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DER KOSMISCHE HINTERGRUND

DES GROSSEN HORUSMYTHOS VON EDFU

VON

D IE T E R K U R T H

M it einem Teil dieses um fangreichen T extes1 hat sich die Forschung in den letzten
Jahren w iederholt beschäftigt. In den für H orus siegreichen K äm pfen, deren Schau­
plätze einander so folgen, daß sie den L au f des Nil von Süden nach N orden nachzeichnen,
hat m an zu Recht eine sukzessive Inbesitznahm e aller Landesteile durch H orus von
Edfu gesehen, verbunden mit einer Propagierung seiner M acht.
Eines aber stört das Bild: Die Rebellion des Seth und seiner Helfer bricht in «iWvW/»
aus, jenem Teil N ubiens, der an Ägypten grenzt. A m M ittelm eer, dem nördlichsten
K am pfplatz, hätte der Siegeszug des H orus enden müssen, wenn alleine die Inbesitz­
nahm e Ä gyptens das Anliegen des Textes w äre; anschließend w ürde m an nur noch
die R ückkehr nach Edfu erw arten. D och es folgen erneute K äm pfe in N ubien — und
erst nach diesen die H eim kehr nach Edfu.
W. Schenkel, der sich zuletzt ausführlich m it dem Text auseinandersetzte, dachte bei
der W iederholung der N ubien-E pisode an eine «N o tlö su n g » , gewählt, «u m den R aum
zu füllen»; oder an einen «A usw eg», um eine der T radition entgegenstehende A nkunft
des H orus aus dem N orden aufzuheben2. Diese Lösungen können mich nicht über­
zeugen, vor allem, wenn m an daran denkt, m it welcher Raffinesse Textplanung und
Textverteilung in den Tem peln jener Zeit betrieben w u rd e n 3.
Ein A ufsatz von Ph. D erchain4 lenkte schließlich die A ufm erksam keit a u f eine kos­
mische E inbindung des M ythos. A usgangspunkt seiner A rgum entation w aren die ein­
leitenden Sätze des T e x tes: «R egierungsjahr 363 des K önigs von Ober- und U nterägypten,
R e-H arachte ... D a w ar nun Seine M ajestät in N ubien ...» . Die Verschw örung gegen
den Sonnengott brach also am vorvorletzten Tage seines Jahreszyklus aus. Schon die
W ahl des 363. Tages verrät etwas von der G üte der inhaltlichen Planung, denn dies
war der G eburtstag des Seth, von dessen N iederw erfung der H orusm ythos berichtet.
A ußerdem , so verstehe ich abw eichend von der genannten A rbeit, w ar die Gelegenheit
zum A ufstand äußerst günstig, da Re am Ende seines Jahreszyklus alt und schwach

1 Umfassungsmauer des Tempels von Edfu, Westseite, innen, zweites Register; zur Lokalisation des Textes, zu den
Textteilen und ihrer Stellung zueinander s. Fairm an, The Triumph o f Horus, S. 14f.
2 Kultmythos und Märtyrerlegende, (GOF IV/5), 110 f.
3 Cf., o.e., 77.
4 CdE 53, 48 f.
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w ar, ganz so, wie ihn ja auch zahlreiche Texte am A bend, dem Ende seines Tageszyklus,
einen G reis n en n en 5.
Die G leichsetzung von Tagen und R egierungsjahren bereitet kein Problem (davon
unten m ehr), und gewiß hat uns die genannte A rbeit dem V erständnis des H orus-
m ythos von Edfu nähergebracht. Eines aber wird dem Text m .E. nicht gerecht: Irrtü m ­
lich davon ausgehend, daß die Sonne N ubien im Som m er am nächsten stünde, setzt
Ph. D erchain die N ahtstelle des Zyklus an den ideellen Beginn des ägyptischen Jahres
(19. Juli, julianisch). In W irklichkeit aber hat die Sonne zu diesem Z eitpunkt gerade
ihren nördlichsten P u n k t am W endekreis des K rebses verlassen und ist wieder a u f dem
W ege nach Süden. Also kom m t dieses D atum nicht als N ahtstelle eines Zyklus in
Frage, der in N ubien einsetzt und von dort nach N orden führt. Ü berdies stünden
Som m erhitze und Schwäche des Sonnengottes im W iderspruch.

Hier nun setzt meine These an, welche den genannten A rbeiten viel verdankt, auch
wenn sie einige Punkte b e stre itet: In seinem form alen A ufbau zeichnet der M ythos
von H orus, der geflügelten Sonnenscheibe, die jährliche Verschiebung der Sonnenbahn
nach; N ahtstelle dieses Zyklus ist das W inter-Solstitium . Folgendes kann die These
für das V erständnis des Textes leisten:
1. Schwäche und Ferne des Re sind am 21. D ezem ber am deutlichsten — Stichw ort:
Revolution.
2. Zu diesem Z eitpunkt hat sich die Sonnenbahn am weitesten nach Süden verschoben
— Stichw ort: N ubien.
3. Von nun an wird der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen m it jedem Tage größer, die
Sonne rückt scheinbar — a u f jeden Fall aber sp ü rb a r— nach N orden, näher an Ä gypten
heran — Stichw ort: Zug nach N orden.
4. Die W iederholung der Schauplätze N ubien und Edfu w ird nun evident sinnvoll. Sie
schließt den Zyklus, führt ihn sogar noch ein Stück weiter in die «gute R ichtung»,
nach Ägypten hin, und dabei notwendigerweise bis Edfu, dem Z entrum des Geschehens.
5. D er Sonnengott Re w ürde, verjüngt in der G estalt seines Sohnes H orus von Edfu,
die Feinde zunächst im Süden besiegen und d a ra u f sein Land von Station zu S ta tio n 6
wieder in Besitz neh m en 7 — Stichw ort: H orus siegt für Re.

Es genügt natürlich nicht, nur a u f eine allgemein verständnisfördernde Leistung der


These hinzuweisen. H aben die Ä gypter den H aup tp u n k ten des solaren Jahreszyklus
üb erh au p t eine Bedeutung beigem essen8?
5 Z.B. Edfou III, 51, 16.
6 Zur natürlich « H orus-bezogenen» Auslese der O rte s. D erchain, o.e., 49.
7 Die Idee besitzt innerhalb des gemeinsamen Rahmens doch so viel Selbständigkeit, daß sie neben dem auf einen
anderen Zeitpunkt bezogenen W andeljahr bestehen kann. Cf. aber auch Parker, The Calendars o f E gypt, S. 46 (§235).
8 A uf das von Br.Thes., 406f., angeführte M aterial, das schon vor langer Zeit zurückgewiesen wurde, kann diese
Interpretation nicht eingehen.
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Z unächst allgem ein: W enn auch M orgen- und A bendw eite in Ägypten nicht so groß
sind wie in unseren Breiten, die W inkeldifferenz zwischen der am 21. D ezem ber und
der am 21. Juni kulm inierenden Sonne ist z.B. in A ssuan mit 47° groß genug, um eine
forschende oder auch eine besorgte A ufm erksam keit zu erregen.
Z ur Sache selbst gibt es m .W . nicht gerade viele sichere Hinweise in den Quellen,
doch reichen sie zur positiven B eantw ortung der Frage au s: Ein Tem pel von A bu
Simbel w ar exakt so ausgerichtet, daß nur an den Ä quinoktien die Strahlen er auf­
gehenden Sonne bis ins Innerste des Felstem pels durchdrangen und die dort an er
äußersten W estw and befindlichen G ötterbilder erleuchteten9. Im 3. Jh. v. Chr. w irkte
in A lexandria jeder Eratosthenes, der zu seiner Berechnung der Erdperipherie die
B eobachtung verwendete, daß nur einm al im Jahr, am 21. Juni, die Sonne in einem
Brunnen Assuans keinen Schatten erzeugte10. Späte D okum ente lassen eine Tendenz
erkennen, bei der H albierung des Zodiakus die Solstitien als G renze anzusetzen11.
Hier wäre auch zu erw ähnen, daß m an bereits zur E rklärung des M ythos vom Sonnen­
auge a u f die Verschiebung der Sonnenbahn hingewiesen h a t12. U nd schließlich enthält
der Text des M ythos von H orus, der geflügelten Sonnenscheibe, eine Passage, die
m.E. deutlich das Som m er-Solstitium m arkiert. U nm ittelbar nach dem letzten G e­
fecht im N orden sagt der Sonnengott zu T hot, dem Berechner aller kosmischen V or­
gänge: « H ab en wir das ganze L and d u rch fa h re n ? » 13. W enig später, am gleichen O rt
des G eschehens, lesen w ir: «Sie segelten (strom auf) N acht und Tag, ohne daß sie
jene Feinde sehen konnten. D a kam en sie nach N u b ie n ...» 14.

Es gibt zwei R andproblem e des Textes, welche zu einer A nw endung der These ein-
la d e n :
1. Im ziemlich genau nord-süd ausgerichteten Edfutem pel ist die Leserichtung größerer
Texteinheiten unterschiedlich; öfters liest m an von Süden nach N o rd e n 15, in m anchen
Texten aber auch in um gekehrter R ic h tu n g 16. In einigen Fällen läßt sich in der einen
oder anderen Leserichtung ein Sinn e rk e n n e n 17.

9 E. O tto, L A I, 2 5 f.
10 G enauer liegt der nördliche W endekreis etwas weiter südlich, bei Kalabscha. — Schlott, Die Ausmaße Ägyptens,
S. lf. — Zu einem Text des N R, der möglicherweise auf die Solstitien zu beziehen ist, s. Varille, Karnak I, (.FIFAO 19),
S. 15, Anm. 1.
11 N eugebauer-Parker, Astronomical Texts III, S. 206.
12 Junker, Onurislegende, 165f. — S. auch A. Daum as, RdE 22, 70.
13 Schenkel, o.e., S. 66 (§14.5).
14 O.e., S. 66 (§15.1).
15 Z.B. Edfou VII, 296f.
16 Z.B. Edfou V, 183f.
17 Z.B. Meeks, Le grand texte des donations, (BdE 59), S. vu und 3 f . : die Lesefolge entspricht der nord-südlichen
Aufzählung der zum Edfutempel gehörenden Ländereien.
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N un ist die Leserichtung des H orusm ythos von Edfu a u f den ersten Blick recht
so nderbar: M an liest den Text von N orden nach S ü d en 18, der Inhalt entfaltet sich dann
aber von Süden nach N orden. D as heißt, ist m an inhaltlich am nördlichsten P unkt des
Siegeszuges angelangt, hat m an zugleich form al beinahe den südlichsten Punkt des
Textes a u f der M auer erreicht, dem sich folgerichtig nur noch die südlichen Episoden
N ubien und Edfu anschließen, welche inhaltlich mit dem A nfang des Textes korres­
pondieren. In diesem Sinne werden Hin- und Rückw eg zugleich zurückgelegt. Ich denke,
daß sich die These hier bew ährt: K ann m an die zyklische W anderung des Sonnengottes
zwischen den W endekreisen m ithilfe der äußeren Textanlage überzeugender darstellen?
2. Im Text der Siegesfeier19 w ird als F estdatum der 21. Tag des 2. M onats der prt-
Jahreszeit genannt, was ideell dem 9. Ja n u ar entspricht. U nter der V oraussetzung, daß
dieses Siegesfest eingerichtet w urde, als die A nfänge des W andeljahres und des astro n o ­
mischen Jahres zusam m enfielen (zuletzt 1316 v. C h r.20), besteht zum D atum der W inter­
sonnenw ende eine Differenz von 18 T ag en 21. H ierzu p aß t die A ngabe des Textes, daß
sich Re beim A usbruch der Rebellion nicht an der Südgrenze des ägyptischen Stam m ­
landes befand, sondern jenseits von ihr, in O bernubien. Feiert also dieses F e st22 die
R ückkehr des Sonnengottes nach Ä gypten, 18 Tage nach seiner weitesten E ntfernung,
die ihn — zu schließen aus den inhaltlichen P roportionen des T extes23 — nicht sehr weit
über die Südgrenze hinausgebracht hätte?

A bschließend die Stellung der These zum H orusm ythos in seiner G esam theit. Sie
erkennt einen kosm ischen H intergrund, der sich bestens in das zentrale Them a des
M ythos einfügt, in das Them a des ägyptischen K önigtum s und seiner zyklischen E r­
neu eru n g 24. W as m it der verbalen G leichsetzung von H orus und K önig einerseits,
und andererseits m it der Ü bertragung äußerer A ttribute des irdischen K önigtum s — z.B.
der A ngabe von Regierungsjahren des R e-H arachte — bereits zum A usdruck kom m t,
ließe sich dann auch in der K om position dieses Teiles des M ythos w iederfinden:
Z ur zyklischen G liederung pharaonischer Regierungszeiten liefert der H orusm ythos
ein kosm isch-göttliches P aradigm a: N ach A b la u f eines Jahres mit 365 Tagen, die
Regierungsjahren gleichgesetzt w erden, erscheint ein «neuer R e», um Ägypten in Besitz
zu nehm en.

18 S. Fairm an, o.e., S. 15.


19 O.e., S. 114.
20 N eugebauer-Parker, o.e., I, S. 127.
21 Die Differenz bliebe bei der Verschiebung von W andeljahr und astronom ischem Jahr konstant; die Diskrepanz
zum realen D atum des W inter-Solstitiums hätte nicht m ehr gestört als die entsprechende Diskrepanz bei den Jahreszeiten.
22 Auch in anderen Tempeln der Zeit belegt, s. Alliot, Le culte d ’Horus I, (B dE 20), S. 288.
23 Der weitaus größere Teil des Textes schildert die F ahrt durch Ägypten.
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Wie der Re des alten Jahres in H orus von Edfu, so w ird auch der alte K önig in
seinem N achfolger insofern weiterleben, als sein A m t von einem jüngeren A bköm m ling
seiner A rt erhalten wird.
D och zuvor — und das bezeugen die Quellen zur G enüge— gilt es, die Feinde zu
besiegen, die im m er an der N ahtstelle eine Zyklus aktiv werden, dann, wenn ein alter
K önig stirb t25, und wenn ein Ja h r sich seinem Ende n ä h e rt26.

Sollte diese These von der a u f die Solstitien zu beziehenden zyklischen Anlage des
H orum ythos richtig sein27, dann hätten die Verfasser auch mit rein form alen M itteln
versucht, das irdische K önigtum des Pharao mit dem R hythm us des kosm isch-göttlichen
in Einklang zu bringen.

25 S. Hornung, Geschichte als Fest, S. 21 f. («Anarchie beim Herrschertod»).


26 S. J. C. Goyon, Confirmation du pouvoir royal, (BdE 52), z.B. S. 51.
27 In gewisser Weise bestätigt würden auch die Aussagen von Plutarch und M acrobius, welche die G eburt des
H arpokrates auf das W inter-Solstitium verlegen, bzw. Re an diesem Tage als ein neugeborenes Kind ansehen, s.
Griffiths, Plutarch''s De Iside et Osiride, S. 530.

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