Südtiroler Scützenbund
gegr. 1958
Jahresbericht
zur 55. Ordentlichen Bundesversammlung 2. Mai 2020
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Jahresbericht
des
Landeskommandanten
Liebe Tirolerinnen, liebe Tiroler! 10. September 2019, 20 Uhr. Die Tagesschau auf RAI Südtirol beginnt. Eingangs wird über die gewonnene Vertrauensabstimmung der Regierung in der Kammer berichtet. Interessierte mich weniger, und so ging ich noch schnell in die Küche und holte mir ein Stück Tiroler Gugelhupf, den meine Frau tags zuvor gebacken hatte. Rechtzeitig schaffte ich es zurück ins Wohnzimmer. Seit Tagen waren Südtirols Medien voll mit Presseaussendungen, Minderheitenforscher analysierten die Lage und Historiker meldeten sich zu Wort. 100 Jahre Friedensvertrag von Saint Germain. Der Nachrichtensprecher begann mit folgenden Worten: „Heute vor genau 100 Jahren ist der Friedensvertrag von Saint Germain unterzeichnet worden. Der Vertrag regelte nach dem 1. Weltkrieg die Auflösung Österreichs und besiegelte die Zukunft. Das Land fiel an Italien.“ Die Geschehnisse von damals wurden genauer analysiert und dann kam der Höhepunkt des Abends, für mich persönlich des Jahres. Der Nachrichtensprecher kündigte an: „Wir hörten uns auf der Straße um und fragten die Menschen nach ihrer Meinung, wie sie Südtirol nach 100 Jahren Zugehörigkeit zu Italien, heute sehen.“ Die Erste der Befragten, der glorreichen drei, ein junges Mädchen mit glänzenden Ohrringen meinte: „Um ehrlich zu sein, muaß i sogen, i bin froah, dass mir zu Italien kemmen sein“. Ich legte meinen Tiroler Gugelhupf behutsam beiseite. In Montan wurde in der Nähe des Friedhofs ein Erdbeben der Stärke 8,2 gemessen. Ettore schlug einen dreifach Auerbachsalto in seinem mehrmals gesprengten Grabmal. Wie kann man so respektlos mit der Geschichte unserer Heimat umgehen? Hat man im Geschichtsunterricht die Südtiroler Geschichte nicht durchgemacht, oder fallen die Unterrichtsstunden auf Freitag, wo die halben Schüler bei den Fridays-for-Future-Demos sind? Sicherlich ist es lobenswert, dass uns unsere Schüler auf dem Klimawandel aufmerksam machen, angesichts dieser Äußerungen würde ich aber Südtirols Geschichte bevorzugen. Oder sind es einfach die Gleichgültigkeit und der Wohlstand, dass man solche Äußerungen tätigt. Eines ist sicher, die Autonomie und die autonome Schule Südtirols haben aufgrund dieser Aussagen offenbar versagt. Es ist nicht gelungen, das Bewusstsein als Minderheit den kommenden Generationen weiterzugeben. Dann kam er, ein junger Bursche mit einem strammen Scheitel und Kapuzenpulli, und er meinte im perfekten Rittner Dialekt: „I bin ehrlich gsog gonz froah Italiener zu sein, i find’s net schlimm, i find’s sogor fein.“ Leichte Magenkrämpfe machten sich bemerkbar. Also, ich habe schon mal was von Transgender gehört, also eine Frau oder ein Mann, das sich nicht nach seinem Geschlechtsorgan einstufen lässt, oder so ähnlich. Aber der Begriff Transidentitänder wäre mir jetzt neu. Ein junger schneidiger Rittner Bua, der in seiner Muttersprache Deutsch ein Interview gibt, der die Gene seiner Tiroler Vorfahren in sich trägt, in seiner Freizeit wahrscheinlich auf Wiesenfesten Lederhosen trägt und „Atemlos“ von Helene Fischer singt, findet es fein, ein Italiener zu sein? Ich persönlich könnte mir vorstellen, einmal Isländer zu sein, das würde mir gefallen. Vielleicht fange ich morgen damit an. Obwohl einen Isländer als Landeskommandant, das möchte ich euch nun auch wieder nicht zumuten. Deshalb bleibe ich das, was ich bin, der Wendl, a Kolterer und a Tiroler. Und sollte es jemand nicht glauben, reißt mir das Herz raus, ihr werdet sehen, es leuchtet in den Farben unserer Heimat, weiß und rot. Und dem jungen Rittner Bua muss ich leider mitteilen: „Zu mehr als zu einem italienischen Staatsbürger wird auch er es nicht bringen.“ Die Letzte, ein nettes Mädchen mit Sonnenbrille und einem Muttermal auf der rechten Wange meinte dazu: „I find net, dass es eppes Schlechtes isch, dass Südtirol zu Italien kemmen isch, i find’s sogor guat, i denk es isch oane der besten Sochen, de uns passiert isch.“ Dass mir der Tiroler Gugelhupf inzwischen vom Teppichboden entgegen lachte, sei hier am Rande erwähnt. Es ist also das Beste, was uns passiert ist, dass Südtirol zu Italien gekommen ist? Ich möchte darauf hinweisen, dass all die unten angeführten Argumente vor der Corona-Krise zutrafen. Wie es nachher ausschaut kann sich dann jeder selber ausmalen.
3 Zu einem Staat mit einem aktuellen Schuldenstand von 2.630 Milliarden Euro? Zu einem Staat, der unter einem Schuldenberg von mehr als 130 % der Wirtschaftsleistung ächzt, der zweithöchsten in der Eurozone? Zu einem Staat, wo das Haushaltdefizit jährlich größer wird? Zu einem Staat mit einer ineffizienten Verwaltung? Zu einem Staat mit einer chaotischen Gesetzgebung? Zu einem Staat, wo es keine Rechtssicherheit für mögliche Investoren gibt? Zu einem Staat mit dem geringsten Wirtschaftswachstum in der Eurozone? Zu einem Staat mit einer stagnierenden Produktivität? Zu einem Staat, in dem die Fortbewegungsgeschwindigkeit einer Schnecke jener Usain Bolt ähnelt, im Vergleich zu jener, wie schnell die Justiz arbeitet? Zu einem Staat mit einem dringend reformbedürftigen Steuersystem? Zu einem Staat, mit einer im internationalen Vergleich schwachen Schule und einer unzureichenden Berufsausbildung? Zu einem Staat, wo gleich viel bestochen wird wie in allen anderen EU-Staaten zusammen? Zu einem Staat mit dem wirtschaftlich unterentwickelten Süden, der noch dazu die Brutstätte für Mafia, Ndrangheta und Camorra darstellt? Zu einem Staat, wo einige Städte weiterhin im Müll versinken? Zu einem Staat mit einem der schlechtesten Gesundheitssysteme Europas? Zu einem Staat, wo dir bei Verkehrskontrollen eine vollautomatische geladene Beretta M12 ins Gesicht gehalten wird. Zu einem Staat, wo das politische System nicht auf Stabilität und handlungsfähiger Mehrheit ausgerichtet ist? Zu einem Staat, wo das Wahlrecht gleich oft geändert wird, wie der Mutschuner Pepm seine Unterhosen wechselt? Zu einem Staat, wo in den erdbebengeschädigten Städten wie L‘Aquila oder Amatrice die Menschen nach drei Jahren immer noch in Zelten leben, dafür aber der Faschistentempel hier in Bolzano für 735.000 Euro erdbebensicher gemacht wird? Zu einem Staat mit einer Jugendarbeitslosenquote von knapp 30 %? Zu einem Staat, in dem in den letzten fünf Jahren über einer halben Million Jugendliche mit einer guten Schul- oder Universitätsausbildung abgewandert sind? Zu einem Staat, der mit einem beispiellosen Geburtenrückgang konfrontiert ist? Zu einem Staat, wo Brücken und Tunnels mit Haferbrei gebaut wurden? Zu einem Staat, der auch nach 100 Jahren versucht, alles Österreichische und Deutsche in Südtirol auszulöschen? Also, ich bin da eher der Meinung, dass es das Beste wäre, was uns je passieren könnte, so schnell wie möglich von diesem Staat wieder loszukommen. Nun gut, es sind junge Leute, noch unerfahren, wohlbehütet aufgewachsen und noch ziemlich grün hinter den Ohren. Man möge ihnen verzeihen. Und alles nur zu kritisieren, hilft auch keinem. Deshalb hier mein Lösungsvorschlag: Wenn sich mittlerweile gefühlt über 70 % der Südtiroler als Italiener fühlen, wenn wir unsere Autonomie hier in Südtirol mehr verteidigen müssen wie gegenüber Rom, wenn das Recht auf unsere Muttersprache nicht mehr gewährt wird, wenn gefühlt die ganze Welt doppelte Staatsbürgerschaften verteilt, nur wir haben nicht das Recht auf unsere wahre Identität, wenn
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