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Der

Gastroenterologe
Schwerpunkt

Gastroenterologe 2021 · 16:160–171 M. Kluge · M. Demir · Frank Tacke


https://doi.org/10.1007/s11377-021-00518-2 Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie, Campus Virchow Klinikum und
Angenommen: 26. Februar 2021 Campus Charité Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Online publiziert: 22. März 2021
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von
Springer Nature 2021

Redaktion
Hepatische Enzephalopathie und
C. Trautwein, Aachen
J. Trebicka, Frankfurt am Main Sarkopenie: pathogenetische
Bedeutung und therapeutische
Implikationen von Ammoniak

Die hepatische Enzephalopathie folgreicher Behandlung einer HE-Episo- kognitive Leistung von Patienten mit
(HE) zählt zu den klassischen und de und Auflösung der klinischen Sym- Zirrhose positiv beeinflusst [10]. In den
schwerwiegenden Komplikationen ptome messbare kognitive Defizite per- periportalen Hepatozyten wird Ammo-
einer Leberzirrhose. Die Sarkope- sistieren, die mit zunehmender Anzahl niak im Harnstoffzyklus zu Harnstoff
nie als Verlust an Muskelmasse und von HE-Episoden akkumulieren und so umgewandelt, während die perivenösen
Muskelkraft, die mit einer erhöhten zu dauerhaften Einschränkungen führen Hepatozyten Ammoniak und Glutamat
Gebrechlichkeit einhergeht, kann [6, 7]. zu Glutamin umsetzen [11]. Durch die
unabhängig von einer Leberzirrho- Leberzirrhose sind diese Stoffwechsel-
se auftreten, ist jedoch bei 40–60 % Pathophysiologie der mechanismen deutlich eingeschränkt,
aller Patienten mit Leberzirrhose zu hepatischen Enzephalopathie sodass Ammoniak akkumuliert und die
beobachten. Im Kontext einer Leber- Konzentration im systemischen Kreis-
zirrhose besteht eine wesentliche Der exakte Mechanismus, der zur Ent- lauf beträchtlich ansteigt und folglich zu
Gemeinsamkeit beider Komplikatio- stehung einer HE führt, ist bis heute erhöhten zerebralen Ammoniakkonzen-
nen in erhöhten Ammoniakspiegeln nicht vollständig verstanden. Unstrittig trationen führt [8, 11].
infolge der chronischen Leberinsuf- ist jedoch, dass erhöhte Ammoniakspie-
fizienz. Das Auftreten von sowohl
Enzephalopathie als auch Sarkope-
gel eine Schlüsselrolle spielen und im
Zusammenhang mit präzipitierenden »undAmmoniak akkumuliert
die Konzentration im
nie geht mit einer verschlechterten Faktoren, wie Exsikkose, gastrointesti-
Prognose einher. nalen Blutungen, Infekten, Elektrolyt- systemischen Kreislauf steigt
entgleisungen und Medikamenten, zur beträchtlich an
Die HE zeichnet sich durch eine gro- Ausprägung der klinischen Symptome
ße Spannbreite an psychiatrischen und führen. Durch den Abbau von Protei-
neurologischen Symptomen aus. Bereits nen mittels enteraler Enzyme und der Neben der verminderten Stoffwechselka-
Patienten mit einer minimalen Ausprä- bakteriellen Flora des Kolons entsteht pazität der zirrhotischen Leber spielen
gung der hepatischen Enzephalopathie Ammoniak hauptsächlich im Darmlu- portosystemische Shunts, die im Rah-
weisen häufig eine deutlich reduzierte men, von wo es über den Portalkreislauf men der portalen Hypertension spon-
Lebensqualität, Schlafstörungen und da- in die Leber gelangt [8]. Über diese ba- tan entstehen oder bewusst im Sinne ei-
mit einhergehende verminderte Schlaf- sale Ammoniakhypothese hinausgehend nes transjugulären intrahepatischen por-
qualität auf [1]. Die Bedeutung der HE ist mittlerweile bekannt, dass bestimmte tosystemischen Shunts (TIPS) angelegt
als Komplikation der Leberzirrhose zeigt Bakterienspezies des intestinalen Mikro- werden, eine wesentliche Rolle bei der
sich nicht nur anhand der deutlich ein- bioms eine vermehrte Ammoniaksyn- Entstehung der HE. Je größer das Shunt-
geschränkten Lebensqualität der betrof- these oder Produktion von Endotoxinen volumen ist, desto mehr ammoniakrei-
fenen Patienten [2], sondern insbeson- aufweisen und somit mit einer schlech- ches Blut gelangt aus dem Portalkreislauf
dere auch an einer erhöhten Hospitali- terenkognitivenFunktionassoziiertsind, an der Leber vorbei direkt in den syste-
sierungsrate und Mortalität im Vergleich während andere Spezies mit einer besse- mischen Kreislauf und erhöht dort die
zu Patienten mit Leberzirrhose, die keine ren kognitiven Funktion in Verbindung Ammoniakkonzentration [12, 13].
oder nur geringe neurologische Auffällig- gebracht werden können [9]. Kürzlich Die Elimination von Ammoniak er-
keiten im Sinne einer HE zeigen [3–5]. konnte auch gezeigt werden, dass ein folgt im Gehirn über die Glutamin-
Darüber hinaus können auch nach er- fäkaler Mikrobiotatransfer (FMT) die synthetaseaktivität der Astrozyten [11].

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Glutamin selbst ist eine osmotisch wirk- tochondrien der Astrozyten exprimiert tellen Studien noch beim Menschen hin-
same Substanz und die Akkumulation wird [14–17]. Unter dem Einfluss erhöh- reichend belegt werden konnte [20, 21].
von Glutamin in Astrozyten wird als ter Ammoniakspiegel kommt es zu einer Vor dem Hintergrund der GABAergen
Ursache des Hirnödems (Astrozyten- erhöhten Dichte von Bindungsstellen am Wirkung einiger Neurosteroide gewinnt
schwellung) angesehen, das bei der HE PTBR [14, 15, 17]. Durch die veränderte der Einfluss des GABA-Systems bei der
in unterschiedlicher Ausprägung auftritt Expression des PTBR wird zum einen Pathogenese der HE jedoch wieder an
[8]. Weiterhin zeigen sich im Rahmen die mitochondriale Funktion und damit Bedeutung.
einer Hyperammonämie Veränderungen der Energiemetabolismus der Astrozyten
des zerebralen Blutflusses mit charak-
teristischerweise reduziertem Blutfluss
beeinflusst [10] und zum anderen wird,
über einen erhöhten Cholesteroltrans- »Systems
Der Einfluss des GABA-
bei der Pathogenese
in kortikalen Arealen und erhöhtem port in die Mitochondrien, die Bildung
Fluss in subkortikalen Hirnregionen sog. Neurosteroide stimuliert [14, 18]. der HE gewinnt wieder an
[14]. Ammoniumionen beeinflussen Einige dieser Neurosteroide, wie z. B. Bedeutung
über prä- und postsynaptische Effek- Allopregnanolon, können ihrerseits den
te sowohl die exzitatorische als auch GABAA-Rezeptor stimulieren, was wie-
inhibitorische synaptische Transmissio- derum zur für die HE typischen Neuro- Neben den vielfältigen Auswirkungen
nen und verändern damit im Rahmen inhibition beitragen könnte [8, 11]. In- erhöhter Ammoniakspiegel scheint der
einer Hyperammonämie direkt die Ex- teressanterweise würde dieser Mechanis- Prozess der Neuroinflammation eine
zitabilität des zentralen Nervensystems mus die „Hypothese des auf γ-Amino- wesentliche Rolle in der Entstehung
([11, 14]; . Abb. 1). Neben den direk- buttersäure reagierenden (GABAergen) der HE zu spielen. Patienten mit Le-
ten Einflüssen des Ammoniaks auf die Tonus“ im Rahmen der HE unterstützen. berzirrhose sind funktionell immun-
neuronale Transmission zeigen tier- Diese Hypothese wurde in den 1980iger- supprimiert und deutlich anfälliger für
experimentelle sowie Autopsiestudien Jahren formuliert und ging ursprüng- Infektionen. Im Rahmen von Infektio-
an Patienten mit Leberzirrhose einen lich von einer veränderten Expression des nen oder einem systemischen inflam-
Einfluss des Ammoniaks auf den „pe- GABA-Rezeptors sowie dessen modula- matorischen Responsesyndrom (SIRS)
ripheral-type“ Benzodiazepinrezeptor torischen Komponenten aus [19], wobei kommt es zur Aktivierung der zere-
(PTBR), der hauptsächlich an den Mi- diese Hypothese weder in tierexperimen- bralen Mikroglia, wodurch wiederum

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Schwerpunkt

a b

Abb. 1 9 Potenzielle Me-


chanismen, die im Rahmen
von Leberzirrhose und Hy-
perammonämie zu einer
hepatischen Enzephalopa-
thie führen. a Ammoniak-
bildung im Darmlumen.
b Normaler Ammoniakme-
tabolismus in der Leber.
c Pathologische Einflüsse
auf das zentrale Nervensys-
c tem. IL Interleukin, TNF Tu-
mornekrosefaktor

die Konzentration proinflammatorischer einem SIRS wird auch vermutet, dass Strategien zur Therapie und
Zytokine (Tumornekrosefaktor[TNF]-α, toxische Metaboliten, die aus der ver- Prophylaxe der hepatischen
Interleukin[IL]-1β, IL-6) im zentralen minderten Leberfunktion resultieren Enzephalopathie
Nervensystem steigt [18, 22]. Ähnliche (Ammoniak, Mangan, Neurosteroide
Veränderungen im Sinne einer Neuro- etc.), ihrerseits zu einer Aktivierung Die Diagnose einer hepatischen Enze-
inflammation treten auch bei anderen der Mikroglia beitragen [22]. Insgesamt phalopathie erfolgt klinisch nach den
neurologischen Erkrankungen, wie der sind die Mechanismen, die zur Entste- West-Haven-Kriterien (. Tab. 1), wobei
Alzheimer-Demenz oder der HIV-asso- hung der HE führen, nicht vollständig sich insbesondere der HE-Grad 0 und
ziierten Demenz, auf. Die Signalwege, geklärt. Neben der zentralen Rolle des HE-Grad 1 durch Auffälligkeiten in psy-
über die eine systemische Inflammation Ammoniaks werden weitere Einflüsse, chometrischen Tests präsentieren und
zur Aktivierung der zerebralen Mikro- wie Mangantoxizität, Veränderungen im nur unspezifische klinische Symptome
glia führt, sind nicht vollständig geklärt. Energiemetabolismus des Gehirns und offenbaren. Weiterhin müssen andere
Neben dem direkten Einfluss peripherer Veränderungen der Neurotransmitter- Differenzialdiagnosen ausgeschlossen
Zytokine, rezeptorvermittelter Signa- systeme des Serotonins, Histamins und sein (. Tab. 2). Grundsätzlich sollte bei
le und der Aktivierung des afferenten Dopamins [8, 11], für die Pathogenese jeder Episode einer HE versucht werden,
Nervus vagus im Zusammenhang mit der HE verantwortlich gemacht. den auslösenden Faktor, wie z. B. Infek-

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Zusammenfassung · Abstract

tionen, Exsikkose oder gastrointestinale Gastroenterologe 2021 · 16:160–171 https://doi.org/10.1007/s11377-021-00518-2


Blutungen, zu identifizieren und kausal © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
zu behandeln [23, 24]. Daneben stehen
zur Therapie und Prophylaxe der HE M. Kluge · M. Demir · F. Tacke
3 Substanzen zur Verfügung, Laktulose, Hepatische Enzephalopathie und Sarkopenie: pathogenetische
Rifaximin und L-Ornithin-L-Aspartat Bedeutung und therapeutische Implikationen von Ammoniak
(LOLA), die alle den Ammoniakspie-
gel senken (. Tab. 2). Dies unterstreicht Zusammenfassung
die pathophysiologische Bedeutung des Hepatische Enzephalopathie und Sarko- bezüglich des Ernährungsstatus evaluiert
penie sind häufige Komplikationen einer und gegebenenfalls eine weiterführende
Ammoniaks in der HE.
Leberzirrhose, die die Prognose dramatisch Sarkopeniediagnostik eingeleitet werden.
Laktulose ist ein nichtresorbierbares verschlechtern. Ammoniak spielt eine zentrale Während zur Behandlung und Prophylaxe
Disaccharid, das erst im Dickdarm bak- Rolle in der Pathogenese der hepatischen der hepatischen Enzephalopathie neben
teriell metabolisiert und dadurch osmo- Enzephalopathie und dessen Senkung ist der adäquaten Ernährungstherapie auch
tisch wirksam wird. Die Darmpassage- das Ziel therapeutischer Ansätze. Neuere medikamentöse Therapieoptionen bestehen,
Erkenntnisse legen außerdem nahe, dass wird zur Behandlung der Sarkopenie ein
zeit wird verkürzt und damit die Resorp-
Ammoniak auch bei der Entstehung der multimodaler Ansatz aus Ernährungstherapie
tion von Ammoniak aus dem Darmlu- Sarkopenie im Rahmen einer Leberzirrhose und körperlichem Training verfolgt.
men verringert [8]. Darüber hinaus wird entscheidend ist und dieser Pathomecha-
der pH-Wert im Darm durch Laktulose nismus eine potenzielle Zielstruktur für Schlüsselwörter
abgesenkt, wodurch vermehrt Ammoni- künftige medikamentöse Therapien darstellt. Leberzirrhose · Ernährungsstatus · Le-
Aufgrund des hohen Risikos, im Rahmen berinsuffizienz · Muskuläre Atrophie ·
umionen im Darmlumen akkumulieren,
einer Leberzirrhose eine Sarkopenie zu Metabolismus
die nicht resorbiert werden [25]. Außer- entwickeln, sollten Patienten regelmäßig
dem wird durch den Einsatz von Lak-
tulose das Wachstum bestimmter Bakte-
rienstämme begünstigt, die im Rahmen Hepatic encephalopathy and sarcopenia: pathogenic role and
ihrer Proteinbiosynthese Ammoniak be- therapeutic implications of ammonia
nötigen und somit binden [26]. Laktu-
lose sollte so dosiert werden, dass Pa- Abstract
tienten unter Therapie 2–3 Stuhlgänge Hepatic encephalopathy and sarcopenia are suffering from cirrhosis should be evaluated
common complications of liver cirrhosis with routinely for their nutritional status and, if
pro Tag haben [23, 24]. Von allen me- at risk, diagnostic measures for sarcopenia
profound implications on prognosis. The
dikamentösen Optionen zur Prophylaxe importance of ammonia for the pathogenesis should be initiated. While there are well-
und Therapie einer HE besteht für Lak- of hepatic encephalopathy (HE) is well established pharmacological approaches for
tulose aktuell die beste Evidenz [27]. Sie known and lowering ammonia levels is an the treatment of hepatic encephalopathy,
stellt somit die Erstlinientherapie dar. Ei- accepted therapeutic principal in managing sarcopenia requires a multimodal approach
HE. However, there is emerging evidence with optimal nutritional counselling and
ne Überdosierung von Laktulose muss je- therapy as well as physical exercise.
that ammonia also plays a key role in
doch vermieden werden, da durch eine zu development of sarcopenia and might
hohe Stuhlfrequenz eine Dehydratation provide a target for future pharmacological Keywords
und Elektrolytverschiebungen hervorge- therapy against sarcopenia. Due to the high Liver cirrhosis · Nutritional status · Hepatic
rufen werden können, wodurch eine HE risk of malnutrition and sarcopenia, patients insufficiency · Muscular atrophy · Metabolism
sogar ausgelöst werden kann [23].

»Rifaximin
Die Wirksamkeit von
ist in der Sekundär-
kann daher in Kombination mit Laktu-
lose eingesetzt werden (. Tab. 2).
gilt [24, 31]. In der klinischen Praxis wird
zur Therapie einer HE-Episode LOLA
Die LOLA sind Aminosäuren des häufig intravenös in Kombination mit
prophylaxe einer HE sehr gut Harnstoffzyklus und damit direkt an der Laktulose verabreicht, bis eine Besserung
belegt Harnstoffsynthese beteiligt. Sie besit- der HE eintritt. Für eine orale Therapie
zen ammoniaksenkende Eigenschaften mit LOLA zur Behandlung einer HE
und scheint daher für die Therapie eine oder zu deren Prophylaxe gibt es bis
Rifaximin ist ein schwer resorbierbares HE geeignet zu sein. Die Datenlage für dato wenig Evidenz [23].
Antibiotikum, das die Darmflora güns- LOLA zur intravenösen Therapie einer
tig beeinflusst und ammoniakbildende HE ist nicht eindeutig. Zwar konnte in Leberzirrhose, Sarkopenie und
Bakterien zurückdrängen soll [28]. Wäh- einer Metaanalyse ein positiver Effekt Hyperammonämie: ein Circulus
rend die Wirksamkeit von Rifaximin in von LOLA auf Ausmaß und Schwere vitiosus
der Therapie einer akuten HE-Episode der HE gezeigt werden, jedoch ist die
in Metaanalysen derzeit unsicher ist [29, Qualität der entsprechenden Studien so Die Sarkopenie beschreibt einen Verlust
30], ist sie in der Sekundärprophylaxe gering, dass aktuell die Evidenz für eine der Skelettmuskelmasse mit verminder-
einer HE sehr gut belegt [24, 28, 29]. Es Therapie mit LOLA als nicht gesichert ter Muskelkraft und Muskelfunktion und

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Tab. 1 West-Haven-Kriterien zur Diagnose und Einschätzung des Schweregrads einer hepati- enaufnahme verbunden ist, sowie auf der
schen Enzephalopathie (HE) anderen Seite ein durch die Leberzirrho-
Grad Klinische Zeichen Diagnose se bedingter hypermetabolischer Status,
0 Keine Abnormalitäten, Auffälligkeiten nur durch psychometrische Tests Verdeckte HE der einen erhöhten Protein- und Ka-
wie z. B. Psychometic Hepatic Encephalopathy Score (PHES-Test) lorienbedarf erfordert [35, 36]. Zudem
1 Psychomotorische Verlangsamung, Antriebsstörung, Konzentrations- Verdeckte HE sind eine verminderte Proteinbiosynthe-
schwäche, Schlafbedürfnis, Störung der Feinmotorik (z. B. Veränderung
se und ein erhöhter Proteinkatabolismus
des Schriftbilds), Auffälligkeiten vor allem in psychometrischen Tests
die Grundpfeiler, auf denen die Sarkope-
2 Starke Müdigkeit (leichte Somnolenz), Lethargie, zeitliche Desorientiert- Offensichtliche
heit, verwaschene Sprache, „flapping tremor“ HE
nie entsteht. Ein wesentlicher Faktor ist
die Verminderung der Glykogenspeicher
3 Starke Somnolenz oder Sopor, zeitlich und örtlich desorientiert, unzu- Offensichtliche
sammenhängende Sprache, Hyper- oder Hyporeflexie, Asterixis, Krämpfe, HE bei Leberzirrhose. Diese Patienten gera-
Rigor ten somit schneller als Gesunde in einen
4 Koma, Muskeleigenreflexe erloschen, Muskelsteife Offensichtliche katabolen Fastenzustand. Als Folge wird
HE die Glukoneogenese gesteigert, um den
Bedarf an Glukose zu decken [37]. Die
Hauptquelle der Aminosäuren für die
Tab. 2 Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Sekundärprophylaxe einer hepatischen En-
zephalopathie (HE) Glukoneogenese stellt die Proteolyse des
Diagnostik Skelettmuskels dar, wobei sowohl aroma-
Diagnose und Einschätzung des Schweregrads nach West-Haven-Kriterien ggf. auch unter An- tische Aminosäuren („aromatic amino
wendung psychometrischer Tests und/oder kritischer Flimmerfrequenzanalyse. Zur einfachen acids“, AAA), als auch verzweigtkettige
und schnellen Einschätzung ist auch der „Animal-naming-Test“ geeignet Aminosäuren („branched chain amino
Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen, z. B.: acids“, BCAA) freigesetzt werden. Da le-
Metabolische Entgleisung eines Diabetes mellitus
diglich BCAA im Skelettmuskel kataboli-
Neuroinfektionen oder septische Enzephalopathie
Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenintoxikation siert werden können, ist eine gesteigerte
Neurologische Erkrankungen wie Epilepsie oder Wernicke-Enzephalopathie Proteolyse mit verminderten BCAA-
Intrakranielle Pathologie (z. B. Blutung oder Raumforderung) Konzentrationen und erhöhten AAA-
Psychiatrische Erkrankungen (Demenzielle Syndrome, Delir, Psychose, Depression) Konzentrationen ein typischer Befund
Suche nach auslösendem Faktor (Infektion, gastrointestinale Blutung, Exsikkose, Elektrolytent-
bei Leberzirrhose [37, 38]. Weiterhin
gleisung, Obstipation)
geht man davon aus, dass Mediatoren
Therapie der akuten HE-Episode
der „Leber-Muskel-Achse“ im Rahmen
Abführende Maßnahme mit Laktulose: 10 ml, 2- bis 3-mal täglich per os, Dosis titrieren bis
einer Zirrhose direkt Einfluss auf Mus-
eine Stuhlfrequenz von 2- bis 3-mal täglich erreicht ist, ggf. auch Einläufe (300 ml Laktulo-
se/700 ml Wasser) kelwachstum sowie die Entstehung der
Wenn Laktulose allein nicht ausreichend ergänzend intravenöse Gabe von L-Ornithin-L-Aspartat: Sarkopenie nehmen [39].
30 g/Tag, 1,25 g/h i.v., und/oder orale Gabe von Rifaximin: 550 mg, 2-mal täglich per os („off label“
in der Akuttherapie)
Intensivmedizinische Überwachung ab HE-Grad ≥ 3 (West-Haven-Kriterien)
Sekundärprophylaxe der HE
»bedingen
Zahlreiche Einflussfaktoren
die Entstehung der
Laktulose ist das Medikament der Wahl zur Rezidivprophylaxe (Dosistitration bis 2–3 Stuhlgän- Sarkopenie
ge/Tag)
Rifaximin (550 mg, 2-mal täglich per os) additiv zu Laktulose, wenn unter Gabe von Laktulose
allein ein Rezidiv aufgetreten ist So sind erniedrigte Testosteronspiegel ty-
Für die orale Gabe von L-Ornithin-L-Aspartat besteht derzeit weniger Evidenz, die Gabe sollte pisch für die Leberzirrhose. Auf moleku-
daher nur erfolgen, wenn unter Laktulose und Rifaximin weiterhin Rezidive auftreten (6 g, 3-mal larer Ebene führt der verminderte Ein-
täglich per os) fluss des Testosterons zu einer reduzier-
ten Inhibition auf das Protein Myosta-
tin, das von Myozyten freigesetzt wird
tritt, neben klassischen Komplikationen disease[MELD]-Score) – die Sterblich- und das Muskelwachstum hemmt [39].
wie hydropischer Dekompensation, he- keit erhöht und die Prognose von Pati- Gleichzeitig nimmt die Aktivierung von
patischer Enzephalopathie und der aku- enten, die sicheinerLebertransplantation „insulin-like growth factor 1“ (IGF-1)
ten Varizenblutung, häufig bei Patienten unterziehen, verschlechtert [34]. und „mammalian target of rapamycin“
mit Leberzirrhose auf [32, 33]. Bedeu- Zahlreiche Einflussfaktoren bedin- (mTOR), die beide physiologischerwei-
tend dabei ist, dass die Sarkopenie bei gen die Entstehung der Sarkopenie bei se die muskuläre Proteinbiosynthese stei-
der Leberzirrhose nicht nur mit einer er- zugrunde liegender Leberzirrhose. Da- gern, mit sinkenden Testosteronspiegeln
höhten Gebrechlichkeit und verminder- zu zählen das Gefühl früher Sättigung ab [39]. Hinzu kommt der Status einer
ter Lebensqualität einhergeht, sondern und Malabsorption im Rahmen einer chronischen Inflammation bei Leberzir-
auch – unabhängig vom Schweregrad der portalhypertensiven Gastropathie, was rhose mit Erhöhung von TNF-α und IL-1,
Zirrhose (z. B. Model-of-end-stage-liver- wiederum mit einer reduzierten Kalori-

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kreis aus steigenden Ammoniakspiegeln,
reduzierter muskulärer Proteinbiosyn-
Leberzirrhose these und zunehmender Sarkopenie
Ammoniak-
(. Abb. 2).
senkende
Therapie
Therapeutische Strategien bei
Sarkopenie
Hyperammonämie
Die Sarkopenie beschreibt einen Zustand
mit deutlichem Verlust von Muskelmas-
se und Muskelkraft, was wiederum mit
erhöhter Gebrechlichkeit einhergeht
(. Tab. 3). Zu den Behandlungsansätzen
in der Therapie der Sarkopenie zäh-
Myostatin -Expression len Supplementation von Testosteron,
Muskel -Glutamin - muskuläre Proteinsynthese Trainingsprogramme mit Kraft- und
Synthetase Aktivität Autophagie Ausdauertraining, eine Optimierung
der Ernährung und ammoniaksenkende
Therapien. Derzeit ist die Evidenz für
die Wirksamkeit dieser einzelnen Kom-
ponenten jedoch relativ gering, weshalb
in den Leitlinien [48] keine generelle
Empfehlung zur Therapie der Sarkope-
Sarkopenie nie ausgesprochen wird [36, 37, 45]. Am
ehesten scheint daher ein multimodaler
Ansatz aus pharmakologischer Therapie,
Optimierung der Ernährung und physi-
Abb. 2 8 Schematische Darstellung ausgewählter Mechanismen der Sarkopenieentstehung bei Le- kalischem Training erfolgversprechend
berzirrhose sowie mögliche Interventionsmöglichkeiten durch eine ammoniaksenkende Therapie zu sein. Im Folgenden soll insbesondere
auf die Ernährung und die ammoniak-
was wiederum die Autophagie von Ske- stieg von Autophagiemarkern, wie LC3- senkende Therapie eingegangen werden.
lettmuskelzellen stimuliert [40, 41]. Lipidation und p62-Expression, kommt
[43]. Umgekehrt wurde nachgewiesen, Ernährung bei Patienten mit
»Muskel-Achse“
Die Mediatoren der „Leber-
nehmen direkt
dass eine ammoniaksenkende Therapie
im Tierversuch zu einer Abschwächung
Leberzirrhose
dieser Mechanismen führt [45]. Die Leberzirrhose geht mit einem er-
Einfluss auf das Muskelwachstum höhten Kalorien- und Energiebedarf

Ein weiterer potenzieller Mediator der »mation


Die chronische Inflam-
bei Leberzirrhose
einher. Der Kalorienbedarf sollte sich,
bezogen auf das Idealgewicht, mit et-
„Leber-Muskel-Achse“ ist Ammoniak. wa 30–35 kcal/kgKG und Tag bemessen
Aktuelle Studien konnten sowohl in stimuliert die Autophagie von [49]. Um den erhöhten Proteinbedarf
vitro als auch im Tiermodell zeigen, Skelettmuskelzellen zu decken, wird eine Eiweißzufuhr von
dass Ammoniak bei der Entstehung etwa 1,2–1,5 g/kgKG und Tag empfoh-
der Sarkopenie bei Leberzirrhose sogar len [49], wobei pflanzliche Proteine
eine Schlüsselrolle zukommen könnte Die Bedeutung von Ammoniak bei der aufgrund ihres erhöhten Anteils von
[42, 43]. So führt eine Hyperammon- Entstehung der Sarkopenie wird noch BCAA tierischen Proteinen mutmaßlich
ämie zu einer erhöhten Expression von deutlicher, wenn man beachtet, dass die vorzuziehen sind ([36]; . Tab. 4). Um
Myostatin, beeinträchtigt gleichzeitig Ammoniakentgiftung durch die skelett- Nüchternphasen mit Aktivierung der
den mTOR-Signalweg und führt zusätz- muskuläre Glutaminsynthetaseaktivität Glukoneogenese und einhergehender
lich zu einer gesteigerten Phosphory- bei Patienten mit Leberzirrhose den muskulärer Proteolyse zu vermeiden,
lierung des „eukaryotic initiation factor wichtigsten kompensatorischen Mecha- sollten die Mahlzeiten regelmäßig über
2α“ (eIF2α), was insgesamt mit einer nismus zur eigeschränkten hepatischen den Tag verteilt sein. Eine spätabend-
verminderten muskulären Proteinbio- Ammoniakentgiftung durch den Harn- liche kleine Mahlzeit kann helfen, eine
synthese einhergeht [43, 44]. Darüber stoffzyklus darstellt [46]. Durch eine nächtliche Fastenphase zu überbrücken
hinaus wurde gezeigt, dass es unter dem Abnahme der Muskelmasse im Rahmen [23, 36]. Darüber hinaus kann eine Sup-
Einfluss von Ammoniak zu einem An- der Sarkopenie entsteht so ein Teufels-

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Schwerpunkt

Tab. 3 Einschätzung und Diagnostik der Sarkopeniea plementation mit leucinreichen BCAA
Muskelmasse erfolgen.
Bestimmung der Skelettmuskelmasse durch
MRT und CT: erlauben eine sehr genaue Quantifizierung der Skelettmuskelmasse und gelten als
Goldstandard. Häufig liegen entsprechende Befunde z. B. zum HCC-Screening vor. Limitation:
hohe Kosten, Zeitaufwand, Strahlenbelastung im CT
»aufgrund
Pflanzliche Proteine sind
ihres erhöhten BCAA-
„Dual-energy X-Ray absorptiometry“ (DEXA-Scan): erlaubt die Messung von Körperfettmasse,
Knochendichte und fettfreier Masse, die mit der Muskelmasse korreliert. Vorteil: kostengünstige
Anteils tierischen Proteinen
Alternative zu CT und MRT. Nachteil: Strahlenbelastung vorzuziehen
Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA): erlaubt eine Analyse der Körperzusammensetzung und
Skelettmuskelmasse und zeigt gute Korrelation mit DEXA-Scan oder MRT, bislang jedoch weniger
gut validiert. Vorteil: kostengünstig, zeit- und kosteneffizient, fehlende Strahlenbelastung
Die BCAA haben zum einen den po-
Muskelkraft/Muskelkontraktilität
sitiven Effekt, dass sie als Substrat zur
Schnell und kostengünstig durch Handkraftmessung mittel Handdynamometer bestimmbar Synthese von α-Ketoglutarat (α-KG) ge-
Muskelfunktion und Gebrechlichkeit nutzt werden können. Im Rahmen ei-
Gut geeignet für die Einschätzung ist die „short physical performance battery“ (SPPB) beste- ner Hyperammonämie wird im Zitrat-
hend aus: zyklus vermehrt α-KG zu Glutamat ami-
5-mal Sit-to-stand-Test (<11,19 s = 4 Punkte; 11,2–13,69 s = 3 Punkte; 13,7–16,69 s = 2 Punkte;
8,7 s> 1 Punkt; > 60 s = 0 Punkte) niert, wodurch es zu einem Mangel an
Stand mit geschlossenen Füßen (10 s = 1 Punkt; < 10 s = 0 Punkte) α-KG kommt. Eine Supplementation mit
Semitandemstand (10 s = 1 Punkt; < 10 s = 0 Punkte) BCAA kann daher der Depletion von
Tandemstand (10 s = 2 Punkte; 3–9 s = 1 Punkt; < 3 s = 0 Punkte) α-KG und damit auch einer Hyperam-
Benötigte Zeit für die Gehstrecke von 4 m (<4,82 s = 4 Punkte; 4,82–6,2 s = 3 Punkte; monämie entgegenwirken [23, 36]. Zum
6,21–8,7 s = 2 Punkte; 8,7 s> 1 Punkt, Distanz nicht bewältigt = 0 Punkte)
a
anderen stimuliert die BCAA Leucin di-
Sarkopenie: deutlicher Verlust von Muskelmasse, Muskelkontraktilität bzw. Muskelkraft und Muskel-
rekt mTOR und könnte so die Proteolyse
funktion mit der Folge erhöhter Gebrechlichkeit. Für die Sarkopenie im Rahmen einer Leberzirrhose
existieren noch keine feststehenden Grenzwerte und Normbereiche für die Messung der Skelettmus- des Skelettmuskels vermindern [36, 45,
kelmasse. In der Praxis kann man sich jedoch an Grenzwerten und Normbereichen aus dem Bereich der 46]. Eine Cochrane-Metaanalyse beleg-
Geriatrie, wie beispielsweise der European Working Group on Sarcopenia in Older People (EWGSOP) te den positiven Effekt von BCAA auf
orientieren [47] die hepatische Enzephalopathie [50]. Ein
CT Computertomographie, HCC hepatozelluläres Karzinom, MRT Magnetresonanztomographie
ebenfalls protektiver Effekt auf die Ent-
stehung einer Sarkopenie erscheint auf-
Tab. 4 Empfehlungen zur Ernährung bei Leberzirrhose grund der ammoniaksenkenden Eigen-
Die tägliche Kalorienaufnahme sollte (bei nichtadipösen Patienten) etwa 30–35 kcal/kgKG und Tag schaft und der Aktivierung von mTOR
betragen durch Leucin plausibel, ist bislang jedoch
Die tägliche Proteinzufuhr sollte etwa 1,2–1,5 g/kgKG und Tag betragen nicht belegt.
Bei adipösen Patienten kann mit einer moderaten, hypokalorischen Diät (500–800 kcal/Tag) eine
Gewichtsreduktion erwirkt werden, wobei auf eine Proteinzufuhr von etwa 1,5 g/kgKG und Tag
(bezogen auf das Idealgewicht) zu achten ist, um eine ausreichende Zufuhr von Proteinen zu
Kraft- und Ausdauertraining
gewährleisten
Ausdauertraining verbessert die Funk-
Ein Vitaminmangel, insbesondere von Vitamin D, Vitamin B6, Vitamin B12 und Folsäure, sollte ab-
geklärt und im Fall eines Mangels supplementiert werden tion und Kontraktilität des Skelettmus-
Patienten mit Leberzirrhose und Aszites sollte eine salzarme Diät (nicht mehr als 5 g Salz pro Tag)
kels, führt jedoch nicht zwangsläufig zur
empfohlen werden Zunahme der Muskelmasse. Krafttrai-
Eine zusätzliche Gabe von „branched chain amino acids“ (BCAA) kann insbesondere bei Patienten ning hingegen ist ein anaboler Stimulus
mit hepatischer Enzephalopathie erwogen werden und bewirkt einer Zunahme der Skelett-
Generell ist eine ausgewogene Diät zu empfehlen. Abgesehen von Alkohol gibt es keine Nah- muskelmasse. Anderseits führt körperli-
rungsmittel, die in einer adäquaten Diät bei Leberzirrhose „verboten“ sind ches Training zur erhöhten Ammoniak-
Insbesondere bei Patienten mit hepatischer Enzephalopathie sind pflanzliche Proteine gegenüber entstehung und insbesondere Krafttrai-
tierischen als Proteinquelle zu bevorzugen ning kann zur vorübergehenden Erhö-
Mahlzeiten können auf 3 große Mahlzeiten pro Tag sowie 3 kleinere Zwischenmahlzeiten auf- hung des Pfortaderdrucks führen [48].
geteilt werden. So kann trotz eines schnellen Sättigungsgefühls (z. B. durch portalhypertensive Trotz dieser potenziell nachteiligen Ef-
Gastropathie) eine ausreichende Energie- und Proteinzufuhr gewährleistet werden. Zu empfeh- fekte überwiegen jedoch nach aktuel-
len ist auch eine kleine Mahlzeit („Late-night-Snack“) vor dem zu Bett gehen, um die Fastenphase
kurz zu halten lem Kenntnisstand die positiven Auswir-
kungen, weshalb eine Kombination aus
moderatem Kraft- und Ausdauertraining
zur Vermeidung oder Verbesserung eines
sarkopenen Zustands geeignet ist [48].

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K
Schwerpunkt

Supplementation von Testosteron Kohorte von Patienten mit äthyltoxischer ment der 1. Wahl stellt dabei die
Leberzirrhose führte eine 7-tägige intra- Laktulose dar.
Hypogonadismus mit verminderten Se- venöse Gabe von LOLA ebenfalls zur 4 Patienten mit Leberzirrhose haben
rumtestosteronspiegeln tritt häufig bei Senkung der Ammoniakspiegel und zu ein hohes Risiko für Malnutrition.
männlichen Patienten mit Leberzirrhose einem signifikanten Anstieg der Protein- Diesbezüglich sollten alle Patienten
auf und ist einer der Faktoren, der die biosynthese in Muskelbiopsien [52]. Die- mit Zirrhose routinemäßig evaluiert
Entstehung einer Sarkopenie bei Män- se Ergebnisse sind vielversprechend und werden.
nern begünstigt. Die Supplementation könnten künftig eine pharmakologische 4 Der adäquaten Ernährung kommt
von Testosteron bei männlichen Patien- Strategie zur Prävention einer Sarkopenie zur Vermeidung von hepatischer
ten mit Leberzirrhose führt zu einer deut- im Rahmen der Leberzirrhose darstellen. Enzephalopathie und insbesondere
lichen Zunahme der Muskelmasse, ver- Allerdings müssen zunächst prospektive der Sarkopenie ein hoher Stellenwert
bessert die Muskelkraft und führt gleich- klinische Studien beantworten, ob eine zu.
zeitig zur Reduktion der Fettmasse. Eine ammoniaksenkende Therapie auch lang- 4 Bei der Therapie der Sarkopenie sollte
signifikante Auswirkung auf die Mortali- fristig zu einer verringerten Ausprägung ein multimodaler Ansatz mit Ernäh-
tät oder Hospitalisierungsrate sowie auf der Sarkopenie bei Leberzirrhose führt. rungsberatung und Ernährungsthe-
Komplikation der Leberzirrhose, wie he- rapie, moderatem Ausdauer- und
patische Enzephalopathie oder Aszites, Transjugulärer intrahepatischer Krafttraining und möglicherweise
konnte bislang jedoch nicht gezeigt wer- portosystemischer Shunt in Zukunft ammoniaksenkenden
den [51], sodass aktuell keine generelle Maßnahmen verfolgt werden.
Empfehlung zur Testosteronsupplemen- In einer retrospektiven Arbeit aus dem
tation bei männlichen Patienten mit Le- Jahr 2013 wurde gezeigt, dass bei Pati-
Korrespondenzadresse
berzirrhose gegeben werden kann. enten nach Implantation eines TIPS ei-
ne deutliche Zunahme der Muskelmasse Prof. Dr. Frank Tacke
in der Computertomographie verzeich- Medizinische Klinik mit Schwerpunkt
Ammoniaksenkende Therapie zur Hepatologie und Gastroenterologie, Campus
Sarkopenieprophylaxe net werden konnte, während in der Kon-
Virchow Klinikum und Campus Charité Mitte,
trollgruppe ohne TIPS-Intervention die- Charité – Universitätsmedizin Berlin
Vor dem Hintergrund der Mechanismen, ser Effekt ausblieb [53]. Eine weitere Stu- Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin,
die der Entstehung der Sarkopenie bei Le- die erfasste die fettfreie Muskelmasse bei Deutschland
berzirrhose zugrunde liegen, und insbe- Patienten mit Leberzirrhose vor und nach frank.tacke@charite.de
sondere der zentralen Rolle erhöhter Am- TIPS-Intervention. Auch hier wurde be-
moniakspiegel könnte die ammoniaksen- obachtet, dass die fettfreie Muskelmas-
kende Therapie ein vielversprechender se nach TIPS deutlich zunahm. Aller- Einhaltung ethischer Richtlinien
Ansatz sein, um die Entstehung bzw. das dings zeigte sich in einer anderen Studie,
Fortschreiten der Sarkopenie im Rahmen dass insbesondere Patienten, die schon Interessenkonflikt. F. Tacke hat Forschungsgel-
einer Leberzirrhose zu vermeiden. Im vor der TIPS-Intervention – gemessen der von Gilead, Allergan, Bristol-Myers Squibb und
Tiermodell führte eine Hyperammon- an der fettfreien Muskelmasse – eine Sar- Inventiva erhalten. Frank Tacke hat Vortrags- oder
Beraterhonorare von Allergan, Gilead, AbbVie, BMS,
ämie, die bei Ratten durch eine porto- kopenie aufwiesen, ein schlechteres An- Falk, Boehringer, Merz, MYR, CSL Behring, Intercept,
kavale Anastomose erzeugt wurde, be- sprechen auf den TIPS zeigten und ein Inventiva, Novartis, Pfizer und Ionis erhalten. M. Kluge
reits nach einer Woche zu signifikanten höheres Risiko für ein akut-auf-chroni- und M. Demir geben an, dass kein Interessenkonflikt
besteht.
Veränderungen im Sinne einer Sarkope- sches Leberversagen aufwiesen [54]. Ein
nie (geringeres Körpergewicht, geringere TIPS kann zwar die Entstehung einer Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine
fettfreie Körpermasse und verminderte Sarkopenie vielfach verhindern oder so- Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt.
Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort
Greifkraft; [43]). gar umkehren, die Sarkopenie ist jedoch angegebenen ethischen Richtlinien.
keine Indikation zur TIPS-Intervention.

»zeigteUntersichRifaximin und LOLA


ein deutlicher Abfall Fazit für die Praxis Literatur
der Ammoniakspiegel 4 Die hepatische Enzephalopathie (HE) 1. Labenz C, Baron JS (2018) Prospective evaluation
of the impact of covert hepatic encephalopathy
und Sarkopenie sind häufige Kompli- on quality of life and sleep in cirrhotic patients.
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pie mit Rifaximin und LOLA zeigte sich einer Leberzirrhose. 2. Montagenese S, Jasmohan SB (2019) Impact of
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der fettfreien Körpermasse, Greifkraft, zielt vor allem auf die Senkung der encephalopathy as a predictor of survival in
patients with end-stage liver disease. Liver Transpl
Skelettmuskelmasse und der muskulären Ammoniakspiegel ab. Das Medika- 13:1366–1371
Proteinbiosynthese [43]. In einer kleinen

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