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Einseitiger Ruhetremor
Handelt es sich um einen einseitigen Ruhetremor, so
muss an eine Parkinson-Erkrankung gedacht werden
a und nach den weiteren Symptomen wie Rigor und
Bewegungsverlangsamung gesucht werden. Die Be-
wegungsverlangsamung macht sich anfangs beson-
ders durch ein vermindertes Mitschwingen des be-
troffenen Armes beim Gehen bemerkbar. Auch die
Körperhaltung und die Mimik können schon recht
früh betroffen sein. Oft fallen diese Symptome den
Angehörigen eher auf als dem Patienten.
Essenzieller Tremor
Im Gegensatz zum Ruhetremor handelt es sich bei
dem essenziellen Tremor um einen beidseitigen,
b meist symmetrischen Haltetremor. Im Armvorhalte-
versuch können die Fingerspitzen einen Tremor mit
einer Amplitude von mehreren Zentimetern aufwei-
sen. Die Patienten berichten, dass das Essen mit
Messer und Gabel und das Trinken aus einem Becher
oder Glas erschwert beziehungsweise nicht mehr
möglich sind. Bei Aufregung (Familienfeier, Anspra-
che) verstärken sich die Symptome.
Intentionstremor
Die dritte durch die Untersuchung unterscheidbare
Form ist der Intentionstremor. Hier zittert der Finger
mit zunehmender Amplitude bei Annäherung an das
c Ziel. Der Finger-Nase-Versuch zeigt, dass der Finger
Abbildung 1: a) Der Ruhetremor tritt auf, wenn der Arm abgelegt (in nur bei direkter Nähe zur Nase zittert. Ebenso zittert
Ruhe) ist. Dieser Tremor ist typisch für die Parkinson-Erkrankung, die Hand, wenn sie sich dem Ziel, zum Beispiel ei-
wobei er anfangs meist einseitig auftritt. Er kann einzelne Finger be- nem Becher, nähert. Der Intentionstremor basiert auf
treffen, die Hand, den Fuß oder auch das Kinn. b) Der Armvorhalte- einer Schädigung des Kleinhirns. Daher zeigen diese
versuch löst verlässlich den Haltetremor aus. Bei sehr geringer Am- Patienten meistens auch andere Zeichen einer Klein-
plitude kann es sich um einen Medikamenten-induzierten Tremor hirnschädigung, zum Beispiel Dysarthrophonie und
(zum Beispiel Lithium) oder einen verstärkten physiologischen Tre- ein schwankendes, breitbeiniges Gangbild.
mor im Rahmen einer Hyperthyreose oder einer Entzugssymptoma-
tik (Alkohol) handeln. Bei Amplituden über 1 cm handelt es sich
meistens um einen essenziellen Tremor. Dieser tritt immer beidseitig Apparative Untersuchungen
auf. c) Der Finger-Nase-Versuch zeigt den Intentionstremor, der bei Bei einem neu aufgetretenen Tremor-Syndrom ist eine
Annäherung des Fingers an das Ziel auftritt. Ursache ist eine Klein- Magnetresonanztomographie des Gehirns zu empfeh-
hirnschädigung, die ein- oder beidseitig auftreten kann. len. Im Falle einer Parkinson-Symptomatik wird man
auf Marklagerveränderungen achten, die einige Symp- Der zerebelläre Tremor zeigt in der Regel Frequen-
tome der Parkinson-Erkrankung (zum Beispiel Gang- zen um 4 Hz, der Parkinson-Tremor liegt im Bereich
störung) imitieren können. Bei einem Intentionstremor von 5 Hz und der essenzielle Tremor liegt im Bereich
muss man an eine Kleinhirnschädigung denken und von 4–8 Hz (1). Ob ein Tremor regelmäßig ist, lässt
zum Beispiel nach Hinweisen auf eine Multiple Sklero- sich mit der Tremoranalyse (insbesondere bei Auf-
se suchen. Wenn eine Unterscheidung zwischen einer zeichnung des EMG) besser feststellen als bei der kli-
Parkinson-Erkrankung und einem essenziellen Tremor nischen Untersuchung. Obwohl das Kriterium der
nicht allein aufgrund klinischer Kriterien möglich ist, „Regelmäßigkeit” nicht wissenschaftlich validiert ist,
stehen nuklearmedizinische Methoden zur Verfügung liefert es doch eine gewisse Unterscheidungsmög-
(vornehmlich Dopamin-Transporter-SPECT), die eine lichkeit zwischen einem klassischen Tremor-Syn-
Trennung dieser beiden Entitäten mit hoher Spezifität drom (in der Regel regelmäßiger Tremor) und einem
und Sensitivität (97 % und 100 %) (e3) ermöglichen. Myoklonus-Syndrom oder einem psychogenen Tre-
Die Aufzeichnung des Tremors kann nichtinvasiv mor, die dieses Kriterium häufig nicht erfüllen.
mittels kleiner Beschleunigungsmesser oder Oberflä-
chenelektroden, die die Muskelaktivität aufzeichnen, Differenzialdiagnose und Therapie
geschehen (Abbildung 2). Diese Untersuchung zeigt Morbus Parkinson
unter anderem die Tremorfrequenz, die für unter- Die Diagnose einer Parkinson-Erkrankung basiert
schiedliche Tremor-Syndrome diagnostisch wichtig auf der klinischen Beobachtung der Kardinalsympto-
ist, wobei sich jedoch Überlappungen ergeben (1). me Tremor, Rigor und Bradykinese und dem Aus-
TABELLE 1
schluss von Zusatzsymptomen, die auf ein atypi- ge Generatoren angenommen (e5). Die medikamen-
sches Parkinson-Syndrom hinweisen würden (2). So töse Substitution des fehlenden Neurotransmitters
werden zum Beispiel eine Demenz oder häufige Dopamin erlaubt eine sehr gute Symptomkontrolle,
Stürze niemals im Frühstadium der klassischen Par- auch wenn zusätzlich ein Haltetremor vorliegt (3). In
kinson-Erkrankung gesehen. Während der Ruhetre- der klinischen Erfahrung kann sich bei Beginn der
mor für die Parkinson-Erkrankung charakteristisch Behandlung der Tremor verstärken, da der Rigor
ist, wird ein moderater Haltetremor bei bis zu der nachlässt und der Tremor erst bei höheren Dosen
Hälfte der Patienten ebenfalls gesehen (e4). Als Ra- rückläufig ist.
rität kann bei anderweitig typischen Parkinson- Neben den klassischen Substanzen Levodopa und
Symptomen ein isolierter Haltetremor vorkommen. verschiedenen Dopamin-Agonisten können bei sehr
Der Parkinson-Tremor fluktuiert in seiner Intensität hartnäckigem Tremor die früher mehr verbreiteten
und verstärkt sich bei mentaler Anspannung. Bei Anticholinergika (Bornaprin, Biperiden) eingesetzt
beidseitiger Ausprägung, die in der Regel erst nach werden, wenn die Kontraindikationen Demenz,
mehrjährigem Verlauf eintritt, schlagen die Extremi- Herzrhythmusstörungen und Prostatahypertrophie
täten nicht synchron, das heißt es werden unabhängi- beachtet werden. Die Wirksamkeit dieser Medika-
Essenzieller Tremor
Es handelt sich um einen beidseitigen Haltetremor,
der meistens die Hände betrifft. Die Amplitude des Abbildung 3: Anatomisches Präparat, auf dem im linken Thalamus eine Läsion im Nucleus
Tremors im Armvorhalteversuch variiert zwischen ventralis intermedius-(VIM-)Kern zu erkennen ist, die auf einer Thermokoagulation beruht.
wenigen Millimetern und 10–15 cm. Auch der Kopf
kann isoliert oder zusätzlich zu den Händen betrof-
fen sein. Oft besteht auch ein Stimmtremor (1). Be-
sonders das Schreiben und andere feinmotorische
Aufgaben, aber auch grobmotorische Haltetätigkei- zu einer deutlichen funktionellen Beeinträchtigung.
ten (Tasse, Glas) sind beeinträchtigt, woraus eine Jedoch sollte dies bei der Berufswahl berücksichtigt
ausgeprägte Behinderung resultiert. Im fortgeschrit- werden, da feinmotorische Tätigkeiten (zum Beispiel
tenen Stadium kann der Patient darauf angewiesen Zahnarzt) von diesen Patienten nicht ausgeführt wer-
sein, gefüttert zu werden. Der Tremor ist das alleini- den können. Bei den Älteren scheint der Verlauf
ge bestimmende Symptom dieser Erkrankung. Wäh- etwas rapider zu sein (e8). Der essenzielle Tremor
rend nach der klassischen Definition ein isolierter bessert sich häufig durch Alkoholgenuss, was als
Haltetremor vorliegt, zeigten jüngere Studien, dass diagnostisches Kriterium herangezogen werden kann
eine leichte Kleinhirnataxie mit Unsicherheit beim (e10). In seltenen Einzelfällen führt dieses Phäno-
Seiltänzergang (e7) und Intentionstremor (e8) beim men zum chronischen Alkoholmissbrauch (Selbst-
Finger-Nase-Versuch bei diesen Patienten vorkom- therapie).
men können. Zwillingsstudien konnten den starken Einfluss ge-
Differenzialdiagnostisch muss der verstärkte phy- netischer Faktoren bei der Entstehung des essenziel-
siologische Tremor abgegrenzt werden, der unter an- len Tremors belegen: bei über 90 % der eineiigen
derem als Nebenwirkung verschiedener Medikamen- Zwillinge besteht hinsichtlich dieser Erkrankung
te oder bei Stoffwechselstörungen gesehen wird. Das Konkordanz. Auch wurden zahlreiche große Famili-
Auftreten des essenziellen Tremors scheint zwei en beschrieben, in denen die Erkrankung offensicht-
Gipfel zu zeigen: Der juvenile essenzielle Tremor lich autosomal-dominant vererbt wird. Erstaunli-
tritt im 2. Lebensjahrzehnt (zwischen dem 11. und cherweise konnte dennoch bislang kein ursächliches
20. Lebensjahr) und der senile essenzielle Tremor im Gen identifiziert werden. Vor kurzem wurden jedoch
6. Lebensjahrzehnt (zwischen dem 51. und 60. Le- immerhin genetische Varianten im Gen für LINGO1
bensjahr) auf (e9). Ob es sich um dieselbe Erkran- als Risikofaktor für den essenziellen Tremor identifi-
kung handelt, ist unklar. Der Verlauf ist schleichend. ziert und in mehreren Replikationsstudien bestätigt
Eine Zunahme des Tremors ist bei den juvenilen For- (6–8). LINGO1 spielt eine Rolle bei der axonalen
men innerhalb von Jahrzehnten zu bemerken und Regeneration und der Oligodendrozytenreifung im
führt in der Regel erst jenseits des 50. Lebensjahrs Zentralnervensystem (6)
TABELLE 2
STN, Nucleus subthalamicus; VIM, Nucleus ventralis intermedius des Thalamus; GPI, Globus pallidus internus
nen sichtbaren verstärkten physiologischen Tremor tude um 79 % reduziert (e13). Dieser Effekt war
hervorrufen. Er äußert sich als beidseitiger eher fein- auch 19 Monate nach Beginn der Therapie nachweis-
schlägiger Haltetremor mit recht hoher Frequenz bar. Als Alternative wird Clonazepam (0,5–6,0 mg
(circa 7 Hz). Wahrscheinlich liegt dem medikamen- pro Tag) empfohlen (e14), wobei systematische Un-
teninduzierten Tremor ein ähnlicher Mechanismus tersuchungen hierüber nicht vorhanden sind.
zugrunde. Antiepileptika, Lithium, Valproinsäure Dystoner Tremor – Oft besteht ein Tremor der
und Ciclosporin A sind die Medikamente, die am Extremitäten oder des Kopfes im Rahmen einer Dys-
häufigsten einen medikamenteninduzierten Tremor, tonie. Frequenz und Amplitude sind dabei oft unre-
der meist sehr feinschlägig ist, auslösen können (1). gelmäßig, so dass ein Tremor im engeren Sinne gar
Orthostatischer Tremor – Das Leitsymptom des nicht vorliegt. Regelmäßig weisen bei Patienten mit
orthostatischen Tremors ist eine Unsicherheit beim dystonem Kopftremor eine Fehlhaltung des Kopfes
Stehen. Die Patienten fühlen sich unwohl, wenn sie (im Sinne eines Torticollis) oder auch andere dysto-
stehen, wobei der Tremor der Beinmuskulatur, der ne Symptome, zum Beispiel ein Schreibkrampf, auf
hierbei mit der Elektromyographie gemessen werden die Diagnose hin. Der dystone Tremor kann aber
kann, den Patienten gar nicht auffällt. In der Elektro- auch einseitig im Bereich der Hände einen Ruhetre-
myographie zeigt sich dann rhythmische Aktivität mor imitieren, so dass in letzter Zeit intensiv über ei-
der Beinmuskulatur mit 13–18 Hz, womit dieser Tre- ne Verwechslung mit der Parkinson-Erkrankung dis-
mor die höchste Frequenz der bekannten Tremor- kutiert wurde (e15, e16).
Syndrome aufweist (1). Wegen der Seltenheit dieses Holmes-Tremor – Nach Verletzungen im Bereich
Phänomens ist die Studienlage überschaubar. Nur ei- des Mittelhirns kann ein Holmes-Tremor auftreten.
ne randomisiert-kontrollierte Studie liegt vor, die na- Es handelt sich sowohl um einen Ruhe- als auch Hal-
helegt, dass Gabapentin die subjektiven Symptome tetremor mit sehr niedriger Frequenz, der in der Re-
um 50–75 % reduzieren kann und die Tremorampli- gel erst einige Monate nach dem akuten Ereignis
sichtbar wird. Durch die teilweise große Amplitude In den 1960er Jahren wurden Tausende von Thala-
verursacht er eine weitgehende Gebrauchsunfähig- motomien mit kleinen anatomischen Variationen
keit der betroffenen Gliedmaßen. Da dieser Tremor vorgenommen (Abbildung 3). Interessanterweise las-
sehr selten auftritt, basiert die Empfehlung einer sen sich nahezu alle Tremorformen, egal welcher Ur-
Therapie mit hochdosiertem Levodopa (bis 750 mg sache und basierend auf unterschiedlichen Hirnschä-
täglich) auf Einzelfallberichten (e17). digungen (Tabelle 2) durch eine Läsion in dieser Re-
gion positiv beeinflussen. Dieselbe Region wird
Die chirurgische Therapie des Tremors auch für die Implantation von Elektroden, die eine
Voraussetzung für die chirurgische Behandlung des kontinuierliche elektrische Stimulation (Hochfre-
Tremors ist, dass neben der fehlenden medikamentö- quenzstimulation) abgeben, ausgewählt, was heutzu-
sen Beeinflussbarkeit eine subjektive Behinderung tage deutlich häufiger als die läsionellen Verfahren
des Patienten durch den Tremor besteht und chirurgi- eingesetzt wird. Der Ruhetremor bei M. Parkinson
sche Kontraindikationen (unter anderem Gerinnungs- wird in 70–80 % der Patienten durch eine Thalamo-
störungen, Demenz mit Gefahr eines postoperativen tomie komplett unterdrückt (22). Ähnliche Resultate
Delirs) ausgeschlossen werden können (Tabelle 1). liegen für den essenziellen Tremor vor (23, 24). Der
Neurochirurgische Eingriffe können entweder am zerebelläre Tremor bei Multipler Sklerose zeigt lei-
Zielort eine kleine Läsion (meistens durch Thermo- der nur initial gute Effekte für etwa 2–3 Jahre. Da-
koagulation) erzeugen (Abbildung 3) oder aber durch nach profitiert nur noch ein Drittel der Patienten.
kontinuierliche elektrische Stimulation die umliegen- Dies liegt zum einen an der Progression der Erkran-
den Nervenzellen beeinflussen (Hirnstimulation, kung und der häufig mit dem Tremor vergesellschaf-
Neuromodulation). Die „tiefe Hirnstimulation“ ba- teten Extremitätendysmetrie. Auch die fokale Gam-
siert auf der Implantation von Stimulationselektroden ma-Bestrahlung (Gammaknife) des Nucleus ventra-
in Knotenpunkte des Tremornetzwerks des Gehirns. lis intermedius (VIM-Kerns) des Thalamus kann zur
Die Elektroden verbleiben dort dauerhaft und sind Therapie des Parkinson-Tremors eingesetzt werden
mit einem subkutan implantierten Impulsgenerator (25–27).
(in der Regel infraklavikulär) verbunden. Diese Sys-
teme sind technisch ausgereift und liefern über viele Thalamusstimulation (VIM-Stimulation)
Jahre eine in den meisten Fällen vollständige Tremor- Die Hochfrequenzstimulation (100–180 Hz) (Tiefe
suppression. Es stehen auch aufladbare Implantate Hirnstimulation) des Nucleus ventralis intermedius
zur Verfügung, deren Lebensdauer circa neun Jahre (VIM) des Thalamus hat sich für den essenziellen
beträgt. Die Komplikationsrate bei diesen Eingriffen Tremor (28–30) und für ausgewählte Fälle von Par-
liegt bei 1–2 % (20). An operativen Nebenwirkungen kinson-Tremor als etablierte Therapie durchgesetzt
sind vor allem Blutungen zu nennen. Bezogen auf das (Evidenzklasse I).
gesamte Kollektiv von über 1000 Patienten waren in Die Operation selbst verläuft ähnlich wie die Tha-
der großen Studie von Voges et al. (20) bei 1,6 % der lamotomie. Nach stereotaktischer Zielpunktbestim-
Patienten asymptomatische und bei 1,3 % symptoma- mung wird die Verifikation des Zielpunkts mit Mi-
tische Hirnblutungen beobachtet worden. Bei den kroableitungen (optional) und Teststimulation am
letzteren bildeten sich die Symptome in der Mehrzahl wachen Patienten durchgeführt, bevor die endgültige
der Fälle in den ersten 30 Tagen vollständig zurück. vierpolige Elektrode implantiert wird (Abbildung 4).
Auch Infektionen kommen vor. Hinsichtlich der zere- Während die Wirksamkeit der VIM-Stimulation auf
bralen Zielstruktur der Tremorbehandlung müssen den kontralateralen Extremitätentremor vorrangig
die unterschiedlichen Tremorformen berücksichtigt ist, werden leichtere Effekte auch an den ipsilatera-
werden (Tabelle 2). len Extremitäten beobachtet. Beim essenziellen Tre-
mor ist zu beachten, dass der Extremitätentremor gut
Thalamotomie beeinflusst wird, der Kopf- und Stimmtremor jedoch
Die Thalamotomie (Hochfrequenzthermokoagulati- weniger gut und nur durch eine bilaterale Stimulati-
on) zur Behandlung der Parkinsonschen Erkrankung on (31). Weiterhin ist zu beachten, dass im Laufe der
und insbesondere des begleitenden Tremors wurde Erkrankung bei manchen Patienten zerebelläre
erstmals von Hassler und Riechert propagiert (21). Symptome auftreten, die durch die Stimulation nicht
Thalamotomie Thalamusstimulation
Der Ruhetremor bei M. Parkinson wird bei Die Hochfrequenzstimulation (100–180 Hz) des
70–80 % der Patienten durch eine Thalamotomie Nucleus ventralis intermedius (VIM) des Thalamus
komplett unterdrückt. Ähnliche Resultate liegen hat sich für den essenziellen Tremor und für
für den essenziellen Tremor vor. ausgewählte Fälle von Parkinson-Tremor als
etablierte Therapie durchgesetzt.
a b
Abbildung 4: a) MRT mit Elektrode axial. b) MRT mit Elektroden. Die Magnetresonanztomographie kann unter bestimmten Bedingungen mit
implantierten Elektroden erfolgen. Somit kann die präzise Lokalisation der Elektroden dokumentiert werden. Links sind 2 Stimulationselektro-
den im VIM-Kern des Thalamus zu erkennen, rechts die sagittale Darstellung einer Elektrode. Durch die metallischen Bestandteile erscheint
die 1,3 mm im Durchmesser messende Elektrode deutlich größer als in Wirklichkeit.
beeinflusst werden. Ob das Nachlassen des klini- Zeit gebessert, abhängig von der Progression der Er-
schen Effektes nach einigen Jahren durch die Pro- krankung. Wichtig ist bei diesen Patienten, den Hal-
gression der Erkrankung bedingt ist oder durch eine te- und Intentionstremor von einer zerebellären Ata-
Toleranzentwicklung, ist bislang nicht abschließend xie (Dysmetrie) abzugrenzen, die durch die Stimula-
geklärt (32). Die Progression der Erkrankung scheint tion nicht vermindert wird. Beim MS-Tremor ist die
bei nichtstimulierten Patienten in gleichem Maße Thalamotomie eine denkbare Alternative, weil mit
vorzuliegen wie bei operierten, so dass ein Toleranz- dieser größere Areale ausgeschaltet werden können.
effekt eher unwahrscheinlich ist (33). Bei einem Teil Für andere Tremorformen (Holmes-Tremor, dys-
der Patienten, die über einen nachlassenden Effekt toner Tremor, orthostatischer Tremor) liegen nur
berichteten, konnte eine suboptimale Platzierung der Einzelfallberichte oder kleinere Fallserien vor, so-
Elektroden als Ursache nachgewiesen werden (34). dass eine abschließende Beurteilung nicht möglich
Parkinson-Patienten sollten lediglich bei stark tre- ist (36–39). Die Möglichkeit der Teststimulation vor
mordominanter Symptomatik und längerer Erkran- der definitiven Implantation lässt es jedoch zu, die
kungsdauer im VIM stimuliert werden. Bei relativ Indikation weiter zu stellen als bei den läsionellen
kurzer Erkrankungsdauer jedoch, bei der eine Pro- Verfahren.
gression der Erkrankung mit dem Auftreten von Ri-
gidität und Bradykinese zu erwarten ist, sollte primär Vergleich Thalamotomie und tiefe Hirnstimulation
eine Stimulation im Nucleus subthalamicus (STN) In einer randomisierten Studie mit 86 Patienten, die
durchgeführt werden, die den Tremor exzellent un- an einem Tremor unterschiedlicher Ursache (Parkin-
terdrückt (35), jedoch auch den Rigor und die Bradi- son, essenzieller Tremor, MS-Tremor) litten, konn-
kinese der Patienten behandelt. ten Schuurman und Kollegen feststellen, dass die
Der Tremor bei Multipler Sklerose wird durch die Unterdrückung des Tremors durch die Thalamotomie
Stimulation des VIM häufig nur wenig und für kurze und die Stimulation im VIM vergleichbar waren
(30). In der Thalamotomie-Gruppe wurde der Tre- 5. Reichmann H: Budipine in Parkinson's tremor. J Neurol Sci
mor vollständig oder fast vollständig bei 27 von 34 2006; 248: 53–5.
Patienten unterdrückt, in der Stimulations-Gruppe 6. Stefansson H, Steinberg S, Petursson H, et al.: Variant in the se-
quence of the LINGO1 gene confers risk of essential tremor. Nat
bei 30 von 33 Patienten. Der funktionelle Status
Genet 2009; 41: 277–9.
(Kompetenz bei Alltagstätigkeiten) der Patienten mit
7. Thier S, Lorenz D, Nothnagel M, et al.: LINGO1 polymorphisms
Stimulation war jedoch signifikant besser als der der are associated with essential tremor in Europeans. Mov Disord
Patienten mit einer Thalamotomie (p = 0,01). Dies 2010; 25: 717–23.
war unter anderem durch die signifikant häufiger 8. Tan EK, Teo YY, Prakash KM, et al.: LINGO1 variant increases
auftretenden Nebenwirkungen in der läsionellen risk of familial essential tremor. Neurology 2009; 73: 1161–2.
Gruppe (Dysarthrien, Gangstörungen, kognitive De- 9. Sweet RD, Blumberg J, Lee JE, Mc Dowell FH: Propranolol treat-
fizite) bedingt. ment of essential tremor. Neurology 1974; 24: 64–7.
Deshalb wird heute meistens die Stimulation be- 10. Winkler GF, Young RR: Efficacy of chronic propranolol therapy in
action tremors of the familial, senile or essential varieties. N
vorzugt, insbesondere, wenn ein bilateraler Eingriff
Engl J Med 1974; 290: 984–8.
notwendig ist. In einer Folgestudie konnten die Au-
11. Findley LJ, Cleeves L, Calzetti S: Primidone in essential tremor
toren den Langzeitverlauf ihrer Patienten beschrei- of the hands and head: a double blind controlled clinical study. J
ben (40): Der Effekt auf die Tremorsuppression war Neurol Neurosurg Psychiatry 1985; 48: 911–5.
bei beiden Gruppen (Stimulation/Thermokoagulati- 12. Ondo WG, Jankovic J, Connor GS, et al.: Topiramate in essential
on) vergleichbar. Bei den Parkinson-Patienten zeigte tremor: a double-blind, placebo-controlled trial. Neurology
sich dieser auch stabil. Bei den Patienten mit essen- 2006; 66: 672–7.
ziellem Tremor und Multipler Sklerose zeigte sich 13. Schniepp R, Jakl V, Wuehr M, et al.: Treatment with 4-aminopy-
ridine improves upper limb tremor of a patient with multiple
innerhalb von fünf Jahren eine signifikante Abnahme sclerosis: a video case report. Mult Scler 2012.
des Effektes.
14. Bötzel K, Steude U: Indikationen der operativen Behandlung des
Tremors. Dtsch Med Wochenschr 1999; 124: 287–90.
Interessenkonflikt 15. Montgomery EB, Jr., Baker KB, Kinkel RP, Barnett G: Chronic
Prof. Bötzel erhielt Reise- und Übernachtungskosten, Honorare für die thalamic stimulation for the tremor of multiple sclerosis. Neuro-
Vorbereitung von wissenschaftlichen Tagungen sowie Gelder für ein von logy 1999; 53: 625–8.
ihm initiiertes Forschungsvorhaben von der Firma Medtronic. 16. Nowak DA, Fink GR: Psychogenic movement disorders: aetiolo-
Prof. Tronnier erhielt Honorare für eine Beratertätigkeit, Erstattung
gy, phenomenology, neuroanatomical correlates and therapeutic
von Teilnahmegebühren für einen Kongress, Reise-Übernachtungskosten, approaches. Neuroimage 2009; 47: 1015–25.
Honorare für die Vorbereitung von wissenschaftlichen Tagungen von 17. McKeon A, Ahlskog JE, Bower JH, Josephs KA, Matsumoto JY:
der Firma Medtronic. Für ein von ihm initiiertes Forschungsvorhaben Psychogenic tremor: long-term prognosis in patients with elec-
wurden ihm Gelder von Medtronic und St. Jude Medical zur Verfügung trophysiologically confirmed disease. Mov Disord 2009; 24:
gestellt.
72–6.
Prof. Gasser erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht. 18. McAuley J, Rothwell J: Identification of psychogenic, dystonic,
and other organic tremors by a coherence entrainment test.
Mov Disord 2004; 19: 253–67.
Manuskriptdaten
eingereicht: 25. 2. 2013, revidierte Fassung angenommen: 15. 1. 2014 19. Dafotakis M, Ameli M, Vitinius F, et al.: Der Einsatz der transkra-
niellen Magnetstimulation beim psychogenen Tremor – eine Pi-
lotstudie. Fortschr Neurol Psychiatr 2011; 79: 226–33.
LITERATUR 20. Voges J, Hilker R, Bötzel K, et al.: Thirty days complication rate
1. Deuschl G, Bain P, Brin M: Consensus statement of the Move- following surgery performed for deep-brain-stimulation. Mov
ment Disorder Society on Tremor. Ad Hoc Scientific Committee. Disord 2007; 22: 1486–9.
Mov Disord 1998; 13 Suppl 3: 2–23. 21. Hassler T, Riechert T: Indikationen und Lokalisationsmethode der
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HK: Gamma knife radiosurgery for thalamotomy in parkinsonian Prof. Dr. med. Kai Bötzel
tremor: a five-year experience. J Neurosurg 1998; 88: 1044–9. Neurologische Klinik Ludwig-Maximilians–Universität München
Marchioninistraße 15
26. Young RF, Jacques S, Mark R, et al.: Gamma knife thalamotomy 81377 München
for treatment of tremor: long-term results. J Neurosurg 2000; kboetzel@med.uni-muenchen.de
93 Suppl 3: 128–35.
27. Ohye C, Higuchi Y, Shibazaki T, et al.: Gamma knife thalamotomy Zitierweise
for Parkinson disease and essential tremor: a prospective multi- Bötzel K, Tronnier V, Gasser T: The differential diagnosis
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35–6. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0225
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