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Der Nervenarzt

Organ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde,


der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft

Elektronischer Sonderdruck für


C.H. Nolte
Ein Service von Springer Medizin

Nervenarzt 2011 · 82:231–241 · DOI 10.1007/s00115-010-3197-z


zur nichtkommerziellen Nutzung auf der
privaten Homepage und Institutssite des Autors
© Springer-Verlag 2010

C.H. Nolte · M. Endres · G.J. Jungehülsing

Vaskuläre Syndrome des Thalamus

www.DerNervenarzt.de
CME Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

Nervenarzt 2011 · 82:231–241 C.H. Nolte · M. Endres · G.J. Jungehülsing


DOI 10.1007/s00115-010-3197-z Klinik für Neurologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin
Online publiziert: 18. Dezember 2010
Franklin und Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB), Berlin
© Springer-Verlag 2010

Vaskuläre Syndrome
des Thalamus
Zusammenfassung
Der Thalamus besteht aus zahlreichen Kerngebieten, die nach funktionellen Gesichtspunkten in
5 Gruppen eingeteilt werden können: (1) Die retikulären und intralaminären Kerngebiete beein-
flussen Vigilanz und Schmerzwahrnehmung, (2) die sensorischen Kerngebiete verarbeiten senso-
rische Afferenzen, (3) die Effektorkerngebiete nehmen Einfluss auf die Motorik und Sprache, (4)
die assoziativen Kerngebiete nehmen an höheren kognitiven Funktionen teil und (5) die limbi-
schen Kerngebiete beeinflussen die Gemütslage und den Antrieb. Die thalamischen Kerngebiete
werden im Wesentlichen von 4 Arterien versorgt: der A. paramediana, A. thalamoperforans ante-
rior, A. thalamogeniculata und A. choroidea posterior lateralis. Aufgrund der variablen Ausprä-
gung der jeweiligen Versorgungsgebiete variieren die klinischen Syndrome je nach den betroffe-
nen Kerngebieten. Dieser Artikel stellt die klinischen Bilder vor.

Schlüsselwörter
Thalamus · Thalamussyndrome · Gefäßversorgung · Vaskuläre Syndrome · Thalamusinfarkt

Vascular syndromes of the thalamus


Summary
Punkten Sie online auf The thalamus comprises numerous nuclei that can be grouped into five major functional domains:
(1) the reticular and intralaminar nuclei influence arousal and nociception, (2) sensory nuclei han-
CME.springer.de dle afferent pathways, (3) the effector nuclei are involved in motor function and language, (4) as-
sociative nuclei participate in higher cognitive functions and (5) limbic nuclei influence mood and
Teilnahmemöglichkeiten motivation. The thalamic nuclei are mainly supplied by the following four cerebral arteries: para-
- kostenfrei im Rahmen des jeweiligen
Zeitschriftenabonnements median artery, anterior thalamoperforating artery, thalamogeniculate artery and posterior choroi-
- individuelle Teilnahme durch den Erwerb dal artery (lateral branches). Occlusions of these arteries affect the thalamic nuclei to varying de-
von CME.Tickets auf CME.springer.de grees and produce partly characteristic and partly overlapping deficits. This article describes the
Zertifizierung clinical pictures.
Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CME-Punkten
zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen Keywords
und der Nord­rheinischen Akademie für Ärztliche Thalamus · Thalamic syndromes · Arterial supply · Vascular syndromes · Thalamic infarction
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Der Nervenarzt 2 · 2011 | 231


Dieser Artikel stellt exemplarisch verschiedene Thalamussyndrome vaskulärer Genese vor,
die bei Patienten in der Notaufnahme oder Stroke-Units gesehen werden. Der Leser soll er-
kennen, welche Beschwerden und Befundkonstellationen an einen thalamischen Hirnin-
farkt denken lassen müssen. Die Anatomie und Gefäßversorgung des Thalamus werden in
ihren Grundzügen dargestellt.

Geschichte

Der Thalamus dorsalis – oder kurz Thalamus – beschreibt ein großes Zellkonglomerat im Dienze-
phalon. Die Bezeichnung „Thalamus“ ist griechisch (thálamos) und steht für „Schlafgemach“ oder
„Kammer“. Der Begriff wird auf den griechischen Arzt Galen[os] von Pergamon zurückgeführt, der
im 2. Jahrhundert nach Christus Teile des 3. Ventrikels beschrieb. Im 17 Jahrhundert wurde der Be-
griff Thalamus von dem Franzosen Jean Riolan und dem Engländer Thomas Willis aufgegriffen und
in der heutigen Bedeutung für das Zellkonglomerat verwendet, das er noch heute bezeichnet. Mög-
licherweise resultiert die Begriffsverschiebung aus einer inakkuraten Interpretation der Handschrift
Galens. Mithilfe verbesserter Mikroskope und histologischer Färbungen gelang es dem Deutschen
Karl Friedrich Burdach 1823 eine Unterteilung des Thalamus in verschiedene Kerngebiete vorzu-
schlagen [2, 10].

Anatomie

Der Thalamus ist ein walnussgroßes Der Thalamus ist ein walnussgroßes etwa 3×1,5×1,5 cm großes Konglomerat mehrerer Kerngebiete,
Konglomerat mehrerer Kerngebiete, das etwa 80% des Volumens des Dienzephalons ausmacht. Der Thalamus grenzt anatomisch nach la-
das etwa 80% des Volumens des teral an die Capsula interna und die Laminae medullares externae, nach medial an den 3. Ventrikel,
Dienzephalons ausmacht nach kranial an den Boden des Seitenventrikels und nach rostral an hypothalamische Kerngebiete.
Der vordere Pol des Thalamus grenzt an die Striae terminalis des Nucleus caudatus. Der hintere Pol
besteht aus dem Pulvinar (lat. „Polster“). Der Thalamus ist paarig angelegt. Beide Thalami sind häu-
7 Adhaesio interthalamica fig über die 7 Adhaesio interthalamica miteinander verbunden. Die Adhaesio interthalamica ist eine
sekundäre Verklebung grauer Substanz, die keine kreuzenden Bahnen enthält.
Die Fasern der Laminae medullares internae ziehen in Form eines „Y“ durch den Thalamus und
erlauben anatomisch die Abgrenzung der Hauptkerngruppen:
F Nuclei anteriores,
F Nuclei mediales und
F Nuclei ventrolaterales.

7 Pulvinar thalami Nach kaudal schließt sich das 7 Pulvinar thalami als 4. Kerngebiet an. Innerhalb der Laminae und
am äußeren Rand des Thalamus befinden sich weitere kleinere Kerngruppen.
Innerhalb der Ncl. ventrolaterales werden die Ncl. ventrales und laterales unterschieden. Die Ncl.
ventrales werden wiederum in anteriore (VA), laterale (VL) und posteriore, nämlich den Ncl. ven-
tralis posterolateralis (VPL) und Ncl. ventralis posteromedialis (VPM) gegliedert. Die Ncl. latera-
les werden in einen Ncl. lateralis dorsalis (LD) und einen Ncl. lateralis posterior (LP) eingeteilt. Die
Unterteilungen auf dem Boden zytologischer und funktioneller Überlegungen führen in bis zu 120
Untergruppen [25] (. Abb. 1).

Funktion

Der Thalamus spielt als „Relaisstation“ des zentralen Nervensystems eine wichtige Rolle bei der
Sammlung, Vernetzung, Modulation und Integration zentralnervöser und aus dem peripheren Ner-
vensystem eintreffenden Informationen. Da jeder Reiz, der zu Bewusstsein gelangt, zuvor über tha-
lamokortikale Bahnen den verschiedenen Arealen der Großhirnrinde zugeleitet wird, gilt der Tha-
7 „Tor zum Bewusstsein“ lamus auch als das 7 „Tor zum Bewusstsein“. Somatosensorische, gustatorische, vestibuläre, audi-
torische und auch visuelle Afferenzen werden im Thalamus moduliert. Ausnahmen sind die onto-
genetisch alten olfaktorischen Afferenzen, die nicht über den Thalamus verschaltet werden. Unter
funktionellen Gesichtspunkten können die Kerngebiete des Thalamus in 5 Gruppen unterteilt wer-
den [25, 27]:
F Retikuläre und intralaminäre Kerngebiete beeinflussen Wachheit und Schmerzwahrnehmung.

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CME

Ncl. anteriores A. carotis interna

Ncl. ventrolateralis
ventral: VA, VL, VP(L), VP(M) A. thalamoperfornas anterior
lateral: LD, LP
Ncl. ant.
A. cerebri
communicans posterior
Ncl. intralaminares (IL) VA
und VL MD
medialis centralis Ncl. mediales
IL
(MD)

VP A. paramediana (Ramus superior)

A. choroidea posterior lateralis


Pu
A. thalamogeniculata
Pulvinar (Pu)
A. cerebri posterior (P1)
Abb. 1 8 Schematische Darstellung der Einteilung des Thalamus anhand
der Fasern der Laminae medullares thalami (weiß) in Kerngruppen: Ncl. an-
teriores (grün), Ncl. mediales (orange), Ncl. ventrolateralis (blau), Pulvinar A. cerebri posterior (P2).
thalami (violett) und intralaminare Kerne (schwarz). VA anteriorer Ncl. vent-
rales, VL lateraler Ncl. ventrales, VPL Ncl. ventralis posterolateralis, VPM Ncl.
ventralis posteromedialis, LD Ncl. lateralis dorsalis, LP Ncl. lateralis posterior Abb. 2 8 Schematische Darstellung der 4 Gefäßterritorien des Thalamus
und der versorgten Kerngebiete. Ncl. ant. Ncl. anteriores thalami, VA Ncl.
ventralis anterior, VL Ncl. ventralis lateralis, VP Ncl. ventralis posterior, IL Ncl.
intralaminares, MD Ncl. medialis dorsalis, Pu Pulvinar

F Sensorische Kerngebiete sind zentrale Strukturen in der Verarbeitung sensibler Afferenzen aller
Qualitäten.
F Effektorkerngebiete regulieren motorische Funktionen und sind in die Sprachverarbeitung inte-
griert.
F Assoziative Kerngebiete sind in die Verarbeitung höherer kognitiver Funktionen eingebunden.
F Limbische Kerngebiete beeinflussen die Stimmung und den Antrieb.

Die Impulse werden zum überwiegenden Teil über 7 thalamokortikale Bahnen der Großhirnrinde 7 Thalamokortikale Bahnen
zugeleitet. Thalamostriale Efferenzen machen nur einen geringen Anteil aus.

Gefäßterritorien

Erste Beschreibungen der Gefäßversorgung des Thalamus liegen uns bereits aus der 2. Hälfte des
19. Jahrhunderts vor [10]. Die Grundlagen wurden durch zahlreiche Arbeiten von Percheron in den
70er Jahren des 20. Jahrhunderts geschaffen [22, 23]. Im Wesentlichen wird die Blutversorgung des
Thalamus von 4 Arteriengruppen gewährleistet, die überwiegend dem Stromgebiet der 7 A. cerebri 7 A. cerebri posterior
posterior zugehören. Es sind dies:
F die A. paramediana,
F die A. thalamoperforans anterior (die überwiegend aus der A. communicans posterior ent-
springt),
F die A. thalamogeniculata und
F die A. choroidea posterior lateralis (. Abb. 2).

Die 4 Hauptarterien variieren individuell in Bezug auf das Ursprungsgefäß der genannten Arterien
sowie ihrer Anzahl, Lage und ihrer Versorgungsgebiete [2, 22, 23].
Die Nomenklatur ist leider uneinheitlich. Im englischen Sprachgebrauch werden sie meistens Die Nomenklatur der
posteriore thalamosubthalamische Arterie (entsprechend der A. paramediana), tuberothalamische Arteriengruppen ist uneinheitlich
(entsprechend der A. thalamoperforans anterior), inferolaterale (entsprechend der A. thalamogeni-
culata) und posteriore choroidale Arterie genannt. Weitere Synonyme sind in . Tab. 1 aufgelistet.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in diesem Abschnitt auf die in vielen Publikationen ver-

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Tab. 1 Gefäßterritorien mit den häufigsten anatomischen Bezeichnungen, den versorgten Kerngebieten und häufig beschriebenen
Defiziten
Territorium Bezeichnung Synonyme Versorgte Kerngebiete Klinische Zeichen/Befunde
Anterolateral A. thalamoperfo- Polar artery Ncl. intralaminares Neuropsychologische Defizite:
rans anterior Tuberothalamic artery Ncl. ventralis lateralis (rostral) – Mnestische und Orientierungsstörungen
Anterior thalamosubthala- Ncl. medialis dorsalis (ventral) – Persönlichkeitsveränderungen
mic paramedian artery Ncl. anteriores thalami – Aphasie (linkshemispheriell)
Inferior thalamic peduncle – Störungen der Exekutivfunktionen und des An-
triebs (Apathie und Aggression) Perseverationen
Inferomedial A. paramediana Posterior thalamo-perfora- Ncl. laterales dorsalis Antrieb, Aufmerksamkeit, Gedächtnis
ting artery Ncl. intralaminares Vigilanzstörungen
Posterior thalamo-subthala- Ncl. centromediale (Dystonie, Chorea)
mic artery Pulvinar (ventromedial) Apraxie, Aphasie
Mesenzephale Anteile (riMLF) Vertikale Blickparese
Inferolateral A. thalamogeni- Inferolateral branches Ncl. ventralis posterior Hemihypästhesie, Hemihypalgesie
culata Ncl. ventralis lateralis Hemiataxie, (transiente) Hemiparese
Schmerzsyndrom, „Thalamushand“
Posterolateral A. choroidea pos- Posterior choroidal artery Ncl. ventralis posteriores Sensomotorische Ausfälle
terior lateralis Pulvinar (laterale Anteile) (Aphasie)
Corpus geniculatum laterale Gesichtsfeldeinschränkungen

wendeten, verschiedenen englischen Bezeichnungen verzichtet und die lateinisch-griechische No-


menklatur verwendet [2, 6].
Isolierte Thalamusinfarkte machen Isolierte Thalamusinfarkte machen ca. 2–3% aller ischämischen Schlaganfälle und ca. 11% verte-
ca. 2–3% aller ischämischen Schlag- brobasilärer Infarkte aus und sind damit relativ selten. Jedoch ist der Thalamus bei 20–30% der Isch-
anfälle aus ämien im Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior und einem Drittel aller Basilarisverschlüsse mit-
betroffen und kann zu schweren neurologischen Funktionsstörungen führen [1, 2, 3, 8, 12, 25, 26].

A. paramediana, inferomediales Gefäßterritorium

Infarkte im inferomedialen Gefäß­ Infarkte im inferomedialen Gefäßterritorium sind mit 22–35% die zweithäufigste thalamische In-
territorium sind mit 22–35% die farktlokalisation und rufen Vigilanzminderungen, neuropsychologische Störungen und eine verti-
zweithäufigsten thalamische Infarkt­ kale Blickparese hervor. Sie werden durch einen Verschluss der Arteria paramediana verursacht, die
lokalisation zumeist aus dem P1-Segment der A. cerebri posterior („mesencephalic artery“) entspringt [2, 27].
Sie sind überwiegend kardioembolisch [11, 26].
Das Versorgungsgebiet der A. paramediana kann intralaminäre Thalamuskerne (Ncl. centrome-
dianus, Ncl. centrolateralis, Ncl. parafascicularis), den posteromedialen Teil des Ncl. venteralis late-
ralis und die Lamina medullaris interna und den venteromedialen Anteil des Pulvinar einschließen.
In einigen Fällen werden auch der Ncl. lateralis dorsalis, der Ncl. lateralis posterior und der Ncl. ven-
tralis anterior von der A. paramediana versorgt [8, 25].
Bei den Ausfallsymptome In Abhängigkeit des Gefäßursprungs und der Lokalisation des stenosierenden bzw. okkludieren-
stehen Vigilanzminderungen den Gefäßprozesses kann es im Rahmen eines Infarktes klinisch zu unterschiedlichen Ausfallsymp-
im Vordergrund der tomen kommen. Im Vordergrund stehen Vigilanzminderungen. Der paramediane Thalamusinfarkt
ist somit eine wichtige Differenzialdiagnose zum metabolischen Koma und zur metabolischen En-
zephalopathie [2, 6, 18]
7 Vertikale Blickparese Besonderes Augenmerk gilt deshalb der beim paramedianen Thalamusinfarkt häufigen 7 vertika-
len Blickparese [2, 4, 18]. Die vertikale Blickparese wird durch eine ischämische Beteiligung des Me-
senzephalons mit Affektion des rostralen (interstitiellen) Fasciculus longitudinalis medialis (riMLF)
hervorgerufen. Diese in ihrer Funktion so unterschiedlichen Hirnregionen (medianer Thalamus
und riMLF) werden von den Ästen der A. paramediana versorgt. Während der Ramus superior zum
Thalamus zieht, versorgen die Rami medialis und inferior pontine und mesenzephale Strukturen.
Wenn es zu einem distalen Verschluss der A. basilaris kommt und weitere pontomesenzephale Area-
le infarzieren, treten neben vertikalen Blickparesen auch Konvergenz- und Pupillomotorikstörungen
und horizontale Augenbewegungsstörungen („Pseudoabduzensparese“ und internukleäre Ophthal-
7 „Top of the basilar syndrome“ moplegie) auf. Dies ist der Infarzierung weiterer Basilarisäste geschuldet, die als 7 „top of the basi-
lar syndrome“ von Caplan beschrieben wurden [4]. Bei ausgedehnter Infarzierung kann es sogar zu
einem Locked-in-Syndrom kommen. Wenn der Infarkt sehr klein ist, kann auch lediglich ein isolier-

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CME

Abb. 3 8 T2-gewichtetes MRT eines (kleinen) isolierten, inferomedialen Thalamusinfarktes im Versorgungsgebiet


der A. paramediana (Ramus superior). Der 26-jährige Patient erlitt eine plötzliche Bewusstlosigkeit über wenige
Stunden

ter Augenlidmyoklonus auftreten, wie er als Rarität bei einem isolierten Thalamusinfarkt im dorso-
medialen Kerngebiet (parvozellulärer Anteil) beschrieben ist [15]. Charakteristisch sind die neuro- Charakteristisch bei paramedianen
psychologischen Defizite bei paramedianen Thalamusinfarkten. Häufig treten diese erst im klini- Thalamusinfarkten sind neuropsycho-
schen Verlauf in den Vordergrund, nachdem sich die initiale Vigilanzminderung gebessert hat [2, 6]. logische Defizite
Beschrieben sind temporäre Desorientierung, Gedächtnisstörungen und Beeinträchtigungen des
Lernvermögens. Es kann zum Verlust der Eigeninitiative und Spontaneität, gestörter Aufmerksam-
keit, verminderter Urteilsfähigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber eigenen Problemen und denen der
Umwelt kommen [18]. Bei der Beschreibung einer Patientin mit bilateralem Thalamusinfarkt wurde
von Grünthal Mitte des 20. Jahrhunderts der Begriff 7 „thalamische Demenz“ geprägt. Bei Grün- 7 „Thalamische Demenz“
thal stand ein klinisches Syndrom im Vordergrund, das an eine bilaterale Frontalhirnschädigung er-
innert. Trotz Verfalls der „sozialen“ Intelligenz ist die „formale“‘ Intelligenz, so wie sie mit Standard-
tests überprüft werden kann, gut erhalten. Diese Diskrepanz findet sich gleichfalls bei bifrontalen Lä-
sionen. Einige Autoren beurteilen den Begriff der thalamischen „Demenz“ deshalb als irreführend.
Im Vordergrund stehen der reduzierte Antrieb, eine Inflexibilität im Planen und Handeln, Störun-
gen der Exekutive und eine Anosognosie oder zumindest deutlich verminderte Selbstwahrnehmung
[2, 18, 24, 25] (. Abb. 3).
Die A. paramediana nimmt eine Sonderstellung ein, da sie aufgrund ihrer anatomischen Varian-
ten anfällig für eine bilaterale Affektion des Thalamus ist. Bilaterale Thalamusinfarkte sind in der gro- Bilaterale Thalamusinfarkte
ßen Mehrheit (50%) Infarkte der A. paramedianae. Dies liegt daran, dass in einer großen Anzahl der sind in der großen Mehrheit Infarkte
Fälle beide Aa. paramedianae unilateral von der gleichen A. cerebri posterior entspringen oder sich der A. paramedianae
einen gemeinsamen Stamm teilen. Die Varianten werden nach ihrem Beschreiber Percheron einge-
teilt und benannt. Sie sind in der . Abb. 4 schematisch dargestellt [2, 22, 23, 24].
Infolge einer bilateralen Läsion der inferomedialen (paramedianen) Thalamuskerne treten Des-
orientiertheit, Affektnivellierung und 7 Antriebslosigkeit auf. In Abhängigkeit der Infarktlokalisa- 7 Antriebslosigkeit
tion können Aphasien (linkshemispheriell bedingt) oder Störungen der visuellen Raumorientierung
(rechtshemispheriell bedingt) hinzutreten. Vigilanzminderungen bessern sich in der Regel im Ver-
lauf. Deren Prognose ist jedoch schlechter als bei unilateralen inferomedialen Infarkten. Agitations-
zustände sowie affektive Störungen (Aggression, Apathie, Aspontaneität) persistieren nicht selten
oder nehmen sogar zu [3, 6, 8, 27] (. Abb. 5).

Der Nervenarzt 2 · 2011 | 235


A. paramediana
A. cerebri posterior (P1)
A. basilaris
Typ 1 Typ 2a Typ 2b Typ 3

Abb. 4 8 Einteilung der verschiedenen Abgangstypen der A. paramediana (Ramus superior) zum Thalamus nach
Percheron

Abb. 5 8 T2-gewichtetes MRT eines bilateralen inferomedialen Thalamusinfarktes der durch einen Verschluss der
A. Percheron Typ IIb (gemeinsamer Abgang beider Aa. paramedianae) verursacht ist. Die 67-jährige Patientin wurde
weinend, verwirrt und ohne Reaktion auf Ansprechen aufgefunden und war kurze Zeit später nicht mehr erweckbar.
Klinisch zeigte sie außerdem eine vertikale Blickparese. Im Verlaufe zeigte sich eine deutliche Besserung der Vigilanz.
Gleichzeitig kam es zu einer Besserung der initial sehr schweren mnestischen Defizite

A. thalamoperforans anterior, anterolaterales Gefäßterritorium

Infarkte im anterolateralen Gefäßterritorium sind mit 12–18% die dritthäufigste thalamische In-
farktlokalisation und verursachen vor allem neuropsychologische Symptome. Sie werden überwie-
gend der A. thalamoperforans anterior zugeschrieben. Die A. thalamoperforans anterior („tuberot-
halamic artery“) entspringt dem mittleren Drittel der Arteria communicans posterior und verläuft
Die Mehrheit der Infarkte ist innerhalb des Thalamus parallel zum Tractus mamillothalamicus. Die Mehrheit dieser Infarkte ist
kardioembolisch kardioembolisch [5].
Die A. thalamoperforans anterior versorgt insbesondere den rostralen bzw. ventralen Anteil des
Thalamus mit folgenden thalamischen Strukturen und Kerngebieten: Ncl. reticularis, Ncl. ventralis
Die neuropsychologischen Defizite anterior, den rostralen Teil des Ncl. ventralis lateralis, den ventralen Anteil des Ncl. medialis dorsa-
bestehen aus wechselnder qualitati- lis sowie den Tractus mamillothalamicus, den ventralen Teil der Lamina medullaris interna und ef-
ver und quantitativer Bewusstseins- ferente Verbindungen der Amygdala. Die neuropsychologischen Defizite sind teils sehr beeindru-
störung ckend und bestehen aus wechselnder qualitativer und quantitativer Bewusstseinsstörung zu Beginn
des Infarktes (insbesondere zeitliche Orientierungsstörungen), Apathie, Abulie, Apraxie, Akalku-
7 Veränderungen der lie, Antriebsstörungen, 7 Veränderungen der Persönlichkeit sowie Beeinträchtigung des Kurz-
Persönlichkeit zeitgedächtnis und des Lernvermögens. Patienten vereinen nicht selten einerseits ein Haften in der
Ausführung motorischer Aufgaben aber Sprunghaftigkeit bei der Widergabe verbaler Informatio-

236 | Der Nervenarzt 2 · 2011


CME

nen [1, 12]. Die genannten Symptome sind bei links-


hemispheriellen und bilateralen Läsionen stärker aus-
geprägt und werden nicht selten von Aphasien beglei-
tet, wenn der Ncl. venteralis lateralis mitbetroffen ist.
7 Thalamische Aphasien unterscheiden sich von korti- 7 Thalamische Aphasien
kalen Aphasien dadurch, dass kognitive Funktionen wie
Aufmerksamkeit, Antrieb und Gedächtnis beeinträch-
tigt sind und Anosognosien und Orientierungsstörun-
gen zur Folge haben. Die Sprachverarbeitung ist damit
sekundär betroffen, die Sprache imponiert inhaltlich in-
stabil und fragmentiert. Eine thalamische Aphasie prä-
sentiert sich häufig mit einer 7 verminderten Spon- 7 Verminderte Spontansprache
tansprache. Charakteristisch sind Wortabrufstörun-
gen und Perseverationen. Die Schrift, syntaktische und
repetitive Fähigkeiten sind überwiegend gut erhalten.
Sprachverständnisstörungen sind gering. Eine Hypo-
Abb. 6 8 T2-gewichtetes MRT eines isolier- phonie und/oder Dysprosodie sind beschrieben [1, 12].
ten anterolateralen Thalamusinfarktes als Teilin- Insgesamt ist bei linksseitigen Thalamusläsionen
farkt der A. thalamoperforans anterior links. Der
60-jährige Patient stellte sich aufgrund von Mü-
häufiger mit Sprachstörungen zu rechnen. Rechtsseitige
digkeit und Antriebsstörung sowie einer über Infarkte hingegen gehen häufig mit einem Neglekt und
24 h transienten milden brachiofazialen Hemi- kognitiven Defiziten im Bereich der visuellen räumli-
parese links in der Rettungsstelle vor. Im Unter- chen Verarbeitung von Informationen wie auch des vi-
suchungsbefund fiel eine als mnestische Apha- suellen Gedächtnisses einher. Es zeigen sich bei rechts- Bei rechtseitigen Läsionen zeigen sich
sie eingeordnete Sprachstörung auf. Nach
einem Jahr zeigten sich eine deutlich reduzierte
eitigen Läsionen gehäuft Körperschemastörungen mit gehäuft Körperschemastörungen
Spontansprache mit eingeschränktem Wortver- bspw. kinästhetischen Illusionen, Hemiasomatognosie,
ständnis, eine deutliche Langzeitgedächtnisstö- Asomatognosie und Anosognosien [2, 6, 24, 25].
rung und eine Anosognosie Bei einem Drittel der Normalbevölkerung ist die
A. thalamoperforans anterior nicht angelegt; die ante-
rioren Thalamuskerne werden in diesem Fall durch die Arteria paramediana mitversorgt. Die Varia-
bilität der Gefäßversorgung kann auch zur Erklärung von neuropsychologischen Defiziten bei In-
farkten der A. paramediana herangezogen werden [24] (. Abb. 6).

A. thalamogeniculata, inferolaterales Gefäßterritorium

Die mit 45% häufigste thalamische Infarktlokalisation ist das inferolaterale Gefäßgebiet der A. thala-
mogeniculata. Als Genese wird meist die 7 Mikroangiopathie favorisiert [2, 27]. 7 Mikroangiopathie
Die lateralen Anteile des Thalamus, insbesondere die venteroposterioren Thalamuskerne, die äu-
ßere Hälfte des Corpus geniculatum mediale, Anteile des Ncl. ventralis lateralis, der Ncl. dorsalis la-
teralis sowie rostrale und laterale Anteile des Pulvinars werden von 5 bis 10 Ästen der A. thalamoge-
niculata versorgt, welche dem P2-Segment der A. cerebri posterior entspringen. Sie werden auch als
inferolaterale Arterien des Thalamus bezeichnet und entsprechend ihres Versorgungsgebietes in drei
Untergruppen unterteilt. Infarkte im Bereich der inferolateralen Arterien können zu dem von Déje- Infarkte im Bereich der inferolateralen
rine und Roussy beschriebenen Thalamussyndrom führen, welches das Auftreten einer vollständi- Arterien können zum sog. Thalamus-
gen Hemianästhesie bzw. eines die gesamte Körperhälfte betreffenden somatosensorischen Diskri- syndrom führen
minationsdefizits in Kombination mit Ausfall der propiozeptiven Empfindungen und taktilen Loka-
lisationsproblemen umfasst. Eine Hemiparese kann initial bestehen, ist aber meist rasch regredient
[7]. Parietale (postzentrale) Läsionsmuster, aber auch median-pontine Läsionsmuster können diese
Symptome klinisch imitieren und werden deshalb als „pseudothalamische“ Syndrome bezeichnet.
Weitere Kennzeichen inferolateraler Thalamusinfarkte sind spontan auftretende Schmerzen, soma-
tosensorische Hypersensibilität und Chorea. Aufgrund der hohen Anzahl und Komplexität infero-
lateraler Arterien mit der Versorgung unterschiedlicher Kerngebiete ist das klinische Beschwerde-
bild nicht immer einheitlich: Es ist nicht immer klinisch topographisch einfach zuzuordnen. So sind Für die im Verlauf auftretenden
neben der typischen Hemihypästhesie auch cheiro-orale, cheiro-podo-orale und pseudoradikulä- Schmerzen mit Allodynie und Hyper-
re Ausfallmuster beschrieben [2, 9, 16, 17, 19]. Für die bei ca. 20% der Patienten im Verlauf auftre- pathie wurde der Begriff „Thalamus-
tenden Schmerzen mit Allodynie und Hyperpathie wurde der Begriff „Thalamusschmerz“ geprägt. schmerz“ geprägt
Er tritt nach rechtsseitigen Läsionen häufiger auf [20]. Der Thalamus spielt bei der Schmerzver-

Der Nervenarzt 2 · 2011 | 237


arbeitung eine entscheidende Rolle: Schmerzreize füh-
ren durch Aktivierung im Thalamus in grober, dump-
fer Form bereits zu ihrer Wahrnehmung. Der Thalamus
integriert die Schmerzreize, moduliert sie affektiv und
leitet sie zum Kortex weiter. Im Kortex erfolgt eine Dif-
ferenzierung der Qualitäten und Diskrimination. Nach
einer Schädigung affektiver oder sensorischer Kernge-
7 Fehlwahrnehmung mit biete des Thalamus kann es zu einer 7 Fehlwahrneh-
Schmerzgefühl mung mit Schmerzgefühl kommen. Thalamischer
Schmerz ist eine Form zentraler Schmerzen, also von
Schmerzen, die durch Schädigung oder Dysfunktion im
zentralen Nervensystem entstehen und ohne adäqua-
ten Reiz an einem Nozizeptor oder peripheren Nerven
sind. Der Thalamusschmerz entwickelt sich meist erst
Wochen oder Monate nach der akuten Schädigung und
7 „Anesthesie doloureuse“ wurde von Déjerine und Roussy als 7 „Anesthesie do- Abb. 7 8 T2-gewichtetes Bild, das einen infero-
loureuse“ beschrieben [2, 7, 25, 26]. Eine weitere Fol- lateralen Thalamusinfarkt links im Versorgungs-
ge eines lateralen Thalamusinfarktes im Versorgungs- gebiet der A. thalamogeniculata zeigt. Die
gebiet der A. thalamogeniculata kann die von Foix und 55-jährige Patientin hatte eine plötzliche Taub-
heit der rechten Körperseite und einen metal-
Hillemand erstmals beschriebene Thalamushand sein.
lischen Geschmack auf der Zunge beklagt. Wo-
Sie bezeichnet eine athetotische Fehlhaltung der Hand. chen später entwickelte sie bei gleichzeitiger
Charakteristisch sind eine Pronation des Unterarmes Hemihypalgesie eine Hyperpathie rechts
sowie eine Flexion der Hand und Flexion der Finger
im Grundgelenk bei gleichzeitiger Streckung der Fin-
ger in den Interphalangealgelenken. Als ursächlich wird die Schädigung der Tiefensensibilität ange-
nommen [13] (. Abb. 7).

A. choroidea posterior lateralis, posterolaterales Gefäßterritorium

Infarkte im posteriolateralen Gefäßterritorium sind mit etwa 7% die seltenste Manifestation eines iso-
lierten Thalamusinfarktes und meist mikroangiopathisch. Sie werden der A. choroidea posterior late-
ralis zugeschrieben, die in unmittelbarer Nähe der A. communicans posterior entspringt. Sie versorgt
das Corpus geniculatum laterale, die inferolateralen Anteile des Pulvinars sowie der Ncl. dorsalis la-
Bei Ischämien im Bereich der teralis und der Ncl. posterior lateralis über ein bis 6 Äste. Bei Ischämien im Bereich der lateralen Äs-
lateralen Äste der A. choroidea te der A. choroidea posterior kommt es zu Sehstörungen (insbesondere zu homonymen Quadran-
posterior kommt es zu Sehstörungen tenanopsien) und Hemihypästhesien, selten sind auch Aphasien und Gedächtnisstörungen berichtet
und Hemihypästhesien worden. Neuropsychologische Defizite sind aber vor allem charakteristisch für Infarkte der A. thala-
moperforans anterior und der A. paramediana. Die A. choroidea posterior mediale entspringt vom
distalen P1- oder proximalen P2-Segment der A. cerebri posterior und versorgt dienzephale Struk-
turen wie den Ncl. subthalamicus, Teile des Mesenzephalons, den medialen Teil des Corpus genicu-
latum mediale, die posterioren Anteile des Ncl. centromedianus und des Ncl. centrolateralis sowie
das Pulvinar. Kontrovers diskutiert wird die Aussage Percherons, nach welcher ein Teil der anterio-
ren Thalamuskerne ebenfalls über die A. choroidea posterior medialis perfundiert wird [2, 6, 21, 25].

Innere Hirnvenenthrombose

7 Stauungsödem Eine wichtige Differenzialdiagnose des bilateralen (arteriellen) Thalamusinfarktes ist das 7 Stau-
ungsödem bei innerer Hirnvenenthrombose. Die innere Hirnvenenthrombose ist selten und nur bei
Hirnvenenthrombosen werden vor 3–8% zerebraler (Sinus-)Venenthrombosen zu finden. Sie werden vor allem bei Kindern berichtet
allem bei Kindern berichtet und bei und bei Frauen, die Kontrazeptiva einnehmen. Als klinische Symptome stehen Kopfschmerzen, Vi-
Frauen, die Kontrazeptiva einnehmen gilanzschwankungen und epileptische Anfälle im Vordergrund. Der Verlauf ist häufiger progredient
und fluktuierend und seltener mit apoplektiformem Beginn. Die MRT kann in der Regel gut zwi-
schen einer inneren Hirnvenenthrombose und einem arteriellen Thalamusinfarkt unterscheiden, da
bei der Thrombose das Stauungsödem in der Regel bilateral ist, häufig über den Thalamus hinaus-
geht und Hämorrhagien bei arteriellen Thalamusinfarkten selten sind (. Abb. 8).

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CME

Abb. 8 8 T1-, T2- und TIRM-gewichtete MRT eines ausgedehnten, nahezu symmetrischen Ödems der Thalami,
Capsula internae und Basalganglien. Ursache war eine innere Hirnvenenthrombose. Der 60-jährige Patient wurde
mit seit zwei Tagen bestehenden Kopfschmerzen und seit einem Tag zunehmender Verwirrtheit und Müdigkeit vor-
gestellt. In der Rettungsstelle zeigte sich eine generalisierter tonisch-klonisch epileptischer Anfall

Ätiologie der Infarkte

Während nach Untersuchungen von Bogousslavsky et al. aus den 1980er Jahren 7 mikroangiopathi- 7 Mikroangiopathische Prozesse
sche Prozesse die häufigste Ursache von Thalamusinfarkten sind, mehren sich zunehmend Hinwei-
se für einen relevanten Anteil (kardio)embolischer Infarkte. Insbesondere inferomediale und ante- Insbesondere inferomediale und
rolaterale Thalamusinfarkte sind überwiegend kardioembolisch bedingt. Inferolaterale und poster- anterolaterale Thalamusinfarkte sind
olaterale Infarkte scheinen ätiologisch heterogener bedingt. Neben der meist favorisierten mikroan- überwiegend kardioembolisch
giopathischen Genese kommen neben kardialen auch arterioarterielle Embolienquellen und migrä- bedingt
nöse Infarkte in Betracht [2, 24, 26].

Prognose der Ausfälle

Im Vergleich zu kortikalen und subkortikalen Infarkten haben Thalamusinfarkte sowohl bei Erwach- Thalamusinfarkte haben sowohl
senen als auch bei Kindern eine relativ gute Prognose hinsichtlich der Wiedererlangung motorischer bei Erwachsenen als auch bei Kindern
Fähigkeiten sowie eine vergleichsweise niedrige Mortalitätsrate. Infarkte im Versorgungsgebiet der eine relativ gute Prognose
A. thalamoperforans anterior („tuberothalamische Infarkte“), haben hierbei unter den vier klassi-
schen thalamischen Gefäßsyndromen das schlechteste Outcome. Große longitudinale Studien hin-
sichtlich der Inzidenz und des Verlaufs thalamischer Syndrome stehen jedoch bislang aus [11, 26, 27].

Fazit

Im Thalamus können nach funktionellen Gesichtspunkten 5 Kerngruppen unterschieden werden


(Kerngebiete für Vigilanz/Aufmerksamkeit, sensorische Kerngebiete, effektorische Kerngebiete, as-
soziative Kerngebiete, limbische Kerngebiete). Diese 5 Kerngebiete werden im Wesentlichen von
4 Gefäßen versorgt (A. paramediana, A. thalamoperforans anterior, A. thalamogeniculata, A. cho-
roidea posterior lateralis). Die Gefäßterritorien entsprechen nicht den Kerngebieten und sind va-
riabel. Die klinische Präsentation vaskulärer Läsionen des Thalamus zeigt teils klassische Ausfall-
muster, teils unterliegt sie einer großen interindividuellen Variationsbreite. Insbesondere bei plötz-
lichen Vigilanzstörungen, neuropsychologischen Defiziten, Hemihypästhesie und choreatischen
Überbeweglichkeiten sollte eine Thalamusläsion in die neurotopographische Differenzialdiagnose
einbezogen werden. Die moderne Bildgebung ist essenzieller Bestandteil der neurologischen Diag-
nostik und hat diese bedeutsam verbessert.

Der Nervenarzt 2 · 2011 | 239


Korrespondenzadresse
Dr. C.H. Nolte
Klinik für Neurologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin,
Campus Benjamin Franklin und Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB)
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
christian.nolte@charite.de

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Der Thalamus ist in etwa so Eine 37-jährige schwangere S teckung der Finger II und III
groß wie… Frau klagt über starke Kopf- bei gleichzeitiger Beugung
ein Reiskorn. schmerzen, zunehmende Mü- der Finger IV und V in den In-
eine Erbse. digkeit, Konzentrations- und terphalangealgelenken.
eine Walnuss. Sprachstörungen. Eine Hemi-
eine Zitrone. hypästhesie oder -algesie wird Der Thalamusschmerz entsteht
eine Orange. verneint. Plötzlich erleidet sie überwiegend nach Infarkten…
einen generalisierten, tonisch- im anterioren Thalamus.
Wie hoch ist der Anteil isolier- klonischen epileptischen An- im somatosensorischen
ter Thalamusinfarkte an allen fall. Als wichtigste Differenzial- Kortex.
ischämischen Hirninfarkten? diagnose erwägen Sie: im medianen Thalamus.
0–5% Ein Locked-in-Syndrom. in Basalganglien.
10–20% Einen psychogenen Anfall. im lateralen Thalamus.
30–40% Eine innere Hirnvenenthrom-
50–60% bose Die thalamische Demenz
>80% Einen inferolateralen Thala- ähnelt einem…
musinfarkt. Mantelkantensyndrom.
Welches Gefäß versorgt keine Eine Migräne mit Aura. Fissura-Orbitalis-Superior-
thalamischen Strukturen? Syndrom.
A. paramediana. Als Thalamushand wird eine Syndrom der Felsenbeinspitze.
A. thalamoperforans anterior. charakteristische Fehlhaltung bilateralen Frontalhirnsyn-
A. thalamogeniculata. der Hand bezeichnet. Die Fehl- drom.
A. choroidea posterior lateralis. stellung besteht aus: bilateralen Temporallappen-
A. cerebelli inferior posterior. Pronation des Unterarmes, Fle- syndrom.
xion der Hand und Finger im
Welches Gefäß ist bei thalami- Grundgelenkt und Streckung Eine 72-jährige Frau kommt
schen Infarkten am seltensten der Finger in den Interpha- mit einer reinen, ungekreuzten
betroffen? langealgelenken. Hemihypästhesie aller Qualitä-
A. paramediana. Supination des Unterarmes, ten in die Rettungsstelle. Fol-
A. thalamoperforans anterior. Extension der Hand und Fin- gende Lokalisation einer Schä-
A. thalamogeniculata. ger im Grundgelenkt und Stre- digung könnte die Beschwer-
A. choroidea posterior lateralis. ckung der Finger in den Inter- den gut erklären:
A. tuberothalamica. phalangealgelenken. Dorsolaterale Medulla.
Pronation des Unterarmes, Ex- Postzentraler Kortex.
Welche Kerngruppen finden tension der Hand und Finger Medianer Thalamus.
sich nicht im Thalamus? im Grundgelenkt und Beu- Anteriore Pons.
Sensorische Kerne. gung der Finger in den Inter- Nucleus ruber.
Assoziative Kerne. phalangealgelenken.
Olfaktorische Kerne. Supination des Unterarmes, Diese Fortbildungseinheit ist
Limbische Kerne. Flexion der Hand und Finger 12 Monate auf
Effektorische Kerne. im Grundgelenkt und Beu- CME.springer.de verfügbar.
gung der Finger in den Inter- Den genauen Einsendeschluss
phalangealgelenken. erfahren Sie unter
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