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Zur Geschichte des deutschen Romans

THEORIE UND PRAXIS DER


DEUTSCHEN EPIK
Einführende Überlegungen
1.Teil
Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln
Spürest du kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde ruhest du auch.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


J.W. Goethe: Wanderers Nachtlied
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Es ist sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich gehe zum Bahnhof.
Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr vergleiche, sehe ich, daß es schon viel
später ist, als ich geglaubt habe, ich muss mich beeilen, der Schrecken über
diese Entdeckung lässt mich im Weg unsicher werden, ich kenne mich in dieser
Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise ist ein Schutzmann in der Nähe,
ich laufe zu ihm und frage ihn nach dem Weg. Er lächelt und sagt: „Von mir
willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sage ich, „da ich ihn selbst nicht finden
kann.“ „Gib‘s auf, gib‘s auf!“, sagt er und wendet sich mit einem großen
Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Gib‘s auf!
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum
Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich,
daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich
beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg
unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut
aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu
ihm und fragte ihn nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir
willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht
finden kann.“ „Gib‘s auf, gib‘s auf!“, sagte er und wandte sich mit
einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen
allein sein wollen.

(Franz Kafka) 1922 geschrieben, 1936 veröffentlicht

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Die literarischen Gattungen (genuri
literare)

Wir brauchen den Begriff der Gattung, um Texte zu
klassifizieren. So wichtig der Begriff der Gattung ist, so
schwierig ist er auch zu definieren.

Der Begriff der Gattung ist genauso wichtig wie der Begriff der
Literatur selbst.

Die Gattung ist eine konstitutive Form der literarischen Texte, sie
ist eine Grundvoraussetzung (premisa de baza) in der
Auseinandersetzung (discutarea) mit Texten.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Aristoteles und die Gattungen

Aristoteles beschäftigt sich in seiner „Poetik“ mit den
literarischen Gattungen mit Bezug auf ihre Fähigkeit
(capacitate), die Realität nachzuahmen (a imita) oder eine
befreiende Wirkung (efect eliberator) zu
erzeugen/produzieren.

Von Platon und Aristoteles stammen (provin) die Begriffe
der „Mimesis“ und „Katharsis“. Mimesis als Nachahmung
von Natur bestimmt nicht nur die Dichtung, sondern auch
Musik und Tanz.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Die literarischen Gattungen

Katharsis – in der Tragödie, im Drama

Aristoteles hat das sogenannte Realitätsprinzip der Dichtung
formuliert, die Dichtung sollte auf Wahrscheinlichkeit und
Stimmigkeit orientiert sein, dabei aber nicht wie Realität wie
der Historiker betrachten.

Bis ins 18. Jahrhundert hinein betrachtete man Dichtung und
Dramatik als die zwei grundlegenden literarischen Gattungen.
Erst mit Goethe wurden die drei Gattungen deutlich
ausdifferenziert.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Aspekte der Epik als literarische Gattung
 Lyrik – vermittelte Darstellung von Zuständen (stari)
 Epik - vermittelte Darstellung von Handlung/Aktion
 formal gebundene Rede (Gedicht/Verszeilen) vs. ungebundene Rede
(Prosa)
 Dramatik – unvermittelte Darstellung von Handlung, von Zustäden
 Lyrik = emotional-subjektive Gattung (lyrisches Ich)
 Epik = distanziert-objektive Gattung (Erzähler)
 Der Lyrik fehlt Handlung, sie ist an Gefühl und Stimmung gebunden
vs. Epik ist an Handlung und Figur in einem Raum-und-Zeit-
Kontinuum gebunden.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Narrativität als Qualität des epischen
Textes
 Was versteht man aber in der Literaturwissenschaft unter
einem narrativen Text?
 Es ist ein Text, der eine Geschichte erzählt.
 Es gibt inzwischen epische Texte, die keine eigentliche Geschichte
erzählen.
 Das Drama ist andererseits narrativ, es bietet also eine Geschichte,
wenn auch nicht aus einer vermittelten Perspektive. Auch Gedichte
sind narrativ, zum Beispiel die Ballade.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Merkmale der Epik
 Grundbedingung ist die Handlung, wenn wir von epischen Texten sprechen, man
kann nicht von etwas erzählen, wenn absolut nichts passiert.
 Epik schafft / konstruiert eine eigene Realität /Welt (Diegese), indem sie etwas
erzählt.
 Es ist aber nicht real, es kann mimetisch sein, es ist eine Welt der Erzählung, die
entsteht.
 Das Wirkliche in der Epik ist das Erzählen selbst (Erzählakt).
 Das Erzählen konstituiert Realität im epischen Text aus der Perspektive
eines Erzählers/einer Erzählinstanz. Daraus erkennt man die vermittelte
Perspektive.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Merkmale der Epik
 Das Merkmal der Epik ist die Erzählfunktion.
 Aber so besonders ist das auch nicht. Denn Erzählen ist
eine Kommunikationsform jedes Menschen.
 Man kommuniziert viel durch Erzählungen, meist durch
kurze, kleine Erzählungen:
 Was einem passiert ist, wie wird das mitgeteilt/kommuniziert.
 Erzählen – eine Art mündlicher oder schriftlicher Rede
 Alltagserzählen vs. literarisches Erzählen
 Was? - Sujet
 Wie? - Erzählweise, Darstellung
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Elemente der Handlung
 Was?
 Ereignis (incident) – elementare Einheit der Narration
 Geschehen (intamplare, cumul de incidente) – Ereignisse
in ihrer chronologischen Abfolge
 Geschichte (povestea, istoria) – die Ereignisfolge
 Handlungschema - Struktur der narrativen Texte

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Elemente der Darstellung
 Erzählung – die erzählten Ereignisse in der Reihenfolge im
Text, ist nicht die Handlung (chronologisch rekonstruiert)
 Erzähltempo, Rückblende, Vorausdeutung
 Erzählen – die Präsentation der Geschichte, die Art und Weise
dieser Präsentation in bestimmten Medien (sprachlich, audio-
visuell) und Darstellungsweise (Erzählsituation oder
Sprachstil)

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Die Zustandsveränderung konstituiert
Narrativität
 Minimalbedingung/Minimalkondition der Narrativität =
mindestens eine Veränderung eines Zustands (stare) in
einem gegebenen zeitlichen Moment mit einer
deutlichen/klaren Wirkung (efect).
 eine temporale Struktur mit mindestens zwei Zuständen,
einem Ausgangs- und einem Endzustand, dazwischen
liegt eine Handlung.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Narrativität als Qualität des
epischen Textes

 Die strukturalistische Konzeption von Narrativität bedeutet


Darstellung von Zustandsveränderungen (representation of
changes of state), innere und äußere Zustände.
 Narrative Texte stellen eine Geschichte (story, histoire,
istorie) dar, indem eine Veränderungen innerhalb eines
Zeitabstandes eintritt.
 TzvetanTodorow bezeichnet mit histoire das Was? und den
discours mit Wie?
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Narrativität als Qualität des
epischen Textes
 Boris Tomaševski - Theorie der Literatur (1925),
definiert die fabula als die Summe der Ereignisse,
während er mit sjuzet ihre sprachliche
Verknüpfung im Text bezeichnete.
 E.M. Forster (1927) verwendete die Begriffe story
(Erzählung von Ereignissen in ihrer zeitlichen
Reihenfolge) und plot (Erzählung von Ereignissen,
die den Akzent auf die Kausalität legt) einander
gegenüber.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Fiktionalität

Was verstehen wir unter fiktional? Es ist die Qualität jedes
literarischen Textes.

Fiktiv = das im fiktionalen/ literarischen Text Dargestellte.

lat. fingere (u. a. ‚bilden‘, ‚formen‘, ‚gestalten‘,
‚künstlerisch darstellen‘, ‚sich vorstellen‘, ‚ersinnen‘
‚erdichten‘, ‚fälschlich vorgeben‘)

Unter Fiktion versteht man die literarische/ künstlerische
Darstellung einer autonomen Wirklichkeit, die nicht mit der
Wirklichkeit, die wir erleben, gleichzusetzen ist.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Fiktion ist die künstlerische Konstruktion einer möglichen
Wirklichkeit (Aristoteles’ Begriff der mimesis).
Diese Konstruktion, also fiktive Welt, hat den Charakter
eines Denkmodells. Alle thematischen Elemente der
erzählten Welt sind ihrerseits fiktiv: Personen,Räume,
Zeiten, Handlungen, Reden, Gedanken, Konflikte usw.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Thematische Einheiten
 Die thematischen Einheiten gehen als Elemente in
die fiktive Welt ein. Sie sind:
 1) aus der realen Welt bekannt.
 2) in unterschiedlichen Diskursen der jeweiligen
Kultur zu Hause.
 3) entstammen älteren oder fremden Kulturen.
 4) existieren nur in der Imagination.
 Unabhängig von ihrer Herkunft werden alle
thematischen Einheiten im fiktionalen Werk zu
fiktiven Elementen.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
 Erzählen – fiktiv vs. real, dichterisch vs. nichtdichterisch
 Man spricht oft in der Fachliteratur über fiktionales vs.
faktuales Erzählen.
 Faktuale Texte sind Texte, die potenziell nachprüfbare,
verifizierbare Tatsachen behaupten.
 Fiktionale Texte können nicht an dem Wahrheitsanspruch
(pretentia la adevar) faktualer Texte gemessen werden.
 In einem erzählten Universums werden die Aussagen eines
Erzählers so verstanden und bewertet, als ob sie faktuale
Aussagen, Aussagen über Tatsachen wären, die in diesem
Universum wahr sind.
 Fakt vs. Fiktion – unzuverlässiges Erzählen, vermischen von
Fakten und Fiktion, wo Aussagen (enunturi) als faktisch und
wahr rezipiert werden, aber falsch sind.
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Strukturmodell des Erzählaktes nach Wolf Schmid

Im Erzählwerk wird nicht einfach erzählt, sondern es wird ein Erzählakt


dargestellt:

Autorkommunikation
Autor Darstellung
Adressat
dargestellte Welt

Erzählkommunikation
Erzähler Erzählung/Erzählen
Adressat
Doz. Dr. Delia Cotarlea
erzählte Welt 18.01.2024
Erzählen als Kommunikation
realer Autor realer Leser
textexterne Ebene
(empirisch,historisch)

abstrakter Autor impliziter/abstrakter Leser


textinterne Ebene I
(abstrakte Instanz, theoretisches Konstrukt, eine Vorstellung vom Autor)

fiktiver Erzähler fiktiver Leser (Korrelat des Erzählers)


textinterne Ebene II
(Figuren im Text, manchmal als Partner des Erzählers)
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Modell von Wolf Schmid: Elemente der Narratologie,
II. Die Instanzen des Erzählwerks, 1. Modell der
Kommunikationsebenen.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Der abstrakte Autor
 Der Begriff bezieht sich auf das Bild, das beim Leser
durch die Lektüre entsteht. Er ist eine vermittelnde
Instanz zwischen dem tatsächlichen Autor und dem
Erzähler.
 „Abstrakt“ und „fiktiv“. Der abstrakte Autor ist keine
dargestellte Instanz, keine intendierte Schöpfung des
konkreten, realen Autors.
 Insofern der abstrakte Autor keine dargestellte Instanz
ist, kann man ihm kein einziges Wort im Erzähltext
zuschreiben.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Der abstrakte Autor
 Er ist nicht identisch mit dem Erzähler,
sondern repräsentiert das Prinzip des
Fingierens eines Erzählers und der gesamten
dargestellten Welt.
 Er hat keine eigene Stimme.
 Der abstrakte Autor repräsentiert die
personifizierte Werkintention des realen
Autors.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Der abstrakte Autor
 Der abstrakte Autor existiert im Werk daher
nur virtuell.
 Der abstrakte Autor ist die Verkörperung des
Konstruktionsprinzips, das das Werk prägt.
 Er ist daher auch die Spur des konkreten
Autors im Werk, sein werkimmanenter
Repräsentant.
 Letztendlich handelt es sich um ein Konstrukt,
das auf einem Konsensus beruht.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Der abstrakte/implizite Leser
 Abstrakter Leser = das Bild vom Empfänger, das
der Autor beim Schreiben vor sich hat[te] oder
die Vorstellung des Autors vom Empfänger, die im
Text durch bestimmte indiziale Zeichen fixiert ist
(der geneigte Leser, ein guter Freund, jemand,
der aus räumlicher und zeitlicher Distanz den
Text rezipieren könnte).

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Der abstrakte Leser
Es sind zwei Funktionen des abstrakten
Lesers zu nennen:
 1. postulierter Adressat, an den das Werk
gerichtet ist. Dieser besitzt sprachliche
Kodes, ideologische Normen und
ästhetische Vorstellungen, um das Werk zu
verstehen.
 2. idealer Rezipient, der das Werk optimal
versteht.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Fiktiver Erzähler und fiktiver Leser

 Jede Erzählung hat einen Erzähler – dieser in fiktiv


 explizit – „Ich“
 implizit, unsichtbar,
 Den Erzähler erkennt man an der Erzählperspektive.
 Dem fiktiven Erzähler entspricht ein fiktiver Leser: Lieber
Leser! Wie habe ich mich gefreut, als ich…..

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Erzählsituation oder -perspektive/ point
of view
 Perspektive = das an einen Standpunkt
gebundene Erzählen
 äußere wie innere Faktoren bedingen den
Standpunkt des Erzählens.
 Frage der Glaubwürdigkeit eines narrativen
Textes ist von der ES abhängig.
 Abhängigkeit von der Figur des Erzählers und
seiner Positionierung dem Erzählten gegenüber.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


Der auktoriale Erzähler


Weiß alles, wird oft „allwissender Erzähler"
genannt,
 kennt alle Details - Vergangenheit und Zukunft,
Rückblicke und Vorausdeutungen, Gedanken und
Gefühle,
 Ist keine Person in der Geschichte,
 kann sich in die Handlung einmischen,
kommentieren, abschweifen und bewerten.
Doz. Dr. Delia Cotârlea 18.01.2024
Der personale Erzähler

 erzählt aus der Sicht einer Person in der


Geschichte
 erzählt in der dritten Person Singular (Er/Sie)
 kennt nur die Gedanken und Gefühle dieser
Person
 kann kommentieren, abschweifen und
bewerten
Doz. Dr. Delia Cotârlea 18.01.2024
Der neutrale Erzähler

 Schaut als stiller Beobachter zu,


 gibt nur das wieder, was man von außen
sehen kann, keine Gedanken und
Gefühle der Personen,
 ist keine Person in der Geschichte,
 keine Bewertung, sondern neutral.

Doz. Dr. Delia Cotârlea 18.01.2024


Der Ich-Erzähler

 Erzählt aus der Sicht einer Person in der Geschichte,


 erzählt in der ersten Person Singular (Ich),
 kennt nur die Gedanken und Gefühle dieser Person,
 kann kommentieren, abschweifen und bewerten,
 ist nicht automatisch der Autor;
 erlebendes Ich: Figur, die gerade etwas erlebt;
 erzählendes Ich: Figur, die auf die Ereignisse
zurückblickt.
Doz. Dr. Delia Cotârlea 18.01.2024
Mittelbarkeit – Franz Stanzel: Theorie des Erzählens
(1982)
 Mittelbarkeit des Erzählens: „Wo eine Nachricht übermittelt, wo berichtet oder
erzählt wird, begegnen wir einem Mittler, wird die Stimme eines Erzählers hörbar.“
(Stanzel 1982, S. 15)
 Gestaltete Mittelbarkeit erhöht die Literarizität eines Textes
 Mittelbarkeit – ist Erzählleistung, im Trivialroman weniger vorhanden.
 Entfamiliarisierung der Erzählung durch Erzählleistung;
 Ungewöhnliche Mittelbarkeit erhöht die Komplexität des Gefüges.
 Kombination der Idealtypen des Erzählens
 Point of View – keine richtige Entsprechung im Deutschen – Erzählsituation
 Kontinuierliche Übergänge – die Dynamisierung der typischen Erzählsituationen
 Nivellierungen der ES, wie sie im Trivialroman vorkommen.
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Das Modell von Frank K. Stanzel
 Das Modell von Frank K. Stanzel – Typische Formen des Romans (1964), Theorie des
Erzählens (1978)
 Wer erzählt? – Erzähler – repräsentiert das eigentliche Narrative
 erzählen vs. darstellen (szenische, berichtende, erzählerlose Darstellung)
 szenische Erzählen: dramatisierte Szene (Dialog) und unkommentierte Spiegelung der Wirklichkeit
im Bewusstsein einer Romangestalt
 Auktoriale Erzählsituation: einen persönlichen, sich einmischenden, zumeist alles
wissenden Erzähler.
 Gebrauch des Präteritums, Distanz in der Zeit, Neutralität, Ironie, manchmal szenische
Darstellung mit Inquit-Formeln („sagte er“, „sie schluchzte“). Es handelt sich um
Scheinobjektivität.
 Personale ES: Erzähler tritt hinter die Figuren und hinter eine einzelne Figur und erzählt
aus deren Sicht
 Vorhandensein eines Reflektors. Partielles Allwissen, unsichtbar
Ich-ES: Der Erzähler gehört der Welt der Figuren, der erzählten Welt
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 stark eingeschränktes Wissen über die Erzählung, trotz Zeugenschaft. +Subjektiv
Typenkreis – organologisches Modell
 Jede ES – hat ein Kennzeichen, gegenüberliegend befindet sich ein
Gegensatz
 Mittelbarkeit des Erzählens – Grundlage für die drei typischen ES
 Modus – gebildet durch den Erzähler und Reflektor
 „Modus ist die Summe der möglichen Abwandlungen der
Erzählweisen zwischen den beiden Polen Erzähler und Reflektor zu
verstehen: Erzählen im eigentlichen Sinne der Mittelbarkeit, d. h.
der Leser hat die Vorstellung, daß er einem persönlichen Erzähler
gegenübersteht, und Darstellen, d. h. Spiegelung der fiktionalen
Wirklichkeit im Bewußtsein einer Romangestalt, wobei im Leser die
Illusion der Unmittelbarkeit seiner Wahrnehmung der fiktionalen
Welt entsteht.“ (Stanzel 1982, S. 71)
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
 Person – Relation zwischen dem Erzähler und den Romanfiguren
 „Wiederum läßt sich die Vielfalt der Möglichkeiten durch zwei
polare Positionen verdeutlichen: die Seinsbereiche, in denen
Erzähler und Charaktere beheimatet sind, können identisch oder
getrennt, also verschieden, nicht-identisch sein. Lebt der
Erzähler in derselben Welt wie die Charaktere, dann ist er nach
der herkömmlichen Terminologie ein Ich-Erzähler. Steht der
Erzähler existentiell außerhalb der Welt der Charaktere, dann
handelt es sich nach der herkömmlichen Terminologie um eine
Er-Erzählung.“ (Stanzel 1982, S. 71)
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
 Perspektive – Wahrnehmung durch den Leser
 „Die Art und Weise dieser Wahrnehmung hängt wesentlich davon
ab, ob sich der Standpunkt, von dem aus das Erzählte
präsentiert wird, innerhalb der Geschichte befindet, d. h. in
der Hauptfigur oder im Zentrum des Geschehens, oder
außerhalb des Geschehens liegt, in einem Erzähler, der nicht
selbst Träger der Handlung ist, sondern als Zeitgenosse der
Hauptfigur und des Geschehens, als Beobachter oder
unbeteiligter Chronist die Geschichte berichtet.
Dementsprechend ist zwischen einer Innenperspektive und einer
Außenperspektive zu unterscheiden.“ (Stanzel 1982, S. 72)
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
Vgl. Stanzel 1982, S. 81.

Erzähler

Identität der Seinsbereiche Außenperspektive

Erzähler=Figur

Erzähler ≠ Figur
Innenperspektive

Figur mit Reflektor


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(sichtbar) (Erzähler ist weniger sichtbar)

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Relation zwischen dem
Erzähler und den Roman-
figuren

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Das Modell von H. J. Petersen

 Kritisch mit dem ER-Erzähler, Erzählinstanz?


 Erzählform, da man beim Autor und Erzähler von
unterschiedlichen Instanzen spricht: Ich-Form, Er-Form
 Er-Form – eindimensional – berichtet immer nur vom
Dritten, tritt nicht in das Bewusstsein des Lesers.
 Ich-Form – zweidimensional und bipolar, Ich-Erzähler ist
sowohl Erzähler/erzählendes Medium als auch
handelnde Figur
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Standort und Perspektive nach Petersen

 Räumlicher Standort: Position, Entfernung, Winkel


 Position – Vogelperspektive, Froschperspektive
 Entfernung – große Nähe oder weite Ferne
 Winkel – begrenzter Winkel, olympischer Winkel
 Perspektive der Figuren :
 Innensicht – Der Erzähler kann in die Figuren
hineinblicken, er kennt ihre Gedanken, Gefühle.
 Außensicht– keinen Einblick in das Bewusstsein der
handelnden Figuren, er ist ein Beobachter.
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Verhalten der Erzählinstanz
 Verhalten der Erzählerinstanz: auktorial, personal, neutral
 Auktorial – bringt sich selber ins Spiel, kommentiert, wertet
(Ich- und Er-Form)
 Neutral – Distanz (Ich- und Er-Form) ?
 Personal – Erzählinstanz tritt hinter die Figur, Innensicht
 Innerer Monolog, Bewusstseinsstrom – Ich-Form
 erlebte Rede - ER-Form

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Erzähler

Auktoriales Verhalten
 Ein auktorialer Erzähler ist allwissend, er
betrachtet das Geschehen wie von außen, er
ist nicht Teil der Erzählung.
 Er deckt Zusammenhänge auf, kennt Details
über innere Zustände anderer Personen.
 Ist von dem Geschehen distanziert.
 Seine Perspektive kann als auch als göttlich
bzw. olympisch beschrieben werden.
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Personales Erzählverhalten
 Ein personaler Erzähler erzählt aus der Sicht einer
oder mehrerer Figuren.
 Es kann passieren, dass zwischen den Perspektiven
verschiedener Figuren gewechselt wird. Das
bezeichnet man als Multiperspektive.
 Der personale Erzähler muss nicht immer in die Figur
schlüpfen wie im Falle der Ich-Form.
 Ein personaler Erzähler ist auf die Figur beschränkt,
aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird.
 Er kann nicht wissen, was andere Figuren denken oder
fühlen. Es ist (s)eine/personale Perspektive.
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Gib‘s auf!
 Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich
ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr
verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich
geglaubt hatte, ich mußte mich beeilen, der Schrecken über
diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich
kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus,
glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu
ihm und fragte ihn nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von
mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn
selbst nicht finden kann.“ „Gib‘s auf, gib‘s auf!“, sagte er
und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie
Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.
(Franz Kafka)
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Einige Romananfänge

 „Lieber Leser, weißt du, was das Wort Greenhorn bedeutet? eine höchst
ärgerliche und respektierliche Bezeichnung für denjenigen, auf welchen sie
angewendet wird.‟(Karl May: Winnetou)
 „So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es
stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe
einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute
versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine
schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen
Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen,
ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan:
Maison d'Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden - man kann das. Weiter,
rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel.‟(Rainer Maria Rilke:
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge)
Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024
 Jemand musste Josef K. verleumdet haben,
denn ohne daß er etwas Böses getan hätte,
wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin
der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin,
die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das
Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das
war noch niemals geschehen.‟ (Franz Kafka:
Der Prozess)

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024


 K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem
Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüberwohnte
und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen
Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig
befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es
und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals
gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest
gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid […]
(Franz Kafka – Der Prozess)
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Typologie des Erzählers
Typen des Erzählers
 Weise der Darstellung explizit — implizit
 Markierung stark — schwach markiert
 Persönlichkeit persönlicher - unpersönlicher

Erzähler
 Antropomorphie Mensch — nicht Mensch
 Homogenität einheitlich — diffus
 Wertung objektiv — subjektiv
 Wissen allwissend — begrenzt
 räumliche Kompetenz allgegenwärtig — räumlich
Doz. Dr. Delia Cotarlea
begrezt 18.01.2024
 Introspektion
 mit Introspektion - ohne Introspektion
 Professionalität
 professionell - laienhaft
 Zuverlässigkeit
 unzuverlässig (unreliable) - zuverlässig
(reliable)
 Primärer, sekundärer, tertiärer Erzähler
 Erzählendes + erlebendes Ich

Doz. Dr. Delia Cotarlea 18.01.2024

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