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CME-Fortbildung | Topthema

Respiratorisches Versagen:
State of the Art – Diagnose und Therapie
Sebastian Fritsch, Johannes Bickenbach

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Quelle: KH Krauskopf.

Die respiratorische Insuffizienz beschreibt die Unfähigkeit des Körpers, einen ad-
äquaten Gasaustausch aufrechtzuerhalten. Sie stellt – insbesondere, wenn sie akut
auftritt – einen lebensbedrohlichen Zustand dar, der umgehend therapiert werden
muss. Dieser Artikel zeigt, welche Diagnostik erforderlich ist, um den Patienten
schnell und korrekt behandeln zu können, und welche Therapieverfahren zur Ver-
fügung stehen.

Die Unterscheidung dieser Komponenten ist für die Dif-


Grundlagen ferenzialdiagnostik der respiratorischen Insuffizienz (RI)
von großer Bedeutung. Die Perfusion der Lunge, als drit-
ter Bestandteil des Systems, spielt hier nur eine unterge-
D E F I N IT I O N ordnete Rolle.
Respiratorische Insuffizienz
Die respiratorische Insuffizienz (RI) ist definiert als Hypoxische und hyperkapnische RI
▪ paO2 < 60 mmHg und O2 besitzt gegenüber CO2 eine mehr als 20-fach geringe-
▪ paCO2 > 45 mmHg re Diffusionsleitfähigkeit. Eine Störung des pulmonalen
bei Atmung von Umgebungsluft auf Meereshöhe. Gasaustauschs macht sich daher zunächst als Hypoxämie
bemerkbar. Die Elimination von CO2 ist durch Nutzung
gesunder Lungenareale über lange Zeit ausreichend bzw.
Pathophysiologie durch Hyperventilation u. U. sogar gesteigert. Ein redu-
Der Gasaustausch innerhalb der Lunge und die Belüftung zierter O2-Partialdruck (paO2) bei normalem oder ernied-
dieses Gewebes durch die Atempumpe bilden die we- rigtem paCO2 wird als hypoxische respiratorische Insuffi-
sentlichen Bestandteile des respiratorischen Systems. zienz oder auch respiratorische Partialinsuffizienz be-

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zu einer Beimischung von venösem zu oxygeniertem
▶ Tab. 1 Definition der respiratorischen Insuffizienz. Blut. Bei der alveolären Totraumventilation bleiben die Al-
veolen belüftet; bei fehlender Perfusion findet aber kein
paO2 paCO2
Gasaustausch statt. Ein akutes Beispiel ist die Lungen-
hypoxische RI ↓ = oder ↓
embolie. Eine gesunde Lunge ist durch die hypoxische
hyperkapnische RI ↓ ↑ pulmonale Vasokonstriktion in der Lage, die Perfusion
paCO2: arterieller Kohlendioxid-Partialdruck, paO2: arteriel- einzelner Anteile der vorhandenen Ventilation anzupas-
ler Sauerstoff-Partialdruck, RI: respiratorische Insuffizienz sen. Sind die pulmonalen Reserven aber erschöpft,
kommt es primär zur Hypoxämie.

zeichnet. Kommt im weiteren Verlauf ein Anstieg des Für die hyperkapnische RI gibt es zahlreiche Ursachen,
paCO2 über Normwerte hinzu, spricht man von einer hy- deren gemeinsame Endstrecke immer die alveoläre Hy-
perkapnischen respiratorischen Insuffizienz bzw. respira- poventilation darstellt (▶ Tab. 2). Die Ursache kann dabei
torischen Globalinsuffizienz (▶ Tab. 1). auf Ebene des zentralen Atemantriebs, der neuromusku-
lären Überleitung oder der Atemmechanik liegen. Auch
Merke kombinierte Pathomechanismen sind möglich. Häufigste
Grundsätzlich liegt einer hypoxischen RI ein gestörter Ursache ist aber die Ermüdung der Atemmuskulatur.
Gasaustausch im Parenchym der Lunge zugrunde.

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Eine hyperkapnische RI ist hingegen durch eine Oft ist eine strenge Trennung beider Mechanismen nicht
alveoläre Hypoventilation bedingt, die bei einem möglich. So kann eine gestörte Lungenfunktion durch
Versagen der Atempumpe entsteht. eine Pneumonie zu gesteigerter Atemarbeit mit sekun-
därer Erschöpfung der Atemmuskulatur und CO2-Reten-
Ursachen tion führen.
Eine gestörte Oxygenierung wird häufig durch pathologi-
sche Veränderungen des Lungenparenchyms oder eine Akute und chronische Verlaufsformen
gestörte Verteilung von Ventilation und Perfusion (V/Q- Bei der Einteilung in akute und chronische Verlaufsfor-
Quotient) als sog. V/Q-Mismatch verursacht (▶ Tab. 2). men werden bereits vorliegende kompensatorische Ver-
Die beiden Extreme dieses V/Q-Mismatches bilden der in- änderungen berücksichtigt. Hierzu gehören z. B. sowohl
trapulmonale Rechts-links-Shunt und die alveoläre Tot- die Erhöhung der Hämoglobinkonzentration und des Hä-
raumventilation. Beim Rechts-links-Shunt kommt es auf- matokrits zur Kompensation der Hypoxämie als auch eine
grund fehlender Ventilation einzelner Alveolen, wie z. B. Erhöhung der Bikarbonatkonzentration zum Ausgleich
beim Vorliegen von Atelektasen oder Sekretverlegung, der respiratorischen Azidose. Auch hat sich das Atemzen-

▶ Tab. 2 Differenzialdiagnostik der Ursachen der respiratorischen Insuffizienz.

Störungen des Störungen der Atemmechanik


Gasaustauschs obstruktive Behinderung der Störungen des neuromuskuläre Zwerchfellstörungen
Störungen Atemmechanik zentralen Atem- Störungen
antriebs
▪ Pneumonie, ARDS ▪ COPD ▪ Pleuraerguss ▪ Medikamente, ▪ Rückenmarks- ▪ ventilatorinduzierte
▪ Atelektasen ▪ Asthma bron- ▪ Pneumothorax, Drogen, Intoxi- läsionen diaphragmale Dys-
▪ COPD (Emphysem) chiale, Status Hämatothorax kation ▪ Critical-Illness- funktion
▪ Lungenarterien- asthmaticus ▪ Adipositas, Obesitas- ▪ Trauma Polyneuro-/ ▪ Phrenikusparese
embolie ▪ Stenosen der Hypoventilationssyn- ▪ Meningitis, Myopathie ▪ Zwerchfellverlet-
▪ kardiogenes Atemwege drom Enzephalitis ▪ Poliomyelitis, zungen (trauma-
Lungenödem (Tumoren, ▪ erhöhter abdominel- Guillain-Barré- tisch, operativ)
▪ nicht kardiogenes Tracheomala- ler Druck Syndrom
Lungenödem zie o. Ä.) ▪ Schmerz ▪ Myasthenia gravis
▪ interstitielle Lun- ▪ restriktive Ventila- ▪ Muskeldystrophie
generkrankung, tionsstörungen (Sili- ▪ schwere Elektro-
Lungenfibrose kose, Asbestose, zys- lytstörungen
tische Fibrose etc.) ▪ schwere Fehl-
▪ Thoraxdeformitäten oder Mangel-
(Skoliose) ernährung
▪ Verletzungen der ▪ Medikamente
Thoraxwand (Relaxanzien)

ARDS: Acute respiratory Distress Syndrome, COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung

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Muskel-
relaxanzien,
Sedativa
OP-Dauer Fluid Shift

Insuffizienz
von Atemtiefe Lagerung
und Hustenstoß

postoperative
respiratorische
Insuffizienz
Lungen-OP Atelektasen

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erhöhter
intraabdomi- Schmerz
neller Druck
gestörte
Risikofaktoren
Oxygenie-
(Alter, Nikotin,
rung nach
Adipositas)
Transfusion

▶ Abb. 1 Mögliche Faktoren, die zu einer postoperativen respiratorischen Insuffizienz beitragen können.

trum häufig bereits an die pathologischen Werte gemäß


Blutgasanalyse (BGA) adaptiert. FAL L B E I S P I E L
Von der chirurgischen Normalstation wird eine 76-
Merke jährige Patientin mit schwerer Luftnot auf Ihre Inten-
Da beim akuten Verlauf Kompensationsmechanismen sivstation verlegt. Die Patientin hat sich vor 4 Tagen
fehlen, präsentiert sich das klinische Bild in der Regel einer laparoskopischen Cholezystektomie unterzo-
deutlich dramatischer als beim chronischen Verlauf gen. Sowohl OP als auch der bisherige postoperative
und erfordert eine rasche Therapie [1 – 3]. Verlauf seien bis auf eine milde Kurzatmigkeit unauf-
fällig gewesen. Sie erfahren weiterhin, dass ein arte-
RI in der postoperativen Phase
rieller Hypertonus, ein Nikotinabusus und eine COPD
Die postoperative Phase ist besonders kritisch für die Ent- unklarer Schwere bekannt seien.
wicklung einer RI. Eine Vielzahl von Einflüssen kann, wie
in ▶ Abb. 1 dargestellt, während dieser Zeit zu einer ver-
schlechterten respiratorischen Funktion bis hin zur Insuf-
fizienz beitragen.

Die Kombination dieser Faktoren mündet letztlich in eine


Diagnostik
funktionelle restriktive Ventilationsstörung. Besonders
ausgeprägt tritt dies nach Eingriffen im Oberbauch auf, Basisdiagnostik bei akuter RI
in weniger ausgeprägter Form auch nach intrathorakalen Anamnese und Untersuchung
Eingriffen. Hieraus ergibt sich, dass Patienten mit einge- Neben der Anamnese verschafft die körperliche Unter-
schränkter Lungenfunktion besonders gefährdet sind, suchung rasch einen Überblick über den Allgemein-
eine RI zu entwickeln. Vorbestehende restriktive Lungen- zustand des Patienten mit akuter respiratorischer Insuffi-
erkrankungen führen jedoch seltener zu Komplikationen zienz (ARI). Typische Symptome sind Dyspnoe, Tachy-
als obstruktive [4]. pnoe und gesteigerte Atemarbeit mit Einsatz der Atem-

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▶ Abb. 2 Sonografie von Lunge und Pleura (Quelle: Harding U, Goeters C, Schmidt C. Ultraschall in der Anästhesie und Intensivmedizin – Ultra-
schall in der Intensivmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46: 190–200). a Großer linksseitiger Pleuraerguss. Der
Konvexscanner ist an der linken lateralen Thoraxwand in der mittleren Axillarlinie positioniert, sodass die linke Bildseite nach kranial und die rechte
nach kaudal orientiert ist. Oberhalb des klar abgrenzbaren Zwerchfells findet sich ein echoarmer Erguss. Unterhalb des Zwerchfells stellt sich die

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Milz dar. b Ausschluss eines Pneumothorax. Der Linearscanner ist im 2. Interkostalraum in der Medioklavikularlinie aufgesetzt. Die beiden Pleura-
blätter liegen aufeinander und sind als echogene gerade Linie (A-Linie) deutlich zu identifizieren. Das Gleiten der Pleurablätter im respiratorischen
Zyklus („sliding sign“) lässt sich nur im bewegten 2-D‑Bild beurteilen. Ausgehend von den Pleurablättern ein Kometenschweifartefakt, das als
sonografisches Äquivalent von pleuranahen Alveolen oder Bronchien/Bronchiolen anzusprechen ist.

hilfsmuskulatur. Diese können allerdings bei gestörter teriellen BGA ist eine BGA aus kapillärem Blut (z. B. aus
zentraler Atemregulation fehlen. Stressbedingt sind die einem hyperämisierten Ohrläppchen) [1, 2].
Patienten meist tachykard und hyperton.

Cave FAL L B E I S P I E L
Neurologische Veränderungen wie Kopfschmerzen, Erste Diagnostik
Verwirrtheit und Vigilanzstörungen können bereits Die Patientin leidet bei Aufnahme unter schwerer
erste Hinweise auf eine sich entwickelnde CO 2-Nar- Atemnot, ist kaltschweißig und hat eine Atemfrequenz
kose sein und sind als besondere Warnhinweise zu von 34/min mit Einsatz der Atemhilfsmuskulatur. Sie
werten. auskultieren ein leises, aber vesikuläres Atemgeräusch,
das auf der rechten Seite deutlich abgeschwächt ist.
Eine ausgeprägte respiratorische Azidose verursacht eine Sonstige Nebengeräusche fallen nicht auf. Die Herz-
periphere Vasodilatation, die als warme und gerötete frequenz beträgt 120/min, der Blutdruck 175/
Haut imponieren kann. Sie führt kardial zu einer reduzier- 70 mmHg. Die initial gemessene SaO2 beträgt 86 %. In
ten Inotropie und ggf. Arrhythmien. Häufig lassen sich der arteriellen BGA zeigt sich ein pO2 von 58 mmHg bei
erste therapeutisch richtungsweisende Befunde bereits einem pCO2 von 62 mmHg. Der pH-Wert beträgt 7,21;
mithilfe der Auskultation der Lunge erheben. der HCO3−-Wert liegt bei 28 mmol/l.

Bei chronischen Verläufen ist die klinische Symptomatik


häufig milder. Aufgrund der Adaptation des Atemzen-
trums werden Hyperkapnie und Hypoxämie in erhebli-
chem Ausmaß toleriert. Gleichzeitig besitzen diese Pa-
tienten häufig nur noch reduzierte respiratorische Reser- Weiterführende Diagnostik bei ARI
ven. Sonografie
Mithilfe einer Ultraschalldiagnostik lassen sich bereits
Blutgase umfassende Befunde erheben.
Die nicht invasive Messung der Sauerstoffsättigung
(SaO2) erlaubt es binnen kurzer Zeit, den Schweregrad Merke
der Hypoxie zu beurteilen. Für eine Verlaufsbeurteilung Die Sonografie ist der Goldstandard zur Diagnose
ist sie jedoch ungeeignet, weil sie eine Hyperkapnie nicht eines Pleuraergusses.
erfasst. Die BGA stellt daher nach wie vor den Goldstan-
dard zur Diagnose der RI dar, durch die der Schweregrad
der Störung erkannt werden kann. Eine Alternative zur ar-

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Sie liefert zugleich Hinweise auf mögliche Belüftungsstö-


rungen, die durch den Erguss verursacht wurden, sowie PRAXISTIPP
auf die Qualität des Ergusses. Das Fehlen von Binnen-
strukturen, wie Fibrinfäden o. Ä., weist auf ein Transsudat Für eine rasche Abklärung der ARI sollten Patienten,
hin (▶ Abb. 2 a), während Exsudate oder Blut in der Regel deren Anamnese und körperliche Untersuchung kei-
inhomogene Echostrukturen aufweisen. ne klare Ursache erkennen lassen, folgende Unter-
suchungen erhalten:
Der sonografische Ausschluss eines Pneumothorax wurde ▪ Sonografie von Thorax und Herz
unseres Erachtens bisher unterschätzt. Dies ist verwun- ▪ Bronchoskopie
derlich, da mithilfe der Sonografie die Diagnose oder der ▪ Röntgenaufnahme des Thorax
Ausschluss eines Pneumothorax mit einer Sensitivität und
Spezifität von nahezu 100 % gelingt (▶ Abb. 2 b). Die Mithilfe dieser 3 Untersuchungen kann für den
Röntgenaufnahme des Thorax ist hier mit einer Sensitivi- größten Teil der Patienten eine Diagnose gestellt
tät von etwa 60 % deutlich unterlegen. Vorteile bestehen werden, die das weitere Prozedere vorgibt.
vor allem bei der Diagnose eines ventralen Pneumotho-
rax, der im Röntgenbild häufig unerkannt bleibt [5].
Labor und neurologische Diagnostik
Eine orientierende Sonografie des Herzens sucht eine Auch laborchemische Veränderungen, wie ausgeprägte

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mögliche kardiale Ursache der Symptomatik. So kann Elektrolytstörungen, können Auslöser einer RI sein. Dies
eine reduzierte linksventrikuläre Funktion ein Lungen- gilt z. B. für eine hypochlorämische Alkalose mit reduzier-
ödem auslösen; Rechtsherzbelastungszeichen hingegen tem Atemantrieb oder eine Hypophosphatämie, Hyper-
können z. B. auf eine Lungenarterienembolie hinweisen. magnesiämie oder Hyperkalzämie, die mit z. T. aus-
geprägter muskulärer Schwäche einhergehen. Zu nennen
Bronchoskopie ist auch eine schwere Niereninsuffizienz mit Überwäs-
Verlegungen der Atemwege können mithilfe einer Bron- serung oder lang andauerndem Überhang von Muskelre-
choskopie diagnostiziert und sofort beseitigt werden. Zu laxanzien.
beachten ist jedoch, dass nicht intubierte, respiratorisch
insuffiziente Patienten eine Bronchoskopie nur schlecht Wird eine neuromuskuläre Ursache vermutet, kann auch
tolerieren. Eine „Wach-Bronchoskopie“ sollte daher nur eine neurologische Diagnostik z. B. mit Elektromyografie
durchgeführt werden, wenn eine Intubation nicht er- und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit in Erwä-
wünscht ist und sich durch diese Maßnahme mit hoher gung gezogen werden.
Wahrscheinlichkeit umgehen lässt.

Röntgen und CT FAL L B E I S P I E L


Von Bedeutung bleibt trotz zunehmender Nutzung des Sonografie und Röntgen
Ultraschalls weiterhin die Röntgenaufnahme des Thorax. Sie sonografieren die Patientin. Bei der Sonografie des
Sie liefert Hinweise zur Beurteilung von Belüftungsstö- Thorax zeigt sich rechtsseitig ein großer Pleuraerguss,
rungen, Infiltraten oder auch zur Lagekontrolle von der basal bereits zu einer Atelektase geführt hat. Sie
Fremdmaterial. Dennoch ist die Befundung aufgrund der schätzen das Volumen auf etwa 1–1,5 l. Links zeigt
zumeist suboptimalen Aufnahmebedingungen häufig sich ebenfalls ein Erguss, jedoch nur als 1 cm schmaler
schwierig. Eine Alternative bietet die Computertomogra- Saum. Die anschließende Röntgenaufnahme zeigt
fie. In einem retrospektiven Vergleich von CT und nativer eine rechtsseitige Transparenzminderung und bestä-
Aufnahme im Liegen konnte gezeigt werden: Nahezu tigt den sonografischen Befund. Weitere pathologi-
70 % aller CT-Aufnahmen ergaben neue Diagnosen, die sche Befunde wie Infiltrate oder ein Pneumothorax
in knapp der Hälfte der Fälle zu invasiven Maßnahmen ergeben sich nicht. Auf eine Bronchoskopie wird bei
führten [6]. fehlenden Hinweisen auf eine Verlegung der Atem-
wege verzichtet.
Cave
Zu berücksichtigen ist: Zur Durchführung einer CT ist
der Transport des Patienten zum Ort der Unter-
suchung erforderlich, was für einen kritisch Kranken
immer ein Risiko darstellt. Diagnostik bei chronischer RI
Wie oben dargestellt, setzt die Diagnostik bei ARI den
Schwerpunkt auf die Identifizierung potenziell reversibler
Ursachen. Dahingegen zielt die Diagnostik im Rahmen
der chronischen respiratorischen Insuffizienz (CRI) eher
darauf, den Schweregrad der Erkrankung korrekt zu beur-

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▶ Tab. 3 Diagnostik bei chronischer respiratorischer Insuffizienz (CRI).

Basisdiagnostik weiterführende Diagnostik


▪ Anamnese und körperliche Untersuchung ▪ kontinuierliche nächtliche CO2-Messung, am ehesten transkutan
▪ EKG (ptcCO2)
▪ Blutgasanalysen am Tag und in der Nacht (unter Raumlauft und unter ▪ Messung des Hustenstoßes
O2-Gabe im Rahmen einer O2-Langzeit-Therapie) ▪ Messung der Vitalkapazität im Sitzen und Liegen
▪ Lungenfunktion (Spirometrie, Ganzkörperplethysmografie, ggf. atem- ▪ Echokardiografie bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen auf
muskuläre Funktionsmessung, z. B. P0.1, PImax) Links- oder Rechtsherzinsuffizienz, koronare Herzerkrankung oder
▪ Basislabor Herzvitien
▪ Röntgen des Thorax ▪ Thoraxdurchleuchtung oder Zwerchfellsonografie zum Ausschluss
▪ nächtliche Polygrafie/Polysomnografie einer Phrenikusparese oder eines Pleuraergusses
▪ Belastungsuntersuchung (z. B. 6-Minuten-Gehtest) ▪ mitarbeitsunabhängige Atemmuskelkraftmessung

EKG: Elektrokardiografie

teilen. Dies ermöglicht, eine adäquate Therapie einzulei- chanismen hierfür sind noch immer nicht vollständig ver-
ten und den klinischen Verlauf besser beurteilen zu kön- standen, jedoch gilt die Reduktion eines „hypoxischen

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nen. Die Basisdiagnostik umfasst neben der allgemeinen Atemantriebs“ allgemein als widerlegt. Als wahrscheinli-
und speziellen Anamnese der CRI auch körperliche und cher betrachtet man zunehmend ungünstige Verände-
apparative Untersuchung, die in ▶ Tab. 3 zusammenge- rungen des V/Q-Verhältnisses durch Aufhebung der hy-
fasst sind [7]. poxischen pulmonalen Vasokonstriktion mit erhöhtem
Shuntvolumen. Aus diesem Grund wird für COPD-Patien-
ten eine SaO2 von 88–92 % als ausreichend betrachtet.
Therapie Dies gilt auch für Patienten, die unter O2-Therapie mit
einem Anstieg des paCO2 reagieren [8, 9].
Therapieziele
Oberste Priorität der akuten Behandlung einer RI hat zu- Kausale Therapie
nächst die Sicherung der Vitalfunktionen. Dies erfolgt Hat die initiale Diagnostik eine reversible Ursache der RI
durch eine ausreichende O2-Versorgung der peripheren ergeben, sollte diese möglichst rasch therapiert werden.
Organe und eine Entlastung der Atempumpe mit Aus- Kausale therapeutische Interventionen sind z. B. die
gleich einer respiratorischen Azidose. Hierzu werden all- Punktion eines Pleuraergusses, die Anlage einer Thorax-
gemein supportive und kausale Therapiemaßnahmen drainage bei Pneumothorax oder die Bronchoskopie bei
eingesetzt. Sekretverlegung.

Sauerstoffgabe
Sauerstoff gilt nach wie vor als das Notfallmedikament FAL L B E I S P I E L
Nummer 1. Insbesondere bei der Therapie der hypoxi- Pleurapunktion
schen RI kommt ihm eine zentrale Position zu, um den Unter Gabe von 8 l/min O2 via Nase-/Mund-Maske
paO2 anzuheben und die Versorgung der Peripherie zu si- bessert sich die SaO2 der Patientin auf 93 %. Sie stellen
chern. Zugleich kommt es zu einer Entlastung des rech- die Indikation zur Pleurapunktion und können mit
ten Ventrikels durch Reduktion der hypoxischen pulmo- einer unauffälligen Punktion 1,3 l bernsteinfarbenen,
nalen Vasokonstriktion. klaren Erguss drainieren. Nach Entlastung des Ergus-
ses bessert sich die Dyspnoe der Patientin dennoch
Während die negativen Auswirkungen einer Hypoxie nur leicht.
weithin bekannt sind, dringen die negativen Auswirkun-
gen einer anhaltenden Hyperoxie erst in den letzten Jah-
ren ins Bewusstsein.
Eine schwere Dyspnoe löst bei den meisten Patienten To-
Merke desangst und Panik aus. Diese Reaktion erhöht den O2-
Ziel ist daher zunächst ein Anheben der SaO 2 auf Verbrauch, wodurch das respiratorische System weiter
Werte von 94–98 % bzw. des paO 2 auf Werte von 60– belastet wird. Eine Stressabschirmung mit gleichzeitiger
80 mmHg. Linderung der Atemnot, z. B. mit Morphin, kann daher
die respiratorische Situation deutlich bessern.
Insbesondere Patienten mit vorbestehender Hyperkapnie
sind gefährdet, durch unkontrollierte O2-Gabe eine wei-
tere Erhöhung des paCO2 zu erleiden. Die genauen Me-

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Cave
Im Anschluss an eine Morphingabe ist jedoch auf- INFO
grund des gedämpften Atemantriebs eine eng- Indikationen
maschige Überwachung der Patienten unerlässlich. Indikationen zur maschinellen Beatmung sind:
▪ Anzeichen einer (drohenden) Erschöpfung der
Bei massiv agitierten Patienten, die trotz Sedativa nicht Atemmuskulatur
führbar sind und eine weitere Verschlechterung der BGA ▪ flache, schnelle Atmung (“rapid shallow breath-
zeigen, bildet die Narkoseeinleitung mit vollständiger ing”)
Muskelrelaxation die Ultima Ratio. Sie verhindert zum ei- ▪ deutliche Aktivität der inspiratorischen Hilfs-
nen den „Kampf gegen den Respirator“, zum anderen muskulatur
senkt die Relaxierung den O2-Verbrauch der Muskulatur. ▪ Einziehungen der oberen oder unteren Thorax-
apertur und/oder sichtbare muskuläre Aktivität
Auch Fieber, Muskelzittern, Sepsis oder Krampfanfälle der Muskulatur des Schultergürtels
können den O2-Verbrauch erhöhen und sollten – soweit ▪ Agitation, Minderung der Vigilanz durch die RI
möglich – therapiert werden. Bei Verdacht auf ein infek- ▪ Entwicklung bzw. Verstärkung einer respiratori-
tiöses Geschehen sollte umgehend eine kalkulierte anti- schen Azidose
infektiöse Therapie eingeleitet werden. Wird jedoch eine ▪ Entwicklung einer Hypoxämie trotz O2-Gabe
Spastik der Atemwege vermutet, sind inhalative oder ggf.

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intravenöse Bronchodilatatoren indiziert. Ein kardiales
Lungenödem sollte gemäß den gängigen klinischen Leit- Nichtinvasive Beatmung
linien (Diuretika, Nitrate, Katecholamine u. Ä.) behandelt Der NIV kommt in den letzten Jahren in der Behandlung
werden. Bei einem Lungenödem kann ebenso wie bei der RI eine zunehmende Bedeutung zu. Durch ihre An-
ausgeprägter Atelektasenbildung eine Beatmung mit wendung konnten die Mortalität, die Intubationshäufig-
PEEP (Positive end-expiratory Pressure) die klinische Situ- keit und die Häufigkeit ventilatorassoziierter Pneumonien
ation deutlich verbessern (s. „Exkurs – NIV bei kardialem reduziert werden. Weiterhin macht der Einsatz der NIV
Lungenödem“). eine tiefe Sedierung mit den damit einhergehenden
Komplikationen entbehrlich [11].

E X K UR S Merke
NIV bei kardialem Lungenödem Das zentrale Einsatzgebiet der NIV ist ein Versagen
Die nichtinvasive Beatmung (NIV) wird beim kardi- der Atempumpe. Bei einem primären Lungenver-
alen Lungenödem immer häufiger eingesetzt. Ihre sagen ist sie häufig weniger effektiv.
Wirksamkeit beruht stärker auf hämodynamischen
als respiratorischen Effekten. Durch den erhöhten Eine erschöpfte Atemmuskulatur kann durch NIV effektiv
intrathorakalen Druck sinkt der pulmonalvenöse entlastet werden, was eine verbesserte alveoläre Ventila-
Rückstrom und somit die kardiale Vorlast, zugleich tion bewirkt. Der paCO2 kann gesenkt und eine respirato-
aber auch die Nachlast. Gleichzeitig reduziert die NIV rische Azidose gebessert werden, zusätzlich beeinflusst
die vermehrte Atemarbeit, die durch niedrige Com- eine Senkung des O2-Verbrauchs der Muskulatur die re-
pliance der ödematösen Lunge bedingt wird. In spiratorische Situation ebenfalls günstig. Schließlich er-
Summe unterstützt die NIV die medikamentöse Re- laubt die durch die NIV erzeugte Ruhepause der Muskula-
kompensation des Patienten durch Verkleinerung tur, sich wieder zu erholen (s. „Exkurs – NIV bei COPD“).
der dilatierten, volumenüberfrachteten Herzhöhlen
[10]. Grundsätzlich muss bei Anwendung der NIV frühzeitig
evaluiert werden, ob die Behandlung die Symptomatik
verbessert. Kriterien hierfür sind z. B. eine Besserung der
Maschinelle Beatmung Dyspnoe mit Abnahme von Atem- und Herzfrequenz so-
Die maschinelle Beatmung ist ein zentrales Element in wie eine Verbesserung der respiratorischen Parameter in
der Therapie der RI. Sie dient der Unterstützung der der BGA. Eine eventuell bestehende Vigilanzminderung
Atemmuskulatur bis hin zur vollständigen Übernahme soll sich ebenfalls verbessern. Zeigt sich nach etwa 1–2
der Atemarbeit und der Sicherung eines ausreichenden Stunden keine eindeutige Besserung der respiratorischen
pulmonalen Gasaustausches (s. „Info – Indikationen“). Situation, muss der Therapieversuch abgebrochen wer-
Grundsätzlich kann die Beatmung als nichtinvasive Beat- den und eine IV eingeleitet werden [10, 12].
mung (NIV) über unterschiedliche Beatmungszugänge
oder als invasive Beatmung (IV) via Endotrachealtubus Merke
oder Trachealkanüle durchgeführt werden. Während die Die Alternative, eine IV einzuleiten, muss bei der An-
NIV stets als assistierte Spontanatmung erfolgt, kann die wendung der NIV sowohl personell als auch struktu-
IV auch als kontrollierte Beatmung erfolgen. rell jederzeit sichergestellt sein.

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Invasive Beatmung
E X K UR S Auch wenn die IV häufig eine lebensrettende Interven-
NIV bei COPD tion darstellt, kann sie auch weitere Lungenschäden ver-
Breite Anwendung erfährt die NIV bei COPD-Patien- ursachen. Eine häufige Komplikation der IV ist die Ent-
ten mit erschöpfter Atemmuskulatur. Durch die wicklung einer ventilatorassoziierten Pneumonie. Gerade
Überblähung der Lunge ist die Effektivität der Atem- bei lang andauernder IV können durch die Beatmung ver-
muskulatur reduziert. Weitere Ursachen für die er- ursachte Schäden an Lunge und Zwerchfell die Entwöh-
höhte Atemarbeit sind eine durch das Lungen- nung vom Respirator erschweren [3]. Von entscheiden-
emphysem bedingte vermehrte Volumenarbeit und der Bedeutung für das Outcome des Patienten sind die
ein intrinsischer PEEP (PEEPi). Dieser führt frühinspi- Überlegungen: Wie kann die zur RI führende Ursache
ratorisch zu einer vermehrten isometrischen Atem- rasch behoben werden kann und wie kann der Patient
arbeit. Der externe PEEP der NIV antagonisiert den wieder von der maschinellen Beatmung entwöhnt wer-
intrinsischen PEEP (PEEPi) und reduziert somit die den?
Atemarbeit des Patienten. Diese wird durch die in-
spiratorische Druckunterstützung des Respirators
noch zusätzlich reduziert. Besonders wichtig ist eine FAL L B E I S P I E L
gute Synchronisation des Patienten mit dem Respi- NIV
rator, da sie einen entscheidenden Prädiktor für den

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Da die Patientin auch nach Entlastung des Pleura-
Erfolg der Beatmung darstellt [10, 12]. ergusses weiterhin hyperkapnisch ist, leiten Sie eine
nichtinvasive Beatmung über eine Maske ein (PEEP
6 mbar, Δp 6 mbar). Durch intensive Zuwendung und
Bei einem primären Lungenversagen mit Hypoxie kann Gabe von 2 mg Morphin i. v. toleriert die Patientin die
ein Therapieversuch mit NIV unternommen werden, je- Maske gut. Die NIV-Therapie wird in den nächsten Ta-
doch muss mit einem Versagen der Methode gerechnet gen mehrmals täglich für 1,5 Stunden durchgeführt.
werden. Häufig ist zur Behandlung der hypoxischen RI Dyspnoe und Allgemeinzustand bessern sich rasch.
die Anwendung eines hohen transpulmonalen Drucks in Nach 2 Tagen kann die Patientin normokapnisch auf
Form eines hohen PEEP erforderlich. Nur so können der die Normalstation verlegt werden. Der weitere statio-
Kollaps der kleinen Atemwege und die Ausbildung von näre Aufenthalt verläuft unauffällig.
Atelektasen verhindert werden bzw. vorhandene rekru-
tiert werden. Dies ist mit NIV zumeist nicht dauerhaft
möglich (Leckagen, mangelnde Compliance), sodass die
genannten Probleme persistieren und eine invasive Beat- Therapie der CRI
mung erforderlich wird [1, 12]. Langzeit-Sauerstofftherapie
Bei Versagen der Lungenfunktion mit konsekutiver
schwergradiger Hypoxämie ist eine Langzeit-Sauerstoff-
INFO therapie (LTOT) indiziert. Dies ist der Fall, wenn der paO2
Absolute NIV-Kontraindikationen unter Ruhebedingungen während einer stabilen Krank-
▪ fehlende Spontanatmung, Schnappatmung heitsphase von ca. 4 Wochen mindestens 3-mal unter
▪ fixierte oder funktionelle Verlegung der Atem- 55 mmHg lag. Bei COPD-Patienten mit sekundärer Poly-
wege globulie und/oder einem Cor pulmonale mit und ohne
▪ gastrointestinale Blutung oder Ileus Rechtsherzbelastungszeichen soll bereits ab Werten von
▪ nicht hyperkapnisch bedingtes Koma 55–60 mmHg therapiert werden. Voraussetzung ist je-
doch das konsequente Meiden aller inhalativen Noxen
Relative NIV-Kontraindikationen und die adäquate Therapie der zugrunde liegenden Er-
▪ hyperkapnisch bedingtes Koma krankung [13].
▪ massive Agitation
▪ massiver Sekretverhalt trotz Bronchoskopie Beatmung
▪ schwergradige Hypoxämie oder Azidose Kommt eine Hyperkapnie hinzu, wird zur Entlastung der
(pH < 7,1) Atempumpe auch bei CRI eine Beatmung angewandt.
▪ hämodynamische Instabilität (kardiogener Die häufigsten Auslöser einer CRI sind die COPD, zentrale
Schock, Myokardinfarkt) Atemregulationsstörungen, neuromuskuläre Erkrankun-
▪ anatomische und/oder subjektive Interface- gen, Thoraxdeformitäten und das Obesitas-Hypoventila-
Inkompatibilität tionssyndrom. Ziel der Beatmungstherapie bei CRI ist –
▪ Z. n. oberer gastrointestinaler OP analog zu akuten Verläufen – eine Normalisierung der
Blutgase mit Normokapnie. Wichtigste Kriterien für den
Beginn einer Beatmung sind eine Hyperkapnie in Kombi-
nation mit den typischen Symptomen der ventilatori-

Fritsch S, Bickenbach J. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 90–101 97


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schen Insuffizienz (s. „Info – Ventilatorische Insuffizienz“)


und Einschränkungen der Lebensqualität. Insbesondere KER NAU SSAG EN
bei COPD-Patienten stellen 2 Krankenhausaufenthalte ▪ Die respiratorische Insuffizienz ist definiert als paO2
aufgrund von Exazerbationen innerhalb eines Jahres be- < 60 mmHg und paCO2 > 45 mmHg bei Atmung
reits eine Indikation zur Einleitung einer Beatmung dar von Umgebungsluft auf Meereshöhe.
[13]. ▪ Sie ist Folge einer Störung des pulmonalen Gasaus-
tauschs oder einer alveolären Hypoventilation
durch eine insuffiziente Atempumpe. Mischbilder
INFO sind jedoch häufig.
Ventilatorische Insuffizienz ▪ Ein Schwerpunkt der Diagnostik ist die Identifizie-
Die Symptome einer chronischen ventilatorischen rung von potenziell reversiblen und therapierbaren
Insuffizienz sind: Ursachen der RI.
▪ Dyspnoe/Tachypnoe (bei Belastung und/oder in ▪ Ziel der Therapie ist eine ausreichende Versorgung
Ruhe) der Peripherie mit O2 und das Erreichen einer Nor-
▪ morgendliche Kopfschmerzen mokapnie.
▪ Abgeschlagenheit ▪ Therapie der Wahl bei einer gestörten Atempumpe
▪ eingeschränkte Leistungsfähigkeit ist die nichtinvasive Ventilation. Bei hypoxischer RI
▪ psychische Veränderungen (z. B. Ängste, Depres- ist häufig eine invasive Beatmung erforderlich.

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sionen, Persönlichkeitsveränderungen)
▪ Schlafstörungen (nächtliches Erwachen mit Dys-
pnoe, nicht erholsamer Schlaf, Tagesmüdigkeit,
Einschlafneigung, Alpträume) Interessenkonflikt
▪ Polyglobulie
▪ Tachykardie Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
▪ Ödeme
▪ Cor pulmonale Autorinnen/Autoren

Sebastian Fritsch
Im Rahmen der Beatmung kommt es einer Verbesserung Dr. med., seit 2014 Weiterbildung in der Klinik
von Atemmechanik und Kraft bzw. Ausdauer der Atem- für Operative Intensivmedizin und der Klinik für
Anästhesiologie am Universitätsklinikum der
muskulatur. Hypoventilationen im Schlaf werden vermie-
RWTH Aachen.
den und so die Schlafqualität gebessert. In Kombination
führt dies dazu, dass die Patienten auch unter Spontan-
atmung bessere Blutgase aufweisen.
Johannes Bickenbach
PD Dr. med., seit 2016 Leitender Oberarzt der
Merke
Klinik für Operative Intensivmedizin am Univer-
Die Beatmung von chronisch erkrankten Patienten sitätsklinikum der RWTH Aachen.
erfolgt zumeist als NIV. Sie ist durch den Patienten
gut erlernbar und umsetzbar und kann auch im au-
ßerklinischen Umfeld unkompliziert angewendet
werden. Korrespondenzadresse

Bei schwerer betroffenen Patienten (insbesondere bei Dr. med. Sebastian Fritsch
neuromuskulären Erkrankungen) oder bei aktuell nicht Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care
entwöhnbaren Patienten kommen jedoch auch invasive Universitätsklinikum Aachen
Pauwelsstraße 30
Beatmungsformen, i. d. R. über eine Trachealkanüle, zum
52074 Aachen
Einsatz. Diese Form der außerklinischen Beatmung ist je- sfritsch@ukaachen.de
doch mit einem hohen organisatorischen und personel-
len Aufwand und hohen Kosten verbunden. Daher sollte Wissenschaftlich verantwortlich
die Indikation zur Beatmung regelmäßig reevaluiert wer- gemäß Zertifizierungsbestimmungen
den [7].
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs-
bestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Sebastian
Fritsch, Aachen.

98 Fritsch S, Bickenbach J. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 90–101


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medizin. Stuttgart: Thieme; 2008 [11] Hess DR. The evidence for noninvasive positive-pressure venti-
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tion 2015 des European Resuscitation Council. Notfall Ret-
tungsmed 2015; 18: 649–650

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VNR 2760512018154654743

Frage 1 Frage 4
Welcher Pathomechanismus führt nicht primär zu einer Störung Welche Aussage zur Atempumpe ist richtig?
der Atempumpe? A COPD-Patienten müssen gegenüber Lungengesunden zu-

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A Rarefizierung des Lungenparenchyms meist eine deutlich höhere Atemarbeit leisten.
B Obstruktion der unteren Atemwege B Der intrinsische PEEP unterstützt die inspiratorischen Atem-
C Störungen der neuromuskulären Übertragung bemühungen.
D Verletzungen der Thoraxwand C Eine Ermüdung der Atemmuskulatur ist auch bei pulmonal
E medikamentöse Reduktion des Atemantriebs Vorerkrankten ein sehr seltenes Ereignis.
D Die Atemmuskulatur kann nur durch eine invasive Beatmung
Frage 2 suffizient entlastet werden.
Welche Aussage zur Pathophysiologie der respiratorischen Insuf- E Auch eine lang andauernde kontrollierte Beatmung beein-
fizienz ist richtig? trächtigt die Atemmuskulatur nicht.
A Eine Hyperkapnie beruht zumeist auf einem intrapulmonalen
Rechts-links-Shunt. Frage 5
B Intrapulmonaler Recht-links-Shunt und alveoläre Totraum- Welche Aussage zur Sonografie des Thorax ist richtig?
ventilation sind die beiden Extreme eines gestörten Ventilati- A Die Röntgenaufnahme des Thorax im Liegen besitzt für die
ons-/Perfusions-Verhältnisses. Diagnose eines Pneumothorax eine Sensitivität von 80 %.
C Die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion kann auch bei B Transsudate weisen im Ultraschall in der Regel echoreiche
kritisch Kranken einen intrapulmonalen Recht-links-Shunt zu- Binnenstrukturen auf.
verlässig verhindern. C Ein ventraler Pneumothorax kann sonografisch nicht zuver-
D Eine alveoläre Hypoventilation führt nicht zu einer Hyperkap- lässig diagnostiziert werden.
nie. D Die Darstellung eines Kometenschweifartefaktes sichert die
E Ein Ventilations-/Perfusions-Mismatch ist eine seltene Ursa- Diagnose eines Pneumothorax.
che der hypoxischen respiratorischen Insuffizienz. E Bei Vorliegen eines Pleuraergusses können Dys- bzw. Atelek-
tasen ebenfalls sonografisch nachgewiesen werden.
Frage 3
Welche Aussage zur respiratorischen Funktion in der postopera- Frage 6
tiven Phase ist richtig? Welcher Laborbefund liefert keinen Hinweis auf die Ursache einer
A Thoraxeingriffe beeinträchtigen die pulmonale Funktion respiratorischen Insuffizienz?
meist stärker als Oberbaucheingriffe. A Hypophosphatämie
B Der Einsatz von Analgetika sollte bei pulmonal eingeschränk- B Hyperkalzämie
ten Patienten zurückhaltend erfolgen, um eine Reduktion des C hypochlorämische Alkalose
Atemantriebs zu vermeiden. D Hypermagnesiämie
C Restriktive Lungenerkrankungen führen häufiger zu postope- E Hypernatriämie
rativen respiratorischen Komplikationen als obstruktive.
D Die Veränderungen in der postoperativen Phase führen zu
einer funktionellen restriktiven Ventilationsstörung. ▶ Weitere Fragen auf der folgenden Seite …
E Die Operationsdauer ist kein Risikofaktor für die Entwicklung
einer postoperativen respiratorischen Insuffizienz.

100 Fritsch S, Bickenbach J. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 90–101
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Fortsetzung …

Frage 7 Frage 9
Welche Aussage zur Sauerstoffgabe in der akuten respiratori- Welche Aussage zur nichtinvasiven Beatmung ist richtig?
schen Insuffizienz ist richtig? A Eine Therapie mit NIV ist bei hypoxischer und hyperkap-
A COPD-Patienten sollten grundsätzlich keinen Sauerstoff er- nischer respiratorischer Insuffizienz gleichermaßen effektiv.
halten, um den hypoxischen Atemantrieb aufrechtzuerhal- B Eine Therapie mit NIV erfordert immer eine Sedierung.
ten. C NIV sollte nur bei chronischen Verläufen angewandt werden.
B Die Sauerstoffgabe soll titriert mit einer Zielsättigung von D Das Risiko für ventilatorassoziierte Pneumonien ist bei nicht-
94–98 % erfolgen. invasiver Beatmung höher als bei invasiver Beatmung.
C Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz erhalten E Bei Risikopatienten kann durch den Einsatz der NIV die Re-
grundsätzlich 15 l/min über Nase-/Mund-Maske. intubations- und Mortalitätsrate gesenkt werden.

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D Die Ziel-SaO2 für COPD-Patienten liegt bei > 94 %.
E Durch Sauerstoffgabe kann ein intrapulmonaler Rechts-links- Frage 10
Shunt nicht beeinflusst werden. Welche Aussage zur Therapie der chronischen respiratorischen
Insuffizienz ist falsch?
Frage 8 A Das Vorliegen eines Cor pulmonale mit Rechtsherzbelas-
Welche Aussage zur Therapie der respiratorischen Insuffizienz ist tungszeichen bei einem COPD-Patienten spielt keine Rolle
richtig? bei der Entscheidung über eine Langzeit-Sauerstofftherapie.
A Bei RI ist eine invasive Beatmung einer nichtinvasiven Beat- B Bei Messung einer 3-maligen Hypoxämie mit einem paO2 un-
mung gegenüber immer vorzuziehen. ter 55 mmHg innerhalb von 4 Wochen ist eine Langzeit-Sau-
B Eine NIV erfolgt als kontrollierte Beatmung. erstofftherapie indiziert.
C Wenn sich unter NIV-Therapie nach 1–2 Stunden die vor- C COPD-Patienten, die 2-mal innerhalb eines Jahres exazerbati-
bestehende Hyperkapnie verschlimmert hat, so muss eine onsbedingt stationär aufgenommen werden mussten, sollen
invasive Beatmung eingeleitet werden. dauerhaft mit NIV behandelt werden.
D Da sich beim kardiogenen Lungenödem stets eine hypoxi- D Ziel der NIV bei chronischer respiratorischer Insuffizienz ist
sche respiratorische Insuffizienz entwickelt, ist die Therapie eine Normokapnie.
mittels NIV wirkungslos. E Hauptauslöser für eine chronische respiratorische Insuffizienz
E Eine Azidose mit einem pH-Wert < 7,1 ist eine absolute Kont- sind zentrale Atemregulationsstörungen, neuromuskuläre Er-
raindikation zum Einsatz von NIV. krankungen, Thoraxdeformitäten, COPD und das Obesitas-
Hypoventilationssyndrom.

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