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Unfallchirurg

2002 · 105: 332–337 © Springer-Verlag 2002 Originalien


A.Werner1 · D. Böhm2 · A. Ilg1 · F. Gohlke2
1 Orthopädische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
2 Orthopädische Universitätsklinik Würzburg

Die intramedulläre
Drahtosteosynthese nach
Kapandji bei der proximalen
Humerusfraktur

Zusammenfassung chen Drähte wegen Perforation der Kalotte Das operative Spektrum reicht von
vorzeitig entfernt bzw.umgesetzt.Sekundä- minimal-invasiven Techniken bis zur
Minimalinvasive Techniken tragen bei der re Fragmentdislokationen oder Pseudarthro- primären Prothesenversorgung. Zentra-
operativen Versorgung proximaler Humerus- sen wurden im gesamten Patientengut nicht le Bedeutung kommt einer erhaltenen
frakturen dazu bei, das Risiko einer iatrogen beobachtet. Blutversorgung des Humeruskopfes zu,
bedingten Schädigung der Fragmentdurch- Es handelt sich um eine schonende während mäßige Restdeformierungen
blutung und periartikulärer Vernarbungen Operationstechnik, welche trotz frühzeitig im glenohumeralen Gelenk funktionell
der Gleitschichten zu vermindern.Zum einsetzender, frühfunktioneller Behandlung oft toleriert werden [25]. Hohe Raten
Spektrum dieser Verfahren gehört auch die bei instabilen und valgusimpaktierten Frak- avaskulärer Humeruskopfnekrosen im
intramedulläre K-Draht-Osteosynthese nach turen gute Ergebnisse ermöglicht und daher Zusammenhang mit klassischen Osteo-
Kapandji. an unserer Klinik die bisher übliche Technik syntheseverfahren [14] haben dazu ge-
Zwischen 3/95 und 6/00 wurden am der Spickdrahtosteosynthese abgelöst hat. führt, dass heute überwiegend minimal-
König-Ludwig-Haus Würzburg 29 Patienten Die Indikation zum primären endoprothe- invasive Operationstechniken zur An-
mit dislozierter Humeruskopfmehrfrag- tischen Ersatz wurde aufgrund dieser Erfah- wendung kommen. Während 2- und 3-
mentfraktur mittels dieser Technik versorgt. rungen wesentlich restriktiver gestellt. Fragment-Frakturen meist osteosynthe-
Alle Patienten wurden frühfunktionell nach- tisch versorgt werden können, wird bei
behandelt.Davon konnten 14 Patienten mit Schlüsselwörter 4-Fragment-Frakturen, zumindest beim
einem Durchschnittsalter zum Unfallzeit- älteren Menschen, zunehmend die pri-
punkt von 56 Jahren, die einen für das Auf- Proximale Humerusfraktur · märe Prothesenversorgung diskutiert
treten einer Humeruskopfnekrose akzepta- Minimalinvasive Technik · [4, 8].
blen Nachbeobachtungszeitraum von min- Intramedulläre Drahtosteosynthese Innerhalb des Spektrums der mini-
destens 24 Monaten (Mittel 36,4 Monate) mal-invasiven Osteosynthesetechniken
aufwiesen, röntgenologisch sowie klinisch [2, 3, 6, 9, 16, 19, 24, 26] lässt sich sowohl
mittels des „Constant Score“ nachuntersucht durch perkutane Draht- oder Schrau-
werden.Es handelte sich um drei instabile benosteosynthesen als auch durch frak-
turfern eingebrachte intramedulläre
2-Fragment-Frakturen, vier 3-Fragment- und
sieben 4-Fragment-Frakturen (5 im Valgus-
sinn impaktiert).
D ie proximale Humerusfraktur ist mit
einem Gesamtanteil von ca. 5% aller
Drähte oder Nägel das Risiko iatrogener
Beeinträchtigung von Durchblutung
Der mittlere Constant Score bei der Frakturen relativ häufig. Indikationen und Weichteilen nochmals reduzieren.
Nachuntersuchung betrug 70 Punkte zur operativen Therapie stellen dislo- An der Orthopädischen Universi-
(31–86 Punkte).An Komplikationen sahen zierte und nicht geschlossen reponier- tätsklinik Würzburg werden seit 1995 dis-
wir eine avaskuläre Kopfnekrose nach bare bzw. retinierbare Frakturen dar. lozierte oder instabile proximale Hume-
4-Fragment-Fraktur (Constant Score Nicht oder nur gering dislozierte Frak-
31 Punkte).Bei einem Fall (von 29 Fällen) turen werden zunehmend dann opera- Priv.-Doz. Dr. F. Gohlke
musste wegen Irritation der Haut am Ober- tiv versorgt, wenn keine ausreichende Orthopädische Universitätsklinik Würzburg,
arm eine Kürzung der Drähte vorgenommen Stabilität für eine frühfunktionelle The- König-Ludwig-Haus, Brettreichstrasse 11,
werden, und je einmal wurden nach 2 Wo- rapie vorliegt. 97074 Würzburg

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Unfallchirurg
2002 · 105: 332–337 © Springer-Verlag 2002

A.Werner · D. Böhm · A. Ilg · F. Gohlke

Intramedullary wire fixation


of proximal humeral fractures –
modified Kapandji technique

Abstract

For operative treatment of proximal humeral


fractures minimal invasive techniques re-
duce the risk of iatrogenic damage of blood
supply and periarticular scarring.Reported Abb.1  Insertionsort und Positionierung der Drähte (Saw-bone-Modell)
preliminary results are encouraging.We
present our experience achieved with an
intramedullary wire fixation adapted from
a report of Kapandji in 1989.
Between 3/95 and 6/00 29 patients
were treated with this technique at our
institution.All received early functional
treatment.14 patients (average mean age 56
years at time of trauma) who had a mini-
mum follow up of 24 months (mean 36,4
months) and therefore allowed a preliminary
conclusion regarding avascular head necro-
sis (AVN) were reexamined by use of the
Constant Score and x-ray.We examined three
unstable 2-part, four 3-part and seven 4-part
fractures (5 of them valgus-impacted).
The mean Constant Score at follow up was Abb.2  Aufspreizung der abgeflachten Drahtenden (Saw-bone-Modell)
70 points (31–86 points).
We saw one total collapse of the hu-
meral head because of AVN.In one patient rusfrakturen durch eine intramedulläre burg, 29 Patienten mit dislozierten pro-
the distal end of the wires led to a skin irrita- Kirschner-Draht-Osteosynthese bei ge- ximalen Humerusfrakturen mittels in-
tion and had to be shortened.We observed schlossener Reposition versorgt. Die Me- tramedullärer K-Draht-Osteosynthese
no secondary fragment displacement or thode wurde vom Seniorautor (F.G.) an- vom Seniorautor versorgt. Das Zeitinter-
non-unions. lässlich eines SOFCOT-Stipendiums in vall zwischen Trauma und operativer
In our hands, this technique offers good Toulouse (Prof. Mansat) kennengelernt Versorgung betrug im Mittel 4,6 Tage
results, even in valgus-impacted 4-part und in Würzburg zur Versorgung von (1–14 Tage). Die Nachbehandlung erfolg-
fractures of the elderly and allows internal proximalen Humerusfrakturen einge- te im Gilchrist-Verband für 2 Wochen
fixation in little displaced but unstable frac- führt. Aufgrund der positiven Erfahrun- mit gleichzeitiger passiver KG, meist ab
tures with the benefit of early functional gen mit dieser Methode wurde die Indi- der 2. postoperativen Woche in Abhän-
treatment instead of longer immobilization. kation zum kopferhaltenden Vorgehen gigkeit von der Stabilität und dem Rönt-
Based on the experience with intramedul- auch bei komplexen Frakturen im höhe- genbefund zunehmend aktiv-assistiert.
lary wiring the previously performed tech- ren Lebensalter immer häufiger gestellt. Röntgenkontrollen erfolgten nach 3, 7
nique using threading wires was abandoned Ziel dieser Arbeit war die Erfassung und 14 Tagen sowie vor geplanter Mate-
and the indication for primary arthroplasty der kurz- bis mittelfristigen Ergebnisse rialentfernung. Diese wurde im Schnitt
considerably influenced. der ersten Serie von Patienten, die mit- nach 6 Wochen (42–52 Tage) durchge-
tels der auf Kapandji [11] zurückgehen- führt. Da die Drahtenden subkutan be-
Keywords den Technik versorgt wurden, sowie die lassen werden, ist eine Entfernung in Re-
Darstellung des gegenüber den Vorauto- gional- oder sogar Lokalanästhesie pro-
proximal humeral fractures · ren leicht modifizierten operativen Vor- blemlos möglich. Eine weitere Kontroll-
minimal invasive treatment · gehens. aufnahme erfolgte 12 Wochen nach der
intramedullary fixation Erstversorgung.
Material und Methoden Um eine Aussage über das Auftre-
ten einer Humeruskopfnekrose machen
Patientengut zu können, wurden alle Patienten mit ei-
nem Beobachtungszeitraum von mehr
Von März 1995 bis Juni 2000 wurden am als 24 Monaten nachuntersucht. Von 17
König-Ludwig-Haus Würzburg, Ortho- Patienten, die vor Juni 1998 operiert
pädische Klinik der Universität Würz- worden waren, konnten 14 Patienten

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(9 Frauen, 5 Männer) mit einer mittle- Zur Anwendung bei der klinischen Dabei sollte die Richtung dann ca. 45°
ren Nachbeobachtungszeit von 36,4 Mo- Auswertung kam der „Constant Score“ zur Schaftachse nach kranial hin geneigt
naten (24–55 Monate) klinisch und ra- [7], zusätzlich wurden Röntgenaufnah- sein. Mit dem Luer und einer 6,5-mm-
diologisch nachuntersucht werden. Zwei men a.-p. und im axialen Strahlengang Kugelfräse wird diese Eröffnung leicht
Patientinnen waren zwischenzeitlich durchgeführt, ggf. auch eine sog.„Y-Auf- vergrößert. Diese Art der Eröffnung der
verstorben, eine Patientin wohnt im nahme“. Kortikalis erleichtert unserer Erfahrung
Ausland und konnte nicht zur Nachun- nach die Einführung von mehr als
tersuchung einbestellt werden. Operative Technik (mod. nach [3]) 3 Drähten und führt zur besseren Ver-
Die Patienten waren zum Zeitpunkt klemmung derselben (Abb. 1, 2).
des Traumas im Durchschnitt 56 Jahre Unmittelbar distal und ventral der Tu- Nach erfolgter Reposition unter BV-
alt (24–81 Jahre). Es handelte sich um berositas deltoidei wird ein ca. 4 cm lan- Kontrolle werden nun 3–5 Standard-K-
drei 2-Fragment- (mit subkapitaler ger vertikal verlaufender Hautschnitt ge- Drähte (Stärke 1,8–2,2 mm der Fa. Aes-
Trümmerzone), vier 3-Fragment- und setzt und die an dieser Stelle dünne culap) je nach Knochenqualität (wobei
sieben 4-Fragment-Frakturen, entspre- Muskelschicht längs gespalten und mit die stärkeren Drähte eher bei jüngeren
chend der Neer-Klassifikation [17]. Die dem Periost abgeschoben. Zunächst Patienten mit guter Knochenqualität
Indikation zur operativen Versorgung wird die ventrale Diaphyse mit einem verwendet werden sollten) mit einem T-
der Frakturen wurde aufgrund einer 2,7-mm-Bohrer kleeblattförmig in 90°- Handgriff zunächst bis an die unterste
Fragmentinstabilität und/oder signifi- Richtung eröffnet und mit Bohrern auf- Frakturlinie, dann ebenfalls unter BV-
kanten Dislokation gestellt. steigender Größe (bis 4,5 mm) erweitert. Kontrolle vorsichtig bis in die subchon-

Abb.3a–g  Intramedulläre Drahtosteosynthese einer dislozierten 4-Fragment-Fraktur bei einer 72-jährigen Frau. a Präoperativer Befund.
b Intraoperative Kontrolle unter BV – die Drähte sind im Markraum bis zur Frakturzone vorgeschoben.
c Ein Draht wird unter rotierenden Bewegungen in die subchondrale Zone des hinteren oberen Kopfquadranten vorgeschoben, die Kalotte damit
bereits teilweise aufgerichtet.
d Mit den restlichen 3 Drähten werden die kaudalen Anteile angehoben, die Tubercula legen sich durch den Effekt der Ligamentotaxis wieder an.
e Postoperative Kontrolle in der axialen Projektion: Diese zeigt die Aufrichtung der Kopfkalotte in der anderen Ebene und die günstige Position des
frakturierten Tuberculum minus (Pfeil).
f, g Ausheilungsergebnis 3 Monate nach Entfernung der Drähte unter funktioneller Nachbehandlung (Röntgenbefund in 2 Ebenen)

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Abb.4a–d  Versorgung einer valgusimpaktierten 4-Fragment-Fraktur bei einem 62-jährigen Mann. a Vorschieben der vorgebogenen
Drähte bis zur Frakturzone. b Anheben der Kopfkalotte mit dem ersten Draht, dessen Lage unter Rotation des Armes in 2 Ebenen über-
prüft wird. c Nachschieben der restlichen Drähte.d Kontrolle in der axialen Ebene und gegebenfalls Umsetzen bzw. Zurückziehen einzel-
ner Drähte. Eine leichte Überkorrektur ist bei guter Knochenqualität günstig, da innerhalb der ersten 6 Wochen ein leichtes Einsinken
der Kalotte in Varusposition häufiger beobachtet wird. Bei starker Osteoporose ist dies jedoch unbedingt zu vermeiden, um einer
Perforation der Drahtenden durch die subchondrale Schicht in der Nachbehandlungsphase vorzubeugen

drale Zone des Humeruskopfes vorge- score von 87,3% und somit einem sehr Röntgenanalyse
schoben (Abb. 3, 4). guten Ergebnis. Eine Patientin mit einer
Die an einem Ende abgeflachten avaskulären Nekrose erreichte lediglich Wir fanden eine Kopfnekrose bei einer
Drähte werden primär am stumpfen 31 Punkte. 81-jährigen Patientin nach einer 4-Frag-
Ende ca. 20–30° abgewinkelt und bis zur ment-Fraktur, diese Patientin erreichte
Hälfte um ca. 45° vorgebogen, um eine Schmerz und Aktivitäten im Alltag lediglich einen Constant Score von 31
gute Aufspreizung im Kopffragment mit Punkten. Die radiologische Auswertung
entsprechender Rotationsstabilität zu Allgemein gaben die Patienten keine bis der übrigen Patienten zeigte keine Hin-
ermöglichen. Idealerweise sollten min- lediglich geringe Schmerzen an. weise für signifikante avaskuläre Nekro-
destens 3, besser 4 Drähte das Kopffrag- 13 von 14 Patienten konnten Arbei- sen oder Pseudarthrosen.
ment fixieren. Die ursprünglich von ten bis mindestens in Scheitelhöhe Im Vergleich zur unmittelbaren
Bellumore et al. [1] vorgeschlagene Plat- durchführen. Lediglich 1 Patientin konn- postoperativen Röntgenaufnahme war
zierung in den frakturierten Tubercula te den Arm maximal bis Nackenhöhe ge- im Zeitraum von 6–8 Wochen postope-
wurde aufgegeben, da sich hiermit unter brauchen. rativ bei 3 Fällen mit starker Valgusim-
dem Bildwandler eher eine Dislokation Der mittlere Constant Score für den paktion und deutlicher Osteoporose ein
der Tubercula bzw. eine Perforation der Bereich Schmerz und ADL betrug 28 leichtes Einsinken der Humeruskalotte
dünnen Kortikalis beobachten ließ. Die von 35 Punkten (17–35 Punkte). im Varussinne zu beobachten. Die retro-
Abflachung der Drähte und die Vor- spektive Analyse der Röntgenbilder lässt
spannung ermöglichen es in der Regel, Bewegungsumfang dafür folgende Ursachen annehmen:
nach Platzierung des Drahtes in einem schlechte Knochenqualität der alten Pa-
Fragment, dieses zu rotieren bzw. zu re- Die Beweglichkeit für die Elevation be- tienten, unzureichende Verteilung der
ponieren. trug im Mittel 156° (90–180°) bzw. für die Drähte unter der gesamten Kalotte und
In unserem Krankengut wurde die Außenrotation 47° (0–90°). Im Constant damit unvollständige Anhebung der
Valgusimpaktion der Kopfkalotte durch Score wurden im Mittel 33 von 40 Punk- kaudalen Anteile der Kalotte. Bei einem
das Vorschieben der Drähte von distal ten (12–40 Punkte) erreicht. Fall ist der Korrekturverlust einem
reponiert. Eine zusätzliche Spongiosa- Nachrutschen der Drähte und bei den
unterfütterung erfolgte nicht. Kraft beiden anderen mangelnder Erfahrung
mit dieser Methode in der Lernkurve
Ergebnisse Außer bei einer Patientin mit begleiten- der ersten Jahre zuzurechnen.
dem großem Rotatorenmanschettende- Ein Korrekturverlust als Folge des
Gesamtfunktion fekt wurden keine signifikanten Diffe- Substanzverlustes (durch Stauchung der
renzen zwischen verletzter und unver- osteoporotischen Spongiosa bei val-
Nach einer mittleren Nachbeobach- letzter Seite bei der Kraftmessung nach- gusimpaktierten Frakturen alter Patien-
tungsdauer von 36,4 Monaten (24– gewiesen. Erwartungsgemäß wurden ten) wurde aufgrund vergleichbarer Er-
55 Monate) erzielten unsere Patienten ei- hier im Constant Score durchschnittlich fahrungen, z. B. mit Radiusfrakturen, im
nen mittleren Constant Score von 70 nur 8,1 von 25 Punkten (2–15) erreicht, Verlauf der ersten 3 Monate postoperativ
Punkten (31–86 Punkte).Alterskorreliert was bei dem älteren, weiblich dominier- erwartet, war jedoch nicht in dem er-
entsprach dies einem Durchschnitts- ten Patientengut nicht verwunderte. warteten Maße zu beobachten.

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Komplikationen se, die Nekroserate betrug 26%. Ähnli- Die hier beschriebene Technik weist
che Ergebnisse teilten Bellumore et al. mechanisch die Vorteile des günstigen
Bei einer Patientin kam es innerhalb der mit [1]. Speck u. Regazzoni [23] fanden Hebelarmes auf, ohne die möglichen
ersten postoperativen Woche zu einer nach Versorgung dislozierter 4-Frag- Komplikationen des distalen Zugangs
Drahtwanderung nach distal, 2 Drähte ment-Frakturen mittels Zuggurtung mit zum Humerusmarkraum über die Ell-
mussten gekürzt werden. Je einmal wur- resorbierbaren PDS-Kordeln, wobei ei- bogenregion. Die proximale Vorspan-
den Drähte wegen Perforation der Ka- ne Valgusimpaktion belassen wurde, in nung und Abflachung der Drähte, eine
lotte vorzeitig entfernt oder umgesetzt. 72% der Fälle gute und sehr gute Ergeb- geringe Rigidität sowie die kürzere in-
Infektionen oder weitere peri- bzw. post- nisse bei 16,7% vollständigen Nekrosen. tramedulläre Strecke im Vergleich zu
operative Komplikationen traten nicht Münst u. Kuner [16] sahen analog zur Techniken, die den Zugang am Ellbogen
auf. AO-Studie [15] deutlich bessere Ergeb- wählen, bieten diverse Vorteile : a) eine
nisse nach minimal-invasiver Versor- sichere Fixation in dem Kopffragment,
Diskussion gung von 3- und 4-Fragment-Frakturen Perforationen sind gegenüber der Ver-
als nach Plattenosteosynthese. wendung von Prevot-Nägeln [24] wegen
Unsere Studie stellt erste Ergebnisse ei- Die meisten Autoren bevorzugen der größeren Flexibilität seltener zu be-
ner in der Literatur noch wenig disku- nach minimal-invasiver Osteosynthese, obachten; b) durch Rotation des Hand-
tierten Technik dar. Trotz der niedrigen insbesondere nach der K-Draht-Osteo- griffs ist eine bessere Platzierung in den
Fallzahl halten wir eine erste Bestand- synthese, zunächst eine mehrwöchige Fragmenten möglich. Achsen- und Ro-
aufnahme für gerechtfertigt. Die Ergeb- Ruhigstellung [9, 19, 22, 24, 26]. Andere tationsstellung der Fragmente können
nisse in unserem Patientengut decken betonen die Notwendigkeit der frühen wiederhergestellt werden.
sich mit den in der Literatur beschriebe- funktionellen Nachbehandlung [12, 13]. Die Tatsache, dass sekundäre Kor-
nen für dieses und ähnliche minimal- Kristiansen et al. [13] sahen im kontrol- rekturverluste auch bei frühfunktionel-
invasive Verfahren. lierten Vergleich zwischen 1- und 3-wö- ler Nachbehandlung nicht auftraten,
Neben der Komplexität der Fraktur chiger Ruhigstellung nach proximaler spricht für die Möglichkeit der stabilen
ist nach verschiedenen Studien die Inva- Humerusfraktur signifikant schlechtere Fragmentfixation, die eine frühe funk-
sivität der Operationstechnik für das Er- Ergebnisse nach der längeren Ruhigstel- tionelle Nachbehandlung erlaubt. Bei
gebnis, insbesondere für die Rate avas- lung. stark valgusimpaktierten Frakturen
kulärer Nekrosen, verantwortlich [14, 16, Intramedulläre Stabilisationen ha- kann durch die von distal eingebrach-
18]. Weitere Voraussetzung für ein gutes ben sich in der Behandlung von Hume- ten Drähte die Humeruskalotte in ihre
Resultat ist eine möglichst frühzeitige russchaftfrakturen bewährt [15, 21, 24]. anatomische Position angehoben wer-
funktionelle Nachbehandlung [12, 13]. Dabei wird der retrograde Zugang von den, eine Spongiosaunterfütterung ist
Beide Bedingungen werden durch die der Fossa olecrani [15] oder vom radia- dabei nicht essenziell [10, 19]. Diese An-
beschriebene Technik erfüllt. len Epikondylus [24] gewählt. Gegen- hebung unterstützt über die von Resch
Die minimal-invasive Versorgung über der perkutanen Spickdrahtversor- [19, 20] als Wirkprinzip erkannte Liga-
von 2-Fragment-Frakturen im chirurgi- gung besteht biomechanisch der Vorteil mentotaxis die anatomische Reposition
schen Hals oder des Tuberculum majus, eines kürzeren Hebelarms. Der längere der Tubercula: es kommt bei erhaltenen
die nach geschlossener Reposition nicht Hebelarm bei der perkutanen Spickung tendinösen und/oder ligamentären Ver-
retinierbar sind, führt unabhängig von führt zu Drahtlockerungen an der Ein- bindungen durch die Weichteilspan-
der verwendeten Technik (intramedul- trittsstelle mit dem Risiko der Disloka- nung zum Anlegen an die angehobene
läre Drahtung, Spickung oder Zuggur- tion und/oder Infektion [26]. Kalotte.
tung) zu guten und sehr guten Ergebnis- Jedoch treten auch bei der in- Der frakturferne Zugang reduziert
sen [2, 3, 6, 9, 16, 19, 26]. Durch den Ein- tramedullären Stabilisierung einige tech- das Risiko einer iatrogenen Schädigung
satz der minimal-invasiven Techniken nik- und implantatabhängige Komplika- der Blutversorgung des Humeruskop-
sind nach neueren Berichten auch bei 3- tionen auf: iatrogene Frakturen im Be- fes. Es kommt zu keiner Irritation, Ver-
und 4-Fragment-Frakturen bessere Er- reich der Einschlagstelle bei ca. 5%, Be- letzung oder Verklebung der periarti-
gebnisse zu erwarten. Jaberg et al. [9] be- wegungseinschränkungen im Ellbogen kulären Weichteile oder des Deltamus-
richteten, bei allerdings kleiner Fallzahl, bei ca. 9% der Fälle [15]. Ferner bestehen kels, womit gute Voraussetzungen für
über ausschließlich zufriedenstellende bei Verwendung eines einzelnen Nagels eine frühfunktionelle Behandlung ge-
bis sehr gute Ergebnisse bei perkutaner für proximale Humerusfrakturen be- geben sind, aber auch für eine evtl. not-
Spickung geschlossen reponierter 3- und grenzte Möglichkeiten zur Reposition der wendige sekundäre Prothesenversor-
4-Fragment-Frakturen. Soete et al. [22] Humeruskopfkalotte [15]. Eine Rate an gung. Entsprechend sahen wir lediglich
sahen bei ähnlicher Technik gute Ergeb- proximalen Nagelperforationen bei sub- eine avaskuläre Humeruskopfnekrose.
nisse bei 3-Fragment-Frakturen, nicht kapitalen Frakturen von 16,2% ist nicht Dies lässt auch eine Ausweitung der In-
jedoch bei 4 Fragmenten. Resch et al. [19, tolerabel [15].Abhängig vom Patientenal- dikationsstellung auf nicht oder gering
20] sahen bei perkutan stabilisierten 3- ter und somit vom Grad der Osteoporose dislozierte Frakturen zu, die aufgrund
Fragment-Frakturen gute und sehr gute treten bei Verwendung von Prevot-Nä- einer Fragmentinstabilität, z. B. bei sub-
Ergebnisse, ebenso bei valgusimpaktier- geln bei der Humeruskopffraktur Perfo- kapitaler Trümmerzone oder begleiten-
ten 4-Fragment-Frakturen. Jakob et al. rationen des Kopffragmentes in bis zu der Tuberculum-majus-Fragmente,
[10] berichteten bei diesem Frakturtyp 73% bei Patienten mit einem Lebensalter nicht frühfunktionell zu behandeln
über 74% zufriedenstellende Ergebnis- von mehr als 61 Jahre auf [24]. sind.

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Zusammenfassend handelt es sich
nach unserer Meinung um eine äußerst
Literatur 14. Kuner E, Siebler G (1987) Luxationsfrakturen
des proximalen Humerus – Ergebnisse nach
kostengünstige, schonende Operations- operativer Behandlung.Eine AO-Studie über
1. Bellumore Y, Glasson JM, Determe P, 167 Fälle.Unfallchirurgie 13: 64–71
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valgusimpaktierten 3- und 4-Fragment- of 4 part impacted valgus fractures of proximal (1998) Retrograde Marknagelung von Hume-
Frakturen eine sichere Frakturheilung humerus.J Shoulder Elbow Surg rusfrakturen mit neuen Implantaten.
bei gleichzeitig frühfunktioneller Be- 7:194 (Abstract) Unfallchirug 101: 543–550
handlung ermöglicht. In unserer Klinik 2. Bigliani LU, Flatow EL, Pollock RG (1996) 16. Münst P, Kuner EH (1992) Osteosynthesen
Fractures of the proximal humerus.
hat diese Form der Stabilisierung die In: Rockwood C, Green DP, Bucholz RW,
bei dislozierten Humeruskopf-Frakturen.
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drahtosteosynthese seit 1997 weitge- fractures in adults, 4th edn.Lippincott-Raven, fractures part I: classification and evaluation.
hend abgelöst. Eine Kombination mit Philadelphia J Bone Joint Surg (Am) 52 A: 1077–1089
perkutan eingebrachten kanülierten 3. Bonnevialle P, Bellumore Y, Mansat M (1996) 18. Povacz P, Resch H, Mörsdorf M et al.(1998)
Schrauben zur Fixierung einzelner Ascending cluster pinning of the humerus A collective study of 221 three- and four-part
Fragmente oder Tubercula ist möglich inserted through the deltoid tuberosity. fractures of the proximal humerus.Which
Operat Orthop Traumatol 8: 243–251
und verbessert eventuell die Primärsta- factors influence the prognosis?.
4. Bosch U, Fremerey W, Skutek M, Lobenhoffer P, J Shoulder Elbow Surg 7: 192 (Abstract)
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Die Indikation für eine primäre en- 19. Resch H, Beck E, Bayley I (1995) Reconstruction
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Mehrfragmentfrakturen bei älteren beim älteren Menschen? Unfallchirurg 20. Resch H, Povacz P, Fröhlich R,Wambacher M
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Open reduction and internal fixation of mit intramedullären Verfahren.Unfallchirurg
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