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Säure-Basen-Störungen
Carsten Hafer

Die Blutgasanalyse liefert zeitnah adäquate Informationen bezüglich Oxygenierung,


Ventilation und metabolischer Situation inkl. Elektrolyten. Die ausgezeichnete Kor-
relation zur Klinik ermöglicht somit auch eine rasche Optimierung der Versorgung.
Der Fokus dieses Artikels liegt auf einer pragmatischen Hilfestellung der klinischen
Interpretation von Blutgasanalysen als effektiv nutzbares Diagnostikum.

Aus diesem Grund erscheint es ratsam, dieses diagnosti-

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A B K Ü R ZU N G E N sche Mittel in seiner diagnostischen Effektivität zu nut-
ARDS Acute respiratory Distress Syndrome zen. Der Fokus dieses Artikels liegt dementsprechend
BGA Blutgasanalyse auf einer pragmatischen Hilfestellung der klinischen In-
CVVHD kontinuierliche venovenöse Hämodialyse terpretation von Blutgasanalysen.
dRTA distale renale tubuläre Azidose
eGFR geschätzte glomeruläre Filtrationsrate
EZV extrazelluläres Volumen H I N T E RG R U N D IN FO R M AT I O N
H2CO3 Kohlensäure Für klinisch an Elektrolyt- und Säure-Basen-Störung
HCl Salzsäure Interessierte ist in jeder Hinsicht ein Buch von
HCO3− Bikarbonat Halperin, Kamel und Goldstein empfehlenswert [1],
MALA Metformin-assoziierte Laktatazidose lohnenswerte deutschsprachige Übersichten gibt es
paCO2 arterieller CO2-Partialdruck ebenfalls mehrere [2 – 6].
pALVO2 alveolärer O2-Partialdruck
paO2 arterieller O2-Partialdruck
pCO2 O2-Partialdruck Merke
pO2 CO2-Partialdruck Die Blutgasanalyse ist die schnellste und aussage-
PRIS Propofol-Infusionssyndrom kräftige laborchemische Untersuchung zur
RCA regionale Zitratantikoagulation Einschätzung lebensbedrohlicher Krankheitsbilder.
RTA renale tubuläre Azidose
SGLT2 Natrium-Glukose-Kotransporter-2 Allgemeine Grundlagen Physiologie
UAG Urinanionenlücke und Pathophysiologie
Der pH-Wert ist ein Maß für die H+-Ionen-Konzentration.
Da dieser pH-Wert den negativen dekadischen Logarith-
mus der Wasserstoffionen (H+-Ionen-)Konzentration im
Allgemeines, Einleitung menschlichen Körper reflektiert, kommt es bei einer Zu-
Die Bestimmung von Blutgasanalysen ist eine in der In- nahme der H+-Ionen zu einem Abfall des pH-Wertes oder
tensivmedizin elementar verankerte, bettseitige Unter- einfach: zu einer Azidose. Bei einer Alkalose hingegen ist
suchung, die zeitnah adäquate Informationen bezüglich der pH-Wert erhöht, weil die H+-Ionen-Konzentration ab-
Oxygenierung (pO2), Ventilation (pCO2) und metabo- fällt.
lischer Situation (Laktat, HCO3−) nebst Elektrolyten
(meist Na, K und oft auch ionisiertes Ca und Cl) liefert. Zur funktionellen und strukturellen Integrität zellulärer
Die hervorragende Korrelation zur Klinik ermöglicht so- Systeme wird ein stabiler intrazellulärer pH-Wert zwi-
mit auch eine rasche Optimierung der Versorgung, sei es schen 7,10 und 7,30 benötigt. Verschiebungen des pH-
durch Modifikation der respiratorischen oder hämodyna- Wertes gehen mit Beeinträchtigungen von Enzymsyste-
mischen Parameter oder z. B. einer Therapieintensivie- men und Stoffwechselwegen zellulärer Mechanismen
rung durch erweiterte extrakorporale Therapiemaßnah- einher und können schließlich zum Zelltod führen. Das
men. Ausmaß wird wesentlich von der zeitlichen Dynamik der
Veränderungen und begleitenden beeinträchtigenden

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mithilfe des Enzyms Carboanhydrase in beide Richtungen


FAL L B E I S P I E L katalysiert.
Fall 1
Eine 70-jährige Frau wird mit Bauchschmerzen im linken unteren CO2 + H2O ↔ H2CO3 ↔ H+ + HCO3−
Quadranten auf die Intensivstation eingeliefert. An Vorerkrankun-
gen sind bekannt: koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Dys- Entstehende Säuren werden durch Bikarbonat gepuffert,
lipidämie und Divertikulose. Die häusliche Medikation besteht aus: entstehendes CO2 wird über die Lungen abgeatmet, fixe
Aspirin (100 mg tgl.), Metoprolol (97,5 mg tgl.), Amlodipin Säuren werden renal eliminiert. Die traditionelle Säure-
(1 × 5 mg) und Pravastatin (10 mg). Basen-Analyse basiert auf der Henderson-Hasselbalch-
Gleichung (in der pK die Dissoziationskonstante dar-
Bei Aufnahme beträgt der Blutdruck 95/65 mmHg, die Herzfre-
stellt):
quenz liegt bei 86. Es besteht eine leichte Vigilanzminderung, und
die Atemfrequenz ist beschleunigt (20/min), zudem etwas vertieft.
pH = pK + log10 × (HCO3−/[0,03 × paCO2])
Das Abdomen ist aufgebläht und im linken unteren Quadranten
schmerzempfindlich, es besteht Rebound-Empfindlichkeit. Der Rest
Wenn man die Henderson-Hasselbalch-Formel umwan-
der Untersuchung ist unauffällig. Es wird eine chirurgische Konsul-
delt und den Logarithmus auflöst, erhält man die Hender-
tation veranlasst.
son-Formel, die hervorragend zum Ausdruck bringt, dass
Therapeutisch wird eine antibiotische Therapie mit Ceftriaxon und
die Menge an Wasserstoffionen und damit der pH-Wert
Metronidazol eingeleitet und isotonisches Kristalloid verabreicht,
letzten Endes vom Verhältnis zwischen Bikarbonat und

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ferner wird zur weiteren Diagnostik eine Computertomografie des
Kohlendioxid abhängig ist, nicht jedoch von den absolu-
Abdomens und des Beckens angefordert.
ten Werten:
Laborwerte
▪ BGA pH 7,29 H+-Ionen [nmol/l] = 24 × (pCO2 [mmHg]/HCO3− [mmol/l])
▪ HCO3− 14 mmol/l
▪ paCO2 30 mmHg Von der Henderson-Hasselbalch-Gleichung ausgehend
▪ paO2 92 mmHg (2 l O2 via Nasenbrille) können leider nicht alle pH-Wert-Veränderungen erklärt
▪ Laktat 10 mmol/l werden. Insbesondere bei intensivmedizinischen Patien-
▪ Na 140 mmol/l ten ist eine ergänzende Analytik sinnvoll. Darauf wird in
▪ K 5,3 mmol/l den folgenden Passagen näher eingegangen.
▪ Cl 105 mmol/l
▪ Harnstoff 5,2 mmol/l Auf das Strong-Ion-Konzept nach Stewart wird in dieser
▪ Kreatinin 111 µmol/l Übersicht nicht weiter eingegangen, da es den Rahmen
▪ Serumalbumin 36 g/l eines Übersichtsartikels sprengen würde und sein Nutzen
vielfach kritisch gesehen wird [7 – 10]. Ungeachtet davon
ist eine Beschäftigung damit sicher lohnenswert, aus-
führlich behandelt wird dieser Ansatz in einem diesem
Ansatz gewidmeten Lehrbuch [11].
Faktoren (Elektrolytverschiebungen, Oxygenierung, Be-
reitstellung von Metaboliten) bestimmt. Blutentnahmen
Die arterielle Blutgasanalyse reflektiert das Ausmaß der
Cave alveolären Ventilation und kann somit für die Beurteilung
Säure-Basen-Störungen in der Intensivmedizin sind des pulmonalen Gasaustausches verwendet werden. Bei
häufig und oft komplex und führen zu intensivmedizinisch betreuten, insbesondere bei beat-
▪ Alterationen von Rezeptoren/Membranproteinen, meten Patienten wird üblicherweise zu Beginn jeder pfle-
▪ Beeinträchtigung von Stoffwechselprozessen und gerischen Schicht eine Blutgasanalyse (BGA) durch-
▪ Verschiebung der Sauerstoffbindungskurve. geführt.

Puffersysteme limitieren rasche pH-Verschiebungen und Bei Modifikationen der Beatmungstherapie wird der Ef-
entsprechende zelluläre Dysfunktionen. Relevante Nicht- fekt anhand der BGA überprüft, weitere Kontrollen im
Bikarbonat-Puffersysteme sind Hämoglobin und Proteine Sinne eines Monitorings sind notwendig bei einer Nieren-
(in erster Linie Albumin). Diese Puffersysteme befinden ersatztherapie; insbesondere bei einer Zitratantikoagula-
sich im Äquilibrium mit dem Bikarbonat-Puffersystem, tion.
das auch zur Beurteilung von Säure-Basen-Störungen als
verständlichster Ansatz geeignet ist. Ergänzend zu den benannten Routinekontrollen ist es
sinnvoll, Blutgasanalysen bedarfsadaptiert durchzufüh-
Das Bikarbonat-Puffersystem besteht aus Kohlensäure ren. Insbesondere bei instabilen, schwer kritisch kranken
(H2CO3) und Bikarbonat (HCO3−). Die Reaktionen werden Patienten, bei denen nicht hinreichend klar ist, in welche

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Richtung sich die klinische Situation entwickelt, sind eng-
maschige Kontrolle notwendig. Bei Patienten mit stabi- T A K E H O M E M E S SAG E
lem Blutdruck und fehlenden Hinweisen für eine Organ- Säure-Basen-Störungen sind mit Elektrolyt-
minderperfusion bestehen zwischen arteriellen und (zen- veränderungen assoziiert:
tral-)venösen Blutgasanalysen nur geringe Differenzen ▪ (metabolische) Azidose: Hyperkaliämie
des CO2 (venös etwa 1–2 mmHg höher) und des HCO3− ▪ metabolische Alkalose: Hypokaliämie,
(venös etwa 1 mmol niedriger als arteriell). Im Rahmen Hypochlorämie und Hypophosphatämie
eines Schocks mit einem resultierenden Ungleichgewicht
aus Sauerstoffbedarf und ‑angebot wird die Beeinträchti-
gung der Gewebeperfusion und der damit einhergehen-
de Stress der Endorgane gut durch zentral-venöse Blut-
Diagnostik
gasanalysen reflektiert.
1. Schritt: klinische und anamnestische
Zentralvenös erniedrigtes HCO3− weist auf metabolischen Hinweise für eine bestimmte Störung
Stress mit erhöhtem Verbrauch an Bikarbonat. Aus dem des Säure-Basen-Haushalt
höheren CO2 und niedrigerem HCO3− resultiert auch ein Die Symptome der Störung sind vorwiegend von der Dy-
deutlicher Anstieg des Quotienten (CO2/HCO3−) mit ent- namik der Entstehung und der Ursache abhängig. Vor-
sprechend deutlicherem Abfall des pH. Ergänzend zu den erkrankungen weisen oft bereits auf vorbestehende
üblichen arteriellen Blutentnahmen sollten Patienten bei (chronische) Säure-Basen-Störungen und eingeschränkte

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Vorliegen einer hämodynamischen Instabilität und/oder Kompensationsmöglichkeiten hin. So geht rezidivieren-
der Notwendigkeit einer Katecholaminunterstützung des Erbrechen in den Vortagen mit einer metabolischen
zeitgleich eine arterielle und idealerweise zentral-venöse Alkalose (und Volumendepletion) einher, Durchfälle ha-
Blutgasanalyse erhalten, wobei die Persistenz einer Hy- ben meist aufgrund des Bikarbonatverlustes eine meta-
perlaktatämie und eines erhöhten arteriovenösen CO2- bolische Azidose (mit normaler Anionenlücke) zur Folge.
Gradienten mit einem schlechten Outcome assoziiert Die (bisherige) medikamentösen Therapie kann ebenfalls
sind [12 – 14]. wertvolle Hinweise auf die vorliegende Störung geben
(Laktatazidose bei Metformin; Alkalose bei Diuretika etc.).

Patienten mit einer chronischen Nierenfunktionsein-


PR AXIS schränkung oder einer Lungenerkrankung sind aufgrund
Arterielle Blutgasanalyse fehlender Kompensationsmöglichkeiten sehr vulnerabel
▪ Das Monitoring der arteriellen Blutgasanalyse ist hinsichtlich einer Dekompensation.
essenziell zur Beurteilung des pulmonalen Gasaus-
tausches. Weiters ist die Erfassung des klinischen Zustandes des Pa-
▪ Bei Patienten mit schwerer hämodynamischer Be- tienten nötig, die unabdingbar zu einer vernünftigen In-
einträchtigung reflektiert die zentral-venöse Blut- terpretation der Blutgasanalyse gehört.
gasanalyse den Säure-Basen-Status des Gewebes
besser als die arterielle oder peripher-venöse Blut- Merke
gasanalyse. Von zentraler Bedeutung sind die Erfassung der
▪ Je instabiler Patienten sind, desto häufiger sollte Vitalparameter mit Blutdruck und Atemfrequenz (!).
eine BGA durchgeführt werden (Beurteilung der So kann die Kussmaul-Atmung bei Azidose per se
Dynamik). richtungsweisend für eine Intoxikation sein, eine
▪ Mindestens einmal täglich sollten zeitgleich Hypoventilation jedoch auf ein hyperkapnisches
arterielle und (zentral-)venöse BGA abgenommen Koma hindeuten.
werden, bei Patienten im Schock ggf. auch häufi-
ger. Vigilanzeinbußen, die respiratorische Situation, das Vor-
handensein einer peripheren oder zentralen Zyanose
ebenso wie Hinweise auf chronische Leiden (Trommel-
schlägelfinger) und gastrointestinale Symptome (Durch-
fall, Erbrechen) sind wesentliche Aspekte, die es ermögli-
Änderungen der Blutgase gehen sekundär mit Alteratio- chen, einen Blutgasanalysenbefund in den richtigen Kon-
nen der Elektrolytkonzentrationen einher. Bei der meta- text einzuordnen. Die Beurteilung der Diurese und Harn-
bolischen Azidose werden H+-Ionen intrazellulär gepuf- analysen geben zusätzliche Information über die Nieren-
fert, in der Folge kommt es zu einem vermehrten Aus- funktion und ggf. metabolische Störungen.
strom von Kalium aus der Zelle. Bei einem Abfall des pH-
Wertes um 0,1 Einheiten kann ein Kaliumanstieg um Eine wichtige klinische Manifestation von Alkalosen ist
0,6 mmol/l erwartet werden [15]. eine gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit, entspre-

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chend ist die Empfindlichkeit für zerebrale Krampfanfälle Azidosen dagegen sind mit einer Vasodilatation assoziiert
gesteigert. Außerdem begünstigen Alkalosen eine Vaso- und einer Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungs-
konstriktion und können Koronarspasmen induzieren, kurve, dementsprechend kommt es zu einer leichteren
was in der Summe zu therapierefraktären Herzrhyth- Abgabe von Sauerstoff ans Gewebe. Weitere klinisch rele-
musstörungen führen kann. Unterstützt wird dies durch vante Manifestationen sind eine Hypothermie und eine
eine Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve mit Stimulation des Atemzentrums. Bei chronisch manifesten
resultierender verschlechterter Sauerstoffabgabe an das Azidosen besteht zudem eine katabole Stoffwechsellage.
Gewebe. Verstärkt wird dieser Effekt durch eine Min-
derung des Atemantriebs. Bei langsamer Entwicklung
(über Tage hinweg) werden Alkalosen (und Hypoxämien) T I PP
hingegen sehr gut toleriert. Ein beeindruckendes Beispiel ▪ Alkalose: Linksverschiebung → schlechtere
in dieser Hinsicht sind die Blutgasanalysen einer Bergstei- O2-Abgabe ans Gewebe, Vasokonstriktion
gerexpedition auf den Mount Everest [16]. ▪ Azidose: Rechtsverschiebung → leichtere
O2-Abgabe ans Gewebe

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Allen Säure-Basen-Störung gemeinsam ist, dass sie Wesentlich ist, dass in der Beurteilung die Dynamik ent-
mit Einschränkungen der Vigilanz einhergehen kön- scheidend ist. Daher sollten insbesondere bei instabilen
nen, wobei differenzialdiagnostisch metabolische Patienten häufigere Kontrollen durchgeführt werden

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Störungen miterfasst werden sollten (Blutzucker- (s. o.).
entgleisungen, Dysnatriämien, Hyperkalzämie,
Hyperammonämie).
▪ Lungen- und Nierenkranke sind erheblich vulner-
INFOBOX
abler hinsichtlich einer Säure-Basen-Dekompen-
Diagnostik von Säure-Basen-Störungen
sation.
▪ Für die klinische Symptomatologie ist die Dyna- ▪ Klinische und anamnestische Hinweise auf eine
mik der Säure-Basen-Störung wesentlicher als die bestimmte Störung des Säure-Basen-Haushalts?
formal-numerische Änderung. ▪ Identifikation der dominanten Störung
▪ Rasche Änderungen des Säure-Basen-Haushalts ▪ Abschätzen der Kompensation und Abklärung
haben große klinische Auswirkungen. einer sekundären Störung
▪ Bei Änderungen des mentalen Status sollten im- ▪ Diagnose der Ursache durch Bestimmung weiterer
mer an metabolische Störungen gedacht werden. Parameter:
– Anionenlücke und deren Anstieg (ΔAL)
– Abfall der Bikarbonatkonzentration: Ausgangs-
Im intensivmedizinischen Umfeld kann nicht immer diffe- HCO3− (oder 24) – aktuelles HCO3−
renziert werden, ob eine klinische Verschlechterung Aus- – Laktat
druck oder Ursache einer Säure-Basen-Störung ist. Die – Ketone
unzureichende Empfindlichkeit für Katecholamine im Zu- – Urinelektrolyte und pH-Wert → Urinanionen-
sammenhang mit einer schweren (metabolischen) Azi- lücke: Urin-Na+ + Urin-K+ – Urin-Cl−
dose ist Ausdruck der zugrunde liegenden Störung (z. B. – Osmolalität (immer bei V. a. Intoxikation)
beim kardiogenen Schock). Präklinische In-vivo-Studien, und osmotische Lücke
bei denen zur Induktion einer Azidose mit normaler Anio- – Methanol, Ethylenglykol, Salizylat
nenlücke Salzsäure (HCl) und einer Azidose mit hoher
Anionenlücke Milchsäure (Laktat) infundiert wurde, zeig-
te nur geringe Veränderungen des intrazellulären pH.
Wenn die Laktatazidose hingegen durch eine Ischämie in- 2. Schritt: Identifikation der dominanten
duziert wurde, kommt es zu ganz erheblichen Alteratio- Störung
nen [17, 18]. Nach der Erfassung des klinischen Zustands sollte anhand
einer schnellen Orientierung die führende Säure-Basen-
Cave Störung bestimmt werden: Azidose oder Alkalose, meta-
Alkalisierung führt zu einer Vasokonstriktion von bolisch oder respiratorisch.
Arteriolen und geht somit einher mit einer Reduktion
sowohl des zerebralen Blutflusses als auch der Ganz generell unterscheidet man
Koronarperfusion. Rasche Alkalisierung kann zu ▪ respiratorische Störungen mit primärer Änderung des
(therapieresistenten) Rhythmusstörungen führen. CO2:
– respiratorische Azidose: CO2 ↑,
– respiratorische Alkalose: CO2 ↓ von

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▪ metabolischen Störungen mit primärer Änderung des Bei chronisch respiratorischen Störungen kann anhand
Bikarbonats: der initialen Bikarbonatkonzentration das CO2-Niveau
– metabolische Azidose: HCO3− ↓, des Patienten vor der akuten Verschlechterung rück-
– metabolische Alkalose: HCO3− ↑. gerechnet werden. Letzteres ist von entscheidender Be-
deutung für die Entwöhnung vom Respirator.
Bei einer Azidose (pH < 7,36) ist die H+-Ionen-Konzentra-
tion angestiegen (> 44 nmol/l), was nur durch Erhöhung
des Quotienten aus CO2 und HCO3− möglich ist. Entspre- T A K E H O M E M E S SAG E
chend muss ein CO2-Anstieg (respiratorische Azidose) ▪ Primäres Ziel der physiologischen Kompensation
oder ein HCO3−-Abfall (metabolische Azidose) vorliegen. einer Säure-Basen-Störung ist es, die maximale
Bei einer kombinierten Störung resultieren deutlich aus- Abweichung des pH-Werts vom Normalbereich
geprägtere Abweichungen vom Normwert. zu verringern, nicht jedoch, einen normalen pH-
Wert wiederherzustellen.
Entsprechend ist bei der Alkalose entweder das HCO3− er- ▪ Bei Niereninsuffizienz fehlt die metabolische
höht (metabolische Alkalose) oder das CO2 im Rahmen Kompensation → respiratorische Störungen wir-
einer Hyperventilation erniedrigt (respiratorische Alkalo- ken sich stärker aus.
se). ▪ Bei Lungenerkrankungen ist die respiratorische
Kompensation eingeschränkt → metabolische
3. Schritt: Abschätzen der Kompensation Störungen wirken sich stärker aus.

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und Abklärung einer sekundären Störung ▪ Bei akuten respiratorischen Störungen findet sich
Kompensationsmechanismen haben den Sinn, die Aus- nur eine geringe Änderung des Bikarbonats.
wirkungen einer Blutgasstörung zu begrenzen, nicht je-
doch einen normalen pH-Wert von ca. 7,4 zu erzielen.
Anhand empirischer Beobachtungen lässt sich relativ gut
Metabolische Störungen werden respiratorisch, und um- Art und Ausmaß der Kompensation einer Säure-Basen-
gekehrt werden primär respiratorische Störungen meta- Störung vorhersagen (▶ Tab. 1).
bolisch kompensiert, wobei die zeitliche Dynamik sehr
unterschiedlich ist. Während die Ventilation innerhalb 4. Schritt: Diagnose der Ursache durch Be-
von Minuten mit einhergehender respiratorischer Elimi- stimmung weiterer Parameter und Evaluation
nierung von CO2 erhöht bzw. reduziert werden kann und auf das Vorliegen einer gemischten Störung
die respiratorische Kompensation nach 12–24 h weit- Häufig kommt es im klinischen Alltag auch zu „komple-
gehend abgeschlossen ist, benötigt die metabolische xen“ oder „gemischten“ Säure-Basen-Störungen. Zu de-
Kompensation durch die Niere einige Tage. Dieser Um- ren Abklärung sollten weitere diagnostische Hilfsmittel
stand kann gut für differenzialdiagnostische Zwecke ge- genutzt werden.
nutzt werden, denn anhand der HCO3−-Konzentration
lässt sich zurückverfolgen, ob ein respiratorisches Prob-
lem akut oder chronisch vorliegt.

▶ Tab. 1 Art und Ausmaß der Kompensation einer Säure-Basen-Störung.

metabolische Azidose metabolische Alkalose respiratorische Azidose respiratorische Alkalose


pH < 7,38 pH > 7,42 pH < 7,38 pH > 7,42
HCO3− < 22 mmol/l HCO3− > 26 mmol/l paCO2 > 44 mmHg paCO2 < 36 mmHg
respiratorische Kompensation metabolische Kompensation
↓ paCO2 [mmHg] = ↑ paCO2 [mmHg]= ↑ HCO3− [mmol/l] = ↓ HCO3− [mmol/l] =
40 – (ΔHCO3− × 1,2) 0,7 × (HCO3−−24) + 40 akut: 0,1 × (paCO2 40) akut: 0,2 × (40–paCO2)
oder oder chronisch: 0,4 × (paCO2–40) chronisch: 0,4 × (40–paCO2)
aktuelles HCO3− + 15 HCO3− + 15 mmHg
oder oder
1,5 × aktuelles HCO3− + 8 ± 2 0,7 × ΔHCO3− + 20 mmHg
12–24 h 24–36 h 2–5 Tage 2–5 Tage

akt. HCO3− = aktuelles HCO3−; ΔHCO3− = Abfall des HCO3−; paCO2 = arterieller CO2-Partialdruck

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Anionenlücke
Die Bestimmung der Anionenlücke sollte bei allen Inten- T A K E H O M E M E S SAG E
sivpatienten idealerweise bei Aufnahme und im Verlauf ▪ errechnete Osmolalität = 2 × Na+ + Glukose +
der Behandlung (inkl. ΔAL) bestimmt werden, um eine Harnstoff (alle in [mmol/l]).
Differenzierung der Ätiologie einer metabolischen Azi- ▪ osmotische Lücke = gemessene − errechnete
dose zu ermöglichen. Osmolalität

Anionenlücke = Na+ – (HCO3− + Cl−)


Anstieg der Anionenlücke und Beziehung
Eine vergrößerte Anionenlücke (> 15 mmol/l) weist auf zum Bikarbonatabfall
eine exogen oder endogen bedingt Zunahme von Säuren Hilfreich ist die Bestimmung des Delta-Gap (ΔGap). Es
hin, meist Ketone, Laktat, Sulfat oder Metabolite von Me- bezeichnet den Anstieg der Anionenlücke (ΔAL) in Rela-
thanol, Ethylenglykol oder Salizylaten [19]. Beim Verlust tion zum Abfall des HCO3− (ΔHCO3−).
von Bikarbonat liegt eine normale Anionenlücke
(< 12 mmol) vor. Zudem ist eine prognostische Einschät- ΔGap = (AL – 12)/(24 – HCO3−) = ΔAL/ΔHCO3−
zung möglich, da eine deutliche Assoziation zur Mortali-
tät besteht [20]. Dieser Quotient (ΔAL/ΔHCO3−) kann zur differenzialdiag-
nostischen Abklärung der metabolischen Azidose und zur
Detektion der Koexistenz weiterer Säure-Basen-Störun-

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T A K E H O M E M E S SAG E gen genutzt werden [21, 22]. Bei der diabetischen Keto-
▪ Anionenlücke: Na+ – (HCO3− + Cl−); Normalwert azidose beträgt der Quotient 1 (ΔAL = HCO3−), bei der
12 ± 4 Laktatazidose ist die ΔAL meist etwas größer als ΔHCO3−
▪ Albuminkorrektur: wahre Albuminkonzentration (Δ Gap also 1–1,5) (s. ▶ Tab. 2). Bei deutlich erhöhter
= Anionenlücke + 0,25 × (44 − gemessenes Anionenlücke liegt meist eine zusätzliche, häufig vor-
Albumin [g/l]) bestehende metabolische Alkalose oder respiratorische
▪ Eine Azidose mit erhöhter Anionenlücke weist auf Störung vor.
eine exogen oder endogen bedingte Zunahme/
Zufuhr von Säuren hin. Urinanionenlücke
Die Bestimmung der Urinelektrolyte und der Urinanio-
nenlücke ist ein sehr hilfreiches (und kostengünstiges!)
Das Akronym KUSSMAUL bietet eine gute Hilfestellung Instrument in der ätiologischen Abklärung metabolischer
für die wichtigsten Differenzialdiagnosen der metabo- Probleme [23, 24].
lischen Azidose (s. Infobox). Die Laktatazidose ist bei kri-
tisch kranken Intensivpatienten die häufigste metabo- Urinanionenlücke = Urin-Na + Urin-K – Urin-Cl
lische Azidose mit erhöhter Anionenlücke. Zusätzlich soll-
ten die Osmolalität und die osmotische Lücke bestimmt Vereinfachend lassen sich folgende Aussagen machen:
werden, da Intoxikationen eine wichtige Differenzialdiag- ▪ Eine negative Urinanionenlücke = Urin-Cl− > (Urin-Na+
nose darstellen (insbesondere bei Vigilanzeinbußen) + Urin-K+) weist auf ungemessene Kationen im Urin
[19]. hin (Ammoniumchlorid). Bei Patienten mit metabo-
lischer Alkalose deutet dies auf eine renale Genese
der metabolischen Alkalose hin (z. B. durch Diuretika).
▪ Die positive Urinanionenlücke = (Urin-Na+ + Urin-K+)
INFOBOX > Urin-Cl− ist ein Hinweis auf die Ausscheidung von
Differenzialdiagnose der metabolischen Azidose nicht gemessenen Anionen (Bikarbonat oder Ketone,
mit erhöhter Anionenlücke Laktat etc.). Bei einer bestehenden metabolischen Al-
Akronym „KUSSMAUL“ als Hilfestellung: kalose weist dies auf die renale Konservierung von
Chlorid hin. Diese Form wird v. a. bei der posthyper-
▪ Ketoazidose
kapnischen metabolischen Alkalose gesehen.
▪ Urämie
▪ Salizylate
▪ Methanol
▪ andere Alkohole, z. B. Ethylenglykol
▪ unbekannte Toxine (Intoxikation)
▪ Laktatazidose

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▶ Tab. 2 Verhältnis zwischen dem Anstieg der Anionenlücke (ΔAL) und dem Abfall der Bikarbonatkonzentration (ΔHCO3−).

Auswirkungen

Quotient ΔAL/ΔHCO3 = ΔGap
ΔGap < 0,4 hyperchlorämische Azidose
ΔGap = 0,4–0,8 kombinierte Azidose mit hoher Anionenlücke und hyperchlorämische Azidose oder
urämische metabolische Azidose
ΔGap = 1–2 Azidose mit hoher Anionenlücke
ΔGap > 2 präexistent hohe Bikarbonatkonzentration (metabolische Alkalose oder chronische
respiratorische Azidose)
Differenz ΔAL−ΔHCO3−
ΔAL–ΔHCO3− = 0 ± 5 mmol/l reine Ketoazidose
0,6 × ΔAL − ΔHCO3− = 0 ± 5 mmol/l reine Laktatazidose
ΔAL−ΔHCO3− > 5 mmol/l zusätzliche metabolische Alkalose

ΔAL−ΔHCO3 < − 5 mmol/l zusätzliche Azidose mit hoher Anionenlücke

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T A K E H O M E M E S SAG E INFOBOX
Säure-Basen-Störungen gehen mit Änderungen der Algorithmus zur Beurteilung einer metabolischen
Elektrolytkonzentration einher. Insofern dient die Azidose
Anionenlücke als wertvolles Instrument zur Diagnos- 1. Korrektur für den Albuminspiegel (2,5 Anionen-
tik metabolischer Störungen. lücke ↓/10 g Albumin/dl ↓)
▪ Natrium, Kalium und Chlorid müssen in die diffe- 2. Berechnung des Anstiegs der AL (ΔAL = korrigierte
renzialdiagnostischen und ‑therapeutischen Anionenlücke − 12) und Bestimmung ΔGap
Überlegungen einbezogen werden. (ΔAL/ΔHCO3−)
▪ Urinelektrolyte sind ein hervorragendes ergän- 3. Bestimmung des Laktatspiegels
zendes diagnostisches Tool. 4. Ketonsäuren im Urin bestimmen (v. a. bei Malnutri-
tion oder unkontrolliertem Diabetes mellitus)
5. Erfassung und Bestimmung der Nierenfunktion
Metabolische Azidose 6. bei Verdacht auf Intoxikation: Bestimmung der
osmotischen Lücke und ggf. des Alkoholspiegels
Metabolische Azidosen sind definiert durch gleichzeitige (Ethanol, Methanol, Ethylenglykol)
Erniedrigung von pH-Wert (< 7,36) und Bikarbonat
(< 22 mmol/l). Klinisch macht sich eine schwere Azidose Zusatzuntersuchungen
v. a. durch eine Vigilanzminderung mit Lethargie und ggf. ▪ Salizylatspiegel bei ASS-Einnahme
sogar Stupor oder Koma bemerkbar. Ergänzend besteht ▪ D-Laktate bei Vorgeschichte einer Darmerkran-
eine tiefe (Kussmaul-)Atmung, die Teil der respiratori- kung (Darmresektion, Kurzdarmsyndrom, chro-
schen Kompensation ist, oft jedoch als „respiratorischer nisch entzündliche Darmerkrankungen)
Stress“ fehlinterpretiert wird. Weitere klinische Manifes- ▪ 5-Oxoprolin (Serum oder Urin) bei Malnutrition
tationen können eine warme Haut aufgrund der einher- und/oder Einnahme von Acetaminophen
gehenden Vasodilatation und (selten) eine Hypothermie
sein [19].

Metabolische Azidosen
mit hoher Anionenlücke Laktatazidose
Wichtig und hilfreich für die weitere Therapie ist die Dif- Die Laktatproduktion kann akut auf ein Vielfaches anstei-
ferenzierung zwischen der Entstehung einer metabo- gen, wird jedoch dann auch schnell wieder metabolisiert.
lischen Azidose durch den Verlust von Bikarbonat oder Intensivmedizinisch sieht man dies z. B. nach Krampf-
aber durch die endogene Entstehung oder exogene Zu- anfällen.
fuhr von Säuren. Ein wichtiges diagnostisches Werkzeug
ist hierfür die Bestimmung der Anionenlücke (s. o.). Eine Laktatazidose entsteht, wenn Laktat nicht mehr bzw.
unzureichend abgebaut wird, vereinfacht gibt es entspre-
chend zwei Ansätze:

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▪ Typ-A-Laktatazidose: Gewebehypoperfusion und Hy- Cave


poxie; Steigende Laktatwerte sind ein prognostisch
▪ Typ-B-Laktatazidose: veränderter Laktatstoffwechsel, schlechtes Zeichen: Je höher das Serumlaktat, desto
häufig in Verbindung mit Medikamenten/Toxinen größer ist das Risiko zu versterben. Bei Patienten
(Metformin!) oder bei Mitochondriopathien. mit deutlich erhöhtem Serumlaktat (> 10 mmol)
und weitgehender hämodynamischer Stabilität sollte
Merke eine Typ-B-Laktatazidose vermutet werden.
Laktat ist eine Base und nicht toxisch!
Bei der nicht hypoxischen Laktatazidose (Laktatazidose
Die Typ-A-Laktatazidose ist die mit Abstand häufigste Ur- Typ B) kommt es zu einem gestörten Metabolismus von
sache (> 50 %) einer metabolischen Azidose mit erhöhter Laktat. Ein Beispiel ist die Einschränkung der Pyruvatde-
Anionenlücke, meistens als Folge eines Schocks mit resul- hydrogenase-Aktivität bei der Thiamindefizienz, die häu-
tierender Gewebehypoxie. Die Sterblichkeit im Rahmen fig bei Patienten mit Malnutrition und Alkoholikern be-
bzw. vielmehr mit einer Laktatazidose kann über 60 % be- steht. Da ein (relativer) Thiaminmangel nicht aus-
tragen [25], was bedeutend höher ist als bei einer Keto- geschlossen werden kann, sollten parallel zu hämodyna-
azidose (5–10 %) [26]. Das Ausmaß der Laktatazidose misch stabilisierenden Maßnahmen 500 mg Thiamin i. v.
bzw. der Anstieg des Laktatspiegels korreliert direkt mit appliziert werden (auch als Bolusinjektion möglich) [30].
der Mortalität.
Die Verabreichung von Thiamin innerhalb von 24 h nach

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Eine regelmäßige und wiederholte Kontrolle der Laktat- der Einlieferung bei Patienten, die einen septischen
spiegel ist ein Eckpfeiler des Monitorings. Entsprechend Schock erlitten, war mit einer verbesserten Laktat-Clea-
sollten erhöhte Laktatwerte (> 2 mmol/l) eine kritische rance und einer Verringerung der 28-Tage-Mortalität im
Begutachtung des Patienten und der Dynamik nach sich Vergleich zu Kontrollen verbunden. Ein steigender Laktat-
ziehen mit regelmäßiger Kontrolle der Laktatspiegel, wo- spiegel unter bereits laufender Nierenersatztherapie ist
bei zentral-venöse und arterielle Werte gleichwertig sind ein „signum mali ominis“, ein Zeichen schlechter Vor-
[27 – 29]. bedeutung [31 – 34].

T I PP
INFOBOX Wichtig ist das Beobachten der Dynamik: Abhängig
Intensivmedizinische Differenzialdiagnose aus- von der Dynamik der Erkrankung und des metabo-
geprägter Laktatazidosen (Laktat > 6 mmol/l) lischen Stresses sollte eine mit dem pH-Wert und
dem Bikarbonat gleichläufige Entwicklung des CO2
Typ A (Gewebehypoxie) beobachtet werden:
▪ (nach) Reanimation ▪ Ein Bikarbonatabfall im Verlauf (metabolischer
▪ alle Formen eines Schocks mit einhergehender Stress!) ohne parallelen CO2-Abfall ist ein Hinweis
Gewebehypoxie, z. B. auf respiratorische Erschöpfung (→ ggf. Intuba-
– kardiogener Schock tion)!
– septischer Schock ▪ Ein steigender CO2/HCO3−-Quotient führt rasch
– Hämorrhagie/hämorrhagischer Shock zu erheblicher Azidifizierung.
▪ Mesenterialinfarkt
▪ akute respiratorische Alkalose
Bei Patienten mit ausgedehntem Lymphombefall und/
Typ B (nicht hypoxisch)
oder Leukämie ist eine Laktatazidose oft mit einer Hypo-
▪ Substratmangel, z. B. Thiaminmangel (!) glykämie assoziiert, die relativ refraktär auf eine Glukose-
bei Malnutrition infusion ist. Therapeutisch sollten hier ergänzend zur Glu-
– Lymphom (erhöhter Metabolismus) kose großzügig Thiamin und Riboflavin substituiert wer-
– Leberdysfunktion den [35]. Aufmerksam sollte die Medikation begutachtet
▪ Medikamente, z. B. werden, da mehrere Präparate den Laktatabbau hemmen
– Metformin (s. u.) können (Metformin, Salizylate, Isoniazid, Zidovudin u. a.).
– Salizylate
– Propofol Die Laktatazidose bei zerebralen Krampfanfällen ist pas-
sager und anders als die meisten der anderen o. g. Ur-
Laktatanstieg ohne Azidose
sachen zumeist mit einer Normokaliämie assoziiert; nach
▪ bei akuter respiratorischer Alkalose
Sistieren des Krampfgeschehens kommt es zu einer ra-
▪ laktathaltige Infusionen (z. B. Ringerlaktat)
schen Metabolisierung des im Rahmen der gesteigerten
muskulären Aktivität entstandenen Laktats. Bei großen

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Infusionsmengen mit Ringer-Laktat kann der Laktatspie-
FAL L B E I S P I E L gel ebenfalls leicht ansteigen. Dies ist jedoch patho-
Fall 1 (Fortsetzung) logisch nicht relevant, da Laktat selbst nicht toxisch ist
und üblicherweise bei wiederhergestellter Perfusion auch
Störung des Säure-Basen-Haushalts eine verbesserte Laktatclearance besteht [29, 36, 37].
Angesichts der klinischen Präsentation und der
Metformin
Anamnese der Divertikelerkrankung ist die wahr-
scheinlichste Ätiologie eine Darmperforation mit Nach den aktuellen Leitlinien kann Metformin bei stabilen
anschließender Peritonitis und septischem Verlauf. Patienten bis zu einer geschätzten glomerulären Filtra-
Die dabei zu erwartende Säure-Basen-Störung wäre tionsrate (eGFR) von 45 ml/min verabreicht werden. Bei
eine metabolische Azidose. Die Tachypnoe deutet einer akuten höhergradigen Nierenschädigung akkumu-
auf die respiratorische Kompensation (Kussmaul- liert es jedoch und inhibiert bei erhöhten Konzentratio-
Atmung) hin. nen den mitochondrialen Stoffwechsel.

Identifikation der dominanten Störung Die Metformin-assoziierte Laktatazidose (MALA) tritt im


Der pH beträgt 7,29, also liegt eine Azidose vor. Allgemeinen mit Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit auf
Bei vermindertem Bikarbonat handelt es sich um eine und ist bei Patienten mit Diabetes mellitus (und damit
metabolische Azidose. meist mit zahlreichen Komorbiditäten behafteten) Pa-
tienten meist mit einer Sepsis assoziiert [38, 39]. Bei allen

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Abschätzen der Kompensation und Abklärung kritisch kranken Patienten sollte die Einnahme von Met-
einer sekundären Störung formin gestoppt werden [40]. Die Sterblichkeit der MALA
Im Rahmen der respiratorischen Kompensation sollte ist hoch (ca. 50 %), aber besser als bei den Typ-A-Laktat-
das CO2 sinken. Zu erwarten ist ein Abfall von 1– azidosen (Mesenterialinfarkt, septischer oder kardio-
1,2 mmHg CO2 pro mmol Bikarbonatabfall. Entspre- gener Schock).
chend ist bei einem aktuellen Bikarbonat von
14 mmol/l (ca. ΔHCO3− ≈ 10 mmol/l) ein Abfall des Therapeutisch sollte eine Nierenersatztherapie (idealer-
CO2 von 10–12 mmHg zu erwarten. Die respirato- weise eine Hämodialyse) durchgeführt werden, da damit
rische Kompensation ist angesichts des CO2 von nicht nur die metabolische Azidose ausgeglichen, son-
30 also trotz des azidotischen pH 7,29 adäquat (!). dern auch Metformin eliminiert werden kann [41 – 44].
Eine zusätzliche respiratorische Störung liegt somit
(noch) nicht vor.

Diagnose der Ursache durch Bestimmung


weiterer Parameter und Evaluation auf INFOBOX
das Vorliegen einer gemischten Störung Metformin-assoziierte Laktatazidose (MALA)
Das ΔGap bezeichnet das Verhältnis zwischen ΔAL MALA sollte erwogen werden, wenn folgende Punkte
und ΔHCO3− und ist eine wertvolle Hilfe zur Detek- vorliegen:
tion einer Koexistenz weiterer Säure-Basen-Störun- ▪ Metformin taucht in der häuslichen Medikation auf
gen. Im Fallbeispiel beträgt die Anionenlücke 21 (Diabetes mellitus Typ 2)
(140–105–14), die ΔAL 9 (21–12) und das ΔHCO3− ▪ erhöhter Laktatspiegel (> 5 mmol/l)
10, somit das ΔGap ca. 0,92 (11/12) – sehr gut mit ▪ erhöhte Anionenlücke (> 20 mmol/l)
der Diagnose einer (alleinigen) Laktatazidose verein- ▪ (bekannte) Niereninsuffizienz (eGFR < 45 ml oder
bar. Kreatinin > 177 µmol/l)
Zur diagnostischen Bestätigung sollte der Met-
Fazit
forminspiegel bestimmt werden (Referenzbereich
Der Schlüssel zur Bewältigung der Laktatazidose ist 1–2 µg/ml).
die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache, in
diesem Falle also der Infektion. Entsprechend sollten
bei dieser Patientin eine operative Versorgung der
Divertikulitis und eine Optimierung der Hämodyna-
mik und Besserung der Mikrozirkulation erfolgen.

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Ketoazidosen Meist fühlen sich die Patienten anfangs nicht wohl („Un-
Bei der diabetischen Ketoazidose führt eine Insulindefi- wohlsein“), vereinzelt klagen sie auch über Übelkeit. Der
zienz zu einer verstärkten Lipolyse und damit zu einer Ak- Mechanismus der euglykämischen diabetischen Ketoazi-
kumulation von Ketonsäuren im Extrazellulärraum. Die dose ist vermutlich Folge eines veränderten Insulin/Glu-
Hyperglykämie induziert eine osmotische Diurese und kagon-Verhältnisses. Denn gleichzeitig kommt es auf-
Natriurese, sodass ergänzend zur diabetischen Ketoazi- grund der verringerten Insulinspiegel als auch durch eine
dose meist eine Hypovolämie mit Kontraktion des Extra- Hemmung des SGLT2-vermittelten Transports von Gluko-
zellulärvolumens vorliegt. Letzteres ist bedeutsam, weil se in pankreatische α-Zellen zu einer erhöhten Glukagon-
durch die intravasale Volumenkontraktion das Ausmaß freisetzung. Das niedrige Insulin/Glukagon-Verhältnis
der Azidose eher unterschätzt wird. führt zu einer erhöhten Lipolyse und der Freisetzung frei-
er Fettsäuren, die durch β-Oxidation in Ketonkörper um-
Die Therapie der diabetischen Ketoazidose fokussiert sich gewandelt werden [48, 49].
entsprechend auf eine allmähliche (!) Absenkung des
Blutzuckers durch Insulin, womit einhergehend die Lipo- Die klinische Behandlung mit isotonischer Flüssigkeit und
lyse und Bildung weiterer Ketonsäuren gebremst wird. Insulin ähnelt der bei „klassischer“ diabetischer Ketoazi-
Diagnostisch kann dies durch Nachweis von Ketonkör- dose. Zudem ist die SGLT2-Inhibitor-Therapie unverzüg-
pern im Urin kontrolliert werden. lich abzusetzen. Durch die Gabe von Insulin kommt es
zur Inhibierung der Lipolyse, was schließlich eine Oxida-
tion der Ketonsäuren mit Bildung von Bikarbonat bewirkt

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T A K E H O M E M E S SAG E [50, 51]. Da die Patienten mit weitgehend „normalen“
▪ Therapie der diabetischen Ketoazidose: Insulin Blutzuckerwerten starten, muss im Gegensatz zu der
und Volumensubstitution mit isotoner Vollelek- „klassischen“ diabetischen Ketoazidose (die fast immer
trolytlösung. deutlich erhöhte Blutglukosespiegel > 300 mg/dl auf-
▪ Sind im Urin keine Ketone vorhanden, ist eine dia- weist) bei der Therapie mit Insulin verstärkt darauf geach-
betische Ketoazidose unwahrscheinlich. tet werden, eine Hypoglykämie zu vermeiden.
▪ Diabetische Ketoazidosen werden auch unter
SGLT2-Inhibition beobachtet. Bei Ketoazidose Entsprechend ist neben der unabdingbaren Insulinthera-
unter einer Therapie mit SGLT2-Inhibitor wird die pie eine frühzeitige Gabe von Glukose notwendig.
Wiederaufnahme der Behandlung nicht empfoh-
len. Propofol-Infusionssyndrom (PRIS)
Das Propofol-Infusionssyndrom ist aufgrund der zuneh-
menden und oft längerfristigen Anwendung von Propofol
Die Indikation zur Bikarbonatinfusion sollte sehr zurück- eine zwar seltene, aber mit einer hohen Mortalität (ca.
haltend gestellt werden (ggf. bei pH < 6,9). Bei Kindern 30 % nach FDA [52]) verbundene und wichtige Differen-
mit diabetischer Ketoazidose war Bikarbonatgabe (neben zialdiagnose bei Patienten mit Laktatazidose. Das PRIS
hohen initialen Harnstoffwerten und einer respiratori- tritt nach 3 Tagen Behandlung mit Propofol bei etwa
schen Alkalose) ein Risikofaktor für die Entwicklung eines 1,1 % der Patienten auf. Die Toxizität wird auf eine Stö-
Hirnödems [45 – 47]. rung der intrazellulären Energieproduktion zurück-
geführt. Zu den prädisponierenden Faktoren gehören:
Weitere Ketosen ▪ kritische Erkrankung mit erforderlicher vasopressori-
Mit der Zunahme der Verschreibung von Natrium-Gluko- scher Unterstützung,
se-Kotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2-Inhibitoren, z. B. ▪ Propofoldosen > 4–5 mg/kgKG/h und
Empagliflozin) häufen sich euglykämische diabetische ▪ Propofolinfusionen über > 48 h [52, 53].
Ketoazidosen. Eine hohe Serumanionenlücke und der
deutliche Nachweis von Ketonen im Urin sowie (fast) nor- Ergänzend zur Laktatazidose finden sich beim PRIS Hy-
male Serumglukose unterstützen diese Diagnose. SGLT2- perlipidämie, Rhabdomyolyse, Nierenfunktionsstörun-
Inhibitoren bewirken eine vermehrte renale Glukoseaus- gen, eine kardiale Dysfunktion und häufig EKG-Verän-
scheidung, die einem signifikanten Anteil der täglich auf- derungen, die dem Brugada-Syndrom ähneln. Die we-
genommenen Kohlenhydratmenge entspricht. Prädispo- sentlichste therapeutische Maßnahme besteht in der Be-
nierende Faktoren sind Nüchternperioden, Alkoholge- endigung der Propofoltherapie [54].
nuss, Infekte oder sportliche Betätigung. Die (inadäqua-
te) Reduktion der Insulindosis bei eigentlich erhöhtem In- Rhabdomyolyse
sulinbedarf löst eine Hyperketonämie aus. Wegen der an- Auch wenn im KUSSMAUL-Akronym kein Buchstabe für
haltenden Glukosurie ist der Blutzuckerspiegel meist nur die Rhabdomyolyse steht, ist dies doch eine intensivme-
leicht erhöht, sodass Insulin und Essen reduziert wird. dizinisch häufiger anzutreffende Ursache für eine meta-
Diese Maßnahmen beschleunigen jedoch die Ketonpro- bolische Azidose mit hoher Anionenlücke [55].
duktion und damit die metabolische Dekompensation.

92 Hafer C. Säure-Basen-Störungen Intensivmedizin up2date 2021; 17: 83–106 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Salizylate
Salizylatintoxikationen treten häufig im Rahmen von Sui- T HE R AP I E
zidversuchen auf [56]. Die Patienten weisen eine kom- Therapie bei gesicherter oder vermuteter Intoxikation
binierte Säure-Basen-Störung auf. Neben einer metabo- mit Methanol oder Ethylenglykol
lischen Azidose mit erhöhter Anionenlücke kommt es
durch die Stimulation des Atemzentrums zu einer respira- Indikation
torischen Alkalose. Die Azidose ist vermutlich nicht nur Verdächtig auf eine Intoxikation mit Methanol oder Ethylenglykol
auf die Salizylsäure selbst zurückzuführen, sondern auch ist eine metabolische Azidose mit hoher Anionenlücke. Therapie-
auf eine in der Regel begleitende (Typ-B-)Laktat- und einleitung, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
Ketoazidose. Ursache hierfür ist eine mitochondriale Toxi- ▪ dokumentierte Ingestion toxischer Mengen von Ethylenglykol
zität mit Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung. oder Methanol und osmotische Lücke > 10 mOsm/l
Die zusätzlich auftretende Hyperglykämie und Keto- oder
azidose erschweren und verzögern leider häufig die Diag- ▪ erhöhter Plasmaspiegel: Ethylenglykol > 20 mg/dl (3,2 mmol/l)
nose. bzw. Methanol > 20 mg/dl (6,2 mmol/l)
oder
Klinische Manifestationen sind Übelkeit, Erbrechen und ▪ vermutete Ingestion toxischer Mengen von Ethylenglykol oder
Tinnitus (!). Viele Patienten weisen weiters eine Ände- Methanol
rung des mentalen Zustands und ein nicht kardiogenes ▪ metabolische Azidose (Bikarbonat < 20 mmol/l, arterieller
Lungenödem auf. Bei ausgeprägten Intoxikationen kön- pH-Wert < 7,3)

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nen sich Krampfanfälle, Koma, Koagulopathie und Hyper- ▪ osmotische Lücke > 10 mOsm/l
pyrexie entwickeln, häufig liegt auch eine Hypokaliämie ▪ Nachweis von Oxalatkristallen im Urin (Ethylenglykol)
vor.
Therapeutisches Vorgehen
Spitzenkonzentrationen von Salizylsäure treten gewöhn- ▪ Initialdosis Fomepizol 15 mg/kgKG, danach 10–15 mg/kgKG alle
lich etwa 1 h nach der Einnahme auf, sodass die Verwen- 12 h
dung von Aktivkohle bei diesem Patienten wahrscheinlich ▪ Hämodialyse bei schwerem Verlauf (Sehstörungen, Zeichen einer
unzureichend wirksam ist. Bei milden Formen der Salizy- Nierenfunktionseinschränkung, hoher Spiegel)
lattoxizität ist eine Alkalisierung Therapie der 1. Wahl.
Vorteile von Fomepizol:
Durch die Infusion von Bikarbonat sollte ein pH zwischen
▪ bereits bei geringen Serumkonzentrationen wirksam
7,5 und 7,6 angestrebt werden.
▪ minimale Nebenwirkungen
▪ kein Einfluss auf die mentale Aktivität, erleichtert die Beurteilung
Die Harnausscheidung von Salizylat ist abhängig von der
des klinischen Verlaufs
Sekretion aus dem proximalen Tubulus, die Alkalisierung
▪ Serum-Osmolalität wird nicht beeinflusst
des Urins fördert die Ausscheidung. Eine Erhöhung des
Urin-pH von 5 auf 8 kann die Salizylat-Clearance um das Nachteile von Fomepizol:
10- bis 20-Fache erhöhen. Patienten mit einer schweren ▪ nicht überall sofort zum Einsatz vorhanden
Salizylatvergiftung sollten indes so bald wie möglich mit ▪ hoher Preis
einer Hämodialyse behandelt werden. Für die Salizylat- ▪ in Deutschland nur für Ethylenglykol zugelassen
intoxikation ist die Dialyse eine effektive Therapie und
sollte erwogen werden, wenn der Salizylatspiegel im Se-
rum > 4 mmol/l liegt oder Organdysfunktionen bestehen,
bei Spiegeln über 6 mmol/l sollte definitiv dialysiert wer-
den. Die extrakorporale Entfernung von Salizylaten ist Therapieziel ist die Reduktion der Neubildung der toxi-
aufgrund des niedrigen Molekulargewichts des Medika- schen Metabolite durch Inhibition der Alkoholdehydroge-
ments und seines geringen Verteilungsvolumens effizient nase (entweder durch Alkohol oder Fomepizol). Neben
[57, 58]. dem Einsatz von Fomepizol als spezifisches Antidot sollte
der Einsatz einer Nierenersatztherapie sehr liberal ge-
Alkoholintoxikationen handhabt werden, da damit auch die Elimination der to-
Vergiftungen mit toxischen Alkoholen (Ethylenglykol, xischen Metabolite gelingt [59 – 61].
Methanol) gehen typischerweise mit einer metabo-
lischen Azidose mit erhöhter Anionenlücke einher, wobei Generelles zu Behandlungsindikationen
die Toxizität in erster Linie auf die Effekte der Metaboliten Die Behandlung von Säure-Basen-Störungen kann grob
zurückzuführen sind, die zu schweren Organschädigun- unterteilt werden in
gen führen. Alkohole haben zudem eine erhöhte Osmola- ▪ eine spezifische Therapie, die gegen die ursächliche
rität, sodass diagnostisch ergänzend auch die Osmolalität Störung gerichtet ist (z. B. Fomepizol bei Methanol-
im Serum bestimmt und die osmotische Lücke errechnet intoxikationen, Intubation und maschinelle Beatmung
werden sollte. bei respiratorischem Versagen), und

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▪ eine ungerichtete und nicht kausale Behandlung der Cave


Azidose durch Bikarbonatgaben. Eine Infusion von 100 mmol hebt den pH-Wert nur
kurzfristig (etwa 15 min) stark an, (zu) zeitnahe
Dabei ist gerade in der zunehmend technisierten und auf- Kontrollen überschätzen daher den therapeutischen
gerüsteten Intensivmedizin die Verlockung groß, auf Effekt [70].
dem Boden von Zahlenwerten einer laborchemischen
Analyse therapeutische Entscheidungen zu treffen, ohne 2018 erschienen erstmals zwei prospektive randomisier-
die entsprechende klinische Präsentation zu berücksichti- te kontrollierte Studien, die einen klinischen Nutzen
gen. Dies kann jedoch sowohl bei Säure-Basen-Störungen durch eine alkalisierende Therapie bei Patienten mit Sep-
als auch Elektrolytstörungen zu unsinnigen oder sis und metabolischer Azidose fanden. Allerdings fokus-
schlimmstenfalls nachteiligen Effekten führen. sierte sich dieser positive Effekt in beiden Studien auf die
Patienten mit höhergradiger Nierenfunktionseinschrän-
kung (akute Nierenschädigung Stadium 2–3 nach KDI-
T A K E H O M E M E S SAG E GO) [71, 72].
Wir behandeln Patienten, nicht Werte. ▪ Im BICAR‑ICU-Trial [72] mussten weniger Patienten im
Die Klinik führt! Bikarbonatarm dialysiert werden, bei Patienten mit
Grundsätzlich ist immer die zugrunde liegende höhergradiger akuter Nierenschädigung zeigte sich
Ursache zu behandeln. auch eine bessere Überlebenswahrscheinlichkeit nach
28 Tagen (63 vs. 46 %; p < 0,028); im Gesamtkollektiv

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waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.
Bikarbonatgabe Die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie wäh-
Seit Jahren wird die Notwendigkeit und insbesondere rend des Aufenthalts auf der Intensivstation war im Bi-
Sinnhaftigkeit einer alkalisierenden Therapie zur Korrek- karbonatarm geringer.
tur einer metabolischen Azidose mittels Bikarbonatinfu- ▪ Zusammengefasst kann eine Bikarbonatgabe hilfreich
sionen kritisch diskutiert. Zahlreiche Einzelfallbeobach- und sinnvoll sein bei Intoxikationen mit trizyklischen
tungen mit „unmittelbarer Besserung“ der Hämodyna- Antidepressiva [73], vereinzelt bei Salizylatintoxikatio-
mik parallel zur Infusion einer hochosmolaren (8,4 % Na- nen und bei hyperchlorämischen (Nichtanionen-
trium-)Bikarbonatlösung sind ein Grund, warum die Ver- lücken) metabolischen Azidosen.
abreichung von Experten empfohlen und trotz unzurei- ▪ Bei einer diabetischen Ketoazidose sollte die Indika-
chender Studiendaten von den meisten Intensivmedizi- tion restriktiv gestellt werden. Lediglich bei einem
nern (etwa 70 % geben bei pH < 7,2 Bikarbonatlösungen) pH < 6,9 bei begleitender hyperchlorämischer meta-
praktiziert wird [62]. bolischer Azidose oder einem zu erwartenden unzu-
reichenden Abbau der Ketonkörper sollte eine Bikar-
Der „unmittelbare hämodynamische“ Effekt einer Bikar- bonatgabe (in kleinen Fraktionen) erwogen werden
bonatinfusion ist vorwiegend auf die Hyperosmolalität [74].
zurückzuführen. Die in Deutschland üblichen 8,4 % Na-
HCO3−-Infusionen enthalten 1436 mval Natrium/l. Ent- Andere Optionen
sprechend hat die Alkalisierungstherapie mit 150 ml Na- Bei Trispuffer (Tham) und Carbicarb weisen die bisher
triumbikarbonat 8,4 % einen Volumeneffekt von etwa 1 l! veröffentlichten Daten auf keinen relevanten Vorteil hin.
Abseits dieses osmolaren Effektes sind die Auswirkungen Die potenziellen Nebenwirkungen von Hypoglykämie und
auf die Hämodynamik gering. Mehrere Untersuchungen Hyperkaliämie haben jedoch die Anwendung in der kli-
fanden keine Verbesserung der hämodynamischen Para- nischen Versorgung eingeschränkt. Bei Carbicarb re-
meter oder sogar eine Übersterblichkeit unter Bikarbo- agiert der Karbonatanteil mit Wasserstoffionen und bil-
natgabe [25, 63 – 69]. det Bikarbonat (bei geringer CO2-Bildung). In Studien
konnte bislang kein Vorteil von Carbicarb gegenüber Na-
Diskutierte Mechanismen sind eine „paradoxe Azidose“ triumbikarbonat nachgewiesen werden. Angesichts der
durch die intrazelluläre Akkumulation von entstehendem derzeit unzureichenden Verfügbarkeit und bislang nur
CO2 und ein pH-abhängiger Abfall im ionisierten Kalzium. theoretischen Vorteile kann diesbezüglich keine Empfeh-
Weitere unerwünschte Reaktionen können eine Hyper- lung für die Anwendung abseits von Studien gegeben
volämie (s. o.), eine Hypernatriämie und eine erhöhte (!) werden.
Laktatproduktion sein. Bei der Gabe ist ferner zu beach-
ten, dass bei Patienten mit sehr niedrigen Bikarbonatkon-
zentrationen (einstellige Werte) bereits geringe Mengen
große Auswirkungen auf den pH-Wert haben; dies durch
Änderung des CO2/HCO3−-Quotienten [6].

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Wie sollte Bikarbonat verabreicht werden? Die regionale Zitratantikoagulation (RCA) ist die empfoh-
lene Antikoagulationsmodalität für die kontinuierliche
Nierenersatztherapie. Im Vergleich zu heparinbasierten
T HE R AP I E kontinuierlichen Nierenersatztherapien ist die kontinuier-
Empfehlungen für die Bikarbonatgabe liche venovenöse Hämodialyse mit Zitrat (CVVHD‑RCA)
mit einer deutlich längeren Laufzeit und einer niedrigeren
Mögliche Indikation Blutungsrate verbunden. Jedoch ist die CVVHD mit einer
▪ metabolische Azidose und akute Nierenschädi- höheren Rate an metabolischen Komplikationen assozi-
gung (Grad 2 oder 3) iert [75]:
▪ Bikarbonatverlust mit hyperchlorämischer Azidose ▪ metabolische Azidose (20,2 vs. 7,2 %)
(normale Anionenlücke) ▪ metabolische Alkalose (48,7 vs. 17,1 %) und
▪ Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva ▪ Hypokalzämie (25,07 vs. 10,79 %).
und Salizylaten
Diese Veränderungen sind geringgradig und gehen mit
Als Therapieversuch keinen wesentlichen klinischen Beeinträchtigungen ein-
▪ schwere Bronchospasmen mit unzureichender her, zudem sind sie durch eine Optimierung der Dialyse-
therapeutischer Ansprache auf Betaadrenergika parameter rasch zu beheben. Dennoch ist die Ausbildung
▪ unzureichende Besserung einer schweren meta- des medizinischen und pflegerischen Personals bei der
bolischen Azidose Umsetzung eines RCA-Protokolls von großer Bedeutung

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[75].

Metabolische Azidose mit normaler


Cave Anionenlücke (hyperchlorämische Azidose)
Bei sehr niedrigem HCO 3− ändert sich der Quotient Die metabolische Azidose ohne erhöhte Anionenlücke
CO 2/HCO 3− bereits bei geringem Anstieg des Serum- bzw. hyperchlorämische Azidose tritt häufiger auf als ge-
HCO 3− mit resultierend deutlichem Anstieg des pH: dacht: Bei etwa 20–45 % der Intensivpatienten findet sich
▪ Zu beachten bei Bikarbonatgabe: diese Säure-Basen-Störung, die Mortalität dieser Patien-
– Kontrolle BGA und Elektrolyte (insbesondere ten ist etwa 2- bis 3-fach erhöht.
ionisiertes Kalzium und Kalium).
– → vorher Ausschluss einer schweren Hypo- Die häufigste Ursache ist die (noch weit verbreitete) Ver-
kaliämie/Hypokalzämie, abreichung von „isotoner“ Kochsalzlösung im Rahmen
– ggf. Substitution von Elektrolyten. einer Behandlung einer Hypovolämie oder eines Schocks.
– Immer eine Nierenersatztherapie als alternative Die damit einhergehende Infusion einer beträchtlichen
Option erwägen! Chloridmenge (1000 ml NaCl 0,9 % enthalten 154 mval
▪ Gefahren von Bikarbonatgabe: Cl−) bedingt zur Wahrung der Elektroneutralität eine Re-
– Depression des Atemzentrums (Vorsicht bei nicht duktion des Bikarbonats. Eine andere wesentliche Ursa-
beatmeten Patienten). che einer hyperchlorämischen Azidose ist der Verlust
– Eine überschießende Alkalisierung kann zur von Bikarbonat per se, entweder durch (bikarbonathal-
Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit tige) Durchfälle oder (seltener) durch renale Verluste.
führen (Krampfanfälle). Die Bestimmung der Urinelektrolyte, insbesondere des
Urinchlorids, ist hier diagnostisch hilfreich [23].
Nierenersatztherapie
Die Vorteile einer Nierenersatztherapie gegenüber der Merke
isolierten Na-HCO3−-Gabe sind zum einen die über meh- Ein erniedrigter Bikarbonatspiegel findet sich bei
rere Stunden bzw. bei der Anwendung kontinuierlicher 3 Säure-Basen-Störungen:
Verfahren mehrere Tage anhaltende Stabilisierung des in- ▪ metabolische Azidose,
travasalen Säure-Basen- und Elektrolythaushaltes. Zudem ▪ chronische respiratorische Alkalose,
geschieht dies weitgehend isoton und ermöglicht gleich- ▪ gemischte metabolische Azidose und chronische
zeitig eine Stabilisierung der mit Azidifizierung und Alka- respiratorische Alkalose.
lisierung einhergehenden Elektrolytverschiebungen. Zu-
dem erfolgt eine parallele Elimination von Präkursoren Eine Hypobikarbonatämie aufgrund einer chronischen re-
wie Laktat oder Ketonkörpern sowie der für die Störung spiratorischen Alkalose wird häufig als metabolische Azi-
verantwortlichen Säure (Alkohole, Salizylate) oder Sub- dose fehldiagnostiziert und mit der Gabe einer Alkalithe-
stanz (Metformin). Die Laktatwerte sollten unter der The- rapie falsch behandelt. Die richtige Diagnose der Ursache
rapie regelmäßig kontrolliert werden. Ein steigender Lak- der Hypobikarbonatämie erfordert die Integration der La-
tatspiegel unter bereits laufender Dialyse ist ein „signum borwerte, der arteriellen Blutgase und der klinischen
mali ominis“ (s. o.). Anamnese, ferner ist die Urinanionenlücke (UAG) als Sur-

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rogatmarker für Urinammonium bei der Beurteilung


eines Patienten mit niedrigem Plasmabikarbonatspiegel
Metabolische Alkalose
zur Unterscheidung zwischen metabolischer Azidose Eine metabolische Alkalose ist charakterisiert durch einen
und chronischer respiratorischer Alkalose hilfreich: Anstieg des pH (> 7,44) und des Bikarbonats (> 26 mmol/l)
▪ positive UAG und Hyperchlorämie: chronische respira- und ist auf der Intensivstation sehr häufig. Sie tritt ins-
torische Alkalose (häufig) oder distale RTA (dRTA) (sel- besondere bei langzeitbeatmeten Patienten nach post-
ten), hyperkapnischem Lungenversagen auf [77]. Bei Patien-
▪ negative UAG: metabolische Azidose. ten mit Herzinsuffizienz ist sie die häufigste Säure-Ba-
sen-Störung und betrifft bis zur Hälfte der ins Kranken-
Bei hyperchlorämischen Azidosen kann die Substitution haus eingewiesenen Patienten [78].
von Na-HCO3− erwogen werden, da es sich meistens um
ein Bikarbonatverlustsyndrom handelt und die Gefahr Bei metabolischer Alkalose wird der Atemantrieb gemin-
einer intrazellulären Azidifizierung angesichts der bes- dert, in Minuten bis Stunden erfolgt eine hypoventilatori-
seren Gewebeperfusion bei diesen Azidosen gering ist. sche Kompensation, die den pCO2-Wert erhöht und so-
Andere Komplikationen der Alkalisierung (Volumen- mit den arteriellen pH-Wert senkt. Meist jedoch bleibt
überladung und Abfall des ionisierten Kalziums) sind der arterielle pH-Wert bei > 7,45, da einhergehend auch
prinzipiell ähnlich der metabolischen Azidose mit hoher die Oxygenierung reduziert ist.
Anionenlücke. Da insbesondere bei Diarrhöen jedoch
auch ein großer Volumenverlust (und oft eine Hypokali- Die respiratorische Kompensation der metabolischen Al-

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ämie) auftritt, sollten bei diesen Patienten eine Vollelek- kalose ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Ziel der Regu-
trolytlösung und ggf. Na-HCO3−-haltige Lösungen (mit lationsmaßnahmen in der Reduktion des Ausmaßes der
ggf. Kaliumzusätzen) zur Anwendung kommen [76]. Veränderungen liegt, nicht jedoch bei „pH = 7,40“.

Häufige Ursachen einer metabolischen Alkalose bei in-


tensivmedizinischen Patienten sind ein Verlust an Magen-
säure (HCl) über liegende Magensonden (oder repetitives
Erbrechen) und der Einsatz von Diuretika. Durch die di-
uretische Therapie kommt es zu einer intravaskulären Vo-
lumenkontraktion („Kontraktionsalkalose“), ergänzend
FAL L B E I S P I E L weisen die Patienten meist ein erniedrigtes Chlorid und
Fall 2 eine Hypokaliämie auf.
Eine 26-jährige Frau ohne signifikante medizinische
Vorgeschichte stellt sich in der Notaufnahme mit all- Die Reduktion des extrazellulären Volumens (EZV) be-
gemeiner Schwäche und Schwindelgefühl im Stehen wirkt renal im Rahmen der Volumenregulation eine ver-
vor und wird aufgrund der u. g. Laborparameter auf stärkte Natriumrückresorption, sodass Bikarbonat rück-
die Intensivstation verlegt. Der Blutdruck liegt bei resorbiert wird (Erhaltungsphase). Eine einhergehende
95/60 mmHg, und der Puls beträgt 100 Schläge/min. Hypochlorämie entwickelt sich bei Herzinsuffizienz im
Zusammenhang mit neurohormonaler Aktivierung,
Laborparameter hochdosierten Schleifendiuretika und metabolischer Al-
Blutwerte: kalose.
▪ Na 139 mmol/l
▪ K 2,1 mmol/l Eine metabolische Alkalose wird bestehen bleiben, solan-
▪ Chlorid 80 mmol/l ge ein Chloriddefizit nicht beseitigt wird. Klassischerwei-
▪ Kreatinin 141 µmol/l se haben diese Patienten auch eher hypotone Blutdruck-
▪ Harnstoff: 8,1 mmol/l werte. Acetazolamid kann die Natriurese und Diurese
Arterielle BGA: steigern und gleichzeitig die Chloridresorption und Bikar-
▪ pH 7,52 bonatausscheidung erhöhen und könnte daher eine nütz-
▪ paCO2 54 mmHg liche Behandlung für Patienten mit Herzinsuffizienz,
▪ Bikarbonat 46 mmol/l Hypochlorämie, metabolischer Alkalose und diuretischer
▪ paO2 80 mmHg Resistenz sein [79, 80].

Urin:
Weitere Ursachen sind – versteckte – Bikarbonatgaben
▪ Na 20 mmol/l
durch Infusionstherapien mit bikarbonathaltigen Lösun-
▪ K 75 mmol/l
gen oder deren Vorstufen und insbesondere die Zufuhr
▪ Chlorid < 10 mmol/l
von Zitrat (entweder durch Blutprodukte oder aber im
▪ Kreatinin 100 mg/dl
Rahmen einer Nierenersatztherapie mit regionaler Anti-
koagulation mit Zitrat; s. o.) [81].

96 Hafer C. Säure-Basen-Störungen Intensivmedizin up2date 2021; 17: 83–106 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
PR AXIS FAL L B E I S P I E L
Klassische Trias der metabolischen Alkalose Fall 2 (Fortsetzung)
▪ Chloridverluste aufgrund von Magensaft, Diure-
tika und Kaliumdepletion Klinische und anamnestische Hinweise für eine bestimmte
▪ Kaliumverluste aufgrund von Laxanzien, Durch- Säure-Basen-Störung
fällen, Diuretika und Kaliumdepletion, Hyper- Bei einer ansonsten gesunden jungen Frau mit offensichtlichen
aldosteronismus Zeichen einer Volumendepletion (Orthostase; Hypotension,
▪ Basenzufuhr aufgrund von Bikarbonatgabe, Tachykardie) ist eine metabolische Alkalose zu erwarten.
Zitratzufuhr, Antazida etc.
Zweiter Schritt: Identifikation der dominanten Störung
Maßnahmen Ein erhöhter Serumbikarbonatspiegel kann eine metabolische Alka-
Der Verlust an Magensaft sollte quantifiziert und in lose oder respiratorische Azidose widerspiegeln. Hier besteht ein-
die differenzialdiagnostischen Überlegungen ein- deutig eine metabolische Alkalose (pH und Bikarbonat erhöht).
bezogen werden!
Bei der metabolischen Alkalose: Urinbestimmung Dritter Schritt: Abschätzen der Kompensation und Abklärung
von Na, Cl, K und Osmolarität. einer sekundären Störung

Bei liegender Magensonde und/oder Erbrechen: Der erwartbare CO2-Anstieg durch die Hypoventilation beträgt
ΔHCO3− × 0,7 → (aktuelles HCO3− von 46–24) × 0,7 → CO2-Anstieg

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Protonenpumpenblocker.
15,4 mmHg → 40 + 15 mmHg → 55, was nahezu mit dem gemesse-
nen CO2 übereinstimmt. Die respiratorische Kompensation ist also
adäquat.

Diagnose der Ursache durch Bestimmung weiterer Parameter


Differenzialdiagnostisch und ‑therapeutisch sinnvoll ist und Evaluation auf das Vorliegen einer gemischten Störung
es, die chloridresistente von der chloridsensitiven meta- Die wahrscheinlichste Ursache der hypokaliämischen metabo-
bolischen Alkalose zu unterscheiden. Am einfachsten lischen Alkalose bei dieser Patientin ist anhaltendes Erbrechen. Eine
geht dies über eine Urinchloridbestimmung. Ein nied- niedrige Chloridkonzentration im Urin (< 20 mEq/l) deutet auf gas-
riges Urinchlorid (< 25 mmol/l) reflektiert eine gesteiger- trointestinale Chloridverluste hin. Der Verlust an Magensäure (HCl)
te Natrium- und Chloridresorption als Folge der Reduk- über liegende Magensonden (oder repetitives Erbrechen) führt
tion des effektiven Extrazellulärvolumens mit einher- zu einem Verlust an Säure (Generationsphase der metabolischen
gehender renaler Minderperfusion. Dementsprechend Alkalose) und einem erheblichen Volumen- und Chloridverlust,
sollte primär NaCl 0,9 % als Infusionslösung zum Einsatz ergänzend entsteht eine Hypokaliämie (Kaliumverluste im Urin).
kommen, die begleitende Hypokaliämie ist mit KCl-Zu- Die Reduktion des extrazellulären Volumens (EZV) bewirkt renal
sätzen zur Infusion (40–80 mval) auf 1 l Liter NaCl oder eine verstärkte Natriumrückresorption, sodass als Partneranion
als Perfusor zu beheben (nicht mit Kaliumzitrattabletten) aufgrund des Chloridverlustes vermehrt Bikarbonat rückresorbiert
[82]. wird (Erhaltungsphase der metabolischen Alkalose).

Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist die hinsichtlich der


metabolischen Alkalose sinnhafte Infusion von NaCl 0,9 %
kontraproduktiv, da ja bereits ein Volumenüberschuss
besteht. Sinnvoller ist bei diesen Patienten der Einsatz
von Aldosteronantagonisten, zudem sollte die Kalium- ausgeprägter Hypokaliämie. In diesen Fällen sind die Pa-
substitution mit Kaliumchlorid erfolgen (nicht mit Kali- tienten zudem meist hyperton. Therapie der Wahl sind
umzitrat). Ergänzend kann Azetazolamid zur Steigerung dann Aldosteronantagonisten.
der Bikarbonaturie erwogen werden. Hier ist allerdings
Aufmerksamkeit geboten, da bei den Patienten meist be-
reits eine diuretische Therapie mit Schleifendiuretika und
Respiratorische Störungen
Thiaziden vorliegt. Es kann daher zu ausgeprägten Kali- Respiratorische Störungen gehen mit einem veränderten
umverlusten kommen. Kontrollen der Urinelektrolyte arteriellen pCO2 einher und sind Folge einer veränderten
sind daher ebenso sinnvoll wie eine Reduktion dieser Ventilation. Durch die alveoläre Ventilation wird Sauer-
Diuretika. stoff bereitgestellt und CO2 eliminiert. Respiratorische
Stimuli sind die Erhöhung des arteriellen pCO2 (vorran-
Bei ausgeprägter chloridresistenter Alkalose hingegen ist gig) und eine Reduktion im arteriellen pO2 (Hypoxämie).
die Urinchloridkonzentration deutlich höher (meist Ergänzende venöse Blutgasanalysen sind wichtig und hilf-
> 40 mmol/l), und es liegt ein anderer Pathomechanis- reich, da ein peripher- oder zentral-venöser Anstieg des
mus zugrunde, häufig ein Mineralokortikoidexzess mit CO2 auch Ausdruck einer zunehmenden Übersäuerung

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des Gewebes bei verminderter Gewebeperfusion darstel- Respiratorische Azidose


len kann (z. B. im kardiogenen Schock). Respiratorische Azidosen sind charakterisiert durch
▪ eine Erniedrigung von pH-Wert (< 7,36) und
Unter normalen Verhältnissen entspricht die alveoläre ▪ eine arterielle Hyperkapnie (CO2 > 44 mmHg), bedingt
Ventilation (Atemminutenvolumen) bei einem arteriellen durch eine reduzierte alveoläre Ventilation.
pCO2 von 40 mmHg ca. 4 l/min. Anstiege im CO2 induzie-
ren eine Hyperventilation, womit eine Beanspruchung Aufgrund der Tatsache, dass bereits eine diskrete Hyper-
der Atemmuskulatur verbunden ist (ggf. Gefahr der re- kapnie zur erheblichen Stimulation des Atemantriebs
spiratorischen Erschöpfung). Eine durch eine Hypoxämie führt, kann und sollte bei einer arteriellen Hyperkapnie
getriggerte Stimulation der Ventilation setzt erst bei immer von einer Reduktion der effektiven Ventilation
einem arteriellen pO2 von 50–60 mmHg ein. ausgegangen werden. Eine gesteigerte CO2-Produktion
ist intensivmedizinisch in dieser Hinsicht zunächst zu ver-
Generell ist es bei respiratorischen Störungen wichtig, ob nachlässigen.
eine akute oder chronische Störung vorliegt. Bei akuten
respiratorischen Störungen kommt es durch Änderungen Die Ursachen einer akuten respiratorischen Azidose sind
der Ventilation und des paCO2 zu abrupten, plötzlichen vielfältig und können daher nicht alle erörtert werden. In-
Veränderungen des pH mit nur geringen Veränderungen tensivmedizinisch sind neben Lungenödem, Pneumonien
der (strengen) ionalen Konzentration. Erst über die Zeit und ARDS mit einhergehendem Rechts-links-Shunt ins-
treten dann im Rahmen der renalen Kompensation aus- besondere Obstruktionen der Atemwege mit konsekuti-

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geprägtere Änderungen der Bikarbonat- und reziproke ver Atelektase von zentraler Bedeutung. Meist sind diese
Veränderungen der Chloridkonzentration auf. Im Falle Probleme (z. B. durch Bronchoskopie) erfreulicherweise
einer respiratorischen Entgleisung kann neben der kli- rasch zu beheben. Gelingt dies nicht, ist jedoch aufgrund
nischen Evaluation die initiale HCO3−-Konzentration so- der rasch progredienten Azidose mit sekundären Folgen
mit Hinweise über die Dynamik der Entstehung geben (insbesondere Vigilanzminderung) eine (meist invasive)
bzw. das CO2-Niveau von chronisch Lungenkranken rück- maschinelle Beatmung notwendig.
rechnen.
Weitere Ursachen einer akuten respiratorischen Azidose
Merke sind
Bei respiratorischen Störungen die initiale BGA ▪ eine Abschwächung des Atemantriebs (Sedativa,
beachten! Analgetika!) oder aber
▪ neuromuskuläre Ursachen.
Abseits von Säure-Basen-Analysen ist natürlich die Beur-
teilung der Oxygenierung essenziell. Neben dem absolu- Eine Gefahr der akuten respiratorischen Azidose liegt in
ten arteriellen pO2 bzw. des Oxygenierungsindex (paO2/ der Tatsache, dass es praktisch keinen extrazellulären
FiO2) ist die Berechnung des alveolär-arteriellen Sauer- Puffer für den plötzlich ansteigenden CO2-Wert gibt. Die
stoffgradienten sinnvoll. Dieser hilft zu differenzieren, träge renale Kompensation ist erst nach etwa 3 Tagen ab-
ob eine strukturelle Lungenerkrankung vorliegt. geschlossen, die einzige Protektion sind daher die Zell-
puffer (intrazelluläre Proteine und Hämoglobin). Entspre-
chend der Dynamik ist die klinische Symptomatik meist
eindrucksvoller als bei chronisch respiratorischer Azidose
INFOBOX mit gleichen CO2-Werten: Im Vordergrund stehen neuro-
Initiale Begutachtung respiratorischer Störungen logische Veränderungen mit Kopfschmerzen, Sehstörun-
gen (Papillenödem) und ängstliche Unruhe, außerdem
▪ Ist die Störung akut oder chronisch?
Tremor, Asterixis und schließlich Vigilanzeinbußen und
– Klinik
zerebrale Krämpfe. Hämodynamisch kann es durch die
– Ausmaß der metabolischen Kompensation
Vasodilatation zu Hypotension und Arrhythmien kom-
▪ Einfache oder gemischte Störung?
men.
– Kompensation adäquat?
– Klinik?
Hyperkapnische Patienten mit einer strukturellen Lun-
▪ Liegt eine Lungenerkrankung vor?
gengerüsterkrankung haben immer einen erhöhten al-
– alveolär-arterieller O2-Gradient
veolär-arteriellen Sauerstoffgradienten, manchmal ist er
– → hilfreich zur differenzialdiagnostischen Abklärung einer
auch bei Patienten mit extrapulmonalen Ursachen etwas
Hypoxämie:
erhöht. Ein normaler alveolär-arterieller Sauerstoffgra-
– paO2 = FiO2 × (patm – pH2O) – (paCO2: 0,8)
dient (< 10 mmHg) hingegen schließt eine primäre pul-
• patm = atmosphärischer Druck (760 mmHg in Meereshöhe)
mologische Erkrankung weitgehend aus. In diesen Fällen
• pH2O = 47 mmHg
sollte entweder das Vorliegen einer zentralen Atem-

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antriebsminderung oder eine Störung der Atemmuskula-
tur angenommen werden. T HE R AP I E
Therapie der respiratorischen Azidose
Therapeutisch sollte zunächst unverzüglich Sauerstoff ▪ Die akute respiratorische Azidose ist ein Notfall!
verabreicht werden, da nach der o. g. alveolären Gasfor- – Zeitnahes/unmittelbares Handeln ist notwendig.
mel eine Hypoxämie droht. Die weitere Versorgung sollte – Innerhalb von Minuten kann eine schwere Azid-
sich auf eine Optimierung der alveolären Ventilation fo- ämie und Hypoxämie entstehen.
kussieren, wobei neben medikamentösen Therapiestrate- ▪ Oxygenierung!
gien (Steroide und Bronchodilatatoren bei Bronchokon- – → pALVO2 = 150 − (1,25 × pCO2)
striktion) eine maschinelle Unterstützung der Atmung ▪ Wenn mechanische Ventilation bei zunehmendem
frühzeitig erwogen werden sollte (abhängig vom Grund- pCO2:
leiden wird dann die Entscheidung getroffen, ob nicht- – Langsames Absenken des CO2 bei chronischer
invasiv oder nach Intubation). Für die Gabe von Bikarbo- Hyperkapnie, sonst Gefahr der zu starken Alkali-
nat gibt es außer bei Patienten mit einem schweren beat- sierung mit zerebraler Vasokonstriktion und
mungspflichtigen Status asthmaticus [83, 84] keine Evi- neurologischen Ausfällen.
denz (s. o.) und keine Indikation. – Keine Bikarbonatgabe vor Intubation!

Im Gegensatz zur akuten Hyperkapnie haben Patienten


mit einer chronisch respiratorischen Azidose eine meist

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schon bekannte strukturelle Lungenerkrankung und –
eine adäquate Nierenfunktion vorausgesetzt – eine rena- ebenfalls zur metabolischen Alkalose beitragen. Die Ent-
le Kompensation, entsprechend ist die Azidose weniger wöhnung bei mechanisch beatmeten Patienten kann da-
stark ausgeprägt. Anhand der o. g. Kompensationsfor- durch verzögert werden, da die Alkalose den Atem-
meln kann man sich einige Hausnummern einprägen: antrieb hemmt. Zudem sind Hypochlorämie durch renale
Chloridverluste und Hypokaliämie und Hypophosphat-
Merke ämie assoziiert, die myopathische Wirkung haben.
Ein HCO 3− von 30 mmol/l lässt auf ein chronisches
CO 2-Niveau von ca. 55 mmHg schließen, bei einem Therapeutisch ist daher prinzipiell die Gabe von Aldoste-
HCO 3− von 35 mmol/l entsprechend etwa 70 mmHg ronantagonisten sinnvoll, die Infusion von NaCl 0,9 % wie
CO 2. bei der konventionellen metabolischen Alkalose ange-
sichts meist bestehender peripherer Ödeme jedoch pro-
Aufgrund der Chronizität wird man intensivmedizinisch blematisch. Zudem kann die Gabe von Azetazolamid
mit akuten Problemen konfrontiert, die zu einer Erschöp- (250–500 mg täglich) erwogen werden, das seinen Effekt
fung bzw. einem respiratorischen Versagen führen. Das über eine vermehrte Bikarbonatausscheidung im Urin
Ziel der Behandlung bei diesen Patienten liegt daher in hat. Bei Patienten mit mechanischer Beatmung kann die
erster Linie in einer adäquaten Oxygenierung und der Therapie mit Carboanhydrasehemmern die Dauer der
Optimierung der Ventilation durch (wenn möglich nicht- mechanischen Beatmung verkürzen. Studien zeigen hin-
invasive) Beatmung. Ziel sollte ein langsames Absenken sichtlich der Wirksamkeit allerdings keine einheitlich po-
des CO2 sein, da es sonst zu einer überschießenden Alka- sitive Wirkung [86].
lisierung kommt, denn das HCO3− bleibt zunächst auf
dem ursprünglich erhöhten Level. Verstärkt wird diese Wichtig ist beim Einsatz auf jeden Fall, dass die entste-
Problematik dadurch, dass bei diesen Patienten häufig henden Urinkaliumverluste ausgeglichen werden und
eine Rechtsherzinsuffizienz mit peripheren Ödemen be- Steroide und klassische Diuretika (Thiazide und Furose-
steht, die diuretisch behandelt wird, was eine metabo- mid) idealerweise pausiert werden [87 – 90].
lische Alkalose nach sich zieht, die wiederum den Atem-
antrieb mindert und die Hypoxämie verstärkt. Respiratorische Alkalose
Die respiratorische Alkalose ist charakterisiert durch eine
Metabolische Alkalose und gleichzeitige Erhöhung von pH (> 7,44) und Hypokapnie
chronisch respiratorische Azidose (CO2 < 35 mmHg). Sie entsteht, wenn die alveoläre Venti-
Die Kombination einer respiratorischen Azidose und einer lation unverhältnismäßig stärker ansteigt als die CO2-Pro-
metabolischen Alkalose ist relativ häufig (etwa 7,4 %) duktion. Die Hypokapnie im Rahmen einer primären re-
[85]. Klassischerweise sieht man sie als posthyperkap- spiratorischen Alkalose sollte von der Kompensation
nische metabolische Alkalose (s. o.) nach Einleitung einer einer metabolischen Azidose abgegrenzt werden. Dies
Beatmungstherapie oder eben auf dem Boden der o. g. ist der Fall, wenn das CO2 tiefer abgefallen ist, als es für
Begleittherapien (Diuretikatherapie zum „Trockenfahren“ die Azidose zu erwarten war (s. o.).
der Lunge, Magensonde als begleitende Therapie bei Be-
atmung). Steroide (mineralokortikoider Effekt) können

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Entgegen der oft benignen Einschätzung korreliert das


Ausmaß der Hypokapnie ab einem pH > 7,48 direkt mit T A K E H O M E M E S SAG E
einer erhöhten klinischen Sterblichkeit [91]. Die primäre Zusammengefasst ist die respiratorische Alkalose
respiratorische Alkalose beeinträchtigt durch die Links- eine Säure-Basen-Störung, die häufig auf ein schwer-
verschiebung und die einhergehende Reduktion der Sau- wiegenderes Problem hinweist, das einer spezi-
erstoffabgabe eine deutliche Reduktion der O2-Zufuhr ins fischen Therapie bedarf.
Gewebe. Bei mechanisch beatmeten Patienten kann die
Erhöhung des Totraums versucht werden. Andere
Merke Optionen sind eine verstärkte Sedation und ggf.
Während eine „milde“ respiratorische Alkalose eher sogar Muskelrelaxation.
als Marker bzw. Hinweis für ein (möglicherweise
noch nicht erkanntes) Problem dient, sollte eine
ausgeprägte respiratorische Alkalose als Notfall Asthma
angesehen und rasch therapiert werden [92]. Die Kombination aus Verlegung der Atemwege mit Mu-
kus und Bronchokonstriktion sowie die einhergehende
Die akute respiratorische Alkalose geht klinisch häufig Hypoxämie bewirken bei der akuten Asthmaattacke eine
einher mit Lichtempfindlichkeit, Palpitationen und Paräs- Aktivierung der intrapulmonalen Mechanorezeptoren
thesien der Extremitäten und der perioralen Region als und eine Stimulation der Atmung. Die akute Asthmaatta-
Ausdruck der gesteigerten neuromuskulären Erregbar- cke geht daher typischerweise mit einer respiratorischen

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keit (die wiederum Folge des plötzlichen Abfalls des ioni- Alkalose (etwa 50 %) einher [93].
sierten Kalziums und des verminderten zerebralen Blut-
flusses ist). Noch wichtiger ist vermutlich die einher-
gehende koronare Ischämie mit resultierenden (häufig T A K E H O M E M E S SAG E
therapieresistenten) Arrhythmien, insbesondere bei Pa- ▪ Die akute Asthmaanfall geht mit einer respirato-
tienten mit vorbestehender Koronarsklerose. In der Folge rischen Alkalose einher.
der resultierenden Gewebehypoxie zeigt sich häufig auch ▪ Hyperkapnie und/oder metabolische Azidose bei
ein Anstieg des Laktatspiegels. Ferner finden sich charak- der Asthmaattacke sind Zeichen einer erhebli-
teristische Veränderungen der Elektrolyte: Hypokaliämie, chen klinischen/pulmonalen Beeinträchtigung.
Hypophosphatämie, Hypochlorämie und v. a. ein akuter
Abfall des ionisierten Kalziums (diese Veränderungen fin-
den sich nur bei der akuten respiratorischen Alkalose). Schon der „normale“ CO2 um 40 mmHg weist auf eine
schwerwiegendere Obstruktion hin. Eine respiratorische
Während sich die akuten Störungen innerhalb von Minu- Azidose schließlich ist ein Alarmsignal, dass sich die
ten manifestieren, kommt es bei der chronischen respira- Atemmuskulatur erschöpft. Neben der Ausschöpfung
torischen Alkalose zu einer verminderten Bikarbonat- der antiobstruktiven und antiinflammatorischen Therapie
rückresorption aufgrund einer verstärkten Bikarbonatu- sollte dieser Befund als Warnung angesehen und eine in-
rie. Dieser kompensatorische Prozess braucht allerdings tensivmedizinische Versorgung eingeleitet werden, da
2–3 Tage (HCO3−-Abfall um 4–5 mmol/l für 10 mmHg möglicherweise auch eine maschinelle Beatmung not-
CO2-Abfall). Im Rahmen dieser renalen Kompensation wendig wird. Zusätzliche Beachtung sollte man insbeson-
wird zur Vermeidung einer intravasalen Volumendeple- dere den Patienten schenken, wenn sie zudem eine meta-
tion verstärkt NaCl in der Niere rückresorbiert, was zu bolische (Laktat-)Azidose entwickeln (wahrscheinlich in-
den typischerweise erhöhten Chloridspiegeln bei chro- duziert durch die Betamimetika). Die prognostische Rele-
nischer respiratorischer Alkalose (Cave: keine hyper- vanz vom Laktatanstieg bei Asthmatikern ist jedoch un-
chloräme metabolische Azidose) und einer etwas erhöh- klar, in einer rezenten Analyse fand sich diesbezüglich kei-
ten Anionenlücke führt. ne erhöhte Morbidität [94].

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Autorinnen/Autoren
KER NAU SSAG EN
▪ Säure-Basen-Störungen sind im intensivmedizi- Carsten Hafer
nischen Kontext häufig komplex und bedürfen Dr. med., Jahrgang 1969. Facharzt für Innere
einer differenzierteren Betrachtung. Medizin, Nephrologie und Internistische Inten-
sivmedizin. Bis 2020 leitender Oberarzt an der
▪ Die Wasserstoffionenkonzentration bzw. der pH-
Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und
Wert werden durch das Verhältnis von CO2 zu Blutreinigungsverfahren am Städtischen Klini-
HCO3− bestimmt, nicht vom absoluten Wert. kum Braunschweig. Schwerpunkte: extrakor-
▪ Die klinische Manifestation von Säure-Basen-Stö- porale Eliminationsverfahren und nephrologische Intensiv-
rungen wird im Wesentlichen von der Dynamik der therapie, Säure-Basen- und Elektrolytstörungen.
Entstehung und den einhergehenden Ursachen
geprägt als vom Zahlenwert des pH-Wertes per se. Korrespondenzadresse
▪ Schnell zu bestimmende Parameter wie die Anio-
nenlücke und das Delta-Gap geben Hilfestellungen Dr. med. Carsten Hafer
bei differenzialtherapeutischen Entscheidungen. Praxis Kattenbühl
▪ Bei metabolischen Störungen sollte immer die Prof. Eberlein-Straße 6
34346 Hann. Münden
Anionenlücke bestimmt werden.
post@carstenhafer.de
▪ Die Therapie von Säure-Basen-Störungen sollte Deutschland
sich auf die Ursache fokussieren.

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▪ Akute respiratorische Störungen wirken sich auf- Wissenschaftlich verantwortlich
grund der erst verzögert einsetzenden renalen gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Kompensation deutlicher auf den pH-Wert aus als
chronische. Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs-
▪ Bei der Entwöhnung von der Beatmung sollte bei bestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Carsten Hafer,
chronisch respiratorischen Störungen die initiale Hann. Münden.
HCO3−-Konzentration beachtet werden.
▪ Elektrolytveränderungen (Na, K, Cl, ionisiertes Ca) Zitierweise für diesen Artikel
sind eng mit Säure-Basen-Störungen assoziiert
und sowohl diagnostisch als auch therapeutisch in Intensivmedizin up2date 2021; 17: 83 – 106
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version und ersetzt den
den Behandlungsprozess und das Monitoring zu
folgenden Artikel: Hafer C. Säure-Basen-Störungen.
integrieren. Intensivmedizin up2date 2016; 12: 111–134;
Rubrik: Allgemeine Prinzipien der Intensivmedizin.

Literatur

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problem-based Approach. Philadelphia: Saunders/Elsevier;
Erklärung zu finanziellen Interessen ISBN: 978-1-4160-2442-2; 2010
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten [2] Kettritz RLFC. Störungen des Säure-Basen-Haushaltes. In:
Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Kuhlmann U, Luft FC, Böhler J, Alscher MD, Kunzendorf U,
Institution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.); Bezahl- Hrsg. Nephrologie. Pathophysiologie, Klinik, Nierenersatzver-
ter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: fahren. Stuttgart: Thieme; 2015: 277–320
nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepart- [3] Hochrainer M, Funk G‑C. Interpretation von Säure-Basen-Stö-
ner, Kinder) an im Bereich der Medizin aktiven Firma: nein; rungen. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfall-
Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, medizin 2019; 114: 765–776. doi:10.1007/s00063-019-
Kinder) an zu Sponsoren dieser Fortbildung bzw. durch die 00621-x
Fortbildung in ihren Geschäftsinteressen berührten Firma:
[4] Schricker S, Schanz M, Alscher MD et al. Metabolische Azidose.
nein.
Med Klin Intensivmed Notfmed 2020; 115: 275–280.
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen doi:10.1007/s00063-019-0538-y
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessen-
[5] Hafer C. Pufferung durch Dialyseverfahren – Hintergründe
konflikt besteht.
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20: 190–195. doi:10.1055/s-0042-106516
[6] Hafer C. Säure-Basen-Störungen. Intensivmedizin up2date
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Hafer C. Säure-Basen-Störungen Intensivmedizin up2date 2021; 17: 83–106 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 101
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s13054-018-2207-6 Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14,
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VNR 2760512021160215756

Frage 1 Frage 5
Wie hoch ist die Mortalität des Propofol-Infusionssyndroms Welches ist die häufigste Säure-Basen-Störung bei kritisch kran-
(PRIS)? ken Patienten?
A 10 % A die chronisch respiratorische Azidose

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B 25 % B die Ketoazidose
C 30 % C die metabolische Azidose mit hoher Anionenlücke
D bis 50 % D die respiratorische Alkalose
E 60 % E die respiratorische Azidose

Frage 2 Frage 6
Welches ist der pathologische pH-Wert? Welche Aussage zur Infusionstherapie mit Bikarbonat ist kor-
A intrazellulär: 6,5 rekt?
B Magen: 1–2 A Bei vorbestehender respiratorischer Alkalose kommt es zu
C Haut: 5,5 einem Kontereffekt.
D Urin: 6,0 B Bei höhergradiger Nierenschädigung und metabolischer Azi-
E Vagina: 4,5 dose ist die Notwendigkeit zur Nierenersatztherapie seltener
gegeben, wie im BICAR‑ICU-Trial gezeigt werden konnte.
Frage 3 C In der Folge kommt es durch die Hyperventilation zu einer
Welche der Aussagen bezüglich der Anionenlücke trifft zu? besseren Oxygenierung.
A Bei fehlendem Chloridwert kann das Gesamtprotein als Anion D Bei ausgeprägter Laktatazidose ist es der einzig nachgewie-
verwendet werden. sen positive Therapieansatz.
B Hohe Kalziumwerte reduzieren die Anionenlücke. E Ein Abfall des Natriums ist eine häufige Komplikation nach Bi-
C Sie ist ein wertvolles Instrument zur Diagnostik metabo- karbonatinfusion.
lischer Störungen.
D Erniedrigtes Albumin sollte mit einem Anstieg der Anionen- Frage 7
lücke korrigiert werden. Ein Patient kommt mit bekannter Herzinsuffizienz und zuneh-
E Typische Konstellation bei der chronisch obstruktiven Lun- menden peripheren Ödemen gehend in die Notaufnahme. Blut-
generkrankung ist eine erhöhte Anionenlücke. druck 110/50 mmHg, Herzfrequenz 86 (unregelmäßig bei Vor-
hofflimmern), Temperatur 36,0°C, Atemfrequenz 13/min, Sätti-
Frage 4 gung unter Raumluft 95 %. Der Hausarzt hat die vorbestehende
Zu den Manifestationen einer Alkalose gehört … diuretische Therapie mit Torasemid bereits vor fünf Tagen um
A die Steigerung des Atemantriebs. ein Thiazid ergänzt. Welche Säure-Basen-Störung erwarten Sie?
B ein Kalziumanstieg. A metabolische Alkalose
C die Vasokonstriktion. B akute respiratorische Azidose
D eine Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve. C akute respiratorische Alkalose
E eine Hyperkaliämie. D metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke
E metabolische Azidose mit normaler Anionenlücke

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Hafer C. Säure-Basen-Störungen Intensivmedizin up2date 2021; 17: 83–106 | © 2021. Thieme. All rights reserved. 105
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Frage 8 Frage 10
Nur eine der folgenden Aussagen zur Ketoazidose ist korrekt. Eine der folgenden Veränderungen wird im Rahmen einer Nie-
Welche? renersatztherapie mit regionaler Zitratantikoagulation im Ver-
A Diabetische Ketoazidosen gehen nur mit geringen pH-Verän- gleich zur konventionellen Heparintherapie nicht beobachtet.
derungen einher. Welche?
B Alkohol hat keinen Einfluss auf die Ketogenese. A metabolische Alkalose
C Diabetische Ketoazidosen werden auch unter SGLT2-Inhibito- B akute respiratorische Azidose
ren beobachtet. C Hypokalzämie
D Die Bestimmung von Ketonkörpern im Blut ist einfacher und D metabolische Azidose
schneller als im Urin. E niedrigere Blutungsrate
E Ketoazidosen haben eine normale Anionenlücke.

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Frage 9
Bewerten Sie die folgenden Aussagen im Rahmen von Säure-Ba-
sen-Störungen. Welche der folgenden Aussagen ist nicht kor-
rekt?
A Bei metabolischer Azidose steigt der Kaliumwert.
B Bei der respiratorischen Alkalose steigt das Laktat.
C Eine metabolische Alkalose ist häufig mit Chloridmangel
assoziiert.
D Akute Alkalisierung führt zu einem Abfall des ionisierten Kal-
ziums.
E Bei der respiratorischen Azidose beobachtet man regelmäßig
Hypernatriämien, einen gesteigerten Atemantrieb und Hy-
pertension.

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