Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Respiratorisches Versagen:
State of the Art – Diagnose und Therapie
Sebastian Fritsch, Johannes Bickenbach
Die respiratorische Insuffizienz beschreibt die Unfähigkeit des Körpers, einen ad-
äquaten Gasaustausch aufrechtzuerhalten. Sie stellt – insbesondere, wenn sie akut
auftritt – einen lebensbedrohlichen Zustand dar, der umgehend therapiert werden
muss. Dieser Artikel zeigt, welche Diagnostik erforderlich ist, um den Patienten
schnell und korrekt behandeln zu können, und welche Therapieverfahren zur Ver-
fügung stehen.
zeichnet. Kommt im weiteren Verlauf ein Anstieg des Für die hyperkapnische RI gibt es zahlreiche Ursachen,
paCO2 über Normwerte hinzu, spricht man von einer hy- deren gemeinsame Endstrecke immer die alveoläre Hy-
perkapnischen respiratorischen Insuffizienz bzw. respira- poventilation darstellt (▶ Tab. 2). Die Ursache kann dabei
torischen Globalinsuffizienz (▶ Tab. 1). auf Ebene des zentralen Atemantriebs, der neuromusku-
lären Überleitung oder der Atemmechanik liegen. Auch
Merke kombinierte Pathomechanismen sind möglich. Häufigste
Grundsätzlich liegt einer hypoxischen RI ein gestörter Ursache ist aber die Ermüdung der Atemmuskulatur.
Gasaustausch im Parenchym der Lunge zugrunde.
Muskel-
relaxanzien,
Sedativa
OP-Dauer Fluid Shift
Insuffizienz
von Atemtiefe Lagerung
und Hustenstoß
postoperative
respiratorische
Insuffizienz
Lungen-OP Atelektasen
▶ Abb. 1 Mögliche Faktoren, die zu einer postoperativen respiratorischen Insuffizienz beitragen können.
hilfsmuskulatur. Diese können allerdings bei gestörter teriellen BGA ist eine BGA aus kapillärem Blut (z. B. aus
zentraler Atemregulation fehlen. Stressbedingt sind die einem hyperämisierten Ohrläppchen) [1, 2].
Patienten meist tachykard und hyperton.
Cave FAL L B E I S P I E L
Neurologische Veränderungen wie Kopfschmerzen, Erste Diagnostik
Verwirrtheit und Vigilanzstörungen können bereits Die Patientin leidet bei Aufnahme unter schwerer
erste Hinweise auf eine sich entwickelnde CO 2-Nar- Atemnot, ist kaltschweißig und hat eine Atemfrequenz
kose sein und sind als besondere Warnhinweise zu von 34/min mit Einsatz der Atemhilfsmuskulatur. Sie
werten. auskultieren ein leises, aber vesikuläres Atemgeräusch,
das auf der rechten Seite deutlich abgeschwächt ist.
Eine ausgeprägte respiratorische Azidose verursacht eine Sonstige Nebengeräusche fallen nicht auf. Die Herz-
periphere Vasodilatation, die als warme und gerötete frequenz beträgt 120/min, der Blutdruck 175/
Haut imponieren kann. Sie führt kardial zu einer reduzier- 70 mmHg. Die initial gemessene SaO2 beträgt 86 %. In
ten Inotropie und ggf. Arrhythmien. Häufig lassen sich der arteriellen BGA zeigt sich ein pO2 von 58 mmHg bei
erste therapeutisch richtungsweisende Befunde bereits einem pCO2 von 62 mmHg. Der pH-Wert beträgt 7,21;
mithilfe der Auskultation der Lunge erheben. der HCO3−-Wert liegt bei 28 mmol/l.
EKG: Elektrokardiografie
teilen. Dies ermöglicht, eine adäquate Therapie einzulei- chanismen hierfür sind noch immer nicht vollständig ver-
ten und den klinischen Verlauf besser beurteilen zu kön- standen, jedoch gilt die Reduktion eines „hypoxischen
Sauerstoffgabe
Sauerstoff gilt nach wie vor als das Notfallmedikament FAL L B E I S P I E L
Nummer 1. Insbesondere bei der Therapie der hypoxi- Pleurapunktion
schen RI kommt ihm eine zentrale Position zu, um den Unter Gabe von 8 l/min O2 via Nase-/Mund-Maske
paO2 anzuheben und die Versorgung der Peripherie zu si- bessert sich die SaO2 der Patientin auf 93 %. Sie stellen
chern. Zugleich kommt es zu einer Entlastung des rech- die Indikation zur Pleurapunktion und können mit
ten Ventrikels durch Reduktion der hypoxischen pulmo- einer unauffälligen Punktion 1,3 l bernsteinfarbenen,
nalen Vasokonstriktion. klaren Erguss drainieren. Nach Entlastung des Ergus-
ses bessert sich die Dyspnoe der Patientin dennoch
Während die negativen Auswirkungen einer Hypoxie nur leicht.
weithin bekannt sind, dringen die negativen Auswirkun-
gen einer anhaltenden Hyperoxie erst in den letzten Jah-
ren ins Bewusstsein.
Eine schwere Dyspnoe löst bei den meisten Patienten To-
Merke desangst und Panik aus. Diese Reaktion erhöht den O2-
Ziel ist daher zunächst ein Anheben der SaO 2 auf Verbrauch, wodurch das respiratorische System weiter
Werte von 94–98 % bzw. des paO 2 auf Werte von 60– belastet wird. Eine Stressabschirmung mit gleichzeitiger
80 mmHg. Linderung der Atemnot, z. B. mit Morphin, kann daher
die respiratorische Situation deutlich bessern.
Insbesondere Patienten mit vorbestehender Hyperkapnie
sind gefährdet, durch unkontrollierte O2-Gabe eine wei-
tere Erhöhung des paCO2 zu erleiden. Die genauen Me-
Cave
Im Anschluss an eine Morphingabe ist jedoch auf- INFO
grund des gedämpften Atemantriebs eine eng- Indikationen
maschige Überwachung der Patienten unerlässlich. Indikationen zur maschinellen Beatmung sind:
▪ Anzeichen einer (drohenden) Erschöpfung der
Bei massiv agitierten Patienten, die trotz Sedativa nicht Atemmuskulatur
führbar sind und eine weitere Verschlechterung der BGA ▪ flache, schnelle Atmung (“rapid shallow breath-
zeigen, bildet die Narkoseeinleitung mit vollständiger ing”)
Muskelrelaxation die Ultima Ratio. Sie verhindert zum ei- ▪ deutliche Aktivität der inspiratorischen Hilfs-
nen den „Kampf gegen den Respirator“, zum anderen muskulatur
senkt die Relaxierung den O2-Verbrauch der Muskulatur. ▪ Einziehungen der oberen oder unteren Thorax-
apertur und/oder sichtbare muskuläre Aktivität
Auch Fieber, Muskelzittern, Sepsis oder Krampfanfälle der Muskulatur des Schultergürtels
können den O2-Verbrauch erhöhen und sollten – soweit ▪ Agitation, Minderung der Vigilanz durch die RI
möglich – therapiert werden. Bei Verdacht auf ein infek- ▪ Entwicklung bzw. Verstärkung einer respiratori-
tiöses Geschehen sollte umgehend eine kalkulierte anti- schen Azidose
infektiöse Therapie eingeleitet werden. Wird jedoch eine ▪ Entwicklung einer Hypoxämie trotz O2-Gabe
Spastik der Atemwege vermutet, sind inhalative oder ggf.
E X K UR S Merke
NIV bei kardialem Lungenödem Das zentrale Einsatzgebiet der NIV ist ein Versagen
Die nichtinvasive Beatmung (NIV) wird beim kardi- der Atempumpe. Bei einem primären Lungenver-
alen Lungenödem immer häufiger eingesetzt. Ihre sagen ist sie häufig weniger effektiv.
Wirksamkeit beruht stärker auf hämodynamischen
als respiratorischen Effekten. Durch den erhöhten Eine erschöpfte Atemmuskulatur kann durch NIV effektiv
intrathorakalen Druck sinkt der pulmonalvenöse entlastet werden, was eine verbesserte alveoläre Ventila-
Rückstrom und somit die kardiale Vorlast, zugleich tion bewirkt. Der paCO2 kann gesenkt und eine respirato-
aber auch die Nachlast. Gleichzeitig reduziert die NIV rische Azidose gebessert werden, zusätzlich beeinflusst
die vermehrte Atemarbeit, die durch niedrige Com- eine Senkung des O2-Verbrauchs der Muskulatur die re-
pliance der ödematösen Lunge bedingt wird. In spiratorische Situation ebenfalls günstig. Schließlich er-
Summe unterstützt die NIV die medikamentöse Re- laubt die durch die NIV erzeugte Ruhepause der Muskula-
kompensation des Patienten durch Verkleinerung tur, sich wieder zu erholen (s. „Exkurs – NIV bei COPD“).
der dilatierten, volumenüberfrachteten Herzhöhlen
[10]. Grundsätzlich muss bei Anwendung der NIV frühzeitig
evaluiert werden, ob die Behandlung die Symptomatik
verbessert. Kriterien hierfür sind z. B. eine Besserung der
Maschinelle Beatmung Dyspnoe mit Abnahme von Atem- und Herzfrequenz so-
Die maschinelle Beatmung ist ein zentrales Element in wie eine Verbesserung der respiratorischen Parameter in
der Therapie der RI. Sie dient der Unterstützung der der BGA. Eine eventuell bestehende Vigilanzminderung
Atemmuskulatur bis hin zur vollständigen Übernahme soll sich ebenfalls verbessern. Zeigt sich nach etwa 1–2
der Atemarbeit und der Sicherung eines ausreichenden Stunden keine eindeutige Besserung der respiratorischen
pulmonalen Gasaustausches (s. „Info – Indikationen“). Situation, muss der Therapieversuch abgebrochen wer-
Grundsätzlich kann die Beatmung als nichtinvasive Beat- den und eine IV eingeleitet werden [10, 12].
mung (NIV) über unterschiedliche Beatmungszugänge
oder als invasive Beatmung (IV) via Endotrachealtubus Merke
oder Trachealkanüle durchgeführt werden. Während die Die Alternative, eine IV einzuleiten, muss bei der An-
NIV stets als assistierte Spontanatmung erfolgt, kann die wendung der NIV sowohl personell als auch struktu-
IV auch als kontrollierte Beatmung erfolgen. rell jederzeit sichergestellt sein.
Sebastian Fritsch
Im Rahmen der Beatmung kommt es einer Verbesserung Dr. med., seit 2014 Weiterbildung in der Klinik
von Atemmechanik und Kraft bzw. Ausdauer der Atem- für Operative Intensivmedizin und der Klinik für
Anästhesiologie am Universitätsklinikum der
muskulatur. Hypoventilationen im Schlaf werden vermie-
RWTH Aachen.
den und so die Schlafqualität gebessert. In Kombination
führt dies dazu, dass die Patienten auch unter Spontan-
atmung bessere Blutgase aufweisen.
Johannes Bickenbach
PD Dr. med., seit 2016 Leitender Oberarzt der
Merke
Klinik für Operative Intensivmedizin am Univer-
Die Beatmung von chronisch erkrankten Patienten sitätsklinikum der RWTH Aachen.
erfolgt zumeist als NIV. Sie ist durch den Patienten
gut erlernbar und umsetzbar und kann auch im au-
ßerklinischen Umfeld unkompliziert angewendet
werden. Korrespondenzadresse
Bei schwerer betroffenen Patienten (insbesondere bei Dr. med. Sebastian Fritsch
neuromuskulären Erkrankungen) oder bei aktuell nicht Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care
entwöhnbaren Patienten kommen jedoch auch invasive Universitätsklinikum Aachen
Pauwelsstraße 30
Beatmungsformen, i. d. R. über eine Trachealkanüle, zum
52074 Aachen
Einsatz. Diese Form der außerklinischen Beatmung ist je- sfritsch@ukaachen.de
doch mit einem hohen organisatorischen und personel-
len Aufwand und hohen Kosten verbunden. Daher sollte Wissenschaftlich verantwortlich
die Indikation zur Beatmung regelmäßig reevaluiert wer- gemäß Zertifizierungsbestimmungen
den [7].
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs-
bestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Sebastian
Fritsch, Aachen.
VNR 2760512018154654743
Frage 1 Frage 4
Welcher Pathomechanismus führt nicht primär zu einer Störung Welche Aussage zur Atempumpe ist richtig?
der Atempumpe? A COPD-Patienten müssen gegenüber Lungengesunden zu-
100 Fritsch S, Bickenbach J. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 90–101
Punkte sammeln auf CME.thieme.de
Fortsetzung …
Frage 7 Frage 9
Welche Aussage zur Sauerstoffgabe in der akuten respiratori- Welche Aussage zur nichtinvasiven Beatmung ist richtig?
schen Insuffizienz ist richtig? A Eine Therapie mit NIV ist bei hypoxischer und hyperkap-
A COPD-Patienten sollten grundsätzlich keinen Sauerstoff er- nischer respiratorischer Insuffizienz gleichermaßen effektiv.
halten, um den hypoxischen Atemantrieb aufrechtzuerhal- B Eine Therapie mit NIV erfordert immer eine Sedierung.
ten. C NIV sollte nur bei chronischen Verläufen angewandt werden.
B Die Sauerstoffgabe soll titriert mit einer Zielsättigung von D Das Risiko für ventilatorassoziierte Pneumonien ist bei nicht-
94–98 % erfolgen. invasiver Beatmung höher als bei invasiver Beatmung.
C Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz erhalten E Bei Risikopatienten kann durch den Einsatz der NIV die Re-
grundsätzlich 15 l/min über Nase-/Mund-Maske. intubations- und Mortalitätsrate gesenkt werden.
Fritsch S, Bickenbach J. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 90–101 101