
o Interessen begünstigen große Teile der Gesellschaft
o Gegenläufige Interessen sind schwach
• Bauernverband
o Subvention notwendig für gute Nahrungsmittel und Naturpflege
• Lehrervereinigung
o Schulbildung ist wichtig → Angemessene Löhne erforderlich
• Weitere Interessengruppen: Fahrschullehrer, Gewerkschaften, Hanwerkskammern, Ärzte-,
Apothekerverbände…
→ Regelungen und Öffentliche Güter, die scheinbar alle nutzen, als Instrument um
Gruppeninteressen zu befriedigen (Umverteilung von Mehrheit zu Minderheit)
→ Bändigung der Interessensgruppen durch Stärkung demokratischer Institutionen und mehr
Transparenz möglich
Marxistische Sicht (Foley 1978)
o Handeln des Staates: Endogen aus Klassengegensätzen zu erklären
o Staat wird nicht von gleichen Individuen gegründet, sondern:
Personen mit unterschiedlich viel Ressourcen und Einfluss
o Staatliches Handeln wird nur teilweise durch Wahlen bestimmt
→ Überwiegend: Durch Verwaltung (Belagert von mächtigen Interessensgruppen)
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Bsp.: Finanzkrise (Rolle des Lobbyismus durch Banken bei Deregulierung und Bankenrettung

Wann handelt der Staat?

4. Der Arbeitsmarkt im Überblick

Der Arbeitsmarkt im Überblick

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Einführung
• Alle Länder werden in gewissen Abständen von makroökonomischen Schocks getroffen
(=Rezessionen)
• Deutliche Unterscheidung: Wie stark in Folge der Schocks Arbeitslosigkeit steigt und wie schnell
sie wieder abgebaut wird
Warum unterscheidet sich die Arbeitslosigkeit zwischen den Ländern und ändert sich im Zeitverlauf?
Institutionen bestimmen, wie makroökonomische Schocks verarbeitet werden

Individuelles Arbeitsangebot
• Fragen: Wie reagiert das Arbeitsangebot,
o wenn der Stundenlohn sinkt?
o bei Änderungen des Steuer- und Abgabesystems?
o bei der Erhöhung von Transferzahlungen?
• Nutzenfunktion: U = U(C,F)
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C: Ausgaben für Konsumgüter in Euro
F: Freizeit in Stunden
(Konvexe Indifferenzkurven)
• Budgetrestriktion:
Zusätzlicher Konsum → Verzicht auf Freizeit

Individuelles Arbeitsangebot (Budgetrestriktion)

Individuelles Arbeitsangebot

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Reservationslohn:
Arbeit anbieten oder keine Arbeit anbieten?

• Randlösung: Kein Arbeitsangebot


• Ab welchem Lohn ist Person bereit, auf Freizeit zu verzichten?

• Vergleich
o Angebotener Lohn 𝑤: Exogen gegeben
o Reservationslohn 𝑤 𝑅 : Lohn, der mindestens überschritten werden muss, damit
Arbeit angeboten wird
• Entscheidungsregel:

Reservationslohn:

Ergebnis: Lohn, der überschritten werden muss, damit Arbeit angeboten wird

Reservationslohn

• Grenzrate der Substitution zwischen Freizeit und Konsum an der Stelle 𝐹 = 𝑇 bzw. ℎ = 0
• Am Arbeitsmarkt: Nur Menschen mit Reservationslohn < Marktlohn
• Abhängigkeit des Reservationslohns: Arbeitsunabhängigem Einkommen und Präferenzen

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Aggregiertes Arbeitsangebot
• Individuen haben unterschiedliche Nutzenfunktion
und arbeitsunabhängige Einkommen
→ Unterschiedliche Reservationslöhne
• Steigender Lohn → Steigende Zahl der Personen,
deren Reservationslohn überschritten wird

• Aggregierte Arbeitsangebotskurve:
Steigender Verlauf

Arbeitsnachfrage
• je geringer der Lohn → mehr potentielle Jobs
(deren Wert > Lohn)
→ Arbeitsnachfrage steigt mit sinkendem Lohn
• Bei vollständiger Konkurrenz und einer Periode:
Wert eines Jobs = Wert des Grenzproduktes

Arbeitsnachfrage
Warum sinkt die Arbeitsnachfrage bei steigenden Löhnen?
• Substitutionseffekt
o Kapitalintensivere Produktion wird rentabler
o Um die gleiche Menge an Gütern zu produzieren, werden mehr Maschinen und
weniger Arbeit eingesetzt

• Skaleneffekt
o Produktion wird teurer → Güterpreis steigt → Betrieb verkauft weniger und
reduziert Produktion → Arbeitsnachfrage sinkt

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Arbeitsmarktgleichgewicht

Arbeitsmarktgleichgewicht: Zusammenhang zwischen Lohn und Beschäftigung

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Warum gibt es Arbeitsmarktinstitutionen?

Arten der Arbeitslosigkeit


• Saisonale Arbeitslosigkeit
o Jahreiszeitliche Schwankungen der Arbeitsnachfrage
• Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
o Gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist zu niedrig
o Temporäres Phänomen
o Bekämpfen mit Geld- oder Fiskalpolitik
• Gleichgewichtige oder natürliche Arbeitslosigkeit
o Niveau, das sich am Markt bei gegebenen Institutionen einstellt
o Nicht naturgegeben, sondern bestimmt von institutionellen Faktoren

Die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit umfasst


• Friktionelle Arbeitslosigkeit
o Sucharbeitslosigkeit
o Entsteht durch Informationsprobleme
o Es gibt eine passende Stelle, aber es dauert, bis der Arbeitslose sie gefunden hat

• Mismatch-Arbeitslosigkeit
o Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen
o Regionaler oder qualifikatorischer Mismatch
o Teilweise Folge des technischen Wandels

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o Nur von Dauer, wenn Löhne nicht hinreichend flexibel sind und Mobilität (regional und
qualifikatorisch) zu gering ist

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5.
B. Steuern
1. 4. Theorie der Besteuerung

Einführung: Entwicklung der Steuereinnahmen in Prozent des BIP

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
Was sind Wohlfahrtskosten von Steuern?
• nicht identisch mit Steuerzahlungen
• im Partialmodell (ein Gut)
o Überschussbelastung, hervorgerufen durch eine gegebene Steuerzahlung
• Im allgemeinen Gleichgewichtsmodell (alle Güter)
o Effizienzverlust aufgrund neuer Allokationen von Ressourcen

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
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Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
Wohlfahrtskosten von Steuern
• Konsumentenrente sinkt stärker als Steueraufkommen steigt
1
• Überschussbelastung Ü = 2 ∆X ∙ ∆p

unformbar in (Siehe Übung):

Wohlfahrtskosten der Steuer steigen


• mit der Preiselastizität der Nachfrage
• dem Umsatz vor Besteuerung p1 X1

• quadratisch mit dem Steuersatz t2

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
Partialmodell (ein Gut) ist Ausgangspunkt für Theorie der optimalen Besteuerung im
allgemeinen Gleichgewichtsmodell (viele Güter)
Wann sind Effizienzverluste am geringsten?
Wenn Akteure wenig auf Steuererhöhung reagieren können
Spezielle Konsumsteuer:
• Änderung relativer Preise → Nachfrage nach nicht besteuertem Gut steigt
Allgemeine Konsumsteuer:
• Freizeit wird billiger → Arbeitsangebot sinkt

Einkommenssteuer auf Arbeits- und Zinseinkommen

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• Freizeit wird billiger → Arbeitsangebot sinkt
• Zinseinkommen sinkt → Ersparnisse (künftiger Konsum) sinken

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
Wohlfahrtswirkungen von Steuern

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
• Sollen auch Verteilungsziele verfolgt werden, ist ein Kompromiss zwischen Effizienz- und
Verteilungszielen erforderlich
• Da wir uns in einer second-best Welt befinden, werden in der Praxis Steuern erhoben,
die verzerrend sind
→ Gegeben, das Steuersystem ist verzerrend, was ist die am wenigsten verzerrende Steuer?

Wohlfahrtsökonomische Steuertheorie
Regeln optimaler Besteuerung in einer second-best Welt
• Breite Bemessungsgrundlage:
Da Effizienzverlust quadratisch mit Steuersatz steigt, ist niedrige Steuer auf viele Güter
besser als hohe Steuer auf wenig Güter
• Corlett-and-Hague-Regel:
Wenn Freizeit nicht besteuert werden kann, sollte man versuchen, komplementäre
Güter der Freizeit stärker zu besteuern
- Hoher Steuersatz z. B. für Fernseher, Kinoeintritt, Wander- und Skiausrüstung
• Ramsey-Regel:
Der Steuersatz eines Gutes soll umgekehrt proportional zur Preiselastizität der Nachfrage
des Gutes sein
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- d. h. Güter die wenig auf Preisänderungen reagieren sollen stark besteuert werden
- Kartoffeln → hoher Steuersatz
- Champagner → niedriger Steuersatz

Die Leviathantheorie der Besteuerung


G. Brennan & J. M. Buchanan, The Power to Tax (1980)
• Staat maximiert nicht die gesellschaftliche Wohlfahrt
• Staat ist Instrument von Politikern oder Beamten (allmächtiger Staat wie in Hobbes
Leviathan) → Er ist Budgetmaximierer
• Wähler haben keinen Einfluss; politische Tauschgeschäfte über deren Köpfe hinweg
• Geringe Möglichkeiten der Abwanderung oder Steuervermeidung
• Wie sehen optimale Regeln der Besteuerung in diesem Rahmen aus?

Die Leviathantheorie der Besteuerung


Ein Gut wird auf Konkurrenzmarkt zu konstanten Grenzkosten (GK) produziert. Gleichgewicht
ohne Steuer bei E

Die Leviathantheorie der Besteuerung


Eine Einschätzung des Leviathanmodells
Ist der Leviathan ein zu extremer Fall?
• Modell ist Antithese zum Standardmodell der Wohlfahrtsökonomik
• Leviathan ist Stellvertreter für andere Faktoren, die Übernutzung öffentlicher Ressourcen
herbeiführen: Lobbys, Bürokratie und Verteilungskartelle (Stimmentausch)

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• Ausgangspunkt für Frage: Wie muss eine Verfassung (insb. Kontrolle der Exekutive)
aussehen, um Machtmissbrauch einzuschränken?

Schranken für den Leviathan


Schlussfolgerung von Brennan & Buchanan:
• Regeln in der Verfassung müssen Leviathan bändigen
o EU Stabilitätspakt: Defizitbeschränkung
o In einigen US-Bundesstaaten: Obergrenzen für Gesamtbesteuerung
• Steuerbeschränkung durch demokratische Verfahren#
o Direkter Demokratie
▪ Einfluss von Interessensgruppen wird beschränkt
o Fiskalische Dezentralisierung
▪ Wettbewerb zwischen Bundesländer oder Kommunen um Einwohner und
Betriebe durch niedrigere Steuersätze.
z. B. Bürgermeisterwettbewerb bei Gewerbesteuer
• Empirie zeigt: Dezentralisierung und direkte Demokratie begrenzen Steuereinnahmen

Schranken für den Leviathan


Macht des Steuerstaates wird auch durch Ausweichreaktionen begrenzt
• Steuervermeidung: z. B. Ausweichen auf Güter mit geringerer Steuerlast
• Steuerhinterziehung: Einkommen wird nicht angegeben
• Schattenwirtschaft: Schwarzarbeit
• Steuerflucht: Kapital wird ins Ausland gebracht, Auswanderung
Korrektiv eines übermächtig werdenden Staates oder Entzug von der Mitfinanzierung
öffentlicher Güter (Trittbrettfahrer)?

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28
2. 5. Steuer- und Transfersystem am Arbeitsmarkt

Inzidenz von Steuern und Abgaben


Wer trägt die Steuern?
• Formale Inzidenz
o Wer führt die Steuern ab?
• Effektive Inzidenz
o Wer trägt die Steuer tatsächlich?
• Partialanalytische Betrachtung
o Nur ein Markt wird betrachtet
o Rückwirkung auf andere Märkte wird ignoriert

Inzidenz von lohnabhängigen Abgaben

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Inzidenz von lohnabhängigen Abgaben
Ergebnis:
• Tatsächliche Traglast hängt nicht von formaler Belastung ab

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• Teilweise Überwälzung auf andere Marktseite möglich
• Grad der Überwälzung abhängig von Elastizität des Arbeitsangebots u. Arbeitsnachfrage

Einkommenssteuer
Einkommen als Indikator für
• Inanspruchnahme öffentlicher Güter (Gutverdiener: Höhere Zahlungsbereitschaft)
• Leistungsfähigkeit der Bürger

Grenz- und Durchschnittssteuersätze 2020

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Durchschnittssteuersätze (1958 – 2021) in Prozent

Grenzsteuersätze der Spitzeneinkommen

Verteilungswirkung des Steuer- und Transfersystem


Einkommen privater Haushalte und Umverteilung durch das Steuer- und Transfersystem 2011

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Verteilungswirkung des Steuer- und Transfersystem
Motive für Umverteilung
• Große Rolle von Sozialversicherungsausgaben
o spricht für Versicherungsmotiv
• Steuern und Geldtransfers an Haushalte verteilen von Reich zu Arm
o Transfersystem verringert Ungleichheit (→ Rolle von Gerechtigkeitsnormen)
• Aber auch viele Subventionen für Gruppen der Mittel- und Oberschicht
o Einfluss von Interessensgruppen

Geringverdiener und Sozialtransfers


Besteuerung und Transfers im Niedriglohnbereich
• Häufige Diagnose: Arbeitsanreize im Niedriglohnbereich zu gering
• Arbeitsangebot beeinflusst durch
o Einkommenssteuer
o Abgaben
o Transfers
• Forderungen: Arbeitsanreize erhöhen durch
o Transfers bei Arbeitsaufnahme (Kombilöhne)
o Absenken der Grundsicherung

Geringverdiener und Sozialtransfers


Altes System der Sozialhilfe

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Geringverdiener und Sozialtransfers
Friedmans negative Einkommenssteuer

Tobins negative Einkommenssteuer

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Trilemma (Iron Triangle) des Wohlfahrtsstaates

Geringverdiener und Sozialtransfers


Earned Income Tax Credit

Das Modell Hartz IV (Arbeitslosengeld II)


Höhe des Arbeitslosengelds (ALG) II

• Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfsbedürftige


• Regelleistung (seit 01.01.21)
o Volljährige Person 446,00
o Ehepaar mit 2 Kindern (< 14 Jahre) 1.465,00
o Alleinerziehende Person mit Kind (<14) 755,00
o Zusätzlich: Kosten der Unterkunft und Heizung

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• Bei einer regulären Beschäftigung wird nicht der gesamte zusätzliche Lohn von den
Transfers abgezogen. Anrechnungsfrei:
o Die ersten 100 € vollständig frei
o Ab 100 € sind 20 % des Bruttoeinkommens frei
o Ab 1.000 € sind 10 % des Bruttoeinkommens frei
o Ab 1.200 € (mit Kind 1.500 €) volle Anrechnung

Die Budgetrestriktion in Deutschland


Stundenlohn: 8,50 €; ALG-II-Bezieher, 1-Personenhaushalt, Stand: 2017

Reformoptionen im Niedriglohnbereich
IAB-Reformvorschlag für Hinzuverdienstmöglichkeiten
• Ziel: Vollzeitbeschäftigung für Niedriglohnverdiener attraktiver machen
• Neuer Tarifverlauf:
o Freibetrag nur noch 100 €
o Transferentzugsrate 90 % bei Einkommen bis 450 €, danach 60 %
• Einkommensschwelle, ab der keine Transfers bezahlt werden, steigt

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Reformoptionen

Reformoptionen

Reformoptionen
• Senkung des Niveaus der Grundsicherung (z. B. ifo-Modell (mehr Ungleichheit))
• Verringerung des hohen Abgabekeils (z. B. durch höhere Grundfreibeträge bei Steuer u.
Sozialabgaben im unteren Lohnbereich (teuer))
• Bedingungsloses Grundeinkommen: Teuer und verringert Arbeitsanreize
• Konditionierung der Sozialleistungen: Transfers nur, wenn Bezieher tatsächliche
Suchanstrengung nachweisen
→ Aktivierungspolitik

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C. Instrumente, die Einfluss auf Löhne nehmen
1. 6. Mindestlöhne

Gesetzliche Mindestlöhne in anderen Ländern

Anteil der Arbeitnehmer, die 2014 weniger als 8,50 € pro Stunde verdienten

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Mindestlöhne
Gesetzliche Mindestlöhne in den meisten OECD-Ländern
Ziel: Armutsbekämpfung, Verhinderung des „Working poor“
• Seit 2015 in D.: 2015: 8,50 €
2017: 8,84 €
2019: 9,19 €
2020: 9,35 €
• Festgelegt durch Mindestlohnkommission
• Wirkung auf Arbeitsnachfrage?

Mindestlöhne am Konkurrenzmarkt

Folgen von Mindestlöhnen


Studie: David Card und Alan Krueger (1995)
• New Jersey: Mindestlöhne angehoben 1992:
• Pennsylvania: Unverändert
• Befragung von Fast-Food-Restaurants vor und nach der Erhöhung

Monopson
• Konkurrenzmarkt
o Einzelne Firma ist relativ klein gegenüber allen anderen Firmen
o Jede Firma zahlt den gleichen Lohn und kann beliebig viele Arbeiter einstellen

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• Monopson: Monopol am Faktormarkt
o Beispiel: Eine große Firma dominiert eine Stadt
o Einzelne Firma sieht sich steigender Arbeitsangebotsfunktion gegenüber
o Damit ein zusätzlicher Arbeiter eingestellt werden kann, ist höherer Lohn
erforderlich
• Monopsonmacht auch möglich, wenn mehr Arbeitgeber existieren
o Begrenzte Mobilität der Beschäftigten wegen unvollständigen Informationen
→ Mobilitätskosten
Zwei Formen:
• Diskriminierendes Monopson
o Firma kann jedem Arbeiter einen anderen Lohn zahlen
o und kennt Reservationslohn eines jeden Arbeiters
• Nicht-diskriminierendes Monopson
o Jeder Arbeiter bekommt den gleichen Lohn
o Gesetzliche Vorschrift oder Firma kennt Reservationslohn nicht

Diskriminierendes Monopson

Nicht-diskriminierendes Monopson
• Keine Diskriminierung: Gleicher Lohn für alle
• Tabelle: Zusammenhang zwischen Lohn, Arbeitsangebot und Kosten ergibt sich aus
Angebotsfunktion

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Grenzkosten steigen doppelt so schnell wie der Lohn

Nicht-diskriminierendes Monopson

Mindestlohn im Monopson

Dualer Arbeitsmarkt
Zwei Arbeitskräfte bei vollständiger Konkurrenz: Legaler Sektor und Schwarzarbeitssektor
Ergebnis: Mindestlohn drängt legale Arbeit in
Schwarzarbeit, dort fällt der Lohn

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Mindestlöhne: Empirie
• Studien finden sowohl positive, als auch negative Wirkungen
• Abowd et al. (1999)
o Vergleich USA, Frankreich
o Individualdaten Jugendlicher
o Höherer Mindestlohn erhöht Wahrscheinlichkeit den Job zu verlieren
• Portugal, Cardoso (2006)
o Portugal
o Angebotseffekt: Jugendliche behalten Job mit größerer Wahrscheinlichkeit

Mindestlöhne: Empirie Deutschland


• Mindestlohneinführung: 2015
• Trend steigender Beschäftigung wurde nicht gebrochen
• Bossler/Gerner (2016)
o Negative Beschäftigungswirkung vor allem in den neuen Bundesländern
(Mindestlohn ist näher an Medianlohn)
o Ohne Mindestlohn: Entstehung 60.000 zusätzlicher Jobs
• Geringfügige Beschäftigung ging zurück
o wurde zum Teil in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt

Wie sind so unterschiedliche Ergebnisse zu erklären?


• Geringer Mindestlohn kann positive Beschäftigungseffekte haben
o Arbeitsmarkt befindet sich auf Angebotskurve
o Möglich bei Monopsonmacht

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• Ab bestimmter Schwelle überwiegen negative Wirkungen
o Arbeitsmarkt befindet sich auf Nachfragekurve
→ Für Wirkung eines Mindestlohns ist die Höhe entscheidend

Weitere Wirkungen von Mindestlöhnen


Wirkung auf Einkommensmobilität und Weiterbildung
• Firmen: Höherer Anreiz Mitarbeiter zu qualifizieren (damit deren Produktivität den
Mindestlohn w übersteigt)
• Arbeiter: Weniger Anreiz, sich für besser bezahlte Jobs zu qualifizieren
Fairness-Wahrnehmung ändert sich
• Löhne unter dem Mindestlohn werden als unfair eingeschätzt
o Mindestlohn erhöht Reservationslöhne
o Wirkung bleibt bestehen, wenn Mindestlohn wieder abgeschafft wird
Weitere Wirkungen von Mindestlöhnen

Wirkung von Mindestlöhnen auf Armut


• Ein Teil der Geringverdiener wird bessergestellt, ein Teil wird möglicherweise arbeitslos
und schlechter gestellt
• Für Armutsfragen ist Haushaltseinkommen relevant
o Geringe Zielgenauigkeit der Mindestlöhne
o Bsp.: Jugendlicher mit gutverdienenden Eltern oder alleinverdienender
Familienvater
o USA: Umverteilung zwischen Familien mit Niedrigeinkommen

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• Bruckmeier/ Wiemers (2014): Untersuchung für Deutschland
o Mindestlohn hat kaum Einfluss auf Haushaltseinkommen, weil im fast gleichen
Maß, wie der Lohn steigt, die Sozialtransfers fallen
o Etwa 60.000 weniger Arbeitslosengeld-II-Aufstocker
o Viele Niedriglohnempfänger leben in Haushalten über der Armutsschwelle

Warum gibt es Mindestlöhne?

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2. 7. Lohnverhandlungen und Gewerkschaften

Theorie des gewerkschaftlichen Handelns


• Ziel der Gewerkschaften: Erhöhung des Nutzens des Medianmitglieds
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• Gewerkschaft kennt Arbeitsnachfrage der Firmen
o Trade-off zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung
• Gewerkschaftsmodelle:
Gewerkschaft bestimmt Lohn Monopolmodell
Verhandlung über Lohn Right-to-manage-Ansatz
Verhandlung über Lohn u. Beschäftigung Effiziente Verhandlungen

Indifferenzkurve der Gewerkschaft

Isogewinnlinien

46
Gewerkschaftliches Monopol

Right-to-manage-Ansatz

Modell der effizienten Verhandlung

47
Modell der effizienten Verhandlung
• Welcher Punkt auf Kontraktkurve realisiert wird → abhängig von Verhandlungsmacht
• Effizienzsteigerung im Vergleich zur Monopol- oder Right-to-Manage-Lösung
o Aber nicht Wettbewerbslösung (nur Second-best-Lösung)
o Beschäftigung steigt mit steigender Verhandlungsmacht
o Überbeschäftigung: Firmen beschäftigen mehr Arbeiter als in Wettbewerbslösung
(𝐿𝐸 > 𝐿𝐶 )
• Probleme:
o In Realität: Verhandlung nur über Lohn (implizit: Über Beschäftigung)
o Lösungen auf Branchenebene kaum implementierbar
→ Einzelne Firma: Anreiz von Lösung abzuweichen
• Für gesamte Branche unrealistisch, aber auf Betriebsebene implementierbar
o Modell anwendbar auf Beschäftigungsgarantien von Unternehmen für
Lohnverzicht (Öffnungsklauseln, Betriebliche Bündnisse)
o Spielte große Rolle während der Großen Rezession 2009

Wohlfahrtseffekte gewerkschaftlichen Handelns


Effizienzverluste Effizienzgewinne
• Arbeitslosigkeit durch Löhne oberhalb • Senkung von Transaktionskosten (durch
des Konkurrenzgleichgewichtes kollektive Tarifverhandlungen
• Ineffizienter Einsatz der Arbeit gegenüber individualrechtlichen
(Verlangsamung von Abmachungen [Kosteneinsparung bei
Entscheidungsprozessen, Arbeitszeit- Vertragsanbahnung, -kontrolle und -
regelungen) durchsetzung])
• Arbeitsausfall durch Streiks

• Effizienzgewinne
o Arbeitsbedingungen sind öffentliches Gut
▪ Information über Risiken
▪ Durchsetzung von Standards
o Bei imperfekten Märkten
▪ Gegenmacht bei Monopsonmacht
▪ Versicherung von Risiken, die der Markt nicht absichern kann (z. B. Schutz
vor Lohnschwankungen)

48
o Möglichkeit eines kollektiven Widerspruchs
▪ Abwanderung und Widerspruch
▪ Gewerkschaften geben Arbeitern eine Stimme (ohne → Abwanderung zu
anderen Betrieben)
→ Gewerkschaften/ Betriebsräte als Substitut für teure Fluktuationen
▪ In USA: Überwiegend Betriebsgewerkschaften
▪ In DE: Betriebsräte
Zentralisierungsgrad
Sektorale/ regionale Verhandlungen oder zentrale Verhandlungen?
Ausgangssituation: Verteilungsspielraum ist ausgeschöpft. Abwälzung der Erhöhung des
Nominallohns 𝑊𝑖 auf Preise

49
Zentralisierungsgrad
Hoher Organisationsgrad und hohe Tarifdeckung müssen keine negative Auswirkung auf
Beschäftigung haben, wenn sie durch hohen Koordinierungsgrad kompensiert wird
Wie erreichbar?
• Zentrale Lohnverhandlungen
• Unabhängige Informationen: Sachverständigenrat
• Koordinierende Institutionen
o Gewerkschaftliche Dachverbände (DGB)
o Initiative durch Regierung (Bündnis für Arbeit)

Kaufkraftargument einer Lohnforderung

50
51
D. Instrumente, die Einfluss auf das Arbeitsangebot nehmen
1. 8. Migrationspolitik

Auswanderung aus Europa

Migration nach und aus Deutschland

52
Anteil der Migranten – Wahrnehmung und Realität

Migration: Trends
• Zw. 1820 u. 1940: 60 Millionen Menschen aus Europa ausgewandert (2/3: USA)
• Derzeit Europa: Zuwanderungsregion (Zuwanderung Europa > USA)
• Innerhalb Europas:
o Zuwanderung nach: D, FR, GB
o Auswanderung aus: ESP, GR
• Märkte für Güter und Kapital werden immer internationaler
o Internationale Mobilität von Arbeit würde Effizienz ebenso erhöhen
o Im Vergleich zu Gütern und Kapital ist Arbeit vergleichsweise wenig mobil

Theorie: Vollständiger Wettbewerb

53
Theorie: Vollständiger Wettbewerb
Sehr elastische Arbeitsnachfrage

Theorie: Bei Lohnrigiditäten

Theorie: Weitere Auswirkungen


Qualifikatorische Unterschiede: Auswirkung, wenn insbesondere geringqualifizierte
zuwandern?
• Angebot geringqualifizierter steigt
→ wunqualifiziert sinkt

• Bei Komplementarität von qualifizierter und unqualifizierter Arbeit: Spezialisierung


gemäß Ricardos komparativer Vorteile
→ wunqualifiziert steigt
54
→ Lohnungleichheit steigt
Theorie: Weitere Auswirkungen
Qualifikatorische Unterschiede: Auswirkung, wenn insbesondere geringqualifizierte
zuwandern?
• Angebot geringqualifizierter steigt
→ wunqualifiziert sinkt
• Bei Komplementarität von qualifizierter und unqualifizierter Arbeit: Spezialisierung
gemäß Ricardos komparativer Vorteile
→ wunqualifiziert steigt

Führt Zuwanderung zu Arbeitslosigkeit?


Mariel Bootskrise

• April 1980: Fidel Castro öffnet Hafen von Mariel


• September 1980: Hafen wurde geschlossen
• Über 125.000 Kubaner wanderten aus
• Hälfte lies sich in Miami nieder
→ Arbeitsangebot in Miami stieg um 7 %

Führt Zuwanderung zu Arbeitslosigkeit?


• Card (1990), Kontrollgruppe: Vergleich mit ökonomisch und demographisch ähnlichen
Regionen
• Zuwanderung hatte keine signifikante Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit und auf die
Löhne
• Ähnlich: Jennifer Hunt (1992) Zuwanderung aus Algerien → Frankreich;
Braun/ Weber (2016) Vertriebene in der BRD
Razin (2017) Israel
→ Der Arbeitsmarkt kann Veränderungen des Arbeitsangebotes verarbeiten

Lohn- und Beschäftigungseffekte


• Warum sind negative Effekte auf Löhne so gering?

55
o Migranten gehen dorthin, wo Löhne hoch sind (Selbstselektion)
o Reallokation von andren Beschäftigten
▪ Bsp.: Miami: Neue Zuwanderer verdrängte ältere Zuwanderergeneration,
für letztere beschleunigter Aufstieg in bessere Jobs (Unterschichtung)
o Anpassung der Technologie und des Outputs
▪ z. B. wenn mehr geringqualifizierte vorhanden sind, wird weniger
kapitalintensiv produziert
Lohn- und Beschäftigungseffekte
Studien finden häufig, dass der Lohn von Einheimischen bei Zuwanderung sogar steigt
• Einheimische und Zuwanderer als Komplemente
o Anpassung der einheimischen Beschäftigten (Spezialisierungsvorteile)
o Auch bei ähnlicher Produktivität (manuell vs. kommunikative Aufgaben)
• Produktivitätseffekte kultureller Vielfalt
• Neuzuwanderer konkurrieren eher mit früheren Zuwanderern
• Problem: Oft gibt es auch Verlierer. Wie Verlierer kompensieren?
Bsp.: Evaluation der Zuwanderung 2015 – 2018
• Geringqualifizierte: Aktuelle Kohorten verlieren etwas, spätere in Arbeitsmarkt
eingetretene gewinnen
• Mittel- und Höherqualifizierte gewinnen über alle Kohorten

Beschäftigungsquoten der Geflüchteten nach Zuzugsjahren, 2013 – 2019

56
Fiskalische Effekte

Punktesystem für Zuwanderung


• Erfahrungen
o Australien, Neuseeland, Canada, Schweiz, GB
• Punkte nach
o Qualifikation, Sprachfähigkeit, Erfahrung, Bedarf
• Erleichtert Arbeitsmarktintegration von Einwanderern
• Gefahr von Brain-Drain? Aber:
o Anreiz zu Humankapitalinvestitionen in Herkunftsland: Positive Netzwerkeffekte
(Bsp.: Indien)
o Migration häufig nur temporär

57
2. 9. Arbeitslosenversicherung

Arbeitslosenversicherung durch die Bundesagentur für Arbeit


• Trägerin der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik
• Körperschaft des öffentlichen Rechts mit drittel-paritätisch besetzter Selbstverwaltung
(Rechtsaufsicht: BMAS)
• Zentrale in Nürnberg: 1ß Regionaldirektionen und 156 Agenturen für Arbeit, ca. 96.000
Mitarbeiter
• Aufgaben:
o Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung (Bis 1994: Monopol bei
Arbeitsvermittlung)
o Durchführung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen
o Versicherungsfunktion: Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld,
Kurzarbeitergeld, bis 12/2004 auch Arbeitslosenhilfe

Einordnung der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik

58
Aktive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland (Instrumente)

Passive Arbeitsmarktpolitik: Kurzarbeit

59
Passive Arbeitsmarktpolitik in Deutschland

Arbeitslosenversicherung durch die Bundesagentur für Arbeit

Haushalt der Bundesagentur für Arbeit

60
Vollständige Konkurrenz am Arbeitsmarkt
Siehe Abschnitt 5 und Übung
Arbeitslosenversicherung beeinflusst Arbeitslosigkeit durch
• Partizipationseffekt: Arbeitslosengeld erhöht Reservationslohn.
Freiwillige Arbeitslosigkeit steigt
• Steuereffekt: Sozialversicherungsabgaben führen zu Keil zwischen Lohn-
kosten und Nettolohn

Unvollständige Konkurrenz am Arbeitsmarkt:


Suchfriktionen
• Unvollständige Informationen: Arbeitsuchender weiß nicht, welche Firma freie Stelle hat
und welcher Lohn dort bezahlt wird
• Es gibt immer Sucharbeitslosigkeit
• Verschiedene Job-Angebote:
o Unterschiedlich gute Passgenauigkeit → Unterschiedliche Löhne
o Längere Suche kann mit höherem Lohn verbunden sein

Suchfriktionen am Arbeitsmarkt

Reservationslohn bei Suchfriktionen


Welcher Reservationslohn wird gewählt?

61
Reservationslohn bei Suchfriktionen
Welcher Reservationslohn wird gewählt?
Reservationslohn ist umso geringer,
• je geringer die Arbeitslosenunterstützung
• je geringer die Chance, jeweils höhere Jobangebote zu erhalten (Verteilung der
Angebote)
• je höher die Gegenwartsvorliebe des Suchers (je stärker er zukünftige Löhne
abdiskontiert)
Erweiterung:
• je länger die bisherige Suchdauer: Anzahl noch nicht kontaktierter Firmen nimmt ab;
nach negativer Sucherfahrungen korrigiert Arbeitsuchender die Einschätzung seiner
Möglichkeiten
• hängt ab von Haushaltskontext (Alleinverdiener, Kinder etc.)

Suchfriktionen am Arbeitsmarkt
Weitere Schlussfolgerungen
• Es gibt immer ein bestimmtes Maß an Sucharbeitslosigkeit
• Beschäftigte mit gleichen Eigenschaften bekommen unterschiedliche Löhne
• Arbeitskraft wird nicht immer optimal eingesetzt (Beschäftigung zu einem Lohn unter
maximal erreichbarem w)
• Bessere Information über offene Stellen verringert Arbeitslosigkeit

Unvollständige Konkurrenz am Arbeitsmarkt

62
Wirkung einer Arbeitslosenversicherung
• Sucheffekt Höherer Reservationslohn verringert Suchintensität
• Lohneffekt Höhere Outside-Option der Beschäftigten erhöht Forderungen in Lohn-
verhandlungen
• Anspruchseffekt Bei dualem Arbeitsmarkt: Schwarzarbeit führt nicht zu Versicherungs-
anspruch (legale Arbeit wird attraktiver)
• Steuereffekt

Empirie: Höhe des ALG und Arbeitslosigkeit


Makrodaten

Empirie für Deutschland


Mikrodaten

63
Brauchen wir eine öffentliche Arbeitslosenversicherung?
• Ähnliche Probleme wie bei Kranken- und Rentenversicherung
• Menschen sind risikoavers
• Eine private Versicherung gegen Arbeitslosigkeit bietet Markt nicht an, warum?
o Moral Hazard: Arbeitslosenversicherung erzeugt Anreiz arbeitslos zu
sein
o Adverse Selektion: Versicherer würde nur jene Gruppe versichern, die am
seltensten arbeitslos sind
• Öffentliche Arbeitslosenversicherung
o Löst Problem adverser Selektion,
o aber nicht Moral Hazard Problem (aber: kann durch öffentliche Hand besser
gemildert werden)

Was ist eine optimale Arbeitslosenversicherung?


Moral Hazard Probleme lindern
• Keine vollständige Versicherung
o Arbeitslosengeld sollte geringer sein als vorhergehender Lohn
o Mit Dauer der Arbeitslosigkeit → Arbeitslosengeld sinken
• Verbinden mit Aktivierung
o Arbeitslosengeld nur bei nachgewiesener Arbeitssuche
o Arbeitsanreiz durch Lohnzuschüsse
o AAMP um Arbeitsmotivation zu prüfen (Screening-Instrument)

64
Was ist eine optimale Arbeitslosenversicherung?
• Suchdauer kann zu kurz sein
• Suche nach gutem Job erfordert Zeit
• Acemoglu, Shimer (2000): Studie für USA

• In USA ist Suchdauer zu kurz, in EU oft zu lang


• Existenz einer Arbeitslosenversicherung begünstigt Strukturwandel

Ziele der Hartz-Reformen und deren Umsetzung


1. Höhere Effektivität und Effizienz der Dienstleistungen und Maßnahmen
- Konzentration auf wirksamere Maßnahmen
2. Erhöhung der Arbeitsnachfrage durch Deregulierung
- Erleichterung der Zeitarbeit und befristete Beschäftigung
- Kündigungsschutz gilt erst ab 10 Beschäftigten im Betrieb (vorher: Ab 5)
3. Aktivierung der Arbeitsuchenden → Fördern und Fordern

- Sanktionsmöglichkeiten, strengere Zumutbarkeitsregeln


- Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds auf 12 Monate

Nach den Hartz-Reformen


• Arbeitslosigkeit: Sank zw. 05 u. 19 (auch dann, wenn stille Reserve hinzugerechnet wird)
• Nach makroökonomischen Schätzungen haben die Reformen dazu einen wesentlichen
Beitrag geleistet
• Matchingeffizienz ist gestiegen (Arbeitslose und offene Stellen finden schneller
zueinander)
• Arbeitsuchende sind konzessionsbereiter
• Betriebe haben ihre Arbeitsnachfrage erhöht

Entwicklung der Arbeitslosigkeit

65
Nach den Hartz-Reformen

66
E. Aspekte der Nachhaltigkeit
1. 10. Klimapolitik

Treibhauseffekt

67
Klimapolitik: 𝑪𝑶2 −Reduktionspfade

Wie retten wir das Klima?


Notwendigkeit eines Abschieds vom kapitalistischen Wachstumszwangs?
Woher kommt Wachstum?

Problem: Übernutzung des natürlichen Kapitals erzeugt vorübergehend mehr


Wachstum → zerstört aber Lebensgrundlagen

Wie retten wir das Klima?


• Technischer Fortschritt
o Wichtigster Treiber des Wirtschaftswachstums
o Ermöglichung von mehr Output bei weniger Verbrauch natürlichen Kapitals
o Ziel: Entwicklung von Technologien für nachhaltige Produktion (die auch
von Entwicklungsländern übernommen werden)
• Verbrauch von natürlichem Kapital kann zu hoch sein, wenn externe Effekte vorliegen
• Bsp.: Allmendegüter können auch als Spezialfall externer Effekte interpretiert werden
• Wie minimieren wir externe Effekte?

68
Externe Effekte
liegen vor, wenn Handlung einer Person direkt den Nutzen o. Kosten einer anderen Person
beeinflussen

Treibhauseffekt:
Nicht nur regionale externe Effekte, sondern auch zwischen Generationen
• Kosten heutiger Emissionen tragen spätere Generationen

Externe Effekte
können positiv oder negativ sein

Externer Effekt in der Produktion

69
Eigentumsrechte definieren
• z. B. Verschmutzungsrechte, Nutzungsrechte

• Es kommt zu Verhandlungslösung
• Das ist unabhängig davon, wer die Eigentumsrechte erhält
• Kein Staatseingriff erforderlich
• Zwischenstaatliches Beispiel:
o Zahlung an DDR und Frankreich zum Abbau der Flussverschmutzung

Eigentumsrechte definieren

Eigentumsrechte definieren
Coase Theorem
• Internationalisierung externer Effekte ohne Staatseingriff möglich
• Staat muss nur Eigentumsrechte definieren
Grenze: Hohe Transaktionskosten
• Verhandlungskosten
• Mehr Teilnehmer: Nutzen und Schaden schwer zuordenbar
• Informationsprobleme: Wahrer Nutzen und Schaden ist private Information
→ Bei hohen Transaktionskosten kann Pigou-Steuer die bessere Lösung sein

70
Private Lösung: Präferenz für richtiges Verhalten

Staatliche Auflagen
• Bsp.: Bundesemissionsschutzgesetz
• Emissionsauflagen: Höchstwerte für Sickoxyde, Feinstaub …
o Kein Anreiz zu möglichst geringer Emission
• Inputauflagen: Verbot bestimmter Produktionsfaktoren (z. B. Schwefel- o.
Bleigehalt in Brennstoffen)
• Einfach umsetzbar und kontrollierbar
• Anpassung nach Stand der Technik
• Staat muss Kosten und technische Möglichkeiten kennen
• Informationsproblem: Unternehmen geben diesen nicht preis
• Effizient wäre: Je geringer die Vermeidungskosten einer Firma, desto mehr
sollte sie vermeiden. → Wird mit Auflagen nicht erreicht

Steuern
Staat erhebt Steuer auf jede Ledereinheit

71
Steuern
Probleme einer Pigou-Steuer
• Soziale Kosten müssen bekannt sein
• Externe Kosten, nicht in Ausgangs- sondern in Endzustand relevant
→ nicht nur Höhe, auch Verlauf der sozialen Kosten muss bekannt sein
• Bei Änderungen von Präferenzen oder Technologien sind Anpassungen erforderlich

Politökonomisches Problem: Einfluss von Lobbygruppen (Schädiger können sich häufig


besser organisieren als Geschädigte)
• Gefahr: Ausnahmen für Energieintensive Bereiche (→ Ineffiziente Preisverzerrungen)

Standard-Preis Ansatz

Zertifikate
• Äquivalent zu Standard-Preis-Ansatz (1. Festlegung der Menge, dann Bildung des Preises)
• Festlegung der Menge an Emissionsrechten
• Zuteilung oder Verkauf von Rechten durch den Staat
• Handel der Rechte ist erlaubt → 𝐶𝑂2 -Preis muss nicht Staat festlegen, sondern wird von
Markt gefunden
• Je teurer Zertifikate sind, desto höher der Anreiz zu 𝐶𝑂2 -Minderung → Anreiz, zu 𝐶𝑂2 -
sparenden Innovationen
• Nachteil: Preisschwankungen (Steuersatz ist besser vorhersehbar als Zertifikatspreis)

72
Zertifikate
• Wasserbetteffekt:
Zusätzliche Maßnahme eines Landes um 𝐶𝑂2 zu reduzieren, setzen Zertifikate frei, die
woanders genutzt werden → EU weit keine zusätzliche 𝐶𝑂2 -Reduktion
• Bsp.: Innereuropäischer Flugverkehr ist seit 2012 in EU-ETS integriert
o Steuer auf innerdeutsche Flüge würde 𝐶𝑂2 nicht verringern. Außer 𝐶𝑂2 -Zertifikate
werden in gleichem Maß verringert. Das passiert zT bei Stilllegung von
Kraftwerken
• China, Indien und USA nehmen nicht teil: Anreiz 𝐶𝑂2 Emission in andere Länder zu
verlagern
• Leakage-Effekt: Nachfrage aus EU sinkt → Preis fossiler Brennstoffe sinkt. Nachfrage aus
anderen Ländern steigt. Wenn Angebot unelastisch ist, ändert sich 𝐶𝑂2 -Emission nicht
→ Erforderlich, dass alle Länder sich beteiligen

Politökonomische Probleme
Internationaler 𝐶𝑂2 Zertifikate-Handel:
o Vorteil bei globalem System
o 𝐶𝑂2 würde zuerst da eingespart, wo Einsparkosten am geringsten sind

o Verteilungsproblem (vgl. Diskussion zu Coase):


Wie sollen Emissionsrechte verteilt sein?
o Wäre es fairer, den Ländern Ansprüche auf Zertifikate entsprechend ihres
Schadens zu geben?
o Aktuell werden Rechte nach aktuellen Emissionen vergeben

Politökonomische Probleme: Internationale Aspekte


Soll ein Land Vorreiterrolle übernehmen?

73
Politökonomische Probleme: Internationale Aspekte
o SVR: Eigene Zusagen an die Zusagen anderer Länder koppeln
o Weitzmann (2014): Internationale Verhandlungen auf 𝐶𝑂2 -Mindestpreis konzentrieren
o Nordhaus (2015): Klimaclub der ambitionierten Länder
Dazu auch Schmidt (2021)
o Elinor Ostrom (2014) hebt Vorteile auf lokaler Ebene hervor (polycentric approach)

74
2. 11. Staatsverschuldung

Einführung:
Meist wurde von Ökonomen auf die Risiken zu hohen Staatsschulden hingewiesen:

Debatte hat sich verschoben

75
Entwicklung der Staatsverschuldung

Entwicklung der Staatsverschuldung

Entwicklung der Staatsverschuldung

76
Entwicklung der Staatsverschuldung
• Staat mit hoher Verschuldung und hohem Primärdefizit
o In eine Rezession steigen Zinsen und sinkt Wachstum
→ Schulden explodieren
o Gefahr: Strikter Sparkurs kann Wachstum noch mehr dämpfen
→ Konsolidierungsauflagen für Griechenland waren vermutlich zu streng
• Staat mit geringer Verschuldung oder großem Primärüberschuss
o Rezession ist leichter zu verkraften

77
Entwicklung der Staatsverschuldung: Historische Erfahrung mit Schuldenabbau

Auswirkung der Staatsverschuldung


Ricardianische Äquivalenz

• Kritik am Keynesianischen IS-LM-Modell


o Betrachtung nur einer Periode (statisches Modell)
o Unterstellung von kurzsichtigen Konsumenten (Widerspruch zu rationalen
Erwartungen)
• Behauptung: Finanzierung von Staatsausgaben über Kredite oder Steuern ist äquivalent
• Ineffektivität von Konjunktur-Programmen

78
Ricardianische Äquivalenz

Annahmen hinter der Ricardianischen Äquivalenz:


• Perfekter Kapitalmarkt
• Pauschalsteuern (Keine Substitutionseffekte → Keine Effizienzverluste der Besteuerung)
• Unendlicher Zeithorizont: Nutzen ist über Generationen verknüpft (Nutzen der Eltern
abhängig vom Nutzen der Kinder)
• Perfekte Voraussicht

Einschränkung der Ricardianischen Äquivalenz:


Unvollkommener Kapitalmarkt

Endlicher Zeithorizont
• Barro: Jedes Mitglied künftiger Generationen hat heute lebende Repräsentanten
• Aber:
o Nutzen der Kinder wird vermutlich dennoch geringer gewichtet als künftiger
eigener Nutzen
o Nicht jedes Mitglied der lebenden Generation hat künftige Repräsentanten

79
Auswirkung der Staatsverschuldung
• Wie ernst sollen wir dann Ricardos Äquivalenz nehmen?
o Es gibt Mechanismen, die die Gültigkeit der ricardianischen Äquivalenz
einschränken
o Dennoch ist die ricardianische Anpassung der Haushalte zu stark, um sie zu
ignorieren
o Lektion: Für Wirksamkeit von Fiskalpolitik spielt auch ihr Einfluss auf die
Erwartungen eine große Rolle
• Empirisch gibt es Effekte der Fiskalpolitik
• Kurzfristig
o BIP steigt: In Rezession gewünscht um Konjunktur zu stabilisieren
• Langfristig
o BIP sinkt
o Verteilungswirkung von Zinszahlungen: Umverteilung von Steuerzahlern zu
Geldvermögensbesitzer
→ Führt zu politökonomisch bedeutsamen Interessenskonflikt
o Bei sehr hohen Schulden: Zunehmender Druck auf Zentralbank
→ Inflationsgefahr

Auswirkung auf Staatsverschuldung

80
Auswirkung der Staatsverschuldung
Lektionen:

Politische Ökonomie der Verschuldung


• Politikökonomische Frage: Warum weicht Politik häufig vom optimalen Pfad ab?
o Wenn alle die gleichen Ressourcen und Präferenzen hätten, gäbe es keinen Grund
davon abzuweichen
81
o Heterogenität von Interessen führt zu einem Anreiz für Politiker, sich zu
verschulden

Politische Ökonomie der Verschuldung


Staatsschulden als Allmendegut
• Mehrere Akteure (Minister, Parteien, Wahlkreise, Interessensgruppen) greifen auf
staatliche Mittel im Interesse ihrer Klientel zurück
• Mehrheitsbildung durch Tauschgeschäfte (Logrolling) zu Lasten Dritter
• Verschuldung ist ein Instrument um Kosten auf künftige Steuerzahler (nicht nur auf
gegenwärtige Steuerzahler) abzuwälzen
→ Hohe Staatsausgaben und hohe Verschuldung

Strategische Verschuldung
• Regierung wird mit bestimmter Wahrscheinlichkeit abgewählt
• Hat Präferenz für höhere Ausgaben oder andere Ausgaben als Nachfolgeregierung
• Verschuldung → Nachfolgeregierung muss Schulden bedienen; Spielraum für andere
Staatsausgaben sinkt
• Verschuldung bindet künftige Regierung und schränkt ihren Handlungsspielraum ein
• Verschulden umso größer
o je wahrscheinlicher Abwahl
o je größer die politische Polarisierung

Politische Ökonomie der Verschuldung


Fiskalischer Stellungskrieg

82
Ausgangslage:
• Einigkeit, dass hoher Schuldenstand auf Dauer nicht tragbar ist
• Kosten steigen mit zunehmender Dauer (steigende Zinslast)
• Bei einem Akteur würde sofort gespart
• Bei mehreren Akteuren:
o Uneinigkeit, wer die Kosten der Sparmaßnahmen trägt
o z. B. Linkspartei für Reichensteuer, Rechtspartei für Sozialkürzung

Fiskalischer Stellungskrieg (War of Attrition)


• Jeder spekuliert darauf, dass der andere zuerst Zugeständnisse macht und dessen
Klientel die Kosten der Sparmaßnahme trägt
→ Verzögerung der Sparmaßnahmen
• Wer aufgibt, trägt den größten Teil der Kosten
→ Asymmetrische Lastverteilung
• Je fragmentierter die Regierung, desto größer die Verschuldung (z. B. bei hoher
ideologischer Polarisierung, bei zwei gleich großen Partnern)
• Am stärksten empirisch gestützt

Begrenzung der staatlichen Verschuldung


durch Institutionen
Gesetzliche Schuldenschranken
• Seit 1969 (GG Art 115)
o Neuverschuldung darf Investitionen nicht überschreiten
o Ausnahme bei Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes
• 1997: Euro-Stabilitäts- und Wachstumspaket
o Neuverschuldung: Max. 3 % des BIP
o Schuldenstand: Max. 60 % des BIP
• 2009: Schuldenbremse im Grundgesetz
• 2011: EU-Fiskalpakt

83
durch Institutionen: Schuldenbremse
• Seit 2016: Neuverschuldung des Bund darf in der konjunkturellen Normallage 0,35 % des
BIP nicht überschreiten
• Konjunkturelle Abweichungen sind möglich
o Passive Stabilisierungspolitik: Wirkung automatischer Stabilisatoren erlaubt
o Aktive Stabilisierungspolitik (Verschuldung für Konjunkturprogramme):
Entstehender Negativsaldo wird auf Kontrollkonto gebucht; darf einen Wert von
1,5 % des BIP nicht übersteigen, ab 1 % des BIP ist der Saldo konjunkturgerecht
zurückzuführen
• Ausnahme für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen per Mehrheit
des Bundestages möglich: 2020 und 2021 angewendet
• Für Bundesländer ist strukturelle Neuverschuldung seit 2020 ausgeschlossen

EU-Fiskalpakt
• Maximale Neuverschuldung: 0,5 % des BIP
• Formulierung lässt Interpretationsspielräume: Länder müssen „rasche Annäherung an ihr
jeweiliges mittelfristiges Ziel“ sicherstellen, indem sie einen automatischen
Korrekturmechanismus implementieren
• Abweichungen bei schwerem Konjunkturabschwung möglich
→ Aktuelle Diskussion um Lockerungen

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