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HIRN TUMO REN MIKROCHIRURGISCHE TUMOROPERATIONEN Meningeom

Mikrochirurgische Tumoroperationen in der


modernen Neurochirurgie: Teil I – Das Meningeom
R. A. Kockro, O. D. Fabrig, Zentrum für MikroNeurochirurgie, Klinik Hirslanden, Zürich, Schweiz.
Die häufigsten ZNS-eigenen intrakraniellen Neubildungen sind die Gruppen der Meningeome und Gliome.
Chirurgische Prinzipien der Therapie dieser beiden Tumorentitäten werden in dieser sowie der nächsten Ausgabe
von JOURNAL ONKOLOGIE in 2 Teilen präsentiert. Teil I widmet sich der Gruppe der Meningeome. Diese stellen mit
ca. 35% die häufigste Entität der ZNS-eigenen Tumoren dar. Werden Meningeome symptomatisch und/oder zeigt
sich radiologisch eine Größenprogredienz, besteht meist die Indikation zur Therapie. Der Goldstandard ist in der
Regel die chirurgische Resektion. Der folgende Artikel befasst sich mit den Grundsätzen der Meningeomtherapie
und den Prinzipien der modernen mikrochirurgischen Tumorresektion. Dabei wird u.a. auf die präoperative Bildge-
bung und individuelle Operationsplanung im dreidimensionalen Raum sowie auf die Techniken und Methoden des
minimal-invasiven Operierens eingegangen.

Überblick ZNS-Tumoren Festlegen einer möglicherweise multi- (MRI, f-MRI, CT, PET). Mit Hilfe von 3D-
modalen Therapie, d.h. das Zusammen- Simulationen wird eine punktgenaue
Insgesamt machen ZNS-Tumoren etwa wirken von chirurgischer Tumorresek- Operationsplanung durchgeführt.
1,4% aller neu diagnostizierten Tumor- tion, Bestrahlung oder Chemotherapie.
erkrankungen aus und sind für etwa Während der Operation kommen
2,6% aller tumorassoziierten Todes- Belegbare Berichte über erste Tumor- moderne Mikroinstrumente zum Ein-
fälle verantwortlich. Die häufigste in- operationen in der kranialen Neurochi- satz, mit denen es unter mikrosko-
14 trazerebrale Neoplasie sind Metastasen rurgie gehen zurück bis ins Jahr 1879, pischer und endoskopischer Sicht mög-
[1-3]. Bei den ZNS-eigenen Tumoren als William Macewen bei einer jungen lich ist, auch feine Tumorstrukturen zu
dominieren die Meningeome (35%) Frau einen Tumor der Dura mater re- präparieren und zu entfernen. Drei-
und die Gruppe der Gliome, wobei bei sezierte – am wahrscheinlichsten han- dimensionale Navigationssysteme zei-
letzterer mit einem Anteil von ca. 55% delte es sich dabei um ein Meningeom. gen dabei den Weg. Bei Bedarf ermög-
die Glioblastome (WHO-Grad IV) über- 5 Jahre später, 1884, gelang es Rickman licht es die intraoperative Bildgebung,
wiegen. Weitere häufige Tumorenti- J. Godlee, erstmalig einen intraaxialen das chirurgische Zielgebiet in Echtzeit
täten sind Hypophysenadenome (ca. hirneigenen Tumor zu entfernen. Im darzustellen, um somit den Fortgang
10-14%) und Nervenscheidentumoren Verlauf der folgenden Jahrzehnte pro- einer Operation zu präzisieren (intra-
(ca. 8%) (Abb. 1) [1-3]. fitierte die onkologische Neurochirurgie operatives MRI (magnetic resonance
enorm von der fortschreitenden tech- imaging), Computertomographie (CT)
Die mikrochirurgische Tumor- nischen Entwicklung zur optisch ver- und Ultraschall). Die Funktion von Hirn-
resektion ist bei den meisten ZNS- besserten Darstellung des Operations- gewebe, welches möglicherweise im
Tumoren die zentrale Säule der feldes. Entscheidende Rollen spielten Zugangsweg oder in der Nachbarschaft
Therapie – entweder mit Blick auf dabei u.a. Harvey W. Cushing und M. des Tumors liegt, wird mithilfe von elek-
vollständige Tumorentfernung oder Gazi Yaşargil, der mit der Einführung trophysiologischen Messmethoden un-
größtmögliche Zytoreduktion. Menin- des Operationsmikroskops der Weg- ter Anwesenheit eines Neurologen im
geome, Hypophysenadenome oder bereiter der modernen Neurochirurgie Operationssaal überwacht. Bei Opera-
Vestibularisschwannome können oft war [6-9]. Weitere technische Verfeine- tionen in der Nähe der Sprachzentren
mit einer Operation vollständig entfernt rungen wie die Einführung der Naviga- besteht die Möglichkeit, unter Lokal-
und damit geheilt werden. Bei Glio- tion und des Endoskops erlaubten es, anästhesie, d.h. im Wachzustand der
men und insbesondere Glioblastomen die operativen Zugänge zu verkleinern Patientin/des Patienten zu operieren.
korreliert die Prognose direkt mit dem und Tumoren präziser zu resezieren. Das Zusammenspiel aller Technologien
Ausmaß der Tumorresektion [4, 5]. Ob und Methoden ermöglicht ein höchs-
ein Tumor überhaupt therapiert werden Präoperativ steht die hochauflösende tes Maß an chirurgischer Präzision
muss oder ob es möglich ist, diesen zu- Bildgebung im Zentrum, sowohl im Hin- und Sicherheit.
nächst zu beobachten, wird in moder- blick auf die Tumorstrukturen als auch
nen Einrichtungen stets interdiszipli- auf die Anatomie und Funktionen des Im Folgenden sowie in der nächsten
när entschieden. Dies gilt auch für das an den Tumor angrenzenden Gewebes Ausgabe werden wir in den Teilen I und

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Meningeom MIKROCHIRURGISCHE TUMOROPERATIONEN H IR NTUMOR EN

II die neurochirurgischen Techniken der in fast zwei Drittel der Fälle kein Wachs-
häufigsten intra- und extraaxialen ZNS- tum und entwickeln nur in 6% der Fälle Nachlese
eigenen Tumoren darstellen: das Me- im weiteren Verlauf Symptome [12],
ningeom und die Gruppe der Gliome. weshalb nicht immer eine Therapie not- Spezielle neuro-
wendig wird. Eine Therapieindikation chirurgische Aspekte bei
Meningeome besteht in der Regel im Falle von Sym- kindlichen Hirntumoren
ptomen und/oder einer in der Bildge- www.med4u.org/21493
Meningeome sind meistens WHO- bung dokumentierten Tumorprogredi-
Grad-I-Tumoren, die der Arachnoidea enz [3, 10-12]. Glioblastom: Immuntherapie
mater entspringen. Zwischen 5-20% bei Hypermutationen und
werden als atypische Meningeome Symptome klinische Relevanz von
dem WHO-Grad II zugeordnet, etwa Methylierungssubtypen
1-3% dem WHO-Grad III. Mit einem Die Symptome von intrakraniellen Me- www.med4u.org/21494
Anteil von etwa 35% und einer Inzi- ningeomen können vielfältig sein und
denz von ca. 7,6/100.000 sind Menin- sind in erster Linie von der Tumorgröße, Diagnostik und Therapie
geome die häufigsten intrakraniellen Lokalisation und ggf. vom Ausmaß eines des neu diagnostizierten
ZNS-eigenen Tumoren. Dabei zeigt perifokalen Ödems abhängig. Konvexi- Glioblastoms – CME-Test Teil 1
sich eine signifikante Korrelation der tätsmeningeome können je nach La- www.med4u.org/21495
Meningeomdiagnosen mit steigendem gebeziehung zum darunterliegenden
Alter der Patient:innen. Frauen sind – Cortex zu kontralateralen Paresen, Intrakranielle Wirksamkeit
je nach Studienkollektiv – etwa 2-3x Sensibilitätsstörungen, Sehstörungen, der medikamentösen Tumor-
häufiger von Meningeomen betroffen Sprachstörungen oder epileptischen therapie bei Hirnmetastasen
als Männer. Darüber hinaus finden sich Anfällen führen. Schädelbasismeninge- – CME-Test Teil 2
im Vergleich zwischen der afroameri- ome können je nach individueller Lage www.med4u.org/21496
kanischen und kaukasischen Bevölke- zu Hirnnervenausfällen und damit zu
rung in den USA im afroamerikanischen Seh-, Augenbewegungs-, Riech-, Hör-, Herausforderungen in der
Kollektiv 20% häufiger Meningeome Gleichgewichts-, Schluck- oder Sprach- Chirurgie von Hirntumoren,
[1, 3, 10]. störungen sowie zu Gesichtsschmerzen -metastasen sowie Schädel-
führen. Große frontal oder frontoba- basistumoren – CME-Test Teil 3
Häufig werden die Tumoren inzi- sal gelegene Meningeome können zu www.med4u.org/21497
dentell festgestellt. Im Rahmen der einem Frontalhirnsyndrom mit verän- 15
allgemein steigenden Anzahl von derter Persönlichkeitsstruktur führen.
CT- oder Magnetresonanztomogra- Infratentorielle Meningeome mit Druck sagittalis, Sinus transversus oder Sinus
phie (MRT)-Untersuchungen kommen auf das Kleinhirn können Gleichge- sigmoideus besteht die Gefahr von Si-
auch Meningeome heutzutage zu- wichts- oder Koordinationsstörungen nusvenenthrombosen. Im Allgemeinen
nehmend häufiger zum Vorschein. In nach sich ziehen. Im Bereich des kranio- können Meningeome durch Reizungen
einer großen Autopsie-Studie waren zervikalen Übergangs kann der Druck der Hirnhäute Kopfschmerzen hervor-
85% aller entdeckten Meningeome auf den Hirnstamm zu einer Reihe von rufen. Bei großen Meningeomen, v.a.
asymptomatisch bei einer allgemei- sensomotorischen Ausfällen bis hin mit kräftigem perifokalen Ödem, kann
nen Prävalenz von ca. 2% [3, 10, 11]. zu Atemlähmungen führen. Im Falle sich eine Hirndrucksymptomatik mit
Asymptomatische Meningeome zeigen eines Wachstums am oder im Sinus Übelkeit, Erbrechen und Vigilanzmin-
derung entwickeln [10, 13].
andere 11,5%
Keimzelltumoren 0,5% Glioblastome 15,8% Diagnostik und OP-Planung
andere neuroepitheliale
Tumoren 0,0% Die Bildgebung ist die Grundlage der
Lymphome 2,2%
mikrochirurgischen Tumorresektion. Im
Nervenscheidentumoren Astrozytome 6,3% Kontrastmittel-angehobenen MRI mit
8,3%
Ependymome 2,0%
MR-angiographischen Sequenzen las-
Kraniopharyngiom 0,9%
Oligodendrogliome 1,8% sen sich Meningeome sehr gut von be-
Embryonale Tumoren 1,2% nachbartem Gewebe abgrenzen, ins-
besondere von arteriellen und venösen
Strukturen sowie von Hirnnerven. Bei
Hypophysentumoren 14,1% Meningeomen an der Schädelbasis
Meningeome 35,5% zeigt die CT bei dreidimensionaler Fu-
sionierung mit dem MRI die exakten
räumlichen knöchernen Verhältnisse
Abb. 1: Verteilung der ZNS-eigenen Hirntumoren nach histologischer Entität und damit wird die manchmal erfor-
(mod. nach [1]). derliche Abtragung von knöchernen

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Strukturen sehr präzise planbar. Die subarachnoidale Raum zwischen dem Hirnwatten eine exzellente Anwen-
vollständig fusionierten multimodalen Meningeom und der Gehirnoberfläche dung und darüber hinaus gelingt es
Bilddaten können in einem dreidimen- erhalten. Die Blutversorgung des Me- häufig, diese Schicht mit einem Wasser-
sionalen Simulator zur detailgetreuen ningeoms erfolgt in erster Linie durch jet zu füllen und damit zu verbreitern.
Operationsplanung verwendet werden meningeale Arterien im Bereich des Kleinere Blutgefäße, die in den Tumor
[14-17]. duralen Ansatzes, der „Tumorwurzel“, ziehen, werden im Laufe dieser Präpa-
aber auch durch kleinere piale Gefäße, ration gezielt unterbunden. Das Tumor-
Bei großen Meningeomen, insbe- die durch den subarachnoidalen Raum gewebe wird mit der bipolaren Pinzette
sondere wenn sie im MRI gut durchblu- in das Meningeom ziehen. Bei der geschrumpft und in mehreren Teilpor-
tet erscheinen, ist eine Katheterangio- mikrochirurgischen Tumorresektion tionen sukzessive entfernt. Bei großen
graphie sinnvoll, um vor der Operation sind diese anatomischen Merkmale Tumoren kann es sinnvoll sein, den Tu-
die Blutversorgung exakt zu verstehen. von großer Bedeutung. Die Resektion mor in Teilen von innen auszuhöhlen,
In einigen Fällen ist es möglich, große, wird in der Regel damit begonnen, um so das Präparieren an der äußeren
in den Tumor führende Blutgefäße die zuführenden Blutgefäße im Be- Grenzschicht zu erleichtern. Dazu kom-
angiographisch zu embolisieren, reich der meningealen Ansatzstelle men gelegentlich Ultraschallaspira-
um damit die mikrochirurgische Resek- durch Koagulation zu unterbinden. toren zum Einsatz, die das Abtragen
tion zu erleichtern [18, 19]. Es konnte Anschließend ist es wichtig, den sub- von etwas derberem Tumorgewebe,
gezeigt werden, dass die präoperative arachnoidalen Raum, der gelegentlich unter der Schonung von Blutgefäßen an
Embolisation einerseits das operative sehr schmal sein kann, an der Ober- der Grenzschicht, ermöglichen [28-33].
Blutungsrisiko senkt und andererseits fläche des Tumors zu identifizieren, Soweit technisch und anatomisch mög-
die Wahrscheinlichkeit einer Komplett- um diesen dann entlang dieser Schicht lich, wird die durale Ansatzstelle des
resektion erhöht [20-22]. Außerdem Schritt für Schritt von den umliegenden Meningeoms ebenfalls reseziert und
gibt es Hinweise, dass durch die prä- neuronalen Strukturen frei zu präpa- die Lücke wird mit einem Ersatzma-
operative Embolisation eine Verbesse- rieren. Zur schonenden Aufweitung terial, welches in der Regel eingeklebt
rung des postoperativen mRS (modi- des subarachnoidalen Raums finden werden kann, wasserdicht gedeckt.
fizierte Rankin-Skala)-Scores erreicht
werden kann [23]. Im Idealfall sollte die
Embolisation in einem kurzen Intervall
von wenigen Tagen vor der Operation M
stattfinden [18, 19, 22-26].
16
Die detaillierte präoperative Bildge- E
bung dient in der modernen Neurochi-
rurgie nicht nur zur Planung, sondern
auch zur intraoperativen Naviga-
tion. Dies geschieht durch die räum-
liche Fusionierung der dreidimensional
rekonstruierten MRI- und CT-Bildserien
mit der Oberfläche des Kopfs der Pa-
tientin/des Patienten. Während der
Operation ist es dann möglich, die Po-
sitionen der Instrumentenspitzen exakt 1 2 1
auf der Bildgebung zu identifizieren
und damit auch Strukturen jenseits
der sichtbaren Operationshöhle zu an-
tizipieren. Die Navigation erlaubt die
exakte Definition des Hautschnitts und 4
der Knochenöffnung, womit das Risiko
von zugangsbedingten Komplikationen
3
reduziert werden kann [27].

Allgemeine Prinzipien der


Meningeomchirurgie Abb. 2: Schematische Darstellung der endoskopisch-assistierten mikrochirurgischen
Blickachse. Während die Blickachse des Mikroskops einen detaillierten Blick auf die Ziel-
Meningeome gehen von arachnoi- struktur (2) ermöglicht, können wichtige anatomischen Strukturen (3, 4) verdeckt blei-
dalen Kappenzellen aus, welche die ben. Das Endoskop macht diese sichtbar. Ein sicheres Präparieren und Resezieren wird
äußere Schicht der Arachnoidea bil- somit durch die kombinierte Anwendung von Mikroskop und Endoskop ermöglicht.
den. Beim fortschreitenden Tumor- M=Mikroskop und Blickachse in grün; E=Endoskop und Blickachse in grün; 1=kortikale Struk-
wachstum bleibt daher in der Regel der turen; 2=Zielstruktur; 3 und 4=anatomische Strukturen, die hinter der Zielstruktur lokalisiert sind

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Die Voraussetzung der mikrochirur- eines Schlüssellochs in vielen Fällen exakt über dem Meningeom angelegt
gischen Tumorresektion ist das Opera- möglich (Abb. 2). werden und in der Regel gelingt – den
tionsmikroskop, welches mit Hinblick oben beschriebenen Prinzipien folgend
auf Bildqualität, stereoskopische Tie- Daneben finden allmählich die Exo- – eine vollständige Entfernung mit samt
fenschärfe, Illumination, ergonomische skope Einzug in die Neurochirurgie, der tumorinfiltrierten Dura. Tumorrezi-
Handhabe und Integration in die Navi- welche im Prinzip mit hochauflösenden dive sind dann sehr selten.
gation deutlich weiterentwickelt wurde stereoskopischen Videokameras arbei-
[34]. Im Bereich der Schädelbasis ist ten [35-39]. Parasagittale und
zusätzlich das Endoskop von großer Falxmeningeome
Bedeutung, denn es erweitert die Sicht Konvexitätsmeningeome
auf das Operationsgebiet und ermög- Parasagittale Meningeome involvieren
licht so den Zugang zu Regionen, die Konvexitätsmeningeome können eine die Wand des Sinus sagittalis superior
mit der geraden Blickachse des Mikro- beträchtliche Größe entwickeln, bevor und können in diesen hineinwachsen,
skops nicht einsehbar wären. Kom- sie Symptome zeigen, insbesondere was, je nach Ausmaß, ein Hindernis
biniert mit der Verwendung von fili- wenn sie nicht über funktionell bedeu- des sinusoidalen Blutflusses bis hin
granen Rohrschaft-Instrumenten sind tenden Gehirnarealen liegen. Mithilfe zur kompletten Okklusion nach sich
damit Kraniotomien von der Größe der Navigation kann die Kraniotomie ziehen kann. Häufig bilden sich im

1A) 1B) 2A) 2B)

1C) 1D) 2C) 2D)


19

1E) 1F) 2E) 2F)

Abb. 3: Fallbeispiel 1. 1A)-1F) präoperative MRI-Schnittbildgebung eines ca. 5,3 x 4,5 x 4,6 cm messenden rechtsseitigen Tentorium-
meningeoms. 2A)-2F) postoperative MRI-Schnittbildgebung. Eine 30-jährige Patientin stellte sich mit progredienten Kopfschmer-
zen occipital sowie mehrmaligem Erbrechen vor. Bei der Aufnahme war sie leicht somnolent, ansonsten kein fokal-neurologisches
Defizit. In der MRI-Diagnostik zeigte sich die oben beschriebene Raumforderung, a. e. einem Meningeom entsprechend. Das
Meningeom wurde über einen kombinierten infra- und supratentoriellen Zugang in mikrochirurgischer Technik reseziert. Die
Sehrinde im Occipitallappen wurde durch die Präparationsrichtung von infratentoriell vollkommen geschont. In den postopera-
tiven MRI-Verlaufskontrollen zeigt sich kein Hinweis auf einen Tumorrest oder Tumorrezidiv. Die Patientin ist neurologisch be-
schwerdefrei. Die histopathologischen Untersuchungen ergaben ein fibröses Meningeom, WHO-Grad I.

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Bereich dieser Sinusstenosen venöse


1A) 2A)
Umgehungskreisläufe, die eng an der
Meningeomoberfläche entlang zie-
hen können. Eine präzise präoperative
Bildgebung mit MR-Venographie ist
daher enorm wichtig, um die Operati-
onsstrategie anhand der Gefäßarchi-
tektur auszurichten. Kleinere Venen
können möglicherweise verschlossen
werden, aber die hauptleitenden Ve-
nen der Umgehungskreisläufe müssen
intraoperativ erhalten werden, um eine
totale Sinusstenose zu verhindern. Ins-
besondere im mittleren und hinteren 1B) 2B)
Sinusdrittel können Stauungsinfarkte
und dadurch hervorgerufene Blu-
tungen zu relevanten neurologischen
Defiziten führen. Die tiefer gelegenen
Falxmeningeome können technisch
elegant über einen interhemisphä-
rischen Zugang erreicht werden. Auch
hier ist eine exakte präoperative MR-
Darstellung der Brückenvenen not-
wendig, um den geeigneten Korridor
unter Schonung dieser Venen mit Hilfe Abb. 4: Fallbeispiel 2. 1A)-1B) präoperative MRI-Schnittbildgebung eines ca. 2 x 2 x
der Neuronavigation anlegen zu kön- 3,5 cm messenden linksseitigen Schädelbasismeningeoms. 2A)-2B) postoperative MRI-
nen [10, 13]. Schnittbildgebung. Ein 82-jähriger Patient, der links eine deutlich, rechts eine diskret
zunehmende Sehschwäche entwickelte. Im MRI zeigt sich das oben beschriebene Schä-
Meningeome an der delbasismeningeom ausgehend vom Planum sphenoidale, Tuberculum sellae und me-
Schädelbasis dialen Keilbeinflügel links mit Kompression des Chiasma opticum und des linken Ner-
20 vus opticus. In der ophtalmologischen Untersuchung zeigte sich bilateral links betont
Schädelbasismeningeome – beispiels- ein progredienter Visusverlust, passend zu einer Opticus-/Chiasma-Kompression. Der
weise im Bereich des Keilbeinflügels, Tumor wurde in endoskopisch-assistierter Technik mikrochirurgisch unter elektrophy-
der Olfaktoriusrinne, des Planum sphe- siologischem Monitoring (insb. visuell-evozierte Potenziale) über einen pterionalen
noidale, des Tuberculum sellae oder Zugang vollständig reseziert. Der sehr ausgespannt über den Tumor laufende linke N.
des petroklivalen Übergangs – machen opticus konnte erhalten werden, der postoperative Verlauf war unauffällig. Die histo-
etwa 30% aller Meningeome aus. Auf- pathologischen Untersuchungen ergaben ein atypisches Meningeom, WHO-Grad II.
grund der komplexen Anatomie der
Schädelbasis bedingt durch Hirnnerven
und arterielle und venöse Gefäße spielt sich in Kockro et al. in 2009 und 2021 So ist es im Laufe der Jahre gelun-
die Wahl des Zugangs zum Zielgebiet [44, 45]. gen, die großen Kraniotomien der
und die Operationstechnik eine he- Standardzugänge der Schädelbasis
rausragende Rolle (siehe Fallbeispiel 2, Die Operationsstrategie und Tech- zu minimieren und individuell auf die
Abb. 4 und 5). nik fußt in erster Linie auf der detail- Patientin/den Patienten anzupassen.
lierten Bildgebung und der Kenntnis Das Ziel ist es, durch den Zugang eine
Häufige chirurgische Korridore zur der chirurgischen Zugänglichkeit ein- bestmögliche Darstellung des Opera-
vorderen Schädelbasis sind die fronto- zelner Strukturen. Hilfe leisten prä- tionsgebietes zu gewährleisten und
laterale, bzw. pterionale und supraorbi- operative 3D-Darstellungsmethoden gleichzeitig das kleinstmögliche chirur-
tale Kraniotomie, aber auch ein bifron- und hochauflösende MRT- und CT- gische Trauma zu setzen. Mit anderen
tal-subfrontaler, interhemisphärischer Sequenzen, mit denen kritische Struk- Worten: so klein wie möglich und so
oder transsphenoidaler Zugang kann turen detailliert dargestellt und Opera- groß wie nötig. In geeigneten Fällen ist
je nach Tumorausdehnung zielführend tionsschritte simuliert werden können es möglich, Tumoren an der Schädel-
sein. Die mittlere und hintere Schädelba- (Abb. 5). Es wurde gezeigt, dass eine basis über einen kleinen Schlüsselloch-
sis wird durch subtemporale, transpetro- solche 3D-Vorbereitung mit Opera- Zugang über einen Schnitt z.B. in der
sale und retrosigmoidale Kraniotomien tionssimulatoren vor allem in kom- lateralen Augenbraue oder hinter dem
oder eine Kombination dieser Korridore plexen Fällen zu mehr intraoperativer Ohr zu resezieren. Dies gelingt insbe-
erreicht [19, 40-43]. Eine Übersicht der Sicherheit führt und das chirurgische sondere, seit es das Endoskop ermög-
Schädelbasiszugänge, illustriert anhand Ergebnis optimiert werden kann licht, Bereiche jenseits der Blickachse
von 3D-Computersimulationen, findet [16, 17, 44-47]. des Mikroskops einzusehen und hier

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die vaskuläre Nachbarschaft, den Sinus


cavernosus und die angrenzenden
Hirnnerven II und III.

Meningeome am Felsenbein und


Clivus stellen aufgrund der Nähe zu ei-
ner Vielzahl von Hirnnerven und Blut-
gefäßen, welche Äste zur Versorgung
des Hirnstamms abgeben, eine chi-
rurgische Herausforderung dar. Auch
hier gilt, dass die Läsion und dessen
Umgebung präzise analysiert und ver-
standen sein müssen, um die optimale
Operationsstrategie festlegen zu kön-
nen. Hochauflösende MRI-Sequenzen
ermöglichen heutzutage die Darstel-
lung von Hirnnerven und Gefäßen
auch in unmittelbarer Nähe zu Tumo-
ren. Fusioniert mit der CT-Darstellung
der Schädelbasis kann das Zielgebiet
Abb. 5: Präoperative 3D-Planung im Dextroscope Virtual Reality Simulator zu Fallbei- detailliert virtuell dargestellt und
spiel 2. Während der Simulation wurde die Resektion simuliert und die vom Tumor die Operation geplant werden. In
verdeckte Carotis-Bifurkation mit den M1- und A1-Segmenten dargestellt. Mit den in den meisten Fällen können petrosale
den Händen gehaltenen Sensoren kann in das 3D-Szenario eingetaucht werden, um und clivale Meningeome über einen
essenzielle Schritte der Operation zu simulieren. 1=Meningeom; 2=linke A. cerebri me- retrosigmoidalen Zugang angegangen
dia, M1-Segment; 3=linke A. cerebri anterior, A1-Segment; 4=vordere Schädelgrube, linkes werden, welcher individuell positio-
Orbitadach; 5 und 6=paarige Aa. cerebri anteriores distal. niert und proportioniert wird. Bei weit
nach kranial reichenden Prozessen
werden ggf. subtemporale, subfron-
mit geeigneten Mikroinstrumenten zu so mithilfe des Endoskops reseziert tale bzw. von pterional kommende
operieren [48-51]. werden. Korridore in Erwägung gezogen, bei 21
kaudal gelegenen Zielgebieten spielt
Meningeome, welche mit ihrer ge- Für Meningeome am Keilbeinflü- die individuelle Anatomie im Bereich
samten Basis in der vorderen Schä- gel ist in der Regel der pterionale Zu- des Tuberculum jugulare für die Er-
delgrube liegen, können über kleine gang am besten geeignet. Bei kleineren reichbarkeit der Zielstrukturen eine
subfrontale und supraorbitale Zugänge Prozessen ist oft eine pterionale Mini- entscheidende Rolle. Auch im petro-
erreicht werden, wobei der Einsatz des Kraniotomie mit einem nur ca. 3-4 cm clivalen Raum gilt, dass minimal-in-
Endoskops es ermöglicht, abfallende langen Hautschnitt hinter der Haarlinie vasive endoskopische Methoden die
Flächen einzusehen. Dazu zählt die Ol- und transmuskulärer Präparation durch Zugangsmöglichkeiten erweitern und
faktoriusrinne und die dorsale Flanke den Musculus temporalis ausreichend. vereinfachen, sodass komplexe trans-
des Tuberculum sellae sowie der su- Entscheidend ist bei der Auswahl des petrosale oder transorale Zugänge nur
praselläre Raum. Auch Tumoren, die Zugangs die Einsehbarkeit und Ab- noch selten notwendig sind.
minimal über den Keilbeinflügel in die sicherung des medialen Tumorbe-
mittlere Schädelgrube reichen, können reiches, insbesondere im Hinblick auf Vor allem im Bereich der Schädelba-
sis ist das intraoperative Monitoring
ein bedeutender Sicherheitsaspekt,
Simpson-Grad Chirurgische Voraussetzungen mit dem Hirnnerven im Operations-
gebiet direkt kontrolliert werden kön-
makroskopische Komplettresektion mit Exzision der
1 nen. Mittels Elektromyographie und
anhaftenden Dura und ggf. veränderten ossären Strukturen
direkter Stimulation werden die Funk-
makroskopische Totalresektion mit Koagulation der duralen tionen der okulomotorischen Nerven
2
und/oder ossären Anhaftungsstelle N. oculomotorius und N. abducens,
makroskopische Totalresektion ohne Koagulation der duralen des N. trigeminus, des N. facialis und
3
und/oder ossären Anhaftungsstelle der kaudalen Hirnnerven N. IX bis
N. XII überprüft; via akustisch-evo-
4 Teilresektion/Debulking
zierter Potenziale der cochleare Anteil
5 Biopsie des N. vestibulocochlearis [13, 52-58].
Über sensorisch-evozierte Potenzi-
Tab. 1: Simpson-Graduierung (konzipiert nach [10]). ale (SEPs) und motorisch-evozierte

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Potenziale (MEPs) werden die ab- und desto höher die Rezidiv-Wahrschein- Meningeomen ist die mikrochirurgische
aufsteigenden Bahnen überwacht lichkeit [70, 71]. Resektion in der Regel die Therapie
[10, 13, 59-62]. Das intraoperative der Wahl. Durch sorgfältige Operati-
Monitoring erleichtert somit als elek- Im Falle von Konvexitätsmeninge- onsplanung basierend auf hochauf-
trisches Radar den Weg durch die omen ist die Grad-1-Resektion in der lösenden MRI- und CT-Daten sowie
komplexe Anatomie der Schädelbasis Regel möglich, da die Dura reseziert durch Technologie-gestützte filigrane
und des kraniozervikalen Übergangs, und rekonstruiert werden kann. Para- Operationsmethoden ist eine vollstän-
wobei der Funktionserhalt der neu- sagittale und Schädelbasismeninge- dige Tumorresektion unter Erhalt aller
ralen Strukturen höchste Priorität hat. ome können oft nicht mitsamt der Dura neurologischer Funktionen in vielen Fäl-
Bei Meningeomen in unmittelbarer entfernt werden. Jüngst konnte durch len möglich. Im Falle einer Teilresektion
Nähe zu Hirnnerven oder Gefäßen ist Behling et al. in deren Kollektiv von kann radiochirurgisch meist eine effek-
eine Totalresektion aufgrund des Risi- 1.571 Patient:innen gezeigt werden, tive Tumorkontrolle erreicht werden.
kos einer Verletzung dieser Strukturen dass eine Simpson-Grad-2-Resektion Verfeinerte Methoden der multimodal
deswegen oft nicht möglich. In diesen gegenüber Grad 1 keinen signifikanten kontrollierten mikromechanischen Ge-
Fällen ist deshalb eine defensive Ope- Nachteil im progressionsfreien Überle- weberesektion werden es in Zukunft
rationsstrategie mit dem geplanten ben darstellt [69]. Sughrue et al. publi- ermöglichen, den Grad der gewe-
Ziel einer Teilresektion im Sinne des zierten 2010 ebenfalls, dass zwischen beschonenden Komplettresektionen
neurologischen Funktionserhalts sinn- Simpson-Grad-1- und -Grad-2-Resek- weiter zu erhöhen.
voll. In Zeiten der modernen Präzisi- tionen bei WHO-Grad-I-Meningeomen
onsradiochirurgie kann der Tumorrest kein statistisch signifikanter Unter- Es besteht kein Interessenkonflikt.

strahlentherapeutisch, bzw. stereotak- schied in Bezug auf die 5-Jahres-Rezi- Die Literatur finden Sie unter:
tisch nachbehandelt werden (Gamma- divfreiheit besteht [72]. www.med4u.org/21587
Knife, Cyber-Knife oder ZAP-X) [10, 26,
63-69]. Zusammenfassung und
Ausblick AU TOR
Nach der Operation
Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro
Meningeome sind die häufigsten
Facharzt FMH für
Eine Möglichkeit, das Ausmaß der Me- ZNS-eigenen Tumoren, weit über- Neurochirurgie
ningeomresektion zu kategorisieren, wiegend gutartig und wachsen meis-
ist die Simpson-Graduierung (Tab. 1). tens langsam. Bei symptomatischen Zentrum für MikroNeurochirurgie
22 Im Allgemeinen gilt, je höher der Grad, oder eindeutig größenprogredienten Klinik Hirslanden
Witellikerstraße 40
8032 Zürich

A B S TRACT Schweiz

R. A. Kockro, O. D. Fabrig.1 Tel.: +41 (0) 44/3872130


Fax: +41 (0) 44/3872131
About 1.4% of all new diagnosed neoplasia are CNS tumors. E-Mail: ralf.kockro@hirslanden.ch
Meningiomas and gliomas are the two most common intracranial CNS
derived tumor entities. In this “part I” of a two-part review, surgical
principles of meningioma surgery are presented. Meningiomas AU TOR
represent approximately 35% of all CNS derived intracranial
Oliver Dietmar Fabrig
tumors. In case of tumor-related symptoms and/or tumor growth
Assistenzarzt Neurochirurgie
in imaging, therapy should be initiated and in most cases surgical
resection is the gold standard. Part I provides an overview of the
Zentrum für MikroNeurochirurgie
principles of meningioma therapy and surgical concepts of modern
Klinik Hirslanden
microneurosurgery. Special attention is given to patient-specific
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surgery planning in 3D environments as well as intraoperative
8032 Zürich
techniques of minimally invasive neurosurgery.
Schweiz

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Zentrum für MikroNeurochirurgie, Klinik Hirslanden, Zürich, Schweiz. Tel.: +41 (0) 44/3872130
Fax: +41 (0) 44/3872131
Keywords: CNS tumors, meningioma, minimally invasive neurosurgery E-Mail: oliverdietmar.fabrig@hirslanden.ch

JOURNAL ONKOLOGIE 12/2021

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