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Die Frühgeborenen-Retinopathie (Reti- zur augenärztlichen Behandlung der RPM tinopathie eine therapiebedürftige Aus-
nopathia praematurorum, RPM) ist Folge einzuarbeiten und durch die Modifikation prägung erreicht, und sie einer adäquaten
einer gestörten retinalen Gefäßentwick- bisheriger Therapiekonzepte die Prognose Therapie zuzuführen.
lung, bedingt durch Frühgeburtlichkeit. für Kinder mit RPM zu verbessern (A3).
Das klinische Bild der Erkrankung ist ge- Diese Leitlinie entspricht im Wesent- 1. Kriterien zur Auswahl
kennzeichnet durch eine akute Phase in lichen den aus der ETROP-Studie abgelei- Frühgeborener zum RPM-Screening
den ersten Lebensmonaten, während der teten Behandlungsempfehlungen für Au-
es in einigen Fällen zu einer raschen Be- gen mit Veränderungen in der Zone I [16] Ein RPM-Screening ist indiziert bei allen
fundverschlechterung kommen kann. An (A1). F Frühgeborenen mit einem Gestati-
die akute Phase kann sich eine lebenslange In der Zone II bleiben die Kriterien onsalter unter 32 Wochen (bei nicht
Narbenphase anschließen. In der Mehr- der alten Leitlinie von 1999 [1] unverän- sicher bekanntem Gestationsalter
zahl der Fälle bilden sich die Netzhautver- dert, die den Behandlungskriterien der ≤1500 g Geburtsgewicht) unabhängig
änderungen der akuten Phase spontan zu- Cryo-ROP-Studie [2, 3] (A1) in Bezug auf von einer zusätzlichen Sauerstoffgabe
rück [9, 13] (A1). Fortgeschrittene Befunde die Anzahl der mit Stadium 3 betroffenen [9, 11, 13] (A1),
können zu ausgeprägten Funktionsmin- Stunden entspricht (A3). Die ETROP- F Frühgeborenen zwischen 32 und
derungen bis zur Erblindung führen. Mit Studie konnte für Augen mit einem Sta- 36 Wochen Gestationsalter, wenn
der Koagulationstherapie in definierten dium 3+ und 2+ keinen signifikanten Un- postnatal mehr als 3 Tage Sauerstoff
Stadien der akuten Phase steht heute ei- terschied zwischen früh- und konventio- gegeben wurde (A3).
ne Behandlungsmethode zur Verfügung, nell behandelten Augen bzgl. des anato-
die die Häufigkeit eines ungünstigen Aus- mischen und funktionellen Ergebnisses 2. Terminierung der augenärztlichen
gangs der Erkrankung zu reduzieren ver- nachweisen [16] (A1). Untersuchungen (A1)
mag [2, 3, 7] (A1). Die Laserkoagulation
erwies sich in mehreren Publikationen in A. Anforderungen an den Erstuntersuchung
Bezug auf das anatomische und funktio- augenärztlichen Untersucher (A3) Die erste augenärztliche Untersuchung
nelle Ergebnis der Kryokoagulation über- sollte in der 6. postnatalen Woche (Lebens-
legen [5, 8, 10, 14] (A2). Der Augenarzt bzw. die Augenärztin, die tag 36–42) erfolgen, aber nicht vor einem
Die sichere und rechtzeitige Diagnose- ein RPM-Screening durchführen, müssen postmenstruellen Alter von 31 Wochen.
stellung therapiebedürftiger RPM-Stadien sachkundig sein. Sie müssen insbesondere
ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Erfahrung haben in Folgeuntersuchungen
Koagulationstherapie. Nur ein sorgfäl- F der Untersuchung von Frühgebore- Wenn keine therapiebedürftige RPM vor-
tiges Screening aller Risikofrühgeborenen nen, Säuglingen und Kleinkindern, liegt, richtet sich die Terminierung von
durch in dieser speziellen Diagnostik er- F der indirekten Ophthalmoskopie, Folgeuntersuchungen nach dem jewei-
fahrene Augenärzte ermöglicht es, thera- F der speziellen Diagnostik der RPM, ligen Augenhintergrundsbefund.
piebedürftige RPM-Stadien zeitgerecht zu deren Klassifikation (. Tab. 1, Kontrollen sollten erfolgen
erkennen. Die rechtzeitige Koagulations- . Abb. 1) und den aktuellen Be- a) wöchentlich bei:
therapie ist bisher der einzige durch pros- handlungskriterien 1 Vaskularisationsgrenze in Zone I
pektive Untersuchung gesicherte Weg, die oder zentraler Zone II ohne oder
RPM-bedingte Erblindungsrate zu sen- B. Screening auf akute RPM mit RPM,
ken. Die vorliegende Leitlinie ersetzt die 1 Vaskularisationsgrenze in Zone II
gemeinsame Empfehlung von 1999 [1] mit Ziel eines RPM-Screenings ist, möglichst mit RPM Stadium 2 oder 3,
dem Ziel, neue evidenzbasierte Ergebnisse alle Frühgeborenen zu erfassen, deren Re- 1 jeder RPM mit „plus disease“,
Abb. 2 9 Dokumentationsbogen
für Befunde der akuten RPM
Abb. 3 8RPM Stadium 1: Es besteht eine weiße Demarkationslinie zwi- Abb. 5 8 RPM Stadium 3 (Fotomontage, RetCam120-Aufnahmen): Es be-
schen der zentralen vaskularisierten und der peripheren avaskulären Netz- steht eine zirkuläre deutlich erhabene Leiste in der mittleren Zone II zwi-
haut. Darüber hinaus ist die Indentation des Bulbus zur Darstellung der peri- schen der zentralen vaskularisierten und der peripheren avaskulären Netz-
pheren Netzhaut erkennbar haut. Auf der Leiste sind Proliferationen (besonders nasal und unten) in den
Glaskörperraum erkennbar
Abb. 4 8 RPM Stadium 2: Es besteht eine weiße Leiste zwischen der zentra-
len vaskularisierten und der peripheren avaskulären Netzhaut, die im Ver-
gleich zur Demarkationslinie in . Abb. 3 leicht über dem Netzhautniveau
erhaben ist
Zentrum mit Angabe der Dring- 6. Indikationen zur glieder der Arbeitsgruppe ergeben sich
lichkeit, Koagulationstherapie derzeit folgende Indikationen zur Ko-
1 Abschluss des Screenings. agulationstherapie. Bei einer Vaskularisa-
Aufgrund der publizierten Behandlungs- tionsgrenze
ergebnisse und der Erfahrungen der Mit-
F in Zone III ist eine Therapie in der erweiterung und Tortuositas am hin- F in Zone I ist die Therapie indiziert bei
Regel nicht erforderlich [2, 9] (A1); teren Augenpol über mindestens Vorliegen von „plus disease“ in min-
F in Zone II ist die Therapie indiziert 2 Quadranten) vorliegen („threshold destens 2 Quadranten unabhängig vom
bei Erreichen von Stadium 3+, wenn disease“) [2] (A1). Im Einzelfall kann Stadium oder bei Vorliegen eines Stadi-
extraretinale Proliferationen mittel- eine frühere Therapie angezeigt sein um 3 ohne „plus disease“ [16] (A1).
schwerer Ausprägung über mindes- (z. B. bei rascher Progression, begin- Wegen der Seltenheit einer Zone-I-
tens 5 zusammenhängende oder 8 un- nender Verziehung der Netzhaut; Erkrankung, der Befundvariabilität
zusammenhängende Stunden in Ver- [20]) (A1); und der schlechten Prognose erfor-
bindung mit „plus disease“ (Gefäß- dert die Indikationsstellung zur The-
C. Nachuntersuchungen bei
ehemaligen Frühgeborenen (A2)
Tab. 2 Zur Einstufung der klinischen entengutes und dem Standard der neo- len mit schlechtem Funduseinblick ist die
Relevanz für die Patientenversorgung natologischen Versorgung, auch reifere transsklerale Diodenlaserkoagulation, un-
Stufe A Äußerst wichtig Frühgeborene an einer behandlungsbe- ter Umständen mit Bindehauteröffnung,
Stufe B Von mäßiger Wichtigkeit dürftigen RPM erkranken [4]. Wegen ei- eine Alternative (B2).
Stufe C Relevant, aber nicht entscheidend ner möglicherweise anders gearteten me- Für fortgeschrittene Stadien der RPM
dizinischen Versorgung ist eine Übertra- (Stadium 4 und 5) kann eine eindeutige
Tab. 3 Zur Einstufung der Evidenzstärke gung der vorliegenden Leitlinie auf ande- Indikationsrichtlinie hinsichtlich netz-
Grad 1 Starke Evidenz – entspricht gemäß re Länder nicht ohne Weiteres möglich. hautchirurgischer Eingriffe (z. B. Amo-
AWMF + ÄZQ den Evidenztypen Ia, Hier müssen die Einschlusskriterien ggf. tiooperation, Vitrektomie) derzeit nicht
Ib, IIa, IIb
erheblich erweitert werden. formuliert werden, da kontrollierte kli-
Grad 2 Beträchtliche Evidenz – ent-
Die Diagnostik der RPM erfordert nische Studien hierzu nicht vorliegen und
spricht gemäß AWMF + ÄZQ dem
Evidenztyp III Erfahrung mit diesem speziellen reti- wegen der geringen Zahl der von Spätsta-
Grad 3 Auf Expertenkonsens beruhend
nologischen Krankheitsbild. Der Erfah- dien betroffenen Augen auch in abseh-
– entspricht gemäß AWMF + ÄZQ rungsstand des einzelnen Untersuchers barer Zeit nicht zu erwarten sind. Dies
dem Evidenztyp IV) wie auch ein Abgleich mit den Gegeben- schließt einen günstigen Effekt eines sol-
heiten der jeweiligen neonatologischen chen operativen Eingriffes jedoch nicht
Tab. 4 Evidenztyp nach AWMF und ÄZQ Abteilung können häufigere Untersu- aus. Die Durchführung einer bulbusein-
Stufe Evidenz aufgrund chungsintervalle als die in der vorlie- dellenden Operation oder einer Vitrekto-
Ia von Metaanalysen randomisierter, genden Leitlinie angegebenen erforder- mie, evtl. in Kombination, sollte nach ge-
kontrollierter Studien lich machen. Ein individuelles Vorgehen nauer Beurteilung des Einzelfalles erwo-
Ib mindestens einer randomisierten, ist anzuraten. gen werden. Die zu erwartenden Ergeb-
kontrollierten Studie
Die Therapie der akuten RPM hat ih- nisse sind jedoch erheblich schlechter als
IIa mindestens einer gut angelegten, re spezifischen Probleme. Die Indika- nach erfolgreicher Koagulationstherapie
kontrollierten Studie ohne Rando-
misierung
tionsstellung ist schwierig, da bei dem im Stadium 3+. Bei einem Sekundärglau-
IIb mindestens einer gut angelegten,
ganz überwiegenden Teil (ca. 90%) der kom kann eine Lentektomie zum Erhalt
quasi-experimentellen Studie an einer RPM erkrankten Augen eine des Auges notwendig sein (B2).
III gut angelegter, nicht experimen- spontane Regression der akuten Verän-
teller deskriptiver Studien (z. B. derungen zu beobachten ist. Bei Errei- E. Anhang
Vergleichsstudien, Korrelationsstu- chen eines therapiebedürftigen Stadi-
dien, Fall-Kontroll-Studien) ums (s. Abschnitt B6) ist bei spontanem Anmerkungen
IV von Berichten/Meinungen von Krankheitsverlauf mit einem ungünsti-
Expertenkreisen, Konsenskonfe- gen Ausgang (d. h. funktioneller Erblin- Die in Normaldruck erschienen in ecki-
renzen und/oder klinischer Erfah-
dung) bei etwa der Hälfte der Augen zu ge Klammern gesetzten Zahlen im Text
rung anerkannter Autoritäten
rechnen. Mit einer Koagulationstherapie beziehen sich auf die Nummerierung des
kann die Prognose gebessert werden. Literaturverzeichnisses. Die in Fettdruck
handlung der RPM und durch die Modi- Wird eine Koagulationstherapie erst gesetzte Kombination von Buchstaben
fikation bisheriger Therapiekonzepte die bei fortgeschrittener Befundausprägung und Zahlen dient der Einstufung der kli-
Prognose für Kinder mit RPM und ande- durchgeführt, sind die Erfolgsraten ein- nischen Relevanz und Evidenzstärke der
ren mit Frühgeburtlichkeit assoziierten deutig schlechter (A1). Da bei dem dy- dargestellten Empfehlungen. Die fettge-
Augenerkrankungen zu optimieren. Es namischen Krankheitsgeschehen der druckten Zahlen hinter den einzelnen Li-
gilt jedoch zu beachten, dass kein Scree- akuten RPM ein Übergang vom Stadi- teraturstellen im Literaturverzeichnis ent-
ning 100%ige Sicherheit liefern kann. Da- um 3 zum Stadium 4 oder 5 in kurzer sprechen dem Evidenztyp nach AWMF
her müssen folgende Gesichtspunkte be- Zeit möglich ist, ist die rechtzeitige The- und ÄZQ.
rücksichtigt werden. rapie für den Erfolg von größter Bedeu-
Die Einschlusskriterien basieren auf tung. Wenige Tage können über Erfolg Zur Einstufung
den Erfahrungen, die die Autoren vor- oder Misserfolg der Koagulationsthera- der klinischen Relevanz für die
wiegend im deutschsprachigen Raum in pie entscheiden. Patientenversorgung (. Tab. 2)
zumeist großen Perinatalzentren gesam- Zur Durchführung der Koagulations-
melt haben. Diese stimmen mit Angaben therapie wird die Laserkoagulation emp- Zur Einstufung
großer Zentren in anderen westlichen In- fohlen [5, 8, 10, 14] (A1). Der Diodenla- der Evidenzstärke (. Tab. 3)
dustrieländern überein [6, 9, 11, 12, 13, 21]. ser ist mit seiner Wellenlänge im Infrarot-
In diesem Umfeld wurde in den letzten bereich (810 nm) insbesondere bei Vorlie- Evidenztyp nach AWMF
Jahren eine Verschiebung des RPM-Risi- gen einer Tunica vasculosa lentis oder von und ÄZQ (. Tab. 4)
kos zu unreiferen Frühgeborenen beob- Glaskörperblutungen dem Argonlaser mit
achtet. Es ist aber bekannt, dass, abhän- seiner Wellenlänge im sichtbaren Bereich
gig von der Zusammensetzung des Pati- (514 nm) überlegen(C2). In seltenen Fäl-