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Trainings
wissenschaft
für die Sportpraxis
Lehrbuch für Studium, Ausbildung
und Unterricht im Sport
Trainingswissenschaft für die Sportpraxis
Alexander Ferrauti
Hrsg.
Trainings
wissenschaft
für die Sportpraxis
Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Unterricht im Sport
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Vorwort
dieses Buch wurde mit großer Freude und voller Überzeugung geschrieben, da wir die
Lehrinhalte für viele Berufsfelder von Sportwissenschaftlern in Schule, Nachwuchs-,
Leistungs- und Alterssport als sehr wichtig erachten. Es vermittelt den aktuellen trai-
ningswissenschaftlichen Wissensstand und ergänzt diesen durch vielfältige didaktische
Elemente, sportpraktische Beispiele und interaktives Zusatzmaterial in Form von Video-
sequenzen. An der Ruhr-Universität Bochum wird das Fach Trainingswissenschaft
durch ein tolles Team vertreten. Allen Autorinnen und Autoren gilt mein herzlicher
Dank dafür, dass sie ihre Expertise eingebracht haben. Zur Qualitätssicherung diente ein
internes Review Verfahren. Zusätzlich erfolgte eine externe Begutachtung ausgewählter
Kapitel durch Experten der Universitätsallianz Ruhr (UAR). Herzlichen Dank dafür an
Prof. Dr. Daniel Hahn (Ruhr-Universität Bochum) und Prof. Dr. Thomas Mühlbauer
(Universität Duisburg-Essen). Katharina Raasch war für die Koordination im Hinter-
grund verantwortlich und Kilian Kimmeskamp stand als Fotograph stets professionell
zur Seite. Vielen Dank speziell auch an Regine Bakenecker, Katharina Raasch, Pia Wag-
ner und Jo-Lâm Vuong für die gelungene Darstellung von Trainingsformen und Testver-
fahren. Sportwissenschaftlich relevante Themen erkennen und erforschen, adressaten-
und berufsfeldspezifisch aufbereiten, praxis- und forschungsnah lehren und lernen.
Diesem Leitbild unserer Fakultät für Sportwissenschaft folgend, versucht dieses Lehr-
buch die Lehrinhalte auf der Basis notwendiger theoretischer Grundlagen aus einer an-
gewandten Perspektive zu vermitteln. Denn, die Sportpraxis ist fast immer Ausgangs-
punkt und Zielperspektive für Fragestellungen der Trainingswissenschaft.
Alle Autorinnen und Autoren auf einen Blick von oben links nach unten rechts: Dr. Florian
Hanakam, Janina Fett, Katharina Raasch, Christoph Schneider, Dr. Jennifer Kappenstein,
Dr. Arno Krombholz, Adam Frytz, Dr. Hubert Remmert, Dr. Tobias Stadtmann, Dr. Thimo
VI Vorwort
Wiewelhove, Janina Götz, Til Kittel, Dr. Alexander Ulbricht, Jo-Lâm Vuong, Dr. Christian
Raeder, Laura Hottenrott, Prof. Dr. Alexander Ferrauti
Alexander Ferrauti
Bochum, Deutschland
2020
VII
Inhaltsverzeichnis
2.4.3 Komplexe und synergetische Konzepte der Anpassung durch Training . . . . . . . . . . . . . 54
2.4.4 Strukturelle Anpassungen durch Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.4.5 Metastrukturelle Anpassungen durch Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.4.6 Das Übertrainingssyndrom als Fehlanpassung durch Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.5 Aufgaben zur Nachbereitung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
3 Leistungssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Alexander Ferrauti, Christoph Schneider und Thimo Wiewelhove
3.1 Komponenten der Leistungssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.2 Wettkampfanalyse und Wettkampfleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.2.1 Ergebnisanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.2.2 Pacing-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
3.2.3 Systematische Spielanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
3.2.4 Tracking-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.2.5 Belastungs- und Beanspruchungsanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.2.6 Leistungsstrukturanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.3 Wettkampfsteuerung und Wettkampfvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.3.1 Phasenstruktur und Ziele der Wettkampfvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.3.2 Inhalte, Dauer und Intensität der Wettkampfvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.3.3 Precooling zur Wettkampfvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.4 Leistungsdiagnostik und Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.4.1 Möglichkeiten der Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
3.4.2 Qualitätssicherung und Testgütekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
3.4.3 Testnormierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
3.4.4 Diagnostik von Anthropometrie und Reifegrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3.4.5 Diagnostik der Körperkomposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3.4.6 Kraftdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
3.4.7 Schnelligkeitsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3.4.8 Beweglichkeitsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
3.4.9 Ausdauerdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
3.4.10 Sportartspezifische Leistungsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
3.5 Trainingssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
3.5.1 Allgemeine Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
3.5.2 Individuelle Schwerpunktsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
3.5.3 Individuelle Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
3.5.4 Aktuelle Feinjustierung durch Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
3.6 Aufgaben zur Nachbereitung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
4 Krafttraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Christian Raeder, Jo-Lâm Vuong und Alexander Ferrauti
4.1 Bedeutung und Erscheinungsformen der Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
4.1.1 Maximalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
4.1.2 Schnellkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
4.1.3 Reaktivkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
4.2 Biologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
IX
Inhaltsverzeichnis
5 Schnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Thimo Wiewelhove
5.1 Bedeutung und Erscheinungsformen der Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
5.2 Biologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
5.2.1 Anlage-, entwicklungs- und lernbedingte Einflussgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
5.2.2 Neuronale und tendomuskuläre Einflussgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
5.2.3 Einflussgrößen im Kontext der Erscheinungsformen der Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . 272
5.3 Anpassungseffekte durch Schnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
5.3.1 Anpassungen im Kontext der informatorischen Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
5.3.2 Anpassungen im Kontext der motorischen Schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
5.4 Trainingsmethoden und Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
5.4.1 Ausgewählte trainingsmethodische Leitlinien zum Schnelligkeitstraining . . . . . . . . . . 277
5.4.2 Trainingsbereiche und Methoden des Schnelligkeitstrainings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
5.4.3 Reaktionstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
5.4.4 Antizipationstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
5.4.5 Frequenzschnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
5.4.6 Sequenzschnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
5.4.7 Antritts- und Sprintschnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
5.4.8 Aktionsschnelligkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
5.4.9 Supramaximale Schnelligkeitsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
5.4.10 Widerstandsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
5.4.11 Kontrastmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
5.4.12 Koordinationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
5.5 Ausgewählte Trainingsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
X Inhaltsverzeichnis
6 Beweglichkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Hubert Remmert
6.1 Bedeutung und Erscheinungsformen der Beweglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
6.2 Biologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
6.2.1 Gelenkstrukturen und Beweglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
6.2.2 Muskelphysiologische Grundlagen und Dehneffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
6.2.3 Bindegewebe und Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
6.3 Anpassungseffekte durch Dehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
6.4 Trainingsmethoden und Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
6.4.1 Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
6.4.2 Anforderungsgerechtes Beweglichkeitstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
6.5 Ausgewählte Trainingsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
6.6 Aufgaben zur Nachbereitung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
7 Ausdauertraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Florian Hanakam und Alexander Ferrauti
7.1 Bedeutung und Erscheinungsformen der Ausdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
7.1.1 Grundlagenausdauer versus sportartspezifische Ausdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
7.1.2 Kurz, Mittel- und Langzeitausdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
7.2 Biologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
7.2.1 Grundlagen des Energiestoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
7.2.2 Energieumsatz und Substratverwertung im Ausdauersport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
7.2.3 Energiestoffwechsel bei Intervallbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
7.3 Anpassungseffekte durch Ausdauertraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
7.3.1 Internistisch-präventivmedizinische Anpassungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
7.3.2 Genetisch bedingte Anpassungseffekte (African Runners) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
7.3.3 Trainingsbedingte Anpassungen der maximalen Sauerstoffaufnahme . . . . . . . . . . . . . 372
7.4 Trainingsmethoden und Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
7.4.1 Dauermethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
7.4.2 Intervallmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
7.4.3 Wiederholungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
7.4.4 Kleinfeldspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
7.4.5 Belastungsdosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
7.5 Ausgewählte Trainingsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
7.6 Aufgaben zur Nachbereitung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
8 Techniktraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Arno Krombholz
8.1 Bedeutung und Erscheinungsformen von Technik und Koordination . . . . . . . . . . . . 406
8.2 Bewegungsanalyse und Technikleitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
8.2.1 Ermittlung und Ableitung von Technikleitbildern und Sollwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
8.2.2 Funktionale Analysen sportlicher Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
8.2.3 Morphologische und biomechanische Analysen sportlicher Technik . . . . . . . . . . . . . . . 416
XI
Inhaltsverzeichnis
Serviceteil
Bildnachweis����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 662
Stichwortverzeichnis ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 663
1 1
Literatur – 18
Die Sportpraxis ist Start- und Ziellinie für die von Studierenden im Fach Sportwissenschaft als
1 Trainingswissenschaft sehr bedeutsam evaluiert. Im 2017 von der dvs
verabschiedeten Kerncurriculum für Bachelor-
Zusammenfassung studiengänge gehört die Vermittlung des Kompe-
Die Trainingswissenschaft ist eine von mehreren tenzbereichs „Training & Leistung“ zu einem fes-
sehr unterschiedlichen sportwissenschaftlichen ten Bestandteil.
Teildisziplinen. Sie zeichnet sich durch ihre interdis-
ziplinäre Arbeitsweise, ihre Nähe zur Sportpraxis Beispiel: Meisterlehre
und eine anwendungsbezogene Forschungs-
Woldemar Gerschler führte den völlig unbekann-
perspektive aus. Die drei inhaltlichen Gegen
ten Rudolf Harbig zu mehreren Weltrekorden über
standsbereiche sind „Training und Trainings- 400, 800 und 1000 m (Gerschler 1939, . Abb. 1.1).
steuerung“, „Leistung und Leistungsdiagnostik“ Hiermit begannen der Siegeszug und die wissen-
sowie „Wettkampf und Wettkampfoptimierung“. schaftliche Begründung des Intervalltrainings und
Die Handlungsfelder gehen weit über den Bereich der herzfrequenzgesteuerten „lohnenden Pause“.
Harbig lief hierzu im Winter vor allem 200-Me-
des Leistungssports hinaus und schließen auch
ter-Wiederholungsläufe (z. B. 20 × 200 m mit 90 s
den Schulsport, den Freizeit- und Fitnesssport so- Geh-/Trabpause). Zur Saison hin wurde die Anzahl
wie den Altersleistungssport ein. Forschungsme- der Wiederholungen geringer und die Geschwin-
thodisch dominieren die Anwendungs- und Eva- digkeit höher (Gerschler 1939). Vergleichbare Pro-
luationsforschung mit vereinzelt notwendigen tokolle werden derzeit unter dem modernen Eti-
kett des High-Intensity-Interval-Trainings (HIIT) für
Vertiefungen durch Grundlagenforschung. Die
zahlreiche Sportarten empfohlen und in der Trai-
moderne Trainingswissenschaft ist zunehmend in- ningswissenschaft hinsichtlich ihrer Effekte intensiv
ternational vernetzt und aufgestellt und trägt im untersucht.
Diskurs mit der Sportpraxis zu bedeutsamen Para-
digmenwechseln im Trainingsprozess bei.
Beispiel: Interdisziplinarität
In der Trainingspraxis zahlreicher Sportarten steht der systematischen Evaluation verschiedener in der
die Frage nach der angemessenen Reizhöhe bzw. Sportpraxis verwendeter HIIT-Varianten und be-
Trainingsintensität vielfach im Zentrum der Trai- nutzt hierbei originär trainingswissenschaftliche
ningsplanung. In jüngster Zeit rückt das hochinten- (z. B. Messung der Intervallsprintleistung), aber
sive Intervalltraining (HIIT) vermehrt in den Fokus auch sportmedizinische (z. B. Ermüdungsmarker im
der Sportpraxis, obwohl keine ausreichende Evi- Blut), biomechanische (z. B. Reflexaktivität der Ar-
denz darüber vorliegt, welche der zahlreichen beitsmuskulatur) und sportpsychologische (z. B. Er-
verschiedenen Trainingsprotokolle mit welchen holungs- und Belastungsevaluation) Erhebungsme-
akuten und langfristigen Effekten in Bezug auf Leis- thoden und reflektiert die aus der Gesamtschau sich
tungssteigerung und Erholungsbedarf einherge- ergebenden Empfehlungen an die Sportpraxis
hen. Die Trainingswissenschaft widmet sich daher (Wiewelhove et al., 2016).
Ein ganz wesentliches Alleinstellungsmerk- tiert, bevor diese als Empfehlung oder gar
mal der Trainingswissenschaft besteht darin, Konzept bzw. Leitlinie transferiert werden
dass ihre Fragestellungen im Diskurs mit der (angewandte Perspektive). Die Trainingswis-
Trainingspraxis (zum Beispiel mit den Wis- senschaft kann im dargestellten Kreismodell
senschaftskoordinatoren der Sportverbände folglich in engerer Anlehnung zur Theorie
im Deutschen Olympischen Sportbund, und Praxis der Sportarten lokalisiert wer-
DOSB) bzw. aus der Beobachtung des sport- den, wobei die Grenzen zu den übrigen
praktischen Handlungsfeldes entstehen. Die sportwissenschaftlichen Teildisziplinen (Pe-
generierten Wissensbestände werden zu- ripherie) und zur Sportpraxis durchlässig
nächst mit Vertretern der Sportpraxis disku- sind (. Abb. 1.2).
4 A. Ferrauti
hr isc
ho fah
Ve edi
Wesenskern schaft
ris
tm
ch
Naturwissenschaften
or
e
Erziehungs-, Geistes- und
sp
Sozialwissenschaften
Medizin und
Theorie und
Praxis der
Sportarten
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Di ago
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or
sp
Aufgaben und Inhalte der Trainingswissenschaft
5 1
jedoch auch eine ernstzunehmende Angriffsflä- als begleitendes Lehrbuch zur dortigen Bache-
che für Kritik. Die Identifikation der eigenen lorvorlesung im Fach Trainingswissenschaft
spezifisch trainingswissenschaftlichen For- fungieren. Diese wird gewöhnlich im ersten
schungsstrategie und deren Abgrenzung zu je- oder zweiten Semester von Studierenden der
ner der anderen Disziplinen erscheint unscharf Ein-Fach-(außerschulisch ausgerichteter Ba-
(Lames et al. 2013). Vereinzelt wird daher aus chelor of Science) und Zwei-Fach-Studiengänge
unterschiedlichen Basiswissenschaften Kritik (schulisch ausgerichteter Bachelor of Arts) be-
an der forschungsmethodischen und wissen- sucht. Das Lehrbuch grenzt sich daher von den
schaftstheoretischen Fundierung der Trainings- zuvor genannten Kompendien an vielen Stellen
wissenschaft geübt (u. a. Mader 2015). Sogar das ab und besitzt keinen Anspruch auf eine voll-
Ausbleiben nennenswerter olympischer Erfolge ständige Behandlung aller relevanten Themen
deutscher Athleten wird unter anderem auf und der zugrundeliegenden Literatur. Es bein-
Fehler in der Trainingssteuerung und beispiels- haltet auf der anderen Seite in hohem Maße die
weise auf eine unzureichend biologisch-natur- eigenen Forschungsergebnisse bzw. jene aller
wissenschaftlich ausgerichtete Trainingswissen- Mitarbeitenden des Lehrstuhls (Doktoranden
schaft zurückgeführt (Hartmann 2016). und Postdocs). Der Buchtitel signalisiert die
Zusammenfassend steht die Trainingswis- hohe Affinität unserer Arbeitsgruppe zur Sport-
senschaft in Deutschland aktuell in einem Span- praxis und unserem Bekenntnis zum eingangs
nungsfeld: Sie erfährt höchste Anerkennung bei definierten Motto: „Die Sportpraxis ist Start-
Studierenden (als Studienfach in den Curricula und Ziellinie für die Trainingswissenschaft“.
der Bachelorstudiengänge im Fach Sportwis-
senschaft) sowie bei zahlreichen nationalen und
internationalen Nachwuchsforschern und wird 1.2 Gegenstandsbereiche der
von den meisten Sportfachverbänden des DOSB Trainingswissenschaft
aufgrund ihrer trainingswissenschaftlichen Un-
terstützungsleistungen sehr wertgeschätzt. Ver- Die trainingswissenschaftlichen Adressaten- und
einzelt betrachten Vertreter verschiedener Handlungsfelder sind vielfältig und umfassen
sportwissenschaftlicher Basisdisziplinen die unter anderem das Kindes- und Jugendalter (mit
Trainingswissenschaft wegen ihres forschungs- den Handlungsfeldern Schulsport, Talentfor-
methodischen Zugangs jedoch kritisch. Im schung und Nachwuchsleistungssport), den Leis-
internationalen Umfeld erscheint der Umgang tungssport mit seinen vielfältigen Handlungsfel-
mit trainingswissenschaftlich-angewandter For- dern sowie das mittlere und höhere Lebensalter
schung deutlich unkomplizierter und pragmati- (mit den Handlungsfeldern Freizeit-, Fitness- und
scher. Zahlreiche renommierte Trainingswis- Gesundheitssport sowie den Bereich der „Mas-
senschaftler liefern einerseits wertvolle ter-Athleten“ als Altersleistungssportler). Es ist
Unter stützungsarbeit in der unmittelbaren unbestritten und evident, dass in jedem der auf-
Athletenbetreuung nationaler Sportorganisatio- gelisteten Adressaten- und Handlungsfelder
nen und genießen gleichzeitig mit ihren Publi- (. Abb. 1.3) sehr spezifische Fragestellungen exis-
kationen in der Scientific Community höchste tieren und einen jeweils darauf ausgerichteten
Anerkennung (u. a. Halson 2014; Coutts 2017). Forschungszugang erfordern (7 Kap. 10 und 11).
Das vorliegende Lehrbuch sieht sich dieser Die Trainingswissenschaft ist zu einem we-
internationalen und praxisorientierten Inter- sentlichen Teil aus der leistungssportlichen Trai-
pretation der Trainingswissenschaft verpflich- ningsmethodik entstanden. Insofern ist es nach-
tet. Es soll zudem explizit die an der Fakultät für vollziehbar, dass der Leistungssport in der
Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bo- Vergangenheit das wichtigste Handlungsfeld der
chum gewachsene und gelehrte medizinisch- Trainingswissenschaft darstellte. Forschungsbe-
naturwissenschaftliche Sichtweise des Lehr- mühungen fokussieren daher unter anderem auf
stuhls für Trainingswissenschaft vertreten und eine Optimierung der Leistungssteuerung als
6 A. Ferrauti
Gegenstandsbereiche
Training und Leistung und Wettkampf und
Trainingssteuerung Leistungsdiagnostik Wettkampfoptimierung
Trainingsplanung, allgemeine & sportartspezifische Beanspruchungsprofile,
Trainingsinhalte & -methoden, Testverfahren, Testnormierung & Wettkampfanalyse,
Belastungsnormative, Leistungsmodellierung Wettkampfsteuerung
Monitoring, Regeneration und Coaching, Regeneration
Themenschwerpunkte
Athletik Sportartspezifität Technik und Taktik
Training & Diagnostik von Kraft, Individualsportarten, Sportspiele Technikvermittlung,
Schnelligkeit, Beweglichkeit (Mannschafts- & Rückschlagspiele), Techniktraining,
& Ausdauer Zweikampfsport, Trendsport u.s.w. Taktiktraining, Technik-
& Taktikanalyse
.. Abb. 1.3 Adressaten- und Handlungsfelder sowie Gegenstandsbereiche und ausgewählte dominante
Themenfelder der Trainingswissenschaft
Synopse von Leistungsdiagnostik und Trainings- derzeit von der nationalen und internationalen
planung (z. B. Entwicklung und Validierung Trainingswissenschaft intensiv bearbeitetes For-
neuer und sportartspezifischer Leistungstests) schungsfeld (u. a. Halson 2014).
sowie auf die Überprüfung neuartiger oder spe- Durch die Öffnung des Trainingsbegriffs
zieller Trainingsmethoden und Trainingsgeräte sind jedoch bedeutsame Handlungsfelder hin-
(z. B. das exzentrisch akzentuierte Krafttraining, zugekommen. Exemplarisch soll an dieser
der Einsatz von Vi brationen oder aktuell das Stelle auf das Training im Kindes- und Jugend-
Hypoxie- oder Okklusionstraining). alter, den Schulsport und den Freizeit- und Fit-
Darüber hinaus stellen die langfristige Trai- nesssport eingegangen werden.
ningswirkungsanalyse und die Individualisie- Im Kindes- und Jugendalter und dem dort
rung des Belastungs- und Erholungsmanage- stattfindenden Nachwuchstraining hat die un-
ments große Herausforderungen dar. Es besteht zureichende Grundlagenforschung zur Trai-
Konsens darüber, dass im Hochleistungssport nierbarkeit und Belastbarkeit von Kindern und
allgemeine technologische Regeln bei der Trai- Jugendlichen dazu geführt, dass überkommene
ningsplanung und die Anwendung allgemeiner Vorstellungen unkritisch und ungeprüft tradiert
Trainingsprinzipien häufig versagen. Vor dem wurden. Aktuelle Forschungsergebnisse zum
Hintergrund minimaler Leistungsreserven und Krafttraining (Behm et al. 2017) unter anderem
der Gefahr einer chronischen Fehlbelastung aus der KINGS-Studie (Krafttraining im Nach-
muss diesem Umstand durch ein individuell wuchsleistungssport) und aus unserer eigenen
ausgerichtetes Belastungs- und Erholungsma- Arbeitsgruppe zum Ausdauertraining im Kin-
nagement begegnet werden. In diesem Zusam- desalter (z. B. Kappenstein et al. 2013) belegen
menhang beschreibt das Zauberwort „Monito- die Dringlichkeit einer weiteren trainingswis-
ring“, auch unter Nutzung von technischen senschaftlichen Auseinandersetzung mit der
Unterstützungsgeräten (z. B. Wearables), ein Thematik.
Aufgaben und Inhalte der Trainingswissenschaft
7 1
Auch die Zusammenarbeit von Trainingswis- Sicht sind eine Aufwertung trainingswissen-
senschaft und Schulsport ist bis auf wenige Arbei- schaftlicher Aspekte im Schulsport und eine an-
ten unzureichend (Thienes 2008). Die kompli- gemessene didaktische Aufbereitung dringend
zierte politische und ideologische Gemengelage erforderlich. Parallel hierzu vermittelbare Kom-
und der schwierige Diskurs über die pädago- petenzen über eine gesunde und lebenslang ak-
gisch relevanten Zielsetzungen des Sportunter- tive Lebensweise sowie über die biologischen
richts, gepaart mit unzureichenden finanziellen Grundlagen von Bewegung und Training (ein-
Fördermöglichkeiten (ein unverzeihlicher Fehler schließlich der Möglichkeiten zur Vorbeugung
der zuständigen politischen Entscheidungsträ- von Zivilisationserkrankungen) werden bislang
ger), mögen dies vorrangig verursacht haben von keinem anderen Fach im schulischen Fä-
(Weber und Pieper 2006). cherkanon thematisiert. Sie lassen sich jedoch in
idealer Weise und unmittelbar praxisnah im
Sportunterricht vermitteln und würden eine be-
xkurs: Konzentrationssteigerung durch
E achtliche gesellschaftliche Bildungslücke schlie-
körperliche Aktivität
ßen (Weber und Pieper 2006). Schließlich sind
Sofern Sie momentan vergeblich versuchen zu
auch die Transfereffekte des Schulsports auf die
lernen und sich zu konzentrieren, gebe ich Ih- Qualität der Wissensvermittlung in den übrigen
nen einen Tipp: Treiben Sie 30 bis 45 Minuten Fächern nicht zu vernachlässigen. Zahlreiche Be-
intensiven Sport, welche Aktivität auch immer funde belegen den akuten Einfluss von körperli-
Sie bevorzugen. Wer kann sich nicht an die pro- cher Aktivität auf die kognitive Leistungsfähig-
duktivsten Stunden im Mathematikunterricht
erinnern? Ausgepowert und immer noch
keit im schulischen Setting (u. a. Galotta et al.
schwitzend nach Sportunterricht oder Pausen- 2012).
fußball saß man zunehmend entspannt an sei- Der Freizeit- und Fitnesssport ist ebenfalls
nem Schultisch und die Differenzialrechnung ein bislang nur marginal durch die Trainings-
wurde zum Kinderspiel. Ist es das, was die Psy- wissenschaft bearbeitetes Forschungsfeld (Fer-
chologen als Flow-Erleben bezeichnen und wel-
che physiologischen Ursachen stehen dahinter
rauti und Remmert 2006). Durch die Spezifität
(Harmat et al. 2016)? Welche Dosis-Wirkung- von Motiven, Alter und Trainingszustand der
Beziehung existiert zwischen der Intensität ei- Aktiven sowie die besonderen sozialen und
ner vorgeschalteten Belastung und der nach- zeitlichen Rahmenbedingungen avanciert der
folgenden Konzentrationssteigerung (Galotta Freizeitsport zu einem eigenständigen trai-
et al. 2012)? Sind diese Effekte abhängig vom
Trainingszustand der Schüler? Viele Fragen, die
ningswissenschaftlichen Forschungsbereich,
trainingswissenschaftlich (und somit auch inter- dem trotz seiner hohen gesellschaftlichen Be-
disziplinär) im schulischen Setting nach wie vor deutung bislang zu wenig Aufmerksamkeit
auf ihre umfassende Beantwortung warten. Nur geschenkt wurde. Freizeitsport gehört in den
eines ist klar: Die Sportstunde freitags am Ende Aufgabenbereich der Bundesländer, eine För-
des Schultages verfehlt ihre Wirkung auf den
Mathematikunterricht!
derung und Systematisierung der Forschungs-
bemühungen findet auf Länderebene jedoch
nur unzureichend statt. Folglich wird die Ent-
wicklung des Freizeitsports bislang vorrangig
Gemäß dem offenen Trainingsverständnis han- durch Sportartikelhersteller gesteuert. Diese
delt es sich jedoch auch beim Schulsport um ein versuchen ihre Produkte und Methoden nach
„reguläres“ Anwendungsfeld der Trainingswis- wirtschaftlichen und weniger nach funktionell
senschaft. Denn insbesondere im Sportunterricht trainingswissenschaftlichen Gesichtspunk-
werden planmäßig und systematisch Inhalte rea- ten zu vermarkten. In der Folge begegnet der
lisiert, um Ziele im oder durch Sport zu errei- kritische Sportler, Trainer und Trainingswis-
chen, ohne gleichzeitig pädagogische Zielsetzun- senschaftler zahlreichen Mythen und naiven
gen und Perspektiven zu gefährden. Auch Theorien über die Effektivität von Trainings-
aus gesundheitlicher und gesundheitspolitischer methoden. Lifestylemagazine, in denen sport-
8 A. Ferrauti
.. Abb. 1.4 Freizeitsportler bilden weltweit die mit Outdoor-Freizeitsports. Dies sind unter anderem
Abstand größte Gruppierung an Sporttreibenden. Es New York (Central Park) und Paris (das Hippodrome im
lohnt ein Besuch der weltweit größten Metropolen des Bois de Boulogne)
Beispiel: Grundlagenforschung
Wir konnten in experimentellen Feldstudien mehr- mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum in
fach nachweisen, dass Kinder maximale Intervall- Köln ermöglichte im Labor mittels magnetresonanz-
sprintbelastungen ohne nennenswerte Leistungs- spektroskopischer Untersuchung (31P-MRS) den
verluste gut tolerieren. Über einfach strukturierte Nachweis, dass Kinder einen geringeren Abfall an
psychometrische Befragungen ergaben sich nied- Kreatinphosphat (KP) in der Muskelzelle bei Belas-
rige subjektiv empfundene Beanspruchungen. Im tungsbeginn und folglich eine raschere KP-Regene-
peripheren Kapillarblut waren die Blutlaktatkonzen- ration in der Intervallpause aufweisen, was unter an-
trationen und die pH-Wertveränderungen deutlich derem auf die raschere Sauerstoffkinetik
geringer als bei Erwachsenen. Erst die Kooperation zurückgeführt werden kann (. Abb. 1.5a).
10 A. Ferrauti
1 a b
Beispiel: Evaluationsforschung
Ein Badmintonnationalspieler klagt am Wochen- Jump (CMJ) ist um über 10 Prozent von 50 cm auf
ende nach intensiven Mikrozyklen während der 44 cm reduziert und die submaximal abgeleitete
Vorbereitung auf ein internationales Turnier über Herzfrequenz ist deutlich verringert (. Abb. 1.8).
erhebliche Muskelbeschwerden (Anstieg auf der Ein derartig eindeutiger Befund bezogen auf alle
Schmerzskala um mehr als 50 % gegenüber seines Parameter erfordert unbedingt die Schonung des
Baselinewertes). Ein Blick auf die Konzentration der Spielers und den Einsatz regenerativer Maßnah-
Kreatinkinase im Blut (CK) als Marker für muskuläre men am Wochenende. Schwieriger wird die Inter-
Schäden zeigt einen ebenfalls erheblichen Anstieg. pretation, wenn jeweils zwei der genannten Indi-
Auch die Sprungleistung im Counter Movement zien in unterschiedlicher Weise reagieren.
Aufgaben und Inhalte der Trainingswissenschaft
13 1
175
post Recovery
170 post Training
165
160
HRex (bpm)
155 20
18
RPE (6–20)
150 16
14
145
12
140 10
8
135 6
1 8 15 22 29 36
Days
.. Abb. 1.8 Individualverlauf der submaximalen tensiven Trainingswoche am Freitag (post Training,
Herzfrequenz (HRex) eines Badmintonspielers aus blau) erhoben. Der jeweils wechselnde Verlauf zeigt,
dem A-Kader des Deutschen Badminton Verbandes dass der Abfall der submaximalen Herzfrequenz am
(DBV) im Verlauf mehrerer Wochen. Die Messungen Ende der Woche als Indikator für eine Überlastung
wurden bei standardisierter Laufgeschwindigkeit gewertet werden kann. Gleichzeitig deutet der im
während des Warm-up zum Training entweder Trend feststellbare Abfall auf eine Leistungssteige-
montags nach einer Erholungsphase am Wochen- rung über mehrere Trainingswochen hin (Schneider
ende (post Recovery, weiß) oder am Ende einer in- et al. 2018).
Als Grundvoraussetzung muss zunächst eine nien des Ethik-Rates vor. Die Fakultät für
statistisch abgesicherte individuelle Baseline Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bo-
(z. B. Mittelwert und Streuung unter Ruhebe- chum verfügt über eine eigens eingerichtete
dingungen) für jeden Parameter bestimmt Ethikkommission.
werden.
Die Kommunikation innerhalb der Trai- gesichert, begründet und dadurch mit höherer
1 ningswissenschaft kann im heutigen Zeitalter der Überzeugung aufrechterhalten werden kann. In
Globalisierung nur international und gewöhn- einigen Fällen waren jedoch auch Umwege er-
lich unter Nutzung von wissenschaftlichen Zeit- forderlich, sodass in Zukunft sicher noch mit
schriften in englischer Sprache erfolgen. Diese weiteren überraschenden Wendungen zu rech-
sind auch für Studierende im Fach Sportwissen- nen sein wird. Dies soll im Folgenden anhand
schaft neben den klassischen Lehrbüchern be- von drei Beispielen verdeutlicht werden.
reits frühzeitig im Studienverlauf als zusätzliche
Informationsquelle unverzichtbar. Studierenden zz Dynamisches versus statisches Dehnen
kann somit der Besuch der gängigen Internet- Noch heute trifft man während der Wintermo-
plattformen zur Recherche von Veröffentlichun- nate rüstige Rentner im südeuropäischen Aus-
gen in Fachzeitschriften empfohlen werden (un- land, die morgens am Strand ruckartig und syn-
ter anderem die Datenbank PubMed). chron die gestreckten Arme nach hinten
Von der Vielzahl an trainingswissenschaft- beschleunigen. Diese Form der „Schwung- bzw.
lich orientierten Zeitschriften sollen an dieser Zerrgymnastik“ war spätestens Mitte der 1980er-
Stelle nur einige Erwähnung finden wie das Jahre strengstens verboten und wurde durch das
Journal of Sport Sciences, das European Journal sanfte Stretching bzw. die Funktionsgymnastik
of Sport Science (Zeitschrift des European Col- abgelöst. Als Begründung diente das Wissen um
lege of Sport Science), die Zeitschriften Medi- neuromuskuläre Zusammenhänge, insbeson-
cine and Science in Sport and Exercise und das dere die Wirkung des Dehnungsreflexes, der der
International Journal of Sports Physiology and angestrebten Muskelverlängerung widerspräche
Performance. Als junge, aber bereits etablierte (u. a. Knebel et al. 1994). Insbesondere die Wup-
Open Access-Zeitschrift sei auf PLoS One hin- pertaler Arbeitsgruppe um Wiemann und Klee
gewiesen. Für allgemein ausgerichtete Über- (2000) konnte aufgrund molekularbiologischer
sichtsartikel (Reviews) bzw. Metaanalysen Erkenntnisse zum Muskelgewebe und ihrer kre-
führt kein Weg an der Zeitschrift Sports Medi- ativen Experimente belegen, dass sich der Mus-
cine vorbei. Auch in Deutschland wurde der kel nicht nennenswert verlängern kann und dy-
zunehmenden Internationalisierung Rech- namische und statische Dehnmethoden eine
nung getragen, sodass die Zeitschrift Sportwis- identische Steigerung des Bewegungsumfangs
senschaft seit 2017 als German Journal of Exer- ermöglichen. Es folgte die „Wiedergeburt“ des
cise and Sport Research zunehmend in dynamischen Dehnens, zumal das statische
englischer Sprache herausgegeben wird. Dehnen nachweislich die Schnellkraft verringert
(Hennig und Podzielny 1994). Heute ist jedoch
bekannt, dass dieser passagere leistungsmin-
1.4 Paradigmenwechsel durch dernde Effekt nicht für alle Sportarten von Rele-
Trainingswissenschaft vanz ist, sodass sportartspezifisch und je nach
individuellen Bedürfnissen unterschiedlich ak-
In den vergangenen Dekaden ermöglichten zentuierte und kombinierte Dehnprogramme
trainingswissenschaftliche Erkenntnisse eine empfohlen werden (Remmert 2006; 7 Kap. 6).
Absicherung, Veränderung oder gar vollstän-
dige Neujustierung von Trainingsgewohnheiten zz E
xtensive Dauermethode versus High-
in der Praxis. Nicht immer erfolgte der Primär- Intensity-Interval-Training
anstoß aus der Trainingswissenschaft heraus. In Bereits eingangs wurde auf die Meisterlehre Ger-
vielen Fällen wurden bereits bestehende Erfah- schlers zum Intervalltraining hingewiesen (Ger-
rungen und Gewohnheiten aus der Sportpraxis schler 1939). Insbesondere im Fußball mehrten
einer nachträglichen Evaluierung zugeführt. sich in der Nachkriegszeit Protagonisten, die ein
Auch dieser Weg besitzt seine Legitimation, da hochintensives Intervalltraining nicht zuletzt
hierdurch das bestehende Verhalten besser ab- mit dem Ziel der Disziplinierung ihrer Spieler
Aufgaben und Inhalte der Trainingswissenschaft
15 1
.. Abb. 1.9 Theorie
der adaptationsmin- bessere Regeneration
dernden Regeneration.
Orange = gesunde, + Regeneration
geschädigte oder
adaptierte Muskelzelle,
roter Blitz = Trainings- versus
reiz, blaue Tonne = Re-
stärkere Adaptation
generation
– Regeneration
einsetzten. Dabei ignorierten sie das Beanspru- Wettkampf ausläuft, um rasch zu regenerieren?
chungsprofil und die üblichen Belastungs- und Aktuell wird dies vor dem Hintergrund kont-
Pausenzeiten des Wettspiels sowie die Regenera- rovers diskutiert, ob die entscheidenden adap-
tionsbedürftigkeit der Spieler komplett. Anfang tationsauslösenden molekularen und zellbio-
der 1990er-Jahre kehrte sich vor dem Hinter- logischen Mechanismen die durch das Training
grund der primär deutschen Laktatschwellen- ausgelöste Heterostase möglichst lange benöti-
diskussion diese Lehrweise diametral um, und es gen, um sich maximal zu entfalten (Hunt et al.
mehrten sich Trainingsempfehlungen aus dem 2008). Würde sich demnach, wie in . Abb. 1.9
Langstreckenlauf. Fußballspielern wurde im dargestellt, ohne diese Form der Regeneration
Rahmen der Saisonvorbereitung in den ersten ein besserer Trainingseffekt einstellen? Ande-
vier Wochen die extensive Dauermethode emp- rerseits könnte man im Auslaufen noch einen
fohlen (Bisanz 1985). Die Zweifel an der Wirk- zusätzlichen aeroben Trainingsreiz sehen oder
samkeit dieser Maßnahme blieben in der Sport- die seit jeher erwartete raschere Wiederher-
praxis bestehen, und die Umsetzung erfolgte nie stellung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
mit der in der Theorie geforderten Konsequenz, Unsere bisherigen Befunde zur akuten Wirk-
bis das Intervall training als High-Intensity- samkeit von aktiver Erholung oder auch ande-
Interval-Training (HIIT) im neuen Jahrtausend ren in der Praxis bewährten Regenerationsin-
„wiedergeboren“, intelligenter und spielnäher terventionen sind allerdings insgesamt nicht
interpretiert sowie mit den zugrundeliegenden überzeugend. Eine langfristig bessere Trai-
physiologischen Anpassungsmechanismen bes ningswirkung konnte jedoch ebenfalls nicht
ser begründet werden konnte (Wahl et al. 2010). eindeutig nachgewiesen werden (Meyer et al.
Aktuell ist jedoch auch hier vor einer zu großen 2016). Folglich bleibt momentan noch offen,
HIIT-Euphorie zu warnen. Zum langfristigen ob beispielsweise der Zeitpunkt der Regenera-
Leistungsaufbau, in speziellen Einzelfällen (z. B. tionsmaßnahme über ihre Rechtfertigung ent-
nach längerer Verletzungspause oder bei Spie- scheidet. Dies könnte bedeuten: Ja, zur raschen
lern mit spezifischen Defiziten oder besonderen Wiederherstellung im Turnierverlauf, aber
taktischen Aufgaben) und aus regenerativen Nein, zur Optimierung der Trainingswirkung.
Gründen zu definierten Zeitpunkten im Mikro- Die Beispiele für Paradigmenwechsel ließen
zyklus besitzt die extensive Dauermethode sich weiter fortführen. Nur exemplarisch soll
selbstverständlich ihre Rechtfertigung. An die- auf die Diskussion zwischen Einsatz- und Mehr-
ser Stelle erscheint deshalb ein individuell abge- satztraining im Krafttraining (Remmert et al.
stimmter Methodenmix gerechtfertigt. 2005) sowie zwischen Erholung und Vorbelas-
tung im Technikanwendungstraining (Olivier
zz Regeneration versus Nachwirkungseffekt 1996) hingewiesen werden. In allen Fällen lie-
War es nicht seit jeher unbestritten, dass man ferten trainingswissenschaftliche Untersuchun-
sich nach einem intensiven Training oder gen einen wertvollen Erkenntnisfortschritt.
16 A. Ferrauti
Grundlagenwissen zum
sportlichen Training
Alexander Ferrauti und Hubert Remmert
Literatur – 62
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
23 2
Gartenarbeit und Schneeschippen sind kein 2.1 Trainingscharakteristika und
Training! Trotz eines nennenswerten kalori- Trainingsqualität
schen Umsatzes wird hier kein definiertes Trai-
ningsziel verfolgt (sagen Sie das ihren Eltern, Der Begriff des sportlichen Trainings war ur-
wenn man versucht, Sie mit diesem Argument sprünglich nur auf den Leistungssport bezo-
dazu zu überreden). gen. Die in 7 Kap. 1 beschriebenen vielfältigen
Gegenstandsfelder der Trainingswissenschaft
Zusammenfassung in der heutigen Gesellschaft erfordern jedoch
Der Trainingsbegriff erscheint trivial. Eine inhaltli- eine Öffnung des Trainingsbegriffes (Hohmann
che Präzisierung des Gegenstandes ist jedoch not- et al. 2002). Demnach beginnt Training bereits
wendig, zumal der Trainerberuf hierdurch seine in der Kindertagesstätte durch die systemati-
gesellschaftliche Legitimation erfährt. Im Sinne sche Vermittlung vielfältiger Bewegungsange-
einer sehr offenen Auslegung findet Training im bote und wird im Idealfall während der Schul-
Kontext von Bewegung und Sport in zahlreichen zeit anhand von klar definierten Zielsetzungen
Anwendungsfeldern statt. Diese schließen neben durch den Sportlehrer fortgesetzt (z. B. halb-
dem Leistungssport auch den Freizeit-, Gesund- jährlich den Schülern und Eltern gegenüber
heits- und Rehabilitationssport sowie den Vor- kommuniziert). Training dient selbstverständ-
schul- und Schulsport ein. Training verfolgt stets lich auch der Leistungsoptimierung im Sport-
ein definiertes Ziel, wobei dieses sehr vielfältig verein, allerdings nicht nur unter leistungs-,
sein kann. Neben einer Leistungssteigerung kann sondern auch unter breiten- und gesundheits-
es den Leistungserhalt, die Reduktion eines Leis- sportlichen Zielsetzungen. Zahlreiche pros
tungsverlustes im Altersgang, die kontrollierte pektive epidemiologische Untersuchungen
Leistungsreduktion nach Beendigung einer Spit- erkannten schon frühzeitig die gesundheitser-
zensportkarriere sowie leistungsunabhängige haltende und -wiederherstellende Wirkung des
Zielsetzungen wie Gewichtsreduktion oder Wohl- sportlichen Trainings im mittleren und höhe-
befinden beinhalten. Zum Erreichen definierter ren Lebensalter (u. a. Paffenbarger und Olson
Trainingsziele sind konkrete Trainingsinhalte 1996, . Abb. 2.1). Offenbar kann lebenslanges
und -methoden erforderlich. Die zu deren Reali- körperliches Training den Bewegungsmangel
sierung definierten Belastungsnormative müs- unserer Zivilisationsgesellschaft kompensieren
sen für jedes Trainingsziel sorgfältig ausgewählt und den phylogenetischen Anforderungen un-
werden, um eine ausreichende Trainingsqualität seres – von körperlich deutlich aktiveren Vor-
und somit die erwünschte Trainingswirksamkeit fahren – überlieferten Erbguts entsprechen.
sicherzustellen. Allgemeine Trainingsprinzipien Wildor Hollmann, einer der renommier-
bieten zusätzlich hilfreiche Orientierungen. Die testen nationalen und internationalen Sport-
durch Training ausgelösten Anpassungsprozesse mediziner, belegte schon in den 1970er-Jahren,
(Adaptationen) sind komplexe Phänomene, die dass regelmäßiges Training den altersbedingten
auf verschiedenen Funktionsebenen des mensch- Leistungsverlust stabilisieren bzw. zumindest
lichen Organismus ablaufen. Fehlsteuerungen in reduzieren kann. Dies führte zur Prägung der
der Trainings- und Wettkampfplanung können Formel: „Durch ein geeignetes körperliches
auch mit Fehlanpassungen (Übertrainingssyn- Training gelingt es, 20 Jahre lang 40 Jahre alt zu
drom) einhergehen. Folglich ist speziell im Leis- bleiben“ (Hollmann und Strüder 2009). Hoh-
tungssport stets eine systematische (Orientierung mann et al. (2002) proklamieren daher: „Trai-
der Inhalte an Außenkriterien) und planmäßige ning ist offen für alle, vom Anfänger über den
(Einordnung der Inhalte in einen zeitlichen Ge- Fortgeschrittenen bis zum Spitzensportler, vom
samtkontext) Vorgehensweise einzufordern. Schüler über den Jugendlichen, den Aktiven bis
24 A. Ferrauti und H. Remmert
zum Alterssportler, für den, der seine Leistung Die Definition des Trainingsbegriffs verdeut-
steigern, für den, der seine Fitness erhalten, licht die Komplexität des Handlungsfeldes eines
aber auch für den, der sie wiederherstellen will“. Trainers, und es wird deutlich, dass zur Sicher-
Der Trainingsbegriff wird von den verschie- stellung einer hohen Trainingsqualität eine Viel-
denen sportwissenschaftlichen Disziplinen unter- zahl an strukturellen Voraussetzungen erfüllt
schiedlich ausgelegt. Medizinisch-naturwissen- werden muss. Das dargestellte Baukastensys-
schaftlich handelt es sich um die „systematische tem soll für den unerfahrenen Coach als Hilfe
Wiederholung überschwelliger Muskelanspan- dienen, um keine dieser Qualitätsmerkmale im
nungen mit morphologischen und funktionel- Planungsprozess zu übersehen (. Abb. 2.2).
len Anpassungserscheinungen zum Zwecke der Im Zentrum steht hierbei die Definition
Leistungssteigerung“ (Hollmann und Hettinger eines angemessenen Trainingsziels. Dieses
1976). Hohmann et al. (2002) favorisieren eine sollte in Abhängigkeit von grundsätzlichen
umfassendere Sichtweise, die auch technisch-ko- systematischen Überlegungen (z. B. eines leis-
ordinative, kognitiv-affektive, taktische und cha- tungsdiagnostisch festgestellten Defizits in
rakterliche Merkmale einschließt. Im sozialen einer wichtigen Leistungskomponente) sowie
Kontext ist Training normalerweise eingebunden basierend auf einem zeitlich überdauernden
in eine enge Trainer-Athlet-Beziehung, sodass Gesamtkonzept (z. B. Passung zur Periodisie-
dem Trainerhandeln im Rahmen des Coachings rung im Jahresplan) definiert werden. Hierbei
über die Organisation des Trainings hinausge- darf der Trainer jedoch keinesfalls auf einer
hend eine komplexere, auch stark pädagogische starren Zielerfüllung beharren, sondern sollte
Aufgabe zukommt (Borggrefe et al. 2006). stets zusätzliche aktuelle und individuelle Be-
findlichkeiten des Athleten bei der Festlegung
Training
bzw. Nuancierung des Trainingsziels berück-
Training ist die Realisierung von Maßnah- sichtigen.
men (Trainingsinhalte und -methoden) im Erst jetzt gilt es, eine angemessene Auswahl
Kontext von Sport und Bewegung zur der Trainingsinhalte vorzunehmen. Hierunter
kurz-, mittel- und langfristigen Erreichung versteht man im einfachsten Fall die konkreten
definierter Trainingsziele. Diese Maßnah- Übungs- oder Trainingsformen, die zur „Ver-
men sollten im Leistungssport stets abreichung“ verwendeten allgemeinen Trai-
systematisch und planmäßig erfolgen ningsmethoden (z. B. Wiederholungsmethode)
(modifiziert nach Hohmann et al. 2002). sowie die Auflistung der notwendigen Trai-
ningsmittel zur konkreten Umsetzung in der
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
25 2
.. Abb. 2.2 Baukasten mit den Determi-
nanten einer hohen Trainingsqualität
ck ng ler lic ri
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Definition
Baukasten Trainings- Trainingsqualität
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er e n
Be F
Praxis (z. B. materielle Hilfsmittel wie Stoppuhr 2.1.1 Trainingsziele
oder Pylonen). Schließlich sollte der Festlegung
der Belastungsnormative (z. B. Belastungsin- Training muss stets zielgerichtet sein, wobei
tensität, Belastungsdauer und Erholungsdauer) die Trainingsziele im Vorfeld definiert sein
unter Berücksichtigung des Trainingsziels ein sollten. Anderenfalls erscheint es unmöglich,
besonderes Augenmerk gewidmet werden eine angemessene Auswahl von Trainingsin-
(. Abb. 2.2). Selbstverständlich sind neben den halten und Trainingsmethoden und die für de-
genannten strukturellen Komponenten einer ren Verabreichung erforderlichen Belastungs-
hohen Trainingsqualität stets auch personen- normative zu treffen. Die Beurteilung eines
bezogene kommunikative und affektive As- Trainings durch außenstehende Experten
pekte bei der erfolgreichen Realisierung in der (z. B. bei Lehrproben im Rahmen der Trainer-
Trainingspraxis erforderlich (u. a. Spilker 1975; ausbildung) kann nur valide erfolgen, wenn
Hotz 1990; Borggrefe et al. 2006). die zugrundeliegenden Trainingsziele bekannt
Wiederholungssprints zwischen Strafraumgrenze und das Trainingsziel wird verfehlt. Ist die Erho-
und Mittellinie sind grundsätzlich geeignete lungspause zwischen den Sprints zu gering und die
Trainingsinhalte zur Verbesserung der Laufschnel- Belastungsdichte demnach zu hoch, um die
ligkeit. In der Praxis steht der Kader auf der Linie energiereichen Phosphate in ausreichendem Maße
verteilt, Trainer und Co-Trainer befinden sich an zu regenerieren, wird das Trainingsziel sogar für den
einer Seite. Für die Spieler im Sichtfeld des Trainers gesamten Kader verfehlt bzw. ein anderes
wird die zur Schnelligkeitsverbesserung erforder- Trainingsziel angesteuert. Das Beispiel belegt die
liche maximale Reizsetzung und somit das Relativität bei der Beurteilung der Trainingsqualität
definierte Trainingsziel aus Motivationsgründen eines identischen Trainingsinhalts vom jeweils
erreicht. Bei Spielern mit zunehmender Distanz zum definierten Trainingsziel.
Sichtfeld des Trainers sinkt jedoch die Intensität,
26 A. Ferrauti und H. Remmert
6
extensive
Intervallbelastung
4
intensive
Dauerbelastung
2
extensive
Dauerbelastung
0 1 2 4
Zeit (h)
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
29 2
Maßnahmen zur Unterstützung des Trainings- Belastungsnormative
prozesses bezeichnet (Weineck 2000). Hotten- Belastungsnormative sind Steuerungsele-
rott und Seidel (2017) zählen hierzu auch die mente der quantitativen und qualitativen
für alle trainingsbegleitenden sportmedizini- Belastung im Training. Sie entscheiden
schen oder physiotherapeutischen Maßnahmen maßgeblich über die akuten motorischen,
erforderlichen Materialien (z. B. zur Verabrei- physiologischen und neuromuskulären Re-
chung von Massage, Kälte oder Hypoxie). aktionen und die daraus resultierenden
mittel- und langfristigen Adaptationen
durch Training und müssen somit sorgfäl-
2.2 Bedeutung der tig in Abhängigkeit des definierten Trai-
Belastungsnormative ningsziels für jeden Trainingsinhalt festge-
legt werden. Im Allgemeinen
Die Festlegung des angestrebten Trainingsziels unterscheidet man:
und die Auswahl der Trainingsinhalte (Trai- Belastungsintensität - (Synonyme: Reizintensi-
ningsmethoden und -mittel) garantieren al- tät, Reizhöhe, Reizstärke): Stärke des Einzelreizes
leine noch nicht eine treffsichere Realisierung (z. B. % HFmax beim Ausdauertraining oder
des Trainingsziels. Die Vielzahl an Freiheits- % 1 RM beim Krafttraining).
graden bei der praktischen Umsetzung von Belastungsdauer (Reizdauer) - Dauer des Ein-
Trainingsübungen birgt im Leistungssport die zelreizes (z. B. Sekunden oder Minuten beim
Ausdauertraining oder Anspannungsdauer
stetige Gefahr einer Über- oder Unterforde-
(Time under Tension) bzw. Wiederholungen in-
rung des Athleten bzw. sogar einer für das Trai- nerhalb eines Satzes beim Krafttraining).
ningsziel vollkommen ungeeigneten Belastung. Erholungsdauer - Pause zwischen zwei Wie-
Die im Folgenden dargestellten Belastungsnor- derholungen innerhalb einer Serie beim Inter-
mative (Synonyme: Belastungskomponenten, valltraining, die Pause zwischen zwei Serien
-merkmale oder -faktoren) sind überaus wich- bzw. Sätzen (Serien- bzw. Satzpause) oder die
tige Steuerungselemente für die quantitative Pause zwischen zwei Trainingseinheiten. Als
„lohnende Pause“ wird oft die Zeitphase der
und qualitative Belastung im Training. rasch erfolgenden Erholung unmittelbar nach
Belastungsende bezeichnet.
Belastungsdichte (Reizdichte) - zeitliches
2.2.1 Belastungsintensität Verhältnis von Belastung zu Erholung
(Reizintensität, Reizhöhe, (z. B. Verhältnisdarstellungen wie 1:2 oder pro-
Reizstärke) zentuale Anteile wie 33 % Belastung und 67 %
Erholung).
a b
.. Abb. 2.4 Erholungspause zwischen zwei Wiederholungen (links) bzw. nach Trainingsende (rechts) beim
High-Intensity-Interval-Training (https://doi.org/10.1007/000-04e)
Belastungs-Pausen- Belastungszeit/
Protokoll Intervallmuster
Verhältnis Trainingsumfang
14 * 7,50
* *
12
7,40
Blutlaktat (mmol/l)
10
Blut- pH
8 7,30
6 7,20
4
7,10
2
0 7,00
1 2 3 4 5 1 2 3 4 5
HIT-Protokoll HIT-Protokoll
1200
1000 Protokoll 1
Post30min
(4 × 4 min)
Pre10min
Kreatinkinase (U/l)
Post24h
800 Protokoll 2
(7 × 2 min)
600 Protokoll 3
(2 × 10 × 30 s)
400 Protokoll 4
(3 × 9 × 15 s)
200
Protokoll 5
(4 × 6 × 5 s)
0
1 2 3 4 5
b HIT-Protokoll
0
4:4 6:6 7:7 7:7 11:11
(30 × 20) (40 × 35) (55 × 35) (70 × 50) (95 × 70)
75 m2/Kind 116 m2/Kind 137 m2/Kind 250 m2/Kind 302 m2/Kind
Im Tennis absolvierten zehn Spieler der setzen, wenn ein Spieler der Dreiergruppe über-
nationalen Rangliste an zwei Versuchstagen in raschenderweise krankheitsbedingt fehlt.
randomisierter Reihenfolge (Cross-Over) zwei
Varianten einer typischen Trainingsform (Pas- !!Achtung!
sierball-Sprint), die sich scheinbar nur marginal Es handelt sich bei dem geschilderten
durch eine Veränderung der Erholungsdauer Beispiel nicht um eine „bessere“ oder
um 5 s (10 versus 15 s) zwischen den Einzel- „schlechtere“ Variante der Trainingsform.
sprints unterschieden (. Abb. 2.8). Den Spie- Beide Formen haben je nach Trainingsziel
lern wurden die Bälle mittels einer Ballwurfma- ihre Rechtfertigung. Besteht jedoch das
schine individuell so zugespielt, dass diese den Trainingsziel in einer maximal schnellen
Ball nur nach einem maximalen Sprint errei- Sprint-/Schlag-Kombination, dann ist
chen konnten (Ferrauti et al. 2001a). eindeutig die längere Erholungsdauer zu
Die geringfügige Verlängerung der Erho- favorisieren. Ursächlich wirkt hier die
lungspause (vergleichbar mit einem Training bereits oben beschriebene Halbwertszeit
in der Zweier- oder Dreiergruppe bzw. einer zur Wiederherstellung von Kreatinphos-
Veränderung des Belastungs-/Pausenverhält- phat (KP) in der Erholungspause (Ferrauti
nisses von 1:1 auf 1:2) bewirkte eine Stabili- et al. 2001a), die offensichtlich bei der
sierung der Blutlaktatkonzentration, bessere kürzeren Pause (10 s) unterschritten wird.
Sprintzeiten zu Ball (Lichtschranke t3) sowie
eine dauerhaft erhöhte Schlagschnelligkeit
beim Passierschlag (. Abb. 2.8). 2.3 Trainingsprinzipien und
Dieses einfache Beispiel verdeutlicht erneut, Trainingswirksamkeit
dass die Belastungsnormative mit Bedacht ausge-
wählt werden müssen, um das jeweils definierte Trainingsprinzipien sind allgemeine Hand-
Trainingsziel sinnvoll anzusteuern. Keinesfalls lungsorientierungen für Trainer und Ath-
darf der Coach sein Training unreflektiert fort- leten, die unter anderem eine ausreichende
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
37 2
130
Schlagschnelligkeit (km/h)
BM
120
110
100
1,50
1,45
Laufzeit (s)
1,40
1,35
12
10
Laktat (mmol/l)
8
6
4
2
10 s Pause 15 s Pause
0
5 10 15 20 25 30
Sprints
t1 t2 t3
.. Abb. 2.8 Metabolische Beanspruchung der Auswirkungen auf die Laufzeiten bis Lichtschranke t3
Trainingsform „Passierball-Sprint“ im Tennis mit 30 und die Schlagschnelligkeit (Radarmessung aus der
Sprint-Schlag-Kombinationen entlang der Grundlinie Vorhandecke). Zuspiel mittels Ballwurfmaschine (BM;
und einer Erholungsdauer von 10 s (Training in mod. nach Ferrauti et al. 2001a)
Zweiergruppe) oder 15 s (Dreiergruppe) sowie die
Duration (min) net/gross 60/> 180 50–60/90 40/80–90 60/120–150 –/60–200 –/20–120
Running Distance (km) 1–5 8–14 4–5 4–5 (6) 0,6–2,5 1–3
Work Profile 20 Sprints, 20 min Jog, Walk 24 % Glide 15–20 % 50 % < 4 s 50 % < 10 s
50 Runs, 10 min Run, Run 62 % Run 60–65 % 35 % 5–10s 20 % > 20 s
70 Plays 5 min Press, Sprint 14 % Sprint 15–20 % 15 % >10 s 8 % > 30 s
5 min + Ball 46 max Jumps
Sprint Profile 20 Sprints 150 Sprints 100 Sprints 30–50 Sprints 50–150 Sprints
30–60 m 60 % < 5 m (mean 1,7 s, (Dur 2–3 s) 3–6 m 1–2 m
35 % 5–20 m max 5 s) 65 % < 5 m (max 8 m)
5 % > 20 m 30 % 5 –15 m
(max 60 m) 5 % > 15 m
Special Activities (n) 10–80 1500 Activities 1000 Activities 50–70 s 300–800 1700 Strokes
Blocks incl. incl. Owning of the Strokes 12–13/Rally
20 Slidings, 100 max & Puck incl. 2–5/Rally
10–40 Jumps, submax Jumps, 44 Contacts,
10–30 Shots, 32 Dribblings, 21 Passes,
80 Passes, 4 Shots
634 m Def Slides
.. Abb. 2.9 Vergleichende Darstellung der Belastungs- und Beanspruchungsprofile im Wettkampf unterschied-
licher Mannschafts- und Rückschlagspiele, zusammengetragen aus verschiedenen Originalpublikationen (mod.
nach Ferrauti und Remmert 2003)
und langfristig gestufter Leistungsaufbau gefor- ten von einem grundständigen Kader zu einem
dert (Ferrauti 2008; Remmert 2008). Einigkeit übergeordneten Kader bis hin zur nationalen
besteht jedoch auch darüber, dass im Verlauf und internationalen Spitze und somit indirekt
der langfristigen Leistungsentwicklung früher die Bedeutung einer frühen Spezialisierung. In
oder später eine zunehmende Spezialisierung diesem Zusammenhang berechnen Güllich und
erfolgen sollte und der hierfür erforderliche Emmrich (2012) abfallende Stabilitätskoeffizi-
Zeitpunkt keinesfalls überschritten werden darf. enten, wenn es um die Übergangswahrschein-
Ansätze in der Talentforschung (7 Kap. 10) lichkeit über viele Jahre hinweggeht. Der Erfolg
beinhalten nicht nur die retrospektive Exper- im Kindersport kann somit nur bedingt den Er-
tiseforschung (z. B. basierend auf der rückbli- folg im Spitzensport erklären, was indirekt für
ckenden Analyse des Karriereverlaufs erfolg- eine spätere Spezialisierung spricht. Gleichzeitig
reicher internationaler Athleten im Hinblick werden eine Reihe von Fallbeispielen von inter-
auf Einstiegsalter, Trainingsumfang, Zeitpunkt nationalen Stars wie Usain Bolt (Leichtathletik)
der Spezialisierung), sondern auch Studien zur und Andy Murray (Tennis) benannt, die noch
prospektiven Prognosegenauigkeit. Letztere bis zum 15. Lebensjahr Fußball auf hohem Leis-
überprüfen die Übergangswahrscheinlichkei- tungsniveau gespielt haben.
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
41 2
Konsens besteht jedoch auch darüber, dass
die Kernsportart bereits frühzeitig, kontinu-
ierlich ansteigend mit hohem Umfang, aber
auch freudvoll (Deliberate Play) und plan-
mäßig (Deliberate Practice) betrieben werden
sollte. Güllich und Emmrich (2012) empfeh-
len zusätzlich mindestens eine weitere Akti-
vität (Sportart), die ebenfalls möglichst ziel-
orientiert bis zum 14. Lebensjahr betrieben
werden sollte (Diversification). Zumindest
unterscheiden sich in den zugrundeliegenden
Analysen Weltklasseathleten von Sportlern der
nationalen Klasse in genau diesem Merkmal.
Der sportartspezifische Aspekt und die An-
forderungen des sozialen Umfelds (z. B. Schule
mit G8) kommen bei dieser Idealzeichnung
leider etwas zu kurz. So muss der Zeitpunkt
der Spezialisierung in den technisch-komposi-
torischen Sportarten und in jenen mit hohem
koordinativen Anspruch (z. B. Tischtennis)
sicherlich deutlich früher als mit 15 Jahren
liegen. Demgegenüber erscheint eine spätere
Spezialisierung bei Sportarten mit hoher Ab-
hängigkeit von anthropometrischen Merkma-
len (z. B. Basketball) eher plausibel (Stadtmann
2013; Ferrauti et al. 2015, . Abb. 2.10). .. Abb. 2.10 Im Rahmen eines langjährigen Projekts
mit dem Deutschen Basketball Bund (gefördert durch
das Bundesinstitut für Sportwissenschaft) wurden
Leitlinien und Empfehlungen zur Talentselektion und
2.3.4 Systematische Nachwuchsförderung aus soziologischer, trainingswis-
Trainingssteuerung senschaftlicher und sportpsychologischer Sicht
formuliert (Stadtmann 2013)
Für die Trainingssteuerung sind die Daten der
Leistungsdiagnostik (Trainings- und Wett-
kampfdiagnostik) zu nutzen und planbezogen glichen (. Abb. 3.1). Negative Abweichungen
zu werten (Hottenrott und Seidel 2017). Diesem (Ist-/Sollwert-Differenzen) sind im Rahmen der
zentralen Trainingsprinzip widmet sich 7 Kap. 3 darauf aufbauenden Trainingsplanung so lange
dieses Buches. Ein wesentlicher Ansatz für die durch eine Neujustierung der Trainingsinhalte
Umsetzung dieses Prinzips wurde erstmals von zu berücksichtigen, bis sich der definierte Soll-
Grosser et al. (1987) und von Grosser und Neu- wert einstellt. Ähnlich der Arbeitsweise eines
maier (1988) beschrieben. Dabei bedienten sich Thermostats unter Nutzung eines Messfühlers
die Autoren Begriffen und Vorstellungen aus (Thermometer) für die Regelung der Raum-
der Steuerungs- und Regelungstechnik (Ky- temperatur auf einen voreingestellten Sollwert
bernetik) und übertrugen diese systematische fungiert die Leistungsdiagnostik als Messfühler
Vorgehensweise auf den Trainingsprozess. für den Ist-Zustand der sportlichen Leistungs-
Demnach wird die aktuelle Leistungsfähigkeit fähigkeit. Somit ist sie ein wichtiger Bestandteil
(Istwert) durch Kontrollverfahren (Leistungs- in einem sich ständig wiederholenden Dreier-
diagnostik) in regelmäßigen Abständen erfasst schritt von Diagnose, Analyse und Ansteuerung
und mit definierten Zielgrößen(Sollwert) ver- (Grosser und Neumaier 1988).
42 A. Ferrauti und H. Remmert
100
Übergangsperiode
Wettkampfperiode 98
2 Vorbereitungsperiode 96
Saisonhöhepunkt (%)
100
98
96
100
98
96
.. Abb. 2.13 Trainingsperioden im Jahresverlauf dargestellt in der klassischen ein- bis dreigipfligen Form (aus
Hottenrott und Hoos 2013, S. 194)
Energievorrat (Muskelglykogen)
3
Belastungsreiz
Zeit
1 2
.. Abb. 2.14 Das Modell der Superkompensation (1 = Beispiel für das Prinzip der optimalen Relation von
Glykogenentleerung durch Trainingsbelastung, 2 = Belastung und Erholung (aus Hottenrott und Hoos 2013,
Glykogensynthese, 3 = Glykogensuperkompensation) als S. 444)
Zehnkampf oder auch den Triathlon. Hier ist erneuter Reduktion der Belastungsdauer in
eine adäquate Verteilung der völlig unterschied- Richtung des avisierten Wettkampftempos zu-
lichen koordinativen und metabolischen Anfor- nehmen.
2 derungen aus rein pragmatischen Gründen im Das Prinzip der ansteigenden Belastung sollte
Verlauf des Mikrozyklus bzw. am Trainingstag auch in der Wettkampfplanung berücksichtigt
unumgänglich. Ähnliches gilt für Sportarten mit werden, indem Vorbereitungswettkämpfe stets
komplexem Anforderungsprofil wie die Sport- bedeutsamen Saisonhöhepunkten vorgeschaltet
spiele, bei denen ein isoliertes „Blocktraining“ in werden. Die besonderen psychophysischen An-
Reinform über längere Zeiträume zu einer un- forderungen von bedeutsamen Wettkämpfen
angemessenen Vernachlässigung anderer wich- können erfahrungsgemäß nur unter realen Tur-
tiger Leistungskomponenten führen würde. nierbedingungen valide vorbereitet werden. Bei-
Schließlich erfährt das Prinzip auch im Frei- spielsweise stiegen die Adrenalinausscheidungen
zeit- und Fitnesssport seine Bedeutung, wenn es im Urin bei vergleichenden Untersuchungen
darum geht, in aufeinanderfolgenden bzw. auch unter realen Turnierbedingungen im Tennis
innerhalb von Trainingseinheiten verschiedene (bei identischem Gegner und gleicher Wett-
Muskelgruppen anzusprechen und durch diese spieldauer) um den Faktor 3,5 an (Ferrauti et al.
Sequenzierung das Training und die Ermüdung 2001b). Dies besitzt speziell bei koordinativ hoch
einer Muskelgruppe und die Erholungsvorgänge anspruchsvollen Sportarten einen erheblichen
einer anderen Muskelgruppe parallel ablaufen zu und vielfach störenden Einfluss auf die Technik-
lassen. In der Summe ermöglicht eine geschickte qualität und sollte durch die Teilnahme an Vor-
Umsetzung des Prinzips eine ökonomischere bereitungswettkämpfen geringerer Bedeutung
Trainingsgestaltung, da durch die abwechselnde entsprechend vorbereitet werden. Nebenbei zeigt
Belastung verschiedener Teilsysteme gleichzeitig sich hier eine deutlich veränderte metabolische
mehrere Leistungsfaktoren verbessert werden Reaktion (der Stress verursacht eine intensivierte
können (Hottenrott und Seidel 2017). Glykogenolyse und führt zu höheren Blutgluko-
Auch innerhalb einer Trainingsform sekonzentrationen; . Abb. 2.16).
kann eine Variation der qualitativen Ausfüh-
rung (z. B. Betonung des Dehnungs-Verkür-
zungs-Zyklus oder der exzentrischen Phase bei 2.3.9 Belastungsfolge innerhalb
gleicher Kraftübung) aus koordinativer, meta- der Trainingseinheit
bolischer und neuromuskulärer Sicht angemes-
sen sein, um bei Einstellung eines Leistungs- Die Trainingseinheit bildet die kleinste funkti-
plateaus eine erneute Störung der Homöostase onelle Planungseinheit. Die Hauptphase einer
und folglich eine höhere bzw. veränderte Trai- Trainingseinheit wird üblicherweise von einer
ningswirksamkeit zu erzielen (7 Kap. 2). Aufwärm- bzw. Warm-up-Phase sowie einer
Im Verlauf einer längeren Trainingsphase Abwärm- bzw. Cool-down-Phase eingerahmt
(z. B. während eines Mesozyklus) gilt es, die (Hottenrott und Hoos 2013). Hinsichtlich
Belastung zu steigern, wenn ansonsten keine der Aufwärmphase existieren Angaben zur
Adaptationen mehr erreicht werden. Dies kann empfohlenen Dauer (10–30 min), Intensität
beispielsweise während der Vorbereitung auf (<2 mmol/l Blutlaktat, also überwiegend ae-
einen Halbmarathon zunächst durch einen rob) und den Inhalten (zentralnervöse, neuro-
Anstieg der Belastungshäufigkeit pro Woche muskuläre, kardiozirkulatorische, energetische
und anschließend durch eine Steigerung der und mentale Vorbereitung) mit dem Ziel einer
Belastungsdauer, somit durch eine Zunahme Funktionssteigerung bei gleichzeitiger Verlet-
des Belastungsumfangs, erfolgen. Schließlich zungsprophylaxe (Hottenrott und Hoos 2013).
sollte die Belastungsintensität bei gleichzeitig Lange kontrovers diskutiert wurde die Bedeu-
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
47 2
7 gestatten keine vorausgehende Ermüdung und
Adrenalin (μg/100 mg Kreatinin)
PI3K Integrine
Energie
Ca2+
AMP:ATP FAK
PDK1
CamK Akt
P TSC2
PGC-1 AMPK
mTOR
Tfam FoxO
P eEF2K
COX I COX I
bolische Störung im Vordergrund. Auch die mittelbar vor Krafttraining kann demnach
Art der Adaptation unterscheidet sich zwischen dazu führen, dass die anabole Antwort aus-
Krafttraining (Vermehrung myofibrillärer Pro- bleibt. Bei Kraft- vor Ausdauertraining besteht
teine) und Ausdauertraining (Zunahme von die Gefahr eines Proteinkatabolismus. Es wird
Kapillarisierung und Mitochondriengehalt). deswegen von Hoppeler et al. (2011) empfoh-
Die für die Auslösung der Anpassungsprozesse len, Kraft- und Ausdauertraining in Reinform
verantwortliche intrazelluläre Signalkaskade zu separieren (Blocktraining). Allerdings sind
weicht ebenfalls zwischen Krafttraining (der weitere Trainingsstudien und Metaanalysen
IGF-1-Rezeptor aktiviert mTOR als Schlüssel- erforderlich, um die beschriebenen theoreti-
protein für die myofibrilläre Proteinsynthese) schen Zusammenhänge auf ihre Relevanz unter
und Ausdauertraining (die metabolische An- den typischen Bedingungen der Sportpraxis zu
häufung von Adenosinmonophosphat aktiviert überprüfen (z. B. Wilson et al. 2012).
die AMP-Kinase, welche den Schlüsseleffektor Für den Schnellkraftsportler oder in den
aller aerob wirksamen Signalwege PGC-1α ak- Sportspielen gilt, dass ein HIIT (z. B. auch
tiviert) voneinander ab. Für die Trainingspra- intensive Spielformen) aufgrund der hohen
xis ist in dem Zusammenhang problematisch, Energieflussrate (AMPK-Aktivierung) un-
dass sich beide Systeme gegenseitig negativ be- mittelbar vor einem Hypertrophietraining
einflussen können. So wird die Aktivität von kontraindiziert ist. Es sei denn, es wird auf
mTOR bei hohem Energieumsatz im Rahmen zwei TE (z. B. morgens und nachmittags) mit
eines Ausdauertrainings mit entsprechender zwischengeschalteter ausreichender Pause und
Aktivierung des AMPK-Systems nach unten Energiezufuhr verteilt. Ein Ausdauertraining
reguliert (. Abb. 2.17). Ausdauertraining un- geringerer Intensität scheint hingegen ohne
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
49 2
nennenswerte Interaktionskonflikte zu sein. Leistungsfähigkeit (Funktionskapazität) und
Ein ausdauerorientierter Kraftzirkel wird ver- der aktuellen bzw. langfristig möglichen Ad-
mutlich eher die Ausdauer- und weniger die aptationsreserve (Martin et al. 1991). Steigt die
Kraftkomponente fördern. Bei der Kombina- aktuelle Funktionskapazität an, verringert sich
tion eines eher plyometrisch ausgerichteten sowohl die theoretisch mögliche individuelle
neuromuskulär wirkenden Krafttrainings mit aktuelle Reserve als auch die insgesamt lang-
dem Ausdauertraining (z. B. beim Ausdauer- fristig verbleibende Adaptationsreserve. Bei
sportler) geht es weniger um die Gefahr mo- Freizeitsportlern liegt die untere Reizschwelle
lekularer Interaktionskonflikte, sondern um demnach absolut und relativ gesehen deutlich
die Aufrechterhaltung der primär relevanten niedriger als im Hochleistungssport, gleich-
Trainingsqualität (z. B. Lauftechnik). In diesen zeitig ist die Adaptationsreserve am größten.
Fällen sollte das in der Bedeutungshierarchie Im Hochleistungssport (physiologisch bedingt
wichtigere Training zeitlich vorausgehen. aber auch im Alter, Fell und Williams 2008)
sinkt sie wiederum erheblich ab (. Abb. 2.18).
Für die Trainingspraxis bedeutet dies, dass der
2.3.10 Trainingswirksamer Reiz Feinabstimmung der Trainingsreize zur Aus-
lösung von Adaptationen im Freizeitsport eine
Das Prinzip basiert historisch auf den Be- geringere Bedeutung zukommt als im Leis-
schreibungen von Wilhelm Roux (1895), nach tungssport.
denen Lebewesen auf bestimmte Funktions-
oder Milieuänderungen mit spezifischen An- maximale Funktionskapazität
passungsvorgängen reagieren. Diese Plastizität
bildet eine wesentliche Voraussetzung für das rve
Überleben unter veränderten Umweltbedin- srese
ion
tat
Funktionskapazität
Wir untersuchten 15 männliche Golfer im Durch- (z. B. während der Anstiege an den Löchern 1, 3, 5,
schnittsalter von 60 Jahren und einem mittleren 12, 15 und 18) mit dem individuellen Belastungs-
2 Handicap von 20 beim Spiel im Dreier-Flight. Die umfang pro Woche im Sommer und Winter, dann
mittlere Gehgeschwindigkeit betrug auf einer ergibt sich folgendes Bild:
18-Loch-Runde 1,7 m/s bei einer Sauerstoffauf- Nur beim leistungsschwächsten Drittel der Pro-
nahme von 910 ml/min/kg, entsprechend 40 % banden (Probanden 1–5) mit teilweise bedrohlich
der ⩒O2max, einem metabolischen Äquivalent geringer Leistungsfähigkeit (Proband 1: erreicht
(Multiplikationsfaktor des Ruheumsatzes) von 2,7 einen PWC130 von unter 1 Watt/kg Körpergewicht)
und einer Herzfrequenz von knapp über 100 ist beim Golfspiel im Dreier-Flight speziell während
Schlägen/min (Ferrauti et al. 1997). Definiert der Sommermonate mit kardiorespiratorischen
man für diesen Adressatenkreis die untere Anpassungen (ggf. aber auch Risiken) zu rechnen.
Schwelle für kardiorespiratorische positive Adap- Bei durchschnittlich bzw. gut trainierten 60-Jähri-
tationen bei 50 % der maximalen Herzfrequenz gen wird die trainingswirksame Reizschwelle nur
über mindestens 60 min/Woche und multipliziert während eines geringen Anteils der Spielzeit
die individuell trainingswirksamen Spielphasen überschritten (. Abb. 2.19 und 2.20).
15 0 %
Sommer
14 1 %
Winter
13 2%
12 2%
11 2%
10 5%
Probanden
9 6%
8 3%
7 6%
6 13 %
5 17 %
4 15 %
3 20 %
2 53 %
1 68 %
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450
(min/Woche)
.. Abb. 2.19 Akkumulierter absoluter (min/ Herzfrequenz (HFmax) beim Golfspiel von 60-jähri-
Woche) und relativer (%) Anteil an trainingswirk- gen Männern im Dreier-Flight entsprechend der
samen Phasen oberhalb von 50 % der maximalen üblichen Belastungsumfänge (Ferrauti et al. 1997)
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
51 2
200
PB 1
180 (72 Jahre, PWC130 = 0,93 Watt/kg)
160
140
HF (min–1)
120
100
80
60
40
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
20
01:00:00 02:00:00 03:00:00 04:00:00
.. Abb. 2.20 Fallbeispiel eines 72-jährigen Leistungsfähigkeit (Physical Working Capacity bei
untrainierten Seniorengolfers zum Herzfrequenz- Puls 130, kurz: PWC130) betrug unter 1 Watt/kg
verhalten während des Golfspiels im Dreier-Flight. Körpergewicht. Die roten Pfeile symbolisieren vom
Die mittels Fahrradergometrie bestimmte Geländeprofil ansteigende Golfbahnen
Der Übergang von Ruhe zu Belastung löst eine Potentiation (PAP) beschreibt eine kurzfristige Stei-
Vielzahl an endokrinologischen (Hormone des gerung der Schnellkraft durch vorausgegangene
2 sympathischen Nervensystems), kardiorespiratori- (nichtermüdende) intensive Kontraktionen der Ar-
schen (z. B. Steigerung des Herzminutenvolumens), beitsmuskulatur (Robbins 2005). Die unmittelbare
perfusionsabhängigen (Blutfluss in der Arbeits- Steigerung des Bewegungsumfangs durch Kurzeit-
muskulatur) und metabolischen (u. a. Glykogeno- dehninterventionen wird unter anderem auf An-
lyse, . Abb. 2.21) Reaktionen aus. Neben dieser passungen im neuronalen Bereich (lokale Schmerz-
pauschal leistungssteigernden Aktivierung des Or- rezeptoren, spinale Schaltzentren oder die zentrale
ganismus existieren in der Trainingspraxis zusätz- Informationsverarbeitung vermitteln ein geringe-
liche Möglichkeiten, spezifische Leistungskompo- res Schmerzempfinden) zurückgeführt (Wiemann
nenten positiv zu beeinflussen. Die Post-Activation und Klee 2000).
Historisch wird das Phänomen der An- biosynthese zurückführen. Aus dieser Gesamt-
passung durch Training auf das Homöostase- übersicht sehr unterschiedlicher theoretischer
Prinzip und die frühen Arbeiten des Biologen Zugänge zur Anpassung durch Training werden
Roux zurückgeführt. In der deutschen Trainings- im Folgenden ausgewählte Aspekte vertieft.
wissenschaft wurde dieser Ansatz in ein komple-
xer ausgerichtetes Belastungs-Beanspruchungs-
Konzept unter Einbezug koordinativ-technischer 2.4.1 Das Homöostase-Prinzip
und taktisch- psychologischer Komponenten und die Reizstufenregel
von Training und Anpassung überführt (Hoh-
mann et al. 2002 bezugnehmend auf Schnabel Zur Erklärung des grundsätzlichen Prinzips
et al. 1994), dem synergetische und komplexere der Anpassung durch sportliches Training wird
Betrachtungsweisen von Trainingsanpassungen zumeist auf das Homöostase-Prinzip verwie-
folgten (Hohmann et al. 2002). Im internationa- sen. Dieses bezeichnet den Versuch der Auf-
len Umfeld entwickelte sich federführend durch rechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes
Eric Banister (1982) eine antagonistische Sicht- (Fließgleichgewicht) innerhalb eines offenen
weise auf Anpassungsprozesse, nach der eine dynamischen Systems wie dem menschlichen
positive leistungsfördernde Anpassungskompo- Organismus. Dort werden zahlreiche Gleich-
nente durch Training (Fitness) stets mit einer er- gewichtszustände (z. B. der Säure-Basen-Haus-
müdenden leistungsmindernden Komponente halt, der Blutzuckerspiegel oder der Blutdruck)
(Fatigue) verrechnet werden muss und erst die durch Regelkreise auf voreingestellte Soll-Zu-
Differenz dieser Funktionsgleichung über die stände reguliert. Zeitweilige Auslenkungen des
Zeit darüber entscheidet, ob aktuell eine noch Fließgleichgewichts (Heterostase) und der damit
negative oder schon positive Adaptation vorliegt einhergehende Verlust an Funktionalität werden
(. Abb. 2.22). Auf struktureller Ebene lassen sensorisch registriert und über Kompensations-
sich die meisten Anpassungsprozesse auf bio- mechanismen so lange reguliert, bis sich die Ho-
chemische Veränderungen und auf die Protein- möostase erneut einstellt.
Bereits vor Beginn einer Belastung wird im Vor- kelzelle aus dem Blut. Dies resultiert in einem passa-
start-Zustand durch Aktivierung des sympathischen geren Abfall der Glukosekonzentration unter den
Nervensystems mit Adrenalinausschüttung die Blut- physiologischen Sollwert, der allerdings nach ca.
glukosekonzentration durch Spaltung des Lebergly- 30 min Belastungsdauer erneut durch eine intensi-
kogens (Glykogenolyse) erhöht. Die Steigerung des vierte Glykogenolyse als Folge einer verstärkten Ad-
Energieumsatzes zu Beginn der Belastung verur- renalinausschüttung kompensiert wird
sacht einen vermehrten Glukose-Uptake der Mus- (. Abb. 2.21).
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
53 2
120
100 *
Blutglukose (mg/dl)
92,8
80 84,2 84,8 87,3
79,3
74,3 75,7
60
40 Ruhe Training
–30 –25 –20 –15 –10 –5 0 5 10 15 20 25 30
(min)
Der deutsche Entwicklungsbiologe Wil- betrachtet, sondern immer als das Resultat
helm Roux (1850–1924) stellte als einer der aus zwei sich grundsätzlich gegenüberste-
ersten experimentell arbeitenden Biologen henden (antagonistischen) und zeitgleich
fest, dass der tierische und menschliche Or- bzw. zeitlich überlappend ablaufenden Trai-
ganismus nicht nur in der Lage ist, kurzfristigningswirkungen. Einerseits bewirkt die Trai-
auf Belastungen so zu reagieren, dass beim ningsbelastung eine Ermüdung (Fatigue),
Verlassen von Gleichgewichtszuständen der andererseits stellen sich bereits frühzeitig
Status quo wiederhergestellt wird, sondern potenziell leistungssteigernde Adaptationen
zudem je nach Ausmaß der Reizsetzung mit ein (Fitness). Der besondere Charme die-
nachhaltigen funktionellen und strukturellen ses Modells besteht darin, dass sich bei der
Veränderungen reagieren kann (seine damali- Quantifizierung beider Effekte im Zeitver-
gen Untersuchungen widmeten sich unter an- lauf mittels einer Funktionsgleichung der
derem der Kapillarisierung im Bereich der Le- Moment modellieren lässt, in dem die Er-
ber). Dabei sind die erzielbaren Anpassungen müdung soweit abgeklungen ist, dass sich die
sowohl qualitativ als auch quantitativ abhängighinzugewonnene Fitness in Training oder
von der Reizsetzung. Auf Roux geht daher die Wettkampf auch tatsächlich in einen nen-
bereits erwähnte Reizstufenregel zurück, nach nenswerten Nettozugewinn an Leistungsfä-
der zwischen unterschwelligen, schwach bzw. higkeit überführen lässt (. Abb. 2.22). Dies
stark überschwelligen und zu starken Reizen wird in der dargestellten Abbildung nach
unterschieden wird. einer intensiven Trainingsphase mit aufge-
stockter Ermüdung und (potenziell) ange-
stiegener Fitness erst durch den Einbau einer
2.4.2 Antagonistische Modelle sogenannten Taper-Phase erreicht (Zuspit-
der Anpassung durch zung oder Reduktion), in der nur noch we-
Training nige intensive Trainingsreize zum Erhalt der
Fitness gesetzt werden und die Ermüdung
Auf Banister et al. (1975) und Banister (1982) entsprechend kontinuierlich abklingen kann.
geht das antagonistische Fitness-Fatigue- Hieraus resultiert möglichst zeitgleich zum
Modell zurück (. Abb. 2.22). Hier wird die Wettkampfhöhepunkt die Topform-Phase,
Anpassungsreaktion nicht eindimensional die durch einen fast vollständigen Erho-
54 A. Ferrauti und H. Remmert
Ausbe-
lastungs- Taperphase Topformphase
phase
2 Ermüdung f(t)
Fitness und Ermüdung
Fitness p(t)
Topform
modellierte Leistung
a(t) = k1p(t) – k2(t)
Trainingsimpuls
1 2 3 4 5 6 7 10 15 20 22 25 30 t (d)
.. Abb. 2.22 Das antagonistische Fitness-Fatigue-Modell nach Banister et al. (1975) und Banister (1982)
lungszustand und eine hohe Nettofitness ge- wohl die Operationalisierung des vielfältigen
kennzeichnet ist (Mujica et al. 2004). Trainingsinputs als auch jene der komplexen
Das Modell bildet die Grundlage für ver- Spielleistung verständlicherweise schwerfal-
schiedene statistische Modellierungsver- len. Das Modell wird daher zunehmend wei-
suche, die auf der Basis empirisch erhobe- terentwickelt und mit Verzögerungs- (Delays)
ner Abhängigkeiten zwischen Trainingsreiz und Korrekturfaktoren versehen, sodass die
und -wirkung (Trainingswirkungsanalyse) den Zukunft der Trainingsanpassungen eines Ath-
individuellen Leistungsverlauf prognostizieren leten möglicherweise nur noch „programmge-
und den hierfür erforderlichen Trainingsin- steuert“ erfolgt. Dabei werden Trainingsinput
put definieren können. Maßgebliche Arbei- und die dadurch ausgelöste Beanspruchung
ten hierzu leistet im deutschsprachigen Raum nicht mehr aktiv (Trainingsdokumentation),
der Trainingswissenschaftler Mark Pfeiffer, der sondern beispielsweise mittels sensorisch aus-
den beschriebenen Ansatz durch das Perfor- gestatteter Kleidungsstücke (Wearables) auto-
mance-Potential-Modell (PerPot) weiterentwi- matisiert registriert (7 Kap. 3.5).
ckelt hat (Pfeiffer 2008).
Im positiven Sinne folgt dieses Modell kon-
sequenterweise den individuellen und täglich 2.4.3 Komplexe und
schwankenden Besonderheiten von Hochleis- synergetische Konzepte
tungssportlern (vgl. Prinzip der individuali- der Anpassung durch
sierten Belastung und Belastungssteuerung) Training
und versucht den individuellen Zusammen-
hang zwischen Training und Anpassung zu Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept ver-
ergründen. Problematisch erscheint jedoch sucht der Komplexität des Trainingsinputs
die Übertragbarkeit auf komplexer determi- zumindest theoretisch gerecht zu werden. Es
nierte Sportarten wie die Sportspiele, da so- unterscheidet zwischen den von außen auf den
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
55 2
Organismus einwirkenden Belastungen und
den daraus entstehenden Beanspruchungen,
wobei jeweils die Summe aller taktisch-psychi-
Spieleffizienz
schen, koordinativ- technischen, konditionel-
len und konstitutionellen Aspekte einbezogen
wird (in Hohmann et al. 2002, modifiziert nach
Schnabel et al. 1994). Im englischsprachigen
Umfeld wird für das Gesamtverständnis von
Technik/Taktik Kondition
Ermüdung und Adaptation dementsprechend
zwischen dem External Load (z. B. Belastungs-
umfang und -inhalte wie die zurückgelegte .. Abb. 2.23 Negative (passagere) Feedback-Effekte
Wegstrecke beim Ausdauertraining) und dem einseitiger Trainingsbelastungen untereinander sowie
auf die komplexe Wettspielleistung
Internal Load (z. B. Herzfrequenz- und Blut-
laktatverhalten, aber auch das Belastungsemp-
finden) unterschieden (Halson 2014). Diese
Differenzierung ist wichtig, denn die gleiche sie zu einer Steigerung der Spieleffizienz beitra-
Ausprägung einer externen Belastung kann gen können. Diese Zeit geht möglicherweise zu
interindividuell zu einer unterschiedlichen „in- Lasten des notwendigen Belastungsumfangs im
neren“ Beanspruchung führen. Hottenrott und Konditionstraining (oder umgekehrt), sodass
Hoos (2013) benennen in ihrem Modell der hier ebenfalls mit (vorübergehenden) Einbußen
Belastungs-Beanspruchungs-Interaktion (mo- gerechnet werden kann. Die komplexe Spielleis-
difiziert nach Hottenrott und Neumann 2010) tung bzw. Spieleffizienz kann somit stets nur als
die an dieser Stelle relevanten „Modulatoren“ integratives Gesamtkonstrukt mehrerer gleich-
(z. B. Alter, Geschlecht und Anthropometrie). zeitig ablaufender positiver und negativer Adap-
Anpassung durch Training geht in der tationen verstanden werden. Mit zunehmender
Sportpraxis vielfach über die rein biologische Mannschaftsgröße potenziert sich dieses kaum
Adaptation eines Funktions- oder Struktur- steuerbare Problem, da die im Idealfall positi-
elements hinaus (z. B. Hypertrophie des Bi- ven Adaptationseffekte jedes Einzelspielers zu-
zepsmuskels durch Arm-Curls). Insbeson- nächst in einen positiven Gesamteffekt übertra-
dere in komplex determinierten Sportarten gen werden müssen.
wie in den Sportspielen werden die Athleten Folglich bedarf es eigentlich einer syn-
oft gleichzeitig einer Vielzahl an unterschied- ergetischen Betrachtungsweise von Belastung,
lichen Belastungen (z. B. Technik, Taktik und Beanspruchung und Adaptation, wobei der
Kondition) ausgesetzt, sodass auch die Be- Trainingsprozess als ein komplexes dynami-
anspruchungen und ggf. die daraus resultie- sches System verstanden wird. Nur so lassen
renden Adaptationen sehr vielschichtig sind, sich scheinbar unerklärliche Leistungsschwan-
zeitgleich auf mehreren Funktionsebenen ab- kungen mit wellenförmigen oder plötzlichen
laufen und sich im Zweifel sogar konkurrie- Leistungszuwächsen im Vergleich zu einer rein
rend gegenseitig eliminieren oder zumindest kybernetisch-linearen Betrachtungsweise ver-
stören (. Abb. 2.23). stehen (Hohmann et al. 2002). Die Autoren
Ein quantitativ sehr stark technik- oder geben allerdings zu bedenken, dass sich trotz
taktikorientiertes Training kann in den Sport- der bedeutsamen Erklärungskompetenz dieses
spielen mit (vorübergehenden) Einbußen der Ansatzes in der Sportpraxis (z. B. auch in der
komplexen Spielfähigkeit, aber auch der kon- schwierigen Kommunikation zwischen Trai-
ditionellen Leistung einhergehen (. Abb. 2.23). ner, Athlet, Eltern und Verein) hieraus bislang
Neu erlernte Techniken oder Taktiken (z. B. die keine konkreten Handlungsanweisungen für
Viererkette im Fußball) benötigen Zeit, bevor die Trainingssteuerung ableiten lassen.
56 A. Ferrauti und H. Remmert
Belastungsende
vermindeter Energiespeicher
(Glykogen)
beschädigte Zellorganellen
(Mitochondrien)
bis zu 1–3
1 Std. 2 Tage 8 Tage
6 Std. Tage
Regenerationszeit
DNA Protein
Transkription RNA-Polymerase
Protein
Pro Ala
Ser
Met
tRNA
Glu
Ser
Leu
Glu
Pro
Zellkern mRNA
mRNA
Translation Ribosom
Cytoplasma
Abschnitte des Erbguts (Gene auf der DNA) kelfibrillen). Neben der gezielt direkten und
zunächst bedarfsgerecht aktiviert, nach der bedarfsangemessenen Genaktivierung können
Vorlage des DNA-Abschnittes im Zellkern in auch indirekte „epigenetische“ Regulationen
eine Kopie (mRNA) transkribiert (Transkrip- der Genaktivität durch körperliche Aktivität
tion) und anschließend an den Ribosomen im verursacht werden. Diese bestehen beispiels-
Zellplasma über Zwischenstufen (tRNA) in ein weise darin, dass gesundheits- oder leistungs-
Protein, bestehend aus zahlreichen aneinander- fördernde Gene biochemisch (durch Demet-
gereihten Aminosäuren, übersetzt (Translation; hylierung) erst in ihre aktive Form überführt
. Abb. 2.26). Der anschließende Transport der werden. Dies erklärt auch die Unterschiede in
Proteine (Proteintargeting) erfolgt über spezi- der phänotypischen (körperlich sichtbaren)
elle Signalsequenzen (z. B. Einbau neuer Myo- Entwicklung von eineiigen Zwillingen (Bloch
sinfilamente in Bereichen geschädigter Mus- und Zimmer 2012).
58 A. Ferrauti und H. Remmert
Die Art der durch Training induzierten Syn- trophie) gegenüber dem Proteinverschleiß (Atro-
these von Strukturproteinen ist sehr unterschied- phie) überwiegt (Mader 2002). Das Verhältnis
lich und hängt von der jeweiligen Reizsetzung ab. beider Faktoren auf die Proteinmasse ist pri-
2 So werden durch Krafttraining vermehrt myo- mär abhängig vom täglichen Belastungsumfang
fibrilläre Proteine und durch Ausdauertraining (Energieumsatz pro Tag) und selbstverständlich
Proteine zur Neubildung von Mitochondrien, auch von der Kalorienbilanz und einer ausrei-
Kapillaren (Angiogenese) oder Blutzellen (Häma- chenden Verfügbarkeit von Aminosäuren. So-
topoese) synthetisiert (Egan und Zierath 2013). bald der Proteinaufbau den -abbau nicht mehr
Beide Prozesse können sich durch die für die kompensieren kann, stellt sich eine Leistungs-
Auslösung der Anpassungsprozesse unterschied- stagnation ein, die bei noch höherer Belastung
liche intrazelluläre Signalkaskade gegenseitig zu einem Leistungsabfall führt. Für die Sport-
hemmen oder gar ausschließen, was in der Trai- praxis leitet sich daraus ab, dass eine individuell
ningssteuerung (Problem: Concurrent Training) optimale Reizsetzung gefunden werden muss
Berücksichtigung finden muss (. Abb. 2.17). und unreflektierte Theorien nach dem Motto
Auch im Rahmen von Techniktraining lau- „Je mehr, desto besser!“ bzw. „Train hard – quäl
fen Synthesevorgänge zur Neubildung (Neuro- dich!“ langfristig wenig zielführend sind.
genese) oder besseren Vernetzung von Nerven-
zellen im Gehirn ab. Die Kontaktstelle zwischen xkurs: Regeneration und Adaptation – zwei
E
zwei Nervenzellen (das Spine bzw. der dendri- Konkurrenten bei der Trainingssteuerung?
tische Dornfortsatz) kann sich innerhalb von
Minuten bis Stunden morphologisch verändern Aktive Erholung in unmittelbarem Anschluss an
jede Trainingseinheit während eines HIIT-
und sogar in mehrere Spines aufteilen. Als Folge Mesozyklus über mehrere Wochen besaß
ergeben sich im Gehirn je nach Beanspruchung gegenüber passiver Erholung keine nachteiligen,
nennenswerte makroskopische Umorganisatio- sondern sogar tendenziell vorteilhafte Auswir-
nen (Strüder et al. 2016). Sogar die Ausdauer- kungen auf die Entwicklung der Ausdauer
leistungsfähigkeit kann durch strukturelle und (Wiewelhove et al. 2018). In einer weiteren Studie
ergaben sich durch regelmäßige Kälteapplikatio-
biochemische Anpassungen im Gehirn zuneh- nen nach einem Krafttraining jedoch eher
men. Dies kann durch Angiogenese (Laube negative Auswirkungen auf die Kraftentwicklung
2013), aber auch rein koordinativ erfolgen. (Meyer et al. 2016). Die Beispiele zeigen
Verbesserungen der Laufökonomie senken den insgesamt, dass eine Unterscheidung zwischen
Sauerstoffbedarf bei gegebener Laufgeschwin- der Betrachtung kurzfristiger Erholungsvorgänge
(z. B. während eines Turniers zur raschen
digkeit. Sogar motivationale Funktionsände- Wiederherstellung der Wettkampfleistung) und
rungen (z. B. prozentualer Anteil der dauerhaft langfristiger Anpassungsprozesse (z. B. im
eingesetzten Sauerstoffaufnahme) werden in Rahmen von Mesozyklen) notwendig ist.
der Neurophysiologie auf strukturelle, bioche- Inwieweit eine Verlängerung der Heterostasewir-
mische und biophysikalische Anpassungen im kung (Zunahme des Internal Load) möglicher-
weise auch mit einer Abnahme des Trainingsrei-
Gehirn zurückgeführt (Strüder et al. 2016). zes (Abnahme des External Load) einhergeht und
Hirnforscher gehen von der Existenz eines ob sich beide Effekte gegenseitig egalisieren,
Central Governor aus, ein Gehirnareal, das alle müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.
Inputs und Outputs des Körpers empfängt, in-
tegriert und im Ergebnis das Verhalten steuert.
In konsequenter Weise sind demnach auch die Es erscheint zunächst plausibel, dass sich
Anpassungen durch Techniklernen strukturell nach dem Prinzip der optimalen Relation von
zentralnervös determiniert (Laube 2013). Belastung und Erholung (. Abb. 2.14) die Er-
Proteinbiosynthese und Proteinverschleiß holung zwischen aufeinanderfolgenden Trai-
bzw. -abbau verlaufen stets simultan. Strukturell ningsreizen möglichst rasch einstellen sollte,
positive Nettoanpassungen sind somit nur dann um hierdurch die Trainingsdichte steigern zu
möglich, wenn die Proteinbildungsrate (Hyper- können. Durch den Einsatz von Regenera-
Grundlagenwissen zum sportlichen Training
59 2
tionsverfahren zur Beschleunigung der Erho- Auslösemechanismen für die Anpassung
lung (z. B. raschere Superkompensation) wären nicht gerecht. Hohmann et al. (2002) spre-
demnach die Anpassungsvorgänge zu optimie- chen daher von Leistungsveränderungen
ren. Nimmt man jedoch die Homöostasestö- durch Informationsorganisation und grenzen
rung als Primärreiz für Adaptation, dann lässt diese Vorgänge von der rein reaktiv ablaufen-
sich auch eine antagonistische Vorgehensweise den biologisch- strukturellen Adaptation ab
begründen. Derzeit wird daher intensiv unter- (7 Kap. 8).
sucht, inwieweit sich eine beschleunigte Er- Bewegungslernen findet durch ständige In-
holung möglicherweise adaptationsmindernd teraktion des Organismus mit seiner Umwelt
auswirkt (u. a. auf Ebene der Angiogenese, aber und in einem stetigen, aktiven und durch die
auch hinsichtlich der Muskelhypertrophie; Wahrnehmung der Sinnesorgane sowie durch
Hunt et al. 2008). Eigene Trainingsstudien im Außeninformationen (z. B. des Trainers) ge-
Rahmen des langjährigen WVL-Projekts Rege- steuerten Feedback-Prozess statt (daher auch
nerationsmanagement im Spitzensport (Meyer das Synonym „sensomotorisches Lernen“).
et al. 2016) ergaben hierzu noch keine eindeu- Bewegungslernen erfolgt durch Intuition, Imi-
tigen Befunde. tation und Instruktion. In der Trainingswis-
Zusammenfassend können Anpassungen senschaft existieren verschiedene Ansichten,
durch sportliches Training vor allem durch welcher dieser Wege in den stark technikdeter-
strukturelle Veränderungen auf molekularer minierten Sportarten am ehesten zielführend
und zellulärer Ebene erklärt werden. In den ist (u. a. Schöllhorn et al. 2015 versus Künzell
meisten Fällen handelt es sich dabei um die und Hossner 2012). Unabhängig von dieser
Neubildung von Proteinen im Rahmen der Diskussion erscheint es angemessen, dem As-
Proteinbiosynthese. Proteinbiosynthese und pekt des motorischen Lernens eine der rein
Proteinverschleiß bzw. -abbau laufen stets si- strukturellen Anpassung im Zentralnervensys-
multan ab. Die Art der durch Training indu- tem übergeordnete Aufmerksamkeit zu wid-
zierten Synthese von Strukturproteinen ist sehr men (7 Kap. 8).
unterschiedlich und hängt von der jeweiligen Auch die Entwicklung von kognitiven und
Reizsetzung ab. Auch im Gehirn laufen Syn- psychologischen Fähigkeiten und Fertigkeiten
thesevorgänge zur Neubildung (Neurogenese) (z. B. emotionale und motivationale Anpas-
ab und werden in der Neurophysiologie vor sungsprozesse) hängt im Wesentlichen von
allem zur Erklärung motorischer (technisch- aktiven und interaktiven Lernvorgängen ab.
koordinativer) und kognitiver (taktisch-psy- Nicht die ermüdungsbedingte Auslenkung der
chologischer) Faktoren herangezogen. biochemischen Homöostase, sondern die ak-
tive kognitive Auseinandersetzung des Athle-
ten mit dem Trainingsziel verursacht den An-
2.4.5 Metastrukturelle passungsprozess.
Anpassungen durch Training Im Taktiktraining der Sportspiele werden
daher nach der Vermittlung taktischer Grund-
Auch motorische (technisch-koordinative) regeln und Hinweisen zur Aufmerksamkeits-
und kognitive (taktisch-psychologische) An- lenkung weitgehend offene Spielsituationen
passungen basieren im engeren Sinne auf kreiert, in denen Spieler Entscheidungspro-
strukturellen Veränderungen, die sich durch zesse mit zunehmender Komplexität gestalten
die hohe Plastizität des Gehirns ergeben müssen und durch stetigen Abgleich der erwar-
und beispielsweise im Rahmen eines Taktik- teten Effekte mit den erzielten Wirkungen das
trainings die Wahrnehmung und Wahrneh- eigene Verhalten korrigieren bzw. optimieren.
mungsverarbeitung des Athleten verändern. Taktiktraining ist demnach im Wesentlichen
Andererseits wird diese enge Sichtweise den Entscheidungstraining (Memmert 2014; Raab
zugrundeliegenden völlig unterschiedlichen 2014). Danach muss der Sportler verschiedene
60 A. Ferrauti und H. Remmert
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67 3
Leistungssteuerung
Alexander Ferrauti, Christoph Schneider und Thimo Wiewelhove
Literatur – 178
Leistungssteuerung
69 3
„Kein Sieger glaubt an den Zufall.“ (Friedrich 3.1 Komponenten der
Nietzsche) Leistungssteuerung
individuelle Trainingswirkungsanalyse
der Sportarten zur Leistungsfähigkeit
individuelles Athletenmonitoring
Trainingssteuerung
Trainingsplanung und Trainingsdurchführung
Ist-Sollwert-Vergleich zu Ist-Sollwert-Vergleich zu
Leistungs-Normprofilen Leistungs-Normprofilen
kurzfristige
Perspektive
Wettkampfanalyse und
individuelle Leistungsdiagnostik
Wettkampfbetreuung
Wettkampfsteuerung Leistungsdiagnostik
.. Abb. 3.2 Modell der Leistungssteuerung im Sport bestehend aus den Komponenten Wettkampfanalyse
und -steuerung, Leistungsdiagnostik sowie Trainingssteuerung
Beispiel: Patrick Lange (GER) gegen Lionel Sanders (CAN) beim Ironman auf Hawaii
verfügbare Energie zielgerichtet einsetzen, um Pacing-Analysen widmen sich nicht nur der
ein bestmögliches Wettkampfresultat zu errei- aktuellen Wettkampfanalyse, sondern auch
chen. Eine geeignete Pacing-Strategie ist die der Berechnung übergeordneter Erklärungs-
Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg in modelle für die Wettkampfleistung. Durch
zahlreichen Disziplinen. Neben den externen technologische Weiterentwicklungen können
zeitstatistischen Analysen können die zugrun- in derartigen Analysen nicht nur Zeitpara-
3 deliegenden physiologischen und psychologi- meter (z. B. Zwischenzeiten über Lauf- oder
schen Mechanismen der Entscheidungsfin- Schwimmdistanzen), sondern auch energeti-
dung im Diskurs mit dem Athleten in die sche Variablen und die realisierte mechanische
retrospektive Analyse einbezogen werden (Ed- Leistung (Power Output in Watt) im Wett-
wards und Polman 2012; Smits et al. 2014; kampfverlauf erfasst und analysiert werden
Thompson 2016). (z. B. mittels des SRM-Systems im Radsport).
Letzteres ist für die Pacing-Analysen von Wett-
kämpfen mit veränderten Umgebungsanforde-
Pacing rungen (z. B. Radrennen mit Anstiegen und
Unter Pacing versteht man die individuell Abfahrten) unverzichtbar. Die mathematische
bestmögliche Verteilung der Energieres- Modellierung dieser Ergebnisse zeigte interes-
sourcen (physiologisch und psycholo- santerweise, dass die Gesamtleistung verbes-
gisch) im Wettkampfverlauf mit dem Ziel, sert werden kann, wenn Athleten ihren Kraft-
eine optimale Gesamtleistung zu und Energieeinsatz in Wettkampfphasen mit
erbringen (Thompson 2016). höherer Außenbelastung (bergauf oder gegen
Gegenwind) etwas steigern und sich bei gerin-
Beispiel: Marathonlauf
Leistungsläuferinnen favorisieren eine möglichst profitieren eher von einer schnellen ersten Hälfte
konstante Laufgeschwindigkeit über die Marathon- nach dem Motto „Am Anfang nutze ich meine
distanz (. Abb. 3.5). Eine einfache statistische Power, am Ende werde ich eh langsamer“. Die
Auswertung der Zwischenzeiten (z. B. erster versus meisten und insbesondere systematisch trainie-
zweiter Halbmarathon) ergibt jedoch, dass diese rende Späteinsteiger mit hohem Trainingsvolumen
Grundregel in Abhängigkeit von Zielzeit, Ge- werden eher mit einer kontinuierlichen Pacing-Stra-
schlecht, Wettkampferfahrung und Umgebungsbe- tegie erfolgreich sein. Auffällig markierte Brems-
dingungen nur bedingt erfüllt wird. Individuelle und Zugläufer (z. B. mit heliumgefüllten Luftballons)
Rückmeldungen von Freizeitläufern weisen darauf haben sich im hinteren Bereich des Feldes ebenso
hin, dass hier zwei Gruppen unterschieden werden weltweit durchgesetzt wie Pacemaker für die
können: Einige wenige unspezifisch trainierte schnellsten Männer und Frauen. Dies dokumentiert
Wechsler aus anderen Sportarten mit geringem den offensichtlichen Vorteil einer konstanten
Trainingsumfang während der Vorbereitung Renngeschwindigkeit im Marathonlauf.
geschwindigkei-
ten bei den 4,5
IAAF-Meisterschaf-
ten der Frauen im 4,0 Top 25 %
Marathon (mod.
26–50 %
nach Renfree und 3,5 51–75 %
Gibson 2013)
untere 25%
3,0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45
Distanz (km)
Leistungssteuerung
75 3
gerer Außenbelastung (z. B. im Windschatten) spieler bei einer Doppelbreak-Führung die
schonen (Skorski und Abbiss 2017). Return-Spiele extra vorbeilaufen, um sich zum
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung Satzgewinn ganz auf sein Aufschlagspiel zu kon-
mit Pacing basiert vielfach auf der mathemati- zentrieren? Diese zahlreichen Beispiele zeigen,
schen Modellierung des Einflusses „von Ände- dass bereits einfach zu erhebende Wettkampf-
rungen“ auf „Ergebnisse“. Lipińska et al. (2016) analysen von trainingswissenschaftlich hoher
berichten beispielsweise von dem Versuch ei- Relevanz sind und in vielfältiger Weise zur Leis-
ner mathematischen Modellierung der Zeit im tungssteuerung genutzt werden können.
800-m-Freistil-Schwimmen unter Berücksich-
tigung der 50-m-Zwischenzeiten auf der Basis
von fast 200 Wettkämpfen. Dabei wurden unter 3.2.3 Systematische Spielanalysen
anderem die Zwischenzeiten und die Zwischen-
zeitvariabilität in Bezug auf die Gesamtzeit be- In den Sportspielen ermöglicht die Wettspiel-
rücksichtigt. Im Mittel waren die erste und beobachtung den unkompliziertesten, schnells-
letzte Zwischenzeit am schnellsten („Wannen- ten und dadurch praktikabelsten Zugang zur
profil“). Alle übrigen Parameter wiesen hohe Wettspielanalyse. Wettspielbeobachtung erfolgt
Schwankungen und keine „Wenn-dann-Zu- im einfachsten Fall durch eine „subjektive Ein-
sammenhänge“ auf. Dies lässt die Autoren drucksanalyse“ auf dem Notizblock des Coaches.
schlussfolgern, dass eine feste Pacing-Strategie Das Scouting ist insbesondere im Basketball
auf dieser Wettkampfstrecke nicht sinnvoll ist, populär und stellt nach Lames (1994) eine halb-
da die Athleten ihre Strategie offenbar erst im systematische Übergangsstufe zur systematischen
Wettkampfverlauf feinjustieren. Spielbeobachtung dar (. Tab. 3.1). Inzwischen
Das Phänomen Pacing existiert auch in an- erfolgt das Scouting im Basketball im FIBA-Be-
deren Sportarten. Ist es nicht auch eine Art von reich weltweit nach einheitlichen Kriterien. Ein-
Pacing, wenn sich eine Fußballmannschaft bei fache Scouting-Reports oder handschriftliche Be-
einer 3:0-Halbzeitführung in der zweiten Halb- obachtungsbögen werden nach wie vor auch auf
zeit zurückzieht? Sind Leistungsschwankungen unteren Leistungsebenen in den Sportspielen ein-
zwischen Heim- und Auswärtsspielen mögli- gesetzt. Spielbeobachtungen können bei Nach-
cherweise auch Konsequenzen einer unausge- wuchsspielern hervorragend auch zur Schulung
sprochenen Pacing-Strategie? Lässt der Tennis- kognitiver Kompetenzen eingesetzt werden.
.. Tab. 3.1 Methoden der Spielbeobachtung (modifiziert nach Lames 1994, S. 24)
flexible, subjektive und festgelegte, aber präzise und eindeutig Auswahl von
ggf. spontan ausge- teilweise auch flexible definierte Beobach- automatisiert
wählte Beobachtungs- Merkmale tungsmerkmale erfassbaren
merkmale Merkmalen
.. Abb. 3.6 Arbeitsfeld der Analyse-Software Utilius® mit Videoplayer und integriertem Kategoriensystem (rechts)
.. Abb. 3.7 Analyse des gruppentaktischen Angriffsverhaltens im Basketball auf der Grundlage einer prozess-
orientierten Modellbildung (Remmert 2003, S. 28)
78 A. Ferrauti et al.
Tracking-Ergebnisse werden nicht nur medienwirk- und Dribblings mit maximaler Intensität enthält.
sam aufbereitet, sondern bei sportwissenschaftlich So wären für ihn im Training kurze maximale
gut betreuten Fußballmannschaften auch zur Wiederholungssprints (bzw. Zick-Zack-Läufe) aus
Individualisierung von Trainingssteuerung und dem Stand über ca. 10–20 m von einer Position
Wettspielvorbereitung genutzt (Bangsbo und halbrechts etwa 10 m hinter der Strafraumgrenze
Mohr 2014). Stets wiederkehrende Laufmuster der nach steil vorne links angemessen. Der Spieler
Topspieler können in ein intensives Intervalltrai- Arjen Robben (NL) müsste hingegen rechts außen
ning zur Verbesserung der Schnelligkeitsausdauer und weiter hinten an der Mittellinie starten und
überführt werden. Der Spieler Lionel Messi (ARG) längere Laufdistanzen über 30–40 m überbrücken.
zeichnet sich durch ein vergleichsweise geringes Beide Spieler traben nach der Aktion zurück zur
Laufpensum aus, das allerdings zahlreiche Sprints Ausgangsposition.
Die Methodenvielfalt im Bereich von Track- In Kooperation mit dem Institut für Neu-
ing-Verfahren wird von Link (2017) über- roinformatik der Ruhr-Universität Bochum
sichtlich strukturiert. Bei radiobasierten Sys- konnte das für das Fußballspiel bereits publi-
temen empfangen mehrere um das Spielfeld zierte und validierte optische Tracking-
positionierte Antennen die Signale eines Verfahren (Schlipsing et al. 2017) auch auf den
Senders und bestimmen seine Position über Tennissport übertragen werden. Aufgrund der
Laufzeit- bzw. Frequenzverschiebungen. kurzen Laufdistanzen sind GPS-gestützte Ver-
GPS-basierte Systeme berechnen die Position fahren hier zu ungenau. Neben individuell re-
eines Empfängers mittels Satellit. Der Nach- levanten Informationen für die Trainingssteu-
teil beider Verfahren besteht darin, dass ein erung können auf diese Weise grundsätzliche
Sensor am Körper bzw. am Sportgerät be- Ableitungen für das Schnelligkeitstraining im
festigt werden muss. Demgegenüber benö- Tennis getroffen werden. Bei ca. 80 Antritten
tigen optische Messsysteme keinen Sensor, pro Stunde werden beispielsweise im Mittel
da sie Objekte im Videobild allein auf Basis nur 2,5 m überbrückt, und nur bei 15 % der
von Farbe, Kontur und Bewegungsdynamik Sprints wird eine Geschwindigkeit von 3,0 m/s
erkennen und der Position im Raum zuord- überschritten (. Abb. 3.10).
nen. Optische Systeme sind daher rückwir- Der trainingswissenschaftliche Anwen-
kungsfrei und können uneingeschränkt vom dungsbereich von Tracking-Analysen umfasst
Regelwerk der FIFA im Wettkampf eingesetzt Leistungsstrukturanalysen der Sportarten, aber
werden. GPS- und radiobasierte Systeme auch die aktuelle Wettkampfanalyse und Trai-
werden hingegen vor allem im Training ver- ningssteuerung. Inhaltlich beziehen sich diese
wendet. Neben den Erhebungstechniken wird Zielsetzungen sowohl auf physisch-konditionelle
zwischen manuellen (ein Beobachter muss Aspekte wie Laufwege und Laufgeschwindigkei-
zugegen sein und selbst Daten einpflegen), ten (Mujika und Padilla 2003) als auch auf kog-
automatisierten (z. B. radiobasierte Positions- nitiv-taktische Aspekte wie beispielsweise das
erfassungssysteme) und semiautomatischen Passverhalten (Lames und Hansen 2001). Ein-
Verfahren (z. B. ein Beobachter muss bei op- facher als mit den vergleichsweise „trägen“ Da-
tischen Positionserfassungssystemen im Falle ten der Spielbeobachtung lassen sich aus der
von Tracking-Verlusten manuelle Korrektu- leicht generierbaren Datendichte aus Track-
ren vornehmen) unterschieden (. Abb. 3.9). ing-Analysen mittels Netzwerkanalysen takti-
80 A. Ferrauti et al.
b c` d
.. Abb. 3.9 Das Mouse Menue des Beobachters zur einzelner Spieler einer Mannschaft d. In Konfliktsitua-
One-Click-Identifikation der Spieler a sowie ausge- tionen bei der optischen Unterscheidung von Spielern
wählte Darstellungsformen der Ergebnisse b–d als sind Korrekturen durch den Beobachter erforderlich
Rohdaten eines Spielers b, der daraus resultierenden (Schlipsing et al. 2017, S. 11–12)
Heatmap c und den vorrangigen Aufenthaltszonen
Basketball (5 gegen 5) und Handball sind als Hallen- Beanspruchung. Die Bespielbarkeit des Korb- bzw.
sportspiele auf engem Raum durch eine azyklische Torraums, die Anordnung (horizontal vs. vertikal)
Langzeitausdauerbelastung mit Intervallcharakter und Dimension (kleiner Korb vs. großes Tor mit
geprägt. Dem kleineren Spielfeld des Basket- Torwart) der Spielziele bedingen jedoch im Detail
balls (28 × 15 m vs. 40 × 20 m) steht die größere unterschiedliche konstitutionelle und konditionelle
Spielerzahl (6 + 1 vs. 5) des Handballs gegenüber, Leistungsvoraussetzungen, um die jeweiligen
sodass angesichts der ähnlichen Bruttospielzeit von Spielziele (Korb- vs. Torerfolg) zu erreichen. Basket-
ca. 80–90 min grundsätzlich von gleichartigen Lauf- ballspieler wechseln demnach schneller in ihren
umfängen und -intensitäten ausgegangen werden Aktivitätsmustern als Handballspieler (ca. 2 vs. 5,6 s),
kann. Herzfrequenz- (durchschnittlich 80–90 % der sprinten kürzer, aber häufiger, und sind mit weniger
individuellen HFmax) und Blutlaktatanalysen (im Kontaktsituationen konfrontiert. Differenzierte
Mittel an der anaeroben Schwelle mit zweistelligen Daten zu den Beanspruchungsprofilen finden sich
Laktatspitzen) bestätigen entsprechende Überein- bei Luig (2015) und Bösing et al. (2019).
stimmungen der kardialen und energetischen
82 A. Ferrauti et al.
Technik
psychische taktisch-kognitive
Fähigkeiten Fähigkeiten
sportliche
Leistungs-
veranlagungsbedingte, fähigkeit
konstitutionelle
soziale Fähigkeiten
und gesundheitliche
Faktoren
Kondition
keiten und Fertigkeiten, wobei letztendlich in ein Modell überführt. Durch die dadurch
alle Teilaspekte offenbar gleichberechtigt mit- mögliche Bedeutungsgewichtung von Teilfak-
einander direkt oder indirekt in Verbindung toren und deren Interkorrelationen für die
stehen. Die erkennbare Willkürlichkeit in der komplexe Gesamtleistung lässt sich eine Hier-
Festlegung von Begrifflichkeiten und Interak- archie an unter- und übergeordneten Leis-
tionspfeilen wird kritisiert und bietet daher im tungsdeterminanten festlegen. Ein klassisches
Rahmen der Leistungssteuerung noch keine Beispiel für ein derartiges Leistungsstruktur-
konkrete Hilfe (Hohmann et al. 2002). Im- modell ist das „Pyramidenmodell“ (Letzelter
merhin liefert diese einfache Auflistung eine und Letzelter 1982).
grundsätzliche und allgemeingültige Orientie- Pyramidenmodelle verfolgen das Ziel, die
rungshilfe für das komplexe Leistungsgefüge Einflussgrößen auf die Leistung nach verschie-
einer Sportart (s. auch Übungsaufgabe 1). denen Erklärungsebenen zu ordnen. In der
Eine tiefer gehende strukturelle Betrach- Pyramidenspitze befindet sich demnach die
tung der Wettkampfleistung in einer bestimm- komplexe Wettkampfleistung. In Richtung der
ten Sportart erfordert nach Letzelter und Let- Pyramidenbasis nimmt der Komplexitätsgrad
zelter (1982) jedoch eine Hierarchisierung der ab, und die Merkmale der unteren Ebene wer-
Bedeutung einzelner Leistungskomponenten den über jene der höheren Ebenen wirksam.
und eine daran anknüpfende Priorisierung von Das hier dargestellte Beispiel ist der Original-
Trainingszielen und -inhalten. publikation von Helga und Manfred Letzelter
Zur Hierarchisierung werden alle mögli- (1982) entnommen und zeigt die grundlegen-
chen wettkampfanalytischen oder leistungsdi- den (III. Ebene) und übergeordneten Einfluss-
agnostischen Einflussgrößen mit der komple- größen (II. Ebene) auf die Sprintleistung aus
xen sportlichen Leistung als Außenkriterium trainings- und bewegungswissenschaftlicher
in Beziehung gesetzt. Im einfachsten Fall wird Sicht (. Abb. 3.13). Zu späteren Zeitpunkten
dieser Zusammenhang korrelationsstatistisch folgten vergleichbare Modelle zur Erklärung
(z. B. mittels Regressionsanalysen) beschrie- der komplexen Sportspielleistung (Hohmann
ben und die Ergebnisse werden im Anschluss und Brack 1983; Hohmann 1985).
84 A. Ferrauti et al.
.. Abb. 3.13 Historisch bedeutsames Pyramidenmodell zur Erklärung der Sprintleistung (Letzelter und
Letzelter 1982, S. 354)
Leistungssteuerung
85 3
.. Abb. 3.14 Pfad- .15.051
vegetative
analytische Struktur
Taktik/
Psyche
2 2
R = .84; R = .71;R adj= .67
Stabilität F = 17,65; df = 7; 51; p < 0,001
der 60-m-Sprintleis- .15.090
Einfachreaktion
tung bei 10–15-jähri-
2 2
gen Jungen (mod. R = .85; R = .72; R adj.= .68
Koordination
F = 21,90; df = 6; 52; p < 0,001
Technik/
nach Hohmann 2009, Technik & .45.000
S. 226) Koordination
.40.007
zyklische 60-m-Sprint-
Schnellkraft leistung
azyklische (68 %) (67 %)
Kondition
Schnellkraft
(81 %) .64.001
2 2
R = .91; R = .82; R adj.= .81
F = 68,29; df = 5; 75; p < 0,001
Konstitution
Körperbau
.48.000
Jungen
Mädchen
Die massive Veränderung der Leistungs- (. Abb. 3.15). Soll sich das Training an den
struktur von prä- zu postpuberalen jugendli- aktuellen oder an den zukünftigen Leistungs-
chen Leistungssportlern (hier dargestellt an anforderungen orientieren? Müssen die be-
den Beispielen Sprint und Tennis) belegt die schriebenen Entwicklungsstufen eingehalten
Bedeutung differenzierter Leistungsstruktur- werden, damit die Folgestufe auf der zuvor rea-
analysen und wirft wichtige Fragen für Trai- lisierten Leistungsbasis erreicht werden kann?
ningssteuerung und Talentförderung auf Welche psychologischen Konsequenzen besitzt
86 A. Ferrauti et al.
Prep to win
.. Abb. 3.15 Techniktraining zum Laufsprint im
Kindesalter mit einer zukünftigen Marathonläuferin
der nationalen Spitzenklasse Zusammenfassung
Der Wettkampf und die Wettkampfleistung
stellen häufig das Ziel jeglicher Trainingsbe-
der sportliche Erfolg im Kindesalter für die So- mühungen dar. In eine systematische Wett-
zialisation innerhalb des leistungssportlichen kampfsteuerung fließen die Analyse des
Umfelds und für eine überdauernde Leistungs- vorausgegangenen Wettkampfes, die Wett-
motivation? kampfbetreuung, bestehend aus Wettkampf-
vorbereitung und -lenkung (insbesondere Coa-
raxistipp: Trainingssteuerung im Kindesal-
P ching) des aktuellen Wettkampfes sowie die
ter mit Weitblick für die späteren Leistungs- nachfolgende erneute Wettkampfanalyse ein.
anforderungen Die trainingswissenschaftlichen Erkenntnisse
zur Steuerung sportlicher Wettkämpfe sind bis-
Altersdifferenzierte Leistungsstrukturmodelle her bei Weitem nicht so aufbereitet wie für das
liefern wichtige Orientierungshilfen für die ak- sportliche Training. Trainingswissenschaftliche
tuelle und zukünftige Priorisierung von Trai- Untersuchungsansätze beschränken sich zu-
ningszielen und -inhalten. In der quantitati- meist auf die Wettkampfanalyse. Vielfach bleibt
ven Abwägung müssen die aktuell relevanten die Wettkampflenkung zumeist ausschließlich
und lohnend trainierbaren Leistungsanforde- die Handlungsdomäne des Trainers und seines
rungen eine höhere Priorität einnehmen. Be- unmittelbaren Betreuerstabes. Hinsichtlich der
reits frühzeitig muss jedoch auch auf die zu- Wettkampfvorbereitung ist die Datenlage et-
künftigen Anforderungen konzeptionell und was günstiger. Im vorliegenden Kapitel werden
trainingspraktisch vorbereitet werden. Ent- grundlegende Prinzipien und Phasen der Wett-
sprechende Techniken für das Athletiktraining kampfvorbereitung im Detail behandelt.
sind perspektivisch zu vermitteln.
Unter dem Begriff der Wettkampfsteuerung
können die Analyse des vorausgegangenen
Eine angemessene Priorisierung von Trainings- Wettkampfes, die Wettkampfbetreuung, beste-
zielen und -inhalten ist die große Herausforde- hend aus Wettkampfvorbereitung und -len-
rung im Nachwuchsleistungssport. Nachdem kung (insbesondere Coaching) des aktuellen
die leistungsrelevanten Merkmale faktorenana- Wettkampfes sowie die nachfolgende erneute
lytisch selektiert, empirisch-statistisch identi- Wettkampfanalyse subsummiert werden. Ihre
fiziert und pfadanalytisch sortiert worden sind, Ergebnisse fließen in kurz- und langfristiger
müssen für jede Alterskategorie die wichtigsten Perspektive in die Trainingssteuerung ein
Trainingsziele definiert werden. Hierbei ist auch (. Abb. 3.2 und 3.16). Die trainingswissen-
abzuwägen, ob diese überhaupt effizient trai- schaftlichen Erkenntnisse zur Steuerung sport-
Leistungssteuerung
87 3
Wettkampfsteuerung im Sport
Trainingssteuerung
Inhaltlich vergleichbar verlaufen jedoch auch hier len der Glykogenspeicher), Regeneration sowie
die letzten zwei Tage vor dem kommenden Wett- Fokussierung auf und inhaltliche Auseinander-
spiel, in denen für die Stammspieler keine energe- setzung mit dem eigenen und gegnerischen tak-
tisch aufwändigen Trainingsinhalte mehr vorge- tischen Verhalten eine zentrale Rolle
sehen werden sollten. Trosse (2000) unterscheidet (. Abb. 3.17). Weiterführende Informationen
in dieser Phase zwischen Leistungsfaktoren, die zu den Themen Ernährung und Regeneration
3 wenig beeinflussbar sind (z. B. konditionelle Vor- finden Sie in 7 Kap. 9. Aber auch aktive, stets je-
aussetzungen) und solchen, die stark beeinfluss- doch energetisch wenig belastende Trainings-
bar sind (z. B. Motivation, Leistungsbereitschaft, elemente können in geringem Umfang integ-
kognitive Voraussetzungen). Folglich liegt ein riert werden (z. B. langsames Traben oder
wichtiger Schwerpunkt in der taktisch-kogniti- Radeln, azyklische und zyklische Schnelligkeits-
ven Vorbereitung auf den kommenden Gegner elemente, Koordinationstraining, Training von
bzw. auf die angestrebte Wettkampfstrategie Standardsituationen).
(. Abb. 3.17). Für die Auseinandersetzung mit
taktisch-kognitiven Fragestellungen der Leis- Phase 3 Der Wettkampftag und der Wett-
tungsoptimierung speziell im Fußball sei an die- kampf selbst stellen eine besondere Her-
ser Stelle auf die Expertise von Sport- und Kogni- ausforderung im Rahmen der Wettkampf-
tionspsychologie verwiesen (Höhner 2005; vorbereitung dar. Hier sind zahlreiche
Memmert und Raabe 2017). kurzfristig relevante Zielsetzungen zu berück-
sichtigen (. Abb. 3.18). Dies schließt kognitive
Phase 2 Die sich anschließende Phase kann als (z. B. Aktivierung des Blickverhaltens, Verbes-
unmittelbare Wettkampfvorbereitung (UWV) serung des peripheren Sehens), koordinative
bezeichnet werden, obwohl auch diesbezüglich (z. B. Technikstabilisation und Abschirmung
die Angaben über Inhalte und Phasenlänge zwi- gegenüber Störungen) und motorische Aspekte
schen den Sportarten erheblich schwanken. So (Herstellung bestmöglicher konditioneller Vo-
schließt der Begriff im Rudern beispielsweise raussetzungen), aber auch gesundheitsprophy-
auch die Phase 1 ein oder wird sogar noch weiter laktische (z. B. Tapen und Dehnen) und leis-
gefasst (Steinacker et al. 2000). Die UWV um- tungsphysiologische Aspekte (z. B. Precooling,
fasst im engeren Sinne nur den Vorwettkampf- kurzfristige Kohlenhydratzufuhr und ggf. Flüs-
tag. Hier spielen Ernährung (speziell das Auffül- sigkeitszufuhr) ein (. Abb. 3.18).
leistungsphysiologische Aspekte
(z. B. Precooling, Energieriegel)
Leistungssteuerung
89 3
.. Abb. 3.19 Nervosi-
tätsgrad (Likert-Skala am Vorabend 2,35
von 1 = sehr gering bis
10 = sehr hoch) am Beginn Warm-up 5,08
Vorwettkampfabend
und am Wettkampftag Wettkampfbeginn 4,02
eines Tennisturniers
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Nervositätsgrad
580
560
3 540
520
500
480
460
1.–4. min 5.–8. min 9.–12. min 13.–16. min
gen kurzfristig zu. Vor Beginn der Warm-up in den Sportspielen Unmittelbar
Wettspielsimulation am Nachmittag sind vor Spielbeginn findet das öffentliche Warm-up
diese Effekte jedoch abgeklungen. der Mannschaften in der Fußball-Bundesliga
2. Die Laufleistung nimmt gegen Ende des oder auch der Nationalmannschaften statt. Eine
Bangsbo-Tests nach der intensiven mor- systematische Analyse der Inhalte dieser be-
gendlichen Vorbelastung ab (HIP). Die deutsamen Phase bei allen Bundesligavereinen
meisten Spieler (50 %) profitierten von ei- innerhalb einer Saison ergab erhebliche Unter-
ner moderaten morgendlichen Voraktivie- schiede. Die Dauer des Warm-ups schwankt
rung (. Abb. 3.20). zwischen ca. 20 und 30 min (. Abb. 3.21; Brock
et al. 2006). Die Ergebnisse lassen sich wie folgt
raxistipp: Preloading am Wettkampfmor-
P
zusammenfassen:
gen 1. Die angewendeten Dehnprogramme
unterschieden sich zum Zeitpunkt der
Trotz aller methodischen Einschränkungen bei Datenerhebung erheblich. Acht Mann-
der Simulation realer Turnierverhältnisse unter schaften bevorzugten rein statische, zwei
Trainingsbedingungen kann aufgrund der Er- Mannschaften rein dynamische und sieben
gebnisse und Rückmeldungen der Probanden Mannschaften gemischte Dehnpro-
von einer zu intensiven und langwährenden gramme.
Vorbelastung am Wettkampfmorgen, insbe- 2. Die Anzahl an systematisch zumeist vom
sondere aus energetischer Sicht, abgeraten Athletiktrainer angeleiteten Lauf-ABC-
werden. Die Integration einer moderaten Vor- Bahnen (einschl. Kurzsprints) pro Spieler
belastung besitzt hingeben bei den meisten differierte zwischen zwei und 32 pro
Spielern Vorteile. Die Vorbereitung ist somit Mannschaft und betrug im Mittel ca. elf
individuell mit den Athleten abzustimmen. (. Abb. 3.22a).
Die kurzfristige kognitive Aktivierung unter- 3. Die Anzahl an Torschüssen pro Feldspieler
streicht die Bedeutung einer angemessenen (gemittelt innerhalb der Mannschaften)
Vorbereitung unmittelbar vor Spielbeginn. betrug zwischen zwei und acht
(. Abb. 3.22b).
Leistungssteuerung
91 3
.. Abb. 3.21 Gesamt- 26
dauer der beobacht- 24
baren Wettspielvorbe- 23:42
reitung in der 1. 22
Fußball-Bundesliga 20
sowie Aufteilung der
a 35
.. Abb. 3.22 Durch-
schnittliche Anzahl an 30 32
Lauf-ABC-Bahnen a
LAUF-ABC Bahnen (n/Spieler)
b 7
6
6
5
Torschüsse (n/Spieler)
4
4 4 4 4 4
3 3,4
3 3 3 3 3 3 3 3 3
2
2 2
1
0
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FC
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Ei
M
FC
92 A. Ferrauti et al.
8
Quotient Noradrenalin/Adrenalin
*
7
0
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 Xges XN– XN+
Spieler
Die Katecholamine und insbesondere Adrenalin sich ebenfalls nicht in allen Sportarten positiv aus.
besitzen einen Einfluss auf das Kontraktionsverhalten Speziell in koordinativ anspruchsvollen Sportarten
der Muskelfasern. Hierdurch kann ein funktionsge- kann sie die inter- und intramuskuläre Koordination
rechter Bewegungsablauf empfindlich gestört empfindlich stören und mit einem Verlust an
3 werden. Dies beruht auf der Existenz von Adrenalin-
rezeptoren auf den extrafusalen Skelettmuskelfasern.
Bewegungsökonomie und -präzision einhergehen.
Automatisierte Bewegungsprogramme werden in
Es resultiert eine Erhöhung des Muskeltonus von solchen Situationen als ungeeignet interpretiert und
FT-Fasern bei gleichzeitiger Abnahme der Spannung während des Wettkampfes modifiziert. Hierdurch sind
von ST-Fasern (Bowman und Zaims 1958; Bowman Leistungseinbußen, verbunden mit Unzufriedenheit
1981). Ein Spannungsverlust der ST-Fasern verringert und erhöhtem Wettkampfstress, unumgänglich. Der
die Leistungsfähigkeit der Haltemuskulatur. Sportler befindet sich in einem Teufelskreis, da die
Zahlreiche Sportler klagen daher über ein Gefühl der adrenalinbedingte Störung der Bewegungskoordina-
Schwäche im Kniebereich („weiche Knie“) und Rücken. tion auf diese Weise eine weitere Adrenalinausschüt-
Die Erhöhung des Muskeltonus der FT-Fasern wirkt tung auslöst.
Aufmerksamkeit
sportartspezifische Aktivierung
.. Abb. 3.24 a Einfaches Stufenmodell zur Wett- dem ersten Punkt vom Netz zur Grundlinie. Die
kampfvorbereitung. b Das Finale kann beginnen. Wettkampfvorbereitung ist abgeschlossen (7 https://
Rafael Nadal (ESP) sprintet nach der Seitenwahl vor doi.org/10.1007/000-04h)
a b
.. Abb. 3.27 Messung der Blutlaktatkonzentration a und Tensiomyographie b, Beispiele für die sportmedizini-
sche und biomechanische Leistungsdiagnostik
100 A. Ferrauti et al.
In Abgrenzung zur Sportmedizin und Bio- Sportmotorische Tests lassen sich ebenfalls
mechanik versucht die trainingswissenschaftli- dem Verantwortungsbereich der Trainingswis-
che Leistungsdiagnostik, möglichst semi- oder senschaft zuordnen. Sie zeichnen sich dadurch
sportartspezifisch und zumeist unter Feldbe- aus, dass sie unter standardisierten Feldbedin-
dingungen trennscharfe Messmethoden ein- gungen und unter Einhaltung der Gütekrite-
zusetzen (z. B. Lichtschrankensysteme, Radar- rien ohne nennenswerte technologische Un-
3 und Videoanalysen, Kontaktplatten und terstützung quantitative Aussagen über alle
GPS-Systeme). Vielfach kommen spezielle – Teilaspekte des motorischen Fähigkeitsniveaus
an Feldbedingungen und sportartspezifische in flächendeckend breiter Anwendung (z. B.
Anforderungen adaptierte – Messmethoden im Verein und an den Schulen) ermöglichen
zum Einsatz (z. B. der Feldstufentest, Inter- (Bös 1987). Für den schulischen Anwendungs-
vallsprinttests, akustisch gesteuerte Ausdauer- bereich hat sich in Deutschland der Deutsche
tests, sportartspezifische Tests wie z. B. zur Motorik-Test etabliert (Bös et al. 2009). Viele
Messung der Hantelgeschwindigkeit beim Ge- der dort verwendeten Testaufgaben sind der
wichtheben oder die Messung im Schwimm- Trainingsmethodik entnommen (z. B. Sit-up
kanal). als Trainingsform und Test gleichzeitig).
Feld
heterogene
Testbatte-
rie bzw.
Testprofile
Trai- Manuell Sportartspe- submaximal
nings-
wiss. Maßband, Stoppuhr) HFsubmax, v4, 12 RM)
•
VO2max max,: maximale Herzfrequenz; LAmax: maximale Laktatkonzen-
tration; vmax, = Maximalgeschwindigkeit; 1 RM: 1-Wiederholungsmaximum; N max: Maximalkraft; max:
maximale Winkelgeschwindigkeit, PWC 130: Power Work Capacity, Watt bei 130 HF; HFsubmax: submaximale
Herzfrequenz, v4: aerob-anaerobe Schwelle als Geschwindigkeit bei 4 mmol/l Blutlaktat; 12 RM: 12-Wie-
derholungsmaximum
platz unter Einbezug von Schlagsimulationen (ggf. mit Zusatzlast) bereits deutlich aussage-
und Side-Steps (Ferrauti et al. 2011). kräftiger. Die spezifische Kraftdiagnostik erfolgt
In gleicher Weise lässt sich diese Abstufung im Bundesverband Deutscher Gewichtheber in
zur Spezifität auch für die Schnelligkeits- und Leimen (BVDG) mithilfe eines vom Institut für
Kraftdiagnostik vornehmen. Exemplarisch sei angewandte Trainingswissenschaft (IAT) an der
hier die sportartspezifische Schnelligkeitsdiag- Trainingsstätte fest installierten kinematischen
3 nostik für den Bob- und Schlittensport er- Messplatzes, der die Geschwindigkeitsverläufe
wähnt (. Abb. 3.30). im sogenannten Langhantelzug-Test präzise
Im Bereich der Kraftdiagnostik wird ein und online erfasst (. Abb. 3.31).
Athlet im olympischen Gewichtheben mittels Eine weitere wichtige Klassifizierung von
einer isokinetischen Kraftdiagnostik im Labor Tests betrifft den notwendigen Grad der Aus-
zwar weitgehend standardisierte Informationen belastung bis zur Feststellung der Leistung
erhalten; diese besitzen jedoch nur einen gerin- (. Abb. 3.29). Nicht alle leistungsdiagnostischen
gen Aufklärungswert für seine Leistung im Rei- Verfahren erfordern eine maximale Ausbelas-
ßen oder Stoßen. Hier sind reaktive Sprungtests tung. Dies ist bedeutsam, da eine maximale Aus-
a b
.. Abb. 3.31 a Leistungszentrum des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber in Leimen (BVDG) und b
Einblick in die Software zur Erfassung der Geschwindigkeitsverläufe im Langhantelzug-Test
Leistungssteuerung
103 3
belastung einen erheblichen Grad an Ermüdung gebnisse in einer Testbatterie zu verwenden.
induziert, anschließend eine ausreichende Rege- Folglich wird in zwei Schritten zunächst durch
nerationszeit erfordert und daher den Trainings- Experten eine Auswahl von Einzeltests zusam-
prozess empfindlich stört. Auch eine unzurei- mengestellt und nach einer ausreichenden Da-
chende Belastbarkeit von Herz-Kreislauf-System tenerhebung in einem zweiten Schritt faktoren-
und Bewegungsapparat im Freizeit- und Ge- analytisch (konfirmatorische Faktorenanalyse)
sundheitssport sprechen gegen maximale Test- geprüft, welche der ausgewählten Tests der
anforderungen. Folglich sind solche Testver- Testbatterie das übergeordnete motorische
fahren charmant, die bereits bei submaximaler Konstrukt mit angemessener Genauigkeit ab-
Belastungsintensität mit hoher Genauigkeit auf bilden. Dabei wird auch die Frage geklärt, ob
die sportartspezifische Maximalleistung extra- eine Dimension unzureichend abgebildet ist
polieren können. Bei der Laktatleistungsdiag- und welche Tests aus Ökonomiegründen mög-
nostik existieren hierzu verschiedene Schwel- licherweise entfallen können (Bös 1987). Auf
lenmodelle, die die Leistung bei submaximaler diese Weise sind in den vergangenen zwei De-
Blutlaktatkonzentration berechnen bzw. ableiten kaden eine Vielzahl an Testbatterien auf der Ba-
(u. a. Heck et al. 1982). Im Rahmen der Fahrrad- sis sportmotorischer Tests speziell für das Kin-
ergometrie (Rost und Hollmann 1982) kann die des- und Jugendalter sowie den Schulsport
Wattleistung beim Erreichen einer festgelegten entstanden. Exemplarisch sind hier der Deut-
Herzfrequenz bestimmt (z. B. PWC 130) und im sche Motorik-Test für 6-18-Jährige (Bös et al.
Kraftsport kann evidenzbasiert und formelgelei- 2009) und der Eurofit-Test für 12–16-Jährige
tet von der Wiederholungszahl mit einem sub- (Van Mechelen et al. 1991) zu nennen.
maximalen Gewicht auf jenes Gewicht geschlos-
sen werden, das nur einmal vollständig bewegt
werden kann (1-Wiederholungsmaximum bzw. 3.4.2 Qualitätssicherung und
1 Repetition Maximum, 1 RM) (Brzycki 1993). Testgütekriterien
Als letzte Klassifizierungsebene kann zwi-
schen Einzeltests und Testbatterien unterschie- Grundsätzlich ist bei der Auswahl der Testver-
den werden (. Abb. 3.29). Ein Einzeltest ver- fahren sicherzustellen, dass die Testdurchfüh-
sucht ein Merkmal (z. B. Schnellkraftkraft der rung den gängigen Qualitätsmaßstäben ent-
Beinstrecker) durch einen Test (z. B. Standweit- spricht und dass die Verfahren die klassischen
sprung) abzubilden. Eine homogene Testbatte- Testgütekriterien erfüllen. Die Deutsche Ver-
rie wiederum widmet sich diesem einen Merk- einigung für Sportwissenschaft (dvs) plant zur
mal mit mehreren Tests (z. B. Standweitsprung, Sicherstellung und Vereinheitlichung von leis-
Jump-and-Reach und Dreierhopp). Heterogene tungsdiagnostischen Verfahren die Einrich-
Testbatterien bündeln mehrere unterschiedli- tung eines Testkuratoriums.
che Einzeltests mit möglichst geringer inhaltli-
cher Überschneidung in einen systematischen zz Allgemeine Qualitätskriterien
Ablauf, um ein relevantes komplexes motori- 55 Alle gemäß einer vorliegenden Checkliste
sches Konstrukt zu erfassen (z. B. die Gesamt- notwendigen Testmaterialien und Proto-
heit aller konditionellen Leistungskomponen- kolle (z. B. persönliche Daten, Messergeb-
ten). Roth (2002) spricht in diesem Fall von nisse, Ernährungsdokumentation,
einem Testprofil. Die Zusammenstellung hete- Umgebungsbedingungen) sind funktions-
rogener Testbatterien wird im einfachsten Fall fähig und verfügbar.
auf der Basis von Expertenwissen, gewöhnlich 55 Die beteiligten Testleiter sind über den
jedoch nach statistischen Ordnungskriterien Ablauf informiert und können die
erfolgen. Aus Gründen der Testökononomie Testpersonen adäquat instruieren. Hierzu
macht es normalerweise wenig Sinn, zwei Tests liegen altersangemessene schriftliche
mit sehr hoher Übereinstimmung der Tester- Probandeninformationen vor. Bei Ausbe-
104 A. Ferrauti et al.
.. Abb. 3.33 Zwei Beispiele von Testverfahren mit einer komplexen Testbatterie für den Fußballtorhüter
höherer Validität und geringerer Reliabilität (oben: (Ferrauti et al. 2009). Das Expertenurteil zur Validität
Passgenauigkeit) sowie mit geringerer Validität und basiert auf der Einschätzung von Bundesligatrainern
höherer Reliabilität (unten: Schussgeschwindigkeit) aus (1 = sehr hohe Relevanz, 5 = sehr geringe Relevanz)
der dazugehörige absolute Standardmessfehler der zwei Messwertreihen verwendet. Dies sind
(Typical Error of Measurement, TE), der di- bei metrischen Variablen üblicherweise der
rekt aus der Standardabweichung der indivi- Pearson-Korrelationskoeffizient (r) oder der In-
duellen absoluten Messwertdifferenzen geteilt traklassen-Korrelationskoeffizient (Intra-Class
durch deren Quadratwurzel berechnet wird Correlation, ICC) als dimensionslose Größe
SDdiff zwischen zwei intervallskalierten Merkmalen.
Standardmessfehler = . Die Koeffizienten (r) können Werte innerhalb
2 des Intervalls –1,0 ≤ r ≤ +1,0 annehmen (At-
TE kann auch als prozentualer Variations- kinson und Nevill 1998). Neben den genann-
koeffizient (Coefficient of Variation, CV) dar- ten Indizes werden auch die Konfidenzinter-
gestellt werden (Pyne 2013). Selbstverständlich valle und die Limits of Agreement (LOA)
sollten TE bzw. CV bei guter Reliabilität mög- angegeben und grafisch mittels sogenannter
lichst gering sein. Bland-Altman-Diagramme dargestellt (Bland
Zusätzlich werden Koeffizienten als Aus- und Altman 1986; . Abb. 3.34).
druck für den statistischen Zusammenhang
Während der Pearson-Korrelationskoeffizient nur den relationskoeffizient würde hingegen einen bei allen
relativen Zusammenhang zweier Messreihen x und y Probanden existierenden identischen Lerneffekt
abbildet, entsprechend der Beziehungen y = x + b (y = x + b) ignorieren und mit einem hohen Zusam-
bzw. y = mx, reagiert der ICC auch auf absolute menhang (z. B. r = 1,0) reagieren. Zur graduellen
Veränderungen, indem er beide Datenreihen „poolt“ Beurteilung der Zusammenhangsmaße existieren
und die Beziehung y = x prüft. Letzteres ist für den verschiedene Abstufungen (z. B. 0,00–0,39 = geringer
Nachweis der Test-Retest-Reliabilität ein wesentlich Zusammenhang; 0,40–0,59 = mittlerer Zusammen-
wertvolleres Maß. Dies liegt daran, dass ein zuverlässi- hang; 0,60–0,74 = guter Zusammenhang; 0,75–1,00 =
ger Test bei Testwiederholung im Idealfall zu exakt sehr enger Zusammenhang). Weitere sehr differen-
identischen Testergebnissen führt. Der Pearson-Kor- ziertere Vorschläge hierzu liefert Hopkins (2015).
Leistungssteuerung
107 3
Reaction/Action-Speed-Torhütertest
a Torecke oben links b
0,2
+1,96 SD
0,1 0,12
Test -Retest (s)
Mean
0,0
0,01
–0,1 –1,96 SD
–0,11
–0,2
1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9
Mittelwerte aus Test und Retest (s)
.. Abb. 3.34 a Bland-Altman-Plot mit den aufgetragen, auf der y-Achse die individuellen
Test-Retest-Ergebnissen zur Handlungsschnelligkeit Differenzen bei der Testwiederholung. Der ICC
des Fußballtorhüters. b Ein Nachwuchstorhüter von beträgt 0,910. Die Leistung nimmt bei Testwiederho-
Borussia Dortmund bei der Testausführung. Auf der lung um 0,01 s zu, und alle Einzelwerte befinden sich
x-Achse sind die Mittelwerte aus Test und Retest innerhalb der LOA (nach Knoop et al. 2013)
Bei der Entwicklung von Testverfahren zur Erfassung oder orange. Aus Sicht der Torschussspiele wäre eine
der Wurf-, Schuss- oder Schlagpräzision stellt sich stets solche Bewertung (z. B. Messung der Distanzabwei-
die Frage, wie die Leistung sinnvoll operationalisiert chung zum Optimum) jedoch nicht valide, wenn als
werden kann. Im einfachsten Fall werden Zielsektoren Außenkriterium für Wurf-, Schuss- oder Schlagpräzision
verwendet, die entsprechend einer Zielscheibe aus der Einfluss auf den Spielerfolg definiert wird (externe
konzentrischen Kreisen bestehen (. Abb. 3.35). oder ökologische Validität).
Andererseits passen sich quadratische Zielsektoren
besser den linearen Grenzbereichen von Toren oder
Spielfeldern an. Bei einem quadratischen Zielfeld 1
3
würden der orangefarbene Treffer und der gelbe Treffer 10
identisch beurteilt, obwohl der gelbe Treffer eine
geringere Entfernung zum definierten Mittelpunkt
aufweist. Folglich wäre der Kreis als Zielfläche das
validere Verfahren. Nun ist das Tor als regelbedingtes
Ziel jedoch bekanntermaßen eckig, und niemand wird
bestreiten, dass der rote Treffer ein Optimum darstellt.
Wie sollte jedoch der lilafarbene Treffer im Vergleich .. Abb. 3.35 Ideen zur validen Messung der
zum gelben Treffer beurteilt werden? Objektiv beurteilt Wurf-, Schuss- und Schlagpräzision in den
ist lila sicherlich die bessere Präzisionsleistung als gelb Torschussspielen
108 A. Ferrauti et al.
Im Idealfall existieren sogenannte „Goldstan- bedingt durch die Frequenz bei der Messwert-
dards“ als Außenkriterium für eine Validitäts- aufnahme in Hz). Das Ausmaß des Messfeh-
prüfung (Kriteriumsvalidität). Häufig werden lers kann zwischen den Verfahren erheblich
hierbei physiologische Parameter verwendet differieren und durch den prozentualen Varia-
(z. B. die Herzfrequenz bei der Validierung tionskoeffizienten (CV) ausgedrückt werden.
der RPE-Skala). Mittels bivariater Regression Ein relevanter Interventionseffekt muss somit
3 lässt sich die Stärke des Zusammenhangs zwi- stets in Abhängigkeit vom „Hintergrundrau-
schen der Testleistung und dem Außenkrite- schen“ des Messfehlers (Noise) beurteilt wer-
rium als Validitätskoeffizient berechnen den.
(Hopkins 2015). Fehlen geeignete Goldstan- Auch die sportpraktische Relevanz einer
dards, dann kann das repräsentative Exper- interventionsbedingten Messwertverände-
tenurteil einer sinnvoll ausgewählten Stich- rung ist zu berücksichtigen. Hochauflösende
probe als ein Außenkriterium verwendet Verfahren mit geringem Rauschen liefern
werden (. Abb. 3.33). möglicherweise Effekte auf einem nur mikro-
Neben der Kriteriumsvalidität unterschei- skopisch sichtbaren Niveau, die im sportli-
det man unter anderem die Inhaltsvalidität chen Wettkampf keine nennenswerte Leis-
(auch logische oder triviale Validität), wenn das tungsverbesserung gegenüber der Konkurrenz
Messverfahren unmittelbar das zu erfassende ermöglichen. Der Australier Will Hopkins
Merkmal abbildet (z. B. Bestimmung der Kör- führte die Beurteilungsskalierung des „Smal-
pergröße in cm mittels mechanischem Mess- lest Worthwhile Change“ ein (Hopkins et al.
stab) und die Konstruktvalidität (Beziehung 1999). Die Festlegung dieser Relevanzschwelle
der Testleistung zu einem komplexen Konst- kann z. B. in Text Anlehnung an Bestenlisten
rukt mehrerer Eigenschaftsdimensionen). mittels Experten erfolgen oder statistisch be-
rechnet werden.
zz Messfehler und Smallest Worthwhile Vereinbarungsgemäß beträgt die geringste
Change Veränderung von sportpraktischer Relevanz
Bei der Interpretation von leistungsdiagnos- mindestens ein Drittel (33 %) des individuellen
tischen Befunden ist stets der Messfehler des Wettkampf-zu-Wettkampf-CV in Individual-
Verfahrens bei einer Test-Retest-Anwendung sportarten. Eine andere stufenweise Effektbe-
zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem dann, schreibung orientiert sich an der Standardab-
wenn zwischen zwei Messzeitpunkten eine weichung der getesteten Stichprobe. Eine
Intervention (z. B. ein Schnellkrafttraining) Test-Retest-Veränderung von Faktor 0,2 der
stattgefunden hat und die Veränderungen der Standardabweichung kann als Smallest Wor-
Retest-Ergebnisse auf die Intervention zurück- thwhile Change definiert werden, sofern keine
geführt werden sollen. Die Ursache für den anderen theoretischen und evidenzbasierten
Messfehler besteht u. a. in der biologischen Grenzwerte verfügbar sind. Entsprechend ab-
Spontanvariabilität des Menschen, kann aber gestuft werden moderate (Faktor 0,6), große
auch auf eine unzureichende Messgenauigkeit (Faktor 1,2) und sehr große Effekte (Faktor
des Verfahrens zurückgeführt werden (z. B. 2,0) unterschieden.
Leistungssteuerung
109 3
Beispiel: Einfluss aktiver Erholung auf die Sprungkraft der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft
Die Spieler der deutschen Volleyball-Nationalmann- Ermüdungs- oder Interventionseffekten wäre nach
schaft der Männer (. Abb. 3.36) erzielten im Hopkins et al. (1999) eine Veränderung um 1,6 cm
Eingangstest im Mittel eine Sprunghöhe von (Faktor 0,2 der Standardabweichung). Ab 4,8 cm
48 ± 8 cm im Counter Movement Jump (ohne würde von einem moderaten Effekt, ab 9,6 cm von
Armeinsatz). An drei aufeinanderfolgenden Tagen einem großen Effekt gesprochen. Die Sprungleistun-
absolvierten die Spieler jeweils ein Länderspiel gen nahmen in unserer Untersuchung um ca. 4 cm
gegen Belgien. Überprüft wurde der Einfluss dieser ab; unabhängig davon, ob jeweils nach Spielende
Turnierbelastung sowie von aktiven Erholungsmaß- eine aktive Erholungsintervention verabreicht wurde.
nahmen direkt nach Spielende auf die Sprungkraft Es kann folglich von einem annähernd moderaten
der Spieler. Die unterste Relevanzschwelle von Ermüdungseffekt gesprochen werden (. Abb. 3.37).
.. Abb. 3.36 Die deutsche Volleyball-Nationalmannschaft zusammen mit dem Untersuchungsteam der
Bochumer Trainingswissenschaft
Deutscher Volleyball-Verband (n = 8)
CMJ
70
Messs p < 0,01** aktiv (nn = 8)
Int p = 0,07 passiv
60 Messs x Int p = 0,10
CMJ (cm)
50 –4,4 cm
40
–3,2 cm
30 Spiel 1 Spiel 2 Spiel 3
ET Pre Match 1 Post Reg Pre Match 2 Post Reg Pre Match 3 Post Reg AT
.. Abb. 3.37 Untersuchungen mit der deutschen gegen die Nationalmannschaft von Belgien) um
Volleyball-Nationalmannschaft im Rahmen des ca. 3–4 cm ab (moderater Effekt); unabhängig
Projekts „Regenerationsmanagement im Spitzen- davon, ob eine aktive Erholungsintervention jeweils
sport“ (REGman). Die Sprungleistungen nahmen im nach Spielende verabreicht wurde
Verlauf von drei Wettkampftagen (Trainingsspiele
110 A. Ferrauti et al.
Der Prozentrang (Perzentil) bringt die relative darin, dass der Perzentilwert als Leistungsindikator
Position eines Messwertes innerhalb der Stich- für den Laien unmittelbar transparent ist.
probe zum Ausdruck. Das Perzentil einer Stich- Die z-Transformation basiert auf dem arithmeti-
probe xp ist der Messwert, unter dem p Prozent der schen Mittelwert und der Standardabweichung
Werte in der Stichprobe liegen. Beispielsweise einer Stichprobe. Die z-Werte erhält man, indem
bezeichnet x30% den Wert, unterhalb dem 30 % der man die Abweichung vom arithmetischen Mittel
Stichprobe liegen, und x50% den Wert, unterhalb an der Standardabweichung relativiert. Man
dem 50 % der Stichprobe liegen. Insofern berechnet also:
entspricht x50% dem Median und ist ein durch- x-x
z=
schnittliches Ergebnis. Die Perzentile x10%, x20% bis s
x90% werden auch Dezile, die Perzentile x20%, x40% Beispiel: Die durchschnittliche Körpergröße von
x60% und x80% Quintile und die Perzentile x25% x50% Handballspielern beträgt 190 cm und die
und x75% Quartile genannt. Problematisch ist die Standardabweichung 10 cm. Der Rückraumspieler
Festlegung der Grenzwerte, wenn sich die Anzahl misst 200 cm. Für ihn ergibt sich ein z-Wert von 1,0.
der Stichprobe nicht in gleichmäßige Teilab- Dies bedeutet, dass sein Rohwert den Mittelwert
schnitte aufteilen lässt. Hilfreich ist hier eine um die Länge einer Standardabweichung
„lineare Interpolation“, sodass Perzentile für übersteigt. Ein z-Wert von 0,0 entspricht der
beliebige Prozentanteile bestimmt werden können durchschnittlichen Körpergröße. Ein negativer
(Bortz und Schuster 2010). Individuelle Testunter- z-Wert zeigt einen unterdurchschnittlichen
schiede im mittleren Bereich werden durch Rohwert an. Folglich besitzen z-Werte nicht mehr
Prozentränge verstärkt, jene im Randbereich eher die Einheiten der Rohwerte. Aus unterschiedlichen
nivelliert (Lienert und Raatz 1989). Der große Zahlendimensionen und Maßeinheiten resultieren
Vorteil gegenüber der z-Skalierung besteht jedoch dimensionslose Zahlen (Bortz und Schuster 2010).
112 A. Ferrauti et al.
ningszielen liefern die Normwerte jedoch wert- SWS (cm) 289 184 18 251 200 190 180 170 135
volle Orientierungen. Selbstverständlich geht es BP (m) 288 9.90 1.01 12.80 10.70 10.14 9.60 9.00 7.10
malwert anzustreben. Eine Centerspielerin mit MFT (level) 273 8.7 1.5 12.7 10.0 9.2 8.4 7.5 4.9
190 cm Körperhöhe kann und muss nicht unter U16W N MW SD BEST 80% 60% 40% 20% 0%
3,2 s im 20-m-Sprint erzielen. Vielmehr ist in Ab- KH (cm) 187 175 8 194 181 176 172 168 155
hängigkeit von den individuellen Istwerten, den 20m-Sprint (s) 175 3.48 0.17 3.08 3.33 3.42 3.52 3.62 4.03
Anforderungen an die Spielposition und einer PSOB (s) 183 5.46 0.23 4.93 5.26 5.40 5.48 5.63 6.30
Trainingsaufwand-Trainingsnutzen-Abwägung PSMB (s) 181 5.72 0.28 5.04 5.47 5.66 5.78 5.96 6.96
im Sinne einfacher Heuristiken unter Einbezug J&R (cm) 183 38 6 55 43 40 37 32 23
der sportpraktischen Expertise ein individuell SWS (cm) 182 188 17 230 205 194 185 170 140
maßgeschneidertes Trainingsprogramm festzu- BP (m) 185 10.56 1.17 13.50 11.60 10.80 10.24 9.60 7.50
legen (7 Abschn. 3.5). HDW (Punkte) 177 29 4 41 32 31 29 26 19
MFT (level) 163 9.0 1.5 13.5 10.5 9.4 8.6 7.6 4.3
Leistungssteuerung
113 3
Die folgenden Unterkapitel können je- gigen Leistungsgrößen (z. B. die relative maxi-
weils nur einen kleinen Ausschnitt aus der male Sauerstoffaufnahme oder die relative Ma-
Vielzahl leistungsdiagnostischer Verfahren ximalkraft) unabdingbar. Letztere liefern je
bzw. sportmotorischer Tests abbilden. Es wer- nach Anforderungsprofil der Sportarten die
den vorrangig jene Verfahren aufgelistet und wesentlich validere Beurteilungsgröße als ab-
im weiteren Verlauf näher beschrieben, die in solute Leistungsgrößen. Auch die solide Inter-
der eigenen Arbeitsgruppe regelmäßig als pretation von Veränderungen absoluter Leis-
Standardverfahren eingesetzt werden. Die tungsgrößen durch Training oder durch andere
meisten dieser Verfahren werden ggf. mit ge- Interventionen (z. B. Ernährungsmodifika-
ringen Abweichungen im Testverlauf und bei tion) kann nur unter Einbezug der Entwick-
der Messwerterfassung auch in anderen nati- lung des Körpergewichts erfolgen. Verschie-
onalen oder internationalen trainingswissen- dentlich wird zusätzlich eine Relativierung der
schaftlichen Einrichtungen verwendet. Die Leistung zur fettfreien Körpermasse (FFM)
Darstellung erfolgt aufgeteilt nach den primä- vorgenommen (Lean Body Mass, LBM). In
ren Testzielen und in Unterkapiteln getrennt diesem Fall muss auch eine Messung der Kör-
zunächst in einer tabellarischen Übersicht perkomposition zur Quantifizierung des An-
und anschließend mit detaillierten Durchfüh- teils verschiedener Kompartimente und Gewe-
rungshinweisen für einige ausgewählte Test- beanteile (z. B. Muskelzellmasse, Fettmasse
verfahren. Die folgenden primären Testziele und Gesamtkörperwasser) mit in die Ein-
werden unterschieden: gangsdiagnostik einbezogen werden. Hierzu
55 Diagnostik von Anthropometrie, Reife- stehen unterschiedliche Verfahren zur Verfü-
grad und Körperkomposition gung (. Tab. 3.4).
55 Kraftdiagnostik und Muskelfunktion Neben den klassischen und unverzichtbaren
55 Schnelligkeitsdiagnostik Körpermaßen wie Körperlänge und Körperge-
55 Beweglichkeitsdiagnostik wicht und dem daraus berechneten BMI werden
55 Ausdauerdiagnostik (anaerob und aerob) weitere mittels Maßband oder Zollstock einfach
sportartspezifische Leistungsdiagnostik zu erhebende Parameter bestimmt bzw. aus den
Primärgrößen berechnet (5 mm Messgenauig-
keit). Hierzu zählen unter anderem Beinlänge,
3.4.4 Diagnostik von Armspannweite, Sitzgröße, Hüftumfang, Taillen-
Anthropometrie und umfang, Brustumfang, Halsumfang, Oberarm-
Reifegrad und Oberschenkelumfang, das Taille-Hüft-Ver-
hältnis und das Taille-Größen-Verhältnis. Aus
Anthropometrische Daten liefern einen unver- präventivmedizinischer Sicht kommen dem BMI
zichtbaren Bezugsrahmen für die Ergebnisse und den Taillen-Verhältnissen, aber auch dem
der Leistungsdiagnostik und werden üblicher- Halsumfang im Zusammenhang mit der Inzi-
weise begleitend zu allen Testverfahren im denz von Zivilisationserkrankungen wie der Ar-
Rahmen der Eingangsdiagnostik erhoben und teriosklerose oder dem Typ-II-Diabetes eine do-
im Testprotokoll vermerkt. Die verwendeten minante Rolle als Surrogat-Parameter zu (Qiao
Parameter unterscheiden sich je nach Frage- und Nyamdorj 2010; Seidell 2010). Oberarm-
stellung und Stichprobe. Als Parameter der und Oberschenkelumfänge können im leistungs-
ersten Wahl gelten das Alter, die Körperlänge orientierten Kraftsport als begleitende Parameter
und das Körpergewicht des Probanden, aus zum Nachweis einer Muskelhypertrophie erho-
denen auch der Body-Mass-Index (BMI) be- ben werden.
rechnet werden kann (BMI = Körpergewicht/ Leistungsdiagnostische Untersuchungen
Körperlänge in m2). Die präzise Messung des im Kindes- und Jugendalter sollten bei der an-
Körpergewichts (100 g Messgenauigkeit) ist thropometrischen Eingangsuntersuchung stets
zur Relativierung aller körpergewichtsabhän- begleitend auch Körperlänge, Beinlänge, Sitz-
114 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 3.4 Ausgewählte Verfahren zur Diagnostik von Anthropometrie, Reifegrad und Körperkomposi-
tion in der Übersicht
größe und das chronologische Alter erheben. indirekten Bestimmung basiert auf dem chro-
Aus diesen Prädiktoren und der zugrundelie- nologisch disproportionalen Wachstum von
genden mathematischen Beziehung kann mit Extremitätenlänge und Rumpf. Die berechnete
guter Vorhersagequalität das biologische Alter Differenzzeit zum APHV kann nun in einem
der Probanden berechnet werden (Mirwald Folgeschritt zur biologischen Durchschnitts-
et al. 2002). Das biologische Alter ist hier defi- reife chronologisch Gleichaltriger relativiert
niert als die Zeit in Jahren bis bzw. nach Errei- werden. Ergibt sich ein hier Unterschied von
chen des schnellsten Längenwachstums (Age über einem Jahr, dann spricht man von einem
of Peak Height Velocity, APHV). Das APHV frühentwickelten bzw. akzelerierten (BA –
wird mit dem Höhepunkt der Pubertät gleich- CA > + 1) oder von einem spätentwickelten
gesetzt. Die theoretische Fundierung dieser bzw. retardierten Kind (BA – CA < –1).
Die Entwicklung der Gleichungen basiert auf prozeduren werden von Mirwald et al. (2002)
mehreren Längsschnittstudien mit 200 Jungen im empfohlen:
Alter zwischen elf und 16 Jahren (1680 Einzelmes- Mädchen: ΔAPHV = –9,376 + (0,0001882 × Bein-
sungen) und 161 Mädchen im Alter zwischen länge × Sitzgröße) + (–0,0022 × chronol. Alter × Bein-
zehn und 15 Jahren (1202 Einzelmessungen). länge) + (0,005841 × chronol. Alter × Sitzgröße) –
Außenkriterium war jeweils das real bestimmte (0,002658 × chronol.
APHV, das retrospektiv mit den real bestimmten Alter × Körpergewicht) + 0,07693 + Körpergewicht/
Körpermassenrelationen vor und nach Erreichen Körperlänge + 100)
des APHV in Beziehung gesetzt wurde. Die Jungen: ΔAPHV = –9,236 + (0,0002708 × Bein-
Vorhersagegenauigkeit der daraus bestimmten länge × Sitzgröße) + (–0,001663 × chronol.
Gleichungen betrug bei den Jungen r = 0,94, Alter × Beinlänge) + (0,007216 × chronol.
r2 = 0,891 und bei den Mädchen r = 0,94, Alter × Sitzgröße) + (0,02292 × Körpergewicht/
r2 = 0,890. Die folgenden Formeln bzw. Rechen- Körperlänge + 100)
Leistungssteuerung
115 3
a b
.. Abb. 3.41 Befundbogen zur Bioimpedanzanalyse einer untrainierten 28-jährigen Besucherin eines
Fitnessstudios (7 https://www.inbody.de)
Isoinertiale Kraftdiagnostik maximal schnelle Testgeräte mit Seilzug Power (W), Geschwin-
Beispiele: dynamische-konz. und Beschleuni- digkeit (m/s),
- Seilzug (. Abb. 3.44) sportartspez. Bewegun- gungsaufnehmern Beschleunigung (m/s)
- Fly Wheel (. Abb. 3.44) gen gegen konstanten (Power Encoder) - Peakwert
- Wurf-/Sprungtests Widerstand - Mittelwert
Sprungkraftdiagnostik vertikale und horizon- Kraftmessplatte, Kon- Kraft- (N), Zeitverläufe (s),
Beispiele: tale Schnell- und taktplatte oder opti- Flugzeit (ms), Sprung-
- Squat Jump Reaktivkraft der sche Messverfahren höhe (cm), Sprungweite
- Counter Movement unteren Extremität (je nach Bestim- (cm), Bodenkontakt
Jump (. Abb. 3.46) sowie Sprungeffizienz mungsverfahren und (ms), Reaktivitätsindex,
- Repetitive-CMJ Messgenauigkeit) RSI (Flugzeit/Bodenkon-
- Drop Jump (. Abb. 3.47) Maßband, Kreide bei takt), oder Sprungeffi-
- Multiple Rebound Jump Jump-and-Reach-Test zienz, EKA (Flugzeit2/
- Jump-and-Reach-Test und Standweitsprung Bodenkontakt)
- Standweitsprung
.. Abb. 3.42 Isometrische Kraftdiagnostik mit einer .. Abb. 3.43 Isokinetische Kraftdiagnostik mit einem
Athletin bei der Halbkniebeuge an einer mit Kraftauf- Athleten bei der Knieextension mit dem IsoMed 2000
nehmern ausgestatteten Multipresse
person qualifiziert diese Methode bei guter bis Validitätsproblem. Die maximalen Winkel-
sehr guter Reliabilität auch zum Einsatz mit geschwindigkeiten im Bereich von Schulter-
Patienten in der Rehabilitation nach Sport- oder Kniegelenk sind im Sport deutlich höher
verletzungen (Freiwald und Greiwing 2016). als sie in einer isokinetischen Diagnose- und
Aufgrund der hohen Anschaffungskosten für Trainingsstation simuliert werden können
ein isokinetisches Kraftmessgerät wird diese (Freiwald und Greiwing 2016). Ferner laufen
3 Messmethode jedoch nur von gut ausgestatte- die Bewegungsabläufe gewöhnlich mehrge-
ten diagnostischen Einrichtungen und Reha- lenkig und dynamisch-reaktiv mit wechseln-
kliniken durchgeführt. Für die leistungssport- den Winkelgeschwindigkeiten im Verlauf der
liche Kraftdiagnostik ergibt sich allerdings ein Bewegungsamplitude ab.
Während der isometrischen und auch isokineti- Stimulation des Muskelbauchs oder des entspre-
schen Kraftdiagnostik besteht durch eine externe chenden motorischen Nervs, wodurch ein
elektrische Muskelstimulation die Möglichkeit, die zusätzlicher Impuls bzw. Twitch auf die willkürlich
Kontraktionskraft über das willentlich mögliche generierte Kraftentfaltung des Muskels gelegt
Ausmaß hinaus (Maximalkraft) zu steigern. Die wird. Die Twitch-Interpolationstechnik ist u. a. ein
dadurch kurzfristig erreichte Kraftspitze (Absolut- Verfahren zur objektiven Erfassung des Grads der
kraft) sowie die Differenz zwischen Maximalkraft willkürlichen Aktivierung bzw. Rekrutierung
und Absolutkraft (Kraftdefizit) besitzen für die motorischer Einheiten während einer Maximalkon-
biomechanische Diagnostik eine zusätzliche traktion und ermöglicht somit eine differenzierte
Aussagekraft. Hierzu erfolgt nach Erreichen des Beurteilung zentral und peripher induzierter
isometrischen Maximalkraftplateaus mittels Ermüdungseffekte (McKenzie et al. 1992; Millet
Oberflächenelektroden eine perkutane elektrische et al. 2011).
a b
.. Abb. 3.44 a Exzentrisch akzentuiertes Flywheel und b luftdruckgesteuertes Seilzugsystem mit Powermeter
zur isoinertialen Kraftdiagnostik (7 https://doi.org/10.1007/000-04k)
.. Tab. 3.6 Berechnung des einmaligen Wiederholungsmaximums aus einer submaximalen Gewichts-
last (W) und deren maximal möglicher Wiederholungszahl (R) mittels verschiedener aus der Literatur
entnommener Funktionsgleichungen (Beispiel: W = 60 kg; nach Mayhew et al. 2004)
3 Adams (1998)
Brown (1992)
1-RM = w / (1– 0.02 x R)
1-RM = (R x 0.0328 + 0.9849) x W
66,6
68,9
75,0
78,8
85,7
88,6
Brzycki (1993) 1-RM = W / (1.0278 – 0.0278 x R) 67,5 80,0 98,2
Welday(1988) 1-RM = (0.033 x R) x R +W 69,9 79,8 89,7
Lander (1985) 1-RM = W / (1.013 – 0.0267123 x R) 68,2 80,4 98,0
Lombardi (1989) 1-RM = R 0.1 x W 70,5 75,5 78,7
Mayhew et al. (2004) 1-RM = W / (0.522 + 0.419e )
–0.055 x R 71,4 78,6 85,0
O’Connor et al. (1989) 1-RM = W x (1+ 0.025 x R) 67,5 75,0 82,5
Wathen (1994) 1-RM = W / (0.488 + 0.538 e–0.075 x R) 69,9 80,8 90,5
Mittelwert 68,9 78,2 88,5
Standardabweichung 1,5 2,3 6,2
(horizontale Sprungleistung) und der Jump- Als Sprungformen werden der Counter
and-Reach-Test (vertikale Sprungleistung) be- Movement Jump (CMJ), der Squat Jump
währt. Sportartübergreifend ist der Standweit- (SJ), der Drop Jump (DJ) und verschiedene
sprung aufgrund seiner höheren Praktikabilität Sprungwiederholungstests wie der Repeti-
und Reliabilität ein geeignetes Verfahren. tive Counter Movement Jump (R-CMJ) oder
Sprungfolgen (z. B. der Dreierhopp) sind au- der Multiple Rebound Jump (MRJ) unter-
ßerhalb der Leichtathletik für viele Athleten schieden. Ihre Resultate korrelieren nicht
koordinativ zu anspruchsvoll und senken da- vollständig, da die Testleistungen je nach
durch die Reliabilität. Ausführung auf unterschiedlichen (neuro)
Apparative Sprungkrafttests nutzen in der muskulären und teilweise metabolischen Vo-
biomechanischen Labordiagnostik fest instal- raussetzungen basieren.
lierte Kraftmessplatten und leiten hiermit dif- Der CMJ beginnt beispielsweise mit einer
ferenzierte Befunde zu Höhe und zeitlichem abwärts gerichteten Auftaktbewegung, sodass
Verlauf der Kraftentwicklung bei Absprung im Übergang von der exzentrischen zur kon-
und Landung ab. Die stationäre Gebundenheit zentrischen Bewegungsphase durch den (hier
dieser Messmethode lässt eine flächende- meist langsamen) Dehnungs-Verkürzungszyk-
ckende Verbreitung in der Praxis bislang nicht lus eine höhere Energie erzeugt werden kann
zu. Demgegenüber existieren einfache soft- und dadurch höhere Sprunghöhen möglich
waregesteuerte optische oder mechanische sind als beim SJ aus der tiefen Kauerstellung.
Systeme, die nur den zeitlichen Verlauf von Bezogen auf die Erscheinungsformen der Kraft
Bodenkontakt und Flugphase ermitteln und wird mittels SJ demnach die reine Schnellkraft
daraus mittels des Flugzeitverfahrens die und mittels des CMJ zusätzlich die Reaktivkraft
Sprunghöhe für verschiedene Ausführungsfor- gemessen. Beim R-CMJ werden im Gegensatz
men berechnen. zum einmaligen CMJ mehrere Sprünge un-
Leistungssteuerung
123 3
rechnet. Hierbei fließt die Bodenkontaktzeit
.. Tab. 3.7 Zusammenhang zwischen
Wiederholungszahl (WDH-Zahl) und prozentua-
(Zeit nach der Landung bis zum erneuten
ler Auslastung des 1 RM (Brzycki 1993) Absprung) ein. Das Testziel besteht darin,
aus einer möglichst kurzen Kontaktzeit eine
WDH-Zahl % von 1 RM möglichst hohe Sprunghöhe zu erreichen.
Beide Größen werden zu verschiedenen Re-
20 47,18
aktivkraftindizes verrechnet (. Tab. 3.5).
19 49,96 Dieser interessante Ansatz birgt in der Praxis
18 52,74 jedoch die Gefahr der Verunsicherung, da
die Testpersonen im Zwiespalt zwischen kur-
17 55,52 zer Kontaktzeit und Sprunghöhe das genaue
16 58,30 Testziel zu Recht hinterfragen. Die daraus
resultierende Unzuverlässigkeit des Ergeb-
15 61,08
nisses (geringere Reliabilität) kann verbes-
14 63,86 sert werden, wenn wie beim MRJ mehrere
13 66,64 reaktive Sprünge mit kurzer Kontaktzeit hin-
tereinander gereiht werden und ein Mittel-
12 69,42
wert über mehrere (5-10) Sprünge berechnet
11 72,20 wird.
10 74,98
zz Wurfkraftdiagnostik
9 77,76 Zur Wurfkraftdiagnostik existieren internati-
8 80,54 onal keine einheitlich etablierten Testverfah-
ren. Apparativ kann aus der isokinetischen
7 83,32
Kraftdiagnostik der Innenrotatoren des Schul-
6 86,10 tergelenks bei möglichst hoher Winkelge-
5 88,10 schwindigkeit auf die Wurfkraft geschlossen
werden (Achtung: geringe Validität). Die Mes-
4 91,66 sung der isoinertialen Power mittels eines in
3 94,44 Wurf- oder Schlaghöhe fixierten Seilzugs
(. Abb. 3.44) steigert die Validität bei absin-
2 97,22
kender Reliabilität. Unter Feldtestbedingun-
1 100,00 gen bleibt zur Wurfkraftdiagnostik nur die
Messung von Wurfweite und Wurfgeschwin-
digkeit durch Radarmessung. Als einfacher
mittelbar aneinandergereiht (Testdauer z. B. sportmotorischer Test kann der Medizinball-
10–15 s), sodass die Schnellkraftausdauer hier wurf bzw. bei Kindern der Schlagballweitwurf
zusätzlich von Bedeutung ist (Markovic et al. empfohlen werden. Würfe können in unter-
2004). schiedlichen Ausführungsvarianten (über
Für den DJ sowie den MRJ werden neben Kopf oder seitwärts) und mit unterschiedli-
der Sprunghöhe verschiedene neuromusku- chen Gewichten (1, 2 oder 3 kg Ball) erfolgen
lär interessante Parameter ermittelt bzw. be- (s. . Abb. 3.48).
124 A. Ferrauti et al.
schenzeiten sind je nach Testziel und sport- heitstest komplexer. Dabei können sowohl
artspezifischem Belastungsprofil auszuwählen „scharfe“ (z. B. 180 Grad) als auch „weiche“
(z. B. im Badminton 10 m, im Handball 20 m, (z. B. 90 Grad) Richtungswechsel eingebaut
im Fußball 30–40 m). werden. Gewandtheitstests können mehrere
Richtungsänderungen in unterschiedlichen
zz Richtungswechselsprinttest Winkeln sowie mit variierenden Distanzen be-
3 Mithilfe eines Richtungswechselsprinttests wird inhalten, sodass die koordinativen Anforde-
die meist sportspielspezifische Antritts- und rungen steigen. Dadurch sinkt allerdings die
Beschleunigungsfähigkeit sowie die Richtungs- Reliabilität des Testergebnisses. Etablierte
wechselsprintfähigkeit bei einem oder zwei Tests sind der L-Run-Test, der T-Test
i. d. R. 180-Grad-Richtungswechseln erfasst. (. Abb. 3.51) oder der Illinois-Agility-Test
Wie beim Linearsprinttest erfolgt der Start (Gabbett und Sheppard 2013; Nimphius 2014).
meist ohne Kommando aus einer aufrechten Im Gegensatz zum reinen Gewandheitstest
eher seitlichen Schrittstellung heraus. Beim muss nach aktueller Definition bei einem
Zurücklegen der definierten Sprintstrecke „Agility-Test“ zusätzlich die Wahrnehmungs-
werden mittels Lichtschranken die Endzeiten schnelligkeit (Reaktion und ggf. Antizipation)
sowie wenn möglich die isolierten Richtungs- Bestandteil der Testanforderung sein.
wechselzeiten registriert. Zur Ermittlung der
isolierten Richtungswechselzeiten muss eine zz Wurf-, Schlag- und Schussschnelligkeit
Lichtschranke im kurzen Abstand (z. B. 1–2 m) Die azyklische Bewegungsschnelligkeit kann
vor bzw. hinter dem Bereich aufgestellt werden, indirekt mittels Radarmessgerät bestimmt wer-
in dem der Richtungswechsel absolviert wird. den. Hierbei wird meist die Höchstgeschwin-
Die Wahl der geeigneten Anlaufdistanzen bzw. digkeit eines durch einen Wurf, Schlag oder
Eintrittsgeschwindigkeiten ergeben sich hier Schuss beschleunigten Objekts (z. B. Hand-
aus der Analyse der disziplinspezifischen Wett- ball, Schlagball, Tennisball oder Fußball) ge-
kampfbeanspruchung. Je nach Spielfeldgröße messen. Da die Testleistung stark durch die
der Sportarten sind entweder kürzere (z. B. Ten- Ausführungstechnik beeinflusst wird, ist der
nis oder Badminton) oder längere Anlaufdis- individuelle Variationskoeffizient vergleichs-
tanzen (z. B. Fußball oder Hockey) sinnvoll. weise hoch. Daher sollte eine ausreichende
Exemplarisch wird der 5-0-5-Test vorgestellt Anzahl an Versuchen (z. B. mind. acht) absol-
(. Abb. 3.50; Nimphius 2014). viert werden. Im Einzelfall ist zu entscheiden,
inwieweit und auf welche Weise die Hand-
zz Gewandtheitstest lungspräzision gleichzeitig erfasst und neben
Im Gegensatz zum Richtungswechselsprinttest der Aktionsschnelligkeit für die Gesamtleis-
sind die Anforderungen bei einem Gewandt- tung berücksichtigt wird (. Abb. 3.33).
Leistungssteuerung
131 3
kLD Beispiel 5: 20-Meter-Linearsprinttest Maßband (mindestens 20 m), Klebeband, PC
Der Athlet nimmt in aufrechter frontaler oder und Software zur Messwerterfassung
seitlicher Schrittstellung seine Startposition
mit der vorderen Fußspitze exakt hinter einer Parameter Sprintgeschwindigkeitsscore
Markierungslinie ein, die genau 50 cm hinter (kleinste 10-20-m-Zwischenzeit [s]); Sprint-
der Startlichtschranke auf dem Boden ange- beschleunigungsscore (kleinste 0-5-m-, 5-10-
bracht ist (. Abb. 3.49). Die Schrittweite und m- und/oder 0-10-m-Zwischenzeit [s]); kom-
damit die Position des hinteren Fußes sowie binierter Sprintgeschwindigkeits- und
die Ausrichtung der Fußgelenksachsen sind Sprintbeschleunigungsscore (kleinste 0-20-
freigestellt. Ohne Kommando startet der Ath- Zeit [s])
let selbstständig und absolviert schnellstmög-
lich die Laufstrecke. In 5 m, 10 m und 20 m Spezifische Literatur
Abstand von der Startlichtschranke sind wei- 55 Wisloff, U., Castagna, C., Helgerud, J.,
tere Lichtschranken platziert. Mindestens zwei Jones, R., und Hoff, J. (2004). Strong
Wertungsversuche werden im Abstand von correlation of maximal squat strength with
mindestens 1 min Pause absolviert. sprint performance and vertical jump
height in elite soccer players. Br J Sports
Testmaterialien Lichtschrankensystem (im Med, 38, 285–288.
Idealfall funkgesteuerte Doppellichtschranke),
a b
.. Abb. 3.49 a Mögliche Startposition und b Beschleunigung bis zur 5 m Lichtschranke beim Linearsprint
132 A. Ferrauti et al.
10 Meter 5 Meter
5 Meter
Startlicht- 180-Grad-
schranke Richtungswechsel
.. Abb. 3.50 Schematische Darstellung des und des modifizierten 5-0-5-Tests mit einem
traditionellen 5-0-5-Tests mit einem 180-Grad- 180-Grad-Richtungswechsel im Anschluss an eine
Richtungswechsel im Anschluss an eine hohe niedrige Anlauf- bzw. Eintrittsgeschwindigkeit
Anlaufdistanz (10 m) bzw. Eintrittsgeschwindigkeit (Nimphius 2014, S. 190)
Leistungssteuerung
133 3
kLD Beispiel 7: L-Run-Test suche werden im Abstand von 1–2 min Pause
Der Athlet nimmt in aufrechter seitlicher absolviert.
Schrittstellung seine Startposition mit der
vorderen Fußspitze exakt hinter einer Mar- Testmaterialien Lichtschrankensystem (im
kierungslinie ein, die genau 50 cm hinter der Idealfall Doppellichtschranke), Maßband,
Startlichtschranke auf dem Boden angebracht Tape und/oder Pylonen/Markierungsteller,
ist. Die Schrittweite und damit die Position PC und Software zur Messwerterfassung
des hinteren Fußes sowie die Ausrichtung
der Fußgelenksachsen sind freigestellt. Die Parameter Kleinste Endzeit [s]
Startlichtschranke ist gleichzeitig die Ziel-
lichtschranke. Ohne Kommando startet der Spezifische Literatur
Athlet selbstständig, sprintet 5 m, absolviert 55 Gabbet, T. J. und Sheppard, J. M. (2013)
einen „weichen“ 90Grad-Richtungswechsel Testing and Training Agility. In R. K.
nach links, sprintet wieder 5 m, absolviert Tanner und C. J. Gore (Hrsg.), Physiologi-
einen „scharfen“ 180-Grad-Richtungswechsel, cal Tests for Elite Athletes (S. 199–206).
sprintet 5 m zurück, absolviert einen weite- Champaign, IL: Human Kinetics.
ren „weichen“ 90-Grad-Richtungswechsel und 55 Stewart, P. F., Tuner, A. N., und Miller, S. C.
kehrt zur Startposition zurück (. Abb. 3.51). (2014). Reliability, factorial validity, and
Die Richtungswechsel erfolgen dabei um die interrelationships of five commonly used
Pylonen bzw. Markierungsteller herum wie change of direction speed tests. Scand J Med
in . Abb. 3.60 dargestellt. Zwei Wertungsver- Sci Sports, 24, 500–506.
a 5m b 5m
C B D
5m
10 m
.. Abb. 3.51 Schematische Darstellung des L-Run-Tests und des T-Tests (Gabbett und Sheppard 2013, S. 202 und 203)
134 A. Ferrauti et al.
Der daraus resultierende Gesamtscore (spezi- gramme aus dem Warm-up. Dabei werden
ell niedrige Werte unter 15) wird speziell im gleichzeitig statische (z. B. tiefer Ausfall-
Fußball als ein Prädiktor für die Entstehung schritt) und dynamische Elemente (z. B. Ober-
von Verletzungen diskutiert (Kolodziej und körperrotation) des Dehnens mit koordinati-
Jaitner 2018). Kritisch muss jedoch die zuwei- ven (z. B. Gleichgewicht) und kräftigenden
len sehr subjektive und wenig trennscharfe Elementen (z. B. statische Haltekraft) kombi-
qualitative Beurteilungsweise gesehen werden. niert.
Die Übungen des FMS bilden in vielen Auch der Y-Balance-Test bzw. Star-Ex-
Sportarten auch die Grundlage für funktio- cursion-Test (Plisky et al. 2009) kann den
nelle Vorbereitungsprogramme (die soge- funktionell ausgerichteten Beweglichkeits-
nannte Functional Movement Preparation). tests zugeordnet werden. Er wird im Folgen-
Diese mehrgelenkigen Programme verdrän- den detaillierter beschrieben (. Abb. 3.52b
gen zunehmend die klassischen Dehnpro- und 3.53).
136 A. Ferrauti et al.
anterior anterior
15
1500
Die Ergometrie setzt die erbrachte Leistung bzw. Die Protokolle werden zuweilen traditionell je nach
Arbeit (griechisch: érgon) mit einem definierten Standort, aber auch funktionell in Abhängigkeit
Maß oder Maßstab (griechisch: métron) in Bezie- von der Leistungsfähigkeit des Athleten, ausge-
hung. Die Testperson absolviert im Testverlauf da- wählt. Besteht das Testziel primär in der Diagnostik
her eine standardisierte Leistung; simultan werden der Maximalleistung sind eine kurze Stufendauer
verschiedene Funktionsparameter erfasst. Diese und ein steiler Belastungsanstieg vorzuziehen;
Vorgehensweise wird sowohl zur Leistungsdiag- sollen die Ergebnisse verwertbare Aussagen für
nostik, aber auch zur Gesundheitsuntersuchung die Trainingssteuerung im submaximalen Bereich
genutzt. Für jeden Test sind klare Abbruchkriterien liefern, sind eine längere Stufendauer und eine
zu definieren. Die Ergebnisse bieten zusätzlich eine geringere Stufenhöhe zu empfehlen.
Orientierung für die Trainingssteuerung. 55 Laufbandergometrie: Leistung (m/s oder
Die Leistung steigt linear (Rampenprotokoll) km/h); Eingangsstufe 2,4–3,0 m/s bzw.
oder stufenförmig im Testverlauf an (Stufenproto- 8–10 km/h; Stufenhöhe 0,4–0,5 m/s bzw.
koll). In der Praxis haben sich verschiedene Stufen- meist 2 km/h, Stufendauer 2–5 min, vereinzelt
protokolle etabliert, die sich nach Eingangsstufe, auch 10 min
Stufendauer und -höhe unterscheiden. Beim intra- 55 Fahrradergometrie: Leistung (Watt); Ein-
und interpersonellen Vergleich der Testergebnisse gangsstufe 25 (Herzpatienten) bis 100 Watt
ist unbedingt darauf zu achten, dass diese mit ei- (Leistungssportler); Stufenhöhe 25–50 Watt,
nem identischen Stufenprotokoll erhoben wurden. Stufendauer 2–3 min
138 A. Ferrauti et al.
Zeit-/streckenbasierte
Maximaltests
Beispiele:
- Time Trials
- Critical-Power-Tests
- FTP-Tests
Leistungssteuerung
139 3
zz Aerobe Ausdauertests (Feld): tests. Diese basieren auf akustisch gesteuer-
An Stelle der laborabhängigen Laufbandergo- ten Richtungswechselläufen mit oder ohne
metrie zur Erfassung der laufspezifischen die Integration von Pausenintervallen, um
Grundlagenausdauer existieren seit jeher ein- auf diese Weise die Validität weiter zu er-
fache motorische Feldtests wie beispielsweise höhen (Léger und Lambert 1982; Léger et al.
der „12-Minuten-Cooper-Test“ (Maksud und 1988; Bangsbo et al. 2008; Buchheit 2008).
Coutts 1971), aber auch komplexere und bes- Hierfür werden als Zielparameter neben
ser standardisierbare Feldtests. der Abbruchgeschwindigkeit zuweilen auch
Seit Anfang der 1990er-Jahre wird der testspezifische Konstrukte wie die Ausbelas-
sogenannte „Feldstufentest“ auf einer ver- tungsstufe (Level) definiert. Die meisten Feld-
messenen Laufstrecke (zumeist 400-mRund- tests erfordern eine maximale Ausbelastung,
bahn) mit einer größeren Anzahl an Athleten um die leistungsdiagnostische Kenngröße
gleichzeitig durchgeführt (Gerisch und Weber zu bestimmen, da simultane Messungen von
1992). Diese Form der Testdurchführung ist Sekundärparametern (z. B. Blutlaktat) auf-
speziell in den Mannschaftssportarten vor- grund der Testumgebung, aber auch bedingt
teilhaft, da der gesamte Kader an der übli- durch die Testprotokolle, oft nur schwer
chen Trainingsstätte in nur wenigen Stunden möglich sind. Vorhergehende Testevaluatio-
untersucht werden kann. Neben der deutlich nen mit repräsentativen Stichproben erlau-
höheren Praktikabilität ergibt sich durch den ben jedoch die indirekte rechnerische oder
natürlicheren Lauf auf der Laufbahn gegen- rein tabellarische Ableitung der teststufen-
über dem Laufband auch eine höhere Validi- bezogenen Sauerstoffaufnahme (u. a. „esti-
tät. Demgegenüber sind witterungsbedingt mated“ V̇ O2max) mittels geschlechts- und al-
erhebliche Nachteile hinsichtlich der Standar- tersbezogener Gleichungen. Die wiederholte
disierung und demzufolge der Reliabilität zu positive und negative Beschleunigung bei
erwarten (z. B. Feldstufentests im Sommer zu den Richtungswechseln stellt metabolisch,
Beginn der Vorbereitung auf die Hauptsaison neuromuskulär sowie koordinativ (inter- und
im Fußball und während der Winterpause). intramuskulär) sportspielspezifischere An-
Die Steuerung der stufenförmig ansteigen- forderungen an die Testperson als der konti-
den Laufgeschwindigkeit erfolgt an Stelle des nuierliche Lauf auf dem Laufband (. Tab. 3.9
Laufbandes beim Feldstufentest über defi- und . Abb. 3.58).
nierte Markierungen an der Laufbahn die bei Der „Multistage-20-Metre-Shuttle-Run-Test“
konstanter Laufgeschwindigkeit jeweils exakt (MSST, häufig nur Beep-Test genannt) besteht
beim Ertönen akustischer Signale erreicht aus Richtungswechselläufen über 20 m, die
werden müssen. Als Zielparameter wird die mit zunehmender Geschwindigkeit bis zur Er-
Laufgeschwindigkeit in Bezug zur Blutlaktat- schöpfung ohne Pause absolviert werden (Léger
konzentration erhoben; demgegenüber bleibt et al. 1988). In jüngerer Zeit werden vermehrt
die Erfassung von respiratorischen Messwer- der „Yo-Yo-Intermittent-Recovery-Test“ (Level
ten (z. B. Sauerstoffaufnahme) methodisch 1 und 2) über 20 m (Bangsbo et al. 2008) und
bedingt zumeist aus (. Tab. 3.9 und . Abb. der „30–15-Intermittent-Fitness-Test (30-15
3.54). IFT) über 40 m verwendet (Buchheit 2008).
Zur sportspielspezifischen Erfassung der Diese beinhalten eine kurze Gehpause zwischen
aeroben Ausdauerleistung existieren darü- den Läufen und nähern sich dem Metabolismus
ber hinaus verschiedene stufenförmige Feld- der Sportspiele noch besser an.
140 A. Ferrauti et al.
Exkurs: Wiederholungssprinttests (Repeated Sprint Ability Tests, RSA) – eine kritische Betrachtung
400-m-Rundbahn 50 m
a b
Laktatabnahme
.. Abb. 3.56 Aufbau des Feldstufentests auf einer 400-m-Laufbahn a bzw. in der Halle auf einer 200-m-Lauf-
bahn mit simultaner Erfassung der Herzfrequenz aller Spieler b (7 https://doi.org/10.1007/000-04n)
Leistungssteuerung
145 3
kLD Beispiel 11: Lamberts-and-Lam- 60 s einstellen und in aufrechter Position auf
bert-Submaximal-Cycle-Test (LSCT) dem Ergometer verbleiben. Die HFmax muss in
Der LSCT ist ein submaximaler Test, der ent- einem vorgeschalteten Maximaltest ermittelt
wickelt wurde, um als Warm-up-Protokoll vor werden. Die submaximale Leistung bei 60 %,
maximalen Leistungstests eingesetzt zu wer- 80 % und 90 % HFmax wird jeweils über die
den. Da für die Erfassung der Zielparameter letzten 5 min (Stufe 1 und 2) bzw. die letzten
keine Ausbelastung des Athleten notwendig 2 min (Stufe 3) gemittelt. Das Testprotokoll
ist, kann der Test zusätzlich regelmäßig ins des LSCT wurde auf das Laufen (Laufbahn
Training eingebaut werden (z. B. vor intensi- und -band) und das Rudern (Ruderergometer)
ven Einheiten). Der Test wird auf einem Fahr- übertragen (. Abb. 3.57).
radergometer absolviert, das einerseits in der
Lage sein muss, sehr präzise die Leistung zu Testmaterialien Fahrradergometer, i. d. R. ei-
regulieren und andererseits i. d. R. das Ein- genes Fahrrad, Pulsgurt und -uhr, RPE-Skala
spannen des eigenen Fahrradrahmens erlaubt.
Die Testdauer beträgt insgesamt 17 min, wo- Parameter Submaximale Leistung (Watt)
bei der Athlet aufgefordert wird Kadenz und und Anstrengungsempfinden (RPE 6-20) bei
Gang (bzw. Widerstand) so zu regulieren, 60 %, 80 % und 90 % HFmax, Herzfrequenzer-
dass die Zielherzfrequenzen von 60 % (Stufe holung nach 60 s passiver Pause (S/min)
1), 80 % (Stufe 2) und 90 % der HFmax (Stufe
3) erreicht und gehalten werden. Die Stufen- Spezifische Literatur
dauer beträgt jeweils 6 min (Stufe 1 und 2) bzw. 55 Lamberts, R.P., Swart, J., Noakes, T.D. und
3 min (Stufe 3). Um die Herzfrequenzerholung Lambert, M.I. (2011). A novel submaximal
innerhalb von 60 s passiver Pause zu ermitteln, cycle test to monitor fatigue and predict
muss der Sportler unmittelbar nach Absolvie- cycling performance. British journal of
ren der letzten Stufe das Treten für mindestens sports medicine 45(10):797–804.
Rekalibrierung Computrainer
160
600
140
500
Power (W)
120
100 400
80 300
60
200
40
20 100
0 0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Zeit (min)
.. Abb. 3.57 Herzfrequenz-Power-Kurve beim LSCT (aus Lamberts et al. 2011, S. 798)
146 A. Ferrauti et al.
kLD Beispiel 12: 30-15-Intermittent-Fit- Das Testziel besteht darin, den Signaltönen mög-
ness-Test (30-15 IFT) lichst lange folgen zu können.
Der Test ist ein akustisch gesteuerter intermit-
tierender Ausdauerfeldtest, die entweder auf Testmaterialien Testfläche bzw. –strecke, Py-
einer Rasenfläche (mit entsprechendem Schuh- lonen, Maßband, mp3-Datei und Verstärker,
werk), einer Laufbahn oder in einer Sporthalle fakultativ: Pulsgurt und -uhr sowie Blutlak-
3 (z. B. auf einem Handballfeld) durchgeführt tat-Analyzer und Kleinmaterial
werden. Die Testfläche bzw. –strecke wird mit
Markierungspylonen oder Linien vorbereitet Parameter Maximal vollständig absolvierte
(. Abb. 3.58). Das Belastungsprotokoll besteht Teststufe (VIFT) (km/h), V̇ O2max (berechnet),
beim 30-15 Intermittent Fitness Test aus einem fakultativ: maximale Herzfrequenz (S/min),
stufenförmigen Wechsel von Belastungs- (30 s) maximale Blutlaktatkonzentration (mmol/l)
und Erholungsphasen (15 s).
Beim verwandten Yo-Yo intermittent recovery Spezifische Literatur
test werden jeweils zwei 20 m Läufe unterbrochen 55 Buchheit, M. (2008). The 30-15 intermit-
von einem 180° Richtungswechsel hintereinander tent fitness test: accuracy for individuali-
absolviert, danach folgt stets eine kurze Gehpause zing interval training of young intermit-
(s. Video). Während der Belastungsphasen laufen tent sport players. J Strength Cond Res, 22,
je nach Breite der Testfläche und Anzahl der Test- 365–374.
personen mehrere Athleten gleichzeitig. Bei den 55 Bangsbo, J., Iaia, F.M. & Krustrup, P.
Richtungswechseln sollte ein Fuß die Ziellinie (2008). The Yo-Yo intermittent recovery
möglichst zeitgleich zu den akustischen Signalen test: a useful tool for evaluation of physical
berühren. Testanleitung und akustische Signale performance in intermittent sports. Sports
werden mittels mp3-Datei lautstark verstärkt. Die Medicine, 38, 37–51.
Laufgeschwindigkeit wird stufenweise erhöht.
40 m
20 m 3-m-Bereich
30-Sekunden-Lauf
bei 8,5 km/h = 69,1 m
30-Sekunden-Lauf
bei 11,5 km/h = 91,4 m
Laufen
Gehen
Linie A Linie B Linie C
.. Abb. 3.58 Aufbau des 30-15-Intermittent-Fitness-Test (links) und Videobeispiel für den Ablauf beim Yo-Yo
Test (rechts) (7 https://doi.org/10.1007/000-04g)
Leistungssteuerung
147 3
kLD Beispiel 13: 6 × 5 s-NMT-Sprinttest gespieltes Testprotokoll, fakultativ: Pulsgurt
Dieser All-Out-Intervallsprinttest wird auf ei- und -uhr sowie Blutlaktat-Analyzer und
nem nichtmotorisierten Laufband (NMT) mit Kleinmaterial
entsprechender Messtechnik durchgeführt
(. Abb. 3.59). Im Idealfall wird ein standardi- Parameter Mittlere und einmalige Maximal-
siertes Testprotokoll mittels Video-Feedback geschwindigkeit (m/s) oder (m/s),
eingespielt. Im Anschluss an ein 10-minütiges mittlere und einmalige Maximalleistung (W),
standardisiertes Warm-up auf dem NMT be- fakultativ: maximale Herzfrequenz (S/min)
ginnt der Test nach einer Erholungspause mit und Blutlaktatkonzentration (mmol/L)
einem Sprintstart in Schrittstellung aus dem
Stand. Der Proband beschleunigt maximal und Spezifische Literatur
versucht diese Geschwindigkeit jeweils bis 55 Lakomy, H.K.A. (1987). The use of a
zum Ende der 5-s-Belastungsphasen zu halten. non-motorized treadmill for analysing
Zwischen den sechs Belastungsphasen erfolgt sprint performance. Ergonomics, 30,
eine Pause von 20 s Dauer. Der Test kann bei 627–637.
festgelegter Streckenlänge (40 m) und Mes- 55 Wiewelhove, T., Raeder, C., Meyer, T.,
sung der Sprintzeiten mittels Lichtschranken Kellmann, M., Pfeiffer, M. und Ferrauti,
alternativ als Wiederholungssprinttest auf der A. (2015). Markers for routine assessment
Laufbahn durchgeführt werden. of fatigue and recovery in male and
female team sport athletes during
Testmaterialien Nichtmotorisiertes Lauf- high-intensity interval training. PLoS One
band mit Geschwindigkeits- und Kraftaufneh- 10, e0139801.
mern, mittels mp3- oder Video-Feedback ein-
Individuelle Belastungsdosierung
ru
zu
sie
- leistungsdiagnostische Indikatoren
ne
ali
hm
du
en
ivi
Ind
de
Individuelle Schwerpunktsetzung
Ak
de
tu
en
ali
- individuelle Stärken-Schwächen-Profile und Zieldefinitionen
hm
tät
- soziologische und infrastrukturelle Rahmenbedingungen
ne
zu
Wettspiel
Wettspiel
Wettspiel
C
Taktik
Belastungsintensität
Taktik
REG
REG
--
Trainingshäufigkeit
Tapering
Wettspiel
Wettspiel
HIT + IND
Reizdauer B
Taktik
SSAQ
REG
-- --
Wettspiel
Wettspiel
HIT + IND
.. Abb. 3.64 Einfaches Periodisierungsmodell (Meso- A
Taktik
Taktik
zyklus) für den Freizeitläufer
REG
STA
--
Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa
Regenerationszeiten bleiben nur geringe Ge-
staltungsspielräume für die verbleibenden .. Abb. 3.65 Einfaches Periodisierungsmodell
Trainingstage, wobei ein intensiverer Trai- (Mikrozyklus) für die Sportspiele (Varianten A und B mit
einem Wettspiel pro Woche, Variante C als englische
ningsreiz für die Stammspieler nur in der Woche). -- = Trainingsfrei; REG = Regeneration; STA =
Wochenmitte sinnvollerweise eingebaut wer- Standards; SSAQ = Strength, Speed, Agility, Quickness;
den kann (Variante A oder B). Im Einzelfall HIT+IND = High-Intensity und individuelles Training
bleibt zu prüfen, ob eine auf Kraft und (modifiziert nach Howle 2018)
Schnelligkeit bzw. Agility bezogene Trai-
ningseinheit zwei Tage vor dem Wettspiel to-
leriert werden kann (Variante B). Die Mög- ren (. Abb. 3.2 und 3.63). Erkenntnisse aus
lichkeit intensiverer Trainingsreize innerhalb Untersuchungen zum Belastungs- und Bean-
eines Mikrozyklus scheidet bei zwei Wett- spruchungsprofil (z. B. aus Pacing-, Tracking-,
spielen pro Woche (Variante C) vollständig Spiel-, Laufweg-, Metabolismus- und Leis-
aus (Howle 2018). tungsstrukturanalysen) liefern hierfür einen
Die Trainingssteuerung sollte sich stets wertvollen Rahmen (7 Abschn. 3.2). Anderer-
möglichst eng an den Wettkampfanforderun- seits scheint eine vollständige Kopie der Wett-
gen, der Leistungsstruktur einer Sportart und kampfanforderungen für die Trainingssteue-
der daraus sich ergebenden Hierarchisierung rung unangemessen und entspricht nicht der
von Trainingszielen und -inhalten orientie- gängigen Praxis.
3 –
X peak
sind die Ergebnisse von Trainingsstudien mit
in die Überlegung einzubeziehen. Um im Rah-
VO2 (l/min)
komplex-offensive Fertigkeiten
elementare Fähigkeiten
komplex-defensive Fertigkeiten
.. Abb. 3.69 Leistungsdiagnostisches Individualpro- (grün) Individualleistung und das arithmetische Mittel
fil eines Fußballtorhüters der U16. Dargestellt ist die der Referenzstichprobe. Die Ergebnisse der Testperson
Spanne zwischen der schlechtesten (rot) und besten sind als Fußballsymbol angegeben
158 A. Ferrauti et al.
Power Power
Spieler A Spieler B
Endurance
Endurance
Strength
Strength
Speed Speed
.. Abb. 3.70 Leistungsdiagnostisches Individualpro- jeweils vier Hauptfaktoren in Bezug zur chronologisch
fil von zwei 13-jährigen Nachwuchstennisspielern. (blaue Linie) und biologisch gleichaltrigen Referenz-
Dargestellt ist die relative Leistung (Perzentile) für stichprobe (rote Linie)
Leistungssteuerung
159 3
des begrenzten wöchentlichen Trainingsvolu- ben und die herausragende Ausdauer und
mens (90–120 min), das dem Athletiktraining Schnelligkeit stabilisiert werden. Er wird eine
im Tennis-Nachwuchsleistungssport übli- finale Körperhöhe unter 1,85 m erreichen und
cherweise gewidmet wird, kommt einer indi- sein Spiel vorrangig von der Grundlinie und
viduell angemessenen Ausrichtung der Trai- weniger durch seine Aufschlagdominanz ge-
ningsinhalte eine besondere Bedeutung zu. stalten. Korrespondierend hierzu sollte Spieler
B, der bereits im Alter von 13 Jahren eine Kör-
Praxistipp: Athletiktraining von zwei gleich- perhöhe von 1,86 m und einen herausragen-
altrigen Tennisspielern den Aufschlag aufweist, seine Ausdauerleis-
tung nur auf ein mittleres Niveau steigern, da
55 Spieler A: Während der 6-monatigen
die kürzere Ballwechseldauer in seinen Mat-
Hallensaison sind sechs wöchentliche
Mikrozyklen mit dem Schwerpunkt Kraft/ ches diesbezüglich geringere Anforderungen
Schnellkraft einzuplanen. Zusätzlich stellt.
sollte im Anschluss an das Tennistraining Bei differenzierter Datenlage als Ergebnis
jeweils ein kompaktes Ergänzungs- und einer komplexen Leistungsdiagnostik sind zu-
Erhaltungstraining vorgesehen werden.
dem die übergeordneten Zusammenhänge von
Das Aufschlag- und Medizinballtraining
sowie präventive Begleitmaßnahmen zur Leistungsindikatoren zu interpretieren und
Verletzungsprophylaxe des Schultergürtels ggf. in einen Entscheidungsbaum für die Trai-
sind Bestandteil jeder Trainingseinheit auf ningssteuerung einzubinden. So ist eine unzu-
dem Tennisplatz. Hierbei sind die Wieder- reichende Aufschlaggeschwindigkeit stets in
holungszahlen zunächst gering und nur
einen Sinnzusammenhang von finaler Körper-
langsam im Zeitverlauf zu steigern.
55 Spieler B: Ausgehend von einem längeren höhe, BMI, schlagtechnischer Qualität, Hand-
Mesozyklus zur Verbesserung der aeroben bzw. Basiskraft sowie Schnellkraft der unteren
Grundlagenausdauer mit zwei bis drei und oberen Extremitäten zu bringen, um an-
30-45-min Lauftrainingseinheiten pro gemessene Konsequenzen für die Trainings-
Woche im Gelände (beginnend Anfang Fe-
steuerung abzuleiten (. Abb. 3.71).
bruar), werden ab April zunehmend auch
High-Intensity-Intervall-Training (HIIT) Die für Fußball und Tennis ausführlich
und tennisspezifische Trainingseinheiten dargestellten Beispiele lassen sich auf die Be-
integriert. treuung von Athleten aller Sportarten übertra-
gen, sofern leistungsdiagnostische oder wett-
kampfanalytische Daten vorliegen und diese in
Das Trainingsziel darf in Sportarten mit kom- einem Gesamtkontext diskutiert werden. Im
plexen Leistungsanforderungen nicht zwin- Idealfall existieren innerhalb der Sportarten
gend darin bestehen, in allen Teilbereichen die vergleichbare sportartspezifisch ausgerichtete
Bestleistung zu erreichen. Anthropometrisch Entscheidungshilfen, die im Diskurs zwischen
und genetisch unterschiedliche Voraussetzun- den Beteiligten eines Kompetenzteams (beste-
gen lassen diese Zielsetzung unter den be- hend aus Cheftrainer, Leistungsdiagnostiker
schränkt möglichen Trainingsumfängen als ggf. mit Unterstützung des Sportmediziners
unrealistisch erscheinen. Vielmehr sind in Ab- und Sportpsychologen) zur Festlegung der
hängigkeit von Ausgangsleistung, anthropo- kurz-, mittel- und langfristigen Zielsetzungen
metrischen Voraussetzungen und sich abzeich- und Inhalte der Trainingssteuerung führen.
nender Spielstrategie individuell realistische Eine derartige individuelle Schwerpunktset-
Ziele festzulegen. Bezogen auf Spieler A sollte zung ist in zahlreichen Sportarten etabliert; je-
der Faktor Power in den kommenden drei Jah- doch insbesondere in einigen komplex deter-
ren bis zur Angleichung von biologischem und minierten Sportarten leider nach wie vor eine
chronologischem Alter auf über 60 % angeho- Zukunftsvision.
160 A. Ferrauti et al.
Aufschlaggeschwindigkeit < 60 %
Spielertyp
Ausdauer
finale Körperhöhe > 80 % finale Körperhöhe < 40 %
Schnelligkeit
Agility
3 Technik- Technik Handkraft BMI
...
Medizinball- Schnellkraft-
wurf > 60 % training
Rumpfkraft
Sprungkraft
?
.. Tab. 3.12 Beispiele für unterschiedliche HIIT-Protokolle mit oder ohne Richtungswechsel orientiert an
der Maximalleistung im 30-15-Intermittent-Fitness-Test (%VIFT ). Leistungsstärkere Athleten absolvieren in
der vorgegebenen Zeit (Running Time) eine längere Laufstrecke bis zum Markierungspunkt (Buchheit 2010)
Running Recovery
Running Intensity Recovery Intensity Recovery Max series Number Recovery time
time (% VIFT) duration (% V ) modality duration of series Between series
IFT
Distance
Names VIFT Time % ...which is on the field
Straight Shuttle
Player 1 15 15 95 59 57 1 Shuttle(s) and 27 m
3 Player 2 15,5 15 95 61 58 1 Shuttle(s) and 28 m
Player 3 16 15 95 63 60 1 Shuttle(s) and 30 m
Player 4 16,5 15 95 65 62 1 Shuttle(s) and 32 m
Player 5 17 15 95 67 61 2 Shuttle(s) and 1 m
Player 6 17,5 15 95 69 63 2 Shuttle(s) and 3 m
Player 7 18 15 95 71 65 2 Shuttle(s) and 5 m
Player 8 18,5 15 95 73 66 2 Shuttle(s) and 6 m
Player 9 19 15 95 75 68 2 Shuttle(s) and 8 m
Player 10 19,5 15 95 77 70 2 Shuttle(s) and 10 m
Player 11 20 15 95 79 72 2 Shuttle(s) and 12 m
Player 12 20,5 15 95 81 74 2 Shuttle(s) and 14 m
Player 13 21 15 95 83 75 2 Shuttle(s) and 15 m
Player 14 21,5 15 95 85 77 2 Shuttle(s) and 17 m
Player 15 22 15 95 87 79 2 Shuttle(s) and 19 m
die Belastungsintensität maximal ist (all-out). Als des Athleten. Folglich ist die Trainingswis-
einer der wenigen wissenschaftlich publizierten senschaft seit jeher bemüht, zusätzlich zu den
Individualisierungsansätze hierzu soll im Fol- bereits beschriebenen Methoden valide sub-
genden der Vorschlag von Buchheit (2008) vor- maximale Orientierungspunkte für die Trai-
gestellt werden. ningssteuerung zu definieren.
Nach Buchheit (2010) kann die Individua- Für freizeitsportliche Läufer bietet sich bei-
lisierung anhand der maximal erreichten Lauf- spielsweise eine Relativierung von Laufschrit-
geschwindigkeit im 30-15-Intermittent-Fit- ten und Atemzyklus (beispielsweise sechs oder
ness-Test (% VIFT) erfolgen (7 Abschn. 3.4 acht Schritte pro Ein- und Ausatmung) an.
und . Tab. 3.13). Hierzu müssen in ein Ex- Dieser sogenannte Schritt-Atem-Zyklus wird
cel-Spread-Sheet (als Smartphone-App oder bei konsequenter Einhaltung zu einer interin-
online zum Download: 7 https://30-15ift.com/ dividuell weitgehend identischen relativen
downloads/) die Maximalleistung (VIFT), die Ausbelastung bei deutlich höherer Laufge-
gewünschte prozentuale Belastungsintensität schwindigkeit des besser Trainierten führen
(%VIFT) sowie Belastungsdauer und Pausen- und kann mit einigermaßen guter Genauigkeit
dauer eingegeben werden. Die individuelle definierte Intensitätsbereiche ansteuern (Bus-
Streckenlänge und die pro Intervall erforder- kies et al. 1993; Hanakam und Ferrauti 2009;
lichen Richtungswechsel werden automatisch Hanakam 2015).
berechnet (. Tab. 3.13). Trainiert beispiels-
weise ein Kader von 20 Spielern auf einem Praxistipp: subjektive Belastungsdosierung
Parcours mit 30 m Länge, so werden bei iden-
tischer Startlinie unterschiedliche Zielmarkie- Hilfreich sind in der Praxis einfache subjek-
rungen aufgestellt. tive Skalierungen mit linearen Abstufungen
Die fehlerfreie Diagnostik der Maximal- mit drei (leicht, mittel schwer bzw. als Ampel
mit grün, gelb, rot) oder fünf Schritten (sehr
leistung ist zuweilen problematisch und verur-
leicht, leicht, mittel, schwer, sehr schwer)
sacht in der Periodisierung eine unerwünschte oder validierte und publizierte Verfahren
zusätzliche Auslenkung der Gesamtbelastung
Leistungssteuerung
163 3
des Diabetes Mellitus Typ 2) wird eine laktat-
wie die Varianten der RPE-Skala (Rating of schwellenbasierte Trainingssteuerung auch
Perceived Exertion) nach Borg (1998). Dies beim Krafttraining vereinzelt angewendet
kann sowohl im Kraft- als auch im Ausdauer-
training verwendet werden. Es wird bei se-
(Domínguez et al. 2018). In allen Fällen wer-
riöser Handhabung zu einer angemessenen den Prozentabstufungen definierter Schwel-
Individualisierung der Trainingsintensität im lenleistungen oder die unmittelbar zu definier-
Sinne von höheren Belastungen bei besser ten Laktatkonzentrationen korrespondierende
Trainierten und geringeren bei schlechter Leistung für die Festlegung von Trainingsemp-
Trainierten führen (7 Kap. 7, . Tab. 7.9).
fehlungen verwendet (. Abb. 3.72).
In der Praxis sind beim Ausdauertraining
je nach Testprotokoll (speziell bei kurzer Stu-
fendauer) Schwierigkeiten bei der Übertra-
gung auf ein Training nach der Dauermethode
unvermeidlich, sodass die Dosierung stets ei-
ner Feinjustierung in Rücksprache mit dem
Athleten bedarf. Der besondere Vorteil einer
Orientierung an submaximalen Schwellenwer-
ten besteht jedoch darin, dass keine maximale
Ausbelastung erforderlich ist, um die Trai-
Im leistungsorientierten Radsport wird unter ningsempfehlung festzulegen.
anderem das Konzept der Functional Thres- In den Sportspielen kann auf dieser Basis die
hold Power (FTP) verwendet (7 Kap. 7, personifizierte Belastungsdosierung aus prag-
. Tab. 7.8). Hierunter versteht man die maxi- matischen und auch kommunikativen Gründen
male Durchschnittsleistung, die ein Radsport- durch eine Individualisierung auf Gruppen-
ler unter realen Wettkampfbedingungen über ebene mit Spielern ähnlicher Ausdauerleis-
eine definierte Dauer bzw. Strecke realisiert tungsfähigkeit ersetzt werden (. Tab. 3.14).
hat. Prozentual abgestuft von der FTP werden
dann die Wattvorgaben für unterschiedliche
Trainingsinhalte (z. B. GA 2 bei 90–110 %) ab- 3.5.4 Aktuelle Feinjustierung
geleitet (Allen und Coggan 2015). durch Monitoring
Für Leistungsläufer erfolgt eine physio-
logisch begründete Individualisierung der Das Monitoring (Überwachung) von Bela-
Belastungsdosierung häufig auf der Basis des stungs- und Erholungsreaktionen im Sport gilt
ergometrisch bestimmten Verlaufs der Blut- mittlerweile als zentrale Schlüsselstelle im Pro-
laktatkonzentration (7 Abschn. 3.4). Daran an- zess der Individualisierung von Trainingsmaß-
gelehnte submaximale „Schwellenwerte“ (u. a. nahmen (Halson 2014). Im Rahmen intensi-
Mader et al. 1976; Keul et al. 1979; Stegmann vierter Trainingsphasen stehen Trainer häufig
et al. 1981; Hollmann 1999) ermöglichen die vor der Herausforderung, einerseits die Anpas-
Ableitung von individuellen Trainingsemp- sungsprozesse zu maximieren und andererseits
fehlungen für ein Ausdauertraining nach der Überbeanspruchung und Überlastungser-
Dauermethode. Aufgrund fließender Über- scheinungen zu vermeiden (Buchheit et al.
gänge zwischen Ausdauer- und Krafttraining 2013). Im Zusammenspiel von Trainingspla-
im Gesundheitssport (z. B. bei der Therapie nung und -steuerung ist es daher elementar,
164 A. Ferrauti et al.
Herzfrequenz (min–1)
Blutlaktat (mmol/l)
anhand einer 9
Herzfrequenz-/ 140
3 Laktatleistungskurve,
8
7
120
orientiert an der 6 intensiv
aerob-anaeroben 5
90–100 %
V4
100
Schwelle (v4). Die extensiv
4 80–90 %
Belastungsintensität regener. 80
3 V4
kann sowohl als 70–80 %
2 60
Geschwindigkeitsinter- V4
1
vall als auch als
0 40
Herzfrequenzbereich Ruhe 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0
abgelesen werden v (m/s)
.. Tab. 3.14 Beispiel für die Aufteilung einer Fußballmannschaft in vier leistungshomogene Trainings-
gruppen (pro Zeile ein Spieler, Trainingsgruppen farbig hervorgehoben) anhand der Ergebnisse eines
Feldstufentests
Insofern steht die Entwicklung intelligen- Beispiel: Session-RPE und Training Load
ter Lösungen der Trainingssteuerung durch
Monitoring-Daten aktuell erst am Anfang. An- Ein Triathlet absolviert eine moderate, extensive
Trainingseinheit auf dem Rad über 3,5 Stunden
dererseits entwickeln sich neue Technologien
bei einer Session-RPE von 3 (CR-10-Skala).
zur automatisierten Datenerhebung (Wearable Hieraus ergibt sich ein Training Load (oder
Technologies) rasant, sodass in der leistungs- Workload) von 210 min × 3 = 630.
3 sportlichen Praxis Klarheit darüber fehlt, Ein Fußballspieler absolviert ein hochin-
welche Daten zu sinnvollen Aussagen führen tensives Turnierspiel bei einer Session-RPE von
8, das erst in der Verlängerung entschieden
(Cardinale und Varley 2017; Link 2018). Stets
wird. Hieraus ergibt sich ein Training Load (oder
neue Messgrößen und Parameterkonstrukte Match Load) von 120 × 8 = 960.
(z. B. Readiness, Freshness, PlayerLoadTM) ver-
unsichern die Sportpraxis. Derzeit ist Vorsicht
bei der Neuanschaffung von Technologien ge-
boten, da eine unabhängige Evaluierung der Die Erfassung der internen Beanspruchung
Produkte i. d. R. erst erheblich nach der Mark- (. Tab. 3.15) kann objektiv mittels Herzfre-
einführung erfolgt (Sperlich und Holmberg quenzaufzeichnung, bewährter Blutparameter
2017). für die kurzfristige (z. B. Laktat) und die mit-
tel- bzw. langfristig akkumulierte Beanspru-
zz Monitoring-Parameter in der Übersicht chung (z. B. Kreatinkinase bzw. CK, Harnstoff,
Zentrales Ziel des Monitorings ist die Quanti- freies Testosteron, Insulin Like Growth Factor
fizierung der externen Trainingsbelastung, der bzw. IGF-1 und C-reaktives Protein bzw. CRP)
damit einhergehenden internen Beanspru- erfolgen (Urhausen et al. 1995; Hecksteden
chung und der resultierenden Leistungsverän- et al. 2016; Meyer et al. 2016).
derungen (Borresen und Lambert 2009; Buch- Die genannten Parameter sind unter-
heit 2014; Halson 2014). schiedlich sensitiv für Beanspruchungen in
Die Dokumentation der externen Belastung verschiedenen Sportarten: Das Muskelenzym
(. Tab. 3.15) erfolgt unter Berücksichtigung Kreatinkinase (CK) ist z. B. in den Kraft- und
von Belastungsart (Wettkampfbelastungen Schnellkraftsportarten ein guter Indikator für
sind im Vergleich zu Trainingsbelastungen kleinste Muskelschädigungen wie beim Mus-
meist höher einzustufen) und -typ (z. B. die kelkater. In den Ausdauersportarten sind hin-
Disziplinen im Mehrkampf oder unterschied- gegen solche Indikatoren aussagekräftiger, die
liche Trainingsbereiche wie Technik- bzw. Tak- eine erhöhte (katabole) metabolische Bean-
tiktraining). Diese Hauptkategorien werden spruchung (z. B. Harnstoff, freies Testosteron
üblicherweise mit den gängigen Belastungs- und Cortisol) anzeigen. Oft scheitert ein tägli-
normativen (Belastungsdauer, -umfang ches Monitoring auf der Basis dieser Parameter
und -intensität) beschrieben. Neben den ver- jedoch an der Praktikabilität, denn nur selten
fügbaren metrischen Skalierungen zur Belas- kann die Analytik in der gebotenen Messwert-
tungsintensität (z. B. Geschwindigkeit oder dichte angeboten werden. Am weitesten ver-
Wattleistung) werden in der Sportpraxis sub- breitet ist die Analytik von CK und Harnstoff,
jektive Skalierungen, meist basierend auf der da diese Werte einfach und verhältnismäßig
CR-10-Skala nach Borg 1998, verwendet. kostengünstig aus Kapillarblut erhoben wer-
Durch Multiplikation der daraus resultieren- den können. Erfahrungen aus dem Projekt
den Session-RPE mit der Belastungsdauer in „Regenerationsmanagement im Spitzensport
Minuten ergibt sich eine dimensionslose (REGman) zeigen, dass Laborwerte einen we-
Größe für den Workload einer Trainings- oder sentlichen Beitrag zum Ermüdungs-Monito-
Wettkampfbelastung (Foster 1998). ring leisten können. Allerdings sollte vor der
Leistungssteuerung
167 3
.. Tab. 3.15 Ausgewählte Parameter zum täglichen Monitoring von externer Belastung, interner
Beanspruchung und Leistungsveränderungen.
Leistungs- Neuromuskuläre Funktion Counter Movement Jump, Drop Jump, Multiple Rebound
indikato- Jump, Reflexaktivität (z. B. Tensiomyographie)
ren
Krafttests MVIC, RM
Exkurs: Herzfrequenzvariabilität
Die Herzfrequenzvariabilität beschreibt die Varia- mathematisch als Quadratwurzel des Mittelwertes
tion innerhalb einer definierten Messreihe aufein- der quadrierten Differenzen aller sukzessiven
anderfolgender RR-Intervalle (des EKGs). Eine hohe RR-Intervalle definiert ist. Für eine präzise HRV-Er-
Schlag-zu-Schlag-Variabilität wird als positiver fassung sind die messmethodischen Rahmen-
3 Indikator für die Anpassungsfähigkeit des auto-
nomen Nervensystems verstanden (Achten und
bedingungen (z. B. Tageszeit, Erfassungsdauer,
Körperlage) unbedingt konstant zu halten (Horn
Jeukendrup 2003; Horn 2003; Hottenrott 2014). Ein 2003). Tagesaktuelle Einzelwerte sind trotzdem
Abfall der HRV spricht i. d. R. für eine dauerhafte häufig mit einer hohen biologischen Variabilität
Überbeanspruchung (Übertrainingssyndrom) und und einem hohen „Messfehler“ behaftet. Folglich
sollte in der Trainingssteuerung zu einer Belas- hat sich die Analyse gleitender Wochenmittelwerte
tungsreduktion führen (Achten und Jeukendrup im Sinne einer kontinuierlichen Trendanalyse be-
2003; Borresen und Lambert 2009; Buchheit 2014). währt (Le Meur et al. 2013; Buchheit 2014; Plews
Zur Quantifizierung der Schlag-zu-Schlag-Varia- et al. 2014). Bei hohen metabolischen Anforde-
bilität werden zahlreiche HRV-Indizes verwendet. rungen ist ein Orthostase-Test mit Messung des
In der angewandten Trainingsforschung ist der Übergangs vom Liegen zum Stehen aussagekräftig
RMSSD (Root Mean Square of Successive Differen- (Schneider et al. 2019).
ces) der international geläufigste Parameter, der
Herzfrequenzbezogene Parameter liefern einen (z. B. morgens nach dem Erwachen und einem
nichtinvasiven Einblick in überdauernde Ver- Toilettengang bei identischer Körperlage), um
änderungen des kardial-autonomen Nerven- aussagekräftige Ergebnisse zu gewinnen. Das
systems (ANS) und damit in die Reaktionsbe- primäre Einsatzgebiet sind die ausdauerorien-
reitschaft von Sympathikus und insbesondere tierten Sportarten, da hier der Zusammenhang
Parasympathikus. Die hier verwendeten Para- zum autonomen Nervensystem am engsten ist
meter sind die Ruheherzfrequenz (HRRuhe), (Buchheit 2014) oder in Trainingssituationen
die submaximale Herzfrequenz (HRsubmax), mit speziellen Rahmenbedingungen (z. B. in
die Erholungsherzfrequenz (HRE, bzw. Heart der Höhe oder in großer Hitze) und besonders
Rate Recovery, HRR) und verschiedene Grö- hohen Belastungen (z. B. Trainingslager, Tur-
ßen der Herzfrequenzvariabilität (HRV). Die niere) (Schneider et al. 2018).
Geschwindigkeit des Herzfrequenzabfalls nach
intensiven Belastungen und eine niedrige Ru-
Praxistipp: Submaximale Herzfrequenz
heherzfrequenz können Indikatoren für einen
guten Regenerationsstatus sein. Allerdings be- Eine Sonderstellung nimmt die submaximale
steht noch Diskussionsbedarf hinsichtlich ide- Herzfrequenz (HRsubmax) ein. Sie besitzt gegen-
aler Belastungsprotokolle für die Messung von über den oben genannten Messgrößen ent-
HRE bzw. HRR (Buchheit 2014). Eine standar- scheidende Vorteile in der Sportpraxis, da sie
unter Anleitung und Beobachtung des Trainers
disierte Erfassung der Ruheherzfrequenz ist in
an der Trainingsstätte während eines standar-
der Praxis nur schwer über einen langen Zeit- disierten Aufwärmens erhoben werden kann.
raum sicherzustellen. In der Gesamtheit zeigt Dies ist vor allem im Bereich der Sportspiele in-
sich daher, dass herzfrequenzbasierte Messgrö- teressant: Hier können von den Spielern ohne
ßen nur unter strenger Einhaltung der mess- Aufsicht und zu Hause nur selten zuverlässige
Daten zur Ruheherzfrequenz und zur HRV
methodischen Rahmenbedingungen aussage-
gewonnen werden (Buchheit 2014). Im Mann-
kräftig sind. Speziell die HRV (s. Exkurs), aber schaftsverbund lässt sich das gemeinsame
auch die Ruheherzfrequenz müssen stets unter Warm-up nutzen, um unter stets einheitlichen
konstanten Bedingungen erhoben werden
Leistungssteuerung
169 3
tels visueller Analogskalen verfahren werden
Bedingungen (z. B. 4–5 min mit 10 km/h oder (Langley und Shephard 1985). Die in der Pra-
die ersten 6 min der Yo-Yo Tests) und ohne xis bewährte DOMS-Skala („Delayed Onset of
zusätzlichen Zeitverlust die submaximale Herz-
frequenz zu erfassen. Der Vorteil dieser Mes-
Muscle Soreness“) besteht aus einer nicht weiter
sung besteht auch darin, dass die Ergebnisse unterteilten Linie, auf welcher der Athlet sein
unter moderater Belastung stabiler gegenüber aktuelles Empfinden zwischen den Endpunkten
Stör- und Einflussgrößen abgeschirmt sind „kein Schmerz“ und „unerträglicher Schmerz“
als unter Ruhebedingungen (Bradley et al. analog (Paper-and-Pencil- Methode) oder per
2011). Der Nachteil liegt wie bei allen herz-
frequenzbasierten Parametern darin, dass eine
Software einträgt. Psychometrische Skalen
Abnahme nicht immer eindeutig interpretiert könnte man fast als „Goldstandard“ der Ermü-
werden kann. So kann dies gleichermaßen ein dungsdiagnostik ansehen, wenn sie von den
Indikator für eine langfristige Leistungsver- Athleten nicht leicht „durchschaubar“ wären.
besserung, aber auch für eine akute Ermü- So kann ein interessengeleiteter Sportler, der
dung sein (Schneider et al. 2018). Um dieser
Interpretationsproblematik entgegenzuwirken,
beispielsweise in Kürze an einem Wettkampf
eignet sich vor allem das gleichzeitige Erfragen teilnehmen möchte, die Absicht haben, seine
des Anstrengungsempfinden mittels RPE-Skala Ermüdung zu „verschleiern“ (Meyer et al. 2016).
(Buchheit 2014; Bellenger et al. 2016). Die sportartspezifische Leistungsfähigkeit
Neuere Ansätze in den Spielsportarten und Trainingsbereitschaft sollte im Idealfall
beschäftigen sich bereits damit, im Rahmen
von Kleinfeldspielen (Small Sided Games)
die primäre Größe für die Trainingssteuerung
externe (GPS und Accelerometrie) und interne sein. Wiederholte hochvolumige und/oder -in-
(Herzfrequenz) Belastungsgrößen zu einem tensive Beanspruchungen verursachen Aus-
sogenannten Fitness-Index zu verrechnen. lenkungen in verschiedenen Funktionssyste-
(Lacome et al. 2018). men (z. B. Glykogenentleerung oder autonome
Dysregulation des Herz-Kreislauf-Systems)
und führen zu einer vorübergehenden Ab-
Psychometrische Skalen weisen für Athleten senkung der Leistungsfähigkeit (Meyer et al.
und Betreuer eine hohe Praktikabilität hinsicht- 2016). Für das tägliche Monitoring stehen je-
lich der Erfassung von Ermüdung und Erholung doch nur wenige Testverfahren zur Verfügung,
auf. Verschiedene standardisierte Verfahren sind da die meisten leistungsdiagnostischen Unter-
zeitökonomisch und für den Athleten wenig suchungen eine maximale Ausbelastung erfor-
belastend (. Abb. 3.73). Sie geben Einblick in dern und demnach ungeeignet sowie unver-
den aktuellen individuellen psychophysischen träglich für den Athleten sind. Geeignet sind
Beanspruchungszustand und unterstützen die daher solche Leistungsindikatoren, die ohne
Trainingssteuerung erheblich. Trotz allem be- nennenswerte Beanspruchung des Sportlers
darf es einer situationsangemessenen Auswahl und ohne Störung von Trainingspraxis und Re-
der publizierten Methoden (. Tab. 3.15). Der generationsverlauf einfach und regelmäßig er-
„Erholungs-Belastungs-Fragebogen für Sport- hoben werden können sowie gleichzeitig eine
ler“ (REST-Q-Sport; Kellmann und Kallus hohe Sensitivität für die sportartspezifische
2016) und das „Profile of Mood States“ (POMS; Leistungsfähigkeit aufweisen (. Abb. 3.75).
McNair et al. 1992) sind für ein engmaschiges Zahlreiche Untersuchungen der eigenen Ar-
Monitoring aufgrund ihres Umfangs ungeeig- beitsgruppe widmeten sich in der jüngeren
net. Aus sportpraktischer Sicht empfehlenswer- Vergangenheit dieser Frage (Wiewelhove et al.
ter ist die „Kurzskala Erholung und Beanspru- 2015; de Paula Simola et al. 2015, 2016; Ham-
chung“ (KEB, Hitzschke et al. 2015), die nur mes et al. 2016; Hecksteden et al. 2016; Raeder
acht relevante Items beinhaltet und in nur einer et al. 2016; Schneider et al. 2019).
Minute ausgefüllt werden kann (. Abb. 3.73 Die beschriebene Anforderung wird gemäß
und 3.74). Liegt der Fokus primär auf der Erfas- unserer Untersuchungsergebnisse in den schnell-
sung von Muskelkater, kann noch rascher mit- kraftdeterminierten Sportarten und in den
170 A. Ferrauti et al.
3 Code
Datum, Uhrzeit
Kurzskala Erholung
Im Folgenden geht es um verschiedene Facetten Ihres derzeitigen Erholungszustandes.
Die Ausprägung „trifft voll zu“ symbolisiert dabei den besten von Ihnen jemals erreichten
Erholungszustand.
Körperliche
Leistungsfähigkeit
trifft
z. B. trifft
gar nicht
kraftvoll, voll zu
zu
leistungsfähig, 0 1 2 3 4 5 6
energiegeladen,
voller Power
Mentale
Leistungsfähigkeit trifft
z. B. trifft
gar nicht
voll zu
aufmerksam, zu
0 1 2 3 4 5 6
aufnahmefähig,
konzentriert,
mental hellwach
Emotionale
Ausgeglichenheit trifft
trifft
z. B. gar nicht
voll zu
zufrieden, zu
0 1 2 3 4 5 6
ausgeglichen,
gut gelaunt,
alles im Griff habend
Allgemeiner
Erholungszustand trifft
trifft
z. B. gar nicht
voll zu
erholt, zu
0 1 2 3 4 5 6
ausgeruht, muskulär
locker, körperlich
entspannt
.. Abb. 3.73 Kurzskala Erholung und Beanspruchung (KEB, Seite 1) mit vier Items zum Erholungsstatus. Seite 2
bildet die Items zur Beanspruchung ab (Hitzschke et al. 2015)
Leistungssteuerung
171 3
.. Abb. 3.74 Jugendliche während eines Trainingslagers .. Abb. 3.75 Messung von Sprungleistung und
beim Ausfüllen des KEB. In diesem Alter besitzt die aktive submaximaler Herzfrequenz zu Beginn jedes Trainings-
Auseinandersetzung der Athleten mit den Bereichen tages während eines Trainingslagers, um kurzfristig auf
Monitoring und Trainingssteuerung auch eine wichtige individuelle Auffälligkeiten reagieren zu können
pädagogische Komponente auf dem mühsamen Weg
zum „mündigen Athleten“ (Hitzschke et al. 2015)
isometrischen Kraft (MVIC) oder des Mehrfach-
Wiederholungsmaximums ist hingegen aus mess-
Sportspielen (Wiewelhove et al. 2015) nur durch methodischen und pragmatischen Gründen nur
neuromuskuläre Funktionstests (z. B. Coun- für wenige Kraftsportler denkbar (Brzycki 1993;
ter Movement Jump, Drop Jump oder Multiple de Paula Simola et al. 2015; Raeder et al. 2016).
Rebound Jump; . Abb. 3.75) oder durch die in- Für die ausdauerorientierten Sportarten (Ham-
direkte Bestimmung der muskulären kontrak- mes et al. 2016) sowie für die Sportspiele (Bradley
tilen Eigenschaften (beispielsweise mittels Ten- et al. 2011; Schneider et al. 2018) bieten sich zu-
siomyographie) erfüllt (de Paula Simola et al. sätzlich standardisierte submaximale Testverfah-
2016). Die einmalige Messung der maximalen ren an (7 Abschn. 3.4, . Tab. 3.9 und . Abb. 3.57).
Auf submaximaler Ebene ist die Herzfrequenz während eines Mikrozyklus (Acute Workload),
ein relativ einfach zu erfassender Parame- sondern auch als Durchschnittsbelastung über
ter, der bei definierter Belastung und weitge- einen definierten längeren Trainingszeitraum
hend standardisierten Umgebungsbedingungen (Chronic Workload) erfasst werden. Hierzu
(Flüssigkeitsaufnahme, Temperatur, Tageszeit; wird meist der gleitende Mittelwert über drei
ggf. Medikation) wertvolle Informationen liefert bis vier Wochen Trainingsdauer berechnet.
3 (s. Praxistipp). Veränderungen der Herzfrequenz Dem Verhältnis zwischen der akuten und der
bei gegebener Belastung können ein Indika- chronischen Trainingsbelastung wurde ein enger
tor für eine veränderte Leistungsfähigkeit, aber Zusammenhang zur Verletzungsinzidenz zuge-
auch ein Frühwarnzeichen für Ermüdung oder schrieben (Blanch und Gabbett 2016; Gabbett
Erkrankungen sein (Bradley et al. 2011; Buch- 2016). Solange sich die akute Belastung auf dem
heit 2014). Die Messung kann sehr praxisnah in üblichen Niveau bewegt, soll bleibt die Wahr-
das Warm-up integriert werden (s. Exkurs). Ein scheinlichkeit für ein Verletzungsereignis gering
Anwendungsbeispiel im Radsport ist der Lam- bleiben. Erst wenn die akute Belastung das Ein-
bert-and-Lamberts-Submaximal-Cycle-Test einhalbfache der chronischen Belastung über-
(LSCT, . Abb. 3.55). Die Interpretation von Ver- schreitet, kann von einem nennenswert erhöhten
änderungen der submaximalen Herzfrequenz Risiko ausgegangen werden (. Abb. 3.77 und
bei gegebener Laufleistung bzw. der Wattleistung 3.78). Eine deutliche Unterschreitung der chroni-
sowie definierten submaximalen Herzfrequen- schen Belastungen ist ebenfalls suboptimal. Hier-
zen erfordert jedoch zusätzliche Informationen durch kann es zu einem raschen Fitness- und
und Erfahrungen (Hammes et al. 2016). Leistungsverlust kommen, der wiederum für ein
gesteigertes Verletzungsrisiko verantwortlich
zz Acute versus Chronic Workload sein kann. Die konkreten Angaben für „opti-
Die Trainingsbelastung (Workload) sollte im male“ Belastungen und gesteigertes Verletzungs-
Rahmen des Monitorings nicht nur akut zur risiko sind natürlich nur als allgemeine Richtli-
Beschreibung der Belastung an einem Tag oder nien zu verstehen, welche je nach Sportart,
0
0,5 1,0 1,5 2,0
Verhältnis akute:chronische Belastung
Leistungssteuerung
173 3
10-Wochen-Mesozyklus
800 3,0
Acute Load
Chronic Load 2,5
600
Acute:Chronic Load
Acute:Chronic Load
2,0
Session-RPE
400 1,5
1,0
200
0,5
0 0
1 4 7 10 16 22 28 34 40 46 52 58 64 70
Trainingstage
.. Abb. 3.78 Fallbeispiel für das Trainings-Monito- (Acute:Chronic <1,5) und im Rahmen der chronischen
ring eines Freizeitsportlers in der Vorbereitung auf Belastung. Ein Vorbereitungslauf (Halbmarathonwett-
einen Halbmarathon (Acute Load = blaue Linie; kampf ) führt am 36. Trainingstag zu einem erneuten
Chronic Load = grüne Fläche; Acute:Chronic Load = Risikoanstieg (Acute:Chronic = 1,7). Die Folge ist eine
rote Linie). Die Trainingsbelastung wird am Anfang zu unmittelbar anschließende Erkältung und eine
plötzlich gesteigert, sodass nach sieben Trainingsta- viertägige Trainingspause. In der Taper-Phase
gen ein erhöhtes Risiko (Acute:Chronic ca. 3,0) beginnend nach ca. 60 Tagen sinkt die Trainingsbelas-
entsteht. In der Folge bleibt das Verhältnis der akuten tung erkennbar ab
zur chronischen Belastung im sog. „Sweet Spot“
.. Abb. 3.79 Screenshot mit Eingabe- und Ausgabe- Trainingsdokumentation als auch die Belastungs- und
fenster der Datenbank REGmon. Der Athlet kann über die Beanspruchungsdokumentation vornehmen und sich die
Kalenderfunktion aus einer vorprogrammierten Auswahl Ergebnisse in jedem gewünschten Zeitintervall darstellen
von individuell angemessenen Parametern sowohl die lassen (7 https://doi.org/10.1007/000-04v)
Leistungssteuerung
175 3
Praxistipp: Online-Trainingsdokumentation schalindizes propagieren (z. B. Readiness). Im
durch GPS Sinne eines „Schnelltesters“ vermitteln sie dem
Sportler klare Handlungsempfehlungen darü-
Die Trainingsdokumentation besitzt in den Aus- ber, ob er sein Training unbeschwert fortsetzen
dauersportarten eine lange Tradition. Athleten
kann (Ampel auf Grün) oder den Training
nutzen inzwischen diverse Plattformen im
Internet, um ihre akkumulierte Trainingsleistung Load dringend reduzieren soll (Ampel auf
abzubilden und mit anderen Sportlern zu verglei- Rot). Hier sollte stets im Einzelfall kritisch ge-
chen. Dies wird inzwischen durch GPS-gestützte prüft werden, ob das System wissenschaftlich
Systeme vereinfacht, die weltweit alle gängigen ausgereift ist und folgenden Anforderungen
Lauf- oder Radstrecken kennen. Hierbei wird jeder
genügt:
angemeldete Teilnehmer des entsprechenden
Internetforums, der ein bekanntes Strecken- 1. Nachgewiesene Evidenz der erfassten
segment im Training passiert hat, mit der dabei Parameter für das Belastungs- und
realisierten Leistung in einem Ranking abgebildet Erholungs-Monitoring in verschiede-
(. Abb. 3.80). Jeder Athlet erhält auf diese Weise nen Sportarten.
eine aussagekräftige Rückmeldung über die absol-
2. Individualisierte und ausreichend
vierte Trainingsleistung. Zusätzlich befindet er sich
durch die Öffentlichkeit, in die er sich begibt, auch repräsentative Baseline-Messung für
während seines Trainings stets in einem virtuellen alle interpretierten Parameter in
Wettkampf gegen sich selbst und gegen andere definierten gut erholten und hochbe-
Teilnehmer der Ausdauer-Community. Erfahrun- lasteten Zuständen.
gen zeigen, dass der Trainingsumfang durch die
3. Plausibel statistisch begründete Abgren-
Dokumentation von Training steigt; die Trainings-
intensität wird durch die öffentliche Zugänglich- zung zwischen zufälligen und überzufäl-
keit der Trainingsleistung ebenfalls erhöht. In den ligen Abweichungen tagesaktueller Mess-
Ausdauersportarten, in denen ein hoher Trainings- werte von der individuellen Baseline
umfang eine wesentliche Leistungsvoraussetzung (univariate Beurteilungsgenauigkeit).
ist, kann dieses Medium funktionell sinnvoll
4. Plausibel statistisch oder theoretisch
genutzt werden. Eine Trainingsdokumentation
sollte auch in anderen Sportarten schon frühzeitig begründete Abwägung mehrerer
von den verantwortlichen Trainern bei leistungs- gleichzeitig erhobener Parameter
sportlich orientierten Kindern und Jugendlichen (multivariate Beurteilungsgenauigkeit).
eingeführt werden, damit sie auf dem Weg zum
mündigen Athleten bereits in jungem Alter ent-
Anforderung 1 In eigenen Untersuchungen
sprechende Kompetenzen entwickeln.
(u. a. Wiewelhove et al. 2015; Hecksteden et al.
2016; Meyer et al. 2016; Raeder et al. 2016)
konnten wir die unterschiedliche Sensitivität
Zwischen Trainingsdokumentation und indi- ausgewählter Ermüdungsparameter für ver-
vidualisierter Trainingssteuerung existieren in schiedene Sportartengruppen bereits feststellen.
der Sportpraxis derzeit noch zahlreiche im De- Während psychometrische Verfahren sehr gut,
tail ungeklärte Entscheidungsschritte, die eine aber wenig differenzierend für alle Belastungs-
„programmgesteuerte“ bzw. softwaregestützte formen praktikabel einsetzbar sind, können nur
Ableitung von Praxisempfehlungen erschwe- wenige Leistungsindizes regelmäßig in der Pra-
ren. Andererseits wächst die Anzahl der Her- xis eingesetzt werden (. Tab. 3.15). Verschie-
steller von Kleingeräten oder Applikationen, dene bekannte Labormarker können gut im
die sich unterschiedlicher Messgrößen bedie- Ausdauersport eingesetzt werden (z. B. Harn-
nen (z. B. Muskelreflexaktivität oder HRV, u. a. stoff, IGF-1, CK, freies Testosteron, Cortisol und
gemessen durch die Kamera des Mobiltele- CRP), im Kraft- und Schnellkraftsport sowie in
fons) und auf der Basis unbekannter und un- den Sportspielen sind hingegen nur CK und mit
veröffentlichter Algorithmen integrative Pau- Abstrichen CRP geeignet.
176 A. Ferrauti et al.
3
82 01. Apr 17 35,8km/h 169bpm 300W 40:42:00
...
104 01. Apr 17 32,6km/h 176bpm 258W Powermeter 44:45:00
105 01. Apr 17 32,5km/h 171bpm 222W Powermeter 44:46:00
106 01. Apr 17 30,8km/h - 234W 47:20:00
107 24.Nov 17 30,6km/h 169bpm 231W 47:36:00
108 01. Apr 17 30,0km/h - - 48:31:00
109 01. Apr 17 28,8km/h 143bpm 188W 50:40:00
110 29. Sep 17 28,3km/h - - 51:25:00
29. Sep 17 28,3km/h - 175W 51:25:00
112 23. Feb 17 27,5km/h 133bpm 181W 52:57:00
113 25. Mai 17 24,5km/h - - 59:23:00
114 23. Aug 17 23,7km/h - - 01:01:36
115 28. Feb 17 21,2km/h - 137W 01:08:35
.. Abb. 3.80 Eines von unendlich vielen Radfahrseg- die diese Strecke passiert haben. Weiter oben im Ranking
menten mit Streckenverlauf und Höhenprofil sowie ein befinden sich meist Fahrer, die die Strecke zusätzlich mit
Auszug aus der sehr langen Rangliste von Trainierenden, Powermeter und Herzfrequenzmonitor absolvieren
Anforderung 2 Bei sämtlichen Markern kann Jump „zufällig“ sein oder bereits ein Alarmsig-
von einer hohen interindividuellen Merkmals- nal darstellen. Zur Erleichterung und Standardi-
varianz ausgegangen werden. Dies liegt an der sierung dieser wichtigen Entscheidung bei der
unterschiedlichen Interpretation von psycho- Betrachtung eines Parameters (univariate Beur-
metrischen Skalen (Neigung zu Extremwerten teilung) können z. B. effektstärken- und/oder
versus Tendenz zur Mitte), dem persönlichen messfehlerbasierte Statistiken verwendet wer-
Leistungsspektrum bei sportmotorischen Tests den. So muss eine individuelle Veränderung
(z. B. Sprungleistungen im Counter Movement mindestens einen praktisch bedeutsamen
Jump) und der hohen Individualität physiologi- Grenzwert (eine Verbesserung der 20-m-Sprint-
scher Reaktionen (z. B. sog. „Responder“ und leistung im Fußball sollte mindestens 0,03–
„Non-Responder“ bei CK-Auslenkungen). 0,06 s umfassen, damit die Chancen steigen, im
Folglich wird vorgeschlagen, dass alle Parameter Zweikampf den Ball zu erobern; Haugen und
zunächst für jeden Sportler in ausreichender Buchheit 2016) und/oder den testspezifischen
Messwiederholung für definierte Rahmenbe- Messfehler überschreiten (Hopkins 2004).
dingungen (vollständig erholt versus komplett Liegen wie bei den klassischen Labormar-
ermüdet) bestimmt werden (vgl. Hecksteden kern (z. B. CK) bereits im Vorfeld erhobene a
et al. 2017). Erst wenn diese individuellen Base- priori-Verteilungen für große Stichproben so-
line-Normwerte vorliegen, kann der nächste wie zusätzlich eine Reihe von individuellen
Schritt zur Feinjustierung der Trainingssteue- Messwerten in erholtem und ermüdeten Zu-
rung mit einer gesteigerten Sicherheit vollzogen stand vor, so kann die Normwertindividuali-
werden. sierung und die Definition entsprechender
Korridore für „ermüdet“ und „erholt“ auch
Anforderung 3 Selbst für den Fall, dass eine mittels der „Bayes‘schen Statistik“ bzw. „Baye-
individuelle Baseline vorliegt, stellt sich die sianischen Statistik“ erfolgen (Meyer et al.
Frage, wie groß die Abweichung eines Parame- 2016, 2020; Hecksteden et al. 2017, 2018).
ters von der Norm sein muss, um für die Trai- Diese Form der Wahrscheinlichkeitsrechnung
ningssteuerung relevant zu sein. So kann ein definiert, ausgehend von einer gruppenbasier-
Leistungsabfall von 3 cm im Counter Movement ten a priori-Verteilung, eine individuelle a pos-
Leistungssteuerung
177 3
600
500
Kreatinkinase (U/l)
400
300
200
100
0
Population Messung 1 Messung 2 Messung 3 Messung 4 Messung 5
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187 4
Krafttraining
Christian Raeder, Jo-Lâm Vuong und Alexander Ferrauti
Literatur – 246
Krafttraining
189 4
Überwinde den Widerstand! novative Interventionen. Exemplarisch sind das
Vibrationskrafttraining, das exzentrische Overlo-
Zusammenfassung ad-Training und das Okklusions- (bzw. besser
Kraft ist eine elementare Grundlage für jede Be- Blutflussreduktionstraining) zu nennen. Alle Trai-
wegung des Menschen und somit fundamentale ningsinterventionen bewirken Anpassungsme-
Basis sportlicher Handlungskompetenzen. Das chanismen (Reaktionen und Adaptationen) auf
vorliegende Kapitel liefert einen Überblick über teils verschiedenen physiologischen Funktions-
Bedeutung und Erscheinungsformen der Kraft, ebenen, einschließlich Veränderungen auf zellu-
über biologische Grundlagen des Krafttrainings, lär-molekularer Ebene. Aus der unendlichen Viel-
über Anpassungsvorgänge, Trainingsmethoden zahl an Trainingsformen werden konkrete
und Belastungsdosierung sowie über konkrete Trainingsbeispiele strukturiert nach grundsätzli-
Trainingsbeispiele. Krafttraining dient gleicher- chen Trainingszielen vorgestellt (. Abb. 4.1).
maßen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit wie
auch zur Verletzungsprophylaxe und schafft zu-
gleich Selbstvertrauen und ästhetische Zufrie- 4.1 Bedeutung und
denheit. Die Kraft basiert auf verschiedenen Er- Erscheinungsformen der Kraft
scheinungsformen (z. B. Maximalkraft und
Schnellkraft) und Kontraktionsformen der Mus- Die Kraft ist eine elementare Grundlage für
kulatur (z. B. statisch und dynamisch), die für die jede Bewegung des Menschen. Sportliche Leis-
Sportpraxis je nach Disziplin von unterschiedli- tungen können ohne ein Mindestmaß an mo-
cher Bedeutung sind. Grundlegende biologische torischer Kraft nur begrenzt realisiert werden,
Kenntnisse zum Verständnis von Kraft und Kraft- da komplexe Bewegungsleistungen (z. B. Än-
training beziehen sich unter anderem auf den derung von Bewegungsgeschwindigkeit bzw.
Aufbau der Muskulatur, die Muskelarchitektur, Bewegungsrichtung) nur durch die beschleu-
das Muskelfaserspektrum, die neuromuskuläre nigende Wirkung von Muskelkräften möglich
Signalübertragung und den Vorgang der Muskel- sind (Ehlenz et al. 2003). Somit muss der sport-
kontraktion. Neben den klassischen Trainingsme- motorischen Kraft im Gesamtgefüge der kon-
thoden zur Verbesserung der Maximalkraft, wie ditionellen Leistungskomponenten eine be-
dem Hypertrophietraining und dem IK-Training, sondere Stellung eingeräumt werden.
existieren zahlreiche weitere ergänzende und in- Krafttraining hat sich als ein integraler Be-
Ein Marathonläufer muss über eine längere Zeit wie- über einen bestimmten Zeitraum repetitiv hohe
derholt geringe Kraftstöße generieren, die unterhalb Kraftstöße gegen mittlere Widerstände realisieren
von 30 % des individuellen Kraftmaximums liegen. und dabei die ermüdungsbedingte Abnahme der
Hierbei sind primär die aerobe Ausdauer und die Er- Kraftimpulse möglichst gering halten. Während die
müdungstoleranz leistungsbestimmend. Demge- Höhe der Einzelkraftstöße vorwiegend von der Maxi-
genüber bewegt sich ein Gewichtheber am entge- malkraft abhängig ist, wird die generierte Kraftstoß-
gengesetzten Ende des Ausdauer-Kraft-Kontinuums, summe maßgeblich durch energetische und meta-
indem er einen Kraftstoß gegen einen maximalen bolische Faktoren determiniert. Somit sind Ausdauer
äußeren Widerstand produziert. Bei Kraftausdauer- und Kraft keine starren oder unabhängigen Konst-
leistungen wie etwa beim Rudern muss der Athlet rukte, sondern besitzen fließende Übergänge.
Die Wechselwirkung zwischen den von Mus- Gelenkwinkels hervorrufen, als dynamisch cha-
keln erzeugten endogenen Kräften mit von exo- rakterisiert (Komi 1994; de Marées 2002).
gen einwirkenden Kräften kann entweder eine Eine konzentrische Aktion der Muskulatur
statische (= isometrische) oder dynamische Mus- kennzeichnet das Überwinden eines Widerstandes
kelaktion hervorrufen (. Abb. 4.2). Die isometri- durch aktive Verkürzung bzw. Kontraktion des
sche Aktion beschreibt hierbei die Änderung der Muskel-Sehnen-Komplexes (dynamisch positive
Muskelspannung bei konstantem Abstand zwi- Arbeit; tendomuskuläre Spannung > externer Wi-
schen Muskelursprung und Muskelansatz, d. h., es derstand). Bei einer exzentrischen Aktion wird der
kommt zu einer Kraftentwicklung im Muskel, je- aktiv kontrahierte Muskel hingegen durch von au-
doch wird effektiv keine physikalische Arbeit ver- ßen einwirkende Kräfte verlängert bzw. gedehnt
richtet (Komi 1994; Steinhöfer 2015). Genauer (dynamisch negative Arbeit; tendomuskuläre
gesagt bewirkt eine isometrische Kontraktion eine Spannung < externer Widerstand; . Abb. 4.2; Hop-
interne Verkürzung der Muskelfaszikel, deren peler 2015; Steinhöfer 2015). Beispielsweise arbei-
Spannungskraft zu einer Dehnung der in Serie ge- tet der Armbeuger konzentrisch beim Hochzie-
schalteten elastischen Strukturkomponenten der hen des Körpers an einer Klimmzugstange und
Muskel-Sehnen-Einheit führt (Hoppeler 2015). exzentrisch beim kontrollierten Herablassen. Die
Exemplarisch können das Halten einer Last oder meisten sportlichen Bewegungen beinhalten
das Drücken gegen einen unüberwindbaren Wi- Mischformen verschiedener Kontraktionsarten
derstand als isometrische Muskelaktionsformen wie beispielsweise Springen oder Werfen (Komi
bezeichnet werden. Demgegenüber werden alle 1994; Ehlenz et al. 2003). Dabei werden kurze ex-
Muskelaktionen, die eine sichtbare Änderung des zentrische Muskelaktionen häufig mit anschließen-
exzentrisch exzentrisch-
konzentrisch
(negativ oder nachgebend, konzentrisch
(positiv oder überwindend,
Muskulatur wird trotz (Kombination aus negativer
Muskulatur kontrahiert)
Kontraktion gedehnt) und positiver Aktionsform)
192 C. Raeder et al.
den konzentrischen Aktionen im Rahmen eines und Kraftausdauer wird durch die Maximalkraft
Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ) gekoppelt. beeinflusst, deren Verbesserung üblicherweise
Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)
mit höheren Schnellkraft- und Kraftausdauer-
leistungen einhergeht (Pampus 2001).
Der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)
beinhaltet eine Kombination aus exzentri-
scher und konzentrischer Kontraktionsform 4.1.1 Maximalkraft
im Rahmen einer dynamisch-reaktiven
4 Arbeitsweise der Muskulatur (. Abb. 4.3).
Diese stellt eine besonders effiziente
Die Maximalkraft stellt die höchstmögliche Kraft
dar, die das neuromuskuläre System bei einer ma-
Aktionsform dar, da die konzentrische ximalen willkürlichen Kontraktion entfalten
Leistungsfähigkeit durch die vorausge- kann, und umfasst sowohl isometrische als auch
hende exzentrische Phase gesteigert wird. dynamisch konzentrische und exzentrische Kon-
Als Ursachen wirken (1.) gespeicherte traktionen (Steinhöfer 2015). Die konzentrische
Elastizitätskräfte der Muskel-Sehnen-Einheit Maximalkraft repräsentiert die maximale Ge-
und (2.) die spinale Reflexaktivität (mono- wichtslast, die unter definierten Arbeitsbedin-
synaptischer Dehnungsreflex) der exzent- gungen einmal über die gesamte Bewegungsamp-
risch gedehnten Muskulatur (Komi 1994; litude technisch einwandfrei bewegt werden
Güllich und Schmidtbleicher 1999). kann. In der deutschsprachigen Literatur wird
diese als 1er Wiederholungsmaximum (EWM) be-
zeichnet. Geläufiger ist die englischsprachige Be-
Eine Systematisierung der motorischen Kraft zeichnung des One Repetition Maximum (1 RM;
kann auch auf den zugrunde liegenden physio- Schmidtbleicher 2003). Die isometrische Maxi-
logischen und morphologischen Einflussgrößen malkraft (Maximal Voluntary Isometric Contrac-
erfolgen (. Abb. 4.3). Dabei wird die Kraft in tion, MVIC) wird dynamometrisch gegen einen
Maximalkraft, Schnellkraft und Kraftausdauer äußeren unüberwindbaren Widerstand ermittelt
aufgegliedert, wobei die Maximalkraft die über- und stellt den höchsten Wert auf der Kraft-Zeit-
geordnete Basisfähigkeit bildet (Schmidtbleicher Kurve dar (. Abb. 4.4). Dabei liegen die maxima-
2003). Der Ausprägungsgrad von Schnellkraft len konzentrischen Kraftwerte aufgrund der hö-
exzentrisch- exzentrisch-
isometrisch, isometrisch,
konzentrisch konzentrisch
konzentrisch konzentrisch
(DVZ) (DVZ)
heren koordinativen Anforderungen ca. 5–20 % rung der Muskulatur ist gewöhnlich nur durch
unter den isometrisch erzeugten Werten (Pampus eine zusätzliche Elektrostimulation möglich. Die
2001; Schmidtbleicher 2003). Bei exzentrischen daraus resultierende Kraft repräsentiert die Ab-
Maximalkontraktionen (z. B. beim Abbremsen solutkraft (Güllich und Schmidtbleicher 1999).
des Körpergewichts nach einem Sprung oder Exzentrische Maximalkontraktionen nähern sich
Richtungswechsel) werden höhere Kräfte erzeugt, in Bezug auf die Kraftwerte am ehesten der Ab-
die bis zu 45 % über dem isometrischen Maximal- solutkraft an (Steinhöfer 2015). Die Differenz
kraftwert liegen (Pampus 2001; Schmidtbleicher zwischen dem Kraftmaximum bei elektrischer
2003). Diese höheren Kraftwerte beruhen primär Stimulation (Absolutkraft) und bei maximal will-
auf der Integration zusätzlich kontrahierender kürlicher Aktivierung (isometrische Maximal-
Muskelfasern (Rekrutierung) sowie der Wirkung kraft) wird als Kraftdefizit bezeichnet und in Pro-
von passiven Elastizitätskräften und reflektori- zent zur isometrischen Maximalkraft angegeben.
scher Muskelaktivierung. Dabei kann das Kraftdefizit bis zu 45 % betragen.
Bei einer maximalen willkürlichen Kontrak- Es kann jedoch durch ein auf neuronale Adapta-
tion kann nicht das komplette Muskelkraftpoten- tionen ausgerichtetes Training auf bis zu 5 % re-
tial entfaltet werden. Eine vollständige Aktivie- duziert werden (Bührle 1985).
Die Elektrostimulation kann im Rahmen der hen und entsprechend als prozentuales Kraftdefizit
Twitch-Interpolationstechnik zur Erfassung der will- berechnet werden (Zatsiorsky und Kraemer 2008).
kürlichen Innervationsfähigkeit motorischer Einhei- Ein großes Kraftdefizit deutet auf eine unzurei-
ten während einer isometrischen Maximalkontrak- chende willkürliche Innervationsfähigkeit hin. Zur
tion eingesetzt werden (McKenzie et al. 1992). Reduktion des Kraftdefizits eignen sich vor allem
Hierzu erfolgt, nach Erreichung des isometrischen neuronale Kraftstimuli. Bei kleinem Kraftdefizit soll-
Maximalkraftplateaus, eine perkutane elektrische ten weitere Kraftsteigerungen eher durch Hypertro-
Stimulation des Muskelbauchs oder des entspre- phie angestrebt werden. Darüber hinaus ermöglicht
chenden motorischen Nervs mittels Oberflächen- die Twitch-Interpolationstechnik im Rahmen der Er-
elektroden, wodurch ein zusätzlichen Impuls oder müdungs- und Erholtheitsdiagnostik eine Differen-
Twich auf die willkürlich generierte Kraftentfaltung zierung zwischen zentraler und peripherer Ermü-
des Muskels gelegt wird (de Ruiter et al. 2004; Millet dung (McKenzie et al. 1992). Wenn das Kraftdefizit
et al. 2011). Die Höhe der durch Elektrostimulation ansteigt, kann ein Kraftverlust durch zentrale bzw.
zusätzlich generierten Kraft kann dabei indirekt als neuronale Ermüdungsmechanismen erklärt werden
Maß der willkürlichen Aktivierungsfähigkeit angese- (Byrne et al. 2004).
194 C. Raeder et al.
200 25 kg Last
10 kg Last
100
3,5 kg Last
100 200 300 400 500
t (ms)
Krafttraining
195 4
gung zur Realisation eines hohen dynamischen verlaufen die initialen Kraftanstiegsraten gegen
Kraftmaximums als leistungsbestimmend ange- unterschiedlich hohe bis unüberwindbare Las-
sehen werden (Schmidtbleicher 2003). ten annähernd gleich und beruhen primär auf
Ist der zu beschleunigende Widerstand ge- der Maximalkraft (. Abb. 4.5).
ring (z. B. Schlagwurf im Handball), so wird
der resultierende Kraftstoß maßgeblich durch
die Start- und Explosivkraft (Bestimmungs- 4.1.3 Reaktivkraft
größen des Kraftanstiegsverhaltens) bestimmt
(Schmidtbleicher 2003). Die hohe Bewegungs- Eine besondere Erscheinungsform der Kraft sind
geschwindigkeit behindert die vollständige In- die Leistungen, die im sogenannten Dehnungs-
nervation aller Muskelfasern und die Bildung Verkürzungs-Zyklus (DVZ) realisiert werden.
mechanisch wirksamer Querbrücken zwischen Diese beruhen auf einer bestmöglichen reakti-
Aktin und Myosin. Das dynamisch realisierte ven Kopplung der exzentrischen und konzentri-
Kraftmaximum fällt demnach geringer aus schen Muskelaktionsform. Die Fähigkeit, inner-
(. Abb. 4.5; Wirth und Schmidtbleicher 2007). halb eines schnellen DVZ einen möglichst hohen
Zusätzliche nehmen mit steigender Bewegungs- Kraftstoß bzw. Impuls zu erzeugen, ist eine rela-
geschwindigkeit die Antagonistenaktivität (zur tiv eigenständige Kraftdimension und wird als
Gelenkprotektion und Bewegungskontrolle) Reaktivkraft bezeichnet (Schmidtbleicher 2003).
und der intramuskuläre Reibungswiderstand Reaktive Bewegungsleistungen kennzeichnen
(Viskosität) zu (Behm und Sale 1993). Die dy- sämtliche Sprint- und Sprungformen ebenso wie
namischen Krafthöchstwerte und die dafür alle Schuss-, Wurf-, Schlag- und Stoßbewegun-
benötigte Zeit steigen bei höheren Widerstän- gen (. Abb. 4.6; Güllich und Schmidtbleicher
den an (z. B. Kugel beim Kugelstoß, Start beim 1999). Komplexe Bewegungsabläufe integrieren
Sprint), da initial höhere Gegenkräfte für die zumeist mehrere hintereinandergeschaltete
Überwindung bzw. Beschleunigung der äuße- DVZ in verschiedenen Bewegungssegmenten,
ren Lasten entfaltet werden müssen. Daher wer- und die dadurch realisierte Reaktivkraft ermög-
den optimale Kraftstöße von zeitlich längerer licht höhere mechanische Leistungen. Aus-
Dauer zunehmend stärker durch die Maximal- schlaggebend für die bestmögliche Auslösung
kraft determiniert (. Abb. 4.5; Schmidtbleicher des DVZ ist eine individuell angemessene inter-
2003; Andersen und Aagaard 2006). Allerdings muskuläre Koordination.
Die Bedeutung der Reaktivkraft als eigenständige 55 die durch den Dehnungsreflex additiv wir-
Kraftdimension, basierend auf der bestmöglichen kende neuronale Aktivierung der Muskelfa-
Nutzung des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus sern, welche in der nachfolgenden konzentri-
(DVZ), kann exemplarisch bei maximalen Streck- schen Phase wirksam wird (Schmidtbleicher
sprüngen mit (Hocksprung; Counter Movement 2003; Bojsen-Moller et al. 2005).
Jump, CMJ) bzw. ohne (Kauersprung; Squat Diese tendomuskulären und neuronalen Eigenschaf-
Jump, SJ) vorausgehende Abwärtsbewegung des ten haben bei einem schneller ablaufenden DVZ eine
Körperschwerpunkts sowie bei Tief-Hochsprün- deutlich höhere Relevanz als bei langsamen (Gollhofer
gen (Drop Jump, DJ) verdeutlicht werden (Pam- 1987; Pampus 2001). Daher wird bei reaktiven Sprung-
pus 2001). Ursächlich für die höhere Leistung leistungen zwischen einem kurzen schnellen DVZ (<
beim CMJ gegenüber dem SJ sind primär: 200 ms Bodenkontaktzeit) und einem langen langsa-
55 die in Abhängigkeit von Dehnungsgeschwin- men DVZ (> 200 ms) unterschieden (Schmidtbleicher
digkeit und Bewegungsumfang in der exzentri- 2003). Ein Drop Jump bzw. der finale Abdruck beim
schen Phase, zusätzlich gespeicherte kinetische Weit- oder Hochsprung sind Beispiele für einen schnel-
Energie in den elastischen und kontraktilen len DVZ, während ein Counter Movement Jump oder
Strukturkomponenten der Muskel-Sehnen-Ein- ein Blocksprung im Volleyball aus tiefer Kniebeugung
heit (elastische Potenzierung) und überwiegend im langsamen DVZ realisiert werden.
196 C. Raeder et al.
4
a b c
.. Abb. 4.6 Beispiele für den DVZ in verschiedenen xion des Rumpfes bis zum Treffpunkt des Balles an. c
Sportarten. a Während der Oberkörperrotation wird Bei der beidhändigen Rückhand werden die Handge-
der M. pectoralis der Wurfarmseite durch die Trägheit lenksextensoren des Schlagarms beim Übergang von
der Diskusmasse kurz vor der finalen Wurfbewegung Aushol- zu Schlagbewegung kurzfristig gedehnt und
erst gedehnt und vor dem Abwurf reaktiv kontrahiert. das Handgelenk palmarflektiert. Hieran schließt sich
b Beim Volleyballaufschlag ist der Oberkörper extrem eine reaktive Kontraktion der Extensoren (Zuschnap-
dorsal flektiert und gleichzeitig rotiert, sodass die pen des Handgelenks) mit dem Ziel einer maximalen
gerade und schräge Bauchmuskulatur vorgedehnt Beschleunigung des Schlägerkopfes zum Treffpunkt
werden. Hieran schließt sich eine reaktive Ventralfle- des Balles an
Der entscheidende Unterschied zwischen Sportpraxis jedoch auch nachteilig sein, da die
beiden reaktiven Bewegungsformen ist, dass es kurze Zeit eine vollständige Innervation aller
beim kurzen DVZ zu einer intensiveren Reflex- Muskelfasern zur Erzeugung einer möglichst
auslösung durch die schnelle Dehnung der vor- hohen Kraftleistung limitiert. Außerdem wird
innervierten Muskulatur (exzentrische Kon- der Beschleunigungsweg bei geringerer Ge-
traktion) kommt (Bührle 1989). Hieraus lenkamplitude meist reduziert, sodass ein kur-
resultiert eine deutliche Kraftzunahme bei zer DVZ nicht zwangsläufig mit den größten
gleichzeitig relativ geringer Änderung der Kraftstößen und den daraus resultierenden
Muskellänge bzw. des Gelenkwinkels (Komi höchsten Sprung- und Wurfleistungen einher-
1994; Komi 2000). Zusätzlich werden die poten- geht (Steinhöfer 2015).
zierenden Elastizitätseigenschaften der In der Sportpraxis müssen daher für jede
Aktin-Myosin-Querbrücken (Short-Range Elas- Sportart und jede Bewegung individuell opti-
tic Stiffness; SRES) und des Titins bei schnellem mierte Kompromisslösungen gefunden wer-
DVZ optimal in den anschließenden Kraftstoß den, die einerseits alle neuromuskulären Mög-
integriert (Schmidtbleicher 2003). Beide Effekte lichkeiten der Reaktivkraftsteigerung nutzen,
fallen bei einem langsamen DVZ geringer aus ohne andererseits zu Lasten der biomechani-
(Bührle 1989; Laube und Müller 2004). schen Vorteile eines ausreichend hohen Be-
Das Ausmaß der DVZ-Wirksamkeit ist ab- schleunigungsweges zu gehen. In technisch
hängig vom Grad der muskulären Voraktivie- anspruchsvollen Sportarten muss zudem stets
rung und einem Optimum der auf den Muskel zwischen einer Optimierung von Bewegungs-
einwirkenden Dehnungsgeschwindigkeit (Goll- schnelligkeit und Bewegungspräzision abge-
hofer 1987). Ein zu kurzer DVZ kann in der wogen werden (. Abb. 4.6).
Krafttraining
197 4
Exkurs: Schnellkraft, Reaktivkraft und der DVZ
Schnellkraftleistungen sind primär von der kinetischer Energie in den elastischen Struktur-
willkürlichen Aktivierungsfähigkeit (hochfrequente komponenten der Muskel-Sehnen-Einheit
Innervation der Muskulatur), welche wiederum (elastische Potenzierung) und die zusätzliche
maßgeblich durch die Maximalkraft bestimmt wird, Auslösung des Dehnungsreflexes (Schmidtbleicher
sowie einer schnellen Kontraktionsfähigkeit 2003; Bojsen-Moller et al. 2005).
(optimal schnelle Kraftentfaltung unabhängig vom Reaktivkraftleistungen im langen DVZ werden
Maximalkraftniveau) abhängig (Bührle 1989; vornehmlich durch die dynamische Maximalkraft
Schmidtbleicher 2003; Steinhöfer 2015). bestimmt (Schmidtbleicher 2003). Demgegenüber
Reaktivkraftleistungen basieren primär auf der sind die elastische Potenzierung und der additiv
Schnellkraft. Insbesondere bei Bewegungsleistun- wirksame Dehnungsreflex von geringerer
gen, die innerhalb eines schnellen DVZ ablaufen, Relevanz. Die resultierende Kraftleistung wird
sind eine angemessene Voraktivierung und eine jedoch durch eine Verbesserung der biomechani-
optimal ausgeprägte Muskelsteifigkeit (Stiffness) in schen Rahmenbedingungen (Vergrößerung von
der exzentrischen Phase des DVZ leistungsrelevant Bewegungsamplitude bzw. Beschleunigungsweg)
(Bührle 1989). Hieraus resultieren eine Speicherung gesteigert.
4.2 Biologische Grundlagen (Linke und Pfitzer 2010). Diese sind im Ver-
gleich zu anderen Körperzellen große zylindri-
Jede aktive Bewegung erfordert die zentral- sche Zellen mit einem Durchmesser von
nervöse bzw. reflektorische Innervation der ca. 30–80 μm und einer Länge von bis zu 10 cm
Skelettmuskulatur (Ehlenz et al. 2003). Die und beinhalten zahlreiche Zellkerne (Nuklei),
Muskulatur kann somit als Exekutiv- oder Er- welche randständig unterhalb der Plasmamem-
folgsorgan von Bewegungen angesehen wer- bran (Sarkolemm) angeordnet sind (Hoppeler
den, deren Hauptfunktion die situativ ange- 2015). In der extrazellulären Matrix befinden
messene Erzeugung von Kraft ist (Hoppeler sich zusätzlich eingebettete Satellitenzellen.
und Billeter 2003). Ferner unterliegen Bewe- Diese noch undifferenzierten Zellen besitzen
gungsleistungen neuronalen Steuerungs- und eine bedeutsame Schlüsselfunktion für die Re-
Regelungsprozessen und basieren auf energe- generation der Muskelfaser, insbesondere nach
tischen Voraussetzungen (Konczak 2003). mechanischen Schädigungen (Toigo 2015).
Zum Verständnis von Kraftleistungen Auf der untersten hierarchischen Struk-
werden im Folgenden zunächst die Struktur- turebene des Skelettmuskels befinden sich die
und Funktionseigenschaften des Skelettmus- Myofibrillen (. Abb. 4.7). Sie sind innerhalb
kels beschrieben. Hierzu zählen der struktu- der Muskelfaser parallel angeordnet und be-
relle Aufbau der Skelettmuskulatur, der stehen in Längsrichtung aus den kleinsten
Muskelquerschnitt, seine Architektur und das funktionellen Einheiten der Myofibrille, den
Muskelfaserspektrum, der Mechanismus von Sarkomeren (Linke und Pfitzer 2010). Die
Muskelkontraktion und neuromuskulärer Si- Anzahl der parallel geschalteten Myofibrillen
gnalübertragung, spinale und supraspinale bestimmt die Kontraktionskraft, während die
Faktoren der Bewegungsregulation sowie aus- Anzahl der in Längsrichtung seriell angeord-
gewählte Aspekte der Energiebereitstellung. neten Sarkomere primär die Verkürzungsge-
schwindigkeit beeinflusst (Ehlenz et al. 2003).
Innerhalb des Sarkomers befinden sich die
4.2.1 Aufbau der Skelettmuskulatur
charakteristisch angeordneten kontraktilen Pro-
teine Myosin (dickes Filament) und Aktin (dün-
Der Skelettmuskel ist hierarchisch strukturiert
nes Filament; Caiozzo und Rourke 2006). Die
(. Abb. 4.7) und besteht aus einer Vielzahl an
Myosinfilamente sind in der A-Bande im Zent-
Muskelfaserbündeln, sogenannten Faszikeln,
rum des Sarkomers organisiert und beidseits mit
welche wiederum die Muskelfasern enthalten
198 C. Raeder et al.
dem Strukturprotein Titin assoziiert, welches an scheidend für die Realisation hoher Kraftleis-
den Enden des Sarkomers an der Z-Scheibe ver- tungen. Ein enger Zusammenhang zwischen
ankert ist (Linke und Pfitzer 2010). Innerhalb der dem Muskelquerschnitt der Oberschenkel-
I-Bande fungieren die Titinfilamente als moleku- muskulatur und der isometrischen Maximal-
lare elastische Federn und dienen der Zentrie- kraft ist bereits seit Langem bekannt (Maughan
rung der Myosinfilamente (Brenner 2010). Die et al. 1983). In der gleichen Untersuchung
Aktinfilamente verlaufen ausgehend von einer zeigte sich, dass Männer zwar über eine höhere
Hälfte der I-Bande über die Aktin-Myosin- Maximalkraft als Frauen verfügten, wurde
Überlappungszone bis an die Grenzen der diese jedoch zur Querschnittsfläche relativiert,
H-Zone (Caiozzo und Rourke 2006). Der Über- ergaben sich nur noch geringfügige Unter-
lappungsbereich kennzeichnet die kontraktile schiede.
Zone des Sarkomers (. Abb. 4.7). Im Querschnitt Der Vorteil eines gefiederten Muskels be-
zeigt sich dabei eine hexagonale Struktur, in der steht darin, dass eine höhere Anzahl von Fasern
jeweils ein Myosinfilament von je sechs Aktinfila- in das Muskelvolumen integriert werden kön-
menten und je drei bis sechs Titinfilamenten um- nen und dadurch der physiologische Quer-
geben ist (Brenner 2010; Linke und Pfitzer 2010). schnitt (pCSA) und die Maximalkraft ansteigen.
Chronische Krafttrainingsreize führen in der
Regel zu einem Anstieg von pCSA und Fiede-
4.2.2 Muskelquerschnitt und rungswinkel sowie zu einer Abnahme der Faser-
Muskelarchitektur länge und bewirken dadurch eine Kraftsteige-
rung (Aagaard und Bangsbo 2006). Andererseits
Der Muskelquerschnitt (Anzahl und Durch- weisen langfaserige Muskeln größere Verkür-
messer parallel angeordneter Fasern) ist ent- zungsgeschwindigkeiten auf, sodass bei zuneh-
Krafttraining
199 4
xkurs: Muskelquerschnitt und Fiederungs-
E mit einer Erhöhung der Trainingsfrequenz ein-
winkel hergehen könnte (Maughan et al. 1983; Barry
et al. 2015).
Hinsichtlich der Muskelarchitektur unterschei-
det man in Abhängigkeit von der Muskelfaser-
ausrichtung zwischen einem anatomischen
(Anatomical Cross-Sectional Aerea, aCSA) und 4.2.3 Muskelfaserspektrum
einem physiologischen Querschnitt (pCSA;
Tricoli 2011). Bei einem ungefiederten Muskel Die Fasertypenverteilung im humanen Skelett-
(z. B. M. bizeps brachii) entspricht der aCSA dem
muskel bestimmt in hohem Maße Geschwin-
pCSA, da alle Muskelfasern von Ursprung zu
Ansatz parallel zur Kraftwirkungslinie angeord- digkeit und Leistung der Muskelkontraktion
net sind. Im Kontrast dazu verlaufen die Fasern (. Abb. 4.8; Toigo 2015). Grundsätzlich lassen
bei einem gefiederten Muskel (z. B. M. sich beim Menschen drei übergeordnete „reine“
quadrizeps femoris) in einem bestimmten Fasertypen hinsichtlich ihrer Funktionscharak-
Winkel (Fiederungswinkel α), relativ zur
teristika unterscheiden: die langsamen Typ-I-
kraftgenerierenden Achse, sodass diese nicht
ihr volles Kraftpotential auf die Aponeurose sowie die schnellen Typ-IIA- und Typ-IIX-Fa-
bzw. Sehne übertragen können. sern (Caiozzo und Rourke 2006; Tricoli 2011).
Die spezifischen Eigenschaften jedes Fasertyps
sind in . Tab. 4.1 zusammengefasst.
mender Muskelfiederung und abnehmender Typ-I-Fasern weisen geringere Kontrakti-
Faserlänge die Schnellkraft leiden kann (Tricoli onsgeschwindigkeiten, Kraftanstiegs- sowie Re-
2011; Toigo 2015). laxationsraten als Typ-II-Fasern auf, u. a. bedingt
Es wird angenommen, dass männliche durch eine unterschiedliche Myosinkonfigura-
Sportler mit größerer Muskelquerschnittsflä- tion und eine geringere Ca2+-ATPase-Aktivität
che und höherer Maximalkraft stärkeren Er- (Caiozzo und Rourke 2006). Aus energetischer
müdungsprozessen und Strukturschädigungen Sicht besitzen Typ-I-Fasern eine größere oxida-
nach intensivem Training ausgesetzt sind. In tive Kapazität (Volumendichte an Mitochond-
der Folge ist auch die Regeneration verzögert. rien und Kapillaren) und eine höhere aerobe
Da weibliche Sportlerinnen im Vergleich zu Enzymaktivität. Ferner benötigen Typ-I-Fasern
Männern eine geringere Maximalkraft aufwei- bei gleicher mechanischer Arbeit weniger ATP
sen, wird bei ihnen eine höhere Ermüdungsre- als Typ-II-Fasern; sie arbeiten folglich ökono-
sistenz und eine schnellere Regeneration er- mischer und ermüden langsamer (Hoppeler
wartet, welche in der praktischen Konsequenz und Billeter 2003; Caiozzo und Rourke 2006).
Typ-II-Fasern sind hingegen reich an Kreatin- Aus struktureller Sicht unterscheiden sich
phosphat und Glykogen und besitzen eine hö- die Muskelfasertypen sowohl durch ihre neu-
here glykolytische Kapazität infolge einer ver- ronale Ansteuerung (Durchmesser von Moto-
stärkten Aktivität der anaeroben Schlüsselenzyme neuron und Nervenfaser) als auch durch die
Laktatdehydrogenase (LDH), Phosphofruktoki- ihrer Strukturproteine. Typ-II-Fasern besitzen
nase (PFK) und Kreatinkinase (CK). einen höheren Anteil an schnellen Myosin-
Krafttraining
201 4
Isoformen im Bereich der schweren Amino- lichen Aktivierung determiniert und ist weni-
säureketten (Myosin Heavy Chains, MHC). ger von der Fasertypenzusammensetzung ab-
Der menschliche Skelettmuskel enthält jedoch hängig, da die Erzeugung mechanischer
auch sogenannte Hybridfasern mit unter- Spannung bei langsamen und schnellen Mus-
schiedlich gemischten Myosin-Isoformen kelfasern annähernd identisch ist (Caiozzo
(Pette und Staron 2000; Andersen und Aagaard und Rourke 2006; Bogdanis 2012). Das charak-
2010; Tricoli 2011). Folglich kann an Stelle ei- teristische Leistungsmerkmal von Typ-II-
ner eindeutigen Kategorisierung von Muskel- Fasern liegt vielmehr in der Fähigkeit begrün-
fasertypen eher von einem funktionalen Kon- det, bei gegebener Kraftentfaltung erheblich
tinuum zwischen schnellen und langsamen höhere Verkürzungsgeschwindigkeiten gene-
Muskelfasern ausgegangen werden (Hoppeler rieren zu können als Typ-I-Fasern (Fitts und
und Billeter 2003; Sargeant 2007). Widrick 1996). Dies spiegelt sich in einer un-
Die Maximalkraft wird vorrangig von der terschiedlichen Kraft-Geschwindigkeits- bzw.
Querschnittsfläche und dem Grad der willkür- Kraft-Leistungs-Relation wider . Abb. 4.9).
Praxistipp: Muskelfaseranteil und Training
Die Anteile an Muskelfasertypen sind vorrangig neuromuskulärer Stress, speziell beim Hyper-
genetisch determiniert. Durch Training können trophietraining, eine Transformation zugunsten
jedoch tendenzielle Verschiebungen in beide langsamerer Fasern (Linkstransformation der
Richtungen erfolgen. Typ-II-Fasern können MHC). Erst nach ausreichender Regeneration
sowohl bei hoher Kontraktionsgeschwindigkeit bzw. vermindertem mechanischen Stress
(Schnellkrafttraining) als auch bei hohem erfolgt eine Verschiebung zugunsten der
Widerstand (Maximalkrafttraining) angespro- schnelleren Fasern (Rechtstransformation der
chen werden. Indirekte Möglichkeiten bieten MHC). Für das Schnellkrafttraining ergibt sich
reflektorische Methoden (z. B. beim Vibrations- daraus als praktische Konsequenz: Dem
krafttraining) oder die externe Stimulation Muskelaufbau muss ein IK-Training folgen mit
(EMS-Training). Die Trainingsanpassungen anschließendem Tapering zur Sicherstellung
verlaufen meist stufenförmig. Zunächst bewirkt der Rechtstransformation.
2 5
langsam
schnell 2A
schnell 2X
1,5
Geschwindigkeit (L/s)
schnell 2X
Leistung (W/I)
1 2,5
schnell 2A
0,5
langsam
0 0
0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60
a Kraft (kN/m2) b Kraft (kN/m2)
Nach Erreichen des maximalen Aktionspotentials Rücktransport der Ca2+-Ionen in das sarkoplasmati-
erfolgt die anschließende Wiederherstellung des sche Retikulum (SR). In der Folge werden die
Ruhemembranpotentials (Repolarisation) von Aktin-Myosin-Interaktionen inhibiert, und es kommt
ca. –80 mV durch schnelle Inaktivierung der zur Relaxation der Muskelfaser (Brenner 2010). Das
Na+-Kanäle und Öffnung der extrazellulär ausgerich- SR besitzt somit eine zentrale Schlüsselfunktion bei
teten K+-Kanäle. Ferner bewirken ein Cl–-Einwärts- der Aktivierung und Relaxation der Muskelfaser. Die
strom sowie eine ATP-abhängige Na+-K+-Pumpe Funktionalität dieses Mechanismus ist bei den
(Na+-K+-ATPase) eine Stabilisation und Aufrecht- Typ-II-Fasern besser ausgeprägt und determiniert
erhaltung des Ruhepotentials (Linke und Pfitzer maßgeblich das Potential von Maximal- und
2010). ATP-abhängige Ca2+-Pumpen sorgen für den Schnellkraftleistungen (Caiozzo und Rourke 2006).
Bei der Muskelkontraktion gleiten die Aktin- Pfitzer 2010). Kontrahiert ein Sarkomer bis
und Myosinfilamente der in den Myofibrillen auf ca. 60 % seiner Ruhe- bzw. Gleichge-
seriell angeordneten Sarkomere aneinander wichtslänge, kommt es zur Kollision der Ak-
vorbei. Dieser charakteristische Vorgang wird tinfilamente im Bereich der M-Linie und der
daher auch als Gleitfilamentmechanismus be- Myosinfilamente mit der Z-Scheibe. Bei Sar-
zeichnet (. Abb. 4.7 und 4.10; Linke und Pfit- komerdehnung über die Gleichgewichtslänge
zer 2010). Bei aktiver Sarkomerverkürzung hinaus werden die Titinfilamente gedehnt
werden die Aktinfilamente weiter in die und erzeugen wichtige elastische Rückstell-
A-Bande in Richtung M-Linie gezogen, wo- kräfte (DVZ und Reaktivkraft, 7 Abschn. 4.1.3)
durch H-Zone und I-Bande gleichermaßen zur Aufrechterhaltung der Sarkomerintegrität
schmaler werden, während die Länge der (Brenner 2010).
A-Bande unverändert bleibt. Demgegenüber Molekulare Basis der Muskelkontraktion ist
werden bei einer Sarkomerdehnung die Aktin- die energieabhängige Interaktion zwischen My-
filamente aus der Anordnung der Myosinfila- osinkopf und Aktinfilament (Querbrückenzyk-
mente innerhalb der A-Bande herausgezogen, lus; 7 Exkurs: Feinregulation der Muskelkontrak-
wodurch das Ausmaß der Filamentüberlap- tion und . Abb. 4.10). Dabei wird unter
pung abnimmt. Entsprechend werden H-Zone Hydrolyse des am Myosinkopf gebundenen
und I-Bande gleichermaßen breiter, während energiereichen Adenosintriphosphats (ATP)
die Länge der A-Bande weiterhin konstant chemische Energie produziert, welche vom
bleibt (. Abb. 4.7b; Brenner 2010; Linke und Motorprotein Myosin in Muskelkraft zur akti-
Krafttraining
203 4
leichte Kette
Konverter
2 3
ATP-Spaltung niederaffine Bindung
ADP ADP
ATP Pi Pi
4
1
Ablösung
6 5
2. Kraftschlag 1. Kraftschlag
ADP hochaffine Bindung
Pi
2–4 nm 6–8 nm
.. Abb. 4.10 Der ATP-abhängige Querbrückenzyklus geht mit Aktin eine niederaffine Bindung ein (nieder-
(Brenner 2010): 1. Nach dem zweiten Kraftschlag (6.) affiner Aktomyosinkomplex). 4. Strukturumlagerungen
wird ein ATP-Molekül in dem aktiven Zentrum des im Myosinkopf bewirken eine Zunahme der Aktin-Myo-
Myosinkopfes gebunden, was zur Ablösung der sin-Affinität. 5. Durch Abspaltung von Pi aus dem
hochaffinen Bindung zwischen Myosinkopf und Zentrum des Myosinkopfes erfolgt eine Rotationsbewe-
Aktinfilament führt. 2. Die Hydrolyse von ATP in ADP gung des Hebelarms in Richtung M-Linie (erster
und anorganisches Phosphat (Pi) unter Abgabe eines Kraftschlag des Myosinkopfes und Verschiebung um
Wasserstoffprotons (H+) durch die ATPase-Funktion des ca. 6–8 nm). 6. Die Abspaltung von ADP aus dem
Myosinkopfes bewirkt ein Umklappen des Hebelarms in aktiven Zentrum induziert eine weitere Hebelarmrota-
Richtung Z-Linie zur erneuten Ausrichtung des tion des Myosinkopfes (zweiter Kraftschlag und
Myosinkopfes am Aktinfilament. 3. Der Myosinkopf Verschiebung um weitere 2–4 nm)
ven Längenänderung des Muskels eingesetzt bei wird den Regulatorproteinen Troponin-C
wird (Linke und Pfitzer 2010). Auch bei isome- und Tropomyosin, die den Aktinfilamenten an-
trischer Kraftentwicklung erfolgt der Querbrü- gelagert sind, eine bedeutsame Rolle zuteil. Bei
ckenzyklus, obwohl es hierbei zu keiner we- niedriger zytosolischer Ca2+-Konzentration wir-
sentlichen Veränderung von Muskellänge bzw. ken diese als Inhibitoren des Querbrückenzyklus,
Gelenkwinkel kommt. Hierbei bildet der Myo- da sie eine feste Anlagerung des Myosinkopfes
sinkopf immer an derselben Bindungsstelle am Aktinfilament verhindern (Linke und Pfitzer
zum Aktin eine mechanisch wirksame Quer- 2010). Eine erregungsbedingte Steigerung der
brücke, welche eine elastische Verformung des Ca2+-Konzentration bewirkt dagegen eine ver-
Myosinmoleküls im Bereich der Halsregion, stärkte Bindung von Ca2+-Ionen an die Troponin-
aber keine aktive Filamentverschiebung be- C-Untereinheit, welches zu einer konformato-
wirkt (Linke und Pfitzer 2010). Der kontraktile rischen Umlagerung des Tropomyosinmoleküls
Mechanismus des Skelettmuskels kann dabei führt, in deren Folge die hochaffinen Bin-
auf molekularer Ebene in sechs elementare dungsstellen für die Myosinköpfe am Aktinfi-
Schritte eingeteilt werden (. Abb. 4.10; Caiozzo lament freigegeben werden können und somit
und Rourke 2006; Fitts 2008; Brenner 2010). der Querbrückenzyklus bei ausreichendem
Die Aktivität der Aktin-Myosin-Interaktionen ATP-Vorrat ablaufen kann (Brenner 2010).
wird durch die Ca2+-Konzentration im Sarko- Bei Ermüdung und Akkumulation von Stoff-
plasma reguliert, um einer permanenten Kon- wechselendprodukten (ADP, Pi und H+) sind
traktion des Skelettmuskels bei ausreichendem Ca2+-Sensitivität und dadurch Kraftleistung
ATP-Angebot entgegenwirken zu können. Hier- verringert (Allen et al. 2008).
204 C. Raeder et al.
Exkurs: Feinregulation der Muskelkontraktion mit dem Rückenmark verbunden und besitzt
eine monosynaptische Verbindung mit den im
Aktuelle Forschungsergebnisse weisen auf eine Vorderhorn befindlichen efferent leitenden
mechano-sensitive Feinregulation der Muskelkon-
α-Motoneuronen (Noth 1994; Lehmann-Horn
traktion durch das Myosinmolekül hin (Linari et al.
2015). Demnach ruhen im relaxierten Muskel 2010). Bei plötzlicher Muskeldehnung (z. B.
(niedrige Ca2+-Konzentration) zahlreiche Myosin- während des DVZ) bewirken die afferent leiten-
köpfe inaktiv auf dem Myosinfilament, während nur den Spindelerregungen eine direkte Innervation
weniger als 5 % der Myosinköpfe durch Verwertung der α-Motoneurone des Agonisten (monosyn-
4 von ATP aktiviert sind. Bei niedriger äußerer Last
bewirken diese eine sofortige Muskelverkürzung.
aptischer Dehnungsreflex) und eine Inhibition
Dagegen kommt es erst bei höherer äußerer Last zu des α-Motoneurons des Antagonisten (rezip-
einer zusätzlichen Ca2+-induzierten Aktivierung der roke Antagonistenhemmung), wodurch die
„ruhenden“ Myosinköpfe. Dieser regulatorische Kontraktion verstärkt wird (Stone et al. 2007).
Mechanismus erlaubt eine bedarfsgerechte
Feinregulation der kontraktilen Kraftentfaltung.
Praxistipp: Der DVZ und spinale Bewegungs
regulation
rate der Motoneurone) von motorischen Ein- Auch die Steigerung von Erregungsrate bzw.
heiten (ME) moduliert (Linke und Pfitzer Aktionspotentialfrequenz ermöglicht größere
2010; MacDougall und Sale 2014). Kontraktionskräfte (MacDougall und Sale 2014).
Im Allgemeinen sind alle Willkürkontraktionen
Intra- u. intermuskuläre Koordination des Skelettmuskels tetanischer Natur (Brenner
2010). Für die Erzeugung von tetanischen Dau-
Als „intramuskuläre Koordination“ wird
erkontraktionen sind bei den schnellen Typ-II-
die Qualität des zentralen Nervensystems
Fasern höhere Impulsraten erforderlich.
verstanden, innerhalb eines Muskels die
4 Anzahl der aktivierten motorischen
Die intermuskuläre Koordination bezieht sich
auf eine koordinativ bestmögliche Abstim-
Einheiten (Rekrutierung) und die
Erregungsrate bzw. Aktionspotentialfre-
quenz der Motoneurone von motorischen Praxistipp: Rekrutierung der Typ-II-Fasern
Einheiten (Frequenzierung) bedarfsge-
Die Rekrutierung von schnellen motorischen
recht zu modulieren. Einheiten erfolgt bei hohen Widerständen von
Als „intermuskuläre Koordination“ über 80–95 % des 1 RM. Sie kann jedoch auch
wird die Qualität des zentralen Nerven- bei moderaten Intensitäten unterhalb von 80 %
systems zur bestmöglichen Abstimmung des Kraftmaximums gesteigert werden:
55 wenn die Bewegung bei geringerer
mehrerer Muskeln (zwischen Agonisten
Intensität bis zum Muskelversagen
und Synergisten sowie zwischen Agonis- fortgesetzt wird,
ten und Antagonisten) innerhalb eines 55 wenn die Kraft bei geringerer Intensität
Bewegungsablaufs mit dem Ziel der maximal explosiv entfaltet wird,
Ökonomisierung und Leistungssteige- 55 wenn durch Applikation von Vibration eine
zusätzliche externe Stimulation erfolgt.
rung verstanden.
Mit ansteigendem Kraftbedarf nehmen Rekru- xkurs: Warum zittert die Oberfläche des
E
tierung und Frequenzierung kontinuierlich zu. Muskels?
Die Reihenfolge der rekrutierten motorischen Bei submaximaler isometrischer Kontraktion
Einheiten (ME) folgt nach dem Größenprinzip (z. B. im Kniegelenksstrecker) beobachten wir,
und dem zugrunde liegenden Rekrutierungs- dass die Oberfläche des Muskels in ständiger
schwellenwert (Toigo 2015). Bei geringen Bewegung ist. Die Ursache besteht darin, dass
Kraftanforderungen werden die kleinen die an der Kraftproduktion beteiligten
motorischen Einheiten (ME) asynchron, d. h.
α-Motoneurone vom Typ-S (slow) rekrutiert. alternierend, aktiviert werden. Hierdurch kann
Diese besitzen den niedrigsten Schwellenwert die Muskelermüdung insgesamt verzögert
und innervieren die langsamen, ermüdungsre- werden, da die Relaxationsperiode einer ME
sistenten Typ-I-Fasern. Bei steigendem Wider- durch die Kontraktionsphase einer anderen ME
stand schalten sich zunächst die α-Motoneurone überlagert wird (MacDougall und Sale 2014).
vom Typ-FR (fast fatigue resistant) und schließ-
lich jene vom Typ-FF (fast fatigable) dazu, wel-
che die schnellen, jedoch rascher ermüdbaren mung mehrerer Muskeln innerhalb eines Be-
Typ-IIa- bzw. Typ- IIx-
Fasereinheiten aktivie- wegungsablaufs. Sie kommt bei komplexen
ren. Bei etwa 80–95 % des Kraftmaximums sind mehrgelenkigen Kraftübungen (z. B. beim
weitgehend alle für die motorische Aufgabe funktionellen Krafttraining), aber auch bei
einsetzbaren ME rekrutiert. Bei abnehmendem sportartspezifischen Trainingsformen (z. B.
Kraftbedarf werden die Motoneurone sukzessiv Wurf-, Stoß- oder Sprungbewegungen) zum
in umgekehrter Reihenfolge derekrutiert (Mac- Tragen. Die Qualität der intermuskulären Ko-
Dougall und Sale 2014). ordination gilt jeweils nur für eine spezifische
Krafttraining
207 4
motorische Aufgabe und ist nur eingeschränkt sportartspezifische Techniken (z. B. Handball-
übertragbar auf anders strukturierte Bewe- wurf) stets ein ausreichender koordinativer
gungsleistungen. Für die Trainingspraxis be- Transfer initiiert werden muss (Gamble 2013;
deutet dies, dass zwischen mehrgelenkigen Raeder et al. 2015). Die intermuskuläre Koor-
komplexen Kraftübungen (z. B. Medizinball- dination besitzt enge Verwandtschaft zum
training) und dem Übertrag auf konkrete Schnelligkeitstraining (7 Kap. 5).
Exkurs: Vibrationskrafttraining
Exzenter (meist eine elipsoide Scheibe), wel- sportlichen Praxis werden jedoch üblicherweise
che den Lastarm und somit den Widerstand mehrgelenkige (multiartikulare) Trainingsfor-
im Gelenkwinkel der Optimallänge erhöhen. men bevorzugt. Hierbei stellt sich das Phäno-
Entsprechende Entwicklungen setzen sich men der Kraft-Längen-Relation noch weitaus
jedoch in der Praxis nur bedingt durch, weil sie komplexer dar und soll im Folgenden am Bei-
auf geführte eingelenkige (monoartikulare) Be- spiel der Kniebeuge (der „Mutter aller Kraft-
wegungsabläufe reduziert sind. In der leistungs- sport-Übungen“) vertieft werden.
Im Verlauf der Kniebeuge kommt es in den
4 Plateau
beteiligten Gelenken (Knie- und Hüftgelenk) in
region Descending verschiedenen Gelenkwinkeln zu einer unter-
limb
schiedlichen Aktivierung der Arbeitsmusku-
100 Ascending
limb 2,0 2,2 latur (Hahn 2011). Das Ausmaß der Muskel-
Passive aktivität wird von der Widerstandslast, den
Force (%)
force
1,7 Gelenkwinkeln und der Länge der externen
50
Lastarme determiniert (Bryanton et al. 2012;
Gottlob 2013). Der Lastarm ist dabei definiert
als der horizontale rechtwinklige Abstand zwi-
0 schen der vertikalen Lastwirkungslinie und dem
1,27 1,7 2,0 2,2 3,6
jeweiligen Gelenkdrehpunkt (. Abb. 4.12). Das
a Sarcomere length (µm)
Produkt aus Lastarm und äußerer Gewichtslast
ergibt das externe Drehmoment (Toigo 2015).
80
Combined
tension
60
Passive
Force (N)
tension
40
20 Active
tension
0
0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5
b Length (cm)
Optimum length
150 Active and
passive tension Knie-
Momentarm
100
Torque (Nm)
50
Hüft-Momentarm
0
0° 20° 40° 60° 80°
c Angle
Bei der Kniebeuge nimmt mit zunehmender bewältigt als bei der 90°-Kniebeuge, da die reaktive
Beugetiefe das Drehmoment zu, da sich die Summe Beschleunigung aus dem tiefen Umkehrpunkt unter
der auf Knie- und Hüftgelenk wirkenden Lastarme Mitwirkung des DVZ die Überwindung des Totpunkts
vergrößert. Die höchste Quadrizepsaktivität wird begünstigt. Ferner kann es nach extremer Muskeldeh-
jedoch bereits zwischen 60–90° Knieflexion erreicht (in nung in der tiefen Position der Kniebeuge zu einer
tieferen Gelenkwinkelpositionen werden die Knie Potenzierung der isometrischen Kraft kommen, die
häufig v-förmig nach außen geschoben, was den auch als Residual Force Enhancement bezeichnet wird
Lastarm verkleinert). Bei etwa 80–90° Knieflexion (Herzog et al. 2006). Dies wird mit einer kalziumabhän-
befindet sich auch der sogenannte Totpunkt (Sticking gigen Zunahme der strukturellen Stabilität des
Point) der Kniebeuge, an dem die Übung häufig zum Titinfilaments mit nachfolgender Erhöhung der
Erliegen kommt (Escamilla 2001; Newton 2011; Kompf muskulären Stiffness und der passiven Kraft begründet
und Arandjelovic 2016). Bei der Tief- bzw. Parallelknie- (Herzog et al. 2015).
beuge werden jedoch teilweise höhere Lasten
Auf neuronaler Ebene spielen die zentralner- jedoch maßgeblich auch die Sehnen sowie
vös gesteuerte muskuläre Voraktivierung die im Muskelgewebe eingebetteten Apo-
(Feedforward Control) und die Stärke der spi- neurosen (Wilson und Flanagan 2008; Kui-
nalen Reflexinnervation (Feedback Control) tunen 2010). Die Sehnen werden während
vor bzw. während des Bodenkontakts bei Drop der exzentrischen Phase im schnellen DVZ
Jumps eine entscheidende Rolle. Es besteht ein stark gedehnt, während die Muskelfasern
Zusammenhang zwischen dem Grad der mus- annähernd isometrisch im Bereich ihrer op-
kulären Voraktivierung vor der Landung und timalen Myofilamentüberlappung kontra-
4 geringeren Bodenkontaktzeiten beim Drop hieren (Ishikawa und Komi 2008). Demnach
Jump (Arampatzis et al. 2001). Des Weiteren erzeugt der Muskelfaszikel die notwendige
kommt es zu einer Erhöhung der Sensitivität Gegenkraft, damit die Sehnen die elastische
der Muskelspindeln (Feedforward Control) Spannungsenergie in der kurzen Dehnungs-
und dadurch zu einer verstärkten Reflexinner- phase des schnellen DVZs speichern kön-
vation während der Bodenkontaktphase (Goll- nen, welche in der nachfolgenden konzentri-
hofer et al. 1984). Die Regulation der Stiffness schen Phase leistungspotenzierend wirksam
im schnellen DVZ wird auch als kurzzeitige wird.
reaktive Spannungsfähigkeit der kontraktilen In Hinblick auf die physische Leistungsfä-
Proteine im Aktin-Myosin-Komplex bezeich- higkeit können positive Zusammenhänge
net (Ehlenz et al. 2003). zwischen dem Grad der tendomuskulären
Auch mechanische Einflussgrößen der Stiffness und der isometrischen und konzent-
Muskel-Sehnen-Einheit tragen in hohem rischen Kraftanstiegsrate (Schnell-und Explo-
Maße zur Stiffness bei reaktiver Kraftentfal- sivkraft), dem realisierbaren Kraftmaximum,
tung bei (Kuitunen 2010). Dies betrifft vor- der maximalen Sprintgeschwindigkeit und
nehmlich das muskuläre Bindegewebe sowie der Laufökonomie aufgezeigt werden. Im Al-
die Titinfilamente, die bei aktiver Muskel- tersgang, bei Untrainierten sowie bei Athleten
dehnung zur Speicherung von elastischer im ermüdeten Zustand nimmt die Stiffness
Energie befähigt sind (Seiberl et al. 2015). signifikant ab (Kuitunen et al. 2002; Wilson
Zu den mechanischen Komponenten zählen und Flanagan 2008).
Die Sehnen sind das Bindegewebe, das die (Arampatzis 2009; Douglas et al. 2017). Optimal
Muskeln mit den Knochen verbindet und adaptierte Sehnen können dabei das Verletzungs-
anschließend die Kraft vom Muskel auf den risiko senken sowie die Leistungsfähigkeit durch
Knochen überträgt. Aus trainingsphysiologischer eine Verbesserung der myofaszialen Kraftübertra-
Sicht ist es kaum möglich, Sehnen isoliert zu gung steigern. Exzentrische Kraftstimuli werden
trainieren, da jede Bewegungshandlung grund- darüber hinaus erfolgreich in der Rehabilitation
sätzlich eine Interaktion der Sehnen mit den von chronisch schmerzhaften und degenerativen
Muskelfasern hervorruft und somit die Mus- Sehnenerkrankungen (z. B. Achillo- oder Patel-
kel-Sehnen-Einheit immer in ihrer Gesamtheit la-Tendinopathien) eingesetzt.
beansprucht wird. Allerdings gibt es Hinweise, dass Beispiel: Heel-Drops (3 × 15 Wdh.): Stehe mit
der adäquate Reiz zur Adaptation von Sehnenge- den Fußballen auf einem erhöhten Untergrund
webe hohe mechanische und insbesondere (z. B. Treppenstufe). Lasse die Ferse langsam und so
exzentrische Kraftbelastungen sind, die, chronisch weit wie möglich (ggf. einbeinig oder mit Zusat
und periodisiert verabreicht, sowohl qualitative zgewichten) exzentrisch nach unten gleiten. Das
(Sehnensteifigkeit) als auch quantitative Verbesse- Aufrichten kann bzw. sollte zunächst am Treppen-
rungen (Sehnenquerschnitt) bewirken können geländer mit Gewichtsentlastung erfolgen.
Krafttraining
211 4
4.2.9 Postactivation Potentiation als Komplextraining bezeichnet (Ebben 2002;
(PAP) und Komplextraining Baker und Newton 2005; Robbins 2005). Die
dahinter stehende Theorie besagt auch, dass
In vielen Sportarten wird versucht, den koordi- eine muskuläre Voraktivierung (z. B. Knie-
nativen Transfer von Kraftfähigkeiten in hohe beuge mit hoher Zusatzlast und wenigen Wie-
Bewegungsgeschwindigkeiten möglichst zeit- derholungen) mit einem zeitlich begrenzten
nah durch die unmittelbare Kopplung von Nachwirkungseffekt im Sinne einer Kraftsteige-
Krafttrainingsreizen und spezifischen Schnell- rung (Postactivation Potentiation, PAP) ein-
kraftübungen aus der jeweiligen Sportart zu hergeht (z. B. Verbesserung der Vertikalsprung-
optimieren. Diese Vorgehensweise wird auch leistung).
Die kurzfristige Steigerung der Sprungkraft durch Hinsichtlich der Komplexintervention der oberen
vorausgehende Kraftinterventionen konnte Extremität ist die Datenlage allerdings weniger
vielfach experimentell belegt werden (Young et al. eindeutig als bei der unteren Extremität. Offenbar
1998; Baker 2003). Der Effekt basiert auf molekula- scheint der PAP-Effekt bei koordinativ anspruchs-
rer Ebene auf einer optimierten Aktin-Myosin-In- vollen Techniken (z. B. dem Tennisaufschlag) nur
teraktion, einer verbesserten Erregbarkeit und bedingt geeignet zu sein, da möglicherweise
Rekrutierung der schnellen Muskelfasern und koordinativ störende Einflüsse entstehen (Ferrauti
insgesamt auf einem verbesserten neuromuskulä- und Bastiaens 2007). Keinesfalls darf die Voraktivie-
ren Signaltransfer (Güllich und Schmidtbleicher rung bereits so umfangreich sein, dass sich PAP
1996; Sale 2002; Tillin und Bishop 2009). und Ermüdung überlagern.
1000 10
MS * MS
DS DS
800 EO 8 EO
FW FW
600 PJ 6 PJ
CK (U × L–1)
DOMS (cm)
4 400 4
200 2
0 0
a prä post 24 post 48 b post 24 post 48
.. Abb. 4.13 Auswirkungen verschiedener 2016, S. 961). Alle Protokolle unterscheiden sich
Ausführungen einer Trainingseinheit „Kniebeuge“ auf signifikant vom Ruhewert (Prä). MS = Multiple Sets;
a die Kreatinkinasekonzentration (CK) und b die DS = Drop Sets; EO = Eccentric Overload; FW = Flyw-
Entstehung von Muskelkater (DOMS) 24 (post 24) und heel YoYo Squat; PJ = Plyometric Jump (7 https://doi.
48 Stunden (post 48) nach dem Training (Raeder et al. org/10.1007/000-04y)
Die energiereichen Phosphate ATP und Kreatinphos- Die physiologischen Ursachen für das finale
phat (KP; anaerob-alaktazider Stoffwechsel) Muskelversagen sind wie folgt: Ein Anstieg von Pi
ermöglichen eine hohe Energieflussrate und sind und die Abnahme von ATP behindern Ca2+-Freiset-
vornehmlich bei kurzzeitig hochintensiven zung und -Wiederaufnahme aus dem sarkoplasma-
Krafteinsätzen wie beim Maximal- und Schnellkraft- tischen Retikulum (SR). Des Weiteren verursachen
training mit Anspannungszeiten unterhalb von 10 s die Anstiege der H+- und Pi-Konzentrationen eine
von Bedeutung (Stone et al. 2007). Abnahme der Ca2+-Sensitivität der kontraktilen
Bei erschöpfenden Krafteinsätzen mit Proteine (Troponin C) und beeinträchtigen die
submaximaler Intensität und mehreren Sätzen wie kontraktile Kraftentfaltung im Querbrückenzyklus.
beim Hypertrophietraining ermöglicht primär die Schließlich führen Veränderungen der intra- und
anaerob-laktazide Glykolyse die Aufrechterhaltung extrazellulären Ionenkonzentrationen zu Störun-
der Kontraktionsintensität bei gleichzeitiger gen in der Auslösung von Aktionspotentialen am
Akkumulation von Blutlaktat sowie intrazellulärem Sarkolemm bzw. in den T-Tubuli der Muskelfasern
H+-Ionenanstiegs und pH-Abfall (Haff und Triplett (Allen et al. 2008; Fitts 2008; Ament und Verkerke
2016). 2009; MacLaren und Morton 2012; MacDougall
und Sale 2014).
akkumulieren und die lokale Wirksamkeit trophie und Maximalkraft bewirken kann. Bei
der Wachstumshormone verbessert werden. Untrainierten sowie in der Rehabilitation nach
Möglicherweise wird auch das aktivierte Fa- Sportverletzungen erscheint es aufgrund der
serspektrum zugunsten der schnellen Mus- schonenden Wirkung auf den Bewegungsap-
kelfasern moduliert (Loenneke und Pujol parat am ehesten attraktiv zu sein.
2009; Bagley et al. 2015).
Wie in vielen anderen Bereichen innova-
tiver Trainingsinterventionen verlangt auch 4.3 Anpassungseffekte durch
4 diese theoretisch plausible Methode zu- Krafttraining
nächst eine umfangreiche Prüfung ihrer
Wirkungsevidenz unter realen Trainingsbe- Regelmäßiges Krafttraining bewirkt Anpas-
dingungen in der Praxis. So konnte gezeigt sungsprozesse auf neuronaler und morpholo-
werden, dass Okklusion bei sehr moderater gisch-muskulärer Ebene, die sich in einer Er-
Trainingsintensität (20 % 1RM) tatsächlich höhung der Maximalkraft (Muskelquerschnitt,
die beschriebenen Effekte gegenüber einem neuronale Aktivierungsfähigkeit, intramusku-
identischen Training ohne Intervention be- läre Koordination), der Schnellkraft (Kraftbil-
wirkte. Andererseits fielen die intramuskulä- dungsgeschwindigkeit, reaktive Spannungsfä-
ren Reaktionen bei Anwendung des klassi- higkeit, Muskel- und Sehnenelastizität), der
schen Hypertrophietrainings mit höheren Kraftausdauer (Kapazität der energiebereitstel-
Lasten (65 % 1RM) ohne Okklusion signifi- lenden Systeme) sowie komplexer kraft-
kant höher aus (Suga et al. 2009). Möglicher- bzw. schnellkraftabhängiger Bewegungsabläufe
weise bewirkt eine Steigerung der internen (verbesserte intermuskuläre Koordination)
metabolischen Beanspruchung (Internal manifestieren (Schmidtbleicher 2003; Folland
Load) gleichzeitig eine notwendige Reduk- und Williams 2007).
tion der externen Belastung (External Load), Morphologische Adaptationen werden
sodass ein Nettogewinn an Hypertrophie- durch drei Wirkungsmechanismen ausgelöst,
wirkung ausbleibt. die jeweils über hormonelle Veränderungen
Zukünftige Studien werden zeigen, ob ein und durch die Bereitstellung von zusätzlichem
Okklusionstraining tatsächlich trotz geringe- genetischem Material (Satellitenzellaktivierung)
rer Last in einer kürzeren Zeit eine ähnlich zur Hypertrophie von Myofibrillen, kollagenen
hohe oder gar höhere Anpassung von Hyper- Bindegewebsstrukturen und Sarkoplasma, zu
Krafttraining
Endokrinologische,
Aminosäureverfügbarkeit
metabolische
mechanische Spannung Mikroschädigungen
Beanspruchung
(Mechanical Tension) (Muscle Damage)
(Metabolic Stress)
neuronale Adaptationen
intramuskuläre Koordination (Rekrutierung und Frequenzcodierung)
intermuskuläre Koordination (Agonisten- & Synergistenaktivierung,
Antagonistendeaktivierung)
Krafttraining
215 4
4.3.1 Neuronale Adaptationen
ruhende
Selbst- Satellitenzell- gestresste
Muskelfaser
Die Muskelfaserhypertrophie ist primär das erneuerung aktivierung Muskelfaser
Bei exzentrischer Arbeit steigt die mechanische Z-Scheiben (Morgan und Proske 2004; Proske und
Spannung der beteiligten Muskelfasern mit Allen 2005). Diese können sich sowohl longitudinal
zunehmender Dehnung an. Es entstehen hohe auf angrenzende Sarkomere als auch transversal auf
Zugkräfte auf die zytoskelettale Matrix insbeson- anliegende Myofibrillen ausbreiten (Toigo 2015).
dere im Bereich der Z-Scheiben (Enoka 1996; Byrne Starke mechanische Belastungen gehen auch mit
et al. 2004; Thiebaud 2012; Schoenfeld 2016). Auf einer Öffnung dehnungsabhängiger Ionenkanäle
die in Serie hintereinander geschalteten Sarkomere einher, welche neben der Membrandestruktion zu
wirken unterschiedlich hohe Kräfte ein, da sich die einem Verlust der Ca2+-Homöostase und folglich zu
Sarkomere an verschiedenen Bereichen ihrer Funktionseinbußen führen. Das Muskelenzym
Kraft-Längen-Relation befinden (Toigo 2015). Kreatinkinase (CK) strömt vermehrt aus und wird im
Sarkomere mit geringer Filamentüberlappung Serum mit signifikant erhöhter Konzentration
werden stärker belastet. Die Ausbreitung von messbar (Proske und Allen 2005; Schoenfeld 2010,
Scherkräften innerhalb der Myofibrille führt 2016; Thiebaud 2012).
zunächst zu Mikroeinrissen im Bereich der
Mikrotraumata führen zu einer Entzün- beitragen (Toigo 2006b, 2015; Liu et al. 2007;
dungsreaktion, bei welcher neutrophile Granulo- Shortreed et al. 2008). Des Weiteren kommt es
zyten und Makrophagen in den Bereich der Ge- zur zu einer verstärkten Ödembildung und
webeschädigung infiltrieren. Dabei werden Schwellung am Ort der Gewebeschädigung, die
Entzündungsmediatoren (u. a. Zytokine) und mit erhöhtem Schmerzempfinden (Muskelkater
Wachstumsfaktoren (u. a. MGF, IGF-1, HGF) bzw. Muscle Soreness) assoziiert ist (Toigo 2015).
ausgeschüttet. Diese führen unter anderem zur
Aktivierung der Satellitenzellen (. Abb. 4.17), Metabolische Beanspruchung (Metabolic
die mit der beschädigten Muskelfaser fusionieren Stress) als Ursache für Hypertrophie Die me-
und somit entscheidend zur Muskelregeneration tabolische Beanspruchung beim Krafttraining
Krafttraining
219 4
bewirkt über biochemische und hydrostatische pothalamus die Sezernierung von GH und in
Veränderungen eine Muskelhypertrophie. Der der Peripherie die Ausschüttung von Wachs-
Primärreiz zur Auslösung von Hypertrophie ba- tumshormonen wie IGF-1 (aus der Leber) und
siert auf der Akkumulation von anaeroben Me- Testosteron (aus den Gonaden) ins Blut (Scho-
taboliten (Laktat, H+-Ionen und anorganisches enfeld 2013a). In der Summe führen diese peri-
Phosphat). Hierbei ist vor allem die Anhäufung pheren hormonellen Veränderungen zusammen
von H+-Ionen und der Abfall des pH-Werts in mit den lokal in der Muskelzelle produzierten
der Muskelzelle relevant. Chemosensitive Mus- Myokinen zur Auslösung anaboler Signalkaska-
kelafferenzen aus der Peripherie registrieren den und zur Aktivierung von Satellitenzellen
diese Veränderungen und verursachen im Hy- und Proteinbiosynthese (Schoenfeld 2013a, b).
Als Myokine werden vom Muskel selbst produ- MGF, IL-6) verstärkt und/oder die Freisetzung
zierte hormonähnliche Signalstoffe bezeichnet, die katabol wirkender Myokine (u. a. TNF-α, Myostatin,
ihre Wirkung direkt vor Ort entfalten (autokrine MST) gehemmt wird (Pedersen und Febbraio 2008;
bzw. parakrine Wirkung). Zu den wichtigsten Laube 2013; Schoenfeld 2013b). Speziell IL-6
anabol wirksamen Myokinen zählen das MGF verfügt neben seiner anti-inflammatorischen
sowie das zu den Zytokinen gehörende IL-6 (Laube Wirkung über bedeutsame regulatorische
2013; Schoenfeld 2016). Es wird vermutet, dass Funktionen in der Proliferation und Fusion von
eine hohe metabolische Beanspruchung zu Satellitenzellen, wodurch die Faserhypertrophie
Hypertrophieeffekten beitragen kann, indem die begünstigt wird (Pedersen und Febbraio 2008;
Ausschüttung anabol wirkender Myokine (u. a. Serrano et al. 2008; Schoenfeld 2016).
b
x 1 Höhe des Spannungswiderstands (z. B. in % des 1 RM)
klassische Deskriptoren
spezifischen Belastungscharakteristika und wird für jede Trainingsmethode die relative In-
vornehmlichen Trainingswirkungen (unter tensität (bezogen auf das 1RM), die empfoh-
Vernachlässigung der reaktiven Methoden) lene Anzahl an Wiederholungen pro Serie und
liefert . Abb. 4.19 (Steinhöfer 2015). Hierbei die Ausführungsgeschwindigkeit angegeben.
Krafttraining
223 4
Exkurs: Velocity Based Training
Das Velocity Based Training verspricht eine objek- quantifiziert werden. Aufgrund der engen
tivere Kontrolle von Kraftleistung und Trainings- Beziehung zwischen % 1 RM und der Ausfüh-
belastung in Kraftdiagnostik und Krafttraining rungsgeschwindigkeit sind sowohl die indirekte
(Gonzales-Badillo und Sanchez-Medina 2010). Prognose des 1 RM als auch die Einschätzung der
Durch die Messung der Bewegungsgeschwindig- momentanen submaximalen Trainingsbelastung
keit wird neben Wiederholungszahl und Last praxisnah möglich (Gonzales-Badillo und
(% 1 RM) eine wichtige zusätzliche Dimension Sanchez-Medina 2010). Auch der Geschwindig-
der Kraftleistung berücksichtigt. Bei gleicher Last keitsverlust innerhalb eines Trainingssatzes gibt
und Wiederholungszahl führt eine schnellere wichtige Auskünfte über den Ermüdungsverlauf.
Bewegungsausführung zu einer höheren So spricht eine Verlangsamung der Bewegung
mechanischen Leistung (Power Output). Mittels um 50 % bei der Kniebeuge dafür, dass das
Beschleunigungsaufnehmern im Smart Phone Muskelversagen unmittelbar bevorsteht
und entsprechenden Applikationen kann daher (Pareja-Blanco et al. 2017; Sanchez-Medina und
die Trainingsbelastung wesentlich genauer Gonzales-Badillo 2011).
maximale 70 % 70 % Kontraktilitätstraining
Krafteinsätze (10×) (10×) (Schnellkraft-, Explosivtraining)
(hohe Kontraktions-
geschwindigkeit) 60 % 60 %
submaximale 60 % 60 %
Krafteinsätze Kraftausdauertraining
(Kontraktionsge-
schwindigkeit je
nach Trainingsziel) 30 % 30 %
224 C. Raeder et al.
.. Tab. 4.2 Klassische Hypertrophietrainingsmethoden in der Übersicht (mod. nach Ehlenz et al. 2003;
Hohmann et al. 2003; Schmidtbleicher 2003; Steinhöfer 2015)
Intensität = % 1 RM; Wdh. = Wiederholungen pro Serie; Serien = Anzahl pro Trainingsübung; TUT = Time
under Tension (Spannungsdauer); Tempo = Ausführung; Pause = interserielle Pause
Krafttraining
225 4
mechanischen und metabolischen Stimuli be- intensive Einsatztraining“ genannt. Die Ausbe-
wirken (Ehlenz et al. 2003). Diese Methoden lastung im High-Intensity-Krafttraining wird
sind jedoch aufgrund ihrer Intensität eher Fort- dadurch erreicht, dass der Widerstand nach ei-
geschrittenen vorbehalten und erfordern zu- ner maximal möglichen Wiederholungszahl bis
meist die Unterstützung durch einen Trainings- zum Muskelversagen ohne nennenswerte Erho-
partner oder Coach (. Tab. 4.3). Exemplarisch lungspause sofort und in mehreren Stufen konti-
sei das High-Intensity-Krafttraining bzw. „hoch- nuierlich verringert wird (Drop-Sätze).
Beim „Bankdrücken“ beispielsweise werden mit In der Sportpraxis wird daher oftmals ein
Partnerunterstützung nach dem Ablegen der Krafttraining bis zum Muskelversagen propagiert
Hantel in kürzester Zeit die äußeren Gewichts- (speziell im Bodybuilding), wobei von einer erhöhten
scheiben entfernt, und der Trainierende setzt Rekrutierung motorischer Einheiten und einem
seine Arbeit so lange fort, bis keine Scheiben stärkeren anabol-hormonellen Stimulus ausgegangen
mehr aufliegen (Reduktionssätze oder wird. Insbesondere für ein leistungssportliches Kollektiv
Drop-Sets). In der letzten Phase beendet der sollte ein derartiges Training punktuell eingeplant
Trainierende die Übung mit Liegestütz bis zum werden (Davies et al. 2016). Trotz der hohen akuten
vollständigen Muskelversagen. Trainingsunter- metabolischen Anforderungen liegt der gesamtkalori-
suchungen belegen, dass durch ein derartiges sche Umsatz deutlich unter jenem eines hochintensiven
Einsatztraining bei geringerem Trainingsvolu- Ausdauertrainings, sodass hemmende AMKP-bedingte
men und verkürzter Trainingsdauer ähnliche Effekte auf die mTOR-Aktivität (s. Concurrent Training,
Effekte bei der Entwicklung der Maximalkraft 7 Abschn. 4.3.2) nur bedingt zu befürchten sind.
möglich sind (Remmert et al. 2005, 2007).
In einigen Sportarten besitzt diese Ausbelas- kann. Ferner ist der energetisch und mögli-
tungsmethode an Stelle des Mehrsatztrainings cherweise koordinativ störende Einfluss eines
den Vorteil, dass hierdurch Trainingszeit für Mehrsatztrainings (z. B. auf das „Ballgefühl“)
andere wichtige Trainingsinhalte im Bereich abgeschwächt. In der Praxis eignen sich eher
von Technik und Taktik gewonnen werden komplexe und mehrgelenkige Übungen wie
Bezeichnung Ausführungsart
erzwungene Wiederholungen (Forced Reps) bei Erschöpfung noch 2–3 Wdh. mit Partnerhilfe
Superserien (Doppel- bzw. Verbundserien) zwei unmittelbar aufeinander folgende Serien mit
verwandten Übungen (gleiche Muskelgruppen)
Vor- bzw. Nachermüdungsserien nach einer mehrgelenkigen Übung (z. B. Klimmzüge) folgt
eine eingelenkige (z. B. Bizeps-Curl)
226 C. Raeder et al.
„Kniebeuge“ und „Bankdrücken“ (. Abb. 4.24 bedingungen verwendet, die eine möglichst
und 4.26). Durch die Fokussierung auf diese vollständige Rekrutierung und hohe Frequen-
beiden Übungen kann das Basis-Krafttraining zierung des Motoneuronenpools bewirken.
nach der High-Intensity- Methode in nur Hierzu eignen sich Methoden der maximalen
15 min abgeschlossen werden. explosiven konzentrischen Krafteinsätze. Eine
hohe Rekrutierung erfolgt hierbei durch den
Intramuskuläres Koordinationstraining Das Einsatz einer hohen Trainingslast (ca. 85–90 %
intramuskuläre Koordinationstraining (IK-Trai- der Maximalkraft) und einen steilen initialen
4 ning) verfolgt das Ziel, die Funktionalität des Kraftanstieg. Dies verbessert nicht nur die Ma-
Skelettmuskels durch neuronale Aktivierungs- ximalkraft, sondern auch die Schnellkraft
prozesse zu steigern. Hierzu werden Belastungs- (Schmidtbleicher 2003).
Die Anzahl der Übungswiederholungen pro Das IK-Training kann auch durch maximale
Serie sollte gering und die Serienpausen ausrei- exzentrische Kontraktionen erfolgen (Eccentric
chend lang sein (3–5 min und mehr), um eine Overload Training). Bei exzentrischer Arbeits-
Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von weise können etwa 20–50 % höhere Kraftwerte
Erregungsübertragung und elektromechanischer realisiert werden. Dies geht ohne eine nennens-
Kopplung sowie eine ausreichende Resynthese werte Erhöhung der metabolischen Beanspru-
von Kreatinphosphat zu gewährleisten (Ehlenz chung einher und basiert primär auf den passi-
et al. 2003; Schmidtbleicher 2003; Harre 2008). ven Elastizitätskräften des Muskels (Ehlenz
Grundsätzlich können die in . Tab. 4.4 darge- et al. 2003). Demzufolge sind bei kombiniert
stellten Methoden zur Verbesserung der neuro- konzentrischen und exzentrischen Trainings-
nalen Aktivierungsfähigkeit bzw. der intramus- formen supramaximale Lasten während der ex-
kulären Koordination angewendet werden. zentrischen Aktionsform notwendig.
In der Praxis ist für das Training mit exzentrischer Über- sches Krafttraining auch mit speziell konstruierten Ma-
last bei komplexen Bewegungsleistungen mit der Frei- schinen oder Geräten wie beispielsweise Weight Re-
hantel (z. B. Nackenkniebeuge) unbedingt die Hilfe ei- leasern oder dem Flywheel-YoYo®-Squat möglich.
nes oder mehrerer Partner erforderlich, da die Überlast Letzteres kann dabei unabhängig von der Schwerkraft
nach Beendigung der exzentrischen Phase wieder ent- durch eine konzentrisch zu beschleunigende rotie-
fernt werden muss (Ehlenz et al. 2003). Einfacher kann rende Scheibe eine Überlast in der darauffolgenden
eine exzentrische Überlast an der Kraftmaschine durch exzentrischen Phase erzeugen, die insbesondere im
eine konzentrische bilaterale und exzentrische unilate- letzten Drittel des exzentrischen Bewegungsumfangs
rale Übungsausführung generiert werden (z. B. an der explosiv abgebremst werden muss (Norrbrand et al.
Kniestreckmaschine). Darüber hinaus ist ein exzentri- 2008; Norrbrand et al. 2010).
Krafttraining
227 4
Intensität = % 1 RM; Wdh. = Wiederholungen pro Serie; Serien = Anzahl pro Trainingsübung; TUT = Time
under Tension (Spannungsdauer); Tempo = Ausführung; Pause = interserielle Pause
Das Pyramidentraining mit ansteigenden denbasis negativ auf die maximale Kraftent-
bzw. an- und abfallenden Lasten ist eine Kom- faltung in der Pyramidenspitze auswirken
binationsmethode. Die Pyramidenbasis zielt kann. Entgegen der üblichen Praxis ist dem-
auf Hypertrophie, die Pyramidenspitze vor- nach die Konfiguration der Pyramide (steiler
nehmlich auf die IK-Wirkung ab (Ehlenz et al. mit geringeren submaximalen Krafteinsätzen
2003). Diesbezüglich sei kritisch anzumerken, oder als Doppelpyramide) zu berücksichtigen
dass sich die Vorermüdung an der Pyrami- (Schmidtbleicher 2003).
228 C. Raeder et al.
4.4.2 Schnellkrafttraining führen (Ehlenz et al. 2003; Harre 2008; Haff und
Nimphius 2012; Steinhöfer 2015).
Schnellkraftmethoden dienen der Optimierung Im Schnellkrafttraining werden vor allem
hoher Kraftstöße, um den Körper bzw. Körper- die geschwindigkeitsorientierte Schnellkraftme-
segmente oder Sportgeräte in der verfügbaren thode I und die lastorientierte Schnellkraftme-
Zeit auf eine möglichst hohe Endgeschwindig- thode II sowie die sportart- bzw. wettkampfbe-
keit beschleunigen zu können (Steinhöfer zogene Methode mit anforderungsspezifischen
2015). Charakteristisch sind explosive Kraftein- Bewegungsmustern favorisiert (u. a. Antritte,
4 sätze. Interessanterweise kann ein Schnellkraft- Sprünge, Stöße/Würfe), deren strategische Kom-
training sowohl gegen moderate als auch gegen bination sich optimal in das langfristige Leis-
höhere Widerstände durchgeführt werden. tungstraining integrieren lässt (. Tab. 4.5).
Erfolgen die explosiven Krafteinsätze gegen Hinsichtlich der Verbesserung von reakti-
moderate Widerstände, so sind die realisierten ven Bewegungsleistungen, die einen Großteil
Kraftmaxima geringer und aufgrund der gerin- aller sportlichen Bewegungen ausmachen,
geren Kraftentfaltungsdauer vornehmlich von werden hauptsächlich die Reaktivkraftmetho-
Startkraft und Explosivkraft abhängig. Werden den im kurzen (z. B. Drop Jump) und langen
höhere Trainingslasten gewählt, so steigen die DVZ (z. B. Counter Movement Jump) ange-
dynamischen Kraftmaxima an und werden stär- wendet (Schmidtbleicher 2003). Eine beson-
ker durch die Maximalkraft determiniert dere Trainingsform stellt dabei die russische
(Schmidtbleicher 2003). Im Allgemeinen sollten Shock Method dar, bei der Tiefsprünge aus ei-
sich die Trainingslasten an den Widerständen der ner erhöhten Position (z. B. Turnkasten) im
wettkampf- bzw. disziplinspezifischen Schnell- langen DVZ absolviert werden (Verkhos-
kraftanforderungen orientieren (Harre 2008). Da hansky und Verkhoshansky 2011).
jedoch im langfristigen Leistungsaufbau die Mo- Grundsätzlich sollte das Schnellkrafttrai-
bilisation aller Adaptations- und Leistungsreser- ning im ermüdungsfreien Zustand zur Siche-
ven von Bedeutung ist und in vielen Sportarten rung qualitativer Explosivkrafteinsätze durch-
auch variable Widerstände zu überwinden sind, geführt werden und jegliche Anzeichen einer
empfiehlt es sich, das Schnellkrafttraining über sicht- bzw. spürbaren Reduzierung der Bewe-
eine möglichst große Lastbreite, üblicherweise gungsgeschwindigkeit sollten zum frühzeiti-
zwischen 30–70 % der Maximalkraft, durchzu- gen Übungsabbruch führen (Steinhöfer 2015).
Die vornehmlichen Trainingseffekte der Schnell- tung, da die Ausbildung der schnellen Kontrak-
kraftmethoden beinhalten die Ausprägung einer tionsfähigkeit in konkrete Bewegungsabläufe
hohen Anfangsrekrutierung von Typ-II-Fasern integriert wird. Bei den Reaktivkraftmethoden
(neben Typ-I-Fasern) sowie einer lastabhängigen kommt es hauptsächlich zur Ausprägung der
Stoßinnervation mit einer oder mehreren reaktiven Spannungsfähigkeit infolge einer
Impulsserien der Motoneurone zur Erzeugung einer adaptiven Erhöhung der Elastizität bzw. Stiffness
hohen initialen und weiterführenden Kraftanstiegs- des tendomuskulären Apparats (reaktive Stiffness).
rate. Folglich kommt es zur Erhöhung der Ferner bewirkt Reaktivkrafttraining insbesondere
Kontraktionsschnelligkeit beider Fasereinheiten, im schnellen DVZ eine Verbesserung der Vor- und
welches sich vor allem in einer Verbesserung der Reflexaktivierung der Arbeitsmuskulatur sowie eine
Explosivkraft niederschlägt. Bei der sportartspezi- Förderung des Inhibitionsabbaus von motorischen
fischen Schnellkraftmethode verbessert sich Einheiten, speziell auf spinaler Ebene (Ehlenz et al.
außerdem die intermuskuläre Koordinationsleis- 2003; Schmidtbleicher 2003).
Krafttraining
229 4
.. Tab. 4.5 Methoden des Schnellkrafttrainings (Ehlenz et al. 2003; Schmidtbleicher 2003; Steinhöfer 2015)
Kontrastmethode initial 100 %, dann 5–7 (ca. 5–10 s 6–8 initial 3–5 min
Reduzierung auf intraserielle statisch,
30–40 % Pause) dann
explosiv
Reaktivkraftmethode I 100 % (ohne 6–12 (ca. 5–10 s 3–5 maximal– 5–10 min
(kurzer DVZ) Zusatzlast) intraserielle explosiv
Pause)
Reaktivkraftmethode II 100 % (ohne 6–12 (ca. 5–10 s 3–5 maximal– 5–10 min
(langer DVZ) Zusatzlast) intraserielle explosiv
Pause)
Intensität = % 1 RM; Wdh. = Wiederholungen pro Serie; Serien = Anzahl pro Trainingsübung; TUT = Time
under Tension (Spannungsdauer); Tempo = Ausführung; Pause = interserielle Pause; azykl. = azyklisch;
zykl. = zyklisch
4
a b
.. Abb. 4.20 Funktionelle Liegestütze mit instabilem Widerlager (a mittels Pezziball, b als Sling-Training mit
Seilen) (7 https://doi.org/10.1007/000-04w)
Prokopy et al. 2008). Praxisübliche Trainingspro- offener kinetischer Kette (z. B. Bank- und Schulter-
gramme der oberen und unteren Extremität sowie drücken) nachgewiesen werden (Chelly et al. 2010;
der Rumpfmuskulatur beinhalten häufig eine Fernández-Fernández et al. 2013). Auch ein
Kombination beider Varianten. In der trainingswis- Krafttraining der oberen Extremität in teilweise
senschaftlichen Literatur existieren verschiedene offener kinetischer Kette wie bei Medizinballwürfen
Studien zur Wirksamkeit beider Varianten. So (Raeder et al. 2015) kann empfohlen werden (die
konnte gezeigt werden, dass ein Training der Kette öffnet sich nach dem Abwurf des Balles).
unteren Extremität in der geschlossenen Kette mit Demgegenüber stellten Prokopy et al. (2008) in
der Übung Kniebeuge deutlich höhere Sprung- einem Längsschnittvergleich heraus, dass ein
kraftleistungen hervorbrachte als ein Training in Sling-Training in geschlossener kinetischer Kette
der offenen Kette mit der Übung Kniestrecken höhere Leistungsverbesserungen in der resultieren-
(Blackburn und Morrisssey 1998; Augustsson und den Wurfgeschwindigkeit auslöste als ein
Thomeé 2000). Nach Verletzungen (z. B. nach konventionelles Krafttraining in offener kinetischer
vorderer Kreuzbandruptur) bietet jedoch ein Kette, welches die Autoren auf eine verbesserte
Krafttraining der Beinmuskulatur in offener Kette Schultergelenksstabilisation zurückführten. In der
einen guten Wiedereinstieg (Ross et al. 2001). Gesamtbetrachtung kann derzeit daher eine
Zur Verbesserung von Schlag- oder Wurfhärte Kombination von Trainingsvarianten für die obere
sind die Befunde in der Literatur weniger einheit- Extremität empfohlen werden. Abschließend sei
lich. So konnten signifikante Leistungsverbesserun- anzumerken, dass eine genaue Zuordnung aller
gen von Aufschlag- und Wurfgeschwindigkeit im Trainingsformen zum Closed bzw. Open Kinetic
Tennis und Handball durch ein Krafttraining in Chain Training mitunter nicht möglich ist.
.. Abb. 4.21 Einarmiges Reißen zur Kräftigung komplexer Muskelschlingen, bestehend aus Kniegelenks- und
Hüftstrecker, schräger Bauch-, Schulter- und Armmuskulatur
232 C. Raeder et al.
Nicht alle als funktionell propagierten Trai- des Krafttrainings ausgewählt. Zur Strukturie-
ningsformen tragen dieses Etikett zurecht. So rung wird nach fundamentalen Bewegungs-
ist die funktionelle Bedeutung innovativer leistungen unterschieden. Die Trainingsbei-
Trainingsmittel wie beispielsweise Sling- spiele sind nicht maschinengebunden, sondern
Trainer, Pezziball oder die Benutzung von bedienen sich grundsätzlich freier Gewichte:
Battling Ropes (Rope Training; . Abb. 4.22) 55 Niveauveränderungen des Körperschwer-
nicht immer gegeben, und die koordinativen punktes (z. B. Kniebeuge)
Anforderungen entfernen sich von den sport- 55 hüftziehende Bewegungen (z. B. Kreuz-
4 artspezifischen Bewegungsmustern. Anderer- heben)
seits sollte neben der funktionellen Betrach- 55 Druck- und Zugbewegungen in vertikaler
tung stets auch der motivationale Aspekt bei und horizontaler Ebene (z. B. Bankdrü-
der Beurteilung berücksichtigt werden. Erfah- cken, Klimmzug)
rungen mit Nachwuchssportlern zeigen, dass 55 Rotationsbewegungen des Körpers
derartige Trainingsmittel einen hohen Auffor- 55 Lokomotion (Fortbewegung des Körpers
derungswert zum regelmäßigen Training be- gegen Lasten, wie z. B. Ausfallschritte)
sitzen und allein deshalb sowie aufgrund der
vergleichsweise preisgünstigen Anschaffung in Vor dem Training mit Zusatzlasten ist stets ein
das Nachwuchstraining integriert werden soll- ausreichender Technikerwerb zur Vermeidung
ten. von Fehl- und Überbelastungen des Bewe-
gungsapparates erforderlich. Eine weitere
Strukturierungsebene zur systematischen Stei-
4.5 Ausgewählte gerung der Anforderungen besteht im Über-
Trainingsbeispiele gang von einer rein symmetrischen zur asym-
metrischen sowie von komplexer zur
Die folgenden Beispiele werden exemplarisch kontextualisierten Bewegungsausführung
aus der unendlichen Vielfalt an Möglichkeiten (. Abb. 4.23).
.. Abb. 4.23 Strukturierung von Trainingsinhalten beim Krafttraining mit freien Gewichten, basierend auf
einem Kontinuum zwischen allgemeiner und spezifischer Bewegungsausführung
Krafttraining
233 4
kKT Beispiel 1 Vorhalte durchgeführt werden (Goblet Squat)
Kniebeuge (Squat) und eignet sich vor allem für Untrainierte oder
Wiedereinsteiger. Anspruchsvoller ist die nicht
Trainingsziel Die Kniebeuge bewirkt Niveauän- zentrierte Lasteinleitung in typischer Rack-Po-
derungen des Körperschwerpunkts (. Abb. 4.24). sition (Rack Squat), die üblicherweise mit der
Positive Transfereffekte können insbesondere auf Kettlebell absolviert wird. Alle Varianten sind
die Sprung-, Sprint- und Richtungswechselfähig- grundsätzlich in paralleler oder versetzter Fuß-
keit erwartet werden. Die primär beanspruchten stellung möglich.
Hauptbeweger-Muskeln (Prime Mover) sind die
Hüft- und Kniegelenksstrecker. Zusätzlich sind Besondere Hinweise Bei klassischer Aus-
eine Vielzahl an synergistisch wirkenden Muskeln führung im Parallelstand und bei zentrier-
aktiv, die wichtige Stabilisationsarbeit leisten und ter Widerstandseinleitung kann der Kraft-
somit die Funktion der Prime Mover begünstigen. aufbau symmetrisch ablaufen. Hierbei
Hierzu zählt vor allem die Rumpfmuskulatur. werden die höchsten Trainingslasten bewäl-
tigt. Dem Rumpf kommt hierbei vor allem
Variationen Man unterscheidet Nackenknie- eine Anti-Flexion-Funktion für die Wirbel-
beuge (Back Squat) und Frontkniebeuge (Front säule zuteil. Demgegenüber erfolgt in
Squat), die beide mit der Langhantel durchge- Schrittstellung sowie in nicht zentrierter
führt werden. Die Nackenkniebeuge ist Widerstandseinleitung der Kraftabfluss
vorrangig hüftdominant, während die Front- weitgehend asymmetrisch. Der Rumpf
kniebeuge vornehmlich kniedominant ist. Letz- übernimmt jetzt deutlich komplexere Auf-
tere Variante kann auch mit zentrierter Last in gaben.
b
234 C. Raeder et al.
Trainingsziel Das Brustdrücken gehört zu den Variationen Das Schräg- und Negativbank-
horizontalen Druckbewegungen (. Abb. 4.26). drücken zählt zu den häufigsten Übungsvaria-
Positive Transfereffekte können auf Schnellkraft- tionen, wobei Erstere vermehrt den oberen An-
leistungen der oberen Extremität wie Wurf-, teil der Brustmuskulatur sowie die
Schlag- und Stoßbewegungen erwartet werden. Schultermuskulatur beansprucht, während die
Die Prime Mover umfassen vornehmlich die zweite Variante zunehmend die untere Brust-
Brust- und Armstreckmuskulatur sowie den vor- muskulatur belastet. Beim Negativbankdrücken
deren Anteil der Schultermuskulatur. Die tiefer kann die höchste Trainingslast bewegt werden.
liegende Rotatorenmanschette wirkt synergis- Wird das Brustdrücken als Liegestütz oder im
tisch. Bei klassisch symmetrischer Ausführung Stand mittels Seilzug oder pneumatischem Wi-
auf der Flachbank (sog. Bankdrücken; Bench derstand durchgeführt, leistet die Wirbelsäule
Press) werden kaum Anforderungen an die zusätzliche Antiextensionsarbeit. In Schrittstel-
Rumpfstabilität gesetzt. Bei einarmiger Ausfüh- lung oder bei unilateraler Ausführung wird zu-
rung (z. B. mit Kettlebell oder Kurzhantel) dem noch die Becken-, Hüft- und Wirbelsäulen-
kommt es bei reduzierter Last zusätzlich zur sta- stabilität adressiert.
b
236 C. Raeder et al.
b
Krafttraining
237 4
kKT Beispiel 5 Grad der Faserrekrutierung von einzelnen Mus-
Zugbewegungen kelanteilen. So werden z. B. beim breiten
Klimmzug vermehrt die äußeren Anteile des M.
Trainingsziel Zugbewegungen setzen sich aus latissimus dorsi trainiert, während mit engem
Übungen in vertikaler (z. B. Klimmzug; Pull-Up) Griff zunehmend die inneren Anteile bean-
und horizontaler (z. B. Rudern; Row) Bewegungs- sprucht werden. Bei beiden Varianten sollte eine
ebene zusammen (. Abb. 4.28). Ein direkter Aufrichtung des Beckens durch simultane Akti-
Leistungstransfer ist vorrangig in rückenbetonten vierung von Rumpf- und Glutealmuskulatur an-
Sportarten (z. B. Rudern oder Kanurennsport) ge- gestrebt werden.
geben. Zu den Prime Movern zählen vor allem Beim Training der horizontalen Zugbewe-
der breite Rückenmuskel (M. latissimus dorsi), gungen können grundsätzlich die gleichen va-
die Trapezmuskulatur, die Schulterblattstabilisa- riablen Griffpositionen und Griffweiten ange-
toren sowie die Armbeugemuskulatur. wendet werden. Bei unilateraler Ausführung,
z. B. einarmiges Rudern im Stand, wird zusätz-
Variationen Der klassische Klimmzug an der lich die diagonale Rumpfstabilität im Sinne ei-
Stange kann wahlweise mit breitem oder engem ner Antirotationswirkung adressiert. Beim
Griff sowie in verschieden Griffpositionen (pro- vorgebeugten Rudern gewinnt ergänzend vor
niert, neutral, supiniert) durchgeführt werden. allem die lumbale Rückenmuskulatur an Be-
Dies bewirkt einen partiell unterschiedlichen deutung.
.. Abb. 4.30 Ausfallschritte in Vorwärtsbewegung als Trainingsbeispiel für den Übungskomplex Lokomotion
240 C. Raeder et al.
.. Abb. 4.31 Trainingsbeispiele für komplexe und unilaterale horizontale Streck- und Rotationsbewe-
kontextualisierte Kraftbelastungen. Stoßen mit der gung von Bein- und Rumpfmuskulatur (b, rechts)
Langhantel a, diagonaler Überkopf-Slam (b, links), und Siehe Video in . Abb. 5.36
Krafttraining
241 4
kKT Beispiel 9 tensität und Reizvariation graduell anspruchs-
Rumpfkraft (Core-Training) voller und ermöglichen andererseits durch die
zunehmende Spezifizität (von links nach
Trainingsziel Das Rumpfkrafttraining bildet rechts) den koordinativen Transfereffekt auf
eine unverzichtbare und wichtige Ergänzung die Zielbewegung. So adressiert das Modell
für jeden Leistungssportler. Als Basisübungen neben den klassischen vorrangig statischen
dienen der Rücken-, Seit- und Unterarmstütz Stützvarianten zur Ausbildung einer soliden
(. Abb. 4.32). In allen Fällen ist auf eine opti- Körperkernbasis zusätzlich dynamische Stütz-
male Ganzkörperspannung zu achten und die und Bewegungsaufgaben sowie insbesondere
Ausführungsqualität zu kontrollieren. Je nach funktionale und teils hochintensive Bewe-
Trainingszustand sind verschiedene Schwie- gungsleistungen mit vorwiegend reaktiver
rigkeitsgrade möglich. Im Nachwuchsleis- Rumpfstabilisierung (. Abb. 4.33).
tungssport sind Körperstabilisationsübungen
vor allem im Alter des maximalen Größen-
wachstums (Peak Height Velocity Age) und 4.6 Trainingsprogramme
speziell bei großgewachsenen Athleten erfor-
derlich. Die Gestaltung effektiver Krafttrainingspro-
gramme ist aufgrund der Vielfalt an unterschied-
Variationen Ein Trainingsmodell zur anfor- lichen Trainingsmethoden und ihrer zugrunde
derungsorientierten Entwicklung von Rumpf- liegenden Belastungsdosierung ein komplexer
stabilität, Rumpfkraft und den Möglichkeiten Prozess. Die konkrete Programmgestaltung
der Übungsvariation zeigt . Abb. 4.33. Dieses sollte sich im Idealfall an einer individuellen Be-
Modell strebt dabei die optimale und vielsei- darfsanalyse des Sportlers hinsichtlich Trai-
tige Ausprägung der Rumpffunktion über ningsziel und Methodeninventar, Trainingssta-
mehrere aufeinander aufbauende Entwick- tus und Belastbarkeit sowie Verletzungshistorie
lungsstufen an. Die jeweiligen Trainingsinhalte unter Berücksichtigung der sportartspezifi-
werden einerseits durch ansteigende Reizin- schen Anforderungscharakteristik orientieren.
Daher ist es in diesem Kapitel kaum möglich,
für die verschiedenen Anwendungsfelder des
Sports und vielfältigen Trainingsszenarien spe-
zifische Trainingsprogramme zu entwickeln,
die jedem Sportler gerecht werden. Dennoch
a werden im Folgenden drei allgemeingültige
Krafttrainingsprogramme exemplarisch für ei-
nen Anfänger und Fortgeschrittenen sowie für
einen Spielsportler im Rahmen der saisonalen
Vorbereitungsperiode zur Groborientierung
vorgestellt (. Tab. 4.6, 4.7, und 4.8).
b Die Trainingsprogramme erstrecken sich
über einen Zeitraum von acht Wochen, sie be-
stehen aus einem umfangsorientierten Vorbe-
reitungszyklus und einem anschließenden In-
tensivierungszyklus von je vier Wochen Dauer.
Die Reizsetzung erfolgt progressiv mit variab-
c len Belastungskomponenten. Entlastungspha-
sen sind jeweils am Ende der Zyklen zur Er-
.. Abb. 4.32 Unterarmstütz a, Rückenstütz b und möglichung von Regeneration und Adaptation
Seitstütz c, jeweils mit höherem Schwierigkeitsgrad eingeplant. Konkrete Trainingsinhalte sind die
242 C. Raeder et al.
statische (multiplanare) statische (multiplanare) dynamische (multiplanare) symmetrische & Catch & Throw
Stützvarianten mit Stützvarianten mit Stützvarianten asymmetrische (z. B. Medizinball)
isometrischem Zug exzentrisch-reaktiven unter Fokussierung auf Bewegungsmuster:
Perturbationen Anti-Extension, Antiflexion, Hit & Kick
isometrische Anti-Lateralflexion 3D-Squat- & Hip-Hinge- (z. B. Tornado Ball)
Partnerübungen in z. B. durch elastische, & Anti-Rotation Bewegungen
verschiedenen partnerbasierte oder Swinging weights
Positionen instabile Reize bzw. 3D-Lifts & Chops, 3D-horizontale-Push- & (z. B. Kettlebells)
Widerstände in diagonale Rotations- Pull-Bewegungen
z. B. bodenbasiert, variierenden Positionen bewegungen in vari- 3D-Clean & Jerk,
Knie- und Halbkniestand, ierenden Positionen 3D-vertikale-Push- & Snatch & Derivative
offener und progressiv steigernde Pull-Bewegungen
geschlossener Stand, Trainingsbelastungen multidirektionale Krabbel- High-Speed-Push & Pull
Einbeinstand mit Fokus auf: und Rollbewegungen Tragen schwerer (z. B. Battle Ropes,
Gewichte in elastischer Widerstand)
Anti-Extension, Anti- Balance- und Reach- Lokomotion
flexion, Anti-Lateralflexion Bewegungen distaler Wrestling & Grappling
& Anti-Rotation Körpersegmente
Jump & Sprint
.. Abb. 4.33 Mehrstufiges Trainingsmodell zur anforderungsorientierten Entwicklung von Rumpfstabilität und
Rumpfkraft
Nebenübungen (C) ca. 20 RM 2x15@7 ca. 20 RM 3x12@8 ca. 20 RM 3x15@8 ca. 20 RM 2x12@6
Nebenübungen (C) ca. 15 RM 3x12@8 ca. 15 RM 3x12@8 ca. 15 RM 3x12@8 ca. 15 RM 2x10@6
Trainingsinhalte
Einheit 1 Einheit 2
A1 Symmetrisches Lastheben Symmetrische Kniebeugen
A2 Symmetrisches Langhantel Brustdrücken Klimmzüge im Ristgriff mit Bandunterstützung
B1 Kurzhantel Überkopfdrücken Ausfallschrie linear
B2 Diagonale Rumpfrotaon am Seilzug Vorgebeugtes Rudern
C1 Isolaonsübung für vorderen Schultergürtel Isolaonsübung für hinteren Schultergürtel
C2 Isolaonsübung für Arm- und Beinstrecker Isolaonsübung für Arm- und Beinbeuger
244 C. Raeder et al.
Trainingsinhalte
Einheit 1 Einheit 2 Einheit 3 Einheit 4
Symmetrische Kniebeuge Asymmetrisches Lastheben Symmetrisches Lastheben Ausfallschri§e linear
Klimmzüge im Ristgriff Kurzhantel Überkopfdrücken Asymmetrisches Latziehen
Symmetrisches schräges Asymmetrische Kniebeuge Symmetrisches Langhantel Dynamischer asymmetrischer
Brustdrücken Vorgebeugtes asymmetrisches Rudern Überkopfdrücken Rückenstütz
vorgebeugtes Rudern Kurzhantel Brustdrücken Schräges Kurzhantel Brustdrücken
Isolaonsübung für Rumpfrotaon Symmetrisches Langhantel Isolaonsübung für Schulterblaixatoren
Isolaonsübung für gerade Bankziehen
Bauchmuskulatur Symmetrisches Langhantel Isolaonsübung für gerade
Isolaonsübung für Arm- und Beinbeuger Brustdrücken Bauchmuskulatur
Isolaonsübung für Rumpfrotaon
Isolaonsübung für Arm- und
Krafttraining
245 4
Wurf & Stoß (A) 2-3 Kg 2x6 2-3 Kg 3x6 2-3 Kg 4x6 2-3 Kg 2x6
SK
Einheiten
3x8@8
1&3
Wurf & Stoß (A) 4-5 Kg 3x5 4-5 Kg 4x5 4-5 Kg 5x5 4-5 Kg 3x5
SK
Einheiten
1&3
Trainingsinhalte
Einheit 1 Einheit 3
A1 Medizinball Rotaonswurf beidhändig Medizinball Rotaonsstoß einhändig
A2 Medizinballwurf überkopf vorlings Medizinballwurf überkopf rücklings
B1 Symmetrische Kniebeuge Symmetrisches Lastheben
B2 Asymmetrisches Lastheben Asymmetrische Kniebeuge
C1 Symmetrisches Überkopfdrücken Asymmetrisches Schwungdrücken
C2 Diagonaler Li Diagonaler Chop
Einheit 2 Einheit 4
A1 Reakve Sprünge linear & lateral Reakve Sprünge muldirekonal
A2 Widerstandssprints linear Widerstandssprints lateral
B1 Asymmetrisches Brustdrücken Symmetrisches Brustdrücken
B2 Klimmzug im Ristgriff (ggf.mit Bandunterstützung) Symmetrisches Rudern
C1 Asymmetrisches Rudern Asymmetrisches Latziehen
C2 Kelebell Swings Ausfallschrie muldirekonal
246 C. Raeder et al.
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4
253 5
Schnelligkeitstraining
Thimo Wiewelhove
Literatur – 318
Schnelligkeitstraining
255 5
Schnell wird, wer schnell trainiert!
die Laufrichtung zu wechseln, schnell und/ Aufgrund ihrer komplizierten Struktur wird
oder hoch abzuspringen bzw. sich abzustoßen, die Schnelligkeit nicht einheitlich strukturiert
technische und taktische Aufgaben schnell oder definiert. Im Strukturmodell der motori-
umzusetzen oder Informationen in kürzester schen Fähigkeiten wird sie nach wie vor als ei-
Zeit zu verarbeiten und auf Reize schnell zu re- genständige konditionelle Fähigkeit angesehen
agieren. (Prieske et al. 2017; Krug et al. 2019). In ihrer
In der trainingswissenschaftlichen Literatur Reinform – als elementare Schnelligkeit be-
existieren unzählige schnelligkeitsverwandte Be- zeichnet – basiert sie jedoch vorrangig auf der
griffe und Systematisierungsversuche, die sich Qualität von Steuer- und Regelmechanismen
zwischen deutsch- und englischsprachigen Publi- des Zentralnervensystems und des Nerv-Mus-
5 kationen erheblich unterscheiden. Dies verdeut- kel-Systems (Olivier et al. 2008) und könnte so-
licht, wie differenziert die Schnelligkeit diskutiert mit auch als primär koordinativ-technisch ak-
wird. Während beispielsweise im deutschen zentuierte Fähigkeit charakterisiert werden
Sprachraum zwischen komplexer (d. h. von der (Hohmann et al. 2014). Ferner wird Schnellig-
Anforderungsstruktur der jeweiligen Sportart ab- keit auch durch informationelle Komponenten
geleiteter spezifischer Schnelligkeitsleistung) und determiniert und ist daher ebenso von senso-
elementarer motorischer Schnelligkeit unter- risch-kognitiven Funktionssystemen abhängig.
schieden wird, findet man in der englischsprachi- Die Grundstruktur dieses Kapitels orientiert
gen Literatur Begriffe wie Speed, Power, Quick- sich an dem in . Abb. 5.1 vorgeschlagenen Sys-
ness und Agility (Krug et al. 2019). tematisierungsmodell der Schnelligkeit.
elementare Schnelligkeit
zyklische azyklische
Einfach-
Frequenz- Sequenz-
reaktionen
schnelligkeit schnelligkeit
komplexe komplexe
Richtungs-
komplexe zyklische azyklische
Agility wechselsprint-
Reaktionen Bewegungs- Bewegungs-
schnelligkeit
schnelligkeit schnelligkeit
Antizipations-
Schnelligkeitsausdauer
schnelligkeit
komplexe Schnelligkeit
Exkurs: Frequenzschnelligkeit
Frequenzschnelligkeit wird häufig als Synonym für eine bei einfachen Bewegungsabläufen erreichte
zyklische Bewegungsschnelligkeit gebraucht. Sie gibt maximale Bewegungsfrequenz aufgrund der höheren
an, mit welcher Frequenz (lat. für Häufigkeit) Anforderungen an die Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit
alternierende bzw. sich wiederholende Bewegungen und/oder Fertigkeitsausprägung jedoch nicht realisiert
(z. B. die Schrittfrequenz beim 100-m-Sprint, die werden. Beispielsweise ist das Erreichen höchster
Trittfrequenz beim Bahnradsprint oder die Beinschlag- Geschwindigkeiten im 100-m-Sprint nicht ausschließ-
frequenz beim 50-m-Kraulsprint) in einer Zeiteinheit lich von der Bewegungsfrequenz, sondern ebenso von
realisiert werden können (Olivier et al. 2008; der Bewegungsamplitude abhängig. Je nach Art der
Hottenrott und Neumann 2016). Die maximale Bewegung muss also zwischen der maximalen
Bewegungsfrequenz als Ausdruck grundlegender Bewegungsfrequenz und der Frequenz als einem
5 Schnelligkeit ist an einfache motorische Abläufe
gebunden und wird durch die Qualität neurophysio-
Element der komplexen zyklischen Schnelligkeitsleis-
tung unterschieden werden (Thienes 1998). Die
logischer Steuerungsprozesse bestimmt. Sie ist hierbei Frequenzschnelligkeit sollte folglich nicht als Synonym
weitgehend unabhängig von anderen motorischen für zyklische Bewegungsschnelligkeit verwendet
Leistungsfaktoren und kann daher als Subkategorie werden. Gleiches gilt für den Begriff Sequenzschnellig-
der elementaren Schnelligkeit angesehen werden. keit, der häufig synonym für schnelle azyklische
Innerhalb komplexer zyklischer Bewegungen kann Bewegungsprogramme gebraucht wird.
sprechen einige Autoren von Fortbewegungs- und Ückert 1999). Hierzu zählen Würfe,
schnelligkeit oder lokomotorischer Schnelligkeit Schüsse, (Ab-)Sprünge, Schläge oder Stöße. In
(Steinhöfer 2008). Unter disziplinspezifischen Ge- der Sportpraxis treten azyklische Bewegungen
sichtspunkten ist beispielsweise der leichtathleti- nicht immer, aber häufig in Kombination mit
sche Sprint oder der Sprint im Bahnradsport der zyklischen Bewegungselementen in Erschei-
zyklischen Schnelligkeit zuzuordnen. Ganz allge- nung. Beispielsweise wird die Sprung- oder
mein fällt aber z. B. auch der Trommelwirbel beim Wurfleistung beim leichtathletischen Weit-
Schlagzeugspielen in diese Kategorie. sprung bzw. Speerwurf durch den zyklischen
Azyklische Sequenz- oder Bewegungs- Anlauf begünstigt. Auch Fußballer erreichen
schnelligkeit ist die Schnelligkeitsleistung bei die höchsten Schussgeschwindigkeiten nicht
Einzelbewegungen, d. h., wenn Bewegungspro- ohne vorherigen Anlauf.
gramme einmalig ausgeführt werden. Azykli- Einige Erscheinungsformen der Schnelligkeit
sche Bewegungen haben also einen eindeutig lassen sich nicht eindeutig in eine der genannten
bestimmbaren Ausgangs- und Endpunkt (Joch Schnelligkeitsdimensionen einordnen. Sie sind
Krug et al. (2019) sind der Frage nachgegangen, ob Gesamtergebnis einer konfirmatorischen Faktorenana-
sich die Systematisierung der Schnelligkeit mit den lyse folgte dieser Erkenntnis und zeigte, dass sich
Faktoren Reaktionsschnelligkeit, zyklische Schnellig- Reaktionsschnelligkeit (als übergeordneter Faktor von
keit, azyklische Schnelligkeit (zyklische und azyklische Einfach- und Wahlreaktion), Frequenzschnelligkeit und
Schnelligkeit wurden im Verlauf der Datenanalyse in willkürlich initiierte Schnelligkeit als eigenständige
einem Faktor integriert und als reaktive Schnelligkeit Faktoren nachweisen lassen, während die reaktive
benannt) und willkürlich initiierbare Schnelligkeit (d. h. Schnelligkeit keinen eigenen Faktor bildete (mögli-
Schnelligkeit bei nichtreaktiven Bewegungen aus cherweise weil hierzu zu wenige Tests eingesetzt
definierter Vorspannung oder relativer Ruhe) mit werden konnten). Basierend auf den ausgewerteten
empirischen Daten bestätigen lässt. In einem ersten korrelativen Beziehungen vermuten Krug et al. (2019)
Schritt ergab eine explorative Faktorenanalyse eine zudem, dass willkürlich initiierte und reaktive
Differenzierung der Reaktionsschnelligkeit in Schnelligkeit nicht unabhängig von Parametern der
Einfachreaktion und komplexe Reaktion. Das Schnellkraft sind.
Schnelligkeitstraining
261 5
entweder zu komplex oder stellen eher eine Leis- 3,8
n = 102
r = 0,44
tungsvoraussetzung für schnelle Bewegungen 3,6 p < 0,001
20-m-LS-Test (s)
dar, als dass sie eine eigenständige bzw. überge-
3,4
ordnete Schnelligkeitskategorie repräsentieren.
Hierzu zählen die Handlungs- und Richtungs- 3,2
auf die Fähigkeit, strategisch-taktische bzw. tech- .. Abb. 5.2 Mittlerer Zusammenhang (r = 0,44)
nisch-taktische Handlungen in Abhängigkeit der zwischen der Leistung im 20-m-Linearsprinttest
Spiel- bzw. Wettkampfsituation präzise sowie in (20-m-LS-Test) und in einem tennisspezifischen
optimaler Zeit und Intensität zu realisieren (Stein- Richtungswechselsprinttest (RWS-Test) bei 102
Nachwuchsleistungstennisspielerinnen und -spielern
höfer 2008). Die Handlungsschnelligkeit ist daher
vor allem in den Sportspielen und den Kampf-
sportarten eine wichtige Erscheinungsform der trainings die Leistung im RWS-Test positiv
Schnelligkeitsleistung. Die Komponenten der (Brughelli et al. 2008). Die Autoren vermuten,
Handlungsschnelligkeit sind die Reaktions- und dass die RWS im Vergleich zur linearen Sprint-
Antizipationsschnelligkeit sowie die zyklische schnelligkeit von einem komplexeren Geflecht
und azyklische Bewegungsschnelligkeit. Die aus Leistungsvoraussetzungen determiniert
Qualität der Handlungsschnelligkeit ist also ab- wird, zu denen neben der linearen Sprintfähig-
hängig vom Niveau der koordinativ-konditionel- keit vor allem verschiedene Kraftfähigkeiten ge-
len Fähigkeiten sowie der technisch-taktischen hören (u. a. exzentrische Kraft der Kniebeuger;
Fertigkeiten und findet ihren Ausdruck in der für Brughelli et al. 2008; Jones et al. 2009).
die kognitiven Prozesse (d. h. Informationsauf- Die RWS ist insbesondere in den Sportspie-
nahme und Informationsverarbeitung) und für len eine wichtige Leistungsvoraussetzung, um
die motorische Lösung der Handlungsaufgabe den disziplinspezifischen Anforderungen ge-
benötigten Gesamtzeit (Weineck 2009; Schnabel recht zu werden (Nimphius et al. 2013). Folg-
et al. 2014; ). lich absolvieren Sportspielerinnen und -spieler
Die Richtungswechselsprintschnelligkeit im Rahmen einer Leistungsdiagnostik regel-
(RWS) beschreibt die Fähigkeit, die initiale mäßig RWS-Tests. Die Bewertung der Testleis-
Lauf- bzw. Sprintrichtung zu einem zuvor be- tung erfolgt meist anhand der erzielten Ge-
stimmten und bekannten Ort oder Raum samtzeit. Diese gibt jedoch keine differenzierte
schnellstmöglich zu ändern. Sie hebt sich hin- Auskunft darüber, ob die Testleistung auf der
sichtlich ihrer Komplexität ebenfalls von der Basis einer guten linearen Sprintfähigkeit und/
zyklischen Bewegungsschnelligkeit ab. Dies oder einer guten Richtungswechselfähigkeit
zeigt sich unter anderem in den Korrelationen zustande gekommen ist. Um dieser Problema-
zwischen der linearen Sprintfähigkeit und der tik konstruktiv zu begegnen, wurde die Be-
Leistung im RWS-Test, die meist nur niedrig bis rechnung des sogenannten RWS-Defizits
moderat ausfallen (Brughelli et al. 2008). Eine (Change of Direction Speed Deficit) vorge-
Untersuchung mit 102 Nachwuchsleistungsten- schlagen. Das RWSD ergibt sich aus der im
nisspielerinnen und -spielern bestätigt diese RWS-Test erreichten Gesamtzeit abzüglich der
Befunde (. Abb. 5.2). Auch konnten Trainings- 0–10-m-Zwischenzeit im Linearsprinttest (Lo-
studien zeigen, dass ein Schnelligkeitstraining turco et al. 2018). Die Berechnung des RWSD
mit linearen Sprints die RWS nicht verbesserte. ermöglicht eine isolierte Identifikation der Fä-
Hingegen beeinflussten Richtungswechselläufe higkeit, bei einem Sprint schnell die Laufrich-
sowie verschiedene Formen des Sprungkraft- tung zu ändern (Nimphius et al. 2016).
262 T. Wiewelhove
Exkurs: Agility
Im angloamerikanischen Sprachraum wurde der von der Leistung in RWS-Tests ohne kognitive
Begriff Agility meist synonym mit der Richtungswech- Komponente ist (Farrow et al. 2005). Ferner sind
selsprintschnelligkeit verwendet. Aufgrund von weiter- Agility-Tests besser in der Lage, zwischen Leistungs-
entwickelten Strukturansätzen wird Agility aber und Amateursportlern zu differenzieren. Dies weist
mittlerweile von vielen Autoren als Fähigkeit definiert, daraufhin, dass das kognitive Element des Agility-Tests
basierend auf Wahrnehmungen bzw. kognitiven einen wichtigen leistungssensitiven Faktor darstellt
Prozessen schnellstmöglich auf einen Stimulus zu (Young et al. 2015). Zumindest im Kontext der RWS
reagieren (z. B. das Bewegungsverhalten des scheint es somit gerechtfertigt zu sein, die reine RWS
Verteidigers im Fußball) und in der Folge die Lauf- bzw. und die Agility als jeweils eigenständige Fähigkeitska-
Sprintrichtung zu verändern (Nimphius 2014). Damit tegorie darzustellen, wobei bei der reinen RWS noch
5 unterscheidet sich die Agility von der reinen RWS zwischen den Dimensionen Richtungswechselsprint-
dahingehend, dass eine kognitive Komponente als fähigkeit und Wendigkeit unterschieden werden kann.
Leistungsvoraussetzung hinzukommt. In der Folge Die Richtungswechselsprintfähigkeit betrifft die
wurden leistungsdiagnostische Tests entwickelt, die Leistung in RWS-Tests mit einem oder höchstens zwei
zusätzlich zum Richtungswechselsprint eine kognitive Richtungswechseln (z. B. 5-0-5-Test), während die
Leistungskomponente in die Testaufgabe integrieren Wendigkeit die Leistung bei RWS-Tests mit drei oder
(z. B. der Reactive Agility Test oder der Reaction and mehr „scharfen“ (d. h. 180°) und/oder „weichen“ (d. h. <
Action Speed Test for Soccer Goalkeepers; Farrow et al. 180°) Richtungswechseln beschreibt (z. B. L-Run-Test
2005; Knoop et al. 2013). Zusammenhangsanalysen oder T-Test; Gabbett und Sheppard 2013; Nimphius
ergaben, dass die Leistung in Agility-Tests unabhängig 2014).
Müssen hohe äußere Widerstände maximal schnell beschleunigende Last ist (z. B. der Schläger im
beschleunigt werden, ergeben sich im Kraft-Zeit- Badminton), umso kürzer ist die Kraftbildungszeit
Verlauf hohe Kraftspitzen. Die Zeit bis zur bis zur Kraftspitze. Folglich beteiligen sich auch
maximalen Kraftentfaltung ist dabei so lang nicht alle zur Verfügung stehenden Muskelfasern
(>200 ms), dass alle Muskelfasern – selbst die bei der Erbringung der Beschleunigungsleistung,
schnellen Typ-II-Fasern – genügend Zeit haben, weshalb der Kraftimpuls insgesamt niedriger
sich an der Kraftbildung zu beteiligen. Solche ausfällt. Sind also die zu beschleunigenden
Beschleunigungsleistungen sind deshalb eindeutig Widerstände gering, ist vielmehr die Schnelligkeit
von der Schnell- bzw. deren Voraussetzung in Form und weniger die Kraft leistungsbestimmend
der Maximalkraft abhängig. Je geringer die zu (Scheid und Prohl 2003; Steinhöfer 2008).
(Joch und Ückert 1999). Aufgrund ihrer ver- intervallbasierten Sportarten (z. B. Fußball) wie-
gleichsweise kurzen Beschleunigungswege gilt derholte, kurze bis mittlere Beschleunigungs-
dies erst recht für azyklische Bewegungen. Das bzw. Schnelligkeitsleistungen mit teils hohen
bedeutet, maximale Beschleunigungsleistun- Krafteinsätzen bedeutsam. Hierbei sollte der er-
gen bei Sprüngen, Würfen, usw. sind neben der müdungsbedingte Geschwindigkeitsabfall nicht
eingesetzten Kraft insbesondere von der Länge nur während einer einzelnen Aktion, sondern
des Beschleunigungswegs sowie der im Sinne auch über die Wiederholungen hinweg möglichst
der „Anfangskraft“ eingesetzten Ausholbewe- gering sein. Es kommt also z. B. auf die Wieder-
gung abhängig. Die Qualität der Ausholbewe- holungssprintfähigkeit an.
gung kann ferner durch die biomechanischen
Prinzipien der „zeitlichen Koordination von
Schnelligkeitsausdauer
Teilimpulsen“ (7 Abschn. 4.2: Intermuskuläre
Koordination) und der „Muskelvordehnung“ Die Schnelligkeitsausdauer bezeichnet im
(7 Abschn. 4.1: DVZ) erklärt werden. weitesten Sinne die Fähigkeit, höchste
Die Schnelligkeitsausdauer wird nur von we- Bewegungsgeschwindigkeiten über einen
nigen Autoren als eigenständige Leistungsvoraus- längeren Zeitraum aufrecht erhalten zu
setzung im Kontext der Schnelligkeitsdimension können und/oder sowohl bei einmalig als
beschrieben und ist daher auch nicht eindeutig auch bei mehrmals in kurzer Zeit hinterein-
definiert. Dies liegt u. a. an den trainingsmethodi- ander absolvierten Schnelligkeitsbelastun-
schen Überschneidungen, die sich vor allem aus gen den ermüdungsbedingten Geschwin-
energetischer Sicht zwischen der Schnelligkeits- digkeitsabfall möglichst gering zu halten.
ausdauer und dem Ausdauertraining ergeben. Im
weitesten Sinne kennzeichnet die Schnelligkeits-
ausdauer die Fähigkeit, höchste Geschwindigkei-
ten über einen längeren Zeitraum aufrechterhal- 5.2 Biologische Grundlagen
ten zu können bzw. den ermüdungsbedingten
Geschwindigkeitsabfall möglichst gering zu hal- Die Differenzierung der Schnelligkeit in Fähig-
ten. Diese Begriffsbestimmung bezieht sich vor keitsdimensionen ist notwendig, um unter-
allem auf einmalig absolvierte zyklische Bewe- schiedliche Methoden des Schnelligkeitstrai-
gungen, weshalb die Schnelligkeitsausdauer häu- nings auszuweisen und hinsichtlich ihrer
fig auch als Sprintausdauer bezeichnet wird. Sie Belastungscharakteristika zu definieren. Zu-
lässt allerdings offen, ob damit nur relativ kurze gleich darf die theoriegeleitete Abgrenzung von
(z. B. 100-m-Sprint) oder auch länger andau- Erscheinungsformen der Schnelligkeit nicht
ernde (z. B. 400-m-Lauf) Schnelligkeitsleistungen dazu führen, dass die Wechselbeziehungen der
gemeint sind (Steinhöfer 2008). Ferner sind in Schnelligkeitskomponenten untereinander au-
264 T. Wiewelhove
neuromuskuläre
Sozialisierung Lernfähigkeit Muskeltemperatur
Innervationsmuster
ßer Acht gelassen werden. Außerdem muss be- durch den Aufbau der Skelettmuskulatur,
rücksichtigt werden, dass sowohl die informa- sprich den Muskelquerschnitt, die Muskelar-
torische als auch die motorische Schnelligkeit chitektur und das Muskelfaserspektrum sowie
in ihren unterschiedlichen Erscheinungen ver- ferner durch die Kraft-Längen- Relation des
schiedensten biologischen und zum Teil sozio- Muskels, die neuromuskuläre Signalübertra-
logischen Einflussgrößen unterliegen, die die gung und/oder die Energiebereitstellung be-
Qualität von Schnelligkeitsleistungen bestim- einflusst. Eine ausführliche Übersicht über die
men (Damerow 2005). Einflussgrößen auf die Schnelligkeit bzw. über
Soll schnell reagiert werden und/oder sol- die beteiligten Funktionssysteme des Organis-
len Bewegungen schnell ausgeführt werden, mus liefern Geese und Hillebrecht (1995);
stellt dies unterschiedliche, spezifische Anfor- Grosser (1991) und Weineck (2009). Sie diffe-
derungen an die Funktionssysteme des Orga- renzieren zwischen anlage-, entwicklungs- und
nismus. Diese werden aber häufig in ihrer Ge- lernbedingten sowie sensorisch-kognitiven, psy-
samtheit benötigt. Insofern existiert auch kein chischen, neuronalen und tendomuskulären Ein-
ausschließlich schnelligkeitsspezifisches biolo- flussgrößen (. Abb. 5.3), die in Abhängigkeit von
gisches System (Schnabel et al. 2014). Viel- sportart- oder bewegungsspezifischen Besonder-
mehr gelten zahlreiche der bereits in heiten in unterschiedlichem Ausmaß von Be-
7 Abschn. 4.2 besprochenen anatomisch- deutung sind. Die aus biologischer Perspektive
physiologischen Strukturen und Funktionen wichtigsten Einflussgrößen auf die Schnellig-
nicht nur für Kraft-, sondern im Wesentlichen keit werden im weiteren Verlauf dieses Kapi-
auch für Schnelligkeitsleistungen. So wird die tels – in Orientierung an die in . Abb. 5.3 vor-
Schnelligkeit beispielsweise unter anderem geschlagene Struktur – näher beschrieben.
Schnelligkeitstraining
265 5
Beispiel: African Sprinters
Die afrikanische Bevölkerung liefert in diesem Zusam- eine Mutation des ACTN3-Gens identifiziert. Das
menhang ein anschauliches Beispiel sogenannte R577X-Allel, das im Allgemeinen am
(vgl. 7 Abschn. 7.3). So haben die besten Langstre- seltensten bei Afrikanern auftritt, geht dabei mit einem
ckenläufer der Welt ihre Wurzeln im Osten des hohen Anteil an langsamen Muskelfasertypen einher.
Kontinents, während die besten Sprinter der Welt Hingegen weisen Afrikaner und Topsprinter das
westafrikanischer Herkunft sind. Nimmt man die höchste Vorkommen der nichtmutierten Version des
boykottierten olympischen Spiele von 1980 aus, dann ACTN3-Gens, das R577R-Allel, auf, das wiederum mit
gewann 1972 zum letzten Mal ein nicht dunkelhäuti- einem hohen Anteil an schnellen Muskelfasertypen
ger Sprinter Olympiagold über 100 Meter. verlinkt ist (Yang et al. 2003; Niemi und Majamaa 2005;
Einer der Gründe dafür könnte das α-Actinin-3- Pickering und Kiely 2017). Offenbar besitzt also vor
(ACTN3-)Gen sein. In Abhängigkeit der ethnischen allem die aus Westafrika stammende Bevölkerung den
Zugehörigkeit wurde bei etwa 20–50 % der Menschen „richtigen“ Genpool für den Sprintsport.
Schlagschnelligkeiten aufweisen und somit ler eine meist exzellente RWS und Agilität
in der Lage sind, den Gegner unter Druck zu auf. Dies erscheint notwendig, um die nied-
setzen und dadurch auch mögliche Defizite rigeren Schlaggeschwindigkeiten als Folge
der eigenen Laufschnelligkeit kompensie- der ungünstigeren Hebelverhältnisse zu
ren. Umgekehrt weisen kleinere Tennisspie- kompensieren.
Auch sensorisch-kognitive oder psychische Faktoren scher Koaktivierungen begründet, die insbesondere
können die Schnelligkeit beeinflussen. Beispiels- dann auftreten können, wenn Athleten unter
weise kann eine optimal ausgeprägte Motivations- großem psychischem Druck stehen. In der Folge
5 und Konzentrationsfähigkeit sowie mentale Stärke versuchen Sportler, eine Bewegung, die normaler-
im Training und Wettkampf schnelligkeitsbegünsti- weise automatisch ausgeführt wird, willentlich zu
gend sein. Asafa Powell liefert in diesem Zusammen- beeinflussen. Dies bringt eine Verschlechterung der
hang ein anschauliches Beispiel. Dem mehrfachen Koordination im Moment der psychischen
Weltrekordhalter im 100-Meter-Lauf gelang es trotz Überforderung mit sich, und es setzt eine Dissozia-
Favoritenstatus nicht, eine Goldmedaille in einem tion bzw. Entautomatisierung der Bewegung ein
Einzelrennen bei olympischen Spielen oder (Weineck 2009). Es ist bekannt, dass Asafa Powell vor
Weltmeisterschaften zu gewinnen. Dies liegt bedeutenden Wettkämpfen unter extremer
womöglich in dem störenden Einfluss antagonisti- Anspannung und Schlaflosigkeit litt.
im Prinzip das, was ihn erfahrungsgemäß er- Diese Muskeldehnung löst einen neurophysio-
wartet (Geese und Hillebrecht 1995). logischen Reflexmechanismus aus, der in Ab-
Einerseits wird im Sinne eines Schutzmechanis- hängigkeit von der Intensität der Muskeldeh-
mus durch die Voraktivierung eine plötzliche nung einen bedeutenden Einfluss auf die
Überdehnung der Muskulatur verhindert. An- Kraftentfaltung in der nach der Dehnung ein-
dererseits wird dadurch die Mehrzahl der moto- setzenden konzentrischen Phase hat.
rischen Einheiten schon rekrutiert oder zumin- Spinalmotorische Dehnreflexe, zu denen auch
dest nah an ihre Rekrutierungsschwelle gebracht, der Patellarsehnenreflex zählt, laufen wie folgt ab.
sodass diese auf den depolarisierenden Nerven- Jeder Muskel enthält Dehnungsrezeptoren, die als
impulseinstrom durch die Muskelspindelaffe- Muskelspindeln bezeichnet werden. Diese den pro-
5 renzen ohne Verzögerung antworten können priozeptiven Rezeptoren zugeordneten Muskel-
(Grosser 1991). Infolgedessen wird im Sprintlauf spindeln verlaufen parallel zur quergestreiften Ske-
sowie in den leichtathletischen Sprungdiszipli- lettmuskelfaser und bestehen aus einem nicht
nen trotz der extrem kurzen Stützphasen eine kontraktilen Mittelstück (dem dehnungsempfind-
optimale Kraftentfaltung erreicht. lichen Rezeptor) sowie zwei kontraktilen Endstü-
Neben der Voraktivierung spielt die musku- cken (den sogenannten intrafusalen Muskelfasern).
läre Reflextätigkeit als schnelligkeitsbegünsti- Bei einer Dehnung des Skelettmuskels spannen sich
gender Faktor eine wichtige Rolle. Bei vielen auch die Muskelspindeln, während sie sich bei einer
Bewegungen geht der überwindenden bzw. Kontraktion entspannen (de Marées 2003). Wird
konzentrischen oder positiv beschleunigenden ein Muskel im Verlauf einer exzentrischen Phase
Phase eine nachgebende bzw. exzentrische oder gedehnt, so erhöhen die Dehnungsrezeptoren der
bremsende Phase (auch als Ausholphase oder Muskelspindeln ihre Impulssalven über schnelle,
Amortisationsphase benannt) voraus. In der ex- als Ia-Afferenzen bezeichnete Nervenfasern, die
zentrischen Phase wird die Arbeitsmuskulatur wiederum mit dem Hinterhorn des Rückenmarks
zwar innerviert. Die Kraftbildung ist jedoch ge- verbunden sind. Diese Erregungen werden über im
ringer als die Kräfte, die von außen wirken, so- Rückenmark liegende Synapsen auf motorische
dass die Muskulatur zu einem mehr oder weni- Vorderhornzellen geleitet, die als Motoneuronen
ger schnellen und umfänglichen Nachgeben über schnelle Aα-Nervenfasern die Arbeitsmusku-
gezwungen wird. Sie dehnt sich also mehr oder latur innervieren. Mit ausreichend großen Spindel-
weniger schnell und intensiv (Grosser 1991). erregungen kommt es schließlich zur Kontraktion
Sprungbewegungen
Ko
motorischer
ntr
Ausgang Muskelspindel
ak
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tio
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Ko
motorische
Endplatte
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un
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Schnelligkeitstraining
271 5
des gedehnten Muskels (. Abb. 5.5, Grosser 1991; heit) abhängig (de Marées 2003). Je weiter und
de Marées 2003; Müller et al. 2015). schneller ein Muskel gedehnt wird, desto größer
Die Erregungsfrequenz der Muskelspindeln ist die von den Muskelspindeln erzeugte Innerva-
ist dem Ausmaß der Dehnintensität proportional tionsfrequenz sowie die in der Folge hervorgeru-
und somit sowohl von der Größe der Dehnung fene Kontraktionsspannung des zuvor gedehnten
(Längenzunahme) als auch von der Dehnungs- Muskels. Diese der Dehnung entgegengesetzte
geschwindigkeit (Längenzunahme pro Zeitein- Kontraktionskraft hat dabei einerseits eine
Exkurs: Azyklische und zyklische Zeitprogramme
Schutzfunktion vor Überdehnungen und min- (Wiewelhove et al. 2019), die Aktivierung spezi-
dert somit das Risiko von Verletzungen. Ande- fischer bzw. stabilisierender Muskelgruppen mit-
rerseits bringt der spinalmotorische Dehnreflex tels entsprechender Hilfsmittel (z. B. Thera-Band)
den gedehnten Muskel bereits vor der konzent- (vgl. 7 Abschn. 3.3) oder das dynamische Deh-
rischen Phase in einen für die zu leistende Arbeit nen (Larson 2014).
nützlichen Erregungs- bzw. Spannungszustand.
So findet die Arbeitsmuskulatur im unmittelba-
eispiel: Muskeltemperatur und Sprintleis-
B
ren Anschluss an eine Vordehnung im Sinne der tung im Fußball
intramuskulären Koordination günstigere Erre-
gungsbedingungen vor als bei Bewegungen, die Mohr et al. (2004) konnten nachweisen, dass die
5 keine exzentrische Vordehnphase aufweisen. Da- Muskeltemperatur von Fußballspielern, die sich
bei gilt: Je höher die Reflexaktivität ist, desto ef- während der Halbzeitpause eines Fußballspiels
passiv erholten, absank. Die Abnahme der
fektiver ist die intramuskuläre Koordination und
Muskeltemperatur ging mit einer reduzierten
desto kraftvoller ist die assoziierte konzentrische Sprintleistung zu Beginn der zweiten Halbzeit
Muskelaktivität (Grosser 1991). einher. Bei den Spielern, die während der
Zusätzlich wird bei einer reflektorischen Halbzeitpause ein kurzes und moderates
Kontraktion des Agonisten die Kontraktion Re-Warm-up absolvierten, waren zu Beginn der
zweiten Halbzeit sowohl Muskeltemperatur als
seines Gegenspielers über Ia-inhibitorische
auch Sprintleistung auf einem Niveau, das mit
Interneurone gehemmt. Ia-inhibitorische In- dem bei Spielbeginn vergleichbar war.
terneurone sind Kollaterale der Ia-Afferenzen.
Sie innervieren α-Motoneurone von antago-
nistisch wirkenden Muskeln und verhindern
über diese dessen Kontraktion. Ia-Afferenzen 5.2.3 influssgrößen im Kontext
E
regeln also nicht nur die Spannung des Ur- der Erscheinungsformen der
sprungsmuskels, sondern hemmen auch seine Schnelligkeit
Antagonisten. Man spricht dabei von rezipro-
ker Antagonistenhemmung (de Marées 2003). Bei den schnelligkeitsbeeinflussenden Faktoren
Das bedeutet, dass durch eine Muskeldehnung findet man eine größere Einigkeit im Vergleich
reflektorische Mechanismen ausgelöst werden, zur Vielfalt der Schnelligkeitsbegriffe und Syste-
die einem potentiell schnelligkeitsmindernden matisierungsversuche (Scheid und Prohl 2003).
Einfluss antagonistischer Kokontraktionen Allerdings sollte die Benennung der Einfluss-
entgegenwirken können. faktoren auch unter Berücksichtigung der Er-
Schließlich setzt eine hohe Reaktions- und scheinungsformen der Schnelligkeit erfolgen.
Bewegungsschnelligkeit eine optimale Muskel- So liefern Geese und Hillebrecht (1995); Grosser
temperatur voraus. Da durch ein Aufwärmen (1991) sowie Weineck (2009) ein zwar umfang-
(Thermogenese) unter anderem der intramus- reiches Bedingungsgefüge aus schnelligkeits-
kuläre Reibungswiderstand (Viskosität) herabge- beeinflussenden Faktoren (. Abb. 5.3). Dieses
setzt wird und die Geschwindigkeit der Reizlei- ist jedoch lediglich nach unterschiedlichen
tung zunimmt, werden Reaktionsfähigkeit sowie Faktorenstufen strukturiert und nimmt nicht
neuromuskuläre Steuerungsprozesse verbessert Bezug auf die unterschiedlichen Erscheinungs-
(Weineck 2009). Zum Erreichen individuell best- formen der Schnelligkeit. Martin et al. (1993)
möglicher Schnelligkeitsleistungen – aber auch sowie Scheid und Prohl (2003) unternehmen
zur Reduzierung des Verletzungsrisikos – ist hingegen den Versuch, die Einflussgrößen den
demnach eine adäquate Trainings- und Wett- unterschiedlichen Schnelligkeitsformen zuzu-
kampfvorbereitung erforderlich. Zusätzlich zur weisen. Dieser Versuch soll in . Abb. 5.7 auf-
Thermogenese kann das Warm-up weitere schnel- gegriffen werden, indem der informatorischen
ligkeitsbegünstigende Komponenten beinhalten. und der motorischen Schnelligkeit ihre jeweils
Hierzu zählen unter anderen das Foam-Rolling wichtigsten Einflussgrößen zugeordnet werden.
Schnelligkeitstraining
273 5
.. Abb. 5.7 Einfluss-
informatorische motorische
größen auf die Schnelligkeit Schnelligkeit
informatorische und
die motorische Alter Veranlagung und Alter
Schnelligkeit
E
Wissen, Erfahrung und Erwartung intramuskuläre Koordination
I
N
F
L intermuskuläre Koordination
Erregungsfähigkeit der U
Exterorezeptoren S
(Auge, Ohr, Haut, Nase, Mund) S
G Anteil großer motorischer Einheiten
R
Ö
ß
E Koaktivierung
afferente und efferente N
Reizleitungs- und
-verarbeitungsgeschwindigkeit
Vor- und Reflexinnervation
Energiebereitstellung
und Muskeltemperatur
nellen Fähigkeiten in den letzten Jahren ins matorischen Reaktionsschnelligkeit finden da-
Zentrum der leistungslimitierenden Faktoren her vorrangig auf der Ebene der sensorisch-ko-
gerückt sind (z. B. Fußball, Handball, usw.). gnitiven Einflussgrößen statt.
Dabei intendiert ein Schnelligkeitstraining un-
ter anderem eine Integration der im Rahmen Praxistipp: Sportartspezifisches Reaktions-
eines konventionellen Krafttrainings erworbe- und Antizipationstraining
nen Kraftfähigkeiten in sportartspezifische Be-
Untersuchungen zeigen, dass selbst
wegungsmuster (Beaudette und Brown 2015).
hochtrainierte Spitzensportler ihre
Beispielsweise nutzt dem Hochspringer ein ho-
sportartspezifische Reaktions- und
hes Maximalkraftniveau nur dann, wenn davon
Antizipationsschnelligkeit durch gezieltes
5 seine sprungspezifische Bewegungskoordina-
Training weiter verbessern können.
tion profitiert. Insofern kann das Training der
Voraussetzung ist die Verwendung
Schnelligkeit auch als eine Verzahnung von
komplexer, sportart- bzw. anforderungs-
(Schnell-)Kraft- und Koordinationstraining
spezifischer Trainingsformen, bei denen die
betrachtet werden (Olivier et al. 2008). Die
sensorisch-kognitiven Fähigkeiten
durch ein Schnelligkeitstraining bewirkten An-
wettkampfnah geschult werden. Hierzu
passungen unterscheiden sich deshalb auch
zählen beispielsweise sogenannte Small-Si-
nicht grundsätzlich von denen des Kraft- und
ded-Games (SSGs) im Fußball oder
Koordinations- bzw. Techniktrainings.
Basketball (z. B. drei gegen drei auf einem
Basketballhalbfeld), bei denen komplexe,
5.3.1 npassungen im Kontext
A disziplinspezifische Stimuli unter hohem
der informatorischen Zeitdruck verarbeitet werden müssen. Es
wird angenommen, dass das Training der
Schnelligkeit
Reaktions- und Antizipationsleistung mit
Übungsformen, die sportartspezifische
Nerven- bzw. Reizleitungsgeschwindigkeiten,
Stimuli beinhalten, einen besseren
Übertragungszeiten an den Synapsen und Re-
Übertrag in die Wettkampfsituation
flexzeiten sind vorrangig durch erbdominante
gewährleisten und folglich die Wettkampf-
Prozesse geprägt und daher nur bedingt trai-
leistung messbar verbessern (Serpell et al.
nierbar. Verbesserungen der Reaktionszeiten
2011; Young und Farrow 2013).
sind deshalb auch nur durch eine verbesserte
sensorisch-kognitive Leistungsfähigkeit zu er-
zielen (Olivier et al. 2008). Die Reaktion guter
Sportler wird durch Aufmerksamkeits- und 5.3.2 npassungen im Kontext
A
Informationsverarbeitungsprozesse bestimmt, der motorischen
die sich zusammen mit der Wettkampferfah- Schnelligkeit
rung in der Antizipationsschnelligkeit manifes-
tieren (Steinhöfer 2008). Das möglichst früh- Elementare Schnelligkeitsleistungen im Kon-
zeitige Erkennen und Bewerten einer Situation text der motorischen Bewegungsschnelligkeit
ermöglicht die vorbereitende Programmierung werden – wie die Leistung bei Einfachreak-
der Bewegung und verbessert hierdurch die tionen – ebenfalls als primär anlage- und ent-
Reaktionsleistung (vgl. 7 Abschn. 5.1). Schnel- wicklungsbedingt beschrieben, da sie von der
lere, sportartspezifische Reaktionen von Pro- Qualität des Zusammenspiels der Steuer- und
fisportlern kommen nicht dadurch zustande, Regelmechanismen des Zentralnervensys-
dass sie schneller reagieren, sondern dass ih- tems und des Nerv-Muskel-Systems abhängen
nen aufgrund einer erfolgreichen Antizipation (Hohmann et al. 2014; Prieske et al. 2017).
für die Reaktion mehr Zeit zur Verfügung steht Aufgrund ihrer Nähe zu den koordinativen Fä-
(Olivier et al. 2008). Anpassungen der infor- higkeiten entwickeln sich elementare Schnel-
Schnelligkeitstraining
275 5
ligkeitsfähigkeiten daher insbesondere im Ver- eine optimale wechselseitige Aktivierung und
lauf des Kindes- und Jungendalters positiv. Sie Hemmung der beteiligten Muskeln möglich
können also optimal ausgeprägt werden, wenn (7 Abschn. 5.2). Für die Realisierung maxima-
sie vor allem frühzeitig sowie gezielt mithilfe ler Abfluggeschwindigkeiten von Wurf- oder
eines elementaren Schnelligkeitstrainings trai- Schlaggeräten (z. B. Speer, Kugel, Ball) müssen
niert werden (Hohmann et al. 2014). Viele die beteiligten Muskeln in Abhängigkeit von
Autoren plädieren deshalb für die forcierte ihrem Einsatz im zeitlichen Verlauf, der für
Durchführung eines elementaren Schnellig- die jeweilige Kraftentfaltung optimalen Win-
keitstrainings bereits im präpuberalen Al- kelstellung und der Größe des zu beschleu-
ter. Nur so könne die langfristig angestrebte nigenden Widerstandes koordiniert werden
Schnelligkeitsleistung optimiert und dem Ri- (Olivier et al. 2008). Weiterführende, durch
siko einer unvollständigen Ausprägung der Koordinations- und Techniktraining bewirkte
elementaren Schnelligkeit vorgebeugt werden. Anpassungseffekte können 7 Abschn. 8.3 ent-
Im Allgemeinen werden präpuberale und pu- nommen werden.
berale Phasen bis zum Abschluss der biologi- Müssen mittlere bis hohe Widerstände
schen Reifung als optimale Zeitfenster für ein beschleunigt werden (z. B. der eigene Körper
gezieltes Training von Schnelligkeitsleistungen beim Sprintstart oder beim schnellen Rich-
angesehen (Prieske et al. 2017). Bauersfeld und tungswechsel im Sportspiel sowie die Kugel im
Voss (1992) fordern sogar, dass das Kinder- Kugelstoßen), nimmt der Einfluss der Schnell-
und Jugendtraining in allen Bereichen schnel- bzw. Maximalkraft auf die Schnelligkeitsleis-
ligkeitsorientiert gestaltet wird. Ob sich die tung zu. Eine Verbesserung der Schnellkraft
elementare Schnelligkeit auch nach der Pubes- wird durch ein Training mit hohen Belas-
zenz steigern lässt und inwieweit eine mangel- tungsintensitäten (d. h. intramuskuläres Ko-
haft ausgebildete elementare Schnelligkeit die ordinationstraining bzw. als IK-Training be-
komplexen Schnelligkeitsfähigkeiten beein- zeichnet), aber auch durch ein Training mit
trächtigt und damit auch indirekt und langfris- mittleren Lasten (d. h. Schnellkrafttraining)
tig die Leistung in schnelligkeitsorientierten sowie durch ein Reaktivkrafttraining erreicht
Disziplinen limitiert, konnte bislang nicht ein- (vgl. 7 Abschn. 4.4, Olivier et al. 2008). Die
deutig geklärt werden (Hohmann et al. 2014). in diesem Zusammenhang bewirkten neuro-
Zyklische und azyklische Schnelligkeits- nalen und morphologisch-tendomuskulären
leistungen verbessern sich hauptsächlich durch Anpassungseffekte können 7 Abschn. 4.3 ent-
eine Anpassung der inter- und intramuskulä- nommen werden. Bei schnelligkeitsbezoge-
ren Koordination. Beispielsweise konnten Stei- nem Krafttraining sollte aber immer auch der
gerungen der zyklischen Frequenzschnelligkeit koordinative Transfer zwischen der Trainings-
durch sportartspezifische Trainingsformen er- übung und der Zielbewegung berücksichtigt
reicht werden (Thienes 1998). Ähnliches wird werden.
für die azyklische Sequenzschnelligkeit an-
genommen (Gold 2004). Dies wäre vergleich- Beispiel: Anpassungen der Laufschnelligkeit
bar mit Befunden für das Krafttraining, die
Verbesserungen der Laufschnelligkeit können
Anpassungen der Kraftleistung besonders zu
durch unterschiedliche Interventionsmaßnah-
Beginn des Trainings mit einer verbesserten men im Training nur in geringem Maße erreicht
intermuskulären Koordination erklären (vgl. werden. Untersuchungen belegen jedoch, dass
7 Abschn. 4.3). Zur Erreichung höchster Lauf- sich sowohl durch einen schnelligkeitsorientier-
und Abfluggeschwindigkeiten bei Sprint-, ten als auch durch einen kraftorientierten
Trainingszyklus bereits nach kurzer Zeit
Sprung- und Wurfbewegungen ist die optimale
erkennbare Verbesserungen erzielen lassen
Koordination verschiedener Muskelgruppen (Seitz et al. 2014; Ferrauti et al. 2016). Diese sind
erforderlich. Beispielsweise ist eine Erhöhung zwar gering und betragen nur in etwa 3–5 %.
der Schrittfrequenz im Sprintlauf nur über
276 T. Wiewelhove
Basierend auf den Überlegungen von Ozolin keit zu überbieten, sondern diese auch auf dem
(1978) wird angenommen, dass sich durch die neuen Niveau zu halten. Hierbei stehen Metho-
längere Anwendung ein und derselben Inhalte, den mit erleichterten (z. B. Bergabläufe,
Methoden und Belastungen über die Gewöh- Schleppläufe, körpergewichtsentlastendes
nung ein Schnelligkeitsstereotyp herausbildet, Sprungtraining usw.) und variierenden Bedingun-
der die Weiterentwicklung der Schnelligkeit gen (d. h. systematischer und alternierender
erschwert oder sogar verhindert (Tabchnik Wechsel zwischen erleichterten, erschwerten
1992; Cissik 2005). Das ständige Wiederholen [z. B. Zugwiderstandsläufe] und normalen
einer Bewegung im gleichen – wenn auch Bedingungen) sowie ein Kontrast- bzw. Komplex-
maximalen oder supramaximalen – Tempo training (vgl. 7 Abschn. 4.2: Postactivation
sowie der akzentuierte Einsatz einseitiger Potentiation (PAP) und Komplextraining) im
Schnelligkeitsübungen könne die räumlichen Mittelpunkt (Tabchnik 1992; Voss et al. 2007;
und zeitlichen Merkmale der Bewegung so Weineck 2009).
verfestigen, dass trotz weiterer Erhöhungen der Es ist allerdings nicht geklärt, ob das Konzept
Trainingsanforderungen anstelle von Trainings- der „Geschwindigkeitsbarriere“ aus biologischer
fortschritten eine Stagnation in der Schnellig- Perspektive Gültigkeit besitzt und, wenn ja, ob es
keitsentwicklung und damit eine sogenannte auch für nichtleichtathletische Schnelligkeitsdis-
„Geschwindigkeitsbarriere“ eintrete (Coh et al. ziplinen relevant ist. So absolvieren Sprinter in
2011). Eine derartige „Geschwindigkeitsbar- jeder Woche ihres Trainings zahllose Sprints. Dies
riere“ kann demnach nur verhindert werden, gilt jedoch nicht für beispielsweise Fußballer,
indem stets neue und variierende Trainingsreize Handballer oder Basketballer. In Sportarten mit
eine zu starke und vor allem zu frühe Verfesti- komplexerem Beanspruchungsprofil im Vergleich
gung des dynamischen Schnelligkeitsstereotyps zu den leichtathletischen Schnelligkeitsdiszipli-
unterbinden (Weineck 2009; Schnabel et al. nen werden schnelligkeitsbetonte Bewegungen
2014). im Training in viel geringerer Dichte bzw.
Kommt es trotz allem zum Eintreten einer Häufigkeit und in größerer Variationsbreite
„Geschwindigkeitsbarriere“, werden zu ihrer absolviert. Das Konzept der „Geschwindigkeits-
Überwindung solche Methoden und Inhalte barriere“ ist daher für nichtleichtathletische
vorgeschlagen, die es dem Athleten ermöglichen Sportarten womöglich völlig unbedeutend (Cissik
sollen, nicht nur die eigene Maximalgeschwindig- 2005).
Reaktraions-
Training der training
informatorischen
Schnelligkeit
Antizipations-
training
zyklisches
Frequenzschnelligkeits supramaximale
elementares -training Schnelligkeitsmethode
Schnelligkeits-
5 training azyklische
Sequenzschnelligkeits- Widerstandsmethode
training
Training
der motorischen
Schnelligkeit
zyklisches Antritts- und
Sprintschnelligkeit- Kontrastmethode
komplexes training
Schnelligkeits-
training azyklisches
Aktionsschnelligkeits- Koordinationsmethode
training
Beispiel: Antizipationstraining
Broadbent et al. (2015) fassen in ihrer Übersichts- auch mit einem rein videobasierten Antizipations-
arbeit zusammen, dass ein Antizipationstraining training gelingen kann, belegen die Untersuchun-
zur Entwicklung und Verbesserung von Wahrneh- gen von Gabbett et al. (2007) und Williams et al.
mungs- und Entscheidungsverhalten von Sportlern (2002, 2003). Hockey-, Tennis- und Softball-Spieler
beiträgt und somit auch die sportartspezifische schauten sich jeweils teilweise verdecktes
Leistungsfähigkeit steigern kann. Die Autoren Videomaterial an, bei dem sie durch das Identifizie-
weisen darauf hin, dass ein Antizipationstraining ren von bestimmten Bewegungshinweisen die Ball-
nur dann sinnvoll und wirksam ist, wenn sich die flugrichtung vorhersagen sollten. Es verbesserte
Übungsinhalte so nah wie möglich am Beanspru- sich sowohl die im Labor getestete Antizipations-
chungsprofil der jeweiligen Sportart orientieren. schnelligkeit als auch die unter wettkampfspezi-
Nur so könne ein optimaler Transfer in die fischen Feldbedingungen erfasste Antizipations-
Wettkampfpraxis sichergestellt werden. Das dies leistung der Sportler.
282 T. Wiewelhove
Plyometrisches Training beinhaltet Übungen mit Sprintleistung durch ein plyometrisches Training
meist einfachen, kleinmotorischen Sprüngen, die zu verbessern, ist eine nicht mehr als 10-wöchige
im kurzen DVZ bei kürzesten Bodenkontaktzeiten Trainingsintervention mit mindestens 18
realisiert werden. Eine Metaanalyse von Saez de Trainingseinheiten und ca. 80 Sprüngen pro
Villarreal et al. (2012) zeigt, dass plyometrisches Einheit notwendig. Plyometrische Horizontal-
Sprungtraining selbst bei Spitzensportlern zu sprünge haben einen größeren Leistungstransfer
praxisrelevanten Verbesserungen der Sprintzeiten auf die Sprintleistung als Vertikalsprünge.
führt. Die mittlere Verbesserung der Sprintleis- Sprungübungen mit Zusatzlast besitzen keinen
tung liegt bei etwa 1 %. Dies erscheint gering, Benefit hinsichtlich der Verbesserung der
kann aber vor allem für die Leistung bei kurzen Antritts- und Sprintschnelligkeit (Saez de Villarreal
Sprints und Antritten relevant sein. Um die et al. 2012).
Schnelligkeitstraining
283 5
5.4.7 Antritts- und schnelligkeitstraining aber auch ausgezeichnet
Sprintschnelligkeitstraining in spielsportspezifische Übungs- und Spielfor-
men mit und ohne Ball integrieren (z. B. Lei-
Aufgrund der hohen Sportartspezifität liegt es ter- und Pendelsprints über unterschiedliche
auf der Hand, dass das Antritts- und Sprint- Entfernungen mit oder ohne Ball oder [si-
schnelligkeitstraining die zentrale Trainings- muliertem] Schlag, Schuss, Pass, und/oder
methode für alle Sprintlaufdisziplinen reprä- Zweikampf, Sternsprints, bei denen stets zum
sentiert. Aber auch der leichtathletische Ausgangspunkt zurückgekehrt wird, Rück-
Weitsprung profitiert vom Training der An- wärts- und Seitwärtsläufe, usw.; Scheid und
tritts- und Sprintschnelligkeit. Obwohl Sport- Prohl 2003; Prieske et al. 2017).
spieler meist nur kurze Antritte über wenige Das Antritts- und Sprintschnelligkeitstrai-
Meter absolvieren, kann selbst hier neben dem ning zielt in den Sportspielen auch auf eine
Antrittsschnelligkeitstraining ein zusätzliches Verbesserung der Richtungswechselsprint-
Training der Sprintschnelligkeit empfohlen schnelligkeit ab und ist Bestandteil des Trai-
werden, da ein positiver Transfer zwischen die- nings der Handlungsschnelligkeit und Agility.
sen beiden Trainingsformen wahrscheinlich ist Bei sehr anforderungsnahen Trainingsformen
(Steinhöfer 2008). Unter Berücksichtigung des mit Ball und ggf. Schläger muss berücksichtigt
Anforderungsprofils im Sportspiel sollte die werden, dass der Spieler höchstem Zeitdruck
Gewichtung aber zugunsten eines Trainings ausgesetzt ist. So darf beispielsweise ein Ten-
der Beschleunigungsleistung erfolgen. Im nisspieler nur mit größter Anstrengung das
Sinne der komplexen zyklischen Bewegungs- Trainerzuspiel bzw. den Ball erreichen. Der
schnelligkeit können die allgemeinen methodi- Schlagerfolg gerät als Trainingsziel teilweise in
schen Belastungsorientierungen der Antritts- den Hintergrund. Die Belastungsdosierung
und Sprintschnelligkeitsmethode im Übrigen lässt sich hierbei jedoch weniger gezielt steu-
auch auf das Sprinttraining auf dem Rad für ern als bei beispielsweise leichtathletisch ori-
beispielsweise Bahnradsportler, auf das Sprint- entiertem Beschleunigungs- und Sprinttrai-
training im Wasser für Schwimmsportler und ning (Steinhöfer 2008).
Wasserballer oder auf das Sprinttraining auf
dem Wasser für Kanuten und Ruderer übertra-
gen werden, obschon die speziellen sportart- 5.4.8 Aktionsschnelligkeitstrai-
spezifischen Anforderungscharakteristika und ning
Rahmenbedingungen bei der Belastungsdosie-
rung berücksichtig werden müssen. Die komplexe azyklische Bewegungsschnellig-
Jeder Antritt/Sprint wird mit maxima- keit hängt in vielen Disziplinen aufgrund feh-
ler Intensität absolviert. Bei einem Abfall der lender oder geringerer äußerer Bewegungswi-
Beschleunigungsleistung bzw. bei einem Ge- derstände nicht von der Maximalkraft ab
schwindigkeitsabfall werden die Pausen ver- (z. B. Boxschläge, Schlagwürfe im Handball,
längert, oder das Training wird abgebrochen. Aufschläge im Tennis oder Angriffsschläge im
Im Antrittsschnelligkeitstraining werden Volleyball; Hohmann et al. 2014). Das Training
kurze Streckenlängen von 10–20 m gewählt, der komplexen azyklischen Schnelligkeit bein-
im Sprintschnelligkeitstraining Streckenlän- haltet daher sportartspezifische Bewegungs-
gen von 30–50 m nach ggf. fliegendem Start akte wie Würfe, Schläge, Schüsse, Stöße, Kick-
mit submaximaler Vorbeschleunigung. In der bewegungen, Fechthiebe, Drehungen, Finten,
Leichtathletik erfolgen Antritte und Sprints Tanzschritte, usw., die mit maximalem Bewe-
aus unterschiedlichen Startpositionen (Tief- gungstempo absolviert werden (d. h., sie müs-
start, Hochstart, usw.) vorwärts-linear. In den sen technisch in der Feinkoordination be-
Sportspielen lässt sich ein Antritts- und Sprint- herrscht werden; Hohmann et al. 2014; Prieske
284 T. Wiewelhove
et al. 2017). Zu unterscheiden ist das Üben von chen Sportlern die Gefahr der Innenrotation im
schnellen azyklischen Bewegungen, bei denen Kniegelenk bei instabiler Landung besteht. Mit
die Anforderungen an die Kraftfähigkeiten zunehmendem Leistungsniveau kann das
über 30 % des individuell realisierbaren Kraft- Sprungkrafttraining durch variable Sprungpar-
maximums liegen (z. B. Sprünge, Kugelstoßen, cours (beid- und einbeinige Linear- und Lateral-
usw.). Hier gelten die in 7 Kap. 4 ausführlich mehrfachsprünge durch die Koordinationsleiter
behandelten Trainingsmethoden und Belas- oder über Hürden), Tiefsprünge von Erhöhun-
tungsdosierungen (z. B. Schnellkrafttraining gen oder Sprungfolgen mit zusätzlicher Ge-
oder Reaktivkrafttraining, die auf der Naht- wichtsbelastung (z. B. Gewichtsweste) ergänzt
stelle zwischen komplexem Schnelligkeits- und werden. Ferner ist ein begleitendes Rumpfkraft-
5 Krafttraining angesiedelt sind). training sinnvoll, da schnelle Lauf-, Sprung-,
Wurf-, Schuss- und Schlagaktivitäten nur auf der
Praxistipp: Verletzungs- und Überlastungs- Basis einer soliden Ganzkörperstabilisation ver-
prävention letzungsfrei und effizient umgesetzt werden
können.
Aufgrund der positiven Transferwirkungen
sowie im Sinne der Verletzungs- und Praxistipp: Sprung- und Reaktivkrafttraining
Überlastungsprävention sollte das
Training der Antritts-, Sprint- und Aktions- Eine Untersuchung von de Villarreal et al.
schnelligkeit stets mit einem ergänzenden (2008) sowie eine Übersichtsarbeit von de
Krafttraining einhergehen. Dies ist Villarreal et al. (2009) liefern Hinweise für
angesichts der enormen Belastungen, die die Trainingsplanung und Periodisierung
bei maximal schnell absolvierten komple- eines Sprung- und Reaktivkrafttrainings.
xen Bewegungen auf den aktiven und Um die Sprungleistung messbar zu
passiven Bewegungsapparat einwirken, verbessern, ist eine Trainingshäufigkeit
dringend zu empfehlen. Zahlreiche von zwei Trainingseinheiten über einen
Untersuchungen und Übersichtsarbeiten Zeitraum von mindestens zehn Wochen
bestätigen, dass kraftorientierte Präven- notwendig. Eine Erhöhung der Trainings-
tionsprogramme das Verletzungs- und häufigkeit auf vier Trainingseinheiten pro
Überlastungsrisiko bei Kindern, Jugend- Woche bringt keinen messbaren Vorteil
lichen und Erwachsenen und in unter- bei der Entwicklung der Sprungleistung.
schiedlichsten Sportarten reduzieren Im Sinne der Trainingseffizienz sind
(Goode et al. 2015; Soomro et al. 2015; demnach zwei Trainingseinheiten pro
Al Attar et al. 2017; Andersson et al. 2017). Woche optimal. Gleiches gilt im Übrigen
für den Transfer des Sprungtrainings auf
die Entwicklung der 20-m-Sprintleistung.
So kann ein Sprung- und Reaktivkrafttraining Ferner sind mindestens 50 Bodenkonakte/
die Entwicklung und Verbesserung nicht nur der Sprünge pro Trainingseinheit notwendig,
Antritts- und Sprintschnelligkeitsleistung, son- um positive Effekte zu erzielen. Trainings-
dern auch der komplexen azyklischen Schnellig- programme, die viele verschiedene
keitsleistung unterstützen. Insbesondere im Ju- Sprungvarianten sowie hochintensive
gendbereich sollte hierbei aber zunächst die Sprünge (z. B. Drop Jumps) beinhalten,
Technik von Absprung und Landung isoliert und resultieren insgesamt in der größten
in einfachen Vorübungen (z. B. beid- und einbei- Zunahme der Sprung- und Reaktivkraft-
nige Sprünge auf Erhöhung mit Landungskont- leistung (Fleck und Kraemer 2014).
rolle) optimiert werden, da speziell bei weibli-
Schnelligkeitstraining
285 5
5.4.9 Supramaximale dern) oder durch eine Verringerung von An-
Schnelligkeitsmethode triebsflächen oder Gewichten von Sportgeräten
(z. B. leichtere Wurfgeräte oder kleinere Über-
Ziel des Trainings der motorischen Schnel- setzungen im Radsport) erfolgen (Voss et al.
ligkeit ist es, die realisierbare Bewegungsge- 2007). Beispiele für ein supramaximales Schnel-
schwindigkeit zu erhöhen und gleichzeitig die ligkeitstraining zur Verbesserung der zykli-
Bewegungssicherheit zu stabilisieren – zwei Ziel- schen Bewegungsschnelligkeit sind Bergabläufe
setzungen, die sich gegenseitig stören oder sogar oder Sprints mit Zugunterstützung. Ein supra-
ausschließen. Mit zunehmender Stabilisierung maximales Schnelligkeitstraining zu Steigerung
könnte es nämlich, wie bereits beschrieben, zu der azyklischen Bewegungsschnelligkeit bein-
einer Balance zwischen den energetischen Vo- haltet Entlastungshilfen wie beispielsweise die
raussetzungen und deren Abrufbarkeit durch Verwendung von leichteren Wurfgeräten und
Steuerprogramme kommen, die eine Weiter- Schlägern sowie (reaktive) Sprungübungen mit
entwicklung nicht mehr zulässt, da sie sich auf einer Sprungspinne oder Partnerunterstützung.
dem vorhandenen Leistungsniveau gefestigt hat Die Belastungsdosierung orientiert sich an
(7 Abschn. 5.4.1: Geschwindigkeitsbarriere). der des komplexen Schnelligkeitstrainings. Al-
Aus diesem Grund gilt es, solch unerwünschte lerdings empfehlen Kratky et al. (2009) und
dynamische Schnelligkeitsstereotype bei unter- Prieske et al. (2017), bei supramaximalen Sprints
schiedlichen Bewegungen zu verhindern bzw. auf die Anweisung zu maximalem Bewegungs-
zu durchbrechen und bestehende Steuerpro- tempo zu verzichten. So könne sich der Athlet
gramme hin zu kürzeren Zeitprogrammen zu trotz der künstlich herbeigeführten hohen Be-
verändern (Voss et al. 2007; Steinhöfer 2008). wegungsgeschwindigkeiten auf die Umsetzung
Nach Voss et al. (2007) verlangt der Wechsel der Technikelemente konzentrieren. Voss et al.
zu kürzeren Zeitprogrammen ein energetisches (2007) weisen ferner darauf hin, dass eine per-
„Überpotential“ (d. h. ein höheres energetisches manente Kontrolle der Bewegungsausführung
Niveau als das, das zur späteren Programmreali- notwendig ist. So stelle eine Entlastung auch im-
sierung notwendig ist). Ein solches energetisches mer eine Gefahr in der Form dar, dass erleich-
Überpotential kann durch die Verringerung des terte Bedingungen in etwas nicht Gewolltem
Bewegungswiderstandes simuliert werden. Das resultieren – und zwar, wenn zum Beispiel ein
bedeutet, die supramaximale Schnelligkeitsme- Sportler beim Üben in der Sprungspinne die
thode versucht, den Sportler hinsichtlich der elastischen Eigenschaften der Gummiseile pas-
energetischen Anforderungen zu entlasten, in- siv nutzt und sich nicht mehr aktiv an der Be-
dem eine die Bewegung unterstützende Kraft wegungsausführung beteiligt. Supramaximales
ausgeübt wird. Dies hat vor allem im Nach- Schnelligkeitstraining erfordert daher einen ho-
wuchstraining eine besondere Bedeutung, da hen Bewusstseinsgrad und eine permanente
das für einen Programmwechsel notwendige Überprüfung der anvisierten Trainingseffekte.
energetische Überpotential hier schon aufgrund In Sportarten mit komplexem Anforde-
der entwicklungsbedingten Voraussetzungen rungsprofil (z. B. Sportspiele und Zweikampf-
oftmals nicht realisiert werden kann. So haben sportarten) ist aufgrund der Vielseitigkeit des
Kinder geringere Kraftvoraussetzungen als Er- disziplinspezifischen Schnelligkeitstrainings
wachsene – selbst unter relativer Bezugnahme die Gefahr der Bildung einer Geschwindig-
auf das Körpergewicht (Voss et al. 2007). keitsbarriere gering. Zwar sind Verbesserun-
Eine Erleichterung kann durch eine Entlas- gen der motorischen Schnelligkeitsleistung
tung des Gesamtsystems über Gewichtsentlas- durch gezielte Trainingsreize grundsätzlich
tung oder Verringerung des Bewegungswider- positiv zu bewerten. Gerade für Sportspieler
stands, durch eine Erhöhung der horizontalen stellt sich jedoch die Frage, ob Aufwand und
Bewegungsgeschwindigkeit (z. B. Zugunter- Nutzen bei der supramaximalen Schnellig-
stützung beim Laufen, Schwimmen oder Ru- keitsmethode in einem günstigen Verhältnis
286 T. Wiewelhove
stehen – zumal nicht eindeutig geklärt ist, ob Möglichkeiten zur Erschwerung der Bewe-
eine Verkürzung von Zeitprogrammen auf- gungsbedingungen im Sinne der Widerstands-
grund der komplexen Schnelligkeitsanforde- methode sind die Erhöhung des Gewichts des
rungen für Sportspieler überhaupt notwendig Gesamtsystems (z. B. mithilfe von Gewichtswes-
ist. Daher sind allenfalls trainingspraktisch ten oder Gewichtsmanschetten) und/oder des Be-
leicht zu realisierende Entlastungsübungen wegungswiderstandes (z. B. Zugwiderstand beim
(z. B. Bergabläufe) als ergänzende Trainings- Laufen oder Schwimmen mittels Zugschlitten
formen empfehlenswert (Steinhöfer 2008). oder Widerstandsbändern, Schleppwiderstände
beim Rudern, Bergaufsprints oder Partnerübun-
gen) sowie die Vergrößerung von Antriebsflä-
5.4.10 Widerstandsmethode chen (z. B. Flossen oder größere Blattflächen im
5 Rudern) oder Gewichten von Sportgeräten (z. B.
Die Widerstandsmethode dient der Entwick- schwerere Wurfgeräte oder Schläger; Voss et al.
lung und Verbesserung komplexer Bewe- 2007). Die Belastungsdosierung orientiert sich an
gungsschnelligkeitsleistungen, indem unter er- derjenigen des Antritts- und Sprintschnelligkeits-
schwerten Bedingungen bzw. bei Vergrößerung sowie Aktionsschnelligkeitstrainings. Dabei ist
des Bewegungswiderstandes trainiert wird. zu beachten, dass die verwendeten Widerstände
Zusatzwiderstände werden allerdings eher mit unter 30 % des individuell realisierbaren Kraft-
dem Kraft- als mit dem Schnelligkeitstraining maximums liegen, um das Widerstandstraining
in Verbindung gebracht, da eine Erhöhung trotz der engen Verwandtschaften vom (Schnell-)
des Bewegungswiderstandes zwangsläufig mit Krafttraining abzugrenzen. Das bedeutet auch,
einer Verringerung der Bewegungsgeschwin- dass die erschwerten Bedingungen die maxi-
digkeit einhergeht. Auf den ersten Blick unter- male Bewegungsgeschwindigkeit um nicht mehr
scheidet sich daher die Wirkungsweise von als 10 % reduzieren sollten (Prieske et al. 2017).
Krafttraining grundlegend von der des Schnel- Studien und Praxiserfahrungen zeigen, dass ein
ligkeitstrainings. Allerdings visiert sowohl das Schnelligkeitstraining nach der Widerstandsme-
Schnelligkeitstraining als auch das Krafttrai- thode zu ähnlich positiven Effekten führt wie ein
ning eine Entwicklung des neuromuskulären herkömmliches Schnellkrafttraining.
Systems an (Voss et al. 2007).
Die Widerstandsmethode zielt in diesem
Zusammenhang auf die Veränderung der An- Praxistipp: Zugwiderstandsläufe
steuermechanismen der motorischen Einheiten
Zahlreiche Studien belegen, dass die
ab. Es wird eine höhere Rekrutierungsrate von
Verwendung von Zusatzlasten im Sprinttrai-
insbesondere schnell kontrahierenden Muskel-
ning langfristig die Laufleistung verbessern.
fasern angestrebt. Dies ist vor allem bei schnel-
Galpin (2018) empfiehlt einen gemischten
len Antritten und Bewegungen unter hohem
Trainingsansatz, bei dem variierend mit
Zeitdruck erforderlich. Das Innervationspro-
hohen, moderaten und niedrigen Zugwider-
gramm muss sofort mit Beginn der Bewegung
ständen trainiert wird. Diesbezüglich fanden
möglichst viele schnelle motorische Einheiten
Bachero-Mena und Gonzalez-Badillo (2014)
synchron aktivieren. Ein Krafttraining mit ma-
heraus, dass für eine Steigerung der Antritts-
ximalen explosiven konzentrischen Kraftein-
schnelligkeit bzw. der Beschleunigung auf
sätzen führt zu einer Verbesserung der Rekru-
den ersten 30 m solche Lasten am wirksams-
tierungsrate schneller Muskelfasern (vgl.
ten waren, die in etwa 20 % des Körperge-
7 Abschn. 4.4: Maximalkrafttraining). Ver-
wichts des Athleten entsprachen. Hingegen
gleichbare Effekte hat auch das Training mit
wurde eine Erhöhung der Schrittlänge durch
schnell entwickelten hohen Muskelzugspan-
Widerstände erreicht, die ca. 5–12,5 % des
nungen, die unter anderem durch leichte Zu-
Körpergewichts des Athleten entsprachen.
satzlasten zustande kommen (Voss et al. 2007).
Schnelligkeitstraining
287 5
Exkurs: Zusatzlast versus Entlastung
Exkurs: Schnelligkeitsausdauertraining
Trainingsablauf Auf ein akustisches Signal Trainingsablauf Der Sportler fängt einen fal-
hin absolviert der Sportler einen einbeinigen lenden Ball auf. Die Signalgebung erfolgt über
Steigsprung auf einem Langkasten oder auf ei- das Fallenlassen des Balles (optischer Reiz). Der
ner Turnbank (. Abb. 5.9). Die Signalgebung Trainer oder Übungspartner hält den Ball in der
5 erfolgt zum Beispiel mit einer Startklappe, Hand. Der Handrücken zeigt nach oben. Der
Trillerpfeife, auf Zuruf oder per Handklat- Sportler berührt mit seiner Hand, mit der der
schen. Der Sportler konzentriert sich auf eine Ball gefangen werden soll, den Handrücken des
schnellstmögliche Reaktion. Der Sprung er- Trainers/Partners und konzentriert sich auf eine
folgt im kürzesten zeitlichen Abstand zur Sig- schnellstmögliche Reaktion. Sobald der Ball
nalgebung möglichst explosiv. fallgelassen wird, muss der Sportler versuchen,
den Ball noch vor dem Auftreffen auf dem Bo-
Variationen Statt eines akustischen Reizes den aufzufangen.
kann die Signalgebung über ein optisches oder
taktiles Signal erfolgen. Anstelle eines Steig- Variationen Zur Erschwerung der Übung
sprungs können andere Bewegungsprogramme kann der Trainer/Partner zwei Bälle festhalten
gefordert werden (z. B. ein- und beidbeinige Ho- (einen Ball in der linken und einen Ball in der
rizontal-, Vertikal- oder Lateralsprünge, kurze rechten Hand). Der Sportler berührt entspre-
Antritte aus unterschiedlichen Positionen ggf. chend mit seinen beiden Händen die Handrü-
mit Richtungswechseln und/oder als Wett- cken des Trainers/Partners. Der Trainer/Partner
kampfform gegeneinander, usw.). kann nun entweder einen der beiden Bälle oder
Trainingsziel Entwicklung und Verbesserung schen. Die Sportler konzentrieren sich auf eine
der Reaktionsschnelligkeit bei Einfachreaktio- schnellstmögliche Reaktion. Es können meh-
nen. rere Paare gleichzeitig gegeneinander antreten.
Nach einigen Wiederholungen wechseln die
Trainingsablauf Zwei oder mehr Sportler/ Paarungen.
Partner knien vor einem Turnkasten, legen
eine Hand oder beide Hände auf den Kasten- Variationen Ausgangsstellung (z. B. sitzend,
deckel und haben das Ziel, nach einem akusti- stehend, liegend) und Gegenstände können vari-
schen Signal als Erster einen auf dem Kasten- ieren. Gleiches gilt für die geforderte Bewe-
deckel liegenden Gegenstand (z. B. Ball) zu gungsantwort (z. B. Berührung mit dem Fuß).
berühren oder zu ergreifen (. Abb. 5.11). Die Durch die Schaffung eines Zählsystems kann die
Signalgebung erfolgt mit einer Startklappe, Übung zudem als Wettkampfform durchgeführt
Trillerpfeife, auf Zuruf oder per Handklat- werden.
294 T. Wiewelhove
Trainingsziel Entwicklung und Verbesserung Variationen Der Sportler hat die Augen ge-
der Reaktionsschnelligkeit bei Wahlreaktionen schlossen oder steht mit dem Rücken zum Trai-
bzw. der Agility. ner/Partner, öffnet die Augen auf Zuruf oder
dreht sich auf Zuruf um, wählt den richtigen
Trainingsablauf Sportler und Trainer/Part- Ball aus und fängt ihn auf (. Abb. 5.13b). Zur
ner stehen sich in kurzem Abstand gegenüber. weiteren Erschwerung der Übung wird die An-
Der Sportler konzentriert sich auf eine schnellst- zahl der Bälle erhöht. Beispielsweise können
mögliche Reaktion. Der Trainer/Partner wirft drei gleichfarbige Ballpaare hochgeworfen wer-
drei Bälle, die sich farblich unterscheiden (z. B. den, und auf Zuruf müssen zwei Bälle gefangen
blau, gelb und rot), in die Luft. Auf Zuruf durch werden. Auch kann das akustische Signal vari-
den Trainer/Partner (z. B. „Rot“) muss der iert werden, indem eine Zahl oder die Art des
Sportler den passenden Ball auswählen und vor Signals (Trillerpfeife, Handklatschen, Finger-
dem Auftreffen auf dem Boden auffangen schnippen) mit einer Farbe verknüpft wird.
(. Abb. 5.13a). Das akustische Signal muss so
a b
a b c
a b
c d
Trainingsablauf Der Sportler absolviert beid- Variationen Zur Erleichterung der Übung
armige, angefallene, prellende und in kurzen können angefallene geprellte Liegestütze aus
Serien aufeinanderfolgende Liegestütze dem Kniestand oder mit einem Kasten
(. Abb. 5.19a). Die Liegestütze werden so aus- (. Abb. 5.19b) sowie angefallene geprellte
geführt, dass sich die Hände vom Boden lösen. Wandstütze (. Abb. 5.19c) absolviert werden.
5
.. Abb. 5.19 Plyo Push-Ups, a in der Standard-Liegestützposition, b mit Erhöhung, c als Wandstürz
Schnelligkeitstraining
301 5
kST Beispiel 11: (. Abb. 5.20a). Der Sportler kann sich vorstel-
Reaktive Medizinball-Brustpässe len, dass der Ball extrem heiß ist und er ihn
deshalb schnellstmöglich wieder loslassen will.
Trainingsziel Ausbildung kurzer Zeitpro- Das Gewicht des Medizinballs (ca. 1–3 kg)
gramme bei einfachen reaktiven Bewegungen. muss den Leistungsvoraussetzungen des Ath-
leten angepasst werden.
Trainingsablauf Der Sportler steht frontal in
kurzem Abstand vor einer Wand und absol- Variationen Neben dem Brustpass können
viert in kurzen Serien aufeinanderfolgende re- zum Beispiel auch Medizinball-Seitwürfe
aktive Brustpässe mit einem Medizinball bei und -Überkopfwürde durchgeführt werden
geringer Bewegungsamplitude gegen die Wand (. Abb. 5.20b, c).
a b
Start
Start 20-m-Shuttle-Drill
10 m
30 m
S-Drill
Start
L-Run-Drill
10 m
5m
10 m
T-Run-Drill
Cone-Spin-Drill
10 m
10 m
Start
Start
4m 4m
4m
kST Beispiel 22: Stroops®) oder einem Partner wird dem Athleten
Widerstandssprints das Sprinten erschwert. Dabei ist die maximale
aktive Mitarbeit des Sportlers notwendig. Die
Trainingsziel Verbesserung der Antritts- und Bewegungsfrequenz sollte über der des Wett-
Sprintschnelligkeit sowie der horizontalen Be- kampfs liegen und ggf. kontrolliert werden. Es ist
schleunigungsfähigkeit. zu beachten, dass die erschwerten Bedingungen
die maximalen Bewegungsgeschwindigkeiten
Trainingsablauf Der Sportler muss beim um nicht viel mehr als 10 % reduzieren sollten.
Sprinten gegen einen zusätzlichen Widerstand
arbeiten (. Abb. 5.31). Er erreicht dadurch hohe Variationen Widerstandsprints können über
Muskelzugspannungen, wodurch sich die Rek- unterschiedliche Distanzen absolviert (ca.
5 rutierungsrate schneller Muskelfasern verbes- 5–20 m) und aus unterschiedlichen Startposi-
sert. Mittels verschiedenster Gerätehilfen tionen begonnen werden (z. B. Tiefstart oder
(z. B. Tubes, Schleppschlitten, ivo TRAINER®, Hochstart).
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Beweglichkeitstraining
Hubert Remmert
Literatur – 343
Sport ist Bewegung! Bewegung braucht Be- reitung) und langfristige (Erreichen endgradiger
weglichkeit! Aber wie viel Beweglichkeit erfor- Gelenkwinkel) Ziele. Langfristig gesehen wirken
dern unterschiedliche sportliche Aktivitäten? sämtliche Methoden ähnlich gut. Als Muskel-
Beweglichkeit und Stabilität sind die zwei Sei- kater- und Verletzungsprophylaxe ist alleiniges
ten einer Medaille. Dehnen ungeeignet, wichtiger sind Maßnahmen
der aktiv-dynamischen Bewegungsanbahnung.
Zusammenfassung Moderne Warm-up-Programme berücksichtigen
Ausreichend beweglich ist, wer seine/ihre (sport- die Funktionalität sportartspezifischer Bewe-
lichen) Tätigkeiten ökonomisch und (weitgehend) gungsmuster zur Aktivierung, Mobilisierung und
widerstandsfrei ausführen kann. Die Beweglich- Stabilisierung.
keit als eine der fünf motorischen Hauptbean-
spruchungsformen rückt demnach immer dann
in den Aufmerksamkeitsfokus, wenn sie unzurei- 6.1 Bedeutung und
6 chend ausgeprägt ist und bewegungslimitierend Erscheinungsformen der
wirkt. Der Beweglichkeit sind durch Gelenk- und
Beweglichkeit
Bindegewebsstrukturen, Muskellängen und
-massen sowie äußere Faktoren wie Temperatur
Ein „beweglicher“ Athlet wird nicht über ab-
und Tageszeit Grenzen gesetzt, die sich insbe-
solute Normen, sondern disziplinspezifische
sondere hinsichtlich der Flexibilität oder Dehnfä-
Anforderungen und seine individuelle Mor-
higkeit von Muskulatur und Bindegewebe durch
phologie definiert. So sind Basketballspieler
Training beeinflussen lassen. Wie mobil und/oder
anders beweglich als Hürdensprinter und dies
stabil Athleten in einzelnen Gelenksystemen sein
nicht nur global (in allen Gelenksystemen),
müssen, wird durch die sportartspezifischen An-
sondern auch segmental (einzelne, leistungs-
forderungen an die spezielle Beweglichkeit vor-
bestimmende Systeme betreffend). Es gibt nur
gegeben. Mobilität und Stabilität können konkur-
wenige Hochleistungsdisziplinen, in denen
rierende Trainingsziele darstellen, die nicht immer
eine allgemein maximale Beweglichkeit gefor-
unter dem Aspekt der langfristigen Athleten-
dert ist (z. B. Rhythmische Sportgymnastik),
gesundheit bedient werden (z. B. Rhythmische
i. d. R. benötigen sportliche Leistungen eine
Sportgymnastik). Maßnahmen des Dehnens wir-
hinreichend große (optimale) Beweglichkeit in
ken kurz- und langfristig auf die Vergrößerung der
spezifischen Gelenksystemen.
möglichen Bewegungsradien, ohne jedoch den
(durch die in den Sarkomeren liegenden Struktur-
proteine der Titinmoleküle induzierten) inneren Beweglichkeit ist die Fähigkeit, willkürliche
Spannungswiderstand der Muskulatur nachhaltig Bewegungen mit großen Schwingungs-
zu beeinflussen. Dieser ist vom unwillkürlichen weiten in den beteiligten Gelenksystemen
Spannungstonus aufgrund von reflektorischen auszuführen. Limitierend wirken dabei die
Verschaltungen zu unterscheiden. Der unwillkür- knöchernen Strukturen der Gelenke
liche Spannungstonus ist neurogener Natur und (Gelenkigkeit) und die Eigenschaften der
kann unterschiedliche Ursachen (z. B. Schmerzen Muskeln, Sehnen, Bänder und des
aufgrund von Entzündungen, Verletzungen etc.) Bindegewebes (Flexibilität, Dehnfähigkeit).
haben. Das Erreichen größerer Gelenkwinkel
nach dem Dehnen wird vorrangig auf eine kurz-
und langfristige Adaptation der Schmerzrezep-
toren zurückgeführt. Die Vielfalt der möglichen Im Allgemeinen hat das „Dehnen“ die Zielset-
Dehninterventionen (statisches und dynamisches zung, die Flexibilität kurz- und langfristig zu
Dehnen, komplexe PNF-Methoden) bietet auf- beeinflussen. Extreme und umfangreiche
grund spezifischer Anpassungseffekte adäquate Dehninterventionen in frühen Entwicklungs-
Trainingsmethoden für kurz- (Wettkampfvorbe- phasen, in denen die Verknöcherung des Ske-
Beweglichkeitstraining
325 6
lettsystems noch nicht abgeschlossen ist, wir- Praxistipp
ken zudem auf die Gelenkigkeit – jedoch
häufig um den Preis einer verminderten Stabi- Aus sportpraktischer Perspektive wäre eine
lität insbesondere in nachsportlichen Lebens- Einteilung in Eigen- und Fremddehnung
phasen, wenn die Trainingsumfänge zur Siche- sinnvoller: Eigendehnungen können „aktiv“
rung der ausgleichenden Muskelkräfte durch eigene Muskelkraft oder „passiv“ mit
nachlassen (Bsp.: Hypermobilität der Wirbel- Hilfsmitteln wie Wänden und Griffstangen
säule im Frauenturnen). Beweglichkeit ist also realisiert werden, Fremddehnungen nur
immer im Kontext von Stabilität zu beurteilen mithilfe von Partnern (Wydra et al. 1999).
(Remmert 2007).
Meist wird in allgemeine (globale) und
spezifische (segmentale), aktive und passive
sowie statische und dynamische Beweglich- 6.2 Biologische Grundlagen
keit differenziert (. Abb. 6.1). Die allgemeine
Beweglichkeit beschreibt eine „normale“ Be- Beweglichkeitsleistungen hängen von ver-
weglichkeit für den Alltag und grundlegende schiedenen exogenen (äußeren, personexter-
sportliche Aktivitäten. Spezifische sportliche nen) und endogenen (inneren, personinter-
Anforderungen verlangen eine spezielle Mo- nen) Faktoren ab (. Abb. 6.2). Die exogenen
bilität in bestimmten Gelenksystemen wie Faktoren wirken global auf Gelenkigkeit und
etwa die Spreizfähigkeit in den Hüftgelenken Flexibilität. Tageszeit, Außentemperatur und
beim Hürdensprinter. Aktiv werden Gelenk- einwirkende Kräfte beeinflussen die Beweg-
positionen durch Einsatz der eigenen, antago- lichkeit als Ganzes. Die inneren Wirkfaktoren
nistisch kontrahierenden Muskulatur einge- lassen sich präziser den beiden Dimensionen
nommen, die passive Beweglichkeit wird der Beweglichkeit zuordnen. Die hochgradig
durch den Einsatz äußerer Kräfte bestimmt trainierbare Flexibilität hängt unmittelbar von
und ermöglicht die Einnahme extremerer Ge- der aktuellen Dehnfähigkeit der Muskeln, Seh-
lenkpositionen. Zuletzt wird zwischen stati- nen, Bänder und Gelenkkapseln ab. Diese wird
scher und dynamischer Beweglichkeit unter- wiederum massiv von neurophysiologischen
schieden: Statische Gelenkpositionen werden Bedingungen wie Erregung und Ermüdung,
über einen längeren Zeitraum beibehalten, antagonistischen Kräften und den jeweils herr-
bei der dynamischen Beweglichkeit werden schenden Stoffwechselbedingungen beein-
Bewegungsendpositionen dagegen nur kurz- flusst. Die (mechanische) Gelenkigkeit wird
zeitig, rhythmisch hintereinander (intermit- durch Gelenkstrukturen und umgebende Mus-
tierend) eingenommen. kelmassen limitiert, ist im Erwachsenenalter
Beweglichkeit
allgemein spezifisch
durchschnittliches Niveau an Beweglichkeit spezielle Beweglichkeitsanforderungen im Sport
Beweglichkeit
neurophysiologische Tageszeit
antagonis-
Bedingungen Stoffwechsel
tische Kraft
(emotionaler Erregungs- (Blutlaktat, Kör-
bei aktiver
zustand, Koordinationsver- pertemperatur)
Dehnung
6 mögen, Ermüdungsgrad)
anthropogene
Gelenk- Umfang der
Voraussetzungen
struktur Muskelmassen
(Alter, Geschlecht)
nicht mehr beeinflussbar, ggf. im höheren Al- Im Altersgang verfestigt sich ganz allgemein
ter durch Anpassungs- und Verschleißprozesse das Gewebe, Konsequenz ist eine stetige Ab-
zusätzlich eingeschränkt sowie bei Frauen und nahme der Beweglichkeit. Frauen weisen dabei
Männern grundsätzlich unterschiedlich ausge- im Vergleich zu Männern eine geringere Gewe-
prägt. bedichte auf und sind damit grundsätzlich in al-
len Altersgruppen beweglicher. Bei Inaktivität
vermindert sich die Beweglichkeit rasant, regel-
Praxistipp
mäßige alltägliche und sportliche Beanspru-
chungen reduzieren jedoch die entwicklungsbe-
Kurzfristig beeinflussbare Wirkfaktoren
spielen eine besondere Rolle im Beweglich-
dingten Negativeffekte auf ein Minimum, wie
keitstraining. Trainingsplanung und -um-
z. B. aktive Turnerinnen und Turner weit jenseits
gebung lassen sich beispielsweise gezielt
des Rentenalters beweisen. „Die Trainierbarkeit
auf Tageszeit und Außentemperatur aus-
der Beweglichkeit ist unabhängig von Alter und
richten, sodass Beweglichkeitseinschrän-
Geschlecht“ (Olivier et al. 2008, S. 251).
kungen nach Inaktivitätsphasen oder bei
niedrigen Umgebungstemperaturen kom- 6.2.1 elenkstrukturen und Be-
G
pensiert werden können. Eine ausrei- weglichkeit
chende Vorbereitung des Organismus
durch physiologisch wirksames Aufwärmen Die anatomische Beweglichkeitsgrenze eines
und neuronale Aktivierungsmaßnahmen ist Gelenks wird von seiner knöchernen Struktur
auch im Beweglichkeitstraining notwendig. bestimmt. Das Schultergelenk beispielsweise
Zudem sollten starke muskuläre Erschöp- ist ein sogenanntes Kugelgelenk und besitzt
fungszustände berücksichtigt werden. Im damit größere Freiheitsgrade in seinen Bewe-
Anschluss an belastende Trainingsmaßnah- gungsmöglichkeiten als das Ellenbogengelenk,
men sind vorsichtig dosierte, regenerativ das als Scharniergelenk auf eine einfache
wirksame Dehninterventionen anzuraten. Beuge- und Streckbewegung beschränkt ist.
Das Kniegelenk, ein Kondylengelenk, weist
Beweglichkeitstraining
327 6
.. Abb. 6.3 Unter-
Elle
schiedliche Formen
dominierender Oberarm-
knochen
Gelenkhemmungen: a
Knochen-, b Massen-, c
Muskel-, d Bänderhem-
mung (Klee und
Wiemann 2005, S. 23)
b
a Ellenbogen
c d
wiederum im Prinzip die Bewegungsmöglich- lenk (. Abb. 6.3c). Darüber hinaus sind Mas-
keiten eines Scharniergelenks auf, lässt aber in senhemmungen der Muskulatur wie bei Body-
bestimmten Beugewinkeln auch Rotations- buildern möglich (. Abb. 6.3b).
und Gleitbewegungen zu.
Je höher die Freiheitsgrade eines Gelenks Praxistipp
sind, desto effektiver muss es durch umgebende
Muskeln, Sehnen, Bänder und Kapseln ge- Aus diesen strukturell-physiologischen
schützt werden. Diese „weichen“ Strukturen Gegebenheiten lässt sich eine wichtige
bestimmen die physiologische Beweglichkeits- Konsequenz für das praktische Training
grenze des Gelenks. Bewegungshemmungen ableiten (Wiemann 1993): Nur dort, wo
durch Knochen, Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke bzw. Gelenksysteme in ihrer
Kapseln (. Abb. 6.3) wirken dabei stets zusam- Reichweite durch die muskuläre Ruhe-
men. Im Ellenbogengelenk wird die Grenze der spannung eingeschränkt werden (Muskel-
Beweglichkeit vorrangig durch die knöcherne hemmung), ist eine Verbesserung der
Hemmung bestimmt (. Abb. 6.3a), der Kapsel- Dehnfähigkeit der Muskulatur durch Deh-
und Bandapparat verhindert eine Überstre- nungsmaßnahmen möglich und sinnvoll.
ckung. Das Kniegelenk wird dagegen haupt-
sächlich durch die so genannte Bänderhemmung
geführt (. Abb. 6.3d), die aufeinandertreffen- 6.2.2 uskelphysiologische
M
den Gelenkflächen sind für eine vorrangig knö- Grundlagen und Dehneffekte
cherne Hemmung zu klein. Muskuläre Hem-
mungen resultieren aus der passiven Ein gesunder, nicht kontrahierter Muskel setzt
Ruhespannung (7 Abschn. 6.2.2) eines Muskels einer erzwungenen Dehnung die sogenannte
und finden sich dort, wo ein Muskel mehr als „Ruhespannung“ entgegen, die mit dem
ein Gelenk überspannt wie beispielsweise die Grad der Dehnung exponentiell ansteigt
Beugemuskulatur von Fingern und Handge- (. Abb. 6.4). In vollkommen entspannter,
328 H. Remmert
physiologischer
Ruhe-Dehnungsspannung
Dehnbereich
Ruhelänge
experimenteller
6 Dehnbereich
90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 200
Dehnungsgrad (%)
100
90
Zunahme der submaximalen Dehnungs-
spannung von 13,3 % durch 15 Minuten Pause
85
Zunahme der submaximalen Dehnungsspannung von 4 % durch 3 Minuten Pause
80
Abnahme der submaximalen Dehnungsspannung von 22,2 % durch 4 Dehnungen
0 10 20 30 40 50 60 70
Zeit (min)
.. Abb. 6.5 Die Abnahme der submaximalen Dehnungsspannung durch vier Dehnungen und der
Wiederanstieg nach 3, 15 und 60 min (Klee und Wiemann 2002, S. 8)
40
20 Vt
Nt
0
0° 20° 40° 60° 80° 100° 120° 140°
Hüftbeugewinkel
160,6 %
Aktin Myosin
330 H. Remmert
i. d. R. mittlerer Gelenkposition ist kein „Mus- gungssteuerung erst ermöglicht. Sie sind nur
keltonus“ messbar, insofern können Dehnin- kurzfristig und in geringem Maße plastisch
terventionen auch nicht Tonus senkend wirken verformbar und kehren bei nachlassenden
(Klee 2006). Der hoch adaptive Muskel passt Kräften schnell in ihre Ausgangslage zurück.
sich dagegen in seiner Länge an seine Haupt- Die strukturelle Länge von Sehnen bleibt auch
beanspruchungsmuster an, sodass z. B. die bei wiederholten Dehninterventionen unver-
„funktionale Länge“ der ischiocruralen Mus- ändert, ansonsten könnten die Sehnen ihren
kulatur bei vorwiegend sitzender Tätigkeit ge- mechanischen Aufgaben nicht nachkommen.
genüber der menschlichen „Normallänge“ ab- Sie passen sich ebenso wie die Muskeln an
nimmt (entwicklungsgeschichtlich gesehen ist mechanische Belastungen an, benötigen dazu
der Mensch ein aufrechter Fußgänger). Eine aber deutlich längere Zeiträume. So kann es
entsprechend kurze Ischiocruralmuskulatur bei hohen Kraftzugewinnen in kurzer Zeit
produziert damit beim aufrechten Gang ein durchaus dazu kommen, dass ein Missver-
6 Grundmaß an Spannung, da diese Haltung be- hältnis zwischen aktiver Kraftmobilisierung
reits einer erzwungenen Dehnung entspricht. und passiver Belastungsverträglichkeit mit
Bei akuten oder chronischen Schädigungen entsprechendem Verletzungspotenzial ent-
kommt es sogar dazu, dass eine erhöhte elekt- steht.
rische Aktivität der gelenkumschließenden Bänder sind Verbindungen zwischen knö-
Muskulatur (u. a. bedingt durch reflektorische chernen Strukturen wie z. B. die Kreuz- und Sei-
Verschaltungen) für eine Schonhaltung betrof- tenbänder des Kniegelenks. Gegenüber den Seh-
fener Gelenksysteme sorgt. Einer derart dauer-
innervierten und -kontrahierten Muskulatur Exkurs: Bewegungssteuerung
muss mit therapeutischen Maßnahmen entge-
gengewirkt werden. Ein Dehntraining wirkt Bewegungen werden durch das Zusammenspiel
unter Umständen kontraproduktiv und von zentralem Nervensystem (ZNS) mit der aus-
führenden Muskulatur gesteuert (Koordination).
schmerzverstärkend.
Der Informationsaustausch vollzieht sich über
die Nervenbahnen des peripheren Nervensys-
tems, deren Zellkörper im Rückenmark und in
den Spinalganglien liegen.
6.2.3 indegewebe und Nerven-
B
system
Wie die kontraktile Muskulatur adaptieren auch nen sind Bänder deutlich elastischer und in
die passiven Bindegewebsstrukturen an Belas- vielfältigere Zugrichtungen belastbarer. Gelenk-
tungen. Sie werden stärker und damit zugfester, kapseln wiederum enthalten nur wenige elasti-
womit eine Erhöhung der mechanischen Be- sche Fasern, sind insgesamt fester und umschlie-
lastbarkeit bei gleichzeitiger Zunahme der pas- ßen die Gelenke. Bänder und Gelenkkapseln
siven Dehnungsspannung einhergeht. Im Kon- zusammen begrenzen die Gelenkbeweglichkeit
text des Beweglichkeitstrainings sind davon und sollten i. d. R. nicht über ihre natürliche Be-
hauptsächlich die Sehnen, Bänder, Gelenkkap- weglichkeit hinaus gedehnt werden, was grund-
seln und Muskelfaszien betroffen. sätzlich in gewissen Grenzen möglich ist. Die
Sehnen bestehen aus in Längsrichtung an- Folge einer erhöhten Gelenkbeweglichkeit sind
geordneten Kollagenfasern und ermöglichen jedoch höhere mechanische Freiheitsgrade und
eine effiziente Kraftübertragung der Muskeln damit strukturelle Instabilitäten, die durch die
auf das Skelettsystem. Sie puffern hohe Kraft- aktive Muskulatur kompensiert werden müssen.
spitzen ab, was eine feinmotorische Bewe- Mit Ausnahme von Beweglichkeitseinschrän-
Beweglichkeitstraining
331 6
kungen als Folge länger dauernder Immobilisie- tur direkter auf Längenänderungen reagiert
rungen ist das gezielte Dehnen des Bänder-Kap- und insgesamt in einen „angespannten“ Zu-
sel-Apparates demnach kritisch zu sehen. stand versetzt wird. Eine gegenteilige Deakti-
Das Gerüst der Skelettmuskulatur wird durch vierung des ZNS führt zu tiefen Entspan-
die parallel-elastischen Bindegewebe gebildet, nungszuständen und Desensibilisierung der
insbesondere die Muskelfaszien als äußere Mus- Rezeptoren. Je nach Sportart, Disziplin und
kelhüllen. Faszien spielen bei der Kräftevertei- Trainings- bzw. Wettkampfsituation muss der
lung und -übertragung eine wichtige Rolle und entsprechend optimale Erregungszustand des
ermöglichen Verschiebungen der Muskelfasern ZNS gefunden bzw. herbeigeführt werden.
innerhalb der Muskulatur. Die Kollagenfasern Die peripheren Nervenleitungen sind
der Faszien sind scherengitterartig angeordnet i. d. R. gemischter Natur und leiten efferente
und können so ohne eigene Längenveränderun- Impulse an die Muskulatur, afferente Informa-
gen auf Dehnungen der Muskulatur reagieren. tionen fließen zurück an das Zentralnerven-
Kräftige Muskelbündel üben einen unter Um- system. Sie sind wie das Bindegewebe dehnbar,
ständen hohen inneren Druck auf die umgeben- je nach Art in unterschiedlichem Ausmaß von
den Faszien aus, was sich in einem erhöhten pas- bis zu 20 % ihrer Ursprungslänge. Nervenbah-
siven Dehnungswiderstand bemerkbar macht. nen können durch traumatische Ereignisse
Bei hohen myofaszialen Spannungen können überdehnt werden und reißen, jedoch
Faszien durch gezielte physiotherapeutische existieren neben ihren besonderen strukturel-
Techniken gedehnt werden, wobei mögliche Er- len Eigenschaften (Anordnung, Lage zu den
klärungsansätze wissenschaftlich bislang unzu- Gelenken, Elastizität und Plastizität) verschie-
reichend erforscht sind. Nichtsdestotrotz erfreut dene Schutzmechanismen in Form reflektori-
sich der undifferenzierte Einsatz von „Faszienrol- scher Verschaltungen zur autonomen Bewe-
len“ im Sport zunehmender Beliebtheit. gungssteuerung.
Der Aktivierungszustand des ZNS beein- Je nach Lage peripherer Nerven werden
flusst die Dehn- und Belastbarkeit der Musku- diese bei Dehnübungen bis zur Schmerz-
latur global. Eine hohe zentralnervöse Akti grenze strapaziert. So wird beispielsweise der
vierung führt zur Sensibilisierung der vom Rückenmark bis in den Fuß hineinzie-
Muskelspindeln, wodurch die Skelettmuskula- hende Ischiasnerv bei Dehnungen der hinte-
Exkurs: Reflexmechanismen
Muskelspindeln (. Abb. 6.8) sind in Reflexbögen Wirkungen der α- (efferente Nervenbahnen vom
integriert, die die Muskelkräfte bei ziel- und ZNS zum Muskel) und γ-Motoneurone addieren
stützmotorischen Halte- und Bewegungsaufgaben (α-γ-Koaktivierung). Damit lassen sich bei
kontrollieren. Die Anzahl der Muskelspindeln pro kontrahierter Muskulatur äußerlich wirkende
Muskel steigt mit dem Grad an feinmotorischen Kräfte reflektorisch korrigieren. Über
Aufgaben, für die dieser Muskel zuständig ist, an. γ-Motoneurone können Muskelkontraktionen
Ihre jeweilige Sensibilität wird durch je nach auch unwillkürlich ausgelöst werden, wenn sie die
Muskelspindeltyp spezifische γ-Motoneurone intrafusalen Muskelfasern erregen und die
gesteuert, die die intrafusalen Muskelfasern durch Muskelspindel wiederum für eine Aktivierung der
Dehnung des sensorischen Zentrums dieser Fasern zugehörigen α-Motoneurone sorgt (γ-Schleife).
(intrafusale Vorspannung) verändern. Dadurch Rückmeldungen an das ZNS (Reafferenzen)
wird gewährleistet, dass Muskelspindeln auch bei erfolgen über die Typ-Ia- (Längenänderung und
Kontraktionen des Muskels ihre sensorische deren Geschwindigkeit) und Typ-II-Nervenbahnen
Empfindlichkeit behalten, wobei sich die (Längenänderung). Die Kontrolle von Muskellän-
332 H. Remmert
dendritische
Nervenendigungen
Sehnenfasern
ren Oberschenkelrückseite mitgedehnt, wobei dass diese Reflexe umfassend an der komplexen
die Zuschreibung des zunehmenden Schmerz- feinmotorischen Bewegungssteuerung beteiligt
gefühls zur Muskulatur oder zur Nervenbahn sind und nur als akute Schutzmechanismen vor
häufig wenig eindeutig ausfällt. Das Schmerz- Überspannungen fungieren, wenn diese uner-
empfinden stellt einen wichtigen Schutzme- wartet auf den Sportler einwirken.
chanismus vor Überlastungen dar.
In Muskeln, Sehnen, Gelenkkapseln und der Praxistipp
Haut liegen eine Vielzahl unterschiedlicher Re-
zeptoren zur Messung von Spannungs- und Län- Für die Trainingspraxis ist von Bedeutung,
genänderungen der Muskulatur. Wichtigste Ver- dass beim Dehnen die induzierten Span-
treter sind die parallel zur Arbeitsmuskulatur nungs- und Längenänderungen von Mus-
liegenden Muskelspindeln, die muskuläre Län- kulatur und Bindegewebe vom Sportler
genänderungen und deren Geschwindigkeit re- antizipiert werden und demzufolge die Re-
gistrieren, sowie die im Bindegewebe (Gelenk- zeptoren kein Missverhältnis zwischen Er-
kapseln, Bänder, Muskel-Sehnen-Übergänge) wartung und Ausführung erkennen. Dem-
liegenden Golgi-Rezeptoren, die Dehnungsspan- nach wird also auch keine reflektorische
nungen der Muskel-Sehnen- Einheit überwa- Verschaltung provoziert. Das diesbezüglich
chen. Bei Überschreitung hinreichender Reiz- lange kritisch beurteilte dynamische Deh-
schwellen (Tempo und Höhe von Spannungs- und nen („Reiß- und Zerrgymnastik“) gilt längst
Längenänderungen) lösen sie autonome Kon- als rehabilitiert. Genau so wenig kann die
traktionen gedehnter Muskeln, Hemmungen der Reflexaktivität durch statische Dehnungen
Antagonisten und/oder die Entspannung kontra- („Stretching“) unterdrückt werden.
hierter Muskeln aus. Heute geht man davon aus,
334 H. Remmert
Zur Thematik der „muskulären Dysbalancen“ muss an (. Abb. 6.10). Ein Beweglichkeitstraining des in
dieser Stelle ergänzt werden, dass die dargestellten seiner funktionellen Länge ungünstig eingestellten,
Erkenntnisse über die fibrilläre Struktur der „verkürzten“ muskulären Partners innerhalb eines
Muskelfaser (Titin) sowie die Befunde zur Wirkung balancegestörten Gelenksystems verspricht kaum
von Beweglichkeits- und Krafttraining auf Ruhespan- Erfolge, da die Umfänge zur Neujustierung der
nung und Muskellänge ein Umdenken in der Gelenkposition vor dem Hintergrund der dominie-
Bewertung und Behandlung muskulärer Ungleichge- renden Alltagsbelastung und -haltung nicht
wichte erfordern. Ursachen arthromuskulärer ausreichen. Erfolgversprechender ist ein gezieltes
Ungleichgewichte können ungünstige Körperhaltun- Krafttraining des schwächeren Gegenspielers, der
gen (z. B. durch vorwiegend sitzende Tätigkeiten) dann aufgrund seiner höheren Ruhespannung das
oder auch einseitige Kraftausprägungen sein Spannungsdefizit reduzieren kann.
Beweglichkeitstraining
335 6
.. Abb.
6.10 Mo-
dell eines
einfachen
arthromusku- A AA
lären Systems
zur Verdeut-
lichung der
arthromusku- Position B Position M Position S
lären Balance- = Balanceposition
position. A: 100
Agonist. AA: 90
Antagonist
80
(Wiemann
Dehnungsspannung (Nm)
70 Agonist (A)
2000, S. 111)
60 Antagonist (AA)
50
40
30
20
10
0
60° 70° 80° 90° 100° 110° 120°
Gelenkwinkel
gen häufig die der eigentlichen sportlichen schluss an niedrig intensive kardiale
Anforderungen übersteigen und muskuläre Ver- Belastungen (Auslaufen) und Lockerungs-
letzungen sogar noch begünstigen können. Ein übungen. Insbesondere statische Dehnungen
„Ausdehnen“ von Muskelschmerzen ist vor die- reduzieren die Durchblutung der Muskulatur
sem Hintergrund besonders kritisch zu hinterfra- erheblich, sodass z. B. Laktat nicht optimal
gen. Langfristig betrachtet passt sich jedoch das ausgeschwemmt wird.
Bindegewebe an Dehnreize an, es wird stärker,
zugkräftiger und somit belastungsresistenter. Im
Kontext von Beweglichkeitstraining ist daher eher 6.4 Trainingsmethoden und
von einer langfristigen Verletzungsprophylaxe Belastungsdosierung
auszugehen (Herbert und Gabriel 2002; Marschall
und Ruckelshausen 2004; Thacker et al. 2004). Zum Training der Beweglichkeit, in engerem
Auch Muskelkater kann durch Dehnen Sinne der Dehnfähigkeit der Muskulatur,
nicht verhindert werden, kann diesen im Ge- kommen in der Praxis je nach Zielsetzung
genteil sogar alleinig auslösen (Klee 2006; Frei- unterschiedliche Methoden zum Einsatz, de-
wald 2009). Zur Nachbereitung belastender ren resultierende Wirkungen jedoch haupt-
Trainingseinheiten sollte nur leicht im subma- sächlich kurzfristig zu unterscheiden sind.
ximalen Intensitätsbereich (statisch oder dyna- Die längerfristigen Effektivitätsunterschiede
misch) gedehnt werden, am besten erst im An- zwischen sämtlichen Methoden sind gering,
336 H. Remmert
(2) (2)
6
.. Abb. 6.11 Die fünf gebräuchlichsten Dehnmethoden (Klee und Wiemann 2002, S. 4)
sodass alle als in etwa gleich geeignet für die Die Methoden des dynamischen und stati-
in den meisten sportlichen Disziplinen ge- schen Dehnens (auch als dynamisches und sta-
stellten Anforderungen gelten können (Wie- tisches Stretching bezeichnet) sind in vielen
mann 2000). Die auffälligsten und in der Sportarten, insbesondere in den Sportspielen,
Sportpraxis relevanten Unterschiede beste- die gebräuchlichsten, da sie einfach anzuleiten
hen zwischen den akuten Trainingswirkun- und auszuführen sind. Die komplizierteren
gen der statischen und dynamischen Dehn- PNF-Dehnmethoden (propriozeptive neuro-
methoden, was bei der zeitlichen Platzierung muskuläre Fazilitation) haben sich in Studien
von Dehninterventionen im Warm-up oder als besonders effektiv darin erwiesen, die Ge-
Cool-down zu beachten ist (Opplert und Ba- lenkreichweite kurzfristig zu verbessern (Klee
bault 2018). 2003). Sie nutzen in Kombination mit den ei-
Klee und Wiemann (2002) fassen die wich- gentlichen Dehnungen kontrastierende Kon-
tigsten Methoden zusammen: dynamisches traktionen und Entspannungsphasen von Ago-
Dehnen (rhythmisch federndes Dehnen), sta- nisten bzw. Antagonisten, u. a. um die
tisches Dehnen („Stretching“, gehaltenes Deh- Reflexaktivitäten der zu dehnenden Muskeln
nen), Antagonisten-Kontraktions-Stretching zu reduzieren. Dieser Erklärungsansatz kann
(„AC“, bei der gehaltenen Dehnung wird der jedoch als widerlegt gelten (7 Abschn. 6.2.3).
muskuläre Gegenspieler aktiv angespannt), Im Gegenteil: Beim Einsatz der PNF-Methoden
Kontraktions-Relaxations-Stretching („CR“, der zeigen sich die höchsten elektrischen Aktivie-
Muskel wird angespannt, dann kurz entspannt rungen der zu dehnenden Muskulatur (Frei-
und anschließend gedehnt) und die Kombina- wald 2009). Zudem erfordern sie hinsichtlich
tionen aus CR- und AC-Stretching (erst wird Körpergefühl und Muskelsinn größere Vorer-
der Muskel angespannt, dann bei Kontraktion fahrungen. Langfristig verbessern alle Dehn-
des Gegenspielers gedehnt; . Abb. 6.11). methoden die Beweglichkeit.
Beweglichkeitstraining
337 6
Praxistipp
Für viele Sportler ist eher interessant, ob auch . Abb. 6.12). Diese sind zwar re-
mit dem Einsatz bestimmter Dehnme- versibel (7 Abschn. 6.2.2), lassen den
thoden Nachteile verbunden sind. Viel- Einsatz von gehaltenen Dehnungen in
fach nachgewiesen sind diesbezüglich Aufwärmprogrammen jedoch kritisch er-
deutliche Schnelligkeits- und Schnell- scheinen (Remmert 2003, 2007). Da die
krafteinbußen bis in zweistellige Pro- sportliche Leistung von geschmeidigen
zentbereiche als Akutreaktion auf gehal- Bewegungen im Rahmen der geforder-
tene, passive Dehnungen (statisches ten Gelenkreichweiten unzweifelhaft
Stretching) (Nelson et al. 2005; Simic profitiert, plädiert Freiwald (2009) für ein
et al. 2013; Oliveira et al. 2018; siehe differenziertes Dehnen im Warm-up. Die
.. Abb. 6.12 Effekte von Stretching-Programmen auf Schnellkraftleistungen (Bösing et al. 2014, S. 87;
mod. nach Shrier 2004, S. 269)
.. Tab. 6.1 Ziele und allgemeine Belastungsnormative des Dehntrainings (Bösing et al. 2014)
Methoden-
Abbildung Anweisung Wirkung
empfehlung
1 Hüftbeugung in Rückenlage
6
2 Dehnung der Abduktoren und der Gesäßmuskulatur im Langsitz
Methoden-
Abbildung Anweisung Wirkung
empfehlung
5 Dehnung der Waden-und hinteren Oberschenkelmuskulatur im Stand
6 Hüftstreckung im Schrittkniestand
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345 7
Ausdauertraining
Florian Hanakam und Alexander Ferrauti
Literatur – 401
Zusammenfassung
Die Ausdauer und das Ausdauertraining sind
aus Sicht des Energiestoffwechsels und des kar-
diopulmonalen Systems für den Leistungs- und
Gesundheitssport von höchster Bedeutung. Das
Kapitel liefert einen Überblick über die Bedeu-
tung und Erscheinungsformen der Ausdauer
und über ausgewählte biologische Grundlagen
zum Verständnis des Ausdauertrainings. Hier-
bei wird speziell dem Energiestoffwechsel und
der Substratverwertung (Kohlenhydrat- und .. Abb. 7.1 Der Hawaii-Triathlon. Ein Höhepunkt im
Fettstoffwechsel) bei verschiedenen Ausdauer- Leben eines Ausdauersportlers
belastungen viel Aufmerksamkeit gewidmet.
7 Ausdauertraining bewirkt auf verschiedenen volumen) und ist in mit ihren spezifischen
Funktionsebenen zahlreiche Anpassungsvor- Ausprägungen für zahlreiche Sportarten leis-
gänge. Diese beziehen sich auf das kardiopulmo- tungslimitierend . Abb. 7.1. Dort erfüllt eine
nale System, den Energie- und Fettstoffwechsel gute Ausdauer nach Zintl (1997) verschiedene
sowie auf mitochondriale, zirkulatorische und Funktionen:
hämatologische Anpassungen. Auch den gene- 55 Aufrechterhalten einer möglichst hohen
tischen Ursachen unter anderem für die Über- bzw. optimalen Belastungsintensität über
legenheit der afrikanischen Langstreckenläufer eine vorgegebene Belastungsdauer bei
wird ein spezielles Teilkapitel gewidmet. Für die allen zyklischen Ausdauerdisziplinen
Sportpraxis werden die typischen Ausdauer- (z. B. Langstreckenlauf, Radsport,
trainingsmethoden und die Möglichkeiten der Schwimmen und Triathlon).
Belastungsdosierung beschrieben. Dabei wird 55 Erhöhung der Belastungsverträglichkeit
speziell der Trainingssteuerung mittels Herz- gegenüber intensiven teilweise azyklischen
frequenz und den zugrunde liegenden Formeln Beanspruchungen in Training und
detaillierte Aufmerksamkeit geschenkt. Konkrete Wettkampf unter anderem in den Sport-
Trainingsbeispiele runden das Kapitel ab. spielen und in den Zweikampfsportarten
(z. B. Fußball und Boxen).
55 Stabilisierung koordinativer Elemente
7.1 Bedeutung und sowie der sportlichen Technik trotz hoher
Erscheinungsformen der Belastungsintensitäten und -umfänge in
Ausdauer allen technisch-kompositorischen Sport-
arten (z. B. Eiskunstlaufen und Turnen),
Die Ausdauer ist eine der zentralen konditio- aber auch in technisch anspruchsvollen
nellen Fähigkeiten. Sie ermöglicht, eine Belas- Sportspielen (z. B. Tischtennis und Tennis).
tung physisch und psychisch möglichst lange
aufrechtzuerhalten (Ermüdungswiderstands- Die Ausdauer kann hinsichtlich ihrer Erschei-
fähigkeit) und sich nach Abbruch der Belas- nungsform nach verschiedenen Kriterien unter-
tung möglichst rasch zu erholen teilt werden. Hollmann und Hettinger (2000)
(Regenerationsfähigkeit). Die Ausdauer basiert unterscheiden nach Umfang der beteiligten
im Wesentlichen auf zentralen (Leistungsfähig- Muskelmasse zwischen der lokalen und der
keit des kardiopulmonalen Systems) und peri- allgemeinen Ausdauer, nach der dominanten
pheren metabolischen Voraussetzungen in Energiebereitstellung zwischen der aeroben und
der Skelettmuskulatur (u. a. Mitochondrien- anaeroben Ausdauer und nach der vorwiegenden
Ausdauertraining
347 7
.. Abb. 7.2 Erscheinungsformen der Ausdauer
Ausdauer (dyn = dynamische, stat =
statisch; modifiziert nach Zintl 1997;
Hollmann und Hettinger 2000) lokale Ausdauer allgemeine Ausdauer
Arbeitsweise der Muskulatur zwischen der dyna- zur vollständigen Ausschöpfung der maxi-
mischen und statischen Ausdauer (. Abb. 7.2). malen Sauerstoffaufnahme und darüber hin-
Hottenrott und Hoos (2013) unterscheiden aus muss der Organismus den Energiebedarf
zusätzlich nach der Zeitdauer der Wettkampf- zunehmend auch auf anaerobem Weg (ohne
belastung, nach Wechselbeziehungen zu anderen Sauerstoff) decken. Mit Verbesserung der Aus-
konditionellen Fähigkeiten (z. B. Schnellkraft- dauerleistungsfähigkeit steigt die maximale
und Schnelligkeitsausdauer) sowie nach der Spe- Sauerstoffaufnahme an, sodass der Übergang
zifität der Ausdauerbeanspruchung. von rein aerober zu partiell anaerober Energie-
bereitstellung erst bei höherer Intensität erfolgt
zz Umfang der beteiligten Muskelmasse (7 Abschn. 7.2).
Die Unterscheidung zwischen der lokalen und Die exakte Quantifizierung der beteiligten
allgemeinen Ausdauer ist von Relevanz, da das Stoffwechselwege ist aufgrund der fließenden
kardiopulmonale System bei fortwährender metabolischen Übergänge methodisch nicht
dynamischer Arbeit kleiner Muskelgruppen möglich (Heck und Schulz 2002). Bezogen auf
nicht leistungslimitierend wirkt. Andauernde die klassischen leichtathletischen Laufdiszipli-
Bizeps-Curls mit geringen Gewichten wer- nen kann jedoch – eine individuell maximale
den folglich nur mit geringen Anstiegen der Ausbelastung vorausgesetzt – allein aufgrund
Herzfrequenz einhergehen. Demgegenüber der Belastungsdauer eine grobe Schätzung der
treten lokale Faktoren in der Arbeitsmus- beteiligten Stoffwechselwege vorgenommen
kulatur (z. B. Ausmaß von Kapillarisierung werden (. Abb. 7.3).
und Myoglobingehalt, der aerobe und anae-
robe Enzymbesatz sowie der Glykogen- und zz Arbeitsweise der Skelettmuskulatur
Kreatinphosphatgehalt) stärker in den Vor- Die Unterscheidung zwischen dynamischer
dergrund. Auch wenn der Grenzbereich zwi- und statischer Ausdauer steht in engem
schen beiden Varianten kaum punktgenau Zusammenhang zur Energiebereitstellung,
zu definieren ist, werden Größenordnungen da bei statischer Muskelkontraktion die Blut-
zwischen 1/6 und 1/7 bzw. <15 % der Skelett- zirkulation und damit die Sauerstoffzufuhr
muskulatur angegeben (Zintl 1997; Hollmann durch den Muskelinnendruck gedrosselt wird.
und Hettinger 2000). Dies entspricht in etwa Die rein statische Ausdauer kann demnach
der Muskelmasse einer Extremität. eher durch eine Verbesserung der statischen
Maximalkraft erreicht werden. Nur wenige
zz Art der Energiebereitstellung Sportarten beinhalten rein statische Ausdau-
Nach der vorrangigen Art der Energiebe- erbeanspruchungen. Hier können beispiels-
reitstellung wird zwischen der aeroben und weise das Bogenschießen und phasenweise der
anaeroben Ausdauer unterschieden. Bei aero- alpine Skilauf sowie das Ringen oder Windsur-
ben Beanspruchungen wird die notwendige fen genannt werden.
Energie vorwiegend durch die Oxidation der Hingegen ist bei dynamischer Arbeitsweise
Nährstoffe mit Sauerstoff (aerob) bereitge- auch bei höheren Belastungsintensitäten durch
stellt. Bei steigender Belastungsintensität bis den Wechsel von Spannung und Entspannung
348 F. Hanakam und A. Ferrauti
100%
10–15
80% 15–25 aerob
mmol/l LA anaerob
mmol/l LA
60%
10–15
(%)
mmol/l LA
40%
5–10
20% mmol/l LA
2–3
mmol/l LA
0%
100 200 400 800 1.000 1.500 5.000 10.000 Marathon
Laufstrecke (m)
.. Abb. 7.3 Geschätzte prozentuale Anteile der aeroben und anaeroben Energiebereitstellung und der
Blutlaktatkonzentrationen (LA) in den leichtathletischen Wettkampfstrecken (modifiziert nach Zintl 1997, S. 34)
7 (Pumpwirkung der Muskulatur für den venö- demnach vorrangig beim dynamischen Einsatz
sen Rückstrom zum Herzen) eine ausreichende größerer Skelettmuskelanteile im submaxima-
Sauerstoffzufuhr für den aeroben Stoffwechsel len Intensitätsbereich gefordert bzw. trainiert.
gewährleistet. Die meisten zyklischen Ausdau- Trainingsmethode der ersten Wahl zur Verbes-
ersportarten sind durch eine überwiegend serung der Grundlagenausdauer ist die exten-
dynamische Muskelkontraktion gekennzeich- sive Dauermethode. Dabei können verschiedene
net (z. B. Walking, Laufen, Skilanglauf). Aller- Sportarten bzw. Aktivitäten eingesetzt werden.
dings sind auch in dieser Sportartengruppe
vereinzelt statische Elemente vorhanden (z. B. eispiele: Sportarten und Aktivitäten zur
B
im Radsport beim Bergauffahren). Verbesserung der Grundlagenausdauer
Interessant sind Sportarten, in denen sich
dynamische und kurzfristig statische Muskel- 55 Laufen/Jogging
kontraktionen abwechseln. Hier sind neben 55 Gehen/Walking/Nordic Walking
den Zweikampfsportarten sicher auch die 55 Fahrradfahren
Sportspiele vertreten (z. B. Abwehrarbeit mit 55 Inlineskating
tiefem Körperschwerpunkt im Basketball und 55 Schwimmen/Aqua Jogging
Handball oder die Handgelenksmuskulatur 55 Skilanglauf
beim Volleytraining im Tennis). 55 Rudern/Kanu/Kajak
Folglich ergeben sich in Abhängigkeit 55 Aerobic/Step-Aerobic
des Beanspruchungsprofils einer Sportart 55 Ergometertraining (Fahrrad, Laufband,
vielfältige Kombinationsmöglichkeiten und Stepper, Elypsentrainer o. Ä.)
Mischformen der energetischen und neuro- 55 Sportspielmodifikationen wie
muskulären Ausdauerbeanspruchung. Kleinfeldspiele oder Kardiotennis bzw.
Kalorientennis
Alle Stoffwechselwege werden in unregelmäßiger Stürmer in der Angriffszone sowie bei Auswechslun-
und unvorhersehbarer Form beansprucht. So gen, in der Pause zwischen den Ballwechseln oder
dominiert bei kurzwährenden Aktivitäten wie einem dem Seitenwechsel werden Laktatmoleküle sowie
einzelnen Tackling, einem Kurzsprint in den Kohlenhydrate (Glukose aus Muskel- und Lebergly-
Strafraum, einem kurzen Ballwechsel im Tennis oder kogen) und Fette (intramuskuläre Triacylglyzerine
Badminton die anaerob-alaktazide Energiebereit- und freie Fettsäuren aus den peripheren Fettspei-
stellung unter Einsatz von Kreatinphosphat (KP) zur chern) oxidiert und dienen der aeroben ATP-Syn-
ATP-Resynthese. Bei längeren intensiven Spielpha- these, die wiederum zur KP-Resynthese benötigt
sen wie fortwährendem Pressing, bei Ballverlusten wird. Die Fette spielen gegenüber den Kohlenhydra-
in der gegnerischen Hälfte und nachfolgender ten insgesamt eine geringere Bedeutung für die
Abwehrarbeit, bei Tempogegenstößen oder langen Energiebereitstellung und werden nur bei längeren
intensiven Ballwechseln geht diese fließend über in Pausen (z. B. in der Halbzeitpause) verstoffwechselt
die anaerobe Glykolyse. In ruhigeren Spielphasen (Ferrauti et al. 2001a).
wie beim Passspiel im Mittelfeld, beim Verweilen der
7
Ende des letzten Jahrtausends (Gerisch und s) und anaerobe Langzeitausdauer (60–120 s)
Weber 1992) die hochvolumige extensive Dau- vor. Damit wird die für KZA dominierende
ermethode als Trainingsmittel der ersten Wahl Energiebereitstellung hervorgehoben: die anae-
derzeit zunehmend gegenüber spezifischen robe Glykolyse.
Methoden sowie Methoden des hochintensi-
ven Intervalltrainings (HIIT) in den Hinter- Praxistipp
grund rückt.
Maximale Belastungen unterhalb von zwei
Minuten werden durch die anaerobe
7.1.2 urz, Mittel- und
K Glykolyse begrenzt. Bei Wettkämpfen mit
Langzeitausdauer einer höchstmöglichen Belastungsin-
tensität oberhalb von zwei Minuten
Ein sehr ursprünglicher Systematisierungsan- begrenzt die aerobe Energiebereitstellung
satz der Trainingswissenschaft ist die Untertei- die Leistung. Folglich müssen
lung der Ausdauer nach Belastungsdauer des 800-m-Läufer beide Energiebereitstel-
jeweiligen Wettkampfes. Weil physische und lungswege gleichermaßen optimieren
psychische Anforderungen in Abhängigkeit (. Abb. 7.3).
vom Zeitfaktor erheblich divergieren, ist diese
Systematisierungsform sehr anwendungsori-
entiert. Wettkämpfe über eine Zeitdauer von 2–10 min
Alle Wettkampfanforderungen zwischen werden der Kategorie Mittelzeitausdauer
35 s und 2 min werden unter dem Sammelbe- (MZA) zugeordnet. Beanspruchungen, bei
griff der Kurzzeitausdauer (KZA) zusammenge- denen die Belastungsdauer oberhalb von 10 min
fasst. Die KZA wird von einigen Autoren weiter liegen, werden der Langzeitausdauer (LZA)
unterteilt. So schlagen Hollmann und Hettinger zugeordnet. Zur weiteren Unterteilung wird die
(2000) die Begriffe anaerobe Kurzzeitausdauer LZA in vier weitere Subkategorien aufgeteilt
(10–20 s), anaerobe Mittelzeitausdauer (20–60 (. Tab. 7.1).
Ausdauertraining
351 7
.. Tab. 7.1 Kategorisierung der Ausdauerbeanspruchungen nach Zeitdauer und Zuordnung typischer
Wettkampfdisziplinen (mod. nach Zintl und Eisenhut 2009)
Eine Einteilung der Ausdauer nach maximaler Laufzeit benötigen (Zuordnung zu Mittelzeitaus-
Belastungsdauer ist ein praktikabler und anwen- dauer).
dungsbezogener Ansatz. In der Umsetzung kommt Für viele Sportspiele, aber auch Individual-
es jedoch immer wieder zu Unschärfen: Bei den sportarten, ist eine zeitliche Strukturierung
klassischen Individualsportarten wie Schwimmen wenig hilfreich und zum Teil auch nicht möglich.
und Leichtathletik können geschlechtsspezifische Beispielsweise ist:
und leistungsspezifische Unterschiede zu 55 die Wettkampfdauer in vielen Sportarten
divergierender Einteilung führen. Exemplarisch variabel und unvorhersehbar (z. B. Tennis,
dafür kann der 800-m-Lauf der Frauen genannt Judo, Volleyball),
werden: Während eine geringe Anzahl von 55 die Spieldauer und Wettkampfdauer im
Top-Athletinnen schneller als 2 min laufen kann Sportspiel häufig nicht identisch (z. B. im Fußball),
(Zuordnung zu Kurzzeitdauer), wird die überwie- 55 durch Regelstrukturen (z. B. Spielerwechsel) die
gende Anzahl von Läuferinnen eine längere Zeitdauer der Ausdauerbelastung sehr variabel.
mitochondriale
Kreatinkinase
Kreatinkinase
oxidative
Phosphorylierung
Kreatinmonohydrat ist ein vielfach verwendetes bran und steht im Zytosol dann für die nächste
Nahrungsergänzungsmittel (Ferrauti und Muskelkontraktion bereit. Nach einer maximalen
Remmert 2003). Kreatin ist überwiegend in der Belastung dauert es etwa 30–60 s, bis die Hälfte,
Skelettmuskelzelle zu finden, wo es in Form von und etwa 5 min, bis nahezu der gesamte
Kreatinphosphat (KP) gespeichert wird Kreatinphosphatspeicher resynthetisiert ist (Tesch
(. Abb. 7.6). Im Zytosol katalysiert die dortige et al. 1989). Der beschriebene Regelkreis wird
Kreatinkinase im Rahmen der anaerob-alaktaziden auch als Kreatin/Kreatinphosphat-Shuttle
Energiebereitstellung mittels Kreatinphosphat die bezeichnet (Juhn und Tarnopolsky 1998). Die
rasche ATP-Resynthese (KP + ADP ⇌ Kreatin + vermehrte orale Zufuhr von Kreatinmonohydrat
ATP). KP fungiert somit als kurzfristiger Energie- kann den Kreatin/Kreatinphosphat-Shuttle
puffer (Soderlund et al. 1992; Casey et al. 1996). zusätzlich aktivieren und auf diesem Wege die
Etwa 70 % der KP-Speicher in den Typ-II-Fasern Verfügbarkeit von KP im Rahmen der ana-
sind nach 10 s maximaler Kontraktion verbraucht erob-alaktaziden Energiebereitstellung erhöhen.
(Hultman et al. 1991). Zur Resynthese von Hierdurch wird das Einsetzen der anaeroben
Kreatinphosphat wird das in den Mitochondrien Glykolyse verzögert. Beim Krafttraining kann
durch oxidative Phosphorylierung generierte ATP hierdurch theoretisch eine höhere Wiederholungs-
benötigt (Sahlin et al. 1979). Die mitochondriale zahl anaerob-alaktazid realisiert werden. Beim
Kreatinkinase katalysiert die Transphosphorylase- Intervalltraining werden längere Belastungspha-
reaktion von ATP zu KP zwischen der inneren und sen anaerob-alaktazid und in den Erholungspau-
äußeren Mitochondienmembran. Das rephosphor- sen eine effizientere Nutzung des Kreatin/
ylierte KP passiert die äußere Mitochondrienmem- Kreatinphosphat-Shuttles möglich.
zz A
naerob-laktazider Prozess (anaerobe Belastungsintensität und entsprechend hoher
Glykolyse) glykolytischer Flussrate insbesondere bei limi-
Innerhalb der anaeroben Energiebereitstellung tierter oxidativer Kapazität in den Mitochond-
setzt noch während der laufenden KP-Nutzung rien das anfallende NADH/H+ nicht sofort
die anaerobe Glykolyse ein. Hierunter wird oxidiert werden kann, hilft sich der Organis-
der Abbau von Glykogen (Speicherform der mus, indem er Pyruvat zu Laktat reduziert.
Glukose) ohne Sauerstoff unter Bildung von Dabei wird NADH/H+ zu NAD+ oxidiert. Bei
Laktat verstanden (anaerob-laktazide Energie- ausreichender Verfügbarkeit von NAD+ kann
bereitstellung). Bei maximalen Belastungen die glykolytische Flussrate zunächst aufrechter-
wird die Glykolyse bereits nach wenigen halten werden. Die sich in der Muskelzelle
Sekunden aktiv; bei submaximalen Intensitä- anreichernde Milchsäure verringert jedoch den
ten nach 8–9 (Zintl 1997). Der Vorteil der Gly- Intrazellulären pH-Wert. Hierdurch wird im
kolyse besteht in der hohen energetischen Sinne einer Eigenhemmung die glykolytische
Flussrate von ca. 3,0 mmol ATP/min (Hoh- Enzymaktivität, speziell jene der Phosphofruk-
mann et al. 2002; . Abb. 7.7). Nachteilig ist die tokinase (PFK), gesenkt. Die Belastungsintensi-
unökonomische Energieausbeute, denn aus tät und die glykolytische Flussrate werden
1 Mol Glukose werden nur 2 Mol ATP gewon- reduziert und das Gleichgewicht mehr in Rich-
nen (. Abb. 7.8). tung des Pyruvats und dessen oxidativem
Beim Ablauf der Glykolyse bis zur Brenz- Abbau verschoben. Laktatmoleküle werden aus
traubensäure (Pyruvat) entsteht das Redukti- der Muskelzelle in das Blut ausgeschwemmt
onsäquivalent NADH/H+. Da bei hoher und dort leicht im Kapillarblut messbar.
354 F. Hanakam und A. Ferrauti
Exkurs: Laktat
Die biologische Rolle von Laktat geht weit über die der oxidativen Energiebereitstellung zugeführt wird
übliche Verwendung als Marker einer anaeroben (Wahl et al. 2009). Zusätzlich wird Laktat eine
Stoffwechselaktivität hinaus (Wahl et al. 2009). steuernde und regulierende Signalfunktion bei
Biochemisch wird Laktat dann gebildet, wenn die Gewebsanpassungen zugewiesen. Arbeitsgruppen
Pyruvatproduktion die oxidative Abbaurate im sprechen bereits von einem „Lactormone“ (Gladden
Zitratzyklus übersteigt, und ist nicht zwangsläufig 2008; Hashimoto und Brooks 2008). Laktat
nur das Resultat anaerober Bedingungen. Die stimuliert als Signalmolekül unter anderem die
Blutlaktatkonzentration wird durch zahlreiche Angiogenese (Gefäßneubildung; Beckert et al.
Faktoren beeinflusst (z. B. aerobe Kapazität, max. 2006). Darüber hinaus besitzt es akut regulierende
Laktatproduktionsrate, LDH-Aktivität, Muskelfaser- Funktionen wie die Regulation von Sympathikus-
profil, metabolische Laktatelimination, Füllungsgrad tonus und neuronaler Signaltransduktion (Philp
der Glykogenspeicher, Blutzirkulation, pH-Wert und et al. 2005; Wahl et al. 2009). Anpassungsprozesse
Laktattransportkinetik). Laktat wird heute als ein durch intensive Trainingseinheiten belaufen sich
wichtiger Stoffwechselmetabolit angesehen, der auch in einer gesteigerten Transportkapazität und
zwischen unterschiedlichen Kompartimenten dadurch verbesserten pH-Regulation des entspre-
transportiert, den pH-Wert reguliert und schließlich chenden Gewebes (Pufferkapazität).
7
Energie + Pi Muskelglykogen
1 ATP
ADP ADP
Glukose-6-phosphat
1 ATP, Phosphofruktokinase
Fruktose-1,6-bisphosphat
4,4 3,0
1,0
0,4 0,4
ATP-Bildungsrate (mmol/min) 2 Triosen
4 ATP
KP Glykogen Glykogen Glykogen freie
Muskel Muskel Leber Fettsäuren Brenztraubensäure Milchsäure
anaerob aerob aerob aerob
(Pyruvat) Laktat- (Laktat)
375 dehydrogenase
Mitochondrium:
Zitratzyklus und
Energieabgabe (kJ/min)
KP
oxidative Phosphorylierung
250
Gesamtenergieabgabe
einem simulierten 4
Tennismatch beste- 3
2,5 mmol/l
hend aus unterschied- 2 Ruhe LA
lich langen intensiven 1,0 mmol/l
1
Ballwechseln
15:0 30:0 40:0 Seitenwechsel 15:0 30:0 40:0 (t)
(modifiziert nach
Ferrauti et al. 2016, 8
S. 24). 7
6
LA (mmol/l)
5 4,5 mmol/l
4
3
2 Ruhe LA
1,0 mmol/l
1
(%)
6 40
4
20
2
0 0
Pre Training Post Training Post Recovery Post 0' 3' 6' 9' 12' 15'
.. Abb. 7.10 Anstieg und nachfolgende Elimination tensiven Intervalltraining bei passiver (PAS) und
von Blutlaktat ((A) sowie relative Blutlaktatelimination aktiver (ACT) Erholung in Form eines moderaten
(B) relativer Verlauf ) während bzw. nach einem hochin- Auslaufens (Wiewelhove et al. 2018)
7
zz A
erober Prozess (aerobe Glykolyse,
.. Tab. 7.2 Physiologischer Brennwert und
oxidativer Glykogenabbau)
kalorisches Äquivalent der Grundnährstoffe
Der oxidative Abbau von Kohlenhydraten (Gly-
kogen oder Glukose) und Fetten (freie Fettsäu-
ren) zu Kohlendioxid und Wasser liefert bei
geringerer energetischer Flussrate (0,4–
1,0 mmol ATP/min) einen vollständigen und
ökonomischen Abbau der Nährstoffe zu
ATP. Wenn bei geringerer Beanspruchung
weniger Energie pro Zeiteinheit benötigt wird sche Äquivalent wesentlich darüber, welche
und die zelluläre Verfügbarkeit von Sauerstoff Nährstoffe primär verstoffwechselt werden, da
ausreichend hoch ist, greift der Organismus auf die Verfügbarkeit von Sauerstoff einen ent-
diesen Stoffwechselweg zurück. Aus einem Mol scheidenden Engpass darstellt. Aufgrund des
Glukose werden bei vollständigem oxidativen hohen kalorischen Äquivalents der Kohlenhy-
Abbau im Rahmen von Zitronensäurezyklus drate werden diese eher bei höherer Intensität
und Atmungskette in den Mitochondrien 38 und die Fette eher bei geringerer Intensität und
ATP gewonnen. 1 mol Fettsäuren (z. B. Palmi- ausreichender Sauerstoffverfügbarkeit ver-
tinsäure mit 16 C-Atomen) liefert 130 ATP stoffwechselt. Dies liegt an der Sauerstoffarmut
(Zintl 1997). Neben Kohlenhydraten und Fet- des Fettsäuremoleküls.
ten können auch Aminosäuren als Bausteine Der aerobe Glykogenabbau verläuft bis
der Proteine oxidativ verstoffwechselt werden. zum Pyruvat identisch wie bei der anaeroben
Im Vergleich von Kohlenhydraten, Fetten Glykolyse (Müller et al. 2015). Anstelle der
und Proteinen liegt der physiologische Brenn- Reduktion von Pyruvat zu Laktat erfolgt bei
wert (Energiegehalt pro Gramm Nährstoff) geringerer glykolytischer Flussrate jedoch die
bei den Fetten am höchsten (. Tab. 7.2). Da oxidative Decarboxylierung von Pyruvat
die Oxidation der drei Nährstoffe jedoch (Abspaltung von 2 H-Atomen und von CO2)
unterschiedlich viel Sauerstoff erfordert, zu aktivierter Essigsäure (Acetyl-CoA). Auch
unterscheidet sich das kalorische Äquivalent der Abbau der Fettsäuren im Rahmen der
(Energieproduktion pro Liter Sauerstoff) vom β-Oxidation und der Abbau der Aminosäuren
physiologischen Brennwert (. Tab. 7.2). Unter als Bausteine der Proteine führen (teilweise)
körperlicher Belastung entscheidet das kalori- zur Bildung von Acetyl-CoA. Das C2-Molekül
Ausdauertraining
357 7
.. Abb. 7.11 Energie Lipide Kohlenhydrate Proteine
freisetzende Stoff- Stärke, Glykogen
Fette, Öle Peptide
wechselwege der Zucker (Pentosen,
Phospholipide
eukaryotischen Zelle Hexosen)
(Müller et al. 2015,
Aminosäuren
S. 28)
Glukose u. a.
Fettsäuren
ß-Oxidation Glykolyse
Pyruvat
Zytosol
CO2
CO2
Acetyl-CoA
Mitochondrium
Zitratzyklus CO2
CO2 Sauerstoff
O2
Wasserstoff
Atmungskette
ADP Elektronen
oxidative 2H+ O2–
Phosphorylierung Energie
ATP H2O
Acetyl-CoA wird nun in den Zitronensäure- mobilisation und Substratabbau sollen anhand
zyklus eingeschleust und verbindet sich von . Abb. 7.12 im Folgenden zusammenge-
zusammen mit Oxalsäure (C4-Molekül) zu fasst werden. Hierbei wird der Übergang von
Zitronensäure (C6-Molekül). Diese wird im Ruhe zu einer intensiven 30-minütigen Dau-
Verlauf des Zitronensäurezyklus sukzessive erbelastung zugrunde gelegt. Die Beschrei-
abgebaut (CO2 und H-Abspaltung), und der bung folgt im Wesentlichen der Arbeit von
frei werdende Wasserstoff im Rahmen der Brouns (1993).
Atmungskette in einer „gesteuerten“ Knallgas- 1. Anaerob-alaktazide Energiebereitstellung
reaktion auf Sauerstoff unter Bildung von im Zytoplasma der Muskelzelle: Durch das
Wasser übertragen. Die maximale Sauerstoff- Enzym Kreatinkinase erfolgt während der
aufnahme ist für die Effizienz dieser biologi- ersten Muskelkontraktionen die Rephos-
schen Endoxidation von herausragender phorylierung von ADP zu ATP durch KP.
Bedeutung. Die dabei frei werdende Energie 2. Anaerob-laktazide Energiebereitstellung im
geht zwar überwiegend als Wärme verloren. Zytoplasma der Muskelzelle: Im Rahmen
Der verbleibende Teil dient jedoch zur oxidati- der Glykolyse wird das Muskelglykogen in
ven Phosphorylierung von ATP aus ADP Glukosemoleküle gespalten, die über
(. Abb. 7.11). Pyruvat bis zu Laktat abgebaut werden.
Die Komplexität der skizzierten Stoffwech- 3. Aerobe Glykolyse (oxidativer Glykogen-
selwege, die Kompartimente, in denen sie abbau): Bei geringerer glykolytischer
stattfinden, und die Reihenfolge von Substrat- Flussrate und zeitlich etwas verzögert
358 F. Hanakam und A. Ferrauti
Fettgewebe Leber
5
7
Gefäße
Muskel
7 8
3
6 GL
ZZ+AK 2
KP ATP
1
.. Abb. 7.12 Kompartimente und Reihenfolge der Substratverstoffwechselung zur Energiebereitstellung unter
körperlicher Belastung (zu Punkt 1–8 s. Text).
Viele Athleten in der Sportpraxis klagen über häufiger betroffen als Frauen, und nervöse
plötzlich eintretende Leistungsverluste in Training Wettkämpfer klagen häufiger als entspannte und
und Wettkampf. Die Begleitsymptome sind coole Athleten. Der Grund mag an der höheren
leichter Schwindel, Koordinationseinbußen, adrenergen Stimulation nervöser Männer auf die
Kaltschweißigkeit und Heißhunger nach Glykogenolyserate liegen. Auch unter Hitzebedin-
Süßigkeiten. Das Phänomen ist auf den Abfall der gungen steigt das Risiko, da hier der Kohlenhy
Blutzuckerkonzentration unter eine individuelle dratverbrauch höher liegt. Der Moment des
Sensitivitätsschwelle zurückzuführen. Wenn also Eintretens ist bei Dauerbelastungen erst nach ca.
das Leberglykogen aufgrund von langandauern- zwei Stunden Belastungsdauer zu befürchten.
den Belastungen verbraucht ist und den Entweder er stellt sich schleichend ein (z. B. bei
Blutzuckerspiegel bei fortwährendem Gluko- zyklischen Ausdauerbelastungen mit konstantem
se-Uptake der Muskelzelle nicht mehr stabilisieren Energieumsatz), oder er stellt sich urplötzlich und
kann, reagiert der Körper mit den beschriebenen ohne Vorwarnung ein (bei plötzlichem Anstieg
Symptomen. Eigene Messungen haben ergeben, des Energieumsatzes beim Anstieg während der
dass diese „Hypoglykämieschwelle“ sich bei Bergetappe, bei einer Tempoverschärfung im
einigen Athleten erst bei einem Abfall der Marathon oder zu Beginn einer zweiten Trainings-
Blutzuckerkonzentration vom nüchternen oder Wettkampfbelastung nach kurzer Pause).
Normalwert um 80–100 mg/dl auf ca. 40 mg/dl Tennisspieler klagen häufig zu Beginn des
einstellt; andere Athleten verspüren bereits Doppels (zweites Match eines Mannschaftswett-
Einschränkungen bei ca. 60 mg/dl. Männer sind kampfes) über den plötzlichen Hungerast.
Nach Beendigung der Belastung sind die Der gesamtkalorische Umsatz wird primär
genannten Prozesse teilweise rückläufig. Die int- durch Belastungsintensität, Belastungsdauer
ramuskulären Triglyzeridspeicher werden durch und durch das Körpergewicht bestimmt. Auch
die aus der Peripherie aufgenommenen Fettsäu- der Umfang der beteiligten Arbeitsmuskulatur
ren neu aufgebaut. Überschüssig in der Periphe- (allgemeine Ganzkörper-Ausdauerbelastungen
rie mobilisierte Substrate werden erneut in den steigern den Energiebedarf) und das Geschlecht
Leber- und Fettzellen abgespeichert. Das Mus- (Männer haben aufgrund der gewöhnlich höhe-
kelglykogen kann durch oral zugeführte Kohlen- ren Muskelmasse einen höheren Energieumsatz)
hydrate über den peripheren Zulieferweg schon beeinflussen den gesamtkalorischen Umsatz.
während der Belastung geschont und je nach Intervallbelastungen weisen im Vergleich zu
Belastungsintensität sogar neu gebildet werden. Dauerbelastungen spezifische Auswirkungen auf
Problematisch wird die Situation, wenn die Kalorienumsatz und Substratverwertung auf,
Belastung bei unverminderter Intensität länger und auch der psychische Stress unter Wett-
andauert. Es droht eine Hypoglykämie, die kampfbelastung besitzt einen nicht zu unter-
landläufig auch als „Hungerast“ bzw. „Unter- schätzenden Einfluss (Ferrauti 1999).
7 zuckerung“ bezeichnet wird. Während die Der Ruheumsatz beträgt ungefähr 1 kcal/h/
Fettreserven des Organismus weitgehend uner- kg Körpergewicht (7 Abschn. 11). Dabei wer-
schöpflich sind, besteht aufgrund der begrenz-
ten Kohlenhydratspeicher (ca. 300–500 g
Muskelglykogen, ca. 100 g Leberglykogen, der Metabolisches Äquivalent (MET)
Trainierte besitzt größere Glykogenspeicher) Ein MET ist definiert als die Sauerstoff-
die Gefahr, dass bei fortwährendem Gluko- aufnahme im Sitzen unter
se-Uptake aus dem Blut in die Muskelzelle der Ruhebedingungen, entsprechend 3,5 ml
Blutzuckerspiegel durch das Leberglykogen O2/kg Körpergewicht/min. Dies
nicht mehr stabilisiert werden kann. entspricht in etwa 1,0 kcal/kg
Körpergewicht/h. Ein normaltrainierter
Mann mit einem Körpergewicht von
7.2.2 Energieumsatz und 80 kg wird folglich ca. 80 kcal während
Substratverwertung im einer Stunde in sitzender Tätigkeit
Ausdauersport verbrauchen (Jetté et al. 1990; McArdle
et al. 1991). Ausgehend von diesem
Die quantitative Verwertung von Muskel- Basiswert kann nun jede körperliche
und Leberglykogen sowie von Blutglukose Aktivität in der hierfür benötigten Anzahl
und Fetten als Energiequelle für langandau- an METs beschrieben werden, indem die
ernde zyklische Ausdauerbeanspruchungen Sauerstoffaufnahme bei dieser Aktivität
ist vom Trainingszustand sowie von der durch den oben genannten Ruheumsatz
Dauer und Intensität der Belastung abhängig dividiert wird. Das Metabolische
(Brouns 1993). Bei Ausdauerbelastungen Äquivalent einer Belastung ist folglich
üblicher Dauer wird die benötigte Energie – der Multiplikationsfaktor des
abgesehen von geringfügigen Anteilen des Ruheumsatzes. Hierzu findet man in der
Proteinstoffwechsels – hauptsächlich aus den Literatur zahlreiche Angaben für
beiden wichtigsten Energiequellen, den Koh- vielfältige Tätigkeiten, die jedoch nicht
lenhydraten und Fetten, freigesetzt. Diese immer auf experimentellen
beiden Energiequellen werden immer in Untersuchungen basieren, sondern
einem belastungsabhängigen Mischungsver-
hältnis genutzt (Brouns 1993).
Ausdauertraining
361 7
den nach unseren Messungen ca. zwei Drittel
oftmals auch auf Schätzungen. Leichter der Energie durch Fette und ca. ein Drittel
Hausarbeit werden beispielsweise 2 MET, durch Kohlenhydrate bereitgestellt (Ferrauti
Gartenarbeit 4 MET, Schneeschaufeln 5 1999). Unter körperlicher Belastung steigt der
MET und Holzhacken 6 MET zugeordnet. Energieumsatz je nach Art und Intensität der
Gemäß der Höhe des MET werden Belastung an. Die einfachste Form zur
verschiedene Klassifikationen für leichte Beschreibung des gesamtkalorischen Umsatzes
(<4 MET), mittlere (4–6 MET), schwere verschiedener Aktivitäten ist die Angabe des
(6–8 MET), sehr schwere (8–10 MET) und Metabolischen Äquivalents (engl. metabolic
übermäßig schwere (>10 MET) equivalent, abgekürzt als MET).
Aktivitäten unterschieden (Jetté et al. Aus diesen Basisgrößen können nun für ver-
1990; McArdle et al. 1991). Das schiedene Aktivitäten die gesamtkalorischen
metabolische Äquivalent kann in gleicher Brutto- und Nettoangaben für eine realistische
Weise zur Beschreibung der körperlichen Belastungsdauer berechnet werden. So werden
Leistungsfähigkeit und zur Charakte- beispielsweise in einem 90-minütigen Fußball-
risierung der Trainingsintensität (z. B. % spiel (Trainingsspiel mit gut trainierten Sport-
von METmax) benutzt werden. Individuelle studenten und einem mittleren Körpergewicht
Limitationen dieser Messgröße ergeben von 80 kg) brutto, also einschließlich des
sich beispielsweise bei Personen mit Ruheumsatzes, ca. 5630 kJ (Minimum 4430,
einem hohen Anteil an Körpermuskulatur Maximum 7290) bzw. 1340 kcal (Minimum
(höherer kalorischer Ruheumsatz) und 1050, Maximum 1750) verbraucht (Ferrauti
natürlich durch die Ausführungsqualität et al. 2006). Der Bruttoumsatz eines zweistün-
sportlicher Aktivitäten. Exemplarisch sind digen Trainingseinzels über drei Sätze mit
einige grobe Orientierungswerte aus der männlichen Turniertennisspielern (Körperge-
Literatur bzw. aus eigenen wicht ca. 80 kg, regionale Klasse) entspricht in
Untersuchungen mittels portabler etwa dem eines vierstündigen Golfspiels über
Spirometrie und indirekter Kalorimetrie 18 Loch im Dreier-Flight (ca. 4200 kJ bzw.
speziell zum Tennis, Fußball und Golf in 1000 kcal). Unter realen Turnierbedingungen
alphabetischer Reihenfolge benannt ist jedoch in allen Fällen von deutlich höheren
(Jetté et al. 1990, Ferrauti et al. 1997, Werten auszugehen (Ferrauti 1999; Ferrauti
Ferrauti 1999; Ferrauti et al. 2006). et al. 1997, 2001b).
Die Angaben für die klassischen zyklischen
Metabolische Äquivalente
Ausdauersportarten werden selbstverständlich
ausgewählter Sportarten
neben der sehr unterschiedlichen Belastungs-
Alpiner Skilauf: 5–9 dauer im Wesentlichen von der Belastungsin-
Badminton Einzel: 4–5 tensität bestimmt. Ein gemütlicher Jogginglauf
Basketball: 11,1 eines 80 kg schweren Läufers über 60 min wird
Boxen: 13 in etwa mit einem Energieumsatz von ca.
Fußball: 10–12 3000 kJ bzw. 700 kcal einhergehen. In der glei-
Golf: 2–4 chen Zeit verbraucht eine 60 kg schwere Läufe-
Jogging (9 km/h): 8–10 rin 2250 kJ bzw. 540 kcal. Ein zügiger
Krafttraining: 3–6 Marathonlauf eines 80 kg schweren Läufers
Tennis Einzel: 6–10
(Endzeit 3:15 h) wird hingegen bereits mit
einem Energieumsatz in Höhe von ca. 13.000 kJ
Walking (5 km/h): 3–4
bzw. über 3000 kcal einhergehen. Während
einer langen und schweren Tour-de-France-
362 F. Hanakam und A. Ferrauti
Arbeitsvermögen (% max)
vom Fullungsgrad der 75 1500
Etappe mit bis zu sechs Stunden Dauer ist mit wechsel angekurbelt. Durch vermehrte Lipolyse
einem Umsatz von bis zu 30.000 kJ bzw. über im Körperfett steigt die Serumkonzentration
7000 kcal zu rechnen (Müller et al. 2015). von freien Fettsäuren (FFS) und freiem Glyzerin
Der Füllungsgrad von Leber- und insbeson- deutlich stärker an (. Abb. 7.13). Folglich ist
dere Muskelglykogen beeinflusst in hohem auch von einer vermehrten Aufnahme und Oxi-
Masse den Energieumsatz, die Substratverwer- dation von FFS in der Muskelzelle auszugehen,
tung und hierdurch das Leistungsvermögen des was aufgrund der oben beschriebenen Zusam-
Athleten. Vergleichende Untersuchungen von menhänge mit einer Reduktion des Leistungs-
Wagenmakers et al. (1991) in Glykogenverarm- vermögens einhergeht (. Abb. 7.12 und 7.13).
ten und -angereichertem Zustand belegen,
!! Achtung: Hohe Laktatwerte sind (auch)
dass bei selbstgewählter Belastungsintensität
ein Indikator für Leistungsfähigkeit
die Ausschöpfung der Maximalleistung wäh-
rend einer zweistündigen Dauerbelastung mit Die Beteiligung der energiereichen Substrate
entleerten Glykogenspeichern (z. B. durch eine am gesamtkalorischen Umsatz hängt aufgrund
intensive Dauerbelastung am Vortrag mit der oben beschriebenen Zusammenhänge sehr
anschließender kohlenhydratfreier Diät) konti- stark von der Belastungsintensität ab (Romijn
nuierlich von 70 auf 40 % gesenkt werden muss, et al. 1993). Bei geringer Belastung überwiegt
während im Glykogen angereicherten Zustand der Fettstoffwechsel absolut und prozentual
die Leistung bei 80 % der Maximalleistung bis an der Energiebereitstellung. Dabei werden
zum Belastungsende stabilisiert werden kann vorrangig die über das Blut zugeführten Plas-
(. Abb. 7.13). Interessanterweise hat diese Gly- mafettsäuren aus den peripheren Fettspei-
kogen-Mangelsituation Konsequenzen auf alle chern oxidiert (. Abb. 7.14). Erst bei mittlerer
übrigen Mechanismen der Substratmobilisation Belastungsintensität deckt der Kohlenhydrat-
und Substratverwertung (. Abb. 7.12). So sinkt stoffwechsel aus Muskelglykogen und Plasma-
die Blutglukosekonzentration aufgrund des Gly- glukose (aus der hepatischen Glykogenolyse)
kogenmangels in der Leber (reduzierte Glyko- in etwa die Hälfte des Energieumsatzes. Der
genolyse), und auch die Blutlaktatkonzentration absolute Fettumsatz erreicht bei 65 % der
ist als Folge der eingeschränkten muskulären V̇ O2max sein Maximum, wobei gleichermaßen
Glykolyse signifikant verringert. Zur Kompen- die intramuskulären und die peripheren Fette
sation der Energiedefizite wird der Fettstoff- eingesetzt werden. Bei hoher Intensität sinkt
Ausdauertraining
363 7
.. Abb. 7.14 Beteiligung
350 Muskelglykogen
verschiedener Substrate des Kohlenhydrate
Kohlenhydrat- (blaue Plasmaglukose
300 Plasmafettsäuren
Farbtöne) und Fettstoffwech- Fette
sels (gelb Farbtöne) an der intramuskuläre Triglyzeride
250
Energiebereitstellung in
(cal/kg/min)
Abhängigkeit von der 200
Belastungsintensität (modi-
fiziert nach Romijn et al. 1993). 150
Der absolute kalorische
Fettumsatz unterliegt einer 100
negativen U-Funktion im
Verhältnis zur Intensität 50
(gestrichelte Linie). Der
gesamtkalorische Umsatz 0
nimmt linear zu 25 % 65 % 85 %
.
VO2max
zz Der Nachbrenneffekt
geht dies zulasten der Leistung und da- Für die Sportpraxis ist die Erkenntnis inte-
mit des gesamtkalorischen Umsatzes. ressant, dass auch kürzere und intensivere
55 Krafttraining ist aufgrund des geringen Belastungen einen nennenswerten Beitrag
gesamt- und fettkalorischen Umsatzes zur Fettverbrennung leisten können. Viel-
für eine direkte Gewichtsregulation we- fach ist das unzureichende Zeitbudget von
niger gut geeignet. Krafttraining kann Trainierenden im Freizeitsport handlungs-
jedoch langfristig einen positiven Effekt leitend. Muss die Ausdauereinheit daher
durch eine Erhöhung der aktiven Kör- aus Zeitgründen auf 30–45 min gekürzt
permasse mit konsekutiver Steigerung werden, kann die Belastungsintensität
des Ruheumsatzes erzielen. aus verschiedenen Gründen hoch gehal-
55 Frauen besitzen spezifische Nachteile ten werden, sofern dies der Trainingsplan
hinsichtlich der Lipolyse im Gesäß- und und die Belastungsverträglichkeit zulassen.
Oberschenkelbereich, jedoch einen hö- Einerseits ist hierdurch von einer stärkeren
heren Fettumsatz unter Belastung. Ursa- Reizsetzung für Anpassungsprozesse des
7 chen hierfür sind beispielsweise die ge- Herz-Kreislauf-Systems und einem höhe-
ringere Katecholaminsekretion und der ren gesamtkalorischen Umsatz auszugehen;
höhere Anteil an Typ-I-Muskelfasern. andererseits werden nach intensiveren Trai-
55 Lokale Hitze, Kompression, Kontrak- ningseinheiten auch nach Belastungsende
tion oder elektrische Muskelstimula- noch nennenswert höhere Energie- und Fett-
tion besitzen keinen lokalen Einfluss umsätze erzielt. Verständlicherweise sind
auf die Lipolyse. Deren Aktivierung viele Stoffwechselmechanismen aufgrund
erfolgt stets systemisch über zirkulie- der nachhaltigen Enzymaktivierung und der
rendes Adrenalin im Körperkreislauf. erforderlichen Regulationsprozesse bei der
55 Freizeitrelevante Sportspiele wie Tennis Umstellung auf Ruhebedingung noch bis zu
und Fußball besitzen aufgrund ihres In- zwei Stunden aktiv und sind energetisch rele-
tervallcharakters und der hohen Stress- vant (. Abb. 7.15). Dieses Phänomen wird
stimulation Nachteile für den Fettstoff- umgangssprachlich auch als „Nachbrenn-
wechsel. Sie können diesen Nachteil effekt“ bezeichnet. Er basiert auf der über-
durch ihre strukturgegebene bzw. mo- schießenden Nachatmung von Sauerstoff,
tivationsbedingte lange Belastungs- sodass in Fachkreisen von der „Excess Post
dauer kompensieren. Exercise Oxygen Consumption“ bzw. kurz
55 Weniger eine Maximierung des Fettum- EPOC gesprochen wird.
satzes, sondern eine Maximierung des In eigenen Untersuchungen mittels indi-
gesamtkalorischen Umsatzes sollte im rekter Kalorimetrie (eine der Messmethoden
Freizeitsport angestrebt werden, wenn zum Energie- und Substratstoffwechsel)
dieser mit dem Ziel der Gewichtsreduk- ergaben sich höhere EPOC- und speziell
tion betrieben wird. höhere Fettoxidationsraten im Anschluss an
55 Es ist eine möglichst lange Reizdauer (1. intensive Trainingseinheiten nach der Dauer-
Priorität) mit möglichst hoher Reizhöhe methode oder nach der Intervallmethode
(2. Priorität) anzustreben. Bei limitier- (z. B. Fahrradergometrie bei 70 % im Ver-
tem Zeitbudget (30 min) darf die Trai- gleich zu 40 % der V̇ O2max) sowie bei
ningseinheit auch intensiver sein (s. Aktivitäten mit großen Muskelgruppen
EPOC). (Ruderergometrie; . Abb. 7.15).
Ausdauertraining
365 7
Exkurs: von der indirekten Kalorimetrie zur „Metabolic Power“
Zur Messung von Energieumsatz und Substrat- Hyperventilation des Sportlers erhöht. Insgesamt
oxidation existieren verschiedene indirekte und übertrifft die gemessene CO2-Menge in den
direkte Verfahren. Die einfachste Methode ist Belastungspausen somit die Menge des aktuell
die auf Atemgasanalysen basierende „indirekte durch die Oxidationsprozesse entstandenen CO2
Kalorimetrie“. Bei der indirekten Kalorimetrie erheblich. Zu Beginn der Belastungspausen steigt
wird von einer stöchiometrischen Beziehung der RQ folglich zunächst für kurze Zeit erheblich
zwischen der Aufnahme von O2, dem Abatmen an (Mellerowicz 1979; Chamari et al. 1995).
von CO2 und dem kalorischen Ausmaß der Die als direkte Kalorimetrie bezeichnete
dabei freiwerdenden Energie ausgegangen. Der „Tracer“-Technologie ist deutlich aufwendiger
Quotient aus Sauerstoffaufnahme und Kohlen- und basiert auf der Infusion isotopenmarkierter
dioxidabgabe wird auch als respiratorischer Substrate (sog. direkte Kalorimetrie). Um
Quotient (RQ) bezeichnet. Dieser beläuft sich beispielsweise quantitative Aussagen zur
bei reiner Kohlenhydratverbrennung auf 1,0, Fettsäureoxidation treffen zu können, wird
bei reiner Fettverbrennung auf 0,7 und bei 13C-markierte PalmitinsÄure als Tracer verab-
gleichmäßiger Verteilung beider Substrate zu je reicht, die in Form von 13CO2 nach Belastung
50 % auf 0,85. Die Ursache für diese Unter- ausgeatmet und quantifiziert werden kann.
schiede liegt im geringen Sauerstoffgehalt der Aktuell entwickelt sich diese methodisch auf-
Fettsäuremoleküle begründet und kann aus wendige und zum Teil laborabhängige Messme-
den Reaktionsformeln bei der Substratoxida- thodik in eine Richtung mit einer höheren
tion abgeleitet werden (vgl. de Marées 2002): praktischen Anwendbarkeit. Grundlage hierfür ist
die frühe Erkenntnis, dass der energetische
Glucose: C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O Bedarf einer Laufbewegung und auch der Einfluss
Fettsäure (Beispiel): C55H102O6 + 77,5 O2 von positiven und negativen Beschleunigungen
→ 55 CO2 + 51 H2O weitgehend genau rechnerisch abgebildet wer-
Die spirometrisch gemessene Sauerstoffauf- den können (Di Prampero et al. 2005). Unter
nahme kann nun entsprechend des RQ auf Koh- „Metabolic Power“ wird in jüngerer Zeit der aus
lenhydrat- und Fettoxidation aufgeteilt und mit Laufstrecke und Laufgeschwindigkeit sowie
dem jeweiligen kalorischen Äquivalent verrech- Geschwindigkeitsänderungen resultierende Ener-
net werden. Methodenkritisch ist hierbei zu giebedarf in einer Sportart verstanden, wobei
berücksichtigen, dass neben metabolischen inzwischen versucht wird, dies auch auf die
Gründen auch andere Ursachen einen Einfluss auf Mannschafts- und Rückschlagspiele zu übertra-
den RQ besitzen. Intervallbelastungen erschwe- gen (Di Prampero und Osgnach 2018a, b). Basie-
ren die Interpretation des RQ. Dieser ist in solchen rend auf den Weg-/Zeitbezogenen Daten aus
Fällen nämlich nicht nur Ausdruck der aktuellen modernen Tracking Verfahren soll der Energie-
Verbrennungsvorgänge („Metabolischer RQ“) bedarf eines jeden Spielers online und ohne
sondern spiegelt in erster Linie die momentanen zusätzlich störende Messinstrumente während
Ventilationsverhältnisse wider („Ventilations-RQ“). Wettspiel und Training erfasst werden können.
Nur bei Ruheatmung und bei Arbeiten im Steady Ungeklärt ist jedoch bislang, wie der erhebliche
State entspricht der ventilatorische RQ dem energetische Bedarf in Zweikämpfen, Sprüngen,
metabolischen RQ und beschreibt das momen- Schüssen, Schlägen und Würfen miteinbezogen
tane Verhältnis zwischen CO2-Produktion und werden kann, da diese aufwendigen Aktivitäten
O2-Verbrauch. Nach Belastungsende dauert die kaum automatisiert erfasst werden können und
Abatmung von CO2 länger an, während die deren Energiebedarf allenfalls als konstanter Kor-
O2-Aufnahme rasch abfällt. CO2-Abgabe und RQ rekturfaktor miteinbezogen werden kann.
werden in dieser Phase zusätzlich durch die
.Abb.
. 7.15 Verlauf der
Fettoxidation nach FE = Fahrradergometrie
Belastungsende in 6 R = Ruderergometrie
Abhängigkeit vom D = Dauermethode
lnt = lntervallmethode
Fettoxidation (kJ/min)
Trainingsinhalt. Bei •
intensiver Fahrradergo- Zahlenwerte = % VO2max
metrie nach der 4
Dauermethode (rote
Linie) sowie nach
Ruderergometrie
(schwarze Linie) waren 2 FED70
RD55
EPOC und Fettoxidation
FEInt30/80
gegenüber moderater
FED55
Fahrradergometrie (blaue FED40
Linie) noch lange nach 0
Belastungsende erhöht 0 20 40 60 80 100 120 (min)
(Schnittka et al. 2006)
.. Abb. 7.16 Typische Stoffwechselwege und maximale Intervallsprints; rote Pfeile = intensive
Kombinationsmöglichkeiten bei unterschiedlich submaximale Intervalle mittlerer Länge; grüne Pfeile =
gestalteten Intervallbelastungen. Blaue Pfeile = kurze lange extensive Intervalle
Bei langen extensiven Intervallen domi- auszugehen. Spannend und kontrovers dis-
niert der aerobe Glykogenabbau sowohl kutiert ist die Frage, ob sich der Fettstoff-
während der Belastung als auch in den Pau- wechsel auch bei intensiver Intervallarbeit
sen. Gleichzeitig ist in den Pausen auch von während der Pausen an der Energiebereit-
einer Beteiligung des aeroben Fettabbaus stellung beteiligt.
Exkurs: Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate
Schon früh widmeten sich verschiedene skandinavi- Kreatinphosphat (KP) und anschließend durch die
sche Forscher dem Vergleich des Energiestoffwech- anaerobe Glykolyse. In den Pausen wiederum
sels zwischen intensiver Intervallarbeit und steigt die Acetyl-CoA-Produktion aus der ß-Oxida-
kontinuierlicher Dauerbelastung. Diese Studien wur- tion von FFS an. Gleichzeitig wird der Umbau von
den größtenteils auf dem Fahrradergometer durch- Pyruvat aus der Glykolyse zu Oxalacetat gefördert.
geführt (Åstrand et al. 1960; Essén 1978). Hierbei Aus dem Acetyl-CoA der ß-Oxidation und dem
ergaben sich keine großen Unterschiede hinsichtlich Oxalacetat der Glykolyse entsteht Zitronensäure in
der Substratverwertung (der RQ lag jeweils zwi- den Mitochondrien gegen Ende der Pause. Diese
schen 0,87 und 0,90). Essén (1978) folgerte hieraus, passiert die Mitochondrienmembran und hemmt
dass der Energiestoffwechsel bei intensiver Intervall- im Zytoplasma die Glykolyse zu Beginn der erneu-
arbeit weitgehend jenem bei moderater kontinuier- ten Belastungsphase. Dieser von Randle et al.
licher Beanspruchung entspricht und begründet die (1963) erstmals beschriebene Fettsäure-Glukose-
hohe Beteiligung des Fettstoffwechsels bei Intervall- Zyklus beschreibt die Schnittstelle zwischen Koh-
arbeit durch folgenden Mechanismus: lenhydrat- und Fettstoffwechsel und wird populär
Während der Belastungsphasen erfolgt die durch die Grundregel beschrieben, dass Fette nur
Energiebereitstellung zunächst durch die energie- im Feuer der Kohlenhydrate verbrennen.
reichen Phosphate Adenosintriphosphat (ATP) und
25 80
a b
Laufen
20 Tennis ** **
60
Fettoxidation (kcal/min)
** **
Fettoxidation (%)
15 **
** **
** 40
10
20
5
0 0
0 30 60 90 120 (min) 0 30 60 90 120 (min)
7 .. Abb. 7.17 Verlauf der absoluten a und prozentua- identischer durchschnittlicher Sauerstoffaufnahme
len b Fettoxidation während eines zweistündigen (Ferrauti 1999; Ferrauti et al. 2001a)
Tenniseinzels und einer Laufbandbelastung mit
.. Tab. 7.3 Effekte von aerober körperlicher Aktivität und Ausdauertraining (aus Thiel et al. 2017, S. 25,
nach ACSM et al. 2010 und Mujika 2012)
spezifische Wirkung des aeroben Ausdauertrai- (z. B. bessere sympathovagale Balance im auto-
nings, beispielsweise in Abgrenzung zum Kraft- nomen Nervensystem) und immunologischer
training, ist primär der dauerhaft erhöhte Ebene nachweisbar (z. B. Senkung der Infektan-
Sauerstoffbedarf und der hohe gesamtkalorische fälligkeit).
Umsatz bei der Oxidation der Nährstoffe. In der Summe sind diese Anpassungseffekte
Das vorliegende Kapitel befasst sich mit sowohl für den Leistungssport (Erhöhung der
den chronischen Anpassungseffekten durch maximalen Sauerstoffaufnahme und dadurch
regelmäßiges Ausdauertraining (. Tab. 7.3). In der Ausdauerleistungsfähigkeit) als auch aus
der Arbeitsmuskulatur stehen Kapillarisie- internistisch-präventivmedizinischer Sicht von
rung, Erhöhung von Mitochondrienvolumen herausragender Bedeutung. Neben der Vorbeu-
und Myoglobingehalt, aerobe und anaerobe gung von Zivilisationserkrankungen wie der
Enzymaktivierung sowie die Zunahme von koronaren Herzkrankheit, dem metabolischen
energiereichen Phosphaten und Muskelglyko- Syndrom und dem Altersdiabetes ist auch eine
gengehalt im Vordergrund. Senkung der Inzidenz vereinzelter Krebserkran-
Allgemein-systemische Anpassungseffekte kungen nachweisbar (Thiel et al. 2017; . Tab. 7.3).
sind auf morphologischer (z. B. Herzvolumen
und Knochendichte), kardiozirkulatorischer
(z. B. Ökonomie und Variabilität der Herztätig- 7.3.1 Internistisch-
keit, Senkung von peripherem Gefäßwiderstand präventivmedizinische
und systolischem Blutdruck), metabolischer Anpassungseffekte
(z. B. Optimierung des Lipoproteinprofils und
der Insulinsensitivität), hämatologischer (z. B. „Ausdauersport ist das bessere Medikament!“
verminderte Adhäsivität und Aggregabilität der Zahlreiche prospektive epidemiologische Unter-
Thrombozyten und verbesserte Fließeigenschaf- suchungen belegen eine Senkung des relativen
ten des Blutes), endokrinologischer (z. B. Verrin- Risikos für das Auftreten von Zivilisationser-
gerung des Katecholaminspiegels), vegetativer krankungen bei Personen mit hoher Ausdauer-
370 F. Hanakam und A. Ferrauti
leistungsfähigkeit und/oder einem hohen 1986; Sandvic et al. 1993; Blair et al. 1996; Leon
freizeitkalorischen Umsatz (s. auch 7 Kap. 11). et al. 1997) soll im Folgenden eine für diesen
Stellvertretend für die Vielzahl an entsprechen- Untersuchungsansatz repräsentative Kohorten-
den Untersuchungen der vergangenen Deka- studie aufgrund ihrer extrem langen Laufzeit
den (u. a. Morris et al. 1973; Paffenbarger et al. von 16 Jahren etwas genauer vorgestellt werden.
Die Epidemiologie widmet sich den grundsätz- von Risikofaktoren über eine längere Zeit
lichen Gesetzmäßigkeiten über gesundheitsbezo- beobachtet. Aus der Anzahl der in diesem
gene Zustände und Abhängigkeiten in großen Zeitraum Erkrankten kann das Risiko einer
Populationen. Dabei wird unter anderem die bestimmten Gruppe von Exponierten (z. B. Rau-
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter cher) gemessen und als relatives Risiko im
Erkrankungen (Inzidenzrisiko) auch im Zusammen- Verhältnis zu einer Vergleichsgruppe (z. B. Nicht-
hang mit soziologischen Attributen (z. B. gesunde raucher) ausgedrückt werden. Bei prospektiven
7 oder aktive Lebensweise bzw. Risikofaktoren)
quantifiziert. Meistens liegen Beobachtungsstu-
Kohortenstudien liegt das Studienende weit in der
Zukunft und zwischen Beginn und Ende der Studie
dien mit prospektiver Ausrichtung zugrunde. Bei werden die in diesem Zeitraum liegenden
prospektiven Kohortenstudien werden definierte Ereignisse registriert und auf die Ergebnisse einer
Gruppen von Menschen mit und ohne Exposition Eingangsuntersuchung bezogen
V O2 (ml/kg0,66/min)
schwarzhäutigen Spitzenläufern (mod. nach
Harley und Noakes 2007, S. 170) 200
100
•
0
10 12 14 16
Laufgeschwindigkeit (km/h)
geschwindigkeit und
7 prozentuale Ausschöp- . 100 *
fung der V̇O2max im *
Rennverlauf von
weiß- und schwarz- 90
häutigen Spitzenläu-
fern (mod. nach Afrikaner
80 Europäer
Coetzer et al. 1993)
Laufgeschwindigkeit (m/min)
400
**
350 **
300
0 5 10 15 20 25
Distanz (km)
Ein wichtiger Koordinator und Aktivator der mito- 55 Kalziumabhängige Veränderungen: Die Kontrak-
chondrialen Biogenese ist das Regulatorprotein tion der Muskelzelle verlangt eine Kalziumfrei-
PGC-1α. Dieses reagiert auf verschiedene Primär- setzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum,
signale, die im Rahmen eines komplexen regulato- sodass bei Ausdauerbelastungen ein dauerhafter
rischen Geschehens zusammenwirken und nach Kalziumanstieg in der Muskelzelle vorliegt.
Hoppeler (2018) im Folgenden aufgelistet werden: 55 Freisetzung von Sauerstoffradikalen: Bei dau-
55 Veränderungen im ATP-Energiestatus und erhaft hohem Energieumsatz werden ver-
Aktivierung der Adenosinmonophosphat-Ki- mehrt reaktive Sauerstoffderivate gebildet
nase (AMPK): Die dauerhafte Abnahme von (z. B. Wasserstoffperoxid, H2O2), welche
ATP bei gleichzeitiger Zunahme von ADP und neben zellschädigenden Effekten auch wich-
AMP und die dadurch bedingte Abnahme des tige genregulative Funktionen besitzen.
ATP/AMP-Quotienten führen zur Aktivierung 55 Senkung des Sauerstoffpartialdrucks in der Mus-
der AMPK. kelzelle: Hypoxie beeinflusst die PGC-1α Aktivität.
374 F. Hanakam und A. Ferrauti
zz Lunge und Atmung einer einzelnen Einheit. Das ergibt sich bereits
In den Lungenalveolen erfolgt der Gasaus- aus der Notwendigkeit, intensive Belastungen
tausch zwischen der atmosphärischen Luft vor- und nachzubereiten. Erwärmungsphase
und dem Organismus entsprechend eines und Cool-down finden meist im GA-1-Bereich
Druckgradienten. Sauerstoff wird dabei an die statt. Dazwischen werden häufig weitere Trai-
Erythrozyten in den Lungenkapillaren gebun- ningsbereiche kombiniert. Ferner gehört auch
den. Die Lungendiffusionskapazität ist beim ein begleitendes Krafttraining (z. B. plyometri-
Menschen ausreichend hoch, sodass diese sches Training und Rumpfstabilisationstrai-
auch bei maximaler Auslastung keine limitie- ning) zum festen Trainingsprogramm eines
rende Größe für die Ausdauerleistung darstellt. leistungsorientierten Läufers (Ferrauti et al.
Dies kann dadurch belegt werden, dass der 2010). Nachfolgend werden die vier wichtigsten
Sauerstoffpartialdruck im Blut auch beim Trainingsbereiche kompakt beschrieben:
Erreichen der V̇ O2max nur bei wenigen Hoch-
ausdauertrainierten abfällt. Allerdings gibt es zz Regeneration/Kompensation (ReKom)
derzeit keine gesicherten Hinweise dafür, dass Synonym: Kompensation (Ko)
7 die Diffusionskapazität der Lunge trainierbar 55 Reizintensität: niedrig
ist (Hoppeler 2018) Andererseits zeigen prak- 55 Reizdauer: gering
tische Erfahrungen, dass Qualität und Quanti- 55 Trainingsziel: Regeneration nach intensi-
tät der Atmung (u. a. Atemtiefe, Atemfrequenz ven Ausdauertrainingseinheiten, Wett-
und Atemrhythmus) sehr wohl durch koordi- kämpfen oder zur aktiven Erholung
native Gewöhnung und durch Anpassungsef- innerhalb einer Trainingseinheit zwischen
fekte der Atemhilfsmuskulatur durch Training zwei Intervallen.
verbessert werden können.
Praxistipp: ReKom
.. Tab. 7.4 Fünfstufiges Modell zur Festlegung von Trainingszonen mit den im deutschsprachigen Raum
gebräuchlichen Trainingsbereichen (mod. nach Seiler und Tönnessen 2009)
.
Zone VO2 [ % max] Laktat [mmol/l] % der Hfmax Trainingsbereiche
.. Abb. 7.23 Herzfrequenzverlauf während eines langen Dauerlaufs nach der extensiven Dauermethode im
GA-1-Bereich
Zoom SportZonen
Kurve Einstellungen Vollbild
zurücksetzen
Herzfrequenz (S/min)
HF (S/min)
200 181
0% 00:00:00
180 163
HF (S/min)
200
175
150
125
100
75
50
7
Belastung verursacht eine sukzessive Aufsto- werden alle Intervalle, die schneller als im
ckung der Ermüdung und soll somit die Ermü- Renntempo absolviert werden (bzw. schneller
dungswiderstandsfähigkeit erhöhen. als die Dauerleistungsgrenze sind), als inten-
Die Historie des Intervalltrainings reicht
mindestens 100 Jahre zurück. Namhafte Mittel-
Exkurs: Intervallmethode
und Langstreckenläufer wie Hannes Kohlemai-
nen, Paavo Nurmi und Rudolf Harbig Ein 10.000-m-Läufer mit aktueller Bestleistung
trainierten nach einem intervallartigen Prinzip. von 30:00 min wird diese Leistung niemals im
Dabei wechselten sich Strecken mit hoher Training realisieren können. In Form von
Geschwindigkeit und relativ langen Pausen ab. 10 × 1000 m in 3:00 min bewältigt er die
Gesamtstrecke von 10 km in 30 min durchaus.
Der tschechische Ausnahmeläufer Emil Záto-
Somit lassen sich in Intervallform weitaus
pek optimierte die bestehenden Methoden. Er höhere Trainingsumfänge mit hoher Intensität
veränderte den Trainingsumfang (höherer realisieren als mit der Dauermethode. Dies gilt
Gesamtumfang), die Intensität (geringere für alle Ausdauersportarten.
Intensität) und insbesondere die Pause (kürzer
und aktiv) gegenüber seinen Vorgängern. In
der Folgezeit wurde die Methode von vielen sive Intervalle bezeichnet und alle langsame-
erfolgreichen Sportlern anderer Sportarten ren Geschwindigkeiten als extensive Intervalle.
übernommen, wie zum Beispiel dem Skilang- Ebenfalls uneinig ist die Literatur bei der Ein-
lauf, Rudern und Schwimmen (Laursen und teilung von Intervalltraining nach Belastungs-
Buchheit 2019). dauer. Gebräuchliche Bezeichnungen sind
Eine Unterteilung von Intervalltraining Kurz-, Mittel- und Langzeitintervalle. Sehr
kann nach Belastungsintensität oder nach kurze Sprint-Intervalle werden als Sprint-Wie-
Belastungsdauer erfolgen. Bezüglich der Belas- derholungs-Intervalle und ein entsprechendes
tungsintensität wird in extensive und inten- Training als Intervallsprint-Training bezeich-
sive Intervalle unterschieden (. Abb. 7.26 net (Laursen und Buchheit 2019).
und 7.27). Eine einheitliche und sportartüber-
greifende Abgrenzung zwischen extensiv und zz Extensive Intervallmethode
intensiv existiert nicht. In der Trainingspraxis Charakteristika:
erfolgt die Abgrenzung beispielsweise über 55 mittlere Intensität 60–80 % der HFmax
die Zielgeschwindigkeit oder Leistung, die im 55 Blutlaktatkonzentration < 6 mmol/l
Wettkampf realisiert werden soll. In dem Fall 55 relativ hoher Umfang
Ausdauertraining
381 7
Zoom
Kurve Einstellungen zurücksetzen
Vollbild SportZonen
Zoom
Kurve Einstellungen Vollbild SportZonen
zurücksetzen
HF (S/min) Herzfrequenz (S/min)
200 182
15% 00:07:06
180 164
100 9% 00:04:25
109
80
0% 00:00:13
91
00:00:00 00:10:00 00:20:00 00:30:00 00:40:00 00:47:20
Trainingswirkung:
55 Verbesserung der maximalen Sauerstoff- schwimmen zu können. Doch gerade bei
aufnahme Jogging-Anfängern wird Pausieren oder
55 Verbesserung des aerob-anaeroben Gehen als Schwäche angesehen. Dabei ist
Mischstoffwechsels die extensive Intervallmethode der ideale
55 Umstellungsfähigkeit der Energiebereit- Ausgangspunkt für viele weitere darauf
stellung aufbauende Trainingsmethoden.
55 Entwicklung der Grundlagenausdauer 2
(GA 2) zz Intensive Intervallmethode
Charakteristika:
Praxistipp: extensives Intervalltraining 55 mittlere Intensität 80–90 % der HFmax
55 Blutlaktatkonzentration > 4–6 mmol/l
Aller Anfang ist schwer. Gute Vorsätze 55 geringer bis mittlerer Umfang
scheitern oftmals nicht am inneren
Schweinehund, sondern an der falschen Trainingswirkung:
Trainingsmethode. Die extensive 55 Verbesserung der maximalen Sauerstoff-
Intervallmethode eignet sich nämlich aufnahme
ideal, um zum Beispiel den „Dauerlauf“ 55 Verbesserung des aeroben und insbeson-
vorzubereiten oder im Schwimmen dere des anaeroben Stoffwechsels
dauerhaft eine längere Strecke am Stück 55 Umstellungsfähigkeit der Energiebereit-
stellung
382 F. Hanakam und A. Ferrauti
.. Tab. 7.6 Eigene Darstellung mit den angenommenen Anpassungseffekten von verschiedenen
Trainingsmethoden im Ausdauertraining auf unterschiedlichen Funktionsebenen des Organismus (– =
geringe, ± = mittlere, + = gute ++ = sehr gute Trainingswirkung)
Herz- .
VO2max + + + + + ±
Kreislauf
Kapillarisierung ++ + + + + ±
Mitochondrien ++ + + + + ±
Glykol. Flußrate - + ± ± ± +
Muskel Kreatinphosphat
& KPreg - + ± ± - +
Schnellkraft - + ± + - +
Intramuskuläre
Koord. - + ± ± - +
Intermuskuläre
Koordination Koord. - + + ± ± +
& Schnellig-
keit Sportartspez.
Technik - ± + ± - -
Belastungsverträg-
Psyche ± + + + + +
lichkeit
Ausdauertraining
385 7
häufig eingesetzte Methoden der Belastungsdo- ten genutzte Methode (Hanakam 2015).
sierung vertieft betrachtet. Die Vielzahl von Aus- Moderne Sportuhren unterstützen durch eine
dauersportarten und deren individuelle Vielzahl an Features das Training nach der Herz-
Belastungsdosierung machen eine vollständige frequenz. Trotzdem kommt es aufgrund interin-
Auflistung an dieser Stelle unmöglich. dividueller Besonderheiten und Unkenntnissen
zu Missverständnissen und fehlerhafter Anwen-
zz B
elastungsdosierung mittels Herzfre- dung dieser Methode.
quenz Die Herzfrequenz eines Erwachsenen kann
Belastungsdosierung mittels Herzfrequenzkont- sich unter Belastung gegenüber dem Ruhewert
rolle ist weltweit die wahrscheinlich am häufigs- mehr als verdreifachen. Die maximale Herz-
Sollwerte für die Steuerung des Grundlagenaus- Empfehlungen zur Berechnung der
dauertrainings nach Herzfrequenz basieren auf Maximalfrequenz
verschiedenen Formeln, in denen unterschied- 55 Männer und Frauen: 220 – Lebensalter
liche Faktoren wie das Lebensalter, die Ruheherz- 55 Frauen: 220 oder 226 – Lebensalter
frequenz, die maximale Herzfrequenz, das 55 Männer trainiert: 205 – (0,5 × Lebensalter);
Geschlecht und der Trainingszustand berücksich- Männer untrainiert: 214 – (0,8 × Lebensalter)
tigt werden. Die Formelvielfalt führt zu erheb- 55 Frauen trainiert: 211 – (0,5 × Lebensalter);
lichen Unterschieden in der Trainingssteuerung, Frauen untrainiert: 209 – (0,7 × Lebensalter)
sodass in der Praxis Verunsicherung über die
angemessenen Richtwerte existiert. Problema-
tisch ist, dass der Einfluss der Trainingsdauer in
Beispiel: 50 Jahre, HFRuhe 60 S/min, HFmax
den gängigen Formeln nicht berücksichtigt wird. 170 S/min
55 170 – Lebensalter (Baum 1971) = 120 S/min
Allgemeine Trainingsempfehlungen (in 55 180 – Lebensalter (Hollmann 1993) = 130 S/min
Abhängigkeit vom Lebensalter) 55 HfRuhe+ 80 % (Hfmax-HfRuhe) (Karvonen et al.
55 170 – 1/2 Lebensalter ± 10 S/min 1957) = 148 S/min
55 180 – Lebensalter 55 Hfmax-(0,45∗HfRuhe) (Zintl und Eisenhut 2009)
55 180 – Lebensalter ± 5 S/min = 138 S/min
55 200 – (Lebensalter × 0,7) 55 Trimming 130 (Palm 1984) = 130 S/min
frequenz sinkt mit zunehmendem Alter und ist Individuelle Sollwerte zur Trainingsherz-
individuell sehr unterschiedlich. Dafür werden frequenz orientieren sich entweder an der
unterschiedliche Gründe angeführt, die von maximalen Herzfrequenz (Spanaus 2002) oder
Pollock et al. (1993) gut in einer Multifaktoren- an der Herzfrequenzreserve (HFR; Karvonen
theorie beschrieben werden. Hierin liegt eine et al. 1957). Die daraus resultierenden Trai-
der Ursachen für die Vielzahl formelgeleiteter ningsbereiche können prozentual berechnet
Empfehlungen begründet (Exkurs: Herzfre- werden.
quenzformeln zur Belastungsdosierung).
386 F. Hanakam und A. Ferrauti
Exemplarisch ergeben sich für eine Person Um das Phänomen zu erforschen und insbe-
mit einer maximalen Herzfrequenz von 200 S/ sondere zu quantifizieren, wurde eine breit ange-
min, einer Ruheherzfrequenz von 50 S/min und legte Studie mit 135 Freizeitläufern beiderlei
einer entsprechenden HFR von 150 S/min fol- Geschlechts durchgeführt. Diese mussten an drei
gende Vorgaben für definierte Trainingsbereiche: Untersuchungstagen einen Dauerlauf mit 85 %,
ii ReKom 90 % und 95 % der Dauerleistungsgrenze über
50–60 % von 100–120 S/min
HFmax bzw. 45 min durchführen. Im Abstand von jeweils
35–50 % HFR 9 min wurde die Herzfrequenz notiert. Das
Ergebnis der Studie verdeutlicht anschaulich den
GA 1 60–80 % von 120–160 S/min
HFmax bzw. Cardio Drift (. Abb. 7.28). Ferner wird deutlich,
50–70 % HFR dass gleichaltrige weibliche Läuferinnen mit glei-
chem relativem Leistungsvermögen und eben-
GA 2 80–90 % von 160–180 S/min
HFmax bzw.
falls gleicher relativer Ausbelastung über deutlich
70–85 % HFR höhere Trainingsherzfrequenzen verfügen. Auch
als sehr gering belastend empfundene Trainings-
7 WSA 90–100 % von
HFmax bzw.
180–200 S/min
einheiten führen nach 45 min Dauer bei Män-
85–100 % HFR nern (ca. 150 S/min) und Frauen (ca. 160 S/min)
im mittleren Lebensalter zu erstaunlich hohen
Zusätzliche Unsicherheit bereitet vielen Aus- Herzfrequenzen (. Abb. 7.28).
dauersportlern das seit vielen Jahren bekannte Welche Konsequenzen ergeben sich aus
Phänomen der ansteigenden Herzfrequenz bei dem Cardio Drift für die Sportpraxis?
längerer Belastung, der sogenannte Cardiac 55 Bei konstanter Belastungsintensität steigt
Drift oder Cardio Drift. Beide Begriffe meinen die Herzfrequenz.
das Gleiche, nämlich den Anstieg der Herzfre- 55 Bei konstanter Herzfrequenz kommt es zu
quenz bei Dauerbelastungen trotz konstanter einer Geschwindigkeitsreduktion.
Intensität. Die Begrifflichkeit geht auf Ekelund
(1967) zurück, der bereits 1967 das Phänomen Soll der metabolische und koordinative Trai-
beschrieb. ningsreiz während der gesamten Trainings-
Die Ursache von Cardio Drift beruht wei- dauer erhalten werden, resultiert aus den
testgehend auf zwei Phänomenen: Befunden die Empfehlung, dass spätestens nach
55 Dehydration (Wasserverlust durch Schweiß 30 min Dauerlauf die angestrebte Zielherzfre-
führt zur Eindickung des Blutes) und quenz um ca. 5 S/min erhöht werden muss,
55 Hyperthermie (um den Körper zu kühlen nach weiteren 30 min noch einmal 4 S/min,
wird der Blutfluss vermehrt in die Periphe- anschließend 3, 2 und 1 S/min pro 30 min (5, 4,
rie geleitet). 3, 2, 1-Regel). Weil der Cardio Drift immer
einen exponentiellen Verlauf aufweist und sich
Beide Phänomene verursachen eine Reduktion bei längeren Belastungen als Parallele zur
des Schlagvolumens. Um während einer längeren x-Achse beschreiben lässt, kann das Grundprin-
Ausdauerbelastung ein konstantes Herzminuten- zip der 5, 4, 3, 2, 1-Regel auch auf andere Aus-
volumen über den gesamten Zeitraum aufrecht dauersportarten übertragen werden.
erhalten zu können, muss das zunehmend ver- In den Sportspielen nimmt die Belastungs-
ringerte Schlagvolumen kompensiert werden. steuerung mithilfe von Herzfrequenzmonito-
Dementsprechend reagiert der Körper auf das ren erheblich zu, seit nicht mehr zwingend
verringerte Schlagvolumen mit einer Erhöhung eine Armbanduhr getragen werden muss. Das
der Herzfrequenz. Ferner mag auch die redu- war aus Gründen der Verletzungsgefahr (z. B.
zierte Sauerstoffverfügbarkeit bei ggf. höherem im Basketball oder Handball) nicht in allen
Bedarf (bei zunehmender Aktivierung der Fett- Spielformen möglich. Moderne Herzfrequenz-
oxidation) eine Rolle spielen (Hanakam 2015). messung im Sportspiel erfolgt inzwischen über
Ausdauertraining
387 7
190
180
weiblich
170
Hf (S/min)
männlich
160
150
140
130
9 18 27 36 45 9 18 27 36 45 9 18 27 36 45 (min)
85 % 90 % 95 %
Herzfrequenzgurte, die ihre Daten online über ren, weil die Herzfrequenzkinetik zeitlich ver-
eine Team-Software z. B. auf das Smartphone zögert erfolgt. Die nachträgliche Messung der
des Trainers senden. Somit kann kontrolliert Trainings- und Wettspielbeanspruchung über
werden, ob der angedachte Trainingsbereich ein definiertes Zeitfenster ist jedoch möglich
von den Spielern realisiert wird, und über und kann rückblickend wertvolle Informatio-
Änderung der Spielform interveniert werden. nen auch für die Sportspiele liefern.
Zusammenfassend weist die Herzfrequenz
verschiedene Vor- und Nachteile für die Praxistipp: Herzfrequenzmessung am Hand-
Belastungsdosierung im Ausdauertraining gelenk
auf. Die meisten Vorteile ergeben sich für ein
Training nach der extensiven und intensiven In der täglichen Praxis mit Athleten erweist
Dauermethode, sofern die Referenzwerte sich die Bestimmung der Herzfrequenz über
individuell anhand von Grenzwerten (Ruhe- Uhren, die unmittelbar am Handgelenk
herzfrequenz und maximale Herzfrequenz) messen, als häufig etwas unzuverlässig.
und submaximalen Erfahrungswerten evalu- Dies ist konträr zur Erwartungshaltung, die
iert worden sind. Feste formelgeleitete Vorga- durch unterschiedliche Hersteller geweckt
ben sind hingegen extrem fehlerbehaftet. wird. Daher raten wir bislang noch, einen
Schließlich sind die Belastungsdauer (Cardio Brustgurt zu verwenden, auch wenn sich
Drift) und auch die Umgebungstemperatur dadurch mögliche Nachteile wie
(bei über 25 °C erfolgt ein weiterer Anstieg Wundscheuern oder das Gefühl, eingeengt
um ca. 5 S/min) zu berücksichtigen (Hana- zu sein, ergeben.
kam 2015). Im Gegensatz zur reinen Steue-
rung nach Laufgeschwindigkeit besitzt die
Herzfrequenz den Vorteil, dass sie wind-, zz Belastungsdosierung mittels
bodenbelag- und topografieunabhängig die Geschwindigkeit
momentane kardiozirkulatorische Bean- Ein probates Mittel zur Steuerung der Belas-
spruchung quantifiziert. Problematisch ist tungsintensität ist die Geschwindigkeit. Mit-
hingegen der Einsatz bei allen Intervallme- hilfe von Wegstreckenmarkierungen und der
thoden und auch bei der variablen Dauerme- Stoppuhr, Tachos oder zunehmend genau mit-
thode. Speziell kurze Belastungsspitzen, wie tels GPS kann die Geschwindigkeit sehr exakt
beispielsweise beim Intervallsprint-Training, gesteuert werden. Als Referenz wird dabei je
sind hinsichtlich der aktuellen Beanspru- nach Trainingsziel ein Trainingsbereich defi-
chung im jeweiligen Erfassungsmoment aus niert. Dies erfolgt beim Laufen beispielsweise
der Herzfrequenz nur schwer zu interpretie- über eine prozentuale Berechnung anhand der
388 F. Hanakam und A. Ferrauti
.. Tab. 7.7 Trainingsbereiche und -methoden für eine exemplarische Zielzeit von 50 min für einen
10-km-Lauf, modifiziert nach Joch (2004)
.. Tab. 7.8 Ableitung von Trainingsleistungen in Watt für definierte Trainingsbereiche anhand der
Functional Threshold Power (FTP)
FTP 300
(Functional Threshold Power)
GA 1 Lang 168-198 2 Ausdauer 56-75 168 - 225 60-300 min 60-300 min
GA 1 Kurz 201-225 3 Tempo 76-90 228 - 270 60-180 min 60-180 min
GA 1/2 228-270 4 Laktatschwelle 91-105 273 - 315 8-30 min 20-60 min
.
GA 2 273-315 5 VO2max 106-120 318 - 360 3-8 min 15-40 min
WSA 318-360 6 Anaerobe Kapazität 121-150 363 - 450 30 s - 3 min 5-15 min
zz B
elastungsdosierung mittels des subjektive Empfindungen, Wahrnehmungen
subjektiven Belastungsempfindens und Gefühle während einer Belastung.
Löllgen (2004) beschreibt das subjektive Belas- Die klassische lineare RPE-Skala besteht
tungsempfinden treffend mit der empfundenen aus 15 Einzelstufen mit einem numerischen
Anstrengung, die eine Versuchsperson, ein Bereich von 6 bis 20. Jedem Skalenwert kann –
Sportler oder ein Patient während einer Belas- mit zehn multipliziert – die Herzfrequenz eines
tung wahrnimmt. Lange bevor Messmethoden jungen Menschen zugeordnet werden (Borg
und Apparaturen wie Pulsuhren, Spiroergomet- 1970). Den Vorteil gegenüber einer isolierten
rie, Blutlaktatanalytik etc. zur Verfügung stan- Betrachtungsweise der Herzfrequenz sieht
den, beschränkte sich die Intensitätssteuerung Borg in folgendem Aspekt: Das Anstrengungs-
einzig auf Geschwindigkeitsmessung und das empfinden ist eine individuelle Messgröße und
subjektive Belastungsempfinden. Trainingsemp- hat einen deutlich geringeren Streubereich als
fehlungen wie „locker“ oder „ruhig“ (Lydiard die Herzfrequenz. In Situationen, in denen die
1999) mussten genügen, um die Belastungssteu- maximale Herzfrequenz nicht bestimmt wer-
erung vorzunehmen. Interessanterweise reichen den kann, ermöglicht das Anstrengungsemp-
7 diese beiden Steuerungsgrößen – Zwischenzei- finden zusammen mit der Herzfrequenz eine
ten und Belastungsempfinden – im Hochleis- Abschätzung der maximalen Herzfrequenz
tungssport anscheinend bis heute aus, um durch Extrapolieren (Borg 2004).
Weltbestleistungen zu erzielen. Von vielen Spit- In der Praxis funktioniert die Belastungsdo-
zenläufern aus Äthiopien und Kenia ist bekannt, sierung mithilfe des subjektiven Belastungsemp-
dass sie gänzlich ohne moderne Apparaturen findens unter der Voraussetzung, dass der
auskommen (Lamberts et al. 2004). Ausgehend Sportler über die Skala aufgeklärt wurde und
von diesem „Trainieren nach Gefühl“ entwickel- mehrfach darüber sein Training gesteuert hat,
ten verschiedene Wissenschaftler normierte weitestgehend gut (. Tab. 7.9). Für Kinder und
Skalen. Jugendliche empfehlen sich vereinfachte Skalen,
Konzipiert wurden die heute eingesetzten die sich am Notensystem mit Zahlen von 1–5
Skalen zunächst im Bereich der Psychophysik. orientieren oder mit Symbolen/Emojis arbeiten.
Diese wissenschaftliche Disziplin wird auch als Ein mögliches Problem besteht hingegen im
Psychophysiologie bezeichnet und untersucht Phänomen der „sozialen Erwünschtheit“, d. h. es
gesetzmäßige Wechselbeziehungen zwischen kann vorkommen, dass ein Sportler mit höherer
physikalischen Reizen und dem psychischen Intensität arbeitet als der Trainer vorgibt, um auf
Empfinden. Unterschiedliche Formeln zur diese Weise eine besondere Leistungsfähigkeit
Bestimmung des Anstrengungsempfindens des zu demonstrieren. Vorteilhaft sind wiederum
Psychophysikers Stevens setzte der schwedi- die kostengünstige Realisierung und die Schu-
sche Forscher Gunnar Borg in der Ergometrie lung von Körpergefühl und Belastungsempfin-
ein. Sein Ziel bestand darin, ein Verfahren zu den bereits im Kindes- und Jugendalter.
entwickeln, mit dem im klinischen Alltag die
maximale Intensität ohne Ausbelastung des zz Ausdauertraining mit Musik
Patienten abgeschätzt werden konnte. Es wurde Technische Innovationen erlauben die ungestörte
eine Skala benötigt, die linear mit der Leistung Kombination von Ausdauertraining und Musik-
auf dem Fahrradergometer ansteigt und somit konsum. Auf der anderen Seite mehren sich im
eine ebenfalls lineare Beziehung zur Herzfre- Zusammenhang mit erschöpfungsbedingten
quenz und Sauerstoffaufnahme aufweist. Die Unfällen beim Marathon kritische Stimmen, die
von Borg daraufhin entwickelte RPE-Skala vor der Gefahr einer motivational bedingten
(Ratings of Perceived Exertion; Borg 1970; Überbeanspruchung durch Musik warnen. Wir
Borg und Noble 1974) ist eine numerische untersuchten demnach den Einfluss von Musik
Skala zur Abschätzung des subjektiven Belas- im Training von Ausdauersportlern und Spiel-
tungsempfindens. Die Skala bündelt mehrere sportlern, letztere mit deutlich geringerer Aus-
Ausdauertraining
391 7
.. Tab. 7.9 Die RPE-Skala zur Schätzung des Anstrengungsempfindens nach Borg (2004) mit der Original-
bezeichnung (Borg und Noble 1974)
zz M
ethoden der Belastungsdosierung im
Vergleich
Die unterschiedlichen Methoden der Belas-
tungsdosierung gehen mit Vor- und Nachtei-
len einher. Aus der hohen Anzahl von
Anstieg Abfahrt in die Pedale
7 verschiedenen Ausdauersportarten und Trai- treten
ningsmethoden ergeben sich entsprechend
viele unterschiedliche Möglichkeiten der .. Abb. 7.30 Herzfrequenz, subjektives Belastungs-
empfinden (RPE), Geschwindigkeit und Wattleistung
Trainingssteuerung. Je nach Geländeprofil
beim Radfahren während einer Ausfahrt mit Anstieg,
resultieren unterschiedliche Auslenkungen Abfahrt und in der Ebene (Friel 2013)
der jeweils gewählten Methode (Friel 201;
. Abb. 7.30). Die Entscheidung für die jewei- Namen Matwejew verbunden, der als Begrün-
lige Belastungsdosierung ist unter anderem der der Periodisierung bezeichnet wird
abhängig von: (7 Abschn. 2.3). Als Erster formulierte er die
55 der Erfahrung des Athleten und dem drei Phasen der Herausbildung, Stabilisierung
jeweiligen Leistungsstand und die Phase des zeitweiligen Verlustes (Mat-
55 der Umgebungstemperatur wejew 1972).
55 den topografischen Gegebenheiten
55 den finanziellen Mitteln
55 der Belastungsdauer (z. B. beim Intervall-
training)
7.5 Ausgewählte
Trainingsprogramme
.. Tab. 7.10 Marathon: Jahresübersicht eines leistungsorientierten Marathonläufers mit zwei Leistungshöhepunkten im Jahr (Frühjahrs- und Herbstmarathon)
Unmittelbare
Phase Regeneration Erholung Allgemeine Vorbereitungsphase Spezielle Vorbereitungsphase Wettkampfvorberei- Wettkampfphase Übergang
tungsphase (UWV)
Regeneration Allgemeine Athletik (Koordination, Regeneration
und Beweglichkeit, Technik, Kraft), Spezifische und
Allgemeine Athletik und spezifische Wettkampfspezifische
Inhalte/ kompen- unspezifisches Ausdauertraining Ausdauer im kompensa-
Ausdauer im Laufen (GA1, GA1-2, GA2) Ausdauer (WSA, GA1)
Schwerpunkte satorisches (Skilanglauf, Rad/MTB, Schwimmen, Laufen (GA1-2, GA 2) torisches
Training Aquajogging), Ausdauer im Laufen Training
(GA1, KA1) (REKOM)
(REKOM)
Erhöhung Erhöhung der allgemeinen Leistungsgrundlagen Erhöhung der speziellen Ausprägung der Wettkampfleistung Erholung
Ziele Leistungsvorraussetzungen
Allgemeine Vorbereitungsphase
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
Dienstag Einlaufen 15 min, 15 min Lauf ABC, 90 min Radfahren oder 60 min
3 Steigerungen über 150 m, Aquajogging (ReKom)
4 5 × 2000 m in Halbmarathonrenntempo, 10 min
Auslaufen
Samstag 16 km Crescendolauf
(4 km GA 1, 4 km GA 1–2, 4 km GA 2, 4 km GA 1)
Unmittelbare Wettkampfvorbereitungsphase
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
Wettkampfwoche Marathon
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
Sonntag Marathonwettkampf
Ausdauertraining
.. Tab. 7.12 Triathlon: Jahresübersicht eines leistungsorientierten Triathleten mit einer durchschnittlichen Jahres-Trainingsdauer von ca. 15 h/Woche mit dem
Saisonziel Triathlon-Langdistanz (HM = Halbmarathon, KA = Kraftausdauer, KD = Kurzdistanz, LD = Langdistanz, SD = Sprintdistanz, TL = Trainingslager)
Inhalte viel unspezifisches Ausdauertraining vermehrt disziplinspezifisches Ausdauertraining mit hohe Umfänge GA 1 und geringe bis mittlere viel sportartspezifisches Ausdauertraining
(MTB, Ruderergometer, Aquajogging, Skilanglauf) zunehmenden Anteilen Radtraining Umfänge (Koppeltraining)
spezifisches Ausdauertraining mit dem Schwerpunkt unspezifisches Ausdauertraining beibehalten (MTB, WSA, sehr geringe Umfänge GA 1/2 und GA 2 Freiwasserschwimmen
Schwimmen & Laufen Ruderergometer, Aquajogging, Skilanglauf) (bipolares Training) hohe Umfänge GA 1 und mittlere Umfänge GA 1/2
Zirkeltraining Kraft (KA) Koordinationstraining in allen drei Spezialdisziplinen geringe Anteile unspezifisches Ausdauertraining und GA 2
Muskelaufbautraining Koordinationstraining überwiegend im Schwimmen Wettkämpfe bestreiten
zunehmend Koppeltraining Rad-> Lauf Krafttraining reduzieren/streichen
Maximalkrafttraining
7 397
398 F. Hanakam und A. Ferrauti
.. Tab. 7.13 Triathlon: Wochenübersicht eines leistungsorientierten Triathleten mit einer durchschnitt-
lichen Jahres-Trainingsdauer von ca. 15 h/Woche mit dem Saisonziel Triathlon-Langdistanz
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
7 Mittwoch Nüchternlauf 14 km GA 1
6× 50 m Steigerungslauf mit 2′ Trabpause
Donnerstag Spinning-Kurs 1
KW 14 – Unmittelbare Wettkampfvorbereitungsphase
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
Mittwoch Nüchternlauf 18 km GA 1
KW 24 – Wettkampfphase
Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2
Montag Ruhetag
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Techniktraining
Arno Krombholz
Literatur – 451
Der Mensch lernt immer und überall. Er kann nicht stätten, Wetter) sowie den Besonderheiten der
nicht lernen, auch wenn kein Lehrer oder Trainer in Sportart, ggf. des Sportgerätes und den Voraus-
seiner Nähe ist! Lehrer und Trainer sind Wegbeglei- setzungen des Sportlers beeinflusst (. Abb. 8.1).
ter, die dem Lernenden helfen, Umwege und Sack- Schließlich wird gesondert auf spezifische Vor-
gassen zu vermeiden. gehensweisen (z. B. Bewegungskorrektur, Vi-
deofeedback) eingegangen, die in der Trainings-
Zusammenfassung praxis häufig zur Anwendung kommen.
Techniktraining findet in einem Kontinuum zwi-
schen der Ausrichtung an einer spezifischen
Wettkampftechnik und dem Training allgemei- 8.1 Bedeutung und
ner koordinativer Fähigkeiten statt. Vor dem Erscheinungsformen von
Hintergrund informationsverarbeitender An- Technik und Koordination
sätze der motorischen Steuerung und Kontrolle
sind Technikleitbilder und deren Herleitung eine Die Frage, wie der Mensch Bewegungen effizi-
essentielle Grundlage für das Techniktraining. ent lernt und trainiert, stellt bis heute die viel-
Aus der Außenperspektive sind biomechani- leicht größte Herausforderung für die (Sport-)
sche, morphologische und funktionale Heran- Wissenschaft sowie die Trainingspraxis im
gehensweisen leitend für die Technikanalysen.
8 Zur Erfassung der inneren Prozesse und Disposi-
Sport dar (. Abb. 8.1). Das Lernen und Trai-
nieren von sportlichen Techniken ist nicht
tionen bei der motorischen Steuerung und Kon- nur eine wesentliche Leistungskomponente in
trolle sowie dem Lernen und Trainieren sportli- wettkampforientierten Settings, sondern findet
cher Bewegungen gibt es unterschiedliche auch im Kontext von freizeit- oder gesundheits-
Modelle und Erklärungsansätze, die exempla- sportlichen Aktivitäten ohne Wettkampforien-
risch aufgegriffen werden. Die methodischen tierung statt (z. B. Sport mit behinderten und/
Vorgehensweisen des Techniktrainings richten oder chronisch kranken Menschen, . Abb. 8.2).
sich an der effizienten Realisierung sportlicher Gleichfalls kann auch eine ökonomische und
Techniken im Wettkampf, im Alltag und in der verletzungsfreie Bewältigung von Alltagssitua-
Freizeit aus (z. B. Leistungssport, Rehabilitations- tionen leitend für ein (sportliches) Techniktrai-
sport, Behindertensport). Sie werden maßgeb- ning sein (z. B. im Reha- oder Seniorensport).
lich von den Rahmenbedingungen (z. B. Sport-
Daher ist ein sehr weiter Blickwinkel auf In den Publikationen der Sportwissenschaft
das Techniktraining angemessen, der ver- findet man eine große Bandbreite von Be-
schiedene Zielsetzungen und Methoden in den griffsbestimmungen und Systematisierungs-
unterschiedlichen Anwendungsbereichen be- versuchen in Zusammenhang mit Techniktrai-
rücksichtigt. In einem ersten Schritt sollen die ning, welche unter anderem durch eine mehr
bestimmenden Begriffe im Kontext von Tech- oder weniger ausgeprägte Verankerung in den
niktraining als Grundlage für die Darstellungen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen (Be-
in den nachfolgenden Kapiteln erläutert und de- wegungswissenschaft, Trainingswissenschaft,
finiert werden. Sportmedizin, Sportpsychologie, Sportpäda-
gogik, Sportdidaktik) begründet ist und zwei
Begriffsabgrenzung: sportliche Tech-
niken und sportliche Bewegungen unterschiedliche Betrachtungsweisen erken-
nen lässt (. Abb. 8.4):
Die Begriffe sportliche Techniken und sport-
55 Die Innenperspektive fokussiert auf die in-
liche Bewegungen bzw. Bewegungshand-
ternen (physiologischen) Prozesse sowie
lungen und Aktionen werden in diesem Ka-
deren Funktionalität in Ausrichtung auf
pitel kontextbezogen synonym gebraucht.
die situativ angepasste Lösung einer Bewe-
In Anlehnung an Neumaier und Krug (2003)
gungsaufgabe.
wird in den folgenden Abschnitten somit
55 Die Außenperspektive betrachtet die sicht-
auch keine Abgrenzung von Bewegungs-
baren Aspekte der Bewegung in Ausrich-
lernen und Techniktraining vorgenommen,
tung auf die situativ angepasste Lösung ei-
da Techniktraining immer das Lernen von
ner Bewegungsaufgabe, die sich in Form
Bewegungen beinhaltet und damit auch
von qualitativen und quantitativen Bewe-
alle Aspekte der Bewegungskoordination
gungsmerkmalen erfassen lassen.
subsumiert. Das Gleiche gilt für die kontext-
bezogene Benennung der anleitenden Per-
Sportliche Techniken können sich simultan
sonen (Trainer oder Lehrer) sowie die Adres-
und sukzessiv aus mehr oder weniger vielen
saten (Trainierende bzw. Lernende).
Teilkomponenten zusammensetzen (Kromb-
holz 2009). Die Spezifik einer Technik ergibt
sich durch das Handlungsziel, welches durch
408 A. Krombholz
8
Die im deutschsprachigen Raum üblichen
Differenzierungen zwischen sportmotori-
schen Fertigkeiten und (koordinativen) Fä-
higkeiten sind in der Trainingspraxis kaum
zielführend abgrenzbar und in einem Konti-
nuum zwischen der Allgemeinheit bzw. Über-
tragbarkeit koordinativer Fähigkeiten und
der Spezifität von Zieltechniken zu verorten
.. Abb. 8.3 Ballmitnahme/Dynamic Power Position
(7 Abschn. 8.4). Somit stehen sportmotori- im Fußballtraining: Training der (koordinativen)
sche Fertigkeiten auch in einem unmittelba- Fähigkeiten mittels der sogenannten Agility-Leiter
ren, kaum abgrenzbaren Zusammenhang zu mit dem Ziel einer Verbesserung der (sportlichen)
den sportlichen Techniken (. Abb. 8.3). Da- Technik der Ballannahme aus der Bewegung. Die
her wird in den folgenden Darstellungen le- Übergänge zwischen koordinativen Fähigkeiten,
Fertigkeiten oder Technik sind fließend. Insbesondere
diglich zwischen sportlichen Techniken und die Unterscheidung zwischen Fertigkeit und
koordinativen Fähigkeiten unterschieden. (sportlicher) Technik ist kaum trennscharf zu
In der englischsprachigen Literatur sind der definieren
Gebrauch und die Abgrenzung der Begriffe
ähnlich unscharf (sportliche Fertigkeiten = Aus informationstheoretischer Sicht ist für
Motor Skills; sportliche Fähigkeiten = Motor das Verständnis der internen Dispositionen
Abilities). Den Begriff Sports Technique fin- und Prozesse das Konstrukt einer Bewegungs-
det man eher im biomechanischen Kontext. vorstellung als Grundlage für die Betrachtung
Techniktraining
409 8
der Steuerung und Kontrolle sportlicher Tech- informationsverarbeitenden Ansätzen der
niken zielführend, um die internen Aspekte Steuerung und Kontrolle von Bewegungen
beim Techniktraining als zentrale Instanz ab- schlussfolgern (7 Abschn. 8.3): Ist die Bewe-
zubilden (7 Abschn. 8.3). gungsvorstellung einer handelnden Person
komplett und funktional angemessen in Bezug
Bewegungsvorstellung (Synonym:
interne Repräsentation der Bewe- auf die Bewegungsaufgabe bei den herrschen-
gung) den Umgebungsbedingungen, dann kann
In der Bewegungsvorstellung des Sport- man die Bewegung ausführen, sofern es keine
lers sind alle ihm zugänglichen impliziten internen oder externen Hindernisgründe gibt
(unbewussten) und expliziten (bewuss- (z. B. unzureichende physische Voraussetzun-
ten) Informationen über den Bewegungs- gen, fehlende Motivation, Krankheit, defektes
ablauf bzw. die sportliche Technik zusam- oder ungeeignetes Material).
mengefasst. Eingeschlossen sind auch die
eigenen Bewegungserfahrungen mit un-
terschiedlichen sensorischen Anteilen 8.2 Bewegungsanalyse und
(z. B. optisch, akustisch, kinästhetisch), Technikleitbilder
aber auch rein kognitive Aspekte (Grosser
und Neumaier 1982; Krombholz 2009). Einen Überblick der bewegungswissen-
schaftlichen Betrachtungsweisen sportlicher
Technik verschafft . Abb. 8.4. In einem Kon-
tinuum zwischen Außenaspekten und In-
Eine Bewegungsvorstellung hat einen sehr
nenaspekten sportlicher Bewegungen sind
komplexen Charakter: In ihr sind alle Aspekte
auf der linken Seite die morphologischen,
einer Bewegungshandlung mit den kinästhe-
biomechanischen und funktionalen Ana-
tischen, taktilen, vestibulären, visuellen und
lysen zu verorten, welche in diesem Kapitel
auditiven Anteilen sowie der sprachlichen
im Zusammenhang mit der Ableitung von
Kodierung derart miteinander verknüpft,
Technikleitbildern erläutert werden. Auf
dass die zeitlichen und dynamischen Relatio-
der rechten Seite der Abbildung finden sich
nen der Bewegung als Gesamtbild repräsen-
die Erklärungsansätze der Motorik, welche
tiert sind. Die Modalitäten können, vor allem
sich auf die internen Dispositionen und
in Bezug auf die visuellen Aspekte, außen-
Prozesse der Steuerung, Kontrolle und Ver-
orientiert sein (Außensicht) oder aus der In-
änderung sportlicher Techniken beziehen.
nensicht heraus erfolgen (Meinel und Schna-
In 7 Abschn. 8.3 werden exemplarisch die
bel 2007). Meist entsteht beim Erwerb der
systemdynamischen, informationsverarbei-
Grundstruktur einer Technik zunächst eine
tenden und effektorientierten Erklärungsan-
Vorstellung aus der Außensicht ohne wesent-
sätze der Motorik dargestellt.
liche Bewegungsempfindungen (z. B. beim
Betrachten von Sollwerten). Im weiteren Trai-
Morphologie
ningsprozess bildet sich die Innensicht auf-
grund der Wahrnehmung und Verarbeitung Lehre von der äußeren Form bzw. Gestalt
bewegungsbegleitender sensorischer Infor- von Dingen und Erscheinungen. In der
mationen heraus, welche auch als Bewegungs- sportlichen Praxis übliche Betrachtungs-
gefühl bezeichnet wird. weise des äußeren Bewegungsablaufs
Demnach kann man für das Trainieren (Meinel und Schnabel 2007).
sportlicher Techniken in Ausrichtung an den
410 A. Krombholz
Außenperspektive
Innenperspektive
biomechanische Sportliche Ansätze der
Analysen Effektkontrolle
Techniken
morphologische systemdynamische
Analysen Ansätze
.. Abb. 8.5 Unterschiedliche Körperpositionen in derselben Phase der Technik Kurzschwung beim alpinen
Skilauf
Technikleitbild Zieltechnik
Sollwert
Rahmentrainingsplan
Nachwuchsförderung
Sollwert
Lehrplan Sport
Schule
.. Abb. 8.7 Verortung von Sollwerten in einem (Fotos: Andrea Bowinkelmann, © Landessportbund
Kontinuum zwischen einem personenunabhängigen Nordrhein-Westfalen)
Technikleitbild und der individuellen Zieltechnik
Techniktraining
413 8
Regelwerk (z. B. Hochsprung: einbeiniger Absprung,
Langlauf klassische Technik: Schlittschuh-
Systematische Beobachtung und Analyse sportlicher schritte sind verboten, Basketball: Schrittre-
Techniken von Spitzensportlern und Freizeitsportlern
gel).
Praktisch-methodische Erfahrungen und/oder Bei einer Ableitung von Technikleitbildern
Plausibilitätsbetrachtungen von Lehrern und Trainern auf der Basis der Beobachtung und Analyse der
Funktionale Analysen sportlicher Technik
Techniken von Spitzensportlern erfordern die
besonderen athletischen und sportartspezi-
Morphologische und biomechanische Analysen sowie fischen Voraussetzungen der Spitzensportler
mathematische Modellierungen sportlicher Technik
ggf. eine zielgruppenspezifische Anpassung
der erfassten Merkmale für die Darstellung ei-
.. Abb. 8.8 Vorgehensweisen bei der Ableitung von
Technikleitbildern und Sollwerten nes Technikleitbildes. Des Weiteren findet sich
gerade im Hochleistungsbereich eine zum Teil
sich demnach mehr oder wenig stark an den starke interindividuelle Streuung von sport-
Voraussetzungen der Sportler, der Sportge- lichen Techniken bei gleichen Bewegungsauf-
räte und/oder der Umgebungsbedingungen gaben wieder. Diese müsste bei der Bestim-
aus und kann daher kaum exakte (nummeri- mung von Techniksollwerten berücksichtigt
schen) Merkmale als Grundlage für das Tech- werden. Zudem wäre es auch möglich, sport-
niktraining, sondern lediglich einen Orien- liche Techniken der jeweiligen Zielgruppen zu
tierungsbereich liefern (Neumaier und Krug analysieren (z. B. Freizeitsportler, jugendliche
2003). Sportler). Jedoch muss man bei dieser Vorge-
Vor diesem Hintergrund ist für das Tech- hensweise von einer stark ausgeprägten inter-
niktraining eine unreflektierte Übernahme von und darüber hinaus auch intraindividuellen
Technikdarstellungen aus Lehrwerken oder Streuung der sportlichen Techniken ausgehen.
anderen Quellen wenig angemessen. Vielmehr Daher müssten größere Stichproben für die
bedarf es ihrer kritischen Überprüfung in Aus- Bewegungsanalyse zugrunde gelegt werden.
richtung auf die Adressaten und die Rahmen- Praktisch-methodische Erfahrungen so-
bedingungen der Sportart. Im Folgenden soll wie Plausibilitätsbetrachtungen von Lehrern,
aufgezeigt werden, welche prinzipiellen Vorge- Lehrbuchautoren und Trainern können die
hensweisen bei der Ableitung bzw. Ermittlung anderen Verfahren ergänzen oder auch die
von Technikleitbildern unterschieden werden alleinige Grundlage für die Ermittlung von
können . Abb. 8.8 (Roth 1996; Neumaier Techniksollwerten in einer Sportart sein. Dies
1997; Neumaier und Krug 2003; Krombholz ist vor allem in Sportarten der Fall, in denen
2009). noch wenig gesicherte biomechanische Be-
In vielen Sportarten hat das Regelwerk funde vorliegen. In diesem Zusammenhang
einen erheblichen Einfluss auf die sportliche hat sich herausgestellt, dass eine systematische
Technik und damit auch auf die Entwick- Koordinierung von Expertenwissen hilfreich
lung von Technikleitbildern. Diese Regle- ist, um die Erkenntnisse aus den vielfach sub-
mentierungen können sich auf das Material jektiven Plausibilitätsbetrachtungen zusam-
(z. B. Hockey, Ski alpin) oder auch auf Kri- menzuführen und abzustimmen (Krombholz
terien der Bewegungsausführung beziehen 2009).
414 A. Krombholz
Bei der Ableitung von Technikleitbildern kann tät der Erkenntnisse zu gewährleisten. So konn-
auch eine Analyse sportlicher Techniken durch ten beispielsweise im Rahmen von Analysen der
systematische Bewegungsanalysen (größerer Technik Kurzschwung im alpinen Skilauf (n =
Stichproben) zu verwertbaren Erkenntnissen füh- 560), bei der 35 Bewegungsmerkmale erfasst
ren (Krombholz 2009). Eine vorausgehende Be- wurden, mithilfe einer konfirmatorischen Fakto-
stimmung maßgeblicher Merkmale auf der Basis renanalyse vier latente Faktoren (Körperhaltung,
von Plausibilitätsbetrachtungen und/oder biome- Skistellung, Skisteuerung, Spurbild) mit jeweils
chanischer Erkenntnisse wäre für eine Fokussie- drei Items personenunabhängig und situations-
rung auf ausgewählte Merkmale bei den Bewe- unspezifisch im Sinne eines Technikleitbildes
gungsanalysen zielführend. Jedoch sind derartige identifiziert werden (. Abb. 8.9, Herrmann et al.
Verfahren sehr aufwendig, da man größere Stich- 2017).
proben anstreben müsste, um die externe Validi-
Ober-
.97 körper
.76 Ski-
.96 stellung
.92 Unter-
schenkel
.71 .69
Skienden
.97
.90
.65
.58 Kanten
.65
Rhythmus
1.00
.80
Tempo
.. Abb. 8.9 Ableitung eines Technikleitbildes Kurzschwung auf der Basis der Analyse von Freizeitsportlern
(Herrmann et al. 2017; Foto: Kililan Kimmeskamp)
Techniktraining
415 8
8.2.2 Funktionale Analysen (Wollny 2007). Der Kern einer solchen Heran-
sportlicher Technik gehensweise ist nach Göhner (1992) dadurch
charakterisiert, dass man nach den Bestand-
Ein weiteres Verfahren, welches sich als sehr teilen bzw. den Technikelementen einer sport-
praktikabel erwiesen hat, stellt die deduktive lichen Technik sucht, die wesentlich zum Er-
Ermittlung von Strukturen sportlicher Techni- reichen des Bewegungsziels beitragen. Diese
ken dar. Dieses ist ebenfalls in Ergänzung zu Bestandteile machen die funktionalen Ele-
den anderen aufgezeigten Verfahren zu sehen mente bzw. Funktionsphasen aus, die sich ggf.
und stützt sich unter anderem auf die Erfas- hierarchisch ordnen lassen (z. B. Absprung bei
sung grundlegender Strukturen sportlicher einem Salto vorwärts). Alle Bewegungsphasen
Bewegung sowie die funktionale Belegung von erfüllen eine bestimmte Teilfunktion und sind
Bewegungsmerkmalen. durch funktionale Beziehungen miteinander
Funktionale Betrachtungsweisen fassen verknüpft. Diese Phasenstruktur stellt auch
menschliche Bewegungen als zielgerichtete eine zeitliche Gliederung dar (Meinel und
Handlungen auf, bei denen jede einzelne Ak- Schnabel 2007). Bei azyklischen Bewegungen
tion eine zweckhafte, sinnbezogene (Teil-) geht man von einer Dreiteilung aus, die bei
Leistung zur Bewältigung vorgegebener Situa- komplexen Bewegungen noch weiter unter-
tions- oder Problemkonstellationen darstellt teilt werden kann.
Für die azyklische Technik eines Handstützüber- ursächliche Beziehungen zwischen den Phasen
schlags zeigt . Abb. 8.10 exemplarisch eine spezifiziert werden. Aufgrund der komplexen
ablauforientierte Grundstruktur. Trotz der zeitlich Phasenstruktur der Technik ist eine Unterteilung
strukturierten, ablauforientierten Ausrichtung der Vorbereitungsphase und der Hauptphase
können funktionale Zusammenhänge über geboten.
V1 V2 V3 H1 H2
.. Abb. 8.12 Qualitative und quantitative Bewegungsmerkmale (mod. nach Meinel und Schnabel 2007;
Krombholz 2009)
Analysen der Feinstruktur sportlicher Training beurteilt werden. Die Analyse er-
Techniken können mit mehr oder weniger fordert jedoch Erfahrung und Wissen über
aufwendigen Messverfahren durchgeführt die Bewegungsstruktur, die der Beobachtung
werden. Schon Grosser und Neumaier (1982) unterzogen wird (Loosch 1999). Eine solche
machen deutlich, dass es erhebliche Über- morphologische Betrachtungsweise von Be-
schneidungen bezüglich der differenzierten wegungen ist gleichermaßen beschreibend
Feinstruktur einer Bewegung gibt. So lassen und erklärend. Roth und Willimczik (1999)
sich beispielsweise zwischen den qualitativen heben die nach wie vor große Bedeutung des
Merkmalen Bewegungspräzision, Bewegungs- morphologischen Ansatzes in der Sportpra-
tempo und Bewegungsumfang bei deren Ope- xis hervor und bescheinigen ihm, mit einer
rationalisierung direkte Verbindungen zu den Ausrichtung auf die äußere Struktur der
kinematischen Längenmaßen, Zeitmaßen, Bewegung, ein tragfähiges Konzept für Be-
Lagemerkmalen und Geschwindigkeitsmerk- wegungsanalysen darzustellen, obwohl auf-
malen sowie den Beschleunigungen herstellen grund der fortschreitenden digitalen Techno-
(. Abb. 8.12). logien komplexe biomechanischen Analysen
Liegt ein ausgewogenes, funktionales mit überschaubarem finanziellem und or-
Verhältnis in der Ausprägung aller Merk- ganisatorischem Aufwand in der Trainings-
male vor, so ist die sportliche Technik effizi- praxis einsetzbar sind. Trotzdem sollte stets
ent (quantitativ) und/oder wirkt als Ganzes eine Abwägung zwischen Kosten/Aufwand
harmonisch (qualitativ; Meinel und Schna- und Nutzen erfolgen, um einer inflationären
bel 2007). Vor allem die sogenannten ele- Verankerung von digitalen Hilfsmitteln im
mentaren qualitativen Bewegungsmerkmale Techniktraining vorzubeugen.
können ohne großen messtechnischen Auf- Andererseits können sehr komplexe und
wand beschrieben und beispielsweise im schnelle sportliche Bewegungen nur unzurei-
418 A. Krombholz
chend durch das bloße Auge in allen Details angewandten markerbasierten (optischen) Me-
erfasst werden. Eindimensionale Videoanaly- thode, bei der reflektierende Marker auf die Haut
sen (z. B. in Super Slow Motion) liefern hierzu des Probanden geklebt werden (. Abb. 8.13b),
zwar wichtige Hilfestellungen, ermöglichen je- kommen in jüngster Vergangenheit durch den
doch nicht die Ableitung von umfangreichen technologischen Fortschritt auch immer mehr
quantitativen kinematischen Größen. Folglich markerlose Motion-Capturing-Systeme zum
können zur biomechanischen Bewegungsana- Einsatz (Abrams et al. 2011). Somit werden ent-
lyse zusätzlich Verfahren der dreidimensiona- weder die Silhouette eines Athleten oder die re-
len Bewegungserfassung eingesetzt werden. flektierenden Markerpunkte vom Hintergrund
Diese ermöglichen es, auch komplexe mensch- extrahiert und in ein mathematisches Modell
liche Bewegungen in computergenerierte ma- des Menschen integriert. Anschließend können
thematische Modelle zu überführen. Die Auf- vielfältige Segmentcharakteristika und kinema-
zeichnung von dreidimensionalen Bewegungen tische Parameter (z. B. Gelenkwinkelstellungen,
kann mittels optischer Verfahren, Infrarot, Ul- Bewegungsumfänge sowie Rotations- und Seg-
traschall, magnetischer oder inertialer Verfah- mentgeschwindigkeiten) aus diesem Modell be-
ren erfolgen (Menache 2000). Neben der häufig rechnet werden (Wollny 2007).
Im Rahmen eines vom Bundesinstitut für Sportwis- phase) sowie höhere Winkelgeschwindigkeiten in
senschaft (BISp) geförderten Projekts mit dem Kurz- der Knieextension des hinteren Beins, der Schulter-
titel TenServe – der schnelle Arm im Tennis erfolgten innenrotation und der Ellenbogenextension (Be-
umfangreiche kinematische Bewegungsanalysen der schleunigungsphase) bei der schnelleren Aufschlag-
Aufschlagbewegung im Tennis. Zur Vorbereitung gruppe. Darüber hinaus wurde die Kinematik der
wurden Ranglistenspieler mit 90 reflektierenden Aufschlagbewegung im Seitenvergleich (Aufschläge
Markern an definierten Gelenkpunkten beklebt von der Einstand-Seite bzw. Vorteil-Seite) untersucht.
(. Abb. 8.13b). Mithilfe eines markerbasierten Mo- Dabei wurde deutlich, dass die Spieler von rechts
tion-Capturing-Systems, bestehend aus acht Infra- und links erstaunlicherweise zwei völlig unterschied-
rotkameras, wurden anschließend verschiedene Auf- liche Aufschlagbewegungen realisieren. Dies liegt
schlagtechniken aufgezeichnet, dreidimensional daran, dass die Spieler ihre Ausgangsposition nur
modelliert und hinsichtlich kennzeichnender kine- unzureichend an die veränderte Zielperspektive an-
matischer Parameter analysiert (. Abb. 8.13a). Die passen und ihre Fußposition fälschlicherweise an der
Ergebnisse einer vergleichenden Betrachtung von Grundlinie ausrichten. Die identifizierten Ergebnisse
schnellen und langsamen Aufschlägern zeigen eine werden für die Trainingsmethodik aufbereitet und an
größere Lateralflexion des Rumpfes (Vorbereitungs- die Sportpraxis vermittelt.
Synapsen
Axone
Ausgangssituation neue Erfahrung/ Erfahrung/Training über Eliminierung Erfahrung wiederholt/
Lernen einen längeren Zeitraum der Erfahrung Neulernen
.. Abb. 8.14 a–e Umbildung von Synapsen in der Großhirnrinde durch Lernen und Gedächtnis (nach Engel
2018, 7 Kap. 25, S. 972)
Ebenso wie bei der neuronalen Steuerung len (Bezzola et al. 2011). Allerdings treten
und Kontrolle von Bewegungshandlungen Anpassungen im Rahmen von motorischen
sind bei den neuronalen Vorgängen moto- Lernen nicht nur im Gehirn, sondern auch
rischen Lernens verschiedene Bereiche und hinsichtlich der Rekrutierung und Frequen-
Instanzen des Nervensystems involviert. So zierung der spinalen, d. h. im Rückenmark
treten funktionelle und strukturelle Anpas- gelegenen α-Motoneuronen auf (Del Vecchio
sungen im motorischen und somatosensori- et al. 2019).
schen Kortex, im Kleinhirn sowie im Stamm-
hirn auf (Seidler 2010; Buch et al. 2017). Des
Weiteren konnte gezeigt werden, dass neuro- 8.3.2 Informationsverarbeitende
nale Plastizität nicht nur die Nervenzellen Ansätze
(graue Substanz), sondern auch die Nerven-
bahnen bzw. -fasern (weiße Substanz) betrifft Die Grundannahme der informationsverarbei-
(Steele und Zatorre 2018). In Zusammenhang tenden Ansätze (Synonyme: kognitive Ansätze,
mit der Ausbildung neuer Verschaltungen im informationstheoretische Ansätze) ist die Steu-
Motorkortex spricht man auch von kortikaler erung und Kontrolle von Bewegungen durch
Plastizität und kortikalen Karten. Kortikale eine zentrale, höhere Instanz (z. B. motorischer
Karten bezeichnen Gehirnareale, die bei der Kortex). Schmidt (1975) und Schmidt und Lee
Ausführung bestimmter Bewegungshandlun- (2011) führen in der Schematheorie (Syno-
gen eine erhöhte Aktivität aufweisen, sodass nym: Theorie generalisierter motorischer Pro-
man davon ausgeht, dass es sich hierbei um gramme) die Ansätze der Programmtheoreti-
spezifische neuronale Netze handelt. In die- ker (Open-Loop-Kontrolle, z. B. Keele 1968)
sem Zusammenhang konnte beispielsweise und der Regelkreistheorien zusammen (Clo-
gezeigt werden, dass ein dreimonatiges Jon- sed-Loop-Kontrolle z. B. Adams 1971; Meinel
gliertraining zu strukturellen Veränderun- und Schnabel 1976).
gen in den Gehirnbereichen führte, die für
visuomotorische Aufgaben zuständig sind Grundlagen:
(Draganski et al. 2004). Ebenso führten 40 55 (Allgemeine) Motorikprogramme werden
Stunden Golftraining bei 40-60-jährigen An- durch zeitlich strukturierte Impulse an die
fängern zu einer Zunahme an grauer Subs- relevanten Muskelgruppen (Impuls-
tanz in den aufgabenspezifischen Hirnarea- Timing-Hypothese) für eine Klasse von
422 A. Krombholz
Viele Erkenntnisse der Systemdynamik wurden zu erzielen (. Tab. 8.1; zum vertiefenden Stu-
in der Physik (z. B. Thermodynamik) gewon- dium s. Künzell 1996; Schöllhorn et al. 2009,
nen und anschließend auf lebendige Systeme 2015).
übertragen. Die Grundgedanken im Bereich Grundlagen:
der Sportmotorik gehen unter anderem auf 55 Bewegungen sind durch die selbstorgani-
Bernstein (1987) zurück, der die zielführende sierte Entstehung von geordneten Struktu-
Bewältigung einer Bewegungsaufgabe an die ren (Emergenz) charakterisiert und diffe-
Auswahl angemessener Lösungsmöglichkeiten renzieren sich in (relativ) stabile und
sowie die Überwindung der überflüssigen Frei- (relativ) instabile Zustände (. Abb. 8.15).
heitsgrade knüpft. Zu diesem Zweck wird eine Sie entwickeln sich in Abhängigkeit von
Variabilität der Bewegungsparameter erzeugt externen Parametern selbständig in Rich-
(Suchtstreuung), um die optimale Anpassung tung stabiler Zustände (z. B. Übergang
der Bewegungshandlung in Ausrichtung auf vom Gehen zum Laufen in Abhängigkeit
die Intention und die Ausgangsbedingungen von der Geschwindigkeit, Regulation der
.. Tab. 8.1 Beispiele zu dem aus der Systemdynamik abgeleiteten differenziellen Lernen bei der Annahme
im Volleyball und des Sprints in der Leichtathletik (mod. nach Beckmann und Gotzes 2009; Römer et al. 2009)
8
Aufgabe Veränderte Parameter
vom
Laufen
zum
Gehen
Gehen Laufen
Gehen Laufen
vom
Gehen
zum
Laufen
.. Abb. 8.15 Stabile Zustände und instabile das menschliche System relativ lange in dem
Übergänge zwischen dem Gehen und Laufen in bestehenden Bewegungsmuster. Daher findet der
Abhängigkeit von der Geschwindigkeit als variablem Wechsel des Bewegungsmusters bei unterschied-
Parameter. Beim Wechsel der Bewegungsmuster lichen Geschwindigkeiten statt (Hystereseeffekte;
(vom Gehen zum Laufen und umgekehrt) verharrt nach Hossner et al. 2013)
Techniktraining
425 8
Körperposition und Skibelastung bei un- internen Vorgänge auf mikroskopischer
terschiedlichen Schneearten). Ebene sehr komplex sind.
55 Das System als Ganzes (hier der Mensch) 55 Die Voraussetzung für die Erfassung stabiler
weist Ordnungsprinzipien auf, an die sich Systemzustände ist die Identifikation geeigne-
die Systemteile in Abhängigkeit von exter- ter Ordnungsparameter, die das Bewegungs-
nen Parametern selbstorganisiert einem muster hinreichend genau charakterisieren.
Optimum annähern. 55 Bewegungsschwankungen werden zugelas-
55 Bei (bzw. kurz vor) dem Übergang in ei- sen, ja sogar initiiert und nicht korrigiert.
nen anderen stabilen Systemzustand sind
veränderte (instabile) Bewegungsmuster Die Kritik an den systemdynamischen An-
beobachtbar und wurden empirisch nach- sätzen leitet sich vor allem daraus ab, dass die
gewiesen. grundlegenden Phänomene vom Unbelebten
(Physikalischen) auf den Menschen übertragen
Folgerungen für die Trainingspraxis (Birklbauer werden. So wird beispielsweise die intentionale
2006; Schöllhorn et al. 2009): Ausrichtung sportlicher Bewegungshandlun-
55 Die Veränderung der (Kontroll-)Parame- gen kaum berücksichtigt (Nitsch und Munzert
ter ist eine grundlegende Vorgehensweise 1997). Außerdem werden unfunktionale oder
bei der Gestaltung von Techniktraining. gar gesundheitsgefährdende Bewegungsmuster
55 Differenzen zwischen den Bewegungsaus- nicht hinreichend erklärt (z. B. falscher Laufstil,
führungen können durch folgende Verän- der zu Schädigungen der Gelenke führen kann).
derungen von Parametern erzeugt werden: Zudem sind die Effekte von Modelllernen (z. B.
55 Variation der Anfangs-, Durchfüh- oberservatives Training) im Kontext der Theo-
rungs- und Endbedingungen rie kaum schlüssig begründbar. Die empirischen
55 Variation der Bewegungsumfänge von Überprüfungen beziehen sich vielfach auf wenig
Aktionen komplexe und/oder zyklische Bewegungen. Da-
55 Variation der Bewegungsgeschwindig- her besteht in Bezug auf komplexe azyklische
keit und Bewegungsbeschleunigung Bewegungen weiterer Forschungsbedarf in Be-
55 Variation des inneren und äußeren Be- zug auf die Fragestellung, ob fremd- oder selbst-
wegungsrhythmus organisierte Aneignung effizienter ist (Schöll-
55 Das Verhalten des Systems lässt sich durch horn et al. 2015). Schließlich stellt die valide
wenige Ordnungsprinzipien auf makros- Ermittlung der Ordnungs- und Kontrollpara-
kopischer Ebene beschreiben, obwohl die meter eine große Herausforderung dar.
Beispiel: Aufmerksamkeitsfokus
8.3.4 Ansätze der Effektkontrolle 55 Die Auslösung der Aktion in einer Situation
erfolgt durch den antizipierten Effekt (Situa-
Die effektorientierten Sichtweisen der moto- tion – antizipierter Effekt – Aktion = S-A-E).
rischen Steuerung und Kontrolle beinhalten 55 Während der Bewegung finden komplexe,
grundlegende Aspekte der informationsver- dynamische Wechselbeziehungen zwi-
arbeitenden sowie auch der systemdynamischen schen antizipativen und reafferenten Kon
Ansätze. Allerdings rückt der zu erzielende trollmechanismen statt.
Effekt der sportlichen Bewegungshandlung in
den Fokus der Präskription und des Kontroll- eispiel: Effektkontrolle sportlicher Techni-
B
prozesses (. Abb. 8.16). Daher bedarf es keiner ken beim Volleyballaufschlag
repräsentativen motorischen Programme wie
beispielsweise bei der Schematheorie. Die Anti- Ein Volleyballspieler (Person) erkennt einen
zipation von Effekten ist ausreichend, um zielge- annahmeschwachen Spieler im gegnerischen
Hinterfeld (Situation). Er plant zunächst einen
richtetes Verhalten zu initiieren. Die Bewegung Aufschlag genau auf diesen Spieler (intendier-
selber sowie deren Parameter sind emergent (im ter Effekt), aber wegen der Unruhe in der
Unterschied zu programmgesteuert; zum vertie- Sporthalle sowie seiner Nervosität aufgrund des
fenden Studium s. Hossner et al. 2013; Hossner knappen Spielstandes möchte er den Aufschlag
nur sicher im gegnerischen Hinterfeld
8 und Künzell 2003; Scherer und Bietz 2015).
platzieren (antizipierter Effekt und Anpassung
der Aktion). Er schlägt mit einem Ass auf (realer
Grundlagen: Effekt). Den folgenden Aufschlag möchte er
55 Der Fokus der sportlichen Bewegungs- wieder als Ass auf denselben Annahmespieler
handlung liegt auf den antizipierten Effek- platzieren (intendierter und antizipierter Effekt).
ten der gesamten Bewegung oder auch von Der Ball geht jedoch ins Aus (realer Effekt).
Teilbewegungen (resultative bzw. prozes-
suale Effekte). Diese können sich auf Ver-
änderungen in der Umwelt, des Sportgerä- Folgerungen für das Techniktraining:
tes und/oder auf körperbezogene Effekte 55 Beim Technikerwerbstraining können in
beziehen (z. B. Zielerreichung bei Tor- der Regel noch keine Effekte intendiert
schüssen, erhöhte Muskelspannung einzel- und antizipiert werden, da noch keine Re-
ner Muskelgruppen). ferenzwerte vorliegen. Der Lernende steht
Verstärkung
Vergleich: Übereinstimmung
Anpassung
Modifikation
.. Abb. 8.16 Effektorientiertes Modell zur Steuerung, Kontrolle und zum Lernen von Bewegungen (mod. nach
Hoffmann 1993; Scherer und Bietz 2015)
Techniktraining
427 8
.. Tab. 8.2 Beispiele von Effekterfahrungen im Techniktraining (mod. nach Bietz und Scherer 2015)
Leichtathletik: Kugelstoßen mit prozessual und personen- Intensivierung von Bein- und
fixiertem Stoßarm bezogen Rumpfeinsatz
Handball: Zielwerfen aus unterschied- resultativ und umweltbe- Differenzierung und Anpassung
lichen Ausgangspositionen zogen der Wurfbewegung
Rahmenbedingungen
Sportart, den Variationstraining
personalen Vorausset- Wettkampftraining
Sportgerät
Person
Sportgerätes zu analysieren und bei der Trai- Rahmenbedingungen relevant und können
ningsplanung zu berücksichtigen. So macht durch ein verbindliches Regelwerk maß-
es einen nicht zu vernachlässigenden Unter- geblich beeinflusst werden (z. B. einseitiger
schied, ob ich einen Volleyballaufschlag in Gebrauch eines Hockeyschlägers, Regle-
einer relativ standardisierten Situation in der mentierungen der Skitaillierungen im alpi-
Halle oder bei windigen Verhältnissen im Sand nen Skilauf, Schrittregel beim Basketball
ausführe bzw. einen Slalomparcours auf frisch oder Handball).
gewalzter Piste oder bei variablen Schnee- und
Geländesituationen bewältige: In Ausrichtung auf die Zielsetzung des Tech-
55 Die Rahmenbedingungen beziehen sich niktrainings bestimmen die Arten des Tech-
auf die beeinflussenden Umweltfaktoren niktrainings die Hauptinhalte und schließlich
(z. B. Witterungsverhältnisse bei auch die maßgeblichen methodischen Vorge-
Outdoorsportarten) sowie Vorgaben hensweisen.
durch das Regelwerk, aber auch durch die Polarisierend können bei den Arten des
institutionellen Rahmenbedingungen Techniktrainings das Training zum Erwerb
(z. B. Techniksollwerte in den Lehrwerken der Grundstruktur einer sportlichen Technik
von Fachverbänden). sowie das Wettkampftraining gegenüberge-
55 Die personalen Voraussetzungen beinhal- stellt werden. Darüber hinaus können weitere
ten anthropometrische, physische Aspekte grundlegende Trainingsarten leitend für die
(z. B. konditionelle, koordinative, sportart- Planung des Techniktrainings sein:
spezifsche Voraussetzungen) und psychi- 55 Präzisierungstraining mit einer Fokussie-
sche Aspekte (z. B. Motivation, Ängste). rung auf den Effekt und/oder den Ablauf
55 Die Besonderheiten des Sportgerätes sind der sportlichen Technik
in Bezug auf eine optimale Leistungser- 55 Automatisierungstraining in konstanten,
bringung des Sportlers bei den gegebenen aber auch variablen Situationen
Techniktraining
429 8
55 Entscheidungstraining in Anpassung an als Paradigma für die Gestaltung von Technik-
unterschiedliche Situationen training angesehen werden (zum vertiefen-
55 Variationstraining in Anpassung an Geg- den Studiums. Martin et al. 1991; Meinel und
ner und/oder Situation (antizipierend oder Schnabel 2007; Wiemeyer und Wollny 2017).
reagierend) Grundsätzlich sollte man dem Primat der
Zielorientierung beim (Technik-)Training
Eine Kombination mit dem gezielten Training stets folgen und jederzeit die weiteren Schritte
koordinativer und konditioneller Fähigkeiten der Trainingsplanung und deren Umsetzung
Der Begriff des Komplextrainings stammt aus dem 2007; Raeder et al. 2015). So kann beim Training nach
Krafttraining und besagt, dass sich verschiedene dem Serienprinzip die Serienpause zum wiederhol-
Trainingsmethoden in einer Trainingseinheit synerge- ten Einbau der Intervention verlängert werden. Dies
tisch und effektoptimierend ergänzen können sind zur Steigerung der Schnellkraftkomponente
(z. B. Maximalkrafttraining gefolgt von Schnellkraft- üblicherweise bewegungsverwandte Übungen mit
training). Dies wird unter anderem auf einen schwereren Gewichten (z. B. Medizinballwürfe als
möglichen Nachwirkungseffekt zurückgeführt (PAP, Voraktivierung für Handballwürfe). Alternativ sind
Robbins 2005). Im Techniktraining der Sportspiele jedoch zur Steigerung der Bewegungsgeschwindig-
wird die Optimierung von Wurf-, Schlag- oder keit auch Interventionen mit leichteren Gewichten
Schussbewegungen daher vereinzelt durch möglich (z. B. Badminton-Clear-Schläge als
Interventionen begleitet (Ferrauti und Bastiaens Voraktivierung für den Tennis-Aufschlag).
ist möglich und je nach Zielsetzung des Tech- kritisch reflektieren und evaluieren (Kontrolle
niktrainings und dem Niveau der Sportler auch der Lernergebnisse), um nicht in unreflek-
sehr effizient (z. B. Entscheidungstraining mit tierte methodische Gewohnheiten zu verfallen
zunehmender Ermüdung, Automatisierungs- (… das habe ich schon immer so gemacht und
training mit höheren Lasten, Variationstrai- es hat immer funktioniert!).
ning bei hohem Komplexitätsdruck). Vor dem Hintergrund der unterschied-
Die in Abbildung . Abb. 8.17 dargestellte lichen Erklärungsansätze zur motorischen
Abfolge der Arten von Techniktraining darf je- Steuerung, Kontrolle und zum motorischen
doch nicht als zwingende Reihenfolge im Sinne Lernen wird nachfolgend eine Strukturierung
eines Phasen- bzw. Stufenmodells missverstan- von methodischen Vorgehensweisen des Tech-
den werden, auch wenn beim Lernen sport- niktrainings vorgestellt, die sich als pragmati-
licher Techniken eine grundlegende Phasen- sche Lösung für die Trainingspraxis versteht
struktur durchaus leitend sein kann: So lassen (. Abb. 8.18).
sich Bewegungsaufgaben kaum variieren oder Die in . Abb. 8.18 dargestellten grundle-
situationsgerecht anpassen, wenn die Grund- genden Vorgehensweisen können zum einen
strukturen der Technik noch nicht beherrscht abgrenzend und zum anderen variabel in einem
werden. Jedoch wird das Technikerwerbs- Kontinuum zwischen den aufgezeigten Polen
training in vielen Natur- und Spielsportarten verortet werden. Sie können miteinander kom-
von Beginn an von situationsbezogenen Ent- biniert werden oder auch als leitendes Prinzip
scheidungsprozessen begleitet. Damit können in der Trainingspraxis Anwendung finden.
die gängigen Phasen- bzw. Stufenmodelle der In der Regel richtet sich ein Techniktrai-
Trainings- und Bewegungswissenschaft zwar ning an den Technikleitbildern bzw. Sollwer-
als eine brauchbare Orientierung, nicht aber ten der jeweiligen Sportart aus (7 Abschn. 8.2).
430 A. Krombholz
Rahmenbedingungen
techniknah … technikfern
variabel … monoton
Sportgerät
elementhaft synthetisch … ganzheitlich analytisch
Spezifische Vorgehensweisen
Koordinationstraining
Bewegungskorrektur & Videofeedback
Mentales Training
…
Hilfsmittel
Person
Jedoch kann im Sinne einer breitbandigen weise höhere Trainingsumfänge zu erzielen. Da-
sportlichen Ausbildung, zum Beispiel im Kin- bei kann die Zieltechnik mehr oder weniger ex-
der- und Jugendtraining, durchaus auch der akt simuliert werden. So kann Techniktraining
Transfer zu Techniken aus anderen Sportar- beispielsweise auch mit Konditionstraining
ten oder auch zu unspezifischen Bewegungs- kombiniert werden (oder umgekehrt).
formen leitend sein (z. B. unterschiedliche Techniktraining kann monoton mit vie-
Sportspiele, verschiedene Sportgeräte im Ka- len Wiederholungen bei möglichst standar-
nusport bzw. Schneesport, allgemeine koordi- disierten Rahmenbedingungen stattfinden
native Bewegungsaufgaben in allen Sportarten; oder auch gezielt variabel gestaltet werden.
. Abb. 8.19). Im Kontext von variablem Techniktraining
Außerdem kann Techniktraining auch bei können sowohl die Parameter der Rahmen-
veränderten Rahmenbedingungen und ggf. mit bedingungen (z. B. Gegnerverhalten, Um-
anderen Sportgeräten stattfinden, um beispiels- weltbedingungen) als auch die Bewegungs-
Techniktraining
431 8
Exkurs: Variables und monotones Techniktraining
In einem Kontinuum zwischen monotonem und des Technikleitbildes, Korrekturen im Sinne eines
variablem Training können Zuordnungen zu den Soll-Ist-Vergleichs, Bewegungsbeschreibungen,
informationsverarbeitenden bzw. systemdynami- Bewegungserklärungen, Bewegungsanweisungen
schen Ansätzen hergestellt werden. Da jedoch auch zugeordnet.
bei den informationsverarbeitenden Ansätzen der Dem variablen Training werden Vorgehens-
Aspekt der Variabilität bedeutsam ist, können weisen wie z. B. Provozieren von instabilen
unterschiedliche methodische Vorgehensweisen Zuständen, Veränderungen der Bewegungsspiel-
zwischen den beiden Polen verortet werden. Eine räume, Prozesse der Selbststeuerung und
eindeutige Zuordnung zu speziellen Modellen bzw. Selbstregulation, Korrekturen und Demonstratio-
übergreifenden Ansätzen kann und soll hieraus nen nur im Sinne der Aufgabenstellung (und
nicht zwingend abgeleitet werden (. Abb. 8.20). nicht bezogen auf ein Technikleitbild), Bewe-
Dem monotonen Training werden überwie- gungsaufgaben zugeordnet (Krombholz und Ott
gend Vorgehensweisen wie z. B. Demonstrationen 2015).
Orientierung am Bewegungsanweisungen
Technikleitbild
Bewegungsaufgabe
.. Abb. 8.20 Methodische Vorgehensweisen im Kontinuum zwischen monotonem und variablem Training
parameter variiert werden (z. B. simultane führt diese Vorgehensweise bei schnellen und
und sukzessive Aktionen, die zusätzlich zu komplexen Techniken vielfach zu Überforde-
der Technik ausgeführt werden, oder auch rungen, vor allem beim Training zum Erwerb
die Reduzierung der Komplexität von Aktio- der Grundstruktur und insbesondere, wenn
nen). die Bewegungen kaum langsamer und/oder
Eine weitere Vorgehensweise beim unter vereinfachten Bedingungen ausgeführt
Techniktraining richtet sich an der Bewe- werden können (z. B. Rotationssprünge). In
gungsstruktur der sportlichen Technik aus Anlehnung an die Konzeptionen zu den Bewe-
(7 Abschn. 8.2). So können sportliche Tech- gungsstrukturen bzw. -phasen von sportlichen
niken als Ganzes trainiert werden. Jedoch Techniken können auch Technikelemente iso-
432 A. Krombholz
Sportliche Bewegung wird in den motorischen während eine Gruppe tDCS über den motorischen
Arealen des Gehirns initiiert und im Rahmen von Gehirnarealen erhielt, eine Kontrollgruppe allerdings
motorischem Lernen und Techniktraining auch nur eine Scheinstimulation. tDCS führte dazu, dass
zentralnervös abgespeichert. Somit ist es nahelie- das Gleichgewicht signifikant länger gehalten
gend zu versuchen, die für Bewegungslernen werden konnte und dass die Ausschläge auf dem
relevanten Bereiche des Gehirns besonders Wackelbrett geringer ausfielen. Diese Effekte traten
empfänglich zu machen. Eine relativ neue Technik, auch noch dann auf, als an einem zweiten Tag keine
die genau dazu eingesetzt wird, ist die transkraniale tDCS erfolgte. Insgesamt ist die Studienlage zu
Gleichstrom-Stimulation (Transcranial Direct Current Effekten von tDCS beim Erlernen und Trainieren
Stimulation, tDCS). In einer entsprechenden Studie komplexer Bewegungsaufgaben und sportlicher
hatten Teilnehmerinnen zur Aufgabe, ihr Gleichge- Techniken allerdings noch gering (Kaminski et al.
wicht stehend auf einem Wackelbrett zu halten, 2016).
liert trainiert werden, sofern dies in funktio- der Fachliteratur häufig als eigenständige Be-
naler Ausrichtung an der Zieltechnik möglich reiche des Sportunterrichts bzw. des Trainings
ist (z. B. Absprungphase beim Weitsprung, angesehen werden und über eine lange Tradi-
8 Ausholphase beim Tennisaufschlag). Eine tion in den sportwissenschaftlichen Publikatio-
Kombination der beiden Vorgehensweisen im nen verfügen. Aufgrund der großen Bedeutung
Sinne einer Ganz-Teil-Ganz-Methode ist, vor im Kontext der Trainingspraxis werden in die-
allem vor dem Hintergrund einer Binnendif- sem Kapitel nachfolgend die Aspekte des Ko-
ferenzierung beim Training mit heterogenen ordinationstrainings, der Bewegungskorrektur
Gruppen, sinnvoll. und des Videofeedbacks dargestellt und erläu-
Spezifische Vorgehensweisen verstehen sich tert. Zum vertiefenden Studium des mentalen
als eine Bündelung unterschiedlicher Maßnah- Trainings sei auf die einschlägige sportwissen-
men, die im Rahmen von Techniktraining eine schaftliche Literatur verwiesen (z. B. Eberspä-
herausgehobene Bedeutung besitzen, da sie in cher 2012; Mayer und Hermann 2015).
.. Abb. 8.21 Methodische Hilfsmittel im Schneesport (a), Einsatz von Seilen bei einer Partnerübung zur
Verbesserung des Kantens beim alpinen Skilauf (b; Foto: DSV 2012, S. 84)
Techniktraining
433 8
Methodische Hilfsmittel unterstützen das
Techniktraining und dienen einer Optimie-
rung des Lernprozesses auch vor dem Hinter-
grund einer ökonomischen Trainingsgestaltung,
insbesondere bei größeren Trainingsgruppen
(. Abb. 8.21). Der Einsatz von Hilfsmitteln sollte
stets kritisch in Bezug auf die Aufwand- bzw.
Kosten-Nutzen-Relation betrachtet werden.
8.4.1 Koordinationstraining
.. Abb. 8.22 Training mit älteren Menschen (Kopp-
Die intra- und intermuskuläre Koordination lungsfähigkeit, Gleichgewichtsfähigkeit; Foto: Andrea
ist ein Fundament aller zielgerichteten Bewe- Bowinkelmann | © LSB NRW)
gungshandlungen (7 Kap. 4 und 5), also auch
von sportlichen Techniken. Koordinative Fä- In einem erweiterten Verständnis sind
higkeiten sind in der gesamten Lebensspanne die positiven Einflüsse von Koordinations-
trainierbar und weisen ein hohes Maß an in- training auch in Bezug auf die konditionellen
ter- und intraindividueller Variabilität auf. Die Fähigkeiten augenscheinlich und umfassen
große Bedeutung koordinativer Aspekte bezieht neben der Kraft und Schnelligkeit sogar die
sich jedoch nicht nur auf sportliche Bewegun- Anforderungen im Bereich des Ausdauer-
gen im Leistungssport, sondern auch auf unter- trainings (Hottenrott und Hoos 2013; Stein-
schiedliche Anwendungsbereiche im Freizeit-, höfer 2015). So erhöhen gut ausgeprägte ko-
Schul-, Gesundheits- und Behindertensport so- ordinative Fähigkeiten Bewegungsökonomie
wie darüber hinaus auch im Rahmen der mo- (energetisch) und Leistung (neuromuskulär)
torischer Arbeits- und Alltagsanforderungen, für Ausdauer, Kraft und Schnelligkeitsanfor-
z. B. bei älteren Menschen (. Abb. 8.22). derungen (7 Kap. 4, 5 und 7).
Rostock und Zimmermann (1997) publizierten ein Die Qualität des Handlungsvollzugs (der sportli-
Konzept, welches in Bezug auf die oftmals chen Technik) kann nur dann verbessert werden,
dogmatische Abgrenzung zwischen (allgemeinem) wenn Techniktraining und (koordinatives)
Koordinationstraining und Fertigkeitstraining (im Fähigkeitstraining sinnvoll aufeinander abgestimmt
Folgenden Techniktraining) vermittelt. Sie werden. Die Trainingsformen sind mit fließenden
verstehen Koordination als ein Konstrukt, welches Grenzen in einem Kontinuum angeordnet
durch das Zusammenwirken von sportlichen . Abb. 8.23). Nach Auffassung von Rostock und
Techniken und koordinativen Fähigkeiten vor dem Zimmermann (1997) weisen die generalisierten
Hintergrund der energetischen Leistungsvoraus- koordinativen Fähigkeiten ein hohes Maß an
setzungen des Sportlers geprägt ist und die Transferabilität auf und sind damit eine wesent-
bewegungsregulative Qualität einer (sportlichen) liche Grundlage für den Erwerb von sportlichen
Handlung kennzeichnet. Techniken. Die positiven Effekte sind jedoch in
434 A. Krombholz
beide Richtungen möglich. So kann das Training allgemeine Koordination und spezifische Technik
sowohl als fähigkeitsorientiertes Techniktraining als gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille
auch im Sinne eines technikorientierten Fähigkeits- darstellen. Koordinativ-konditionelles Grundlagen-
trainings ausgerichtet sein. Die von Rostock und training hat den erwünschten Nebeneffekt der
Zimmermann (1997) dargestellten Differenzierun- Verbesserung der sportlichen Techniken. Genauso
gen sind jedoch sehr kleinschrittig und widerspre- beeinflusst Techniktraining auch die koordinativ-
chen in Teilen der Grundidee eines Konzeptes mit konditionellen Fähigkeiten. „Eines ist ohne das
fließenden Übergängen. Trotzdem kann man der andere nur begrenzt effektiv“ (Steinhöfer 2015,
Aussage von Steinhöfer (2015) folgen, dass S. 300).
nationstraining im
Kontinuum zwischen
Generalität und
Spezifität (mod. nach
Rostock und Zimmer-
SPEZIFITÄT
mann 1997)
technik-
8 fähigkeits-
bezogen
(monoton)
orientiert
technikorientiert (variabel)
fähigkeits- technik- technik-
bezogen gerichtet spezifisch
Fähigkeitsorientiertes Anforderungsorientiertes
Koordinationsmodell Koordinationsmodell
z. B. Blume 1978 z. B. Neumaier 1999
Situative Individuelle
Verfügbarkeit Verfügbarkeit
436 A. Krombholz
a b
In dem Modell von Hossner (1995, 2004) werden Grundlagen dieses Konzeptes sowie die
Aspekte des Koordinationstrainings, der Folgerungen für die Trainingspraxis kurz
funktionalen Bewegungsanalyse sowie der skizziert:
Dispositionen und Prozesse der Steuerung und 55 Grundannahme: Eine Ausgangssituation (S) ist
Kontrolle von sportlichen Techniken zusammen- so zu verändern, dass ein bestimmter Effekt
geführt. Er orientiert sich bei der Ableitung des (E) eintritt. Die dazu notwendige Situations-
modularen Konzeptes an einer effektorientierten veränderung ist durch eine motorische Aktion
modularen Bewegungskontrolle im Sinne der (R = Response) herbeizuführen. SRE-Modelle
SRE-Modelle (Situation, Response, Effekt, sind spezifisch in Ausrichtung auf einen Ef-
z. B. Modell der antizipativen Verhaltenskont- fekt. Es wird von einer Koexistenz mehrerer
rolle; Hoffmann 1993). Nachfolgend werden die Kontrollmodule ausgegangen (Wolpert und
438 A. Krombholz
Technikbausteine
Technikvariante A 2
das Resultat der situativ angepassten Zusam-
menstellung von Motorikmodulen (Technik-
bausteinen), die einen feineren Körnungsgrad
als die klassischen koordinativen Fähigkeiten
aufweisen (z. B. Volleyball: Laufweg zum Ball
anpassen, Ball im Blick halten).
55 Technikbausteine sind für die Realisierung
verschiedener sportlicher Techniken (Technik-
Technikvariante B 2
Technikvariante A 1
gebäude) von Bedeutung. Das gilt für unter-
schiedliche Techniken in einer Sportart, aber
auch für Techniken in verschiedenen Sport-
arten, wobei diese dann mit anderen sportart-
spezifischen Technikbausteinen kombiniert
werden müssen.
55 Transferwirkungen sind umso größer, je mehr
Technik A Technik B
gleiche (oder ähnliche) Technikbausteine in
unterschiedlichen Techniken vorhanden sind
Technikvariante B 1
Technikbausteine
In diesem Modell findet ein Perspektivwech- Basis von Literaturanalysen und Plausibilitäts-
sel von einer Fokussierung auf die individuellen betrachtungen abgeleitet. Das Strukturmodell
Fähigkeiten zu den koordinativen Anforderun- beinhaltet zum einen die Informationsanfor-
gen statt, welche sich aus der Bewegungsaufgabe derungen und zum anderen die Druckbedin-
oder auch der Sportart ableiten lassen. gungen, welche an die Bewältigung einer Bewe-
Hierzu werden zunächst die konkreten Be- gungsaufgabe geknüpft sind (. Abb. 8.27).
wegungsaufgaben der zu betrachtenden Sport- In dem linken Teil der . Abb. 8.27 wer-
arten hinsichtlich der koordinativen Anfor- den die Informationsanforderungen einer
derungen analysiert, um anschließend durch Bewegungsaufgabe hinsichtlich der Informa-
die Variation der Anforderungen zielführende tionsverarbeitung mit den unterschiedlichen
Trainingsmaßnahmen abzuleiten (Neumaier Analysatoren (optisch, akustisch, taktil, kinäs-
2002). Die Aufgabenschwierigkeit ist dabei un- thetisch, vestibulär) und den entsprechenden
ter anderem von dem individuellen Können des Sinnesorganen dargestellt. Die herausgeho-
Sportlers abhängig. Außerdem schließt eine Be- bene Verortung der Gleichgewichtsanforde-
wegungsaufgabe immer auch konditionelle, ko- rungen begründet sich zum einen durch die
gnitive und emotionale Anforderungen mit ein multiplen Sinnesleistungen, welche beim Auf-
(Neumaier 2002). Die koordinativen Anforde- rechterhalten des Gleichgewichts einfließen,
rungen von Bewegungsaufgaben wurden auf der und zum anderen durch die große Bedeutung
Techniktraining
439 8
.. Abb. 8.27 Anfor-
Koordinative Anforderungen von Bewegungsaufgaben
derungsorientiertes
Koordinationsmodell
(mod. nach Neumaier
2009) Informationsanforderungen Druckbedingungen
+
Präzisionsdruck
kinästhetisch
vestibulär
akustisch
Zeitdruck
optisch
taktil
Komplexitätsdruck
Situationsdruck
–
Gleichgewichtsanforderung Belastungsdruck
+ – + –
nen als zwei miteinander gekoppelte Schalt- somit auch nicht sportartübergreifend vergleich-
pulte mit einzelnen Reglern dargestellt werden, bar. Die Gesamtkonstellation der Reglerstellun-
um die Analyseergebnisse zu dokumentieren gen ergibt das koordinative Anforderungsprofil
(. Abb. 8.28). der Bewegungsaufgabe als Grundlage für die
Die Reglerstellungen zwischen den Polen abzuleitenden Trainingsmaßnahmen. Je nach
sehr hoch und sehr niedrig entsprechen der Ein- Sportart bzw. Bewegungsaufgabe können die
schätzung des Bedeutungs- bzw. Schwierigkeits- Informationsanforderungen und die Druckbe-
grads der entsprechenden Kategorie durch den dingungen ausdifferenziert, verändert, ergänzt
Nutzer. Sie sind daher kaum objektivierbar und oder reduziert werden (. Abb. 8.29).
B1
G
– + B2
– +
Info-Anforderungen Druckbedingungen
+ Z +
KT K
U
Bk
OP Bp
OB _ Sv U
G Sn –
– + – +
der Rückmeldung so zu wählen, dass sie nicht Bewegungsziel nicht zuträglich sind. Hier ist
redundant mit der eigenen Selbstwahrneh- der Lehrer als Bewegungsexperte gefragt, da-
mung ist, sondern tatsächlich eine zusätz- mit sich diese für eine weitere Optimierung
liche und wertvolle Information darstellt der Technik hinderlichen Bewegungsmuster
(Gollhofer et al. 2012). nicht ungewollt (positiv) einprägen.
Die Bewegungskorrektur im Techniktrai- Daher liegt der Vorteil von Sportarten, de-
ning ist vor dem Hintergrund der Rahmen- ren Effekte zwingende, also unmittelbar vom
bedingungen, der Sportgeräte, den persön- Sportler erkennbare Auswirkungen in Bezug
lichen Voraussetzungen des Lernenden und auf das vorher dargestellte Phänomen haben,
schließlich den Besonderheiten der Sportart darin, dass die meisten Fehler einen sicht-
bzw. einer speziellen Bewegungsaufgabe sehr baren bzw. spürbaren negativen Effekt haben
komplex. Grundsätzlich können sich Korrek- (. Abb. 8.30; z. B. Sturz durch Gleichgewichts-
turen auf den Bewegungsablauf (Knowledge of
Performance) oder auf das Bewegungsergebnis
beziehen (Knowledge of Results) (. Tab. 8.3;
Hänsel 2006; Marschall und Daugs 2003).
Untersuchungen unterstreichen die Ver-
mutung, dass eine Effektorientierung (KR) sehr
8 wesentlich für das Lernen von Bewegungen ist
(Scherer 2014). Dieser Umstand bezieht sich
sowohl auf die Eigenrealisation als auch auf die
Bewegungsbeobachtung, zum Beispiel im Rah-
men von observativem Training. Allerdings ist
der Erkenntnisstand diesbezüglich noch sehr
dürftig. Zudem führen positive überraschende
Effekte offensichtlich verstärkt zur nachhalti-
gen Bildung neuer Synapsen. Jedoch können .. Abb. 8.30 Zwingende Effekte beim Freeskiing
das auch Effekte sein, die vom Lernenden zwar (Kicker): Technikfehler haben einen Sturz zur Folge:
als positiv wahrgenommen werden, aber dem Underrotation und Rebonce (Foto: Florian Preuß)
.. Tab. 8.3 Dimensionen von Feedback beim Techniktraining (mod. nach Marschall und Daugs 2003;
Hänsel 2006)
Dimension Ausprägung
Der Aufschlag im Tennis ist ebenso komplex wie Aufschlag war. Im Anschluss daran wurde deshalb
wichtig. Zur Verbesserung der Aufschlaggeschwin- eine sechswöchige Techniktrainingsstudie durch-
digkeit ist es von Bedeutung, diese beim eigenen geführt, wobei eine Gruppe KR in Form der Auf-
Aufschlag im Rahmen eines Techniktrainings ein- schlaggeschwindigkeit erhielt, eine andere
schätzen zu können, da ansonsten das entspre- Gruppe jedoch nicht. Nach den sechs Wochen hat-
chende Feedback in Form eines Knowledge of Re- ten beide Gruppen eine höhere Aufschlagge-
sult (KR) fehlt. In einer Studie mit jugendlichen schwindigkeit, die KR-Gruppe steigerte sich aber
Nationalspielern und -spielerinnen konnte dies- signifikant mehr als die Kontrollgruppe ohne
bezüglich gezeigt werden, dass diese nicht korrekt KR. Dieser Effekt war auch sechs Wochen später
einschätzen konnten, ob der eigene Aufschlag ohne weiteres KR-Training noch signifikant nach-
schneller oder langsamer als der vorangegangene weisbar (Moran et al. 2012)
Bei der Häufigkeit des Feedbacks unter- weitreichenden Forderung nach sehr kurzen
scheidet man zwischen der absoluten und rela- Prä- und Postintervallen kann man evidenzba-
tiven Frequenz in Bezug zu den Ausführungen siert davon ausgehen, dass auch größere Zeitin-
der Technik bzw. Bewegungszyklen. Das Feed- tervalle in Abhängigkeit von der Informations-
back kann im Rahmen einer Trainingsperiode dichte lernfördernd sein können (Olivier und
auch sukzessiv reduziert werden (Fading). Müller 2002). Dies gilt insbesondere für Sportler
Ein simultanes Feedback ist zwar wünschens- mit einem hohen Leistungsniveau.
wert, aber häufig nicht umsetzbar (z. B. Spiegel- Ein Sollwertbezug gilt insbesondere in
wand, akustisches Feedback durch Messsohlen). einem frühen Lernstadium als lernfördernd.
Auch die Gestaltung der Prä- und Postintervalle Weitgehend wird eine Kombination von soll-
hängen wesentlich von den Rahmenbedingun- wertbezogenen Informationen und Rückmel-
gen des Trainings und der Sportart ab (z. B. Na- dungen in Bezug auf die Fehler bzw. Mängel
tursportarten vs. Hallensportarten). Trotz der des Istwerts favorisiert, wenngleich die empi-
444 A. Krombholz
rischen Erkenntnisse auch zu diesen Aspekten den Lehrenden schon beim Betrachten der
sehr dürftig sind (7 Abschn. 8.4.3). Nachfol- Bewegungsausführung in einem zum Teil sehr
gend soll eine bewährte Strategie skizziert wer- kleinen Zeitfenster (z. B. bei schnellen Bewe-
den, die sich sowohl bei Korrekturen während gungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne).
des Trainings als auch beim Videofeedback be- Daher muss die Analyse in der Trainingspra-
währt hat. Die Kurzformel lautet: Beobachten, xis sehr schnell geschehen, nämlich während
Beurteilen und (erst anschließend) Beraten der (einmaligen) Bewegungsausführung des
(Hotz 1986). Lernenden genau bis zu dem Zeitpunkt, an
Zu Beginn erfolgt die gezielte Beobach- dem dieser beim Lehrenden eintrifft, um die
tung der Gesamtbewegung in Ausrichtung Korrektur mitgeteilt zu bekommen. Wird die
auf den Schwerpunkt der Technikkorrektur. Korrektur in Form eines Videofeedbacks er-
Jedoch kann auch eine umfassende Ana- teilt, hat der Lehrer ein wenig mehr Zeit, da
lyse der kompletten Technik Gegenstand man sich die Bewegung im Normalfall mehr-
des Feedbacks sein. Man kann nachstehende fach, ggf. mithilfe von Zeitlupe oder auch
Strategien abgrenzen, aber auch miteinander Standbildern anschaut.
kombinieren: In Zusammenhang mit der abschließenden
55 Orientierung an dem zeitlichen Ablauf der Beratung des Sportlers stellt sich zunächst die
Technik unter Berücksichtigung der Frage, ob der Lehrende den Sportler mit seinem
8 Grundstruktur der Bewegung (z. B. An- Erkenntnisprozess (Beobachten/Beurteilen),
lauf, Absprung, Flug und Landung bei ei- also den Fehlern bzw. der Fehleranalyse, kon-
nem Salto vorwärts) frontieren sollte. Dies ist im Regelfall nicht not-
55 Orientierung an den Funktionsphasen der wendig. Es sei denn, dass es bei der Korrektur
Technik (z. B. Absprung beim Weitsprung, (auch) um die Entwicklung der Lehrkompetenz,
Schlagbewegung beim Angriffsschlag im beispielsweise im Rahmen der Lehrerausbil-
Volleyball) dung, geht.
55 Orientierung am Sportgerät (Skier, Tennis- Die Bewegungskorrekturen können nach-
schläger, Kugel) unter Berücksichtigung stehende Maßnahmen umfassen:
der beobachtbaren Effekte (z. B. Spurbild 55 Bewegungsanweisungen (Welche Aktio-
im Schnee, Flugkurve des Balls bzw. der nen/Aktionsspielräume sollen in der an-
Kugel) schließenden Trainingsphase realisiert
55 Orientierung an den Aktionen und Akti- werden?)
onsspielräumen des Sportlers oder einzel- 55 Bewegungserklärungen (Warum ist eine
nen Körperteilen Aktion notwendig? Welche Funktion er-
55 Orientierung an der Bewegungsaufgabe füllt die Aktion?)
55 Bewegungsaufgaben
Als Ergebnis der Beurteilung der beobachte- 55 Einsatz methodischer Hilfsmittel
ten Fehler identifiziert man im Idealfall einen 55 usw.
Hauptfehler, von dem alle weiteren Probleme
abhängig sind. Häufig findet man jedoch meh- Im Idealfall gelingt es dem Lernenden, über eine
rere Fehler, die man entsprechend ihrer Bedeu- Sensibilisierung seiner Selbstwahrnehmung die
tung für den Bewegungserfolg ordnen kann, Effekte und auch den Ablauf von Aktionen und
damit der Sportler die Technik erfolgreich(er) Aktionsspielräumen selbstständig zu regulie-
auszuführen kann. Die Beobachtung und auch ren. Der methodische Leitsatz sollte lauten: von
die Beurteilung des Istwertes erfolgt durch der Fremdkorrektur zur Selbstkorrektur.
Techniktraining
445 8
8.4.3 Videofeedback Aus den vorliegenden Publikationen lassen
sich grundlegende Prinzipien für den effekti-
Die große Bedeutung von Videounterstützung ven Einsatz des Videofeedbacks ableiten, die
beim Techniktraining ist weitgehend unbe- zum einen auf den Erkenntnissen zum (mo-
stritten. In der Trainingspraxis werden Videos torischen) Lernen und zum anderen auf den
im Wesentlichen zur Sollwertdarstellung, z. B. (unterschiedlichen) Modellen der Gedächt-
im Rahmen des observativen Trainings, oder nisstrukturen (z. B. Präsenzzeiten und Spei-
beim Videofeedback eingesetzt. Die techni- cherprozesse von Informationen) beruhen.
schen Möglichkeiten der Aufnahme, Bearbei- Die nachfolgend exemplarisch aufgelisteten,
tung und Wiedergabe von Videos sind sehr empirischen Erkenntnisse und Empfehlungen
vielfältig und liefern Lösungen für nahezu alle basieren weitgehend auf Studien in überwie-
denkbaren Zielsetzungen in unterschiedlichs- gend standardisierten Indoor-Settings (Daugs
ten Settings. et al. 1990, 1991; Olivier und Müller 2002;
Perspektivisch ist eine intensive Auseinan- Marschall und Daugs 2003; Opitz und Fischer
dersetzung mit den sich ständig erweiternden 2011), deren externe Validität kritisch zu dis-
technischen Möglichkeiten beim Techniktrai- kutieren wäre.
ning unerlässlich. Die Szenarien, in der die 55 Eine Darbietung von Istwerten per Video
reale Welt durch digitale Inhalte ergänzt oder ohne (angemessene) Kommentierung des
zum Teil auch ersetzt wird, sind sehr vielver- Lehrenden und ohne Sollwertbezug wirkt
sprechend, jedoch zurzeit vor dem Hinter- sich eher hemmend als fördernd auf den
grund finanzierbarer technischer Möglich- Lernprozess aus, insbesondere auf niedri-
keiten nur eingeschränkt für den allgemeinen gem Lernniveau (Daugs et al. 1990, 1991;
Einsatz im Training und in der Lehre einsetz- Opitz und Fischer 2011; Nowoisky et al.
bar (Augmented Reality AR, Virtuell Reality 2012).
(VR, Exergames und/oder 360-Grad-Videos). 55 Das (wiederholte) Betrachten von Sollwer-
In diesem Kapitel liegt der Fokus auf dem ten verbessert die Bewegungsvorstellung
Videofeedback beim Techniktraining, des- und die Bewegungsausführung. Außerdem
sen vorrangige Zielsetzung darin besteht, die erleichtert es die Identifikation von Feh-
interne Repräsentation des momentanen Ist- lern des (eigenen) Ist-Wertes beim Video-
werts einer Technik (Synonym Selbstbild) an- feedback (Opitz und Fischer 2011).
hand der objektiven Entsprechung (Synonym 55 Die simultane Kombination von Sollwert
Fremdbild) und ggf. einem Sollwert zu kalib- und Istwert führt zu einem großen Anstieg
rieren. Zur Verdeutlichung bestimmter Merk- expliziter Anteile der internen Repräsenta-
male kann ein Videofeedback weitere Optionen tion einer sportlichen Technik und außer-
integrieren (z. B. grafische Hervorhebungen, dem zu einer verbesserten Bewegungsaus-
ergänzende Informationen zum Verlauf und/ führung im Vergleich zu einer reinen
oder dem Resultat der Bewegungshandlung). Sollwert-Instruktion bzw. der reinen
Zudem können Hinweise bzw. Hilfestel- Darstellung des Istwertes (Daugs et al.
lungen für das nachfolgende Training gegeben 1990, 1991).
werden (z. B. Bewegungskorrekturen, Einsatz 55 Die Intervalle zwischen der Bewegungs-
methodischer Hilfsmittel). Darüber hinaus ausführung und der Videoanalyse (Präin-
kann auch die synchronisierte Darbietung von tervall) sowie dem folgenden Training
mehreren Videoclips (z. B. Sollwert vs. Istwert) (Postintervall) sollen möglichst kurz sein
erfolgen. (Olivier und Müller 2002; Hänsel 2006).
446 A. Krombholz
Videofeedback Observatives
Video- Training
training
Istwert- Sollwert-
darstellung darstellung
Ergänzende Informationen
Sollwert &
Beobachtungs- Ergänzungen
schwerpunkte durch Lehrer
Individuelles Korrektur-
Visionieren hinweise
den. Daher sollte man die Videoanalyse in tionen, Gelenkwinkel) und räumlich-zeitliche
einem diskreten Umfeld organisieren, den Ler- Merkmale analysieren. Dabei ist die Routine
nenden nicht bloßstellen (z. B. als Negativbei- des Trainers in Bezug auf die Bewegungsbe-
spiel) und dem Feedback-Neuling Zeit geben, urteilung ausschlaggebend für die Qualität des
sich mit seinem Fremdbild vertraut zu machen. Feedbacks. Darüber hinaus sind weitere Merk-
Im Rahmen eines Videofeedbacks kann male einer sportlichen Technik abschätzbar.
man vor allem räumliche (z. B. Körperposi- Dazu zählen das Timing (Beginn/Ende bzw.
448 A. Krombholz
Vor der Organisation des Videofeedbacks 55 Ist ein Speichermedium mit ausreichen-
sind folgende grundlegende Fragen zu be- der Kapazität vorhanden?
antworten: 55 Wurde Reihenfolge und Anzahl der Auf-
55 Was soll abgebildet werden (Schwer- nahmen pro Person festgelegt?
punkt(e), Zielsetzung(en) des Videofeed- 55 Passen der Bildausschnitt und die Pers-
backs)? pektive zu den Zielen bzw. Schwerpunk-
55 Welche Details kann ich mit meinem Auf- ten des Videofeedbacks?
nahmeequipment abbilden (z. B. Leis- 55 Ist der Aufnehmende mit der (ruckel-
tungsfähigkeit des optischen Zooms)? freien) Handhabung des Zooms vertraut?
55 Welcher Abstand zwischen Kamera und 55 Lassen die Lichtverhältnisse qualitativ aus-
Sportler ist notwendig bzw. möglich? reichende Aufnahmen zu (z. B Gegenlicht,
55 Passen die Ziele zu den Voraussetzungen Nebel)?
der Lernenden sowie zu den gegebenen Bezüglich der Aufnahmeorganisation sollte
Umweltbedingungen (Überforderungen man sich darüber hinaus vor Augen halten,
der Teilnehmer)? dass der normale Unterricht nicht zu kurz
55 Ist der Aufnahmeort für alle Kursteilneh- kommt (idealerweise gibt es jemanden, der
mer erreichbar? die Aufnahmen von den Teilnehmern (inkl.
55 Sind ausreichend Ersatzakkus für die ge- eines Sollwerts vom Lehrer) kursbegleitend
plante Aufnahmezeit bei den gegebenen erstellen kann).
Bedingungen vorhanden und geladen?
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Regenerationsmanagement
und Ernährung
Thimo Wiewelhove
Literatur – 497
Regenerationsmanagement und Ernährung
457 9
„Ich leg mich jetzt erstmal drei Tage in die Eis- überzeugend erfolgt ist. Dies gilt sowohl für „traditi-
tonne“ (Per Mertesacker) onelle“ und bei den Athleten beliebte Maßnahmen
wie beispielsweise die Massage als auch für neuar-
Zusammenfassung tige Regenerationstrends wie Foam-Rolling oder für
Ermüdung und Regeneration sind integrale Be- technologisch unterstützte Interventionsstrategien
standteile des Trainingsprozesses. Dabei steht die wie z. B. LED-Bestrahlung oder Kältekammern. So-
kontinuierliche Leistungsentwicklung in ständi- wohl Ermüdungs- als auch Erholungsprozesse sind
ger Wechselwirkung mit den durch Trainings- und äußerst komplexe und multifaktorielle Phänomene,
Wettkampfaktivitäten ausgelösten Ermüdungs- die in Abhängigkeit von den Belastungsmerkma-
und Regenerationsvorgängen. Während die Stei- len sowie adressaten- und umweltspezifischen Be-
gerung der Trainingsqualität seit jeher im Fokus sonderheiten auf verschiedenen Funktionsebenen
trainingswissenschaftlicher Bemühungen steht, des menschlichen Organismus (u. a. Muskulatur,
richtet sich das Augenmerk zunehmend auch auf Bindegewebe, zentrales Nervensystem, autonomes
die Erholungsprozesse und deren Optimierung. Nervensystem, endokrines System) in unterschied-
Das Regenerationsmanagement lässt sich dabei im lichen zeitlichen Dimensionen sowie in unter-
Wesentlichen in die Messung des Regenerations- schiedlicher Geschwindigkeit und Ausprägung
bedarfs sowie in die individualisierte Planung und stattfinden. Basierend hierauf werden in diesem
Anwendung von Regenerationsstrategien struktu- Kapitel sowohl die Wirkmechanismen und Effekte
rieren. Hierbei ist die Bedeutung einer angemes- von Regenerationsinterventionen, die sich in der
senen Ernährung sowie von ausreichend Schlaf Sportpraxis großer Beliebtheit erfreuen, diskutiert
unbestritten. Zusätzlich kann in der (leistungs-) als auch Grundlagen zum Ernährungsmanagement
sportlichen Praxis aus einer Vielzahl an regenera- im Sport besprochen. Unter Berücksichtigung indi-
tionsfördernden Maßnahmen ausgewählt werden, vidueller und sportartspezifischer Rahmenbedin-
deren Wirksamkeitsnachweis jedoch nur selten gungen werden Praxistipps für die Regenerations-
unter wissenschaftlich kontrollierten Bedingungen steuerung im (Leistungs-)Sport vorgestellt.
458 T. Wiewelhove
Wettkampfbelastung
Superkompensation
standteile des Trainingsprozesses. Dabei steht
Trainings- oder
Regeneration
die kontinuierliche Leistungsentwicklung in
ständiger Wechselwirkung mit den durch Trai- Zeit
Regeneration
Regeneration
Regeneration
Schweregrads erst nach einigen Minuten, Stun-
Belastung
Belastung
Belastung
Belastung
den oder Tagen abklingt (Barnett 2006). Die Re-
Zeit
generation dient somit der Wiederherstellung
und Superkompensation der Leistungsfähig- .. Abb. 9.1 Eine Trainings- oder Wettkampfbelas-
keit und Belastbarkeit nach intensiven, ermü- tung geht mit einer Ermüdung einher. a Während der
denden Trainings- und Wettkampfbelastungen Regenerationsphase kommt es zur Wiederherstellung
9 (. Abb. 9.1a; vgl. 7 Kap. 2: Prinzip der optimalen
und schließlich zur Superkompensation der Leistungs-
fähigkeit. b Bei wiederholten Belastungen und
Relation von Belastung und Erholung). Bleiben unzureichender Erholungsdauer nimmt die Leistungs-
die hierfür notwendigen Erholungszeiten bei fähigkeit kontinuierlich ab (modifiziert nach Meeusen
der Trainings- und Wettkampfplanung unbe- und de Pauw 2013)
rücksichtigt, nimmt das Risiko für chronische
Überlastungsreaktionen sowie Leistungsstagna- lässt sich dabei im Wesentlichen in die Messung
tion oder Leistungsreduktion zu (. Abb. 9.1b, des Regenerationsbedarfs (vgl. 7 Abschn. 2.4:
Meeusen et al. 2013). Dies betrifft insbesondere Trainings- und Athleten-Monitoring) sowie in
den Leistungs- und Hochleistungssport, da Trai- die individualisierte Planung und Anwendung
ningsumfang, Trainingsintensität und Trainings- von Regenerationsstrategien strukturieren.
dichte sowie Wettkampfhäufigkeit und Leis-
tungsdichte in vielen Disziplinen in den letzten
Jahren deutlich angestiegen sind. Praxistipp: Akute Ermüdung versus chroni-
sche Überlastung
Während die Steigerung der Trainings-
qualität seit jeher im Fokus trainingswissen- Im Einzelfall mag es zwar darum gehen, ein
schaftlicher Bemühungen steht, richtet sich das sogenanntes Übertrainingssyndrom zu ver-
Augenmerk zunehmend auch auf die Erho- meiden oder zumindest spezielle chronische
lungsprozesse und deren Optimierung. Im Ge- Überlastungszustände zu verhindern. Der
samtgefüge der Leistungssteuerung bietet eine Fokus dieses Kapitels liegt jedoch auf der Be-
optimierte Planung und Gestaltung der Rege- wertung und Beeinflussung der „normalen“
nerationsphasen die Chance, kompensatorische akuten Ermüdungsvorgänge nach intensi-
Wiederherstellungsvorgänge zu unterstützen, ven Trainings- oder Wettkampfbelastungen.
chronische Missverhältnisse zwischen Belastung Denn sie prägen fast täglich die Handlungs-
und Erholung zu vermeiden, die Trainingstole- entscheidungen von Trainern und Athleten
ranz bei hoher Trainingsdichte zu steigern und und sind somit von großer sportpraktischer
die Wiederherstellung der Wettkampfleistung zu Bedeutung (Meyer et al. 2016).
beschleunigen. Das Regenerationsmanagement
Regenerationsmanagement und Ernährung
459 9
und während der Schwungphase resyntheti-
9.2 iologische Grundlagen von
B siert werden muss (Bishop et al. 2008).
Ermüdung und Regeneration Ferner kann zwischen akuter und mittel-
fristiger Ermüdung unterschieden werden.
Sowohl Ermüdungs- als auch Erholungspro- Erstere sind Ermüdungsmechanismen im di-
zesse sind äußerst komplexe und multifakto- rekten Anschluss an eine akute körperliche
rielle Phänomene, die in Abhängigkeit von den Aktivität, die noch während der Trainings-
Belastungsmerkmalen (u. a. Reizintensität, oder Wettkampfbelastung die Leistungsfähig-
-dauer und -dichte) sowie adressaten- und um- keit beeinflussen. So führen die in relativ kur-
weltspezifischen Besonderheiten auf verschie- zer Zeit häufig wiederholten hochintensiven
denen Funktionsebenen des menschlichen Spielanteile während eines Fußballmatches
Organismus (u. a. Muskulatur, Bindegewebe, dazu, dass das initiale Leistungsniveau im
zentrales Nervensystem, autonomes Nerven- Verlauf des Spiels abnimmt. Der Belastungs-
system, endokrines System) in unterschied- stress geht dabei mit einer akuten Homöosta-
lichen zeitlichen Dimensionen sowie in sestörung einher und äußert sich in kurzfris-
unterschiedlicher Geschwindigkeit und Aus- tigen physiologischen Belastungsreaktionen,
prägung stattfinden. Die kurzfristigste Form zu denen u. a. eine verstärkte Atmung, eine
der Ermüdung ereignet sich bereits während Steigerung der Herzfrequenz und Sauerstoff-
jeder einzelnen Muskelkontraktion. So führt aufnahme, eine Erhöhung der Energie- und
beispielsweise die Abstoß- bzw. Stützphase Schweißflussrate, eine Akkumulation des an-
während des Sprintens zu einer unmittelba- fallenden Laktats sowie eine Umverteilung
ren Ermüdung der beanspruchten Muskulatur, des Blutflusses zählen (. Abb. 9.2, Lambert
indem Adenosintriphosphat verbraucht wird und Mujika 2013). In der Erholungsphase im
Minuten
• Herzfrequenz
• Blutlaktatkonzentration
• Körpertemperatur
Stunden
Homöostasestörung
• kognitive Funktionen
Trainings- oder • Sauerstoffaufnahme
Regeneration
Wettkampfbelastung
Tage
• Serum-Kreatinkinase
• Muskelglykogen
• Muskelkater
Wochen
• Muskelfunktion
• neuromuskuläre
Koordination
Zeit
.. Abb. 9.2 Eine Trainings- oder Wettkampfbelas- benötigen die Wiederherstellungsprozesse, die im
tung geht mit einer akuten Homöostasestörung Verlauf der Regenerationsphase stattfinden, zwischen
einher. In Abhängigkeit der Belastungscharakteristika einigen Minuten und mehreren Wochen (modifiziert
(u. a. Belastungsintensität, -dauer und -qualität) nach Lambert und Mujika 2013)
460 T. Wiewelhove
wird, maßgeblich zu der Beeinträchtigung der rotraumata treten aber auch bei ungewohnter
kontraktilen Muskelfunktion beitragen. So be- und/oder langandauernder Muskeltätigkeit
wirkt die H+-Ionen-induzierte Arbeitsazidose mit exzentrischen Anteilen auf. Zudem verur-
eine potentielle Reduktion der Ca2+-Sensitivi- sachen hohe bis maximale exzentrische Kraft-
tät myofibrillärer Proteine, da die H+-Ionen belastungen bei langer Muskellänge und hoher
mit den Ca2+-Ionen um die Bindung an Trop- Dehnungsgeschwindigkeit größere Muskel-
onin C konkurrieren. In der Folge werden die zellschädigungen als exzentrische Muskelak-
Anzahl mechanisch wirksamer Querbrücken tionen bei kurzer Muskellänge und geringer
verringert und die Kontraktilität reduziert Dehnungsgeschwindigkeit (Fridén und Lieber
(Allen et al. 2008; Ament und Verkerke 2009; 2001; Chapman et al. 2006).
Keyser 2010; Debold et al. 2016). Der Schädigungsmechanismus kann fol-
Schließlich wird angenommen, dass der gendermaßen erklärt werden: Bei exzentri-
Abfall des intrazellulären pH-Werts die Glyko- scher Arbeit kommt es auf beiden Seiten der
lyserate drosselt, da H+-Ionen inhibitorischen Z-Scheiben zu entgegengesetzten Zugbewe-
Einfluss auf das Enzym Phosphofructokinase gungen, da die kontraktilen Einheiten der
ausüben. Phosphofructokinase spielt eine zen- Muskelzelle trotz der hohen äußeren Deh-
trale Rolle im Glukosestoffwechsel. Sie wird als nungskräfte versuchen, ihre Kontraktions-
Schrittmacherenzym der Glykolyse bezeich- arbeit zu verrichten und den Muskel bzw. das
net, da durch die Regulation ihrer Aktivität Sarkomer zu verkürzen. Dies führt zu einem
gleichsam die Aktivität der Glykolyse gesteuert Überschreiten der individuellen Dehnbelas-
9 wird (Raeder 2017). Es ist zu berücksichtigen, tungstoleranz (Yield Point) vereinzelter Sar-
dass es unter den Bedingungen körperlicher komere (Armstrong et al. 1991; Proske und
Aktivität immer zu einer kombinierten Wir- Morgan 2001). Bei gleichem Bewegungswi-
kung aller metabolischen Ermüdungsfaktoren derstand und exzentrischer Kontraktion sind
kommt. Sie tragen nicht isoliert, sondern ad- im Vergleich zu isometrischer oder konzen-
ditiv in unterschiedlichem Ausmaß und mit trischer Arbeitsweise zudem eine geringere
verschiedenen Wirkmechanismen sowie in Anzahl motorischer Einheiten in die Kon-
unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen zur traktion involviert. Die absolute mechanische
Muskelermüdung bei. Beanspruchung der rekrutierten Muskelfaser-
strukturen ist mit ansteigendem Dehnungs-
grad daher teils deutlich erhöht (Fridén und
9.2.2 echanische Ursachen von
M Lieber 2001; Byrne et al. 2004). Aufgrund
Ermüdung der heterogenen Verteilung der Kräfte- und
Längeneigenschaften der Sarkomere inner-
Mechanisch bedingte Ermüdungserscheinun- halb der Myofibrille werden außerdem einige
gen betreffen den Schädigungsprozess der Sarkomere stärker und schneller gedehnt als
Skelettmuskulatur infolge der bei Muskeltätig- andere.
keit auftretenden intramuskulären Zug- und Histologische Untersuchungen mittels
Scherkräfte. Die hierbei entstehenden mikros- elektronenmikroskopischer Analyse von Mus-
kopisch kleinen Muskelverletzungen (sog. Mi- kelbiopsien sowie Magnetresonanztomogra-
krotraumata) werden speziell durch intensive phie und Ultraschall deuten darauf hin, dass
dynamisch-negative (exzentrische) Muskelbe- exzentrisch induzierte Mikrotraumata spe-
anspruchungen ausgelöst, da hierbei die ein- ziell mit der Auflösung des charakteristischen
wirkenden Kräfte auf die Muskelfaserstruktu- myofibrillären Strukturmusters einhergehen
ren um ein Vielfaches über denen bei statischer (. Abb. 9.3). Hierbei zeigen sich neben Be-
oder dynamisch-positiver (konzentrischer) schädigungen des Sarkolemms und der an das
Muskelarbeit liegen (Wiewelhove 2016). Mik- sarkoplasmatische Retikulum angrenzenden
Regenerationsmanagement und Ernährung
463 9
a b
c d
Ergebnisse diverser Studien deuten darauf hin, perkutan mittels Oberflächenelektroden, die ent-
dass sich das zentralnervöse Antriebsverhalten weder am Muskelbauch oder am motorischen
nach intensiven und/oder intermittierenden Be- Nerv angebracht werden, elektrisch gereizt. Da-
lastungen kaum verändert (u. a. Taylor et al. 2000; durch wird ein zusätzlicher isometrischer Twitch
Bishop 2012; Bigland-Ritchie et al. 2017). Dies auf die vom Muskel durch Willkürinnervation ge-
konnte in vielen Fällen mittels Elektromyographie nerierte Kraft gesetzt. Hierbei gilt: Je höher die
und transkranieller Magnetstimulation sowie ins- durch die Elektrostimulation zusätzlich erzeugte
besondere mithilfe der Twitch-Interpolationstech- Kraft, desto eingeschränkter die Willküraktivie-
nik nachgewiesen werden. Die Twitch-Interpola- rung und desto größer der Einfluss zentraler Er-
tionstechnik erlaubt eine objektive Messung müdungsmechanismen. Mittels Twitch-Interpola-
rekrutierter und nicht rekrutierter Anteile eines tionstechnik vorgelegte Befunde weisen darauf
Muskels während einer isometrischen Kontraktion hin, dass vor allem nach exzentrisch akzentuierten
und ermöglicht so eine differenzierte Abschät- Belastungsprotokollen eine Leistungsminderung
zung peripher und zentral verursachter Kraftver- vorrangig durch periphere Ermüdungsmechanis-
luste. Dabei wird ein willkürlich unter isometri- men verursacht wird (Byrne et al. 2004; Wiewel-
schen Bedingungen kontrahierender Muskel hove 2016).
Auch die klimatischen Rahmenbedingen 2006; Le Meur und Hausswirth 2013). Dies
haben Einfluss auf die Bedeutung der Rege- scheint im Kontext vieler Disziplinen jedoch
nerationsinterventionen. Beispielsweise gaben kein relevanter Regenerationseffekt zu sein
die befragten Sportler an, dass die Kaltwas- (Bishop et al. 2008). Zum Beispiel konnte
serimmersion deutlich häufiger nach Wett- gezeigt werden, dass eine beschleunigte Lak-
kämpfen unter extremer Hitze eingesetzt wird, tatelimination keinen Einfluss auf die kurz-
während das Saunabad unter Kältebedingun- fristige Wiederherstellung der körperlichen
gen bevorzugt wird. Auch ist beispielsweise Leistungsfähigkeit hat (Weltman et al. 1979;
davon auszugehen, dass Kaltwasserimmersion Bond et al. 1991; Tokmakidis et al. 2006) oder
im Schwimmen und Kälteapplikationen in diese durch aktive Erholung sogar negativ be-
den Wintersportarten bei den Athleten eine einflusst wurde (Dupont et al. 2003; Toube-
nur geringe Akzeptanz erfahren (Meyer et al. kis et al. 2005; Spencer et al. 2008). Darüber
2016). Im Folgenden wird auf solche Verfah- hinaus ist eine beschleunigte metabolische
ren vertieft eingegangen, die sich in der Sport- Homöostaseherstellung in vielen Sportarten
praxis vor allem nach intensiven, ermüdenden auch deshalb irrelevant, da sie auch bei passi-
Belastungen großer Beliebtheit erfreuen. Aus- ver Erholung nach bereits 60–90 min erreicht
genommen bleibt der Bereich der Ernährung, wird (Le Meur und Hausswirth 2013). Dies
der in einem separaten Unterkapitel bespro- ist üblicherweise kürzer als der Zeitabschnitt,
chen wird. der zwischen zwei aufeinanderfolgenden Be-
lastungen liegt.
9 Vielmehr verspricht man sich durch den
erhöhten lokalen Blutfluss einen schnelleren
9.3.1 Aktive Erholung
Abtransport von Abfallprodukten des Repa-
raturstoffwechsels geschädigter Muskelfaser-
strukturen sowie eine verbesserte Nährstoff-
versorgung des in Mitleidenschaft gezogenen
Gewebes (Le Meur und Hausswirth 2013).
Zudem könnte sich die analgetische Wirkung
sanfter körperlicher Betätigungen positiv auf
das im Rahmen von Muskelzellschädigungen
auftretende Schmerzempfinden auswirken
(Zainuddin et al. 2006; Tufano et al. 2012; An-
dersen et al. 2013). Beide Aspekte konnten bis-
lang allerdings nicht eindeutig nachgewiesen
werden. Während Gill et al. (2006) sowie Tufano
et al. (2012) eine schnellere Normalisierung der
Kreatinkinasekonzentration im Blut sowie eine
Aktive Erholungsstrategien beinhalten mo- raschere Wiederherstellung der Kraftleistung
derate, dynamische und rein aerobe Aktivi- durch aktive Erholung nachweisen konnten,
täten großer Muskelgruppen wie Jogging, zeigte sich in den Studien von Wiewelhove
Fahrradfahren, Schwimmen oder sanftes et al. (2016, 2018a), dass sowohl eine einmalig
Krafttraining mit dem Ziel der beschleunigten absolvierte als auch eine mehrfach über einen
metabolischen und myofibrillären Homöos- Trainingsblock hinweg wiederholte aktive Er-
taseherstellung (Nédélec et al. 2013). Die holung keinerlei Einfluss auf das Entstehen und
wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit Abklingen von Ermüdungssymptomen hatte.
ist jedoch nicht überzeugend gegeben. Unbe- Darüber hinaus werden auch negative Ef-
stritten ist eine kurzfristig raschere Laktateli- fekte aktiver Erholungsstrategien vermutet.
mination und pH-Wert-Regulation (Barnett So führte beispielsweise der anhaltend gestei-
Regenerationsmanagement und Ernährung
471 9
gerte Energieumsatz zu einer Verlangsamung 9.3.2 Stretching
der Wiedereinlagerung von Muskelglykogen
(Fairchild et al. 2003). Zudem resultierte eine
laufbasierte aktive Erholung nach einem Halb-
marathon im Vergleich zu passiver Erholung
in einem zusätzlichen Anstieg der Kreatinki-
nasekonzentration im Blut sowie in einer Re-
duktion des subjektiven Erholungsempfindens
(Wiewelhove et al. 2018a).
Aufgrund der heterogenen Befundlage
kann eine aktive Erholung nicht uneinge-
schränkt zur Regenerationsförderung emp-
fohlen werden. Da bislang aber auch kaum
negative Effekte von aktiven Erholungsstra-
tegien bekannt sind, kann von einer aktiven Vorrangiges Ziel von Stretchingmethoden
Erholung auch nicht grundsätzlich abgeraten ist die Verbesserung der sportmotorischen
werden. Über einen Einsatz sollte daher unter Beweglichkeit im Trainingsprozess durch eine
Berücksichtigung individueller Routinen und in Abhängigkeit von den Gelenkstrukturen
Vorlieben sowie nach kritischer Auswahl ge- gesteigerte Dehnfähigkeit (vgl. 7 Kap. 6). Se-
eigneter Belastungsformen (z. B. resultierte kundärziele sind die Steigerung der körper-
eine laufbasierte aktive Erholung unmittel- lichen Leistungsfähigkeit, die Senkung des
bar nach einem Halbmarathon in einer Ver- Verletzungsrisikos sowie die Förderung der
schlimmerung der Ermüdungssymptome) Regeneration nach Training und Wettkampf.
entschieden werden. Abschließend ist anzu- Unbestritten ist, dass langfristiges Dehntrai-
merken, dass ein dauerhafter Einsatz von ak- ning eine Zunahme der Bewegungsreich-
tiven Erholungsmaßnahmen im Trainings- und weite bewirkt. Dies ist vorrangig auf eine er-
Wettkampfprozess keinen adaptationsmindern- höhte Dehnbelastungsfähigkeit infolge einer
den Einfluss auf die Entwicklung der Kraft- gesteigerten Toleranz gegenüber maximalen
oder Ausdauerleistung hat (Roberts et al. 2015; Dehnspannungen zurückzuführen (Raeder
Figueiredo et al. 2016; Wiewelhove et al. 2018b). 2017). Außerdem gibt es vermehrt Indizien,
dass Stretching bei richtiger Anwendung im
Praxistipp: Aktive Erholung Rahmen der Belastungsvorbereitung das Ver-
letzungsrisiko senken kann (Behm et al. 2015;
Die aktuelle Befundlage deutet darauf hin, Reid et al. 2018). Abgesehen von statischen
dass aktive Erholungsstrategien zur Dehnprogrammen, in denen extreme Gelenk-
Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit positionen über einen längeren Zeitraum ge-
am Folgetag keinen messbaren Vorteil halten werden, scheint sich die Anwendung
gegenüber der passiven Erholung besitzen. von Stretching im Warm-up auch nicht nega-
Das in der Praxis weit verbreitete Auslaufen, tiv auf die Leistung auszuwirken (Behm et al.
Ausschwimmen oder Ausradeln ist jedoch 2015; Blazevich et al. 2018; Reid et al. 2018).
selten nachteilig und schwächt auch nicht In Kombination mit Krafttraining kann Stret-
die angestrebten Trainingsadaptationen ab. ching sogar als zusätzlicher Stimulus wirken
Die Entscheidung für oder gegen die und den Hypertrophieeffekt verstärken (Rae-
Durchführung einer aktiven Erholung sollte der 2017).
daher der individuellen Präferenz vorbehal- Bezogen auf die Regeneration konnten
ten bleiben (Meyer et al. 2016). bisher keine potentiell erholungsfördernden
472 T. Wiewelhove
Mechanismen identifiziert werden (Nédélec des Schmerzempfindens. Diese sind aber nach
et al. 2013). Dies mag auch der Grund sein, bereits etwa 30–60 min abgeklungen. Zudem
warum regenerative Wirkungen durch Stret- kann Stretching auch kontrainduziert sein.
ching bislang nur von wenigen Studien über- So können extreme Dehnprotokolle nach
prüft und nicht überzeugend nachgewiesen körperlicher Belastung den Muskel-Sehnen-
wurden (Rabita und Delextrat 2013). In einer Komplex unangemessen belassen, belastungs-
Studie von Robey et al. (2009) hatte Stret- induzierte Mikrotraumata verstärken und
ching keinen Einfluss auf den empfundenen somit einer effektiven Regeneration entgegen-
Muskelschmerz sowie die Wiederherstellung wirken (Nédélec et al. 2013; Rabita und De-
der Leistungsfähigkeit im Anschluss an eine lextrat 2013; Meyer et al. 2016). Daher sollte
intensive Belastung. Ähnliches dokumen- ein Stretching im Rahmen der Regenerations-
tierten Cheung et al. (2003); Connolly et al. förderung sanft und unbedingt schmerzfrei in
(2003); Gulick et al. (1996) sowie Mika et al. adäquaten Bewegungsamplituden erfolgen.
(2007). Sie zeigten, dass Stretching die Sym- Dynamische Dehntechniken bieten außer-
ptome mikroskopischer Muskelverletzungen dem den Vorteil, dass die Muskeldurchblu-
nicht lindert. tung nicht eingeschränkt wird (Raeder 2017).
Im Einzelfall berichten Athleten jedoch
von einem gesteigerten Wohlbefinden und Praxistipp: Stretching
einer Linderung des Schmerzempfindens.
Dies könnte durch die Annahme, dass Dehn- In der Literatur besteht bislang keine
9 programme zu einer Herabsetzung der Ruhe- Einigkeit hinsichtlich potentieller
spannung bzw. des Muskeltonus führen, er- regenerationsfördernder Effekte von
klärt werden. Die Muskelspannung unterliegt Stretching. Zur mittelfristigen Reduktion
viskoelastischen und neurophysiologischen von Muskelschmerzempfinden sowie zur
Zustandsgrößen. Stretching bewirkt kurzfris- beschleunigten Wiederherstellung der
tig eine reduzierte Ruhedehnungsspannung Leistungsfähigkeit in den Folgetagen
(Muskelsteifigkeit) und eine erhöhte Dehn- nach körperlichen Anstrengungen zeigt
Stress-Toleranz und dadurch eine gesteigerte Stretching keinen messbaren Vorteil
Bewegungsreichweite. Zusätzlich stellt sich gegenüber passiver Erholung. Da ein
eine verminderte Reflexaktivität und eine ge- Nachdehnen bei korrekter Anwendung
steigerte Muskelrelaxation ein (Meyer et al. weder die Trainingsadaptation noch den
2016). Wiemeyer (2003) vermutet, dass ins- Regenerationsverlauf negativ beeinflusst,
besondere statisches Dehnen aufgrund redu- kann Stretching aufgrund seines akuten
zierter afferenter und efferenter Zuflüsse zur analgetischen sowie zentralnervös
Formatio reticularis zu allgemeinen Desak- entspannenden Effekts aber zur kurzfris-
tivierungsprozessen und letztlich zu einem tigen Steigerung des allgemeinen
psychophysischen Entspannungszustand Wohlbefindens eingesetzt werden. Im
führt. Eine Abnahme der Ruhe-Dehnungs- unmittelbaren Anschluss an eine
spannung wird zudem auf das sogenannte Belastung sollte nur sanft, schmerzfrei
Creeping-Phänomen (Kriech-Phänomen: und in angemessener Gelenkamplitude
Ausrichtung der Kollagenfasern entlang des nachgedehnt werden. Schmerzende Mus-
einwirkenden Kraftvektors mit einhergehen- keln (Muskelkater) sollten nicht und
der Strukturverlängerung) zurückgeführt ruhende Muskeln nicht ruckartig (in
(Raeder 2017). großen Gelenkamplituden) gedehnt
Die sich hieraus ergebenden Regenera- werden (Rabita und Delextrat 2013;
tionseffekte sind im Wesentlichen eine Steige- Meyer et al. 2016).
rung des Wohlbefindens und eine Linderung
Regenerationsmanagement und Ernährung
473 9
9.3.3 Kälteapplikationen pendieck et al. 2013). Nach dem derzeitigen
Kenntnisstand scheint eine Ganzkörperim-
mersion für 11–15 min bei einer Wasser-
temperatur zwischen 11–15 °C am ehesten
erfolgsversprechend zu sein (Machado et al.
2016).
Derzeit gibt es keine eindeutig belegten
Wirkmechanismen von Kälteapplikationen
als Regenerationsmaßnahmen. Es wird spe-
kuliert, dass der hydrostatische Druck bei der
KWI kompressionsähnliche Wirkungen her-
vorruft und dadurch einen verbesserten ve-
nösen Rückstrom sowie eine abschwellende
Wirkung gewährleistet (Bieuzen 2013). Zudem
könnte die kompressionsbedingte Erhöhung
des intrazellulär-intravaskulär ausgerichteten
und osmotisch wirksamen Flüssigkeitsgra-
dienten den Abtransport von Stoffwechse-
lend- bzw. Abfallprodukten beschleunigen und
so die Wiederherstellung der Muskelfunktion
unterstützen (Bieuzen 2013; Poppendieck et al.
2013; Raeder 2017).
Die eigentlichen Regenerationseffekte von
KWI bzw. Kälteapplikationen werden aller-
dings vorrangig auf die (Wasser-)Tempera-
Sportpraktische Kälteanwendungen erfolgen tur und die damit einhergehende Reduktion
zumeist durch Kaltwasserimmersion (KWI) lokaler Entzündungs- und Schmerzprozesse
oder Kryotherapie (z. B. Kältekammer). Aber zurückgeführt (Nédélec et al. 2013). So ver-
auch Eismassagen, kühlende Sprays und Gels mindert die Temperatursenkung aufgrund
sowie Kühlwesten kommen vereinzelt zum einer reflexartigen lokalen Vasokonstriktion
Einsatz. Da eine KWI mit relativ geringen und einer verringerten thermoregulatorischen
Kosten verbunden ist (z. B. lediglich die An- Notwendigkeit zur konvektiven Hitze- bzw.
schaffung einer Regentonne) und gleichzeitig Wärmeableitung den Blutfluss zu den Extre-
keiner größeren räumlichen Voraussetzung mitäten. In der Folge kommt es zu einer Um-
bedarf, scheint vor allem sie in vielen Sport- leitung des Blutstroms von der Peripherie zum
arten beinahe flächendeckend etabliert zu sein Körperkern und damit ebenfalls zu einem er-
(Meyer et al. 2016). Insbesondere im Fußball höhten venösen Rückstrom sowie einer verbes-
oder Tennis wird die KWI oft im direkten serten Herzeffizienz (Nédélec et al. 2013, 2015;
Anschluss an Trainingseinheiten und Spielen Versey et al. 2013; Ihsan et al. 2016). Dabei
durchgeführt. wird angenommen, dass vor allem die durch
Empfohlene bzw. evaluierte Immersions- Kälte ausgelöste Vasokonstriktion inflamma-
protokolle variieren in Dauer, Wassertempe- torische Prozesse hemmt und dadurch indi-
ratur und Eintauchtiefe zwischen Intervall- rekt die Entstehung von Schmerz beeinflusst
anwendungen von beispielsweise 5 × 1 min (Bieuzen 2013; Leeder et al. 2012; Poppen-
bei einer Wassertemperatur von 5–8 °C und dieck et al. 2013; White und Wells 2013). Eine
Daueranwendungen von 10–20 min bei ei- kurzfristige analgetische Wirkung und somit
ner Wassertemperatur von 10–15 °C (Pop- direkte Schmerzlinderung infolge inhibitori-
474 T. Wiewelhove
Praxistipp: Kompressionskleidung
Exkurs: Jet-Lag
Vor allem Spitzensportler müssen häufig zu weit potentiell negativen Konsequenzen für die
entfernten Wettkämpfen reisen. Bereits ab einer Wettkampfleistung entgegenzuwirken, sind die
Zeitverschiebung von etwa drei Stunden ist das Einhaltung von Schlafzeiten während des Flugs
Auftreten von Jet-Lag-Symptomen (u. a. Einschlaf- (wobei man sich an der Zeit des Zielortes
schwierigkeiten, vorübergehende Müdigkeit am orientieren sollte), die Anpassung von Einschlaf-
Tag, Konzentrationsschwierigkeiten, Motivations- zeiten und Nachtschlafdauer vor und nach dem
verlust, Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit, Eintreffen am Wettkampfort, die Einplanung einer
Reduktion der körperlichen Leistungsfähigkeit) ausreichend langen Akklimatisierungsdauer und
wahrscheinlich. Nach Reisen in östlicher Richtung ggf. die Nutzung von Hilfsmitteln zur Schlafunter-
sind die Symptome meist stärker ausgeprägt als stützung. Das heißt, die Anreise sollte möglichst
bei Reisen in westliche Richtung. Das bedeutet, frühzeitig vor Wettkampfbeginn, mindestens
eine Umstellung auf einen Zeitvorsprung ist in der jedoch eine Woche vorher erfolgen. Nach Ankunft
Regel schwieriger als auf eine Zeitverzögerung sollten Schlaf- und Trainingseinheiten möglichst
(Lee und Galvez 2012; Meyer et al. 2016). sofort an die Ortszeit angepasst werden (Meyer
Strategien, um den Jet-Lag-Symptomen und deren et al. 2016).
.. Foam-Rolling (https://doi.org/10.1007/000-054)
Regenerationsmanagement und Ernährung
481 9
Empfehlungen bezüglich Anwendungs- theorien beinhalten einen erhöhten Blutfluss
dauer und Anpressdruck sind uneinheitlich infolge einer parasympathisch ausgelösten
und sowohl von der Art der vorrangegan- Vasodilatation sowie eine gesteigerte Neutrop-
genen Belastung als auch der individuellen hilenkonzentration, die der Entstehung von
Schmerzaffinität abhängig. So kann zu starker Entzündungsherden und somit einer Ödem-
Anpressdruck belastungsinduzierte Muskel- bildung entgegenwirken könnte. Potentielle
faserschädigungen u. U. verstärken. In wis- psychophysiologische Einflussgrößen umfas-
senschaftlichen Untersuchungen kommen sen schließlich ein verbessertes Erholungs- und
überwiegend Protokolle mit einer Anwen- Wohlbefinden infolge eines erhöhten Plasma-
dungsdauer von 1–3 × 30–60 s pro Muskel- endorphinspiegels, ein verringertes zentral-
gruppe zum Einsatz. Das Ausrollen vom dista- nervöses Erregungsniveau, eine verstärkte
len zum proximalen Ansatzpunkt des Muskels parasympathische Aktivität und/oder den
und zurück geschieht dabei mit gleichbleiben- Placebo-Effekt (Meyer et al. 2016; Wiewelhove
der, langsamer Geschwindigkeit, was entweder et al. 2019).
der subjektiven Einschätzung des Anwenders Aktuelle wissenschaftliche Studien und
überlassen ist oder mit der Hilfe eines Metro- Übersichtsarbeiten bestätigen, dass Foam-
noms oder verbaler Instruktion sichergestellt Rolling in einer kurzfristigen, aber deutlichen
werden kann (Meyer et al. 2016). Ein Grund Verbesserung der Beweglichkeit sowie in
für die aktuelle Popularität von Foam-Rolling einer geringen Steigerung der Sprintleistung
als Warm-up- und Regenerationsstrategie ist resultiert (Cheatham et al. 2015; Wiewelhove
wohl die kostengünstige, einfache, selbststän- et al. 2019). Ein akuter Einfluss auf die Maxi-
dige und zeiteffiziente Anwendbarkeit (Wie- mal- und Schnellkraftleistung konnte bislang
welhove et al. 2019). nicht belegt werden. Hinsichtlich regenera-
Trotz der Popularität besteht jedoch kein tiv wirksamer Effekte scheint eine Reduktion
Konsens hinsichtlich des regenerativen Mehr- des Muskelschmerz- und somit Erholungs-
werts von Foam-Rolling. Dies mag zum Teil empfindens als gesichert (. Abb. 9.4). Dies
daran liegen, dass bislang nur wenige Studien wird wie die Erhöhung der Gelenkreichweite
die zugrunde liegenden Wirkmechanismen hauptsächlich mit der durch Foam-Rolling
untersucht haben. Es wird vermutet, dass po- bewirkten Schmerzmodulation erklärt (Ab-
tentielle Effekte von Foam-Rolling im Zusam- oodarda et al. 2015; Cavanaugh et al. 2017).
menhang mit mechanischen, neurologischen, Zudem gibt es Hinweise auf eine geringfügig
physiologischen und psychophysiologischen beschleunigte Wiederherstellung der Kraft-
Mechanismen stehen (Aboodarda et al. 2015; und Sprintleistung (Wiewelhove et al. 2019).
Cavanaugh et al. 2017; Monteiro et al. 2018; Vereinzelt werden auch mögliche schädliche
Phillips et al. 2018). Nebenwirkungen von Foam-Rolling auf bei-
Hinsichtlich mechanischer Mechanismen spielsweise die Gefäßstruktur diskutiert (Frei-
wird über eine Reihe von Untermechanismen wald et al. 2016).
spekuliert, wie z. B. eine Verringerung von Ad-
häsionen zwischen den Faszienschichten und Praxistipp: Foam-Rolling
eine Veränderung der thixotropen Gewebe-
eigenschaften. Bezüglich neurologischer Vor- Nach aktuellem Erkenntnisstand verbes-
gänge wird vermutet, dass Foam-Rolling eine sert Selbstmassage durch Foam-Rolling
analgetische und muskelregenerative Wirkung kurzfristig die Beweglichkeit, ohne dabei
infolge einer Schmerzmodulation (z. B. Her- die körperliche Leistungsfähigkeit zu
absetzung der Sensitivität von Schmerzrezep- beeinträchtigen. Außerdem hilft Fo-
toren) zukommt. Physiologische Wirkungs-
482 T. Wiewelhove
.. Abb. 9.4 Infografik zum Einfluss von Foam-Rolling auf Leistungsfähigkeit und Regeneration (nach Le Meur
2019; Wiewelhove et al. 2019)
Regenerationsmanagement und Ernährung
483 9
erte diastolische Kompression der Beinvenen
am-Rolling, das Muskelschmerzempfin- mittels pneumatischer Manschetten sollen der
den in der Belastungsnachbereitung zu venöse Rückstrom unterstützt und muskuläre
reduzieren und somit das Wohlbefinden Ermüdungsbeschwerden limitiert werden.
zu steigern. Daher spricht nichts gegen Auch werden Geräte zur LED- und Laser-
den Einsatz als regenerationsfördernde therapie zur Verbesserung der Regeneration
Maßnahme sowohl unmittelbar nach angepriesen. Sie sollen auf zellulärer Ebene
Training oder Wettkampf als auch an durch eine Aktivierung mitochondrialer
trainingsfreien Tagen. Allerdings gibt es Stoffwechselkaskaden beschleunigend auf die
keinen eindeutigen Nachweis für eine Zellheilung nach Muskeldestruktion wirken
überdauernde Beschleunigung oder (Meyer et al. 2016).
Verzögerung der Leistungswiederherstel- Schließlich kann die zunehmende Ver-
lung. Vor diesem Hintergrund ist der fügbarkeit von Vibrations-Trainingsgeräten
Einsatz von Foam-Rolling im Rahmen für das Regenerationsmanagement von Inte-
eines Warm-ups möglicherweise sinnvol- resse sein. Vereinzelte wissenschaftliche Stu-
ler als während der Regenerationsphase dien berichten von regenerationsrelevanten
(Meyer et al. 2016; Wiewelhove et al. Effekten (Kosar et al. 2012). Ein eindeutiger
2019). wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis
fehlt jedoch. Dies gilt auch für die anderen
beschriebenen Technologien, die durch ge-
schickte Marketingstrategien jedoch bereits
9.3.9 Sonstige Regenerations- teilweise im leistungssportlichen Umfeld im
interventionen Einsatz sind. Aufgrund des hohen apparativen
und finanziellen Aufwandes bei weitestgehend
Aufgrund der Bedeutung einer raschen Re- unklarer Evidenz kann aber bislang von einem
generation für die Realisation sportlicher flächendeckenden Einsatz abgeraten werden
Höchstleistungen werden Trainer und Athle- (Meyer et al. 2016).
ten zunehmend von weiteren Interventionen
und Technologien mit überwiegend unklarer Exkurs: Regeneration versus Adaptation
Evidenz konfrontiert (Meyer et al. 2016). Bei-
spielsweise wird die Akupressur von zahl- Einige wenige Untersuchungen fanden heraus,
reichen kommerziellen Einrichtungen zur dass ein Einsatz der KWI im langfristigen
Stressbewältigung und als Entspannungsthe- Trainingsprozess die durch Krafttraining
angestrebten Anpassungen verringerte (Fröhlich
rapie angeboten. Im Bereich der regenera- et al. 2014; Roberts et al. 2015). Obwohl dieser
tionsfördernden Gerätetechnologien werden Effekt gering war, könnte er im Leistungs- und
beispielsweise vakuumbasierte Unterdruckbe- Hochleistungssport von Relevanz sein. Die
handlungsmethoden propagiert. Sie sollen die vergleichsweise geringen oder kaum nachweis-
Gewebedurchblutung fördern sowie den ve- baren nachhaltigen physiologischen Erholungs-
effekte sprechen aber gegen einen nennenswer-
nösen und lymphatischen Rücktransport un- ten adaptationsmindernden Einfluss der
terstützen. In ähnlicher Weise soll die aus dem etablierten Regenerationsinterventionen. Dies
klinischen Bereich kommende und mittler- konnte bereits für eine aktive Erholung im
weile als Regenerationsintervention vermark- Kontext des Ausdauertrainings bestätigt werden
tete pneumatische externe Gegenpulsation (Wiewelhove et al. 2018b).
wirken. Durch die rhythmische EKG-gesteu-
484 T. Wiewelhove
9.4 Regeneration und Ernährung Leucin) sowie durch Reparatur- bzw. Adapta-
tionsvorgänge (nach vorausgegangener Mus-
kelschädigung bzw. zur Muskelhypertrophie)
erhöht.
Es gilt als gesichert, dass durch eine aus-
reichende Aufnahme von Flüssigkeit, Mine-
ralstoffen, Kohlenhydraten, Proteinen und
essentiellen Aminosäuren nach Belastungs-
ende die Regeneration beschleunigt werden
kann (Nédélec et al. 2015; Schek 2018). Als
besonders effektiv wird dabei die kombinierte
Aufnahme von Flüssigkeit, Kohlenhydraten
und Proteinen bzw. essentiellen Aminosäuren
sowie speziell den Branched-Chain Amino
Acids (BCAAs) beschrieben. Insbesondere bei
Seit mehr als 50 Jahren werden potentiell akuten strukturellen und funktionalen Schädi-
leistungssteigernde Ernährungsmaßnahmen gungen der Skelettmuskulatur können somit
vor und während körperlichen Belastungen gleichzeitig Energiereserven wiederaufgebaut
(sowohl Training als auch Wettkampf) unter- und die Reparatur von geschädigten Muskel-
sucht und diskutiert – allen voran die Koh- strukturen beschleunigt werden (Nédélec et al.
9 lenhydratsupplementation im Ausdauersport 2013, 2015).
und die Proteinsupplementation im Kraft- Neben der unbestrittenen Wirkung von
sport. Regenerationsfördernde Ernährungs- Makronährstoffen versprechen verschiedene
empfehlungen rücken allerdings erst seit etwa Mikronährstoffe und Nahrungsergänzungs-
15 Jahren verstärkt in den Fokus des sport- mittel einen zusätzlich beschleunigenden
wissenschaftlichen und sportpraktischen In- Einfluss auf die kurzfristige (z. B. Kreatinmo-
teresses. Bei diesen neueren Tendenzen geht nohydrat bei Intervallbelastungen) und mit-
es darum, inwieweit Ernährungsmaßnahmen telfristige Regeneration (z. B. Antioxidantien
eine zügige Wiederherstellung der Leistungs- aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wir-
fähigkeit und eine Minimierung von Überlas- kung bei Muskelschäden). Stets neue heils-
tungsreaktionen unterstützen können (Schek bringende Nahrungsergänzungsmittel werden
2013). propagiert und vermarktet (z. B. ß-Hydroxy-ß-
Intensive und langandauernde körper- methylbutyrat, kurz HMB, zur Stimulation von
liche Aktivität geht mit Flüssigkeits- und Mi- anabolen Reparaturvorgängen nach Krafttrai-
neralstoffverlusten (Dehydratation und Hy- ning). Für deren regenerative Wirkung man-
ponatriämie primär durch Schweißverlust), gelt es jedoch häufig an Evidenz. Im Folgenden
Energieverlusten (speziell Kohlenhydrate werden aus dem umfangreichen Forschungs-
durch Entleerung der Muskel- und Leber- feld nur jene Ernährungsaspekte vertieft be-
glykogenspeicher) und strukturellen Schäden trachtet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit re-
(z. B. Muskelschäden mit nachfolgenden Ent- generationsfördernd sind. Für Betrachtungen,
zündungsmechanismen) einher. Auch der die über diese Auswahl hinausgehen, wird der
Proteinumsatz ist je nach Belastungsform und interessierte Leser auf weiterführende aktuelle
-dauer durch Oxidation im Rahmen der Ener- Literatur verwiesen (Kerksick et al. 2018; Nieß
giebereitstellung (vor allem die Aminosäure et al. 2008; Schek 2018).
Regenerationsmanagement und Ernährung
485 9
9.4.1 usgleich von Flüssigkeits-
A entleerungsrate bis zu einer Konzentration
und Mineralstoffverlusten von 8 % nicht wesentlich vermindert. Die Auf-
nahme hypotoner Getränke mit geringer Os-
Körperliche Aktivität geht mit Schweißverlus- molarität (z. B. Wasser) ermöglicht zwar eine
ten zur Regulation der Körperkerntemperatur rasche Magenentleerung, verzögert jedoch die
einher und steigert dadurch den Wasserbedarf. Absorption vom Dünndarm ins Blut. Hyper-
Der Entzug von Körperwärme erfolgt durch tone Getränke (z. B. unverdünnte Fruchtsäfte)
Verdunstungskälte auf der Haut (Thermore- verzögern die Magenentleerung und senken
gulation). In Abhängigkeit von Umgebungs- die Nettoabsorption ins Blut erheblich, da zur
temperatur, Luftfeuchtigkeit, Belastungsin- Verdünnung der Flüssigkeit zunächst Wasser
tensität und -dauer sowie Leistungsfähigkeit, vom Blut in den Dünndarm sezerniert wird.
Bekleidung, Körpergewicht, Veranlagung und Die Nettoabsorption ist somit das Ergebnis aus
Geschlecht kann die Schweißmenge bis weit Absorption und Sekretion (Rehrer et al. 1992;
über 2 l pro Stunde betragen. Gut Trainierte Saris et al. 1992a, b; Brouns 1993; Schek 2018).
schwitzen früher und stärker, wobei nach ca.
30 min ein Plateau erreicht wird, bis mit ab- Praxistipp: Flüssigkeitszufuhr während der
nehmendem Körperwasser die Schweißmenge Belastung
wieder rückläufig ist (Lee et al. 2014). Bei Auf-
enthalt in großer Höhe steigt der Wasserbedarf Während der Belastung sollte eine möglichst
zusätzlich an. Durch eine Abnahme des Kör- hohe Nettoabsorptionsrate von Wasser,
pergewichts von mehr als 3 % infolge des Flüs- Kohlenhydraten und Elektrolyten angestrebt
sigkeitsverlusts wird die körperliche Leistungs- werden, da hierdurch dem Verlust an
fähigkeit beeinträchtigt. Ab einem Verlust Flüssigkeit und Mineralstoffen (Schweiß)
von mehr als 7 % sind extreme Beschwerden sowie dem erhöhten Energiebedarf am
und Muskelkrämpfe möglich, und bei mehr effizientesten begegnet werden kann.
als 10 % besteht die Gefahr eines Hitzschlags Hierzu eignen sich isotonische Lösungen,
(Schek 2018). die zwischen 3 und 7 % Glukose, Saccharose
Zum Ausgleich von Flüssigkeitsverlusten und Maltodextrine sowie mindestens
werden während der Belastung isotonische 400 mg Natrium- und 100 mg Magne-
Getränke empfohlen. Diese gewährleisten sium-Ionen pro Liter enthalten. Dies können
eine rasche Magenentleerung und eine effizi- käufliche Produkte, aber auch Fruchtsaft-
ente Absorption von Wasser im Dünndarm. schorlen (z. B. Apfelsaft mit elektrolytrei-
Isotonische Getränke besitzen eine ähnliche chem Mineralwasser im Verhältnis 1:2 [ca.
Osmolarität bzw. Osmolalität wie das Blut 4 %] oder 1:1 [ca. 6 %]) oder auch entspre-
(ca. 0,3 mol/l). Dies entspricht in etwa einer chende Cola-Mischungen mit Mineralwasser
5,4-prozentigen Glukoselösung (5,4 g/100 ml). sein. Letztere können durch den Koffeinge-
Wenn neben Glukosemolekülen auch andere halt im Einzelfall hilfreich sein.
osmotisch wirksame Teilchen in der Flüssig-
keit gelöst sind (z. B. Elektrolyte wie Natrium-
und Magnesium-Ionen), muss der Glukose- In der Regenerationsphase ist die Vorgehens-
anteil geringfügig korrigiert werden. Wenn weise vom Ausmaß des Flüssigkeitsverlustes
anstelle von Glukose Saccharose (Haushalts- und von der Dauer bis zur nächsten Belastung
zucker) und Maltodextrine (kurzkettige Mehr- abhängig. Bei starker Dehydratation (z. B. nach
fachzucker) verwendet werden, ist die Magen- Marathonläufen oder Langdistanz- Triathlon
486 T. Wiewelhove
unter Hitzebedingungen) ist es ratsam, den Belastung rasch wiederhergestellt werden soll
Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust mit (Jeukendrup 2008; Faude und Meyer 2012).
hypo- oder isotonischen Getränken so schnell Die Speicherkapazität des Körpers für Kohlen-
wie möglich zu kompensieren. Bei geringeren hydrate ist begrenzt. Im Durchschnitt werden
Verlusten (< 5 % des Körpergewichts) kann nicht mehr als 400–600 g Glukose in Form von
das Flüssigkeits- und Elektrolytdefizit belie- Glykogen eingelagert (100 g Leberglykogen
big ausgeglichen werden. Da in diesen Fällen und 300–500 g Muskelglykogen; . Abb. 9.5).
eine hohe Nettowasserabsorption nicht das Bei vollständig gefüllten Glykogenspeichern
primäre Ziel ist, kann zugunsten einer raschen reicht die Energie bei intensiven Ausdauer-
und effizienten Glykogenresynthese auch auf beanspruchungen (bei einer Ausschöpfung
hypertone Getränke zurückgegriffen werden von über 65 % der V̇ O2max wie beispielsweise
(z. B. Malzbier, alkoholfreies Bier oder Glu- auch in den Sportspielen) für etwa 75–90 min
kosepolymer-Lösungen). Diese haben auch (Murray und Rosenbloom 2018). Speziell bei
den Vorteil, dass sie aufgrund ihres guten Ge- intensiven Belastungen sind Kohlenhydrate
schmacks zum Genuss größerer Mengen anre- aufgrund des günstigeren kalorischen Sauer-
gen, zumal der Appetit unmittelbar nach Be- stoffäquivalents gegenüber der Fettoxidation
lastungsende oft unzureichend ist, gleichzeitig überlegen. Dies erklärt die frühen muskel-
jedoch die besten hormonellen Rahmenbedin- bioptischen Untersuchungen unter anderem
gungen für den Glykogenaufbau vorliegen. bei Fußballspielern, die gegen Spielende eine
fast vollständige Entleerung der Glykogen-
9 xkurs: Kakao und Kirschsaft nach der Be-
E reserven nachweisen (Hermansen et al. 1967;
lastung Brouns 1993). Wenn auch das Leberglykogen
aufgebraucht und nicht mehr in der Lage ist,
In jüngerer Zeit mehren sich die Befunde, den Kohlenhydratverbrauch in der Muskula-
dass auch fettarme Milchprodukte (z. B. Kakao tur zu decken, versucht die Leber, im Rahmen
oder Erdbeermilch) regenerationsbeschleuni-
gend wirken, sofern sie für die Athleten der Glukoneogenese aus Glycerol (Anteil des
verträglich sind. Diese hypertonen Drinks sind Fettmoleküls), Laktat und glukogenen Ami-
ebenfalls kohlenhydrat- und elektrolythaltig. nosäuren neue Glukose zu bilden. Dieser Re-
Sie besitzen jedoch zusätzlich den Vorteil, serveweg ist jedoch insuffizient, sodass die
dass der Proteingehalt im Kontext der Belastungsintensität gesenkt werden muss
Reparatur von Muskelschäden hilfreich ist
und einen intrazellulären Stimulus für die (. Abb. 7.11, 7.12 und 7.13). Bei Hitze ist der
Proteinbiosynthese darstellt (Pritchett und Glykogenabbau beschleunigt, weil aufgrund
Pritchett 2013). Kirsch- und Tomatensäfte der Blutumverteilung zur Wärmeabgabe in die
werden aufgrund ihres entzündungshemmen- Peripherie in der Muskelzelle weniger Sauer-
den und antioxidativen Potentials ebenfalls stoff verfügbar ist und die anaerobe Glykolyse
während der Regeneration angeraten
(Nédélec et al. 2015). forciert (Fink et al. 1975; Jentjens et al. 2015).
Auch unter Wettkampfstress nimmt der Gly-
kogenverbrauch zu. Adrenalin aktiviert die
Glykolyse und Glykogenolyse und hemmt die
9.4.2 Kohlenhydratzufuhr Glykogensynthase. Zudem kann die Bewe-
gungsökonomie unter Nervosität beeinträch-
Eine bestmögliche Kohlenhydratzufuhr (bzgl. tigt und dadurch der Energieverbrauch erhöht
Timing und Zusammensetzung) ist eine der sein (Richter et al. 1982).
wichtigsten Voraussetzungen für den Rege- Bleibt eine Supplementation der verbrauch-
nerationsprozess, wenn die Leistungsfähig- ten Kohlenhydrate aus und wird nach Belas-
keit nach einer langwährenden intensiven tungsende eine ausschließlich fett- und/oder
Regenerationsmanagement und Ernährung
487 9
Zucker
Marmelade
Disaccharide Maltose Saccharose Laktose
Süßwaren
Zweifachzucker Malzzucker Rohrzucker Milchzucker
Limonaden
Malzbier
Sportgetränke
Oligosaccharide Toast
Mehrfachzucker Zwieback
Kekse
Getreide/Müsli
Mehlspeisen/Nudeln Resorption langsam
Polysaccharide Amylose, Amylopektin (pflanzliche Stärke)
Brot/Trockenkuchen Geschmack neutral
Vielfachzucker Glykogen (tierische Stärke)
Reis/Mais glykämischer Index niedrig
Kartoffeln
.. Abb. 9.5 Klassifikation von Kohlenhydraten (KH) chemische Zusammensetzung der Banane ändert sich
und Nahrungsmittelbeispiele. KH mit kürzerer mit verschiedenen Graden der Reife. Dabei wird die
Kettenlänge sind süßer, werden schneller resorbiert Stärke durch das Enzym Amylase gespalten, und der
und besitzen einen hohen glykämischen Index. Die Anteil an Monosacchariden steigt
12
11
Tag 1: glykogenbeladen Tag 2: glykogenverarmt
10
9
8
Laktat (mmol/l)
7
6
5 Maximalleistung↓ Lamax↓ aaS↑
4
3
2
1
0
Ruhe 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0
v (m/s)
.. Abb. 9.6 Fallbeispiel für den Verlauf der Laktatleis- Folgetag dieselbe Testanforderung absolviert. Folglich
tungskurve eines Athleten, der nach einer intensiven ist die Ernährung bei leistungsdiagnostischen
Leistungsdiagnostik am Vortag, anschließender Untersuchungen stets kohlenhydratreich zu standardi-
Dauerbelastung und fett-/eiweißreicher Diät am sieren
Glykogenspeicher und die Art der zugeführten 55 In den folgenden Hauptmahlzeiten sollte
Kohlenhydrate. Die vollständige Wiederauf- der Kohlenhydratanteil auf 60 % der
füllung der Glykogenspeicher nach völliger insgesamt zugeführten Energie erhöht
Entleerung dauert zwischen zwei und drei Ta- werden. Dabei sind stärke- und ballast-
gen und wird durch verschiedene zusätzliche stoffreiche Lebensmittel zu bevorzugen
Faktoren beeinträchtigt. Aktive Erholung nach (z. B. Vollkornprodukte, Kartoffeln,
Belastungsende (z. B. Auslaufen oder Ausra- Gemüse und Obst). Mehrere kleinere
deln) geht ebenso wie Schlafmangel und somit Mahlzeiten sind wenigen umfangreichen
längere Wachphasen mit einem zusätzlichen Mahlzeiten vorzuziehen.
Energieverbrauch einher. Beides reduziert die 55 Die aufgenommene Kohlenhydratmenge
rasche Glykogensynthese nach Belastungsende sollte „strategisch“ dem Verbrauch
(Nédélec et al. 2015). angepasst bzw. periodisiert werden,
Zur bestmöglichen Regeneration entleer- sodass in Phasen geringerer Trainings-
ter Kohlenhydratspeicher können die Ausfüh- umfänge die Kohlenhydratzufuhr
rungen von Colombani (2017); Nédélec et al. reduziert und nach mehrstündigem
(2015) und Schek (2013, 2018) sowie die fol- intensiven Trainingseinheiten maximal
genden Empfehlungen herangezogen werden: gesteigert wird.
55 Bereits während der Belastung, so weit je 55 Die maximale Glykogenresynthese lässt
nach Sportart möglich, Kohlenhydrate in sich mit der Wahl der Kohlenhydrat-
regelmäßigen Abständen zuführen (ca. 1 g quelle geringfügig modulieren. Der
9 Kohlenhydrate/kg/h). Je nach Belastung in Einsatz von Getränken, die neben
Form von u. a. isotonischen Getränken, kurzkettigen Kohlenhydraten auch
Kohlenhydratgels, reifen Bananen, Maltodextrine und Glukosepolymer-
Energieriegeln, Trockenobst oder Rosi- Lösungen beinhalten, sowie eine kombi-
nenbrötchen (z. B. während des Laufs oder nierte Kohlenhydrat- und Proteinzufuhr
in der Halbzeitpause in den Sportspielen). bilden möglicherweise einen zusätzlichen
Die Zufuhr externer Kohlenhydrate deckt Stimulus auf die Glykogenresynthese
bereits einen Teil des Energieverbrauchs (z. B. 8–10 g Kohlenhydrate/kg/Tag plus
und schont dadurch den Verbrauch essentielle Aminosäuren wie beispiels-
körpereigener Glykogenspeicher. weise 0,2–0,4 g Leucin/kg/Tag). Auch die
55 Möglichst unmittelbar nach Belastungs- Zufuhr ausreichender Flüssigkeit und
ende und wiederholt während der ersten Mineralien (insbesondere Kalium) wird
Stunden danach Zufuhr von Kohlen- empfohlen.
hydraten mit hohem glykämischen Index 55 Als kohlenhydratreiche Zwischenmahlzei-
(GI), ebenfalls im Umfang von ca. 1 g ten eignen sich Brot mit süßem Aufstrich,
Kohlenhydrate/kg/h. Der Grund für eine Müsli und Cornflakes, Obst, Kartoffelpü-
möglichst frühzeitige (erste) Kohlenhyd- ree oder Gnocchi ggf. kombiniert mit
rataufnahme liegt darin, dass die Ein- fettarmen Milchprodukten, magerem
schleusung von Glukose in die Muskel- Fleisch oder Eiern. Auf die alternative
zelle via GLUT4-Transporter Zufuhr von Kakao wurde hingewiesen
(Glukosetransporter Typ 4) gesteigert ist (7 Exkurs: Kakao und Kirschsaft nach der
und auch das hierfür zuständige Enzym Belastung).
(Glykogensynthase) in den ersten beiden 55 Die Zufuhr von Alkohol verzögert die
Stunden nach Arbeitsende die höchste Glykogeneinlagerung.
Aktivität aufweist.
Regenerationsmanagement und Ernährung
489 9
Exkurs: Carbohydrate Mouth Rinsing Der Proteinumsatz kennzeichnet die
Menge an Protein, die im Körper täglich ab-,
Verschiedene Autoren wiesen nach, dass das um- und aufgebaut wird. Hierzu werden nicht
Ausspülen des Mundes und anschließende
nur die aufgenommenen Nahrungsproteine
Ausspucken von Maltodextrin-Lösungen im
Vergleich zu einem Placebo zu signifikanten verwendet, sondern auch vorhandene Proteine
Leistungsverbesserungen bei Ausdauerbelas- abgebaut und „recycelt“. Der Proteinumsatz
tungen über ca. 60 min (Time Trials) führte. Dies übersteigt daher den Proteinbedarf, der sich
wird theoretisch mit dem Vorhandensein von aus der Proteinausscheidung und der Reten-
Kohlenhydratrezeptoren im Mund, die ein
tion (aufgenommene und in fettfreie Körper-
Belohnungszentrum im Gehirn speziell bei
entleerten Glykogenspeichern stimulieren masse eingebaute Aminosäuren) zusammen-
sollen, erklärt (u. a. Carter et al. 2004; Haase setzt (. Abb. 9.7). Bei einem Kraftsportler in
et al. 2009). Im Zusammenhang mit dem Thema der anabolen Phase liegt der zusätzliche Be-
Regeneration besitzen diese Befunde und darf an Protein für den Muskelaufbau unter
Theorien jedoch keine Relevanz. Selbstver-
dem „Sicherheitszuschlag“ zur Ableitung der
ständlich ist eine Entleerung der Glykogenspei-
cher unbedingt zu vermeiden. Für eine täglichen Proteinzufuhrempfehlung aus dem
„Pseudozufuhr“ von nennenswerter Relevanz Tagesbedarf. In der Praxis liegt der Protein-
ergeben sich in der Sportpraxis nur wenige verzehr jedoch häufig oberhalb der empfohle-
sinnvolle Anwendungsszenarien. nen Zufuhr – frei nach dem Motto „Viel hilft
viel“ (Schek 2018). Interessanterweise liegen
die gängigen Zufuhrempfehlungen (diese
schwanken je nach Autor teilweise erheblich)
9.4.3 Proteinzufuhr von Kraftsportlern und Ausdauersportlern auf
ähnlichem Niveau (1,2–1,7 g/kg/Tag). Dies
Proteine (Eiweiße) bestehen aus zwanzig liegt am grundsätzlich erhöhten gesamtkalo-
Aminosäuren, von denen die acht essentiel- rischen Umsatz der Ausdauersportler und der
len Aminosäuren vom Körper nicht synthe- Beteiligung von Aminosäuren an der Energie-
tisiert werden können. Hierzu zählen die drei bereitstellung.
verzweigtkettigen Aminosäuren (Branched Während der Regeneration nach inten-
Chain Amino Acids, BCAAs) Valin, Leucin siven Kraft- oder Ausdauerbelastungen ist
und Isoleucin sowie Threonin, Methionin, grundsätzlich eine positive Proteinbilanz an-
Lysin, Phenylalanin und Tryptophan (Schek zustreben, um vor Muskelschäden zu schützen
2018). Überschüssig durch die Ernährung zu- und die Reparaturvorgänge zu unterstützen
geführte Aminosäuren können nur in sehr (Nédélec et al. 2015). Eine erhöhte Proteinzu-
begrenztem Umfang gespeichert werden. Die fuhr und die dadurch bedingte Zunahme an
zugeführten Aminosäuren dienen in erster zirkulierenden Aminosäuren im Blutplasma
Linie dem Aufbau und Umbau von körper- regt die Muskelproteinsynthese in der Er-
eigenen Strukturproteinen im Rahmen der holungsphase an (Ivy 2004; Wolfe 2006) und
Proteinbiosynthese. Zusätzlich kann aus steigert zudem die Glykogenresynthese. Eine
den glukogenen Aminosäuren im Rahmen erhöhte Proteinzufuhr (speziell die Einnahme
der Glukoneogenese Glukose gebildet wer- von BCAAs) kann auch mit weiteren Erho-
den und insbesondere die Aminosäure Leu- lungsmechanismen assoziiert sein, wie bei-
cin wird in größerem Umfang (bis zu 5 %) spielsweise der Abnahme von Muskelschmer-
auch zur Energiebereitstellung herangezogen zen und Kreatinkinasekonzentration im Blut
(Schek 2018). sowie der Steigerung von Muskelfunktion und
490 T. Wiewelhove
Nahrungsprotein
100 g/d
Pool freier
(re-)absorbiertes
Aminosäuren
Protein
100 g
160 g/d
.. Abb. 9.7 Täglicher Proteinumsatz eines Kraftsportlers in der anabolen Phase (Schek 2018)
mentaler Erholung (MacLean et al. 1994; Greer tem Molkeprotein (Whey Protein). Aus der
et al. 2007; Nédélec et al. 2015). Spaltung resultieren Dipeptide oder ein-
Die konkreten Hinweise zur Proteinsupple- zelne Aminosäuren (BCAAs), die eine ra-
mentation unmittelbar nach Belastungsende schere Verfügbarkeit bzw. Absorbierbarkeit
differieren erheblich. Für den Fußballspieler (d. h. Aminosäuren aus Hydrolysaten gehen
empfehlen Nédélec et al. (2015) die Zufuhr schneller ins Blut über, weil die Proteine le-
von 20 g Milchprotein, entsprechend 9 g es- bensmitteltechnisch bereits in ihre kleins-
sentieller Aminosäuren, unmittelbar nach dem ten Teilchen zerlegt sind und das nicht erst
Spiel. Fettarme gesüßte Milchprodukte (Kakao noch im Verdauungstrakt erfolgen muss) und
oder Erdbeer- bzw. Bananenmilch) oder auch damit ein schnelleres Anfluten im Blut ver-
gesüßte Proteinshakes sind einfach verfügbar sprechen und außerdem weitgehend fettfrei
und bieten je nach individueller Verträglich- sind. Ein nennenswerter Nachteil für diese
keit und persönlichem Geschmack eine sinn- Produkte besteht außer Kostengründen bzw.
volle Option. dem Risiko von Verunreinigungen nicht (Ge-
Spezielle pulverförmige Proteinkonzen- yer et al. 2004). Gängige Praxis in der Fitness-
trate bestehen gewöhnlich aus hydrolisier- szene ist jedoch, dass diese Produkte in un-
Regenerationsmanagement und Ernährung
491 9
angemessener Menge zugeführt werden (bis Deckung des Mineralstoffbedarfs ausrei-
zu 3 g/kg/Tag), sodass die überschüssigen chend. Ernährungsanalysen in der Sportpra-
Aminosäuren abgebaut und der entstehende xis zeigen allerdings, dass diese Voraussetzun-
Harnstoff im Urin ausgeschieden werden gen speziell im Nachwuchssport keinesfalls
muss. Folglich besteht hier ein erhöhter Auf- immer gegeben sind (Faude et al. 2005; Schek
klärungsbedarf. Um die Nieren zu entlasten 2018).
ist in diesen Fällen zudem unbedingt auf eine
ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten Praxistipp
(Schek 2018).
Die zunehmende Anzahl an veganen Ath- Wird eine ausreichende Energiemenge in
leten führt zu völlig neuen Herausforderun- Form von vollwertigen Lebensmitteln wie
gen, zumal ohne Verzehr von tierischen Pro- Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Vollkorn-
dukten die oben genannten Empfehlungen produkten sowie fettarmen Milcherzeug-
kaum eingehalten werden können. Pflanzliche nissen aufgenommen und nicht durch
Lebensmittel enthalten weniger essentielle Knabberartikel, Süßigkeiten und Fast Food,
Aminosäuren als tierische, und sie sind auch werden Mikronährstoffe in der Regel in
schlechter verdaulich. Die biologische Wertig- ausreichender Menge zugeführt (Schek
keit pflanzlicher Proteine ist geringer (relative 2018).
Effizienz der Umsetzung eines Nahrungspro-
teins in körpereigenes Protein im Vergleich
zum Referenzwert Volleiprotein). Dieser Als problematisch stellte sich die Zufuhr von
Nachteil kann jedoch durch die Kombination Eisen, Vitamin D, Folat, Jod und den Vita-
bestimmter Nahrungsmittel ausgeglichen wer- minen „ACE“ heraus. Letztere sollen im Zu-
den, indem sich deren Gehalt an Aminosäuren sammenhang mit dem Thema Regeneration
gegenseitig ergänzt. Es empfiehlt sich neben aufgrund ihrer antioxidativen Wirkung ver-
Sojaprodukten die Kombination von Bohnen tieft betrachtet werden. Eine langandauernde
und Mais. körperliche Beanspruchung resultiert in oxi-
dativem Stress und der Bildung von freien Ra-
dikalen (Reactive Oxygen Species, ROS). Diese
9.4.4 Mikronährstoffe und reaktiven Sauerstoffspezies, wie beispielsweise
Nahrungsergänzungsmittel das Hydroxyl-Radikal oder auch Wasserstoff-
peroxyd, können zellmembran- und erbsubs-
Zu den Mikronährstoffen gehören die Vita- tanzschädigend wirken und das Immunsystem
mine und Mineralstoffe. In Zusammenhang schwächen.
mit der Regeneration nach körperlicher Be- Aber auch nach reaktiven Schädigungen
lastung ist eine Supplementation nach gän- der Muskelzelle im Anschluss an hochintensive
giger Expertenmeinung nur in Ausnahmen exzentrische Intervallbelastungen treten Ent-
erforderlich. Ein Defizit an Mikronährstoffen zündungsreaktionen auf und sind durch lokale
ist weniger als Folge der sportlichen Aktivi- und systemische Biomarker wie Interleukin
tät, sondern einer inadäquaten Ernährungs- (IL-6 und IL-1), Tumor-Nekrose-Faktor Alpha
weise einzuordnen. Grundsätzlich ist somit (TNF-α) sowie das C-reaktive Protein (CRP)
eine mindestens den Energiebedarf deckende, nachweisbar (Neubauer et al. 2008; Chatzi-
vollwertige und ausgewogene Mischkost zur nikolaou et al. 2010). Die Entzündung selber
492 T. Wiewelhove
kann durch oxidativen Stress und Phagozyten- Zusammenhang zur akuten Erholungsge-
einwanderung zu einer weiteren sekundären schwindigkeit besteht (Ferrauti und Remmert
Muskelgewebsschädigung führen und dadurch 2003). Kreatin wird als Nahrungsergänzungs-
die Regenerationsdauer verlängern (Neubauer mittel nicht auf der Dopingliste geführt und
et al. 2008). von zahlreichen Athleten ohne hinreichende
Provitamin A (ß-Carotin), Vitamin C und Kenntnis über die Wirkmechanismen beden-
Vitamin E fangen Sauerstoffradikale ab und kenlos zur Leistungssteigerung eingenommen
machen sie unschädlich. Ausdauersportlern (Exkurs in 7 Kap. 7).
wird daher eine erhöhte Zufuhr an Gemüse, Kreatin kommt im menschlichen Körper
rotem und gelbem Obst (speziell Zitrus- und in einer Menge von 110–130 g vor und wird
Beerenfrüchte), Nüssen, Samen und pflanz- in der Leber aus den Aminosäuren Arginin,
lichen Ölen empfohlen (Schek 2018). Da- Glycin und Methionin synthetisiert und/oder
gegen wird allseits von der Einnahme von über die tägliche Nahrung aufgenommen.
„ACE“-Megadosen durch hochdosierte und Bei zusätzlicher Kreatinsupplementation mit
kostspielige Mikronährstoffpräparate abge- synthetisch hergestelltem Kreatinmonohy-
raten, da auch negative Begleiterscheinungen drat werden unphysiologisch hohe Mengen
möglich sind. So können Antioxidantien unter von Kreatin zugeführt. Dies verursacht eine
anderem die langfristigen Anpassungseffekte Zunahme des Kreatingehalts in der Musku-
durch Training reduzieren. latur und der oxidativen Phosphorylierung
Neben frei verkäuflichen Präparaten wer- von Kreatin zu Kreatinphosphat im soge-
9 den zunehmend auch natürliche Nahrungs- nannten Kreatin/Kreatinphosphat-Shuttle
mittel mit antioxidativer Wirkung empfohlen. (. Abb. 7.5).
So soll die Einnahme von Rote-Beete-Saft, Durch die Vergrößerung des muskulä-
Kirschsaft und Tomatensaft, aber auch ren Kreatinphosphatpools (ca. 6–12 %) kann
von Curcurmin und Omega-3- Fettsäuren speziell bei intervallförmigen Beanspruchun-
anti-inflammatorisch und regenerations- gen mit kurzen Belastungsphasen, wie in den
fördernd wirken (Nédélec et al. 2015). Die Sportspielen, eine raschere und effizientere
Autoren schränken allerdings ein, dass die Kreatinphosphat-Regeneration in den Pausen
wissenschaftliche Evidenz für die Wirksam- erwartet werden (. Abb. 9.8). In Laborunter-
keit in bestimmten leistungssportbezogenen suchungen konnten durch Kreatinsupplemen-
Settings noch unzureichend ist. Trotz die- tierung bei intervallförmigen Sprints auf dem
ser Einschränkung wird die Einnahme von Fahrradergometer leistungssteigernde Effekte
Kirschsaft vor und nach einem Fußballspiel nachgewiesen werden. Bei körpergewichtsab-
insbesondere während der „englischen Wo- hängigen Aktivitäten sind die energetischen
chen“ angeraten. Vorteile möglicherweise jedoch wegen der
Aus der Vielzahl von Nahrungsergän- kreatinbedingten Gewichtszunahme (nach
zungsmitteln zur Leistungssteigerung (sog. er- 5–7 Tagen bereits 0,5–1,6 kg durch Wasserein-
gogene Substanzen), die den Markt ü berfluten, lagerung) ohne Relevanz (Ferrauti und Rem-
wird im Zusammenhang mit der Regeneration mert 2003). Erwiesen sind hingegen die posi-
im Folgenden nur der Einfluss einer Kreatin- tiven Auswirkungen auf Muskelhypertrophie
supplementation besprochen, da es sich hier und Kraftzuwachs, wobei hier andere Mecha-
um einen körpereigenen Wirkstoff handelt, nismen des molekularen Signaltransfers den
für den eine hohe Wirksamkeitsevidenz ge- Anstieg der Proteinbiosynthese verursachen
geben ist und ein eindeutiger theoretischer (Williams et al. 1999).
Regenerationsmanagement und Ernährung
493 9
.. Abb. 9.8 Theoreti-
Kreatinphosphatkonzentration
scher Effekt auf die
Kreatinphosphat-
Regeneration bei
Intervallsprintbelas-
tung nach vorausge-
gangener Kreatinsup-
plementation (nach
Williams et al. 1999)
nach Kreatinsupplementation normal
Das Prinzip der Sportartspezifität wird nach- individualisierte Auswahl von Regenerations-
vollziehbar, wenn es um die Frage nach dem interventionen:
Sinn einer KWI für Schwimmer oder eines 55 Die Bedeutung einer angemessenen
Saunabads nach einem Tennismatch bei den Ernährung nach körperlichen Belastungen
Australian Open oder nach dem Ironman auf ist unbestritten. Hierbei stehen die
Hawaii geht. Hinzu kommt das Zeitfenster Aufnahme von Kohlenhydraten und eine
der Wiederherstellungsprozesse. Es muss bei- angemessene Proteinzufuhr im Vorder-
spielsweise zwischen der kurzfristigen Wieder- grund. In Sportarten mit hohem gesamt-
herstellung bei Mehrfachbelastungen inner- kalorischem Umsatz steigt die Bedeutung
halb ein und desselben Tages (z. B. mehrere der Kohlenhydratzufuhr an.
Trainingseinheiten oder mehrere Wettkampf- 55 Bei der Auswahl von Regenerationsinter-
einsätze am Tag) und der mittel- und lang- ventionen sind die individuellen Bedürf-
fristigen Regeneration zur Wiederherstellung nisse zu berücksichtigen. Keine der
der Leistung an den Folgetagen nach intensi- Maßnahmen beeinflusst die Wiederher-
ven Trainingseinheiten oder Belastungsphasen stellung der Leistungsfähigkeit negativ,
(z. B. ein länger andauerndes Turnier) sowie sodass die Auswahl weitestgehend an die
zur Vermeidung von Überlastungszuständen eigenen Vorlieben und Möglichkeiten
unterschieden werden (Meyer et al. 2016). In angepasst werden kann.
Anlehnung an Meyer et al. (2016) ergeben sich 55 Alle erstmalig eingesetzten Regenerations-
folgende allgemeine Empfehlungen für eine interventionen sollten zunächst unter Trai-
496 T. Wiewelhove
ningsbedingungen auf individuelle Reak- des Saunabads nach Belastungen unter Hit-
tionen und möglich Nebenwirkungen zebedingungen diskutiert werden.
geprüft werden, bevor sie unter Wett- 55 Kurzfristige Erholungseffekte können am
kampfbedingungen eingesetzt werden. ehesten durch aktive Erholung, KWI, Mas-
55 Eine mögliche Placebowirkung ist bei der sage und Foam-Rolling erzielt werden.
Auswahl einzubeziehen. Interventionen, die Viele kurzfristige positive Effekte sind aber
vom Sportler als wirksam empfunden wer- am Folgetag nicht mehr nachweisbar.
den und aus voller Überzeugung eingesetzt 55 Überdauernde Effekte etablierter Regene-
werden, sollten gefördert werden. rationsinterventionen zur mittelfristigen
55 Eine strikte Vorgabe einer Intervention Wiederherstellung der körperlichen Leis-
kann aber möglicherweise auch zu einer tungsfähigkeit am Folgetag bzw. zur Ein-
Beeinträchtigung der Athletencompliance grenzung von Überlastungssyndromen
bzw. zu einer ungünstigen Einstellung ge- nach intensiven Belastungsphasen sind ge-
genüber der Intervention führen. ring. Trotz einiger Tendenzen beim Ein-
55 Vor allem unter Wettkampfbedingungen soll- satz von z. B. KWI oder Foam-Rolling las-
ten individuelle Regenerationsroutinen und sen sich insgesamt keine überzeugenden
somit eine Differenzierung im Mannschafts- Effekte darstellen.
bzw. Kaderverbund ermöglicht werden. 55 Ausreichender Schlaf scheint eine wichtige
55 Regenerationsstrategien können auch aus Grundvoraussetzung für die Regeneration
einer Kombination (z. B. Flüssigkeitszufuhr, der körperlichen Leistungsfähigkeit zu
9 KWI, Duschbad, Massage/Foam-Rolling, sein. Daher sollten zumindest externe
Nahrungszufuhr) mehrerer Interventionen Rahmenbedingungen für ein optimales
bestehen. Inwieweit sich hierdurch ein po- Schlafmanagement (u. a. bequeme und ru-
tentieller Regenerationseffekt verstärken hige Schlafstätten) sichergestellt werden.
lässt, ist bislang nicht bekannt. 55 Die vergleichsweise geringen oder kaum
55 Bei der Auswahl von Regenerationsinterven- nachweisbaren nachhaltigen physiologi-
tionen ist zudem das Prinzip der Sportart- schen Effekte sprechen gegen einen nen-
spezifität zu berücksichtigen. Selbst wenn ein nenswerten adaptationsmindernden Einfluss
Einsatz aus wissenschaftlicher Sicht denkbar der etablierten Regenerationsinterventionen,
wäre, kann über eine KWI für Schwimmer obschon in Einzelfällen negative Effekte von
oder Wintersportler sowie über den Einsatz KWI nach Krafttraining berichtet wurden.
Regenerationsmanagement und Ernährung
497 9
9.6 ufgaben zur Nachbereitung
A 4. Probieren Sie die verschiedenen Regenera-
des Kapitels tionsinterventionen nach ermüdenden
körperlichen Belastungen selbst aus und
dokumentieren Sie unmittelbar nach der
Anwendung sowie am Folgetag Ihr
subjektives Erholungs-, Wohl- und ggf.
Muskelschmerzempfinden.
5. Planen Sie für Ihre Sportart eine Ernäh-
rungsstrategie, um nach intensiven
Trainings- oder Wettkampfaktivitäten
möglichst rasch zu regenerieren.
6. Benennen Sie allgemeine Leitlinien für ein
individualisiertes Regenerationsmanage-
ment.
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and stretching on range of motion and muscle during resistance exercise – A critical review. Jour-
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nal of Sports Medicine, 11(4), 249–252. https://doi. org/10.1515/hukin-2015-0118.
org/10.1177/036354658301100412.
507 10
Literatur – 541
Zusammenfassung
Das Kinder- und Jugendtraining ist aus Sicht der
Trainingswissenschaft für verschiedene Anwen-
dungsfelder von hoher Relevanz. Diese beinhalten
den Freizeit- und Gesundheitssport, den Schulsport,
den Vereinssport sowie den Nachwuchsleistungs-
sport und in diesem Zusammenhang die Bereiche
der Talentidentifikation und Talentförderung. Emp-
fehlungen für die Sportpraxis müssen sich an den
entwicklungsspezifischen Besonderheiten im Kin- .. Abb. 10.1 Das Fahrtspiel im Gelände als eine Form
des- und Jugendalter orientieren. Im vorliegenden der variablen Dauermethode mit abwechslungsrei-
Kapitel wird ein Schwerpunkt auf die biologischen chen motorischen Aufgaben und Integration von
koordinativen und schnelligkeitsorientierten Trainings-
und entwicklungsphysiologischen Besonderheiten
inhalten entspricht den motivationalen und physiolo-
gelegt. Vertieft betrachtet werden chronologische gischen Voraussetzungen von Kindern und Jugend-
und biologische Entwicklung, anaerobe und aerobe lichen eher als ein Training nach der extensiven
Kapazität, Belastungstoleranz und regenerative Dauermethode (https://doi.org/10.1007/000-055)
Kapazität bei intensiver Intervallarbeit sowie Hitze-
toleranz und Thermoregulation. Hieraus werden wachsende Bedeutung zu. So haben sich kör-
grundsätzliche trainingsmethodische Empfehlun- perliche Aktivität und motorische Leistungs-
gen sowie spezielle Hinweise für das Ausdauer- und fähigkeit im Kindesalter im Laufe der letzten
10 Krafttraining im Kindes- und Jugendalter abgeleitet. Jahrzehnte signifikant verringert (Mountjoy
Gesonderte Kapitel widmen sich dem Nachwuchs- et al. 2011). Insbesondere die aerobe Ausdau-
leistungssport und den Fragen der Talentidentifi- erleistung unterliegt nach einem Anstieg zwi-
kation und Talentförderung, wobei auch Problem- schen 1960 und 1970 seit den 1970er-Jahren
bereiche wie beispielsweise der Relative Age Effect weltweit einem drastischen Rückgang um jähr-
(RAE) thematisiert werden. Für den Schulsport wer- lich ca. 0,5 %, während die Schnellkraft und
den aus trainingswissenschaftlicher Sicht aktuelle insbesondere die Schnelligkeitsleistung weit-
Defizite und zukünftige Möglichkeiten aufgezeigt. gehend stabil blieben (Tomkinson und Olds
2007). Die Aussagen basieren auf einer Meta-
analyse mit Daten von über 25 Millionen Kin-
10.1 Bedeutung und dern und Jugendlichen aus 33 zugrunde lie-
Anwendungsfelder genden Einzelstudien in 27 Nationen weltweit
(. Abb. 10.2). Die Tendenz ist bei Mädchen
Das Kinder- und Jugendtraining nimmt in mehr- (–0,3 % p.a.) und Jungen (–0,4 % p.a.) ähnlich
facher Hinsicht einen hohen Stellenwert in der und in Westeuropa etwas weniger bedrohlich
Trainingswissenschaft ein (. Abb. 10.1). Bei der als in Übersee. Sie ist umso mehr ernst zu neh-
Trainingssteuerung im Nachwuchsleistungssport men, da gerade der positive Zusammenhang
sind die entwicklungsspezifischen physiologi- zwischen aerober Ausdauerleistung und psy-
schen und leistungsdiagnostischen Besonderhei- chophysischer Gesundheit unbestritten ist.
ten (z. B. anaerobe Kapazität, Thermoregulation) Die Befunde dieser umfassenden Metaana-
unbedingt zu berücksichtigen, um eine ausrei- lyse sind auch gegenüber der allgemeinen Be-
chende Trainingswirkung zu erzielen und um obachtung resistent, dass der Eintritt in die
eine Fehlbelastung zu vermeiden (7 Abschn. 10.2; Pubertät im Laufe der Zeit zunehmend früher
Armstrong und McManus 2011). stattfindet, denn dies würde eher mit einer
Aber auch aus gesundheitssoziologischer Leistungssteigerung einhergehen. Die Autoren
Sicht kommen Training und Bewegung eine vertreten einen multifaktoriellen Erklärungs-
Training im Kindes- und Jugendalter
509 10
.. Abb. 10.2 Welt-
weite prozentuale Ausdauer
jährliche Veränderun- 1,0 Kraft/Schnellkraft
Leistungsveränderungen (%/Jahr)
gen von aerober Schnelligkeit
Ausdauer (schwarze
Punkte), Schnellkraft 0,5
(weiße Punkte) und Erhöhung
Schnelligkeit
0,0
(Dreiecke) im Zeitraum
von 1958–2002 (mod.
Rückgang
nach Tomkinson und 0,5
Olds 2007, 62)
1,0
30
mean BMI (kg/m2)
Age-standardised
25
20
15
1980 1990 2000 2010 1980 1990 2000 2010 1980 1990 2000 2010
.. Abb. 10.3 Trendlinien zur Entwicklung des Body Männern (gestrichelt) in den westlichen Industriena-
Mass Index (BMI) von 5–19-jährigen Jungen (durchge- tionen (NCD Risk Factor Collaboration 2017)
zogene Linie) im Vergleich zu über 20-jährigen
ansatz, der sowohl soziologische (Digitalisie- dern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts
rung, Urbanisierung), verhaltensbezogene hin (. Abb. 10.3). Dieser Trend ist in Westeu-
(Bewegungsmangel), physiologische (Ge- ropa in den letzten Jahren glücklicherweise ab-
wichtszunahme und dadurch Abnahme der geflacht, allerdings auf zu hohem Niveau (NCD
relativen V̇ O2max) und psychologisch-kognitive Risk Factor Collaboration 2017). Die weltweite
Faktoren (z. B. Motivation, Trainingserfah- Prävalenz von Adipositas stieg im Zeitraum
rung) einschließt. Die weniger beeinträchtig- von 1975–2016 bei Mädchen von 0,7 % auf
ten Bereiche „Power und Speed“ scheinen von 5,6 % und bei Jungen von 0,9 % auf 7,8 %. Da
der früheren Reifung stärker positiv und durch neben dem Übergewicht stets auch die Gefahr
die Gewichtszunahme weniger negativ beein- von Magersucht im Kindes- und Jugendalter
flusst zu sein (Tomkinson und Olds 2007). im Auge behalten werden muss, bedarf es auch
Gepoolte Metaanalysen, basierend auf 2416 hier komplexer Strategien, basierend auf einer
Populationsstudien, weisen in dem Zusam- vermehrten Aufklärungsarbeit zur Bedeutung
menhang weltweit auf eine alarmierende Zu- von Ernährung und körperlicher Aktivität im
nahme an übergewichtigen und adipösen Kin- schulischen Kontext, sowie entsprechend at-
510 A. Ferrauti et al.
Eng in Zusammenhang mit den beschriebenen Alter und dem Nachweis einer hohen Plastizität in allen
ontogenetischen Charakteristika entstand das Modell Altersabschnitten (u. a. Baur 1988). Andererseits liefern
der sensiblen Phasen, welches in Deutschland eine nachweisbare physiologische Veränderungen im Alters-
lange Tradition in Sportwissenschaft und Sportpraxis gang (z. B. endokrinologische Umstellung) nach wie vor
besitzt und ein zentrales Kriterium zur Konzeption Limitierungen für bestimmte Trainingsziele (z. B. Mus-
entwicklungsgemäßer Trainingsempfehlungen kelhypertrophie). Conzelmann (1998) empfiehlt einen
darstellte (u. a. Martin et al. 1999). Als sensible Phasen differenzierteren und offeneren Umgang mit dem
werden jene Altersabschnitte bezeichnet, in denen Modell, zumal es aus trainingspraktischer Sicht
spezifische motorische Fähigkeiten sehr schnell durchaus plausible Schlussfolgerungen erlaubt.
erworben werden können, während dies vor und nach Unterstellt man einen soziologisch und physiologisch
diesen Phasen weit mehr Zeitaufwand beansprucht bedingten geringeren Trainingsumfang im frühen und
oder nur unzureichend gelingt (hohe Trainingswirk- späten Schulkindalter und eine hohe Affinität zu
samkeit). Hierbei wird zuweilen auf zeitlich begrenzte koordinativen Herausforderungen, dann ist das
biologische Aneignungs- und Verhaltensänderungen verbleibende Trainingsvolumen zu gering, um in dieser
im Tierreich verwiesen. Kritisiert wird das Modell Zeit ein effektives Hypertophietraining zu absolvieren.
aufgrund der unzureichenden Evidenzprüfung für den Folglich erfährt das Modell durch die Rahmenbedin-
Sport, der engen Orientierung am chronologischen gungen in der Sportpraxis eine Rechtfertigung.
512 A. Ferrauti et al.
Wachstum (cm/Jahr)
pragmatische Schwerpunktsetzung schließt 14
jedoch weder ein zusätzliches kindgemäßes
12
Kraft- noch ein begleitendes angemessenes Aus-
dauertraining aus. Zu den spezifischen Empfeh- 10
lungen hierzu sei auf 7 Abschn. 10.3 verwiesen.
Lebensalterbezogene Entwicklungsphasen 8
dienen allenfalls der Groborientierung, denn das 6
chronologische Alter entspricht nicht zwangs-
läufig dem biologischen Alter bzw. dem tatsäch- 4
lichen Entwicklungsalter (Baxter-Jones 2008).
2
Somit können Kinder- und Jugendliche, bezo-
gen auf ihr kalendarisches Alter, biologisch so- 0
wohl früh entwickelt (Akzeleration) als auch spät 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19
entwickelt (Retardierung) sein (7 Abschn. 3.4, Alter (Jahre)
Das Wachstum in der Kindheit wird primär durch Sexualhormonen wesentlich ergänzt. Bei Mädchen
das Wachstumshormon (Growth Hormone, GH) steigt die Sekretion von Östrogen und Progesteron
bestimmt, dass von der Hypophyse sezerniert und in den Ovarien und steht unter Kontrolle der
vom Hypothalamus kontrolliert wird. Es stimuliert Hypophysenhormone FSH (Follikelstimulierendes
die Ausschüttung von IGF-1 (Insulin – like Growth Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon). Die
Factor) in der Leber. Beide Hormone besitzen eine FSH- und LH-Sekretion erfolgt periodisch und
anabole Funktion und sind hauptverantwortlich für bedingt dadurch den Menstruationszyklus. Bei
den Aufbau von Skelett- und Muskelmasse bei Jungen erfolgt der Eintritt in die Pubertät ca. zwei
Kindern. Die maximale Serumkonzentration von Jahre später und ist durch einen Anstieg der
IGF-1 liegt bei Jungen im Alter von ca. 17 und bei Testosteronproduktion in den Hoden gekennzeich-
Mädchen bei ca. 15 Jahren und fällt anschließend net. Die Serumkonzentration an Testosteron steigt in
ab. Die GH/IGF-1-Achse wird in erster Linie durch dieser Phase um das ca. 20-fache an. Bei beiden
den Genotyp, jedoch auch durch Umgebungsein- Geschlechtern kommt es hierdurch zur Entwicklung
flüsse (z. B. körperliches Training bzw. Mangelernäh- der Sexualfunktion und zu somatischen Veränderun-
rung) beeinflusst. Wenn der kalorische Mehrbedarf gen (u. a. Stimme, Schweißproduktion, Skelettmus-
für Training und Adaptation durch die Ernährung kelmasse). Als Ursache für die Initialzündung der
kompensiert wird, überwiegt die positive Stimula- Reifung wird unter anderem die Leptinkonzentra-
tion von „mechanischem Stress“ auf die GH/IGF-1 tion genannt. Dieses von den Fettzellen produzierte
Achse. Anderenfalls kann auch ein negativer Effekt Hormon bedarf einer minimalen Körper- und
auf das Wachstum entstehen. Fettmasse und erklärt demnach auch die verzögerte
Ab der Pubertät werden die anabolen Effekte bzw. gestörte Reifung (Amenorrhoe) speziell
der GH/IGF-1-Achse durch die Ausschüttung von untergewichtiger Mädchen (Rowland 2005).
chronologisches
12 Alter A, B .. Tab. 10.2 Individualverlauf eines Nach-
PHV A PHV B wuchssportlers hinsichtlich der zu unterschied-
10
lichen Zeitpunkten berechneten Differenz zum
maximalen Größenwachstum (ΔAPHV), der
Zuordnung des Entwicklungstyps und der
Wachstum (cm/Jahr)
8
berechneten finalen Körperhöhe (KH). Die reale
finale Körperhöhe beträgt 1,86 m
6
2
+1,8 J.
–1,7 J.
•
Kapazität der Kinder. Bei genauerer Betrach- –120 –60 0 60 120 180 240 300
tung ist dies jedoch allometrisch (entspre- Zeit (s)
chend der unterschiedlichen Körperproporti-
onen) zu relativieren, da auch der .. Abb. 10.6 Anstieg der Sauerstoffaufnahme
Energieverbrauch bei Kindern (ATP-Ver- (Sauerstoffkinetik) beim Übergang von Ruhe zu
brauch pro Zeit) aufgrund der niedrigen Kör- Belastung bei Kindern und Erwachsenen (aus Rowland
2005, S. 104, mod. nach Armon et al. 1991)
per- und Muskelmasse deutlich kleiner ist.
Eine geringere absolute anaerobe Kapazität
muss demnach bei Kindern nicht zwingend Ruhe zu Belastung (. Abb. 10.6). Der plötz-
mit einer geringeren anaeroben Leistung ein- lich ansteigende Energieverbrauch und Sauer-
hergehen, und ein anaerobes Training kann stoffbedarf in der Muskelzelle verlangt eine
mit der gegebenen Kapazität durchaus tole- Umstellung zahlreicher metabolischer und
riert werden. Die sportpraktische Konsequenz kardiorespiratorischer Größen, um den Be-
dieser Befunde lautet somit paradoxerweise darf zu decken. Dies erfolgt mit zeitlicher Ver-
nicht, dass typisch anaerobe Trainings- und zögerung in aufeinanderfolgenden Phasen mit
Wettkampfbelastungen im Kindesalter verbo- langsamer und schneller Zeitkonstante. Durch
ten, schädlich oder zumindest ungeeignet wä- die Verzögerung resultiert ein Sauerstoffdefizit,
ren. Aktuelle Veröffentlichungen gehen daher und demzufolge wird die Energie für diesen
davon aus, dass Kinder sowohl aerob als auch Zeitraum anaerob gedeckt (Rowland 2005).
anaerob belastbar sind (Beneke et al. 2002). Die Mehrzahl der experimentellen Untersu-
Kinder werden demnach auch als „metaboli- chungen bei standardisierten Bedingungen auf
sche Generalisten“ bezeichnet. dem Laufband weisen für vorpubertäre Kinder
im Vergleich zu Erwachsenen eine schnellere
Aerobe Kapazität Aus aerober Sicht konnten Zeitkonstante nach (z. B. Anstiegsdauer bis
eine bessere periphere Sauerstoffnutzung und zum Erreichen eines definierten Prozentsatzes
eine hohe relative Sauerstoffaufnahme, eine ra- der Sauerstoffaufnahme im Steady State). Of-
schere Anpassung der Sauerstoffaufnahme (O2- fensichtlich erfolgt die Anpassung vor allem
Kinetik) sowie größere relative Mitochondrien- beim Übergang zu intensiven Belastungen bei
volumina und Fettoxidationsraten nachgewiesen Kindern schneller und effizienter (. Abb. 10.6)
werden (Beneke et al. 2002; Armstrong und und geht mit einem geringeren Sauerstoffde-
Welsman 2007). fizit, einschließlich anaerober Kompensation,
Von den genannten Unterschieden ver- einher (z. B. Armon et al. 1991; Williams et al.
langt die Sauerstoffkinetik eine vertiefte Be- 2001).
trachtung, da sie für die Trainingspraxis von Das Bruttokriterium der aeroben Kapazi-
höchster Bedeutung ist. Die Sauerstoffkine- tät, die relative körpergewichtsbezogene maxi-
tik beschreibt den Zeitverlauf der Anpassung male Sauerstoffaufnahme (V̇ O2max), bleibt bei
der Sauerstoffaufnahme beim Übergang von Jungen im Altersgang vom 8. bis zum 16. Le-
516 A. Ferrauti et al.
• •
V O2max V O2max
Mädchen (ml/min/kg) Jungen (ml/min/kg)
7 7
8 50 8
9 9 50
Laufzeit (min)
10 10
11 11
12 12
13 13
40
14 14
•
15 15 V O2max
16 16 Laufzeit über eine Meile
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Alter (Jahre) Alter (Jahre)
.. Abb. 10.7 Entwicklungsbedingte Veränderungen der relativen V̇O2max bei Mädchen (links) und Jungen
(rechts) und der gleichzeitig realisierten Laufleistung über eine Meile (mod. nach Rowland 2005, S. 99)
10 7,50
9
7,45
8
7
7,40
LA (mmol/l)
pH-Wert
5 7,35
4
7,30
3
2 7,25
1
0
a Ruhe Sprint 5 Sprint 10 15´E 30´E b Ruhe Sprint 5 Sprint 10 15´E 30´E
210 20
Achtung! Bei einer
190 18 HF von 190 S/min
wählen Kinder RPE 11!
170
16
150
HF (S/min)
14
RPE
130
12
110
10
90
10 70 8
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
c 5-s-Sprints d 5-s-Sprints
100
80
PCr (% initial)
60
40
20 Erwachsene
Kinder
0
1 9 17 25 33 41 49 57 65 73 81 89
Spektrum (n)
.. Abb. 10.10 Relative Veränderungen (bezogen auf Intervallbelastung von 16 Kindern (grün) und 16
die initiale Konzentration in Ruhe) der Kreatinphos- Erwachsenen (blau) mittels 31P-MRS (mod. nach
phatkonzentration in der Muskelzelle bei intensiver Kappenstein et al. 2013)
.. Abb. 10.11 Gesamtübersicht zu den Erklärungs- den werden Belastungsphasen (oben) und Erholungs-
mechanismen der Belastungsresistenz von Kindern phasen (unten; mod. nach Ratel et al. 2006)
gegenüber intensiver Intervallbelastung. Unterschie-
chronologisches Alter 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Größenwachstum Jahre vor der PHV PHV Jahre nach der PHV
.. Abb. 10.13 Model zur Gewichtung von konditio- korrespondierenden Abbildung für Mädchen sind der
nellen Trainingsinhalten von Jungen im Altersgang Übergang zur Pubeszenz/Adoleszenz (hellblau zu
(Youth Physical Development Model) modifiziert nach dunkelblau) sowie der Zeitpunkt des maximalen
Lloyd und Oliver (2012, 63). Die Schriftgröße gibt einen Größenwachstums (PHV = Peak height velocity) um
10 Hinweis auf die Bedeutung der Trainingsinhalte. In der zwei Jahre vorverlegt
Schon früh sollten auch die Bereiche Kraft siologischen Gegebenheiten (7 Abschn. 10.2).
und Schnellkraft (Power) Berücksichtigung Die Begründung der Autoren, dass ein Aus-
finden, auch wenn dies präpuberal noch pri- dauertraining sozusagen „en passant“ in den
mär koordinativ und ohne ein begleitendes jeweiligen Sportarten sportartspezifisch er-
Hypertrophietraining realisiert wird. Letzteres folgt, mag in vielen Fällen zutreffen. Die in
rückt nach Lloyd und Oliver (2012) bei den 7 Abschn. 10.1 beschriebenen bedrohlichen
Mädchen aber auch bereits ab dem 12. und bei gesamtgesellschaftlichen Tendenzen sprechen
den Jungen ab dem 14. Lebensjahr stärker in dafür, dass der Ausdauer außerhalb des Leis-
den Vordergrund (. Abb. 10.13). tungssports und im Schulsport bereits frühzei-
Im Detail sind auch die vorgelegten Mo- tig eine angemessene und kindgerechte Fokus-
delle kritisch zu hinterfragen. Auffällig ist, dass sierung zukommen muss (. Abb. 10.2).
zwischen Jungen und Mädchen nur alters- und Der Diskurs zeigt, dass entsprechende
entwicklungsabhängig, nicht jedoch in Bezug Empfehlungen im Idealfall vor dem Hinter-
auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung unter- grund einer sportartspezifischen Leistungs-
schieden wird. So sollte das Schnelligkeitstrai- strukturanalyse formuliert werden müssen
ning nach eigenen Erfahrungen bei Mädchen (7 Abschn. 3.2, . Abb. 3.14 und . Tab. 3.2).
auch jenseits des 16. Lebensjahres noch einen In technisch anspruchsvollen Sportarten
hohen Stellenwert einnehmen. (z. B. Tischtennis) und in Sportarten mit einem
Es überrascht auch, dass das intensive Aus- frühen Hochleistungsalter (z. B. Gerätturnen)
dauertraining (z. B. nach der Intervallme- müssen die technisch-taktischen Fähigkeiten
thode) erst ab dem 18. Lebensjahr intensiviert beispielsweise bereits vor dem 10. bzw. 12. Le-
werden soll. Dies widerspricht der Bedarfslage bensjahr mit hohem Trainingsumfang vermit-
in zahlreichen Sportarten und auch den phy- telt werden (. Abb. 10.13).
Training im Kindes- und Jugendalter
523 10
10.3.2 Empfehlungen zum Form auf der Laufbahn oder in Form von Klein-
Ausdauertraining feldspielen (Small Sided Games) absolviert wird
(Kunz et al. 2019). „Auch ein spielerisch organi-
Der positive Einfluss von Ausdauertraining auf siertes Intervallsprinttraining mit kurzen All-
Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Kin- out-Sequenzen“ über 5–8 s bzw. 50 m verbessert
dern ist unbestritten. Auch bereits im Kindesal- die aerobe Ausdauer in gleicher Weise wie ein
ter können positive Anpassungserscheinungen Training nach der Dauermethode (Kappenstein
nachgewiesen werden. Rowland (1985) belegte und Ferrauti 2015). Auswirkungen von kombi-
im Rahmen einer Metaanalyse, dass die aerobe nierten ausdauer- und schnelligkeitsorientierten
Ausdauerleistung von Kindern durch ein geeig- Trainingsprogrammen auf die neuromuskuläre
netes Training um durchschnittlich 1,2 % pro Leistung von Kindern (z. B. Sprungkraft und
Woche ansteigt. Hinsichtlich der verwendeten Sprintschnelligkeit) bleiben hingegen aus (Kap-
Trainingsmethoden ergeben sich keine nen- penstein und Ferrauti 2015; Kunz et al. 2019).
nenswerten Wirkungsunterschiede zwischen
Dauermethode und Intervallmethode (Wels- zz Trainingsbeispiele
man et al. 1997; McManus et al. 2005). High-In- Fahrtspiel
tensity Intermittent Training (HIIT) mit ver- Das gegebene Gelände wird mit wechselnden
schiedenen Laufintervallen zwischen 150 und Laufgeschwindigkeiten und metabolischen
800 m verursacht positive Effekte auf die aerobe Anforderungen unter Einbau variabler koordi-
und anaerobe Kapazität und auf die Laufleistung nativer und schnelligkeitsorientierter Inhalte
(Rotstein et al. 1986; Baquet et al. 2002; Engel absolviert. Trainer oder Sportlehrer können
und Sperlich 2014) und unterscheidet sich in eine Standardrunde (einschließlich leistungs-
der Wirksamkeit nicht, wenn es in klassischer gruppenspezifischen Laufzeiten) definieren,
Aus den umfangreich dargestellten physio- halten (Bailey et al. 1995) kann ein variables,
logischen und zum Teil biomechanischen intervallartiges und spielerisches Ausdauer-
Besonderheiten im Kindesalter training im Kindesalter empfohlen werden.
(7 Abschn. 10.2) und dem für beinahe alle Diese Empfehlung entspricht im Übrigen den
Trainingsmethoden geltenden Wirksamkeits- Erfahrungen in der Sportpraxis und erklärt
nachweis sowie auf der Basis von Befunden möglicherweise auch die hohe Akzeptanz
zum favorisierten kindlichen Bewegungsver- des Belastungsprofils der Mannschafts- und
Rückschlagspiele.
Ein rein aerobes Grundlagenausdauertrai-
ning nach der Dauermethode ist selbstver-
ständlich ebenfalls möglich und aus langfristi-
ger Perspektive sinnvoll (Erziehung zum
mündigen Athleten). Es sollte jedoch keinen
übermäßigen Trainingsumfang einnehmen.
Dies ist auch von engagierten Eltern zu
beherzigen, die ihre eigenen Trainingsinhalte
zuweilen mit ihren Kindern teilen möchten und
sie zu langen Joggingläufen bis hin zu
Halbmarathonwettkämpfen motivieren wollen.
524 A. Ferrauti et al.
1 1
Trainingsbeispiele Side-Steps 2 2 1 2
Lauf ABC
Slalom
Bergauf-
Sprünge Cool-Down
2
Hundeknochen
Laufrunde 1
Tempolauf vermessen
Schattenspiel bergab
Kurzsprints
uf
k-La
-Zac
Zick
2 1 1 2 2
Slalom 1
Koordination Tapping
Unterholz
Dreiecklauf Verfolgungs-
sprints
.. Abb. 10.16 Verfolgungssprints
Aufgabe
„Strafrunde“
weiblich: 5/6 – 8/9 Jahre weiblich: 8/9 – 10/11 Jahre weiblich: 10/11 – 18/19 Jahre weiblich: > 19 Jahre
männlich: 5/6 – 9/10 Jahre männlich: 9/10 – 12/13 Jahre männlich: 12/13 – 19/20 Jahre männlich: > 20 Jahre
Reifungsphase
präpubertär (vor PHV) präpubertär (vor PHV) pubertär (während PHV) postpubertär (nach PHV)
› Kraftausdauertraining mit
Üben (z. B. Seilspringen) mit Höhen)
› Rumpfkrafttraining
dem eigenen Körpergewicht
dem Fokus auf die richtige
› Rumpfkrafttraining
› Freihanteltraining mit
oder Zusatzgeräten
›
Sprung- und Landetechnik
› Freihanteltraining mit mittleren bis hohen Lasten
(z. B. Medizinball) und
›
Rumpfkrafttraining leichten bis mittleren Lasten
› Maximalkrafttraining
dem Fokus auf die richtige
Ausführungstechnik
Kraftausdauertraining mit
dem eigenen Körpergewicht
› Maximalkrafttraining
(Hypertrophie)
(neuromuskuläre Koordination
und Hypertrophie)
10
oder Zusatzgeräten
(z. B. Medizinball) › Sehnenadaptionstraining,
z. B. isometrisches Kraft-
› Sehnenadaptionstraining, z. B.
isometrisches Krafttraining
› Freihanteltraining mit dem training
› sportartspezifisches
Fokus auf die richtige Aus-
fürhrungstechnik › sportartspezifisches
Krafttraining
Krafttraining
trainingsbedingte Anpassungen
.. Abb. 10.19 Krafttraining an Geräten kann weitgehend ohne Risiko von Kindern absolviert werden. Mit
zunehmender Zahl an Freiheitsgeraden bei der Bewegungsausführung ist eine fachkundige Anweisung erforderlich
10.4 Talentförderung im
55 Eine Erhöhung der Trainingslast ist nur
Nachwuchsleistungssport
beschwerdefrei und bei korrekter Bewe-
gungsausführung erlaubt.
Training im Nachwuchsleistungssport verfolgt
55 Eine Trainingsfrequenz von mindestens
das Ziel, aus talentierten Nachwuchssportlern
zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen
zukünftige Spitzenathleten zu entwickeln. Da-
pro Woche wird empfohlen.
bei stellt sich zunächst die Frage, was denn
55 Durch angemessene Variation sollte si-
überhaupt ein Talent ist und anhand welcher
chergestellt werden, dass Kinder den
Merkmale eine Talentauswahl bzw. Talentiden-
Spaß am Krafttraining erhalten.
tifikation erfolgen sollte. Der Talentstatus wird
zumeist domainspezifisch, also sportartbezo-
Praxistipp: Krafttraining in der Schule gen festgelegt, auch wenn ein Nachwuchsathlet
aufgrund seiner Disposition auch für verschie-
Auch in der Schule bieten sich vielfältige dene Sportarten als hochtalentiert angesehen
Möglichkeiten zur Integration von Krafttrai- werden kann (Singer 1981). Ferner wird in der
ning (Mühlbauer et al. 2013). Engagierte Regel eine statische und eindimensionale Defi-
Sportlehrer realisieren die Einrichtung ent- nition des Talentbegriffs verwendet. Das bedeu-
sprechender Trainingsräume und leiten fach- tet: Wenn ein Kind in einer bestimmten Sport-
kundige Sporthelfer zur Aufsicht an. Mittels art gegenüber Gleichaltrigen deutlich
einfacher „Stuhlgymnastik“ (z. B. Dips, ein- leistungsfähiger ist, dann gilt dieses Kind als ein
beinige Kniebeugen) kann ein Unterrichts- Talent. Nicht nur aufgrund dieser Fehleinschät-
ausfall ohne zusätzliche Lehrstätten durch zung besteht in der Talentforschung nach wie
den Sportlehrer sinnvoll vertreten wer- vor Handlungsbedarf (Johnston et al. 2018).
den. Jede Schulstunde im Sportunterricht
sollte drei einfache Körperstabilisationsübun- 10.4.1 Das sportliche Talent
gen beinhalten, die in nur wenigen Minuten
regelmäßig und unabhängig vom eigentli- Die sportwissenschaftliche Auseinandersetzung
chen Themenkomplex absolviert werden. mit dem Talentbegriff und die Entwicklung und
Evaluierung verschiedener Ansätze der Talent-
528 A. Ferrauti et al.
identifikation und Talentförderung haben in eher der Teil (b) der Definition. Die Komplexität
den vergangenen zwei Dekaden zu zahlreichen und Dichte der hierfür erforderlichen Datener-
Veröffentlichungen im nationalen (u. a. Hoh- hebungen zeigt jedoch, dass Sportverbände zur
mann 2009; Stemper et al. 2009; Stadtmann objektiven Realisation auf sportwissenschaftli-
2013; Güllich 2014) und internationalen Um- che Unterstützung zurückgreifen müssen
feld (u. a. Papić et al. 2009; Fuchslocher et al. (z. B. Einstellung hauptamtlicher Sportwissen-
2011; Buekers et al. 2015; Pion 2015) geführt. schaftler als Initiatoren und Koordinatoren die-
Der Talentbegriff hat in der theoretischen ser Maßnahmen oder Kooperation mit sport-
Auseinandersetzung in dieser Zeit glücklicher- wissenschaftlichen Organisationen).
weise eine Ausweitung und Dynamisierung er- Aus der im Idealfall weiten und dynamischen
fahren. Hohmann (2009) berücksichtigt in sei- Interpretation des Talentbegriffs ergibt sich für
nem Modell neben überdurchschnittlichen die Trainingspraxis ein interaktiver Prozess, der
Leistungsresultaten auch volitive Komponen- auf zwei Säulen beruht: auf der einen Seite die
ten und entwicklungsfördernde Umweltein- fortlaufenden Talentsichtungen und Talentselek-
flüsse (z. B. Familie und Freunde, Infrastruktur tionen (z. B. auf der Basis von leistungsdiagnosti-
und Trainingsmöglichkeiten). Die Dynamik in schen Datenerhebungen und Beobachtungen),
der Betrachtungsweise entsteht, indem nicht und auf der anderen Seite die verschiedenen Sta-
nur die aktuelle Leistungsfähigkeit, sondern die dien der Talentförderung (z. B. durch trainings-
Leistungsentwicklung in einem definierten steuernde Maßnahmen; . Abb. 10.20).
Zeitraum bei der Talentselektion berücksichtigt
wird (. Tab. 10.3). Auf diesen Eckpfeilern ba-
siert seine Definition zum sportlichen Talent. 10.4.2 Talentidentifikation und
10 Das sportliche Talent Talentselektion
„Als Talent im Spitzensport wird eine Mögliche Maßnahmen der Talentsuche bzw.
Person bezeichnet, die (a) aus retrospek- Talentidentifikation (Talent Detection, Talent
tiver Sicht in ihrer Sportlerkarriere be- Identification) mit nachfolgender Primärse-
reits nachweislich Spitzenleistungen er- lektion sind nach Carl (1988) Sichtungswett-
bracht hat oder die (b) unter kämpfe, standardisierte Tests sowie qualita-
Berücksichtigung des bereits realisierten tive und quantitative Beobachtungen in
Trainings im Vergleich mit Referenzgrup- Schule, Verein oder Verband. Im Rahmen der
pen ähnlichen biologischen Entwick- Primärselektion werden laut Hohmann (2009)
lungsstandes und ähnlicher Lebensge- diejenigen Kinder ausgewählt, die über eine
wohnheiten überdurchschnittlich besondere allgemeine oder sportartspezifi-
sportlich leistungsfähig ist und bei der sche Begabung verfügen. Dies basiert zu-
man unter den verfügbaren Förderbe- nächst nur auf aktuellen, rein statischen In-
dingungen in prospektiver Hinsicht be- formationen. Sind Kinder und Jugendliche in
gründbar annimmt oder mathema- der ersten Förderstufe als Talent erkannt, fol-
tisch-prognostisch ermittelt, dass sie gen die sich ebenfalls wiederholenden Schritte
einem nachfolgenden Entwicklungsab- der Talentselektion für jeweils höhere Förder-
schnitt sportliche Spitzenleistungen er- stufen und die dazwischengeschalteten Pha-
reichen kann“ (Hohmann 2009). sen der Talentförderung. Dabei sind die für
die Talentförderung zur Verfügung stehenden
Ressourcen bis zur finalen Förderstufe zuneh-
Gemäß Teil (a) der Definition wird ein erfolg- mend begrenzt (d. h. die Kadergröße nimmt
reicher erwachsener Athlet somit nachträglich ab). Folglich muss der Prozess der Talentse-
als ein damaliges Talent „geadelt“. Von aktueller lektion in seiner Schärfe zunehmen. Genau
Relevanz für die Trainingspraxis ist hingegen dies wird in den meisten Sportarten als prob-
Training im Kindes- und Jugendalter
529 10
Eng Weit
Anforderungsprofil
der Sportart
tige Groborientierung bildet in dem Zusam-
menhang das Anforderungsprofil der Sport-
arten (. Abb. 10.20).
Hohmann (2009) benennt sechs Eignungs-
faktoren, die zur Entscheidungshilfe herangezo-
Talent-
gen werden können: die genetisch bedingte Dis-
perfektion position, die Leistungsauffälligkeit in Bezug auf
Finale
Talent-
Finale Leistung Wettkampfresultate bzw. die Leistungsfähigkeit,
selektion A-Kader das Leistungsentwicklungstempo und die Trai-
Quer- ningsadaptation, den Utilisationsgrad der Leis-
einsteiger
Fortlaufende tungsvoraussetzungen, die psychophysische Be-
Talent-
Fortlaufende förderung lastbarkeit und zusätzlich die Prognoseleistung.
Talent- B-Kader
selektion
Genetische Disposition In der Sportpraxis ist
Juvenile Leistung
die Frage nach der genetischen Disposition
Quer-
insteiger
C-Kader
Initiale kaum zu beantworten und reduziert sich häufig
Talent-
förderung
auf die Interpretation der Körpergröße der El-
Talentsichtung/ tern im Hinblick auf die finale Körpergröße der
Primärselektion
Kinder. Grundsätzlich bleibt die Frage, ob sport-
D-Kader liche Spitzenathleten geboren oder gemacht wer-
Eingangsleistung
den, aus sportwissenschaftlicher Sicht spannend
Talent- (Martine und Gaston 2002). Der Einfluss von
Talent-
suche/
-selektion förderung „Nature“ (genetische Faktoren) und „Nurture“
(Training, medizinische und psychologische Be-
treuung) lässt sich leichter in den ausdauer- und
.. Abb. 10.20 Interaktives Modell zum Prozess von
schnelligkeitsdeterminierten Sportarten, jedoch
Talentselektion und Talentförderung (mod. nach
Stadtmann 2013, S. 18) schwerer in Sportarten mit komplexen Anforde-
rungen separieren.
lematisch eingeschätzt, da hinsichtlich der zu-
grunde liegenden Auswahlkriterien (talent- Aktuelle Leistungsfähigkeit Die aktuelle Leis-
sensitive Faktoren) keine wissenschaftlich tung eines Athleten setzt sich aus Wettkampf-
fundierten Prädiktoren existieren. Eine wich- resultaten (7 Abschn. 3.2), leistungsdiagnosti-
530 A. Ferrauti et al.
schen Befunden (7 Abschn. 3.4) und keit des Entwicklungstempos Probleme bei der
Verhaltensweisen im Training zusammen. In Umsetzung des Prinzips. Ferner entstehen im
den Mannschaftssportarten ist die Wettkampf- Laufe einer langjährigen Trainer-Athlet-
leistung nur schwer zu operationalisieren. Beziehung verständlicherweise emotionale Bin-
Leistungsdiagnostische Befunde und deren dungen und Aufwand-Nutzen- Abwägungen,
Vergleich zu Referenzwerten sind hingegen die trotz stagnierender Leistung den Verbleib im
leichter zu interpretieren (Hohmann und Carl Kader sichern. Hierdurch wird bei geringer wer-
2002). Entwicklungsbedingte Einflüsse (s. bio- denden Kaderressourcen eine anzustrebende
logisches Alter und Relative Age Effect) und Durchlässigkeit erschwert.
Unterschiede im Trainingsalter (speziell bei
Quereinsteigern) sind hierbei unbedingt zu Belastbarkeit Zu unterscheiden ist hierbei
berücksichtigen. Als dauerhafte Gefahr lauert die physiologische und die psychische Belast-
der sogenannte „Matthäus-Effekt“ („Wer hat, barkeit. Die physiologische Belastbarkeit er-
dem wird gegeben“). Sportler, die früh hohe gibt sich aus der Toleranz des Athleten gegen-
Leistungen aufweisen, erhalten bessere Förder- über der internen Beanspruchung und den
ressourcen und erreichen damit eine höhere externen Belastungen in Training und Wett-
finale Leistungsfähigkeit. kampf. Die psychische Belastbarkeit setzt sich
aus den sportimmanenten Belastungen (z. B.
Utilisation Die Realisierung einer definierten situationsgerechtes Handeln) sowie den be-
Leistung sollte mit einer möglichst geringen gleitenden Belastungen (z. B. soziales Umfeld,
Ausnutzung der Leistungs- und Förderreserven Öffentlichkeit) zusammen. Eine wichtige Fä-
erbracht werden (Hohmann 2005). Die bessere higkeit scheint hierbei die angemessene Be-
10 Utilisation höher talentierter Sportler drückt wertung und Bewältigung der psychischen
sich demnach darin aus, trotz geringer Ausnut- Anforderungen zu sein.
zung interner und externer Ressourcen eine
hohe Leistung bzw. hohe Wettkampfresultate zu Prognoseleistung Die prognostizierte Höchst-
erzielen. Dies schließt auch die Fähigkeit ein, leistung im Erwachsenenalter ist der wichtigste,
gute Trainingsleistungen in hohe Wettkampre- zugleich aber auch der unsicherste Parameter für
sultate umzusetzen („Peaking“ statt „Trainings- Selektionsprozesse. Möglichkeiten sind mathe-
weltmeister“). matisch-statistisch basierte Modelle, evidenzba-
sierte Wahrscheinlichkeiten oder subjektive Pro-
Entwicklungstempo Talente sind danach zu gnosen durch Experten. Vielfach existieren
bestimmen, wie schnell sie sich in Abhängigkeit simple „Wenn-dann-Beziehungen“ wie: Wenn
von den investierten Ressourcen (Training) ver- ein Tennisspieler unter den Top 20 der ITF-Ju-
bessern. Da Athleten, die zum Untersuchungs- gend-Weltrangliste platziert war, dann erreicht er
zeitpunkt bereits über ein höheres Trainingsni- mit 67 %iger Wahrscheinlichkeit die TOP 100
veau verfügen, weniger Adaptionsreserven der ATP- oder WTA-Weltrangliste.
besitzen, muss das Entwicklungstempo relati-
viert werden (Hohmann 2009). Bouchard et al.
(1997) unterscheiden Athleten, die aufgrund 10.4.3 Talentforschung
genetischer Voraussetzungen auf Training gut
und weniger gut adaptieren (High Responder, Forschungsansätze dienen primär der Sicher-
Low Responder), und Athleten, die schnell oder stellung von Validität und Sensitivität
langsamer Fortschritte erzielen (Early und Late ausgewählter Talentmerkmale für Selektions-
Responder). Für die Sportpraxis ergeben sich prozesse in verschiedenen Sportarten. Eine
angesichts der schwierigen Operationalisierbar- Möglichkeit hierfür bietet die Expertisefor-
Training im Kindes- und Jugendalter
531 10
schung im Sinne eines retrospektiven For- 6
5
Badminton
Basketball
schungsansatzes. Hierbei werden Hochleis- 4
Gymnastik
3
tungssportler beispielsweise auf dem 2 Handball
Funktion 2
Höhepunkt oder nach Beendigung ihrer Kar- 1
0
Judo
Fußball
riere rückwirkend danach untersucht, welche –1
–2 Triathlon
physischen, psychischen oder infrastrukturel- –3 Volleyball
–4
len Merkmale die erfolgreichen Athleten in –5
Tischtennis
–4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
jungen Jahren auszeichneten. Die Zeitspanne Funktion 1
10.4.5 Der Relative Age Effect schen und konditionellen Vorteile der frühge-
borenen Sportler ausgelöst (Sherar et al. 2007).
Damit die Erfolgschancen im Jugendbereich Demnach sind Sportarten mit hohen physi-
einer Sportart neutral verteilt sind und ein fai- schen Anforderungen besonders anfällig für
rer Wettkampf möglich ist, werden definierte einen RAE (Musch und Grodin 2001). Eigene
Altersbereiche (zumeist Jahrgänge) geschaffen, Untersuchungen mit 13-jährigen Kaderspie-
um eine bestmögliche Homogenität der Wett- lern des Deutschen Tennis Bundes belegen,
kampfgruppe zu gewährleisten (Helsen et al. dass die deutlich geringere Anzahl der spät im
2005; Schorer et al. 2013). Diese Alterseintei- Jahr Geborenen erhebliche Nachteile hinsicht-
lungen basieren zumeist auf dem chronologi- lich Körpergewicht, Handkraft und Aufschlag-
schen Alter der Sportler und führen unaus- geschwindigkeit aufweist, während die Sprint-
weichlich dazu, dass innerhalb des definierten und Ausdauerleistung kaum differiert.
Alterssegments ältere bzw. jüngere Kinder und Erstgenannte Faktoren sind in diesem Alter
Jugendliche zusammentreffen. Jene, die zu Be- von hoher Leistungsrelevanz, sodass die jünge-
ginn des Jahrgangs geboren sind, haben einen ren Spieler herausragende Spielfähigkeiten be-
relativen (aber auch absoluten) Alters- und so- sitzen müssen, um dies zu kompensieren
mit Entwicklungsvorsprung gegenüber den (. Abb. 10.23).
später geborenen Kindern (Barnsley et al. Ein weiterer Vorteil besteht in der bereits
1992). Dies kann in einem leistungssportbezo- längeren sportlichen Ausbildung, aber auch in
genen Kontext, wenn Selektionsprozesse über dem umfangreicheren Erfahrungshorizont
die Zugehörigkeit in einer Auswahlgruppe ent- (. Abb. 10.24). Es ergibt sich demnach ein Leis-
scheiden, zu einer Abweichung der Altersver- tungsvorsprung für früh im Selektionszeitraum
teilung von der Normalverteilung kommen. geborene Athleten, der die Wahrscheinlichkeit
Ein Relative Age Effect (RAE) liegt definitions- erhöht, für unterschiedliche Fördermaßnah-
gemäß dann vor, wenn die Geburtenverteilung men beziehungsweise Auswahlkader selektiert
innerhalb einer selektierten Stichprobe nicht zu werden. Im weiteren Verlauf sind zusätzli-
jener der Gesamtbevölkerung entspricht. Ge- che Mechanismen dafür verantwortlich, dass
wöhnlich nimmt der RAE mit ansteigendem sich ein zunächst geringer Leistungsvorsprung
Selektionsdruck zu, wenn also eine größere deutlich verstärkt. Beispielsweise geht eine er-
Grundgesamtheit um eine geringere Anzahl an höhte Leistungsfähigkeit mit Selbstbewusstsein
Plätzen konkurriert. und Motivation einher und bedingt zusätzliche
Der RAE wird primär durch den Reifungs- Förderungsmaßnahmen. Im Gegensatz dazu
bzw. Entwicklungsvorsprung (. Abb. 10.23) kann es zu einem vermehrtem Drop-out von
und die damit verbundenen anthropometri- spät im Selektionszeitraum geborenen Kindern
534 A. Ferrauti et al.
Beispiel: Erfahrungsberichte von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 12 zum Sportunterricht
Katharina: Gut am Sportunterricht hat mir gefallen, mehr Richtung Fitnessstudio gemacht würde oder
dass alle Mitschüler eingebunden sind und somit das der Sport im Sommer auch mal draußen stattfindet.
Teamgefühl in der Klasse gestärkt wird. Außerdem ist Einzelstunden bringen gar nichts, dass ist Zeitver-
Sport ein guter Ausgleich zum langen Sitzen in der schwendung.
Schule. Manche Themen werden zu kurz behandelt,
sodass man die Sportarten gar nicht richtig lernt. Um
Lena: Ich finde gut, dass Jungen und Mädchen
eine Sportart richtig zu lernen, müsste man auch
zusammen Sport treiben und somit der Teamgeist
Theorieunterricht haben, das kommt immer zu kurz.
gestärkt wird. Man kann anders als im normalen
Unterricht mal richtig Dampf ablassen. Man
Murat: Sport in der Schule ist abwechslungsreich, bräuchte aber für Sportunterricht mehr Zeit, und
da man auch Sportarten machen muss, die man die Anforderungen könnten höher sein, nicht nur
freiwillig nicht machen würde. Super wäre es, wenn „Singen und Hände-Klatschen“.
538 A. Ferrauti et al.
und belasten das Gesundheitssystem. Der Sport- Wahrnehmung des eigenen Körpers zu vermit-
unterricht eignet sich hervorragend, um diese teln. Dies kann durch die Auseinandersetzung
Kompetenzen praxisnah entsprechend der Vor- mit konditionellen Belastungen erfolgen, wo-
gabe durch Inhaltsbereich 1 zu vermitteln. durch auch Erfahrungen und Kenntnisse für
Den Schülerinnen und Schülern ist dem- das eigenständige außerschulische Training er-
nach im Sportunterricht eine differenzierte worben werden.
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Nahrungszufuhr
Stress
11 oxidativer Insulin/IGF-1
Rezeptor Lipid-
Stress Proteinoxidation oxidation
Aggregation
Glukose mTORC1
ATP
Autophagie
Proteinoxidation oxidativer Transkription/
Stress Translation
Zell-
O 2– G2
zyklus
DNA-Schädigung Replikation
S M
Telomere
Sirtuine DNA-Reparatur p53
G1
Rb
Tu mor-
suppression
Epigenetik
.. Abb. 11.3 Die molekulare Matrix des Alterns. Die toren: Nahrungszufuhr, oxidativer Stress, Telomer-
Zellalterung wird nicht durch einzelne Gene oder länge, Epigenetik und Biochemie der Sirtuine,
Mechanismen reguliert, sondern durch ein eng DNA-Schädigung und Autophagie (Behl und Ziegler
miteinander verflochtenes Netzwerk aus Einflussfak- 2016, S. 94)
Training im mittleren und höheren Lebensalter
551 11
55 Störungen im Mechanismus von Zelltei- Insgesamt überwiegen epidemiologische und
lung und DNA-Replikation unter anderem physiologische Befunde, dass körperliche Ak-
durch Telomerverkürzung (Telomertheo- tivität und Training eine protektive (Sport als
rie). Die Telomere spielen bei jeder „Anti-Aging-Medikament“) und keine be-
Zellteilung eine bedeutsame Rolle. Bei schleunigende Wirkung (Proteinverschleiß-
jeder Teilung wird ein Stück der Telomere Theorie nach Mader 1990) auf die dargestellten
abgeschnitten, bis die maximale Anzahl an komplexen Alterungsprozesse besitzen. Aller-
Zellteilungen erreicht ist und die Zelle dings müssen Trainingsinhalte, -umfänge und
stirbt. -intensitäten differenziert beurteilt werden, da
55 Zunehmende Schädigungen der DNA und verschiedene Trainingsinhalte (z. B. Kraft- und
abnehmende Qualität von Reparaturme- Ausdauertraining) auf molekular- zellulärer
chanismen (DNA-Schadenstheorie). Die Ebene unterschiedliche Reaktionen und Adap-
resultierende Genexpression ist fehlerhaft, tationen bei älteren Menschen auslösen. So
und die Zelle erleidet einen Funktionsver- konnte nur durch Ausdauertraining einer Te-
lust (Celullar Senescence). lomerverkürzung entgegengewirkt und somit
55 Individuell unterschiedlich ausgeprägte ein schützender Effekt auf das Erbgut bewirkt
Expression von Genen oder Gengruppen werden (Werner et al. 2019). Andererseits
mit besonderer Schutzwirkung kommt dem Krafttraining eine bedeutsame
(Sirtuin-Theorie). Rolle zu, wenn es um den Erhalt der muskulä-
55 Chronische systemische niedriggradige ren Proteinmasse und der Knochendichte und
Entzündungsmechsanismen (Chronic somit der Funktionskapazität des Menschen
Low-grade Inflammation), überwiegend unter alltäglichen Bedingungen geht (Tomlin-
verursacht durch metabolische Faktoren son et al. 2019). Schließlich ist auch bekannt,
wie hyperkalorische Ernährung und dass körperliche Aktivität durch zahlreiche
Übergewicht sowie Bewegungsmangel Mechanismen die Gehirngesundheit fördert,
(Inflammaging-Theorie). Insbesondere indem unter anderem die Gehirndurchblu-
das viszerale Fett führt zur Ausschüttung tung, die synaptische Plastizität und die Integ-
von Zytokinen (TNF-α, Interleukin 6), rität der Blut-Hirn-Schranke erhalten bzw. ver-
die in Zusammenhang mit der Entste- bessert werden (Vecchio et al. 2018).
hung von Insulinresistenz, Typ-II-Dia- Einer integrativen Beurteilung aller posi-
betes, Arteriosklerose, Krebs sowie tiven und negativen Effekte verschiedener
neurodegenerativen Erkrankungen Formen und Intensitäten von Training und
stehen. Bewegung unter Einbezug aller sonstigen
55 Oxidativer Stress und die Freie-Radikal- Einflüsse auf den Alterungsprozess (z. B. Er-
Theorie, ebenfalls verursacht durch nährungsmaßnahmen wie Intervallfasten und
Bewegungsmangel und muskuläre Zufuhr von Antioxidanzien) wird zukünftig
Inaktivität und Muskelatrophie (ROS, eine besondere gesellschaftliche Bedeutung
Radical Oxygen Species). zukommen (Shetty et al. 2018). Angebote für
55 Abnehmende Proteinqualitätskontrolle individuell maßgeschneiderte (Tailor-made)
und unangemessene autophagische Konzepte und Empfehlungen sind zunehmend
Proteindegradation. zu erwarten. Gleichzeitig sollte jedoch bei al-
55 Epigenetische Einflüsse auf die Genex- lem „Anti-Aging-Hype“ neben der Verlänge-
pression (z. B. durch miRNA), die rung der Lebensquantität stets auch der Erhalt
teilweise durch Lebensstil und Umwelt, an Lebensqualität nicht aus dem Auge verlo-
teilweise aber auch durch eine altersbe- ren und deren Balance von jedem Individuum
dingte „epigenetische Uhr“ oder eine selbstverantwortlich austariert werden. Im
„epigenetische Drift“ gesteuert werden. Idealfall wird es, ausgehend von einer frühzei-
552 A. Ferrauti und L. Hottenrott
tigen Aufklärung im Kindes- und Jugendalter tätsrate und demzufolge das Mortalitätsrisiko
(eine der zukünftig wachsenden Aufgaben des bzw. die Überlebensrate werden in Abhängig-
Schulsports) und der Schaffung lebenslanger keit von der Leistungsfähigkeit positiv beein-
attraktiver Bewegungsangebote, zunehmend flusst (Löllgen et al. 2018). Als Außenkriterien
gelingen, beide Zielperspektiven miteinander werden zumeist die maximale Sauerstoff-
zu kombinieren (Verlängerung der Health- aufnahme oder das maximale metabolische
span). „Freudvoll Grenzen verschieben“, so Äquivalent (s. Definition in 7 Kap. 7) ver-
lautet das Motto dieses Kapitels. wendet (u. a. Sandvik et al. 1993; Blair et al.
1996; Myers et al. 2002; Strasser & Burtscher,
2018). Die berechnete Beziehung zwischen
11.3 Epidemiologische Befunde Leistungsfähigkeit und protektiver Wirkung
zu Training und Gesundheit ist entweder weitgehend linear, d. h. mit zu-
nehmender Leistung steigt die Schutzwirkung
Die Epidemiologie widmet sich den grund- (Sandvik et al. 1993), oder folgt eher einer hy-
sätzlichen Gesetzmäßigkeiten über gesund- perbolischen Funktion, d. h. mit zunehmen-
heitsbezogene Zustände und Abhängigkeiten der Leistung schwächt sich die Schutzwirkung
in großen Populationen. Dabei wird unter ab. So konnten Blair et al. (1996) nachweisen,
anderem die Wahrscheinlichkeit für das Auf- dass vor allem Low Fitness (entsprechend ei-
treten bestimmter Erkrankungen (Inzidenz- ner Leistung unterhalb des 20. Perzentils der
risiko), auch im Zusammenhang mit soziolo- Normalbevölkerung) bei beiden Geschlech-
gischen Attributen (z. B. gesunde oder aktive tern ein starker unabhängiger Prädiktor von
Lebensweise bzw. Risikofaktoren wie Rau- Mortalität ist, während schon von einer mode-
chen), quantifiziert (s. Exkurs in 7 Kap. 7). raten Fitness (20.–60. Perzentil) eine Schutz-
Bereits vielfach konnte der epidemiologische wirkung ausgeht. Der dargestellte Zusammen-
Nachweis erbracht werden, dass eine erhöhte hang spiegelt ein grundsätzliches Problem
11 körperliche Leistungsfähigkeit (meist Aus- der modernen Zivilisationsgesellschaft wider.
dauerleistung bzw. kardiorespiratorische Rasche Veränderungen unserer Lebens- und
Leistung) mit einer geringeren Inzidenz an Ernährungsgewohnheiten seit Beginn des
Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Industriezeitalters passen nicht mehr zu den
Aber auch die kardiovaskulär verursachte phylogenetisch überlieferten Funktionscha-
und sogar die multikausal bedingte Mortali- rakteristika des menschlichen Körpers.
vor durch jene evolutionsbiologischen Bedürf- weise jedoch auch den motivationalen Wider-
nisse und Merkmale geprägt wird, die unsere stand vor „unnötigem“ extensivem Energieum-
Vorfahren auszeichneten. Dies erklärt, dass eine satz und verdeutlicht die Notwendigkeit von
Steigerung der heutzutage unzureichenden Aufklärung sowie von attraktiven (Lee et al. 2016)
aeroben Aktivität, gepaart mit einer Reduktion und biologisch angepassten Trainingsprogram-
der Kohlenhydratzufuhr, unserem Erbgut besser men und Ernährungsempfehlungen (Boullosa
entspräche. Gleichzeitig erklärt es möglicher- et al. 2013).
Eine gegebene körperliche Leistungsfähigkeit einher. Dieser Effekt erreicht ein Optimum bei
kann nicht nur das Resultat von Adaptations- mindestens 2000 kcal/Woche bzw. bei
prozessen durch Training, sondern stets auch ca. 280 kcal/Tag (. Abb. 11.4a) und läßt sich da-
die Folge einer vorteilhaften genetischen Dis- rüber hinaus nicht unbegrenzt weiter steigern
position sein. Aus trainingswissenschaftlicher (Paffenbarger et al. 1986). Auch Leon et al. (1987)
Sicht stellt sich daher die bedeutsame Frage, konnten einen Schutzeffekt für jenes Probanden-
welcher Trainingsumfang aus gesundheitlicher terzil mit einem mittleren freizeitkalorischen
Sicht mit einer Schutzwirkung einhergeht. Umsatz bei ca. 225 kcal/Tag (1575 kcal/Woche)
Zahlreiche epidemiologische Untersuchungen gegenüber dem inaktiven Probandenterzil mit
verwendeten daher nicht die körperliche Leis- durchschnittlich 75 kcal/Tag feststellen, ohne
tungsfähigkeit, sondern die Trainingsbelas- dass dieser Effekt für das aktivste Probandenter-
tung (External Load) als Außenkriterium für zil (> 600 kcal/Tag) weiter anstieg. In beiden Stu-
die Quantifizierung der damit einhergehenden dien zeigte sich demnach ein positiver Effekt, je-
Schutzwirkung (u. a. Morris et al. 1973; Paffen- doch keine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung.
barger et al. 1986; Leon et al. 1987; Paffenbar- Eine minimale Reizschwelle bzw. Belas-
ger und Olsen 1996). In Ermangelung moder- tungsintensität sollte jedoch überschritten
ner sensorgestützter Aktivitätstracker basierten werden (. Abb. 11.4b). Morris et al. empfahlen
diese historischen Datenerhebungen auf syste- schon 1973 ein metabolisches Äquivalent von
matischen Befragungen zur Alltagsaktivität mindestens 4 (besser 6) (Moderate Vigorous
von über 15.000 (Paffenbarger et al. 1986) bzw. Sports, d. h. Jogging ist besser als Walking).
12.000 (Leon et al. 1987) männlichen Personen Gleichzeitig sollte die tägliche Zeitspanne sit-
im mittleren Lebensalter, aus denen im zweiten zender Tätigkeit möglichst reduziert werden
Schritt näherungsweise die freizeitkalorischen (Bouchard et al. 2015).
Umsätze berechnet wurden. Die Ergebnisse Selbstverständlich sind diese Angaben nur
können wie folgt zusammengefasst werden: als grobe Richtwerte zu verstehen. Erstens wird
Ein erhöhter freizeitkalorischer Umsatz geht der erhebliche Einflussfaktor des Körperge-
mit einer Schutzwirkung gegenüber der korona- wichts auf den Energieumsatz vernachlässigt
ren Herzkrankheit und anderen Erkrankungen (die Angaben gelten für erwachsene Männer,
554 A. Ferrauti und L. Hottenrott
60 aptiert.
nonfatal Trotz der erwähnten methodischen Vor-
40
behalte herrscht unter Experten aufgrund
20
fatal der überwältigenden Fülle an epidemiologi-
schen Befunden Konsens, dass regelmäßige
0 körperliche Aktivität präventiv wirksam ist
<500 500 1000 2000 3000 >4000
–999 –1999 –2999 –3999 im Hinblick auf verschiedene chronische Er-
b
(kcal/Woche) krankungen wie die koronare Herzkrank-
7 Vigorous Sports heit, zerebrovaskuläre Erkrankungen, arte-
5,9 5,9
(pro 1000 Lebensjahre)
.. Abb. 11.5 Die Effekte von hypokalorischer Diät Körperkomposition, Metabolismus und Leistung
11 (links) und körperlicher Aktivitätssteigerung (rechts) sowie die hypothetischen Effekte bei kombinierter
auf allgemeine (oberhalb der gestrichelten Linie) und Anwendung (unten; modifiziert nach Heymsfield
speziellere Aspekte (unterhalb der Linie) von 2010, S. 243)
Der Ruheumsatz (RU) eines erwachsenen jungen großen Portion Pasta mit Tomatensauce als
Mannes mit normalem Anteil an Körperfett und Mittagsmahlzeit. GNTM muss derweil hungern …
Skelettmuskulatur beträgt ca. 1 kcal/kg Körperge- GNTM
wicht/h und liegt bei Frauen darunter. Er verringert 55 60 kg Körpergewicht, 180 cm, BMI 18,5
sich mit zunehmendem Alter und abnehmender 55 Ruheumsatz 0,8 kcal/kg/h
Leistungsfähigkeit und wird vor allem durch den 55 Ruheumsatz 1150 kcal/Tag
Anteil an Skelettmuskelmasse bestimmt (McMur- 55 Freizeitumsatz 200 kcal/Tag
ray et al. 2014). Die folgende Modellrechnung legt 55 PEOC 50 kcal/Tag
bei einer jungen Frau die Grenzen der 95 %-Konfi- 55 Gesamtumsatz 1400 kcal/Tag
denzintervalle zugrunde. Demnach ergibt sich ein
RU, der bei athletischer Statur um 0,9 und bei Athletin
geringer Muskelmasse (GNTM) nur um 0,8 kcal/kg 55 60 kg Körpergewicht, 165 cm, BMI 22,1
Körpergewicht/h liegt. Die Athletin erreicht durch 55 Ruheumsatz 0,9 kcal/kg/h
den erhöhten Ruheumsatz, das intensivere und 55 Ruheumsatz 1300 kcal/Tag
längere Training (hier: 1 h bei 8 MET) und den 55 Freizeitumsatz 500 kcal/Tag
Nachbrenneffekt (Excess Postexercise Oxygen 55 PEOC 150 kcal/Tag
Consumtion, EPOC) einen um 550 kcal höheren 55 Gesamtumsatz 1950 kcal/Tag (+ 550 kcal)
Tagesumsatz. Dies entspricht beispielsweise einer
tion und dadurch die Funktionalität des Ge- tigkeit (eher ansteigend), Emotionalität (eher
hirns. In den Nervenfasern ist eine Abnahme gleichbleibend) und subjektives Wohlbefinden
der Myelinisierung der Axone zu beobachten, (in höheren Bildungsschichten eher gleich-
was mit einer Verlangsamung sensorischer, ko- bleibend) verlaufen sehr individuell. Eine be-
gnitiver und motorischer Prozesse einhergeht. sondere Bedeutung kommt der stetigen An-
Im Alter vermindern sich auch Produktion passung realistischer Lebensziele für den
und Sensitivität von Neurotransmittern und Erhalt der Lebenszufriedenheit zu (Olk et al.
deren Rezeptoren (speziell dem Dopamin wird 2018b). Hier kann jede Form des sportlichen
eine Schlüsselrolle zugeschrieben) sowie Engagements hilfreich sein. Eine neue Sport-
Durchblutung und Kapillarisierung und dem- art erlernen, wie Golf oder Yoga, an einem
zufolge die Sauerstoffverfügbarkeit im Gehirn. Volkslauf gemeinsam mit der Familie teilneh-
Trotz der genannten Einschränkungen bleibt men oder den Jakobsweg pilgern sind nur ei-
eine Plastizität des Gehirns (Reorganisation nige Beispiele attraktiver Zielsetzungen im
und Differenzierung) auch im Alter erhalten, sportlichen Kontext die, finanzielle und ge-
wenn vielfältige Reize zu verarbeiten sind. Be- sundheitliche Ressourcen vorausgesetzt, hel-
zogen auf das Beanspruchungsprofil gängiger fen, eine hohe Lebenszufriedenheit zu erhal-
Freizeitsportarten könnte dies bedeuten, dass ten. Selbstverständlich können attraktive
neben dem reinen Kraft- und Ausdauertrai- Zielsetzungen auch kultureller oder spirituel-
ning auch koordinativ anspruchsvollere Trai- ler Art sein und somit jenseits aller sportli-
ningsreize gesetzt werden sollten. chen Aktivitäten liegen. Folglich wird eine zu
Zur Veränderung komplexer Persönlich- einseitige „Bewegungs- und Fitnesspropa-
keitsmerkmale im Altersgang liegen divergente ganda“ vereinzelt kritisiert (Exkurs: Pro und
Befunde vor (Olk et al. 2018b). Gewissenhaf- Kontra).
11 Exkurs: Pro und Kontra einer trainingsorientierten Konzeption des Alterssports aus philosophischer Sicht
Kontra: Die nachgewiesene Trainierbarkeit und der Pro: Die Fülle an gesundheitsfördernden
Erhalt der Gesundheit werden in einem unzulässi- physischen und psychischen Potentialen von
gen Schluss „vom Sein aufs Sollen“ als eine leitende Sport, Bewegung und Training in unserer
Zielsetzung für alternde Menschen definiert Gesellschaft muss sehr ernst genommen
(Kolb 1998). „Nicht Altern“ ist jedoch nicht werden. Ein über Jahre entwickeltes positiv-
gleichzusetzen mit „erfolgreichem Altern“, und die realistisches Bild des eigenen Körpers fördert
körperliche Leistungsfähigkeit korreliert nicht körperliche Aktivität und wirkt immunisierend
unbedingt mit hoher Lebensqualität und gegenüber Krisenereignissen (Thiel et al. 2018).
individuellem Wohlbefinden. Wenn die Trainings- Das entwickelte Vertrauen in die Steuerbarkeit
wissenschaft dies jedoch als Leitbild propagiert, körperlicher Entwicklungen und die Messbarkeit
sind normative Nebeneffekte und die Entstehung leistungsbezogener Trainingseffekte liefern
einer „Konkurrenz um Rüstigkeit“ unvermeidbar alltäglichen Optimismus, der sich auch in
(Gronemeyer 1987). Denn all jene, die dem anderen Lebenslagen auszahlt (Thiel et al. 2018).
vorgegebenen Bild eines fitten Alten nicht gerecht Menschen mit einem negativen Körperbild
werden können oder wollen, werden ausgegrenzt laufen im Alter hingegen Gefahr, sich in einen
und negativ stigmatisiert. Die Gefahr besteht, dass Teufelskreis zwischen ungesunder Lebensweise
ältere Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung und zunehmend negativem Körperbild zu
aufgeteilt werden in jene, die durch eigene begeben, der allenfalls noch selbstironisch
Anstrengung positiv altern und solche, die durch kompensiert werden kann.
mangelhafte Aktivitäten selbstverschuldet negativ
altern (Kolb 1998).
Training im mittleren und höheren Lebensalter
559 11
11.5.2 Kardiorespiratorische und gleichem Umfang sind periphere Veränderun-
neuromuskuläre gen im Altersgang verantwortlich. So sinkt bei-
Veränderungen spielsweise bei körperlich nicht aktiven Men-
schen die Muskelmasse vom 25. bis 80. Lebens-
Die maximale Sauerstoffaufnahme (V̇O2max) jahr um ca. 40–50 %. Dieses als Sarkopenie bzw.
sinkt pro Lebensdekade jenseits des 30. Lebens- Dynapenie bezeichnete Altersphänomen tritt
jahres um ca. 10 %. Ursächlich wirken alle für speziell ab dem 75. Lebensjahr gehäuft auf
die V̇O2max relevanten Körperfunktionen. Die (Cruz-Jentoft et al. 2010; Narici und Maffulli
maximale Herzfrequenz und das Herzschlagvo- 2010).
lumen sinken im Altersgang kontinuierlich, so- Der Rückgang der Knieextensionskraft be-
dass auch das Herzminutenvolumen entspre- läuft sich ab dem 40. Lebensjahr ebenfalls auf
chend abfällt (Steineck und Weisser 2018). Dies ca. 8–10 % pro Lebensdekade und betrifft
wird primär auf eine reduzierte Kontraktilität Männer und Frauen in gleichem Maße
und Elastizität des Herzmuskels zurückgeführt. (Granacher et al. 2008). Betroffen sind insbe-
Auch die Elastizität der Gefäße ist rückläufig sondere die dynamische Maximalkraft und die
(Arteriosklerose), was mit erhöhtem systoli- Verkürzungsgeschwindigkeit, während die iso-
schen Blutdruck und größerer Blutdruckampli- metrische Maximalkraft geringer abfällt. Ge-
tude (Differenz zwischen systolischem und rade die dynamische Maximalkraft ist jedoch
diastolischem Blutdruck) einhergeht. Die ge-
für alltägliche Bewegungen (z. B. Treppenstei-
nannten (zentralen) kardiozirkulatorischen Ver- gen) und die Verkürzungsgeschwindigkeit zur
änderungen erklären den Abfall der V̇O2max je- Sturzprophylaxe sehr bedeutsam (. Tab. 11.1;
doch nur zur Hälfte (Strait und Lakatta 2012). In Bohm et al. 2018). Insgesamt sind zahlreiche
.. Tab. 11.1 Neuromuskuläre und tendinose Veränderungen im Kontext des Kraftverlusts im Alter
(↑ Zunahme, ↓ Abnahme, ? unklar; mod. nach Bohm et al. 2018, S. 315)
neuromuskuläre (u. a. Rekrutierung und Fre- tativen Querschnitt eignet sich gut, um den
quenzierung motorischer Einheiten) und mor- altersbedingten Leistungsverlust abzubilden,
phologisch-tendomuskuläre Prozesse (u. a. da von einer hohen Leistungsmotivation und
Reduktion der Sehnensteifigkeit) an den Kraft- einem vo rausgegangenen leistungsorientier-
verlusten im Alter beteiligt. Von den originär ten Training ausgegangen werden kann. Von
muskulären Veränderungen sind Abnahmen mehreren Autoren liegen aktuelle Analysen
des Faserquerschnitts (spez. der Typ-II-Fa- für die leichtathletischen Disziplinen vor, da
sern), der Faserzahl und der Muskelarchitektur diese einen hohen Standardisierungsgrad auf-
sowie der Anzahl und Aktivität von Satelliten- weisen (Conzelmann 2018; Röcker 2018; Neu-
zellen hervorzuheben (. Tab. 11.1). Bis zum mann et al. 2019). Demnach fällt die Leistung
Ende der siebten Lebensdekade nehmen pri- im Altersgang zunächst über weite Strecken
mär die Typ-II-Fasern ab, erst danach erfolgt linear und erst ab der 6. und insbesondere 7.
auch ein Verlust an langsam zuckenden Fasern Lebensdekade parabolisch ab. Bei leistungs-
(Narici und Maffulli 2010). Dies wiederum ist orientierten Freizeitsportlern (München Ma-
einerseits auf eine neuronale Denervation und rathon) und speziell bei Frauen erfolgt dieser
den Verlust spinaler Motoneurone schneller deutlichere Leistungsrückgang bereits ab dem
motorischer Einheiten und andererseits auf 55. Lebensjahr (Neumann et al. 2019). Ein-
eine Reduktion der myofibrillären Proteinbio- heitlich sinkt die Leistung in den Sprungdis-
synthese zurückzuführen (Bohm et al. 2018). ziplinen prozentual bereits früher und stärker
ab (. Abb. 11.7). Mit hoher Wahrscheinlich-
keit ist dies auf die im Vergleich zum Lauf hö-
11.5.3 Wettkampfleistungen und heren mechanischen Belastungen des passiven
Masterathleten Bewegungsapparates in den schnellkraftdeter-
minierten Sprungdisziplinen und die damit
Wettkampfsport wird zunehmend auch von einhergehende Verletzungsgefahr zurückzu-
11 Personen im mittleren und höheren Lebens- führen. Nicht ganz plausibel ist jedoch der
alter betrieben. Die Analyse der Wettkampf- Befund, dass dies nicht auch die Leistung im
leistungen (Weltbestleistungen) im repräsen- 100 m-Sprint betrifft (Neumann et al. 2019).
Männer Frauen
50
40
30
100-m-Lauf Weitsprung Marathon
.. Abb. 11.7 Entwicklung der Weltbestleistungen im sind die prozentualen Leistungsverluste gegenüber
Altersverlauf (Mittelwert der zehn besten Leistungen) dem Weltrekord im Aktivenalter (mod. nach
von Männern (links) und Frauen (rechts). Dargestellt Conzelmann 2018, S. 445)
Training im mittleren und höheren Lebensalter
561 11
Ein grundsätzlicher Rückschluss von der Wettkampfsportliche Aktivitäten werden
altersbedingten Leistungsentwicklung ver- heute in vielen Sportarten von Athleten im
schiedener Sportarten auf deren Eignung für mittleren und höheren Lebensalter betrieben,
das mittlere und höhere Lebensalter ist jedoch die ab dem 35. Lebensalter als Masterathleten
problematisch. Aufgrund der unterschiedli- bezeichnet werden. Sie weisen keinesfalls ein-
chen und abfallenden Stichprobengröße in den heitliche sportliche Laufbahnen auf. So finden
Altersklassen sind Stichprobeneffekte durch sich in der Leichtathletik sowohl ehemalige
genetisch herausragend prädisponierte Einzel- Leistungssportler (speziell in den Wurfdiszi-
athleten sehr wahrscheinlich. Viel mehr als die plinen) als auch zunehmend Personen, die erst
Bestleistungen erscheint die Anzahl der Akti- als „Späteinsteiger“ mit systematischem Trai-
ven in den unterschiedlichen Disziplinen ein ning und regelmäßiger Wettkampfteilnahme
geeigneter Indikator für die Wahl der Sportart begonnen haben. Letzteres betrifft insbeson-
im Alter zu sein. Diesbezüglich überrascht es dere die ausdauerorientierten Laufdisziplinen
nicht, dass speziell in den etwas weniger belas- und dort speziell den Halbmarathon und Ma-
tenden Ausdauersportarten wesentlich mehr rathon (. Abb. 11.8). Die vergleichsweise ge-
Alterssportler aktiv sind, wie die Ergebnislisten ringen technisch- koordinativen Anforderun-
und Finisherzahlen großer Volksläufe belegen gen und die gute Trainierbarkeit der
(Conzelmann 2018). Ausdauerleistung im Alter (im Vergleich auch
a b
.. Abb. 11.8 a Reinhard Dahms von der LD schon bald eine besondere Leidenschaft und besaß
Alsternord Hamburg (80 Jahre) ist Mehrkämpfer und zudem ein herausragendes Talent für den Laufsport.
wirft Diskus und Speer immer noch über 35 m und Seine Bestleistung im Marathon erzielte er im Alter von
weiter. Auch seine Leistungen im Kugelstoßen und in 55 Jahren mit 2:47 h. Aktuell wurde er in der Alters-
anderen Disziplinen würden ausreichen, um den klasse M80 NRW-Meister im Halbmarathon mit einer
Eignungstest für ein Sportstudium zu bestehen (Foto: Laufzeit von 2:08 h. Neben dem Laufen betreibt er
Dr. Alex Rotas). b Willi Sontowski vom BTC-Herne (82 täglich zu Hause intensives Krafttraining und
Jahre, rechts) kam erst im Alter von über 40 Jahren zum Gymnastik. Zurzeit beträgt sein Laufpensum wöchent-
Laufsport. Damals noch übergewichtig, entwickelte er lich ca. viermal 15 km mit leichten Berganstiegen
562 A. Ferrauti und L. Hottenrott
In den Altersklassen M und F40, 45, 50, 55, 60, 65, rung bereisen zunehmend viele Seniorentennis-
70, 75, 80 und 85 treffen weltweit regelmäßig spieler (die sich dies zeitlich und finanziell
Masterathleten aufeinander. Die Teilnehmer erlauben können) die Welt und können ihre
rekrutieren sich aus ehemaligen „Turnierspielern Turnierreise aus dem Angebot eines reichhaltigen
der zweiten Reihe“ (seltener auch ehemalige Turnierkalenders planen. Die Abbildung zeigt
Weltklassespieler) sowie aus hoch engagierten einen Ausschnitt aus dem ITF-Senior-
Späteinsteigern. Wegen der attraktiven Mischung Turnierkalender mit parallel stattfindenden
aus sportlichem Wettkampf gepaart mit internatio- Turnieren während einer zufällig ausgewählten
nalen Sozialkontakten und touristischer Bereiche- Woche im März.
11
Training im mittleren und höheren Lebensalter
563 11
11.5.4 rainierbarkeit von Kraft
T
und Ausdauer Gerät mit hoher Anspannungsdauer
(time under tension) und geringer
Alle Organsysteme weisen auch noch im Al- Belastungsintensität, aber hoher
ter eine beachtliche Plastizität auf. Aufgrund Trainingsdichte (geringe Pausendauer)
der abfallenden Leistungsfähigkeit sinkt auch absolviert werden soll. Definitionsgemäß
die untere Reizschwelle für das Auslösen von grenzt sich dieses Einsatztraining vom
positiven Anpassungen, so dass eine nennens- hochintensiven Einsatztraining ab, bei
werte Trainingswirksamkeit erhalten bleibt dem bis zum absoluten Muskelversagen
(. Abb. 2.18). Dies betrifft sowohl die Kraft- trainiert wird (Gießing et al. 2005).
als auch die Ausdauerleistung. Ungeachtet der Tatsache, dass die
Krafttraining im Alter ermöglicht eine Effekte eines Mehrsatztrainings bei
Verbesserung der neuromuskulären Aktivie- Aktiven im Hochleistungsalter stärker
rung auf verschiedenen Ebenen (Steigerung ausfallen, bietet das Einsatztraining bei
des willkürlichen Aktivierungsniveaus der älteren Trainierenden eine gute Alterna-
Agonisten beispielsweise durch supraspinal tive, da dieses mit einer geringeren
erhöhten Erregungsfluss, Reinnervation orthopädischen Belastung und zusätz-
denervierter Muskelfasern und/oder Reduk- lich auch mit einer Stimulation des
tion antagonistischer Co-Kontraktionen; Herz-Kreislaufsystems einhergeht.
Häkkinen et al. 2000). Aber auch eine nen-
nenswerte Vergrößerung des anatomischen
Muskelquerschnitts wird beschrieben (Ferri Ausdauertraining induziert im mittleren und
et al. 2003). Demgegenüber scheint der trai- höheren Lebensalter prinzipiell die gleichen
ningsbedingte Einfluss auf die Muskelarchi- Veränderungen wie bei jüngeren Erwachsenen
tektur (z. B. Remodellierung durch Anstieg (7 Abschn. 7.3). Einen Anstieg von V̇O2max,
des Fiederungswinkels) mehr Zeit in An- Herzminutenvolumen, Herzfrequenzvariabili-
spruch zu nehmen. tät, Kapillardichte, Mitochondrienvolumen,
Grundsätzlich sind die Anpassungseffekte Myoglobingehalt und Arterienelastizität be-
bei älteren Menschen geringer als im Hochleis- schreiben Selmer und Weisser (2018) bezug-
tungsalter, aber sowohl neuronale und muskel- nehmend auf verschiedene Originalarbeiten
morphologische Plastizität als auch funktionelle und Metaanalysen. Je nach A usgangsniveau
Kraftzuwächse sind im Alter nachweisbar (Mers- kann die V̇O2max von gesunden Personen im
mann et al. 2018). Ein Krafttraining mit höheren mittleren und höheren Lebensalter nach vier
Intensitäten (bei ca. 80 % des 1 RM) bewirkt Monaten mit drei Trainingseinheiten pro Wo-
deutlichere Effekte im Vergleich zu moderatem che ausreichender Intensität (> 60 % V̇O2max)
Training (bei ca. 45 % des 1 RM). Dieser Unter- um ca. 20 % bzw. ca. 3–5 ml/min/kg ansteigen
schied kann jedoch durch ein höheres Trainings- (Cadore et al. 2014). Größere Verbesserungen
volumen bei moderater Last weitgehend kom- erfordern eine längere Trainingsdauer, aber
pensiert werden (Csapo und Alegre 2016). nicht zwingend eine höhere Belastungsintensi-
tät, es sei denn, ein Intervalltraining wird ab-
Praxistipp: Einsatztraining lohnt sich im solviert (Huang et al. 2005; Mendonca et al.
mittleren und höheren Lebensalter 2016).
Im Vergleich zu den rein physiologischen
Seit Beginn des Jahrtausends existieren Veränderungen der V̇̇O2max fallen die funk-
in den Fitnessstudios attraktive Ange- tionellen Leistungsanpassungen zuweilen
bote von Gerätezirkeln, an denen, durch noch deutlich stärker aus. So können sich
optische Signale unterstützt, ein Satz pro die Laufzeiten im Marathonlauf bei sportli-
chen Späteinsteigern im mittleren Lebensal-
564 A. Ferrauti und L. Hottenrott
60 MVC (∆%) 60
50 M 9 (5 to 14) % M 15 (10 to 19) % M 20 (14 to 26) % M 6 (1 to 12) % 50
W 7 (0 to 14) % W 17 (10 to 24) % W 23 (14 to 26) % W 6 (1 to 12) %
40 40
30 30
20 20
10 10
0
-10 -10
-20 -20
.. Abb. 11.9 Individuelle prozentuale Veränderun- nicht trainierenden Kontrollgruppe für männliche
gen von Ausdauer (V̇O2peak) und Kraft (MVC) durch ein (blau Säulen) und weibliche Probanden
fünfmonatiges Ausdauer- oder Krafttraining sowie ein (rote Säulen; Karavirta et al. 2011)
kombiniertes Ausdauer-/Krafttraining im Vergleich zur
Training im mittleren und höheren Lebensalter
565 11
binierten Trainingsgruppe sowohl für die 11.5.5 Regenerationsbedarf im
V̇O2peak (von −8 % bis +42 %) als auch für die Altersgang
Maximalkraft (von −12 % bis +87 %) eine er-
hebliche Variation, und die jeweiligen Leis- Plausible Argumente sprechen für eine Zunahme
tungszuwächse bei Ausdauer und Kraft kor- des Regenerationsbedarfs im Altersgang
relierten nicht. Für die Sportpraxis bedeuten (. Abb. 11.10). Im Bereich der Skelettmuskulatur
diese Befunde: sind bei gleicher relativer Beanspruchung eine
55 Kraft- und Ausdauertraining bewirkt im stärkere Muskelschädigung (Muscle Damage)
mittleren Lebensalter bei Untrainierten im und/oder eine Verlangsamung der Reparaturvor-
Durchschnitt bei fast allen Personen eine gänge wahrscheinlich (Fell und Williams 2008).
beachtliche und spezifische Leistungsver- Methodologisch ist die Kausalanalyse zu diesem
besserung. Phänomen jedoch schwierig, da in den wenigsten
55 Eine Kombination von Kraft- und Fällen von einer identischen Leistung und einem
Ausdauertraining ist möglich, ohne dass vergleichbaren Trainingsumfang ausgegangen
sich die Trainingsresponse gegenseitig werden kann, wenn die Ermüdungs- und Erho-
reduziert. lungsvorgänge von jüngeren und älteren Perso-
nen verglichen werden.
!!Achtung! Altersunterschiede im Sinne einer vermehr-
Die individuelle Response auf Training ten Ermüdung werden hinsichtlich der Kreatin-
variiert erheblich. Folglich besteht für kinase- und Entzündungsreaktion sowie dem
den einzelnen Sportler keine Gewähr auf Auftreten von Muskelschmerz, begleitet von
einen nennenswerten Leistungszuwachs. stärkeren Kraft-, Kontraktilitäts- und Beweg-
Dieser Befund darf jedoch niemanden lichkeitsverlusten diskutiert (Fell und Williams
vom Training abhalten. Denn alleine der 2008). In Bezug auf Erholungs- und Reparatur-
erhöhte Stoffwechselumsatz (Energy vorgänge sind eine verminderte Glykogenresyn-
Flux) wird auch ohne Anpassungser- these und Glukose-4-Transportaktivität möglich.
scheinungen gesundheitlich positive Speziell die Wiederherstellung der Schnellkraft
metabolische Auswirkungen besitzen scheint verzögert zu sein, und eine Abnahme
(Hand und Blair 2014). des „Muskelgedächtnisses“ (Muscle Memory Ef-
0 12 24 36 48 60 72 84 96 108
Zeit (h)
566 A. Ferrauti und L. Hottenrott
.. Abb. 11.11 Der wöchentliche „Jogging-Treff“ des pen ist funktionell notwendig, aber auch motivierend. So
BTC-Herne. Jeden Sonntagvormittag und nach schließt ein Einstieg in der „5er“-Gruppe (5 km in 60 min)
Feierabend an Wochentagen treffen sich weltweit nicht aus, dass man schon bald in der „7er“- oder gar in
hunderte Jogger und Walker und absolvieren eine der „10er“-Gruppe (10 km in 60 min, also im „6er-Schnitt“)
Stunde an körperlichem Training in verschiedenen mitläuft. Warm-up und Cool-down in der Gesamtgruppe
Leistungsgruppen. Die Aufteilung nach Leistungsgrup- bilden einen funktionellen und geselligen Rahmen
Kriterien 1 2 3 4 5 6
Jogging − + − + ± (+)
Fußball + + ± + − (+)
Golf − − − + + (+)
Aerobic/Kurse + + ± ± + (+)
Gymnastik/Yoga + − ± − + (+)
Krafttraining − − + ± + (+)
…
Training im mittleren und höheren Lebensalter
571 11
Golf oberer Extremität ein höherer Anteil an Skelett-
Nettoumsatz
1 Std.
Ruheumsatz
muskulatur involviert wird. In den meisten Fäl-
len bleibt die Reizsetzung auf Herz-Kreislauf-
2 Std.
System und Skelettmuskulatur bei gut
3 Std. trainierten Personen im mittleren Lebensalter
unterschwellig. Das Stütz-und Bewegungssys-
4 Std. ca. 680 kcal tem wird beim Walking geringer belastet als
beim Jogging.
Tennis
1 Std.
2 Std.
dungskriterium darstellen. Trotzdem bietet Jogging Die Reizintensität wird beim Über-
dieser Ansatz eine grundsätzliche Hilfestellung gang zum Jogging gegenüber Walking oder Nor-
für die Abwägung der gesundheitssportlichen dic Walking erheblich gesteigert (von ca. 3–4 auf
Wirksamkeit (. Tab. 11.2 und . Abb. 11.12). mindestens 6 MET), sodass eine ausreichende
Trainingswirkung auf das Herz-Kreislauf-
Exkurs: The Copenhagen City Heart Study System und ein angemessener Energieumsatz
mit hoher Fettstoffwechselbeteiligung resultie-
In einer prospektiven Studie von Schnohr et al. ren. Die Auswirkungen auf Kraft und Koordina-
(2018) wurden 8577 Personen im Jahr 1994 und tion nehmen mit dem Beanspruchungsprofil
nach 25 Jahren erneut in 2017 systematisch von Gelände und Laufuntergrund zu. Der Be-
hinsichtlich ihrer freizeitsportlichen Aktivitäten
befragt. Im Vergleich zu einer inaktiven
wegungsapparat wird bei übergewichtigen Men-
Kontrollgruppe stieg der nach sonstigen schen beim Jogging stark belastet und die exzen-
Einflussfaktoren adjustierte Gewinn an trisch-reaktive Beanspruchung der Muskulatur
Lebenserwartung durch fast alle Aktivitäten verlangt längere Regenerationszeiten.
nennenswert an. Erwähnenswert ist, dass vor
allem jene Sportarten einen hohen Zugewinn
erzielten, die zahlreiche Sozialkontakte
bedingen. An der Spitze liegen Tennis (9,7 Jahre),
Badminton (6,2 Jahre), Fußball (4,7 Jahre), aber
auch die Ausdauersportarten Fahrradfahren,
Schwimmen und Jogging (3–4 Jahre).
Fahrradfahren Die Wirkung auf das Herz- Schwimmen Das Herz-Kreislauf-System wird
Kreislauf-System unterscheidet sich zwischen bei sportlichem Schwimmen ausreichend be-
lockerem Fahren auf dem (E-)Bike und sportli- lastet. Bei Freizeitschwimmern besteht die Ge-
chem Fahren erheblich. Trainierte sollten an- fahr der Einnahme einer unterschwelligen
spruchsvolle Strecken mit Mountainbike oder Reizintensität sowie eines unzureichenden
Rennrad favorisieren und den Übergang zum Energieumsatzes. Auswirkungen auf die Kraft
E-Bike möglichst lange vermeiden. Die Gefahr der oberen Extremitäten sind möglich. Das Er-
eines zu unterschwelligen Trainings besteht. lernen der Schwimmtechniken ist koordinativ
Radfahren besitzt positive Auswirkungen auf höchst anspruchsvoll. Eine ideale Aktivität für
die Kraft der Oberschenkel- und Wadenmus- den passiven Bewegungsapparat (beim Brust-
kulatur. Radfahren ist im Gelände und für ältere schwimmen sind, je nach Ausführung, Prob-
Menschen koordinativ anspruchsvoll (Gleich- leme in Halswirbelsäule und Kniegelenken
gewichtssinn). Der passive Bewegungsapparat möglich).
wird auch bei höherem Köpergewicht relativ
wenig belastet (je nach Fahrposition, mit Aus-
nahme des Rückens).
11
Aerobikkurse Für die Vielzahl unterschiedli- gen auf die Kraft (zumeist Kraftausdauer) sind
cher Kursangebote kann eine mittlere Wirkung je nach Kursinhalt möglich. Die koordinativen
auf Herz-Kreislauf-System und ein durch die und kognitiven Anforderungen sind ebenfalls
Kursdauer (45–60 min) beschränkter Energie- hoch, und Schäden am Bewegungsapparat
umsatz erwartet werden. Positive Auswirkun- sind kaum zu befürchten.
Gymnastik/Yoga Yoga ist eine der am meis- Krafttraining an Maschinen Die Wirkung
ten expandierenden Freizeitaktivitäten. Die auf das Herz-Kreislauf-System ist gering, es sei
Wirkung auf Herz- Kreislauf-
System und denn, ein Einsatztraining wird als Zirkel mit
11 Energieumsatz ist dabei gering. Sehr positive geringen Satzpausen absolviert. Der Energie-
Auswirkungen sind auf Kraft (überwiegend umsatz ist im Mehrsatztraining ebenfalls ge-
Kraftausdauer), Beweglichkeit, Koordina- ring (3–4 MET). Langfristig kann bei Muskel-
tion und Kognition möglich, und die Verlet- hypertrophie der Ruheumsatz gesteigert
zungsgefahr ist gering. werden. Positive Auswirkungen auf Kraft und
Muskelhypertrophie (zumeist Extremitäten-
muskulatur) sind je nach Trainingsinhalten
sehr wahrscheinlich. Die koordinativen und
kognitiven Anforderungen sind gering, Schä-
den am Bewegungsapparat sind bei geführten
Bewegungen kaum zu befürchten.
Training im mittleren und höheren Lebensalter
575 11
11.7 ufgaben zur Nachbereitung
A häuslicher Umgebung absolviert werden
des Kapitels kann (z. B. Kniebeuge an der Türklinke).
4. Erweitern Sie die nachfolgende Tabelle
und beurteilen deren gesundheitliche
Wirksamkeit für Alterssportler anhand
der vorgegebenen Beurteilungskriterien
gemäß . Tab. 11.2.
Kriterien 1 2 3 4 5 6
Indoor-Cycling
Alpiner Skilauf
Klettern
Aqua-Jogging
Badminton
Boxtraining
Segeln
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Trainingswissenschaft
in ausgewählten Sportarten
Alexander Ferrauti, Janina Fett, Adam Frytz, Janina-Kristin Götz,
Florian Hanakam, Til Kittel, Jasper Möllmann, Christoph Schneider
und Hubert Remmert
Literatur – 652
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
581 12
12.1 Beckenschwimmen
Janina-Kristin Götz
Zusammenfassung
1886 wurde der deutsche Schwimmverband
(DSV) in Berlin gegründet, welcher die fünf olym-
pischen Sportarten Schwimmen, Freiwasser-
schwimmen, Wasserspringen, Wasserball und 12.1.1 Leistungsstruktur
Synchronschwimmen repräsentiert. Seit den
1970er-Jahren ist der Schwimmsport zu einem Wettkämpfe der Beckenschwimmer werden in
festen Bestandteil im Bereich der sportwissen- vier verschiedene Schwimmarten und deren Kom-
schaftlichen Forschung geworden und wird den bination (Lagenschwimmen) sowie sechs Wett-
Ausdauersportarten zugeordnet. Die Wettkampf- kampfstreckenlängen eingeteilt. Das olympische
dauer reicht von 20 Sekunden bis 15 Minuten. Wettkampfprogramm umfasst 35 Entscheidun-
Dies erfordert die Ausbildung der anaerob-alakta- gen. In der Schwimmart Kraul werden 50 m,
ziden, anaerob-laktaziden und der aeroben Ener- 100 m, 200 m, 400 m, 800 m und 1500 m sowie die
giebereitstellungsprozesse und stellt somit für die 4 × 100-m- und 4 × 200-m-Staffel geschwommen,
Trainingsgestaltung enorme Herausforderungen in den Schwimmarten Rücken, Brust und Delfin
an den Trainer dar. Um die aeroben Leistungsfä- 100 m und 200 m und beim Lagenschwimmen
higkeit in Abhängigkeit unterschiedlicher Intensi- 200 m und 400 m sowie die 4 × 100-m-La-
tätsvorgaben bei definierter Streckenlänge zu er- gen-Mixed-Staffel. Die Wettkampfdauer reicht
mitteln, wird vom deutschen Schwimmverband dabei von 20 Sekunden bis 15 Minuten und stellt
die Durchführung des Laktatstufentests nach Pan- je nach Streckenlänge und Schwimmart unter-
sold empfohlen. Auf Grundlage der Testergeb- schiedliche Anforderungen an die Gestaltung
nisse erfolgt die Steuerung der Trainingsbelas- der Rennstruktur (s. Pacing, 7 Abschn. 3.2) und
tung mithilfe der acht Belastungszonen, welche die Energiebereitstellung der Sportler (Rodriguez
die anteiligen physiologischen Voraussetzungen und Mader 2011; Rudolph 2014). Daher zielt das
für die Wettkampfleistung trainingsmethodisch Training auf die Anpassung des Sportlers an spezi-
abbilden. Das Landtraining nimmt neben dem fische Wettkampfanforderungen und hierzu unter
Wassertraining einen festen Bestandteil im Trai- anderem auf eine Verbesserung seiner aeroben als
ningsprozess ein. Die Art und Häufigkeit des Land- auch anaeroben Energiebereitstellung ab (Pyne
trainings unterscheidet sich in Abhängigkeit der und Sharp 2014).
verschiedenen Etappen des langfristigen Leis- Die Leistungsstruktur (7 Abschn. 3.1,
tungsaufbaus, welcher zielgerichtet und systema- . Abb. 3.15 und 3.16) im Schwimmen setzt sich
tisch im Schwimmsport mit der Einschulung im „… aus bestimmten Elementen und ihren
Alter von 6 oder 7 Jahren erfolgen sollte. Wechselbeziehungen“ zusammen (Schnabel
582 A. Ferrauti et al.
et al. 2008, S. 45). Demnach vereinen sich nach nute, wobei in den Wechselschwimmarten
Gundlach (1980) die azyklische (Start, Wende, Kraul- und Rückenschwimmen ein Armzug-
Anschlag) und die zyklische (Schwimmarten) zyklus zwei Armzügen entspricht. Spitzen-
Bewegungsregulation. Die konditionellen An- schwimmer weisen lange Zykluswege auf
forderungen (Grundlagenausdauer, Schnellig- (Wakayoshi et al. 1993; Chollet et al. 1997) und
keitsausdauer, Kraftausdauer, wettkampfspezi- können die Zugfrequenz und die Zuglänge bei
fische Ausdauer) einer Wettkampfstrecke sind steigender Ermüdung variieren (Dekerle et al.
primär von der Belastungsdauer abhängig. Für 2005). Obwohl die Zugfrequenz neben der
Start, Wende und Anschlag werden Reaktions- Streckenlänge und Schwimmart von indivi-
und Aktionsschnelligkeit (speziell Schnellkraft) duellen Parametern abhängt, können den un-
benötigt. Auf der Ebene der Handlungsregula- terschiedlichen Wettkampfdisziplinen typi-
tion bedarf es der Willenskraft, der Leistungs- sche Frequenzbereiche zugeordnet werden
bereitschaft, Taktik und Erfahrung, die einen (. Tab. 12.1; Rudolph 2014). Zu den individu-
guten Schwimmer kennzeichnen. Weiterhin ellen Parametern, welche sich positiv auf den
stellen anthropometrische Merkmale (metro- Zyklusweg auswirken und somit die Armzug-
morpher Körperbau mit leptomorph-hyper- effektivität verbessern, zählen beispielsweise
plastischer Tendenz; Rudolph 2004), die Beweg- ein hohes Kraftniveau der oberen Extremitäten
lichkeit (besonders im Fuß-, Knie-, Rumpf- und (Mujika und Crowley 2019), ein langer Rumpf
Schultergürtelbereich) und die Belastungsver- (Bejan et al. 2010) und eine hohe Beinschlag-
träglichkeit eine wesentliche Grundlage zur frequenz (bei den Wechselzugschwimmarten;
Eignung für die Sportart Schwimmen im Hoch- Sortwell 2011).
leistungsbereich dar (Gundlach 1980). Jedoch Die metabolische Beanspruchung einer je-
ist die Erhöhung der Antriebskraft im Wasser den Wettkampfstrecke setzt sich aus einer un-
auch maßgeblich von der Ausprägung des Tech- terschiedlichen Kombination der aeroben,
nikniveaus der jeweiligen Schwimmart abhän- anaerob-laktaziden und anaerob-alaktaziden
gig (Mujika und Crowley 2019). Energiebereitstellung zusammen, die aus der
Streckenlänge, der Schwimmart und den indi-
12 viduellen Leistungsvoraussetzungen resultiert.
12.1.2 Belastungs- und Generell steigt der Energiebedarf mit zuneh-
Beanspruchungsprofil mender Schwimmgeschwindigkeit an (Tous-
saint und Hollander 1994; Wakayoshi et al.
Ein Wettkampfrennen wird mithilfe des 1995; Barbosa et al. 2006) und hängt vom Leis-
Schwimmgeschwindigkeitsverlaufs, der Bewe- tungsniveau, der Anthropometrie (Chatard
gungsfrequenz (Zugfrequenz) und des Zyklus- et al. 1991), dem Geschlecht (Zamparo et al.
wegs während einer Wettkampfstrecke (Craig 2008) und in hohem Maße vom Niveau der
et al. 1985; Chollet et al. 1997) sowie der geson- Schwimmtechnik (Holmer 1974; Pendergast
derten Betrachtung des Start- und Wendenab- et al. 1977; Montpetit et al. 1983, 1988; Costill
schnitts und des Anschlags analysiert (Rudolph et al. 1985; Chatard et al. 1990, 1991; Zamparo
2014). Je kürzer die Schwimmstrecke, desto hö- et al. 2000) ab. Frauen weisen dabei im Ver-
her ist die Startgeschwindigkeit und auch der gleich zu Männern eine 10–30 % höhere
Geschwindigkeitsabfall am Ende der Wett- Schwimmökonomie auf (Zamparo et al. 2008),
kampfstrecke (Rudolph 2014). Durch Start und was hauptsächlich auf die Körperkomposition
Wende können bei Spitzenschwimmern „… (größerer Fettanteil und geringere Muskel-
zwei- bis dreimal höhere Geschwindigkeiten als masse am Körpergewicht (Pyne und Sharp
in der zyklischen Bewegung der Schwimmar- 2014)) und deren positive Auswirkung auf den
ten“ (Küchler 2014, S. 136) erreicht werden. Auftrieb (durch das geringere spezifische Ge-
Die Zugfrequenz beim Schwimmen be- wicht) zurückzuführen ist (Chatard et al.
schreibt die Anzahl der Armzyklen pro Mi- 1991). Zudem steigt der Energiebedarf bei de-
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
583 12
.. Tab. 12.1 Mittelwertvergleich der Zugfrequenzen (Armzyklen/min) der Finalteilnehmer WM/OS (1996
bis 2009), differenziert nach Streckenlänge, Schwimmart und Geschlecht (nach Rudolph 2014, S. 80)
100
90
80
aerob
70
60
% E tot
50
•
40
30
Glykolyse
20
10 ATP/PCr
0
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 550 600 650 700 750 800 850 900
Zeit (s)
.. Abb. 12.1 Verteilung der Energiebereitstellungspro- beim Kraulschwimmen. Die Symbole kennzeichnen 50,
zesse (% Etot) am Gesamtenergiebedarf bei maximaler 100, 200, 400, 800 und 1500 m Kraul (nach Rodriguez
Belastung, bezogen auf die Belastungsdauer (Zeit (s)) und Mader 2011, S. 237)
kampf 15,0 ± 2,3 mmol/l und bei Schwimme- für die weiblichen Schwimmer 11,8 ± 2,4/9,3
rinnen 12,8 ± 2,3 mmol/l gemessen (Rudolph ± 2,4 mmol/l an. Nach Figueiredo et al. (2011)
12 und Berbalk 2000). Hellard et al. (2018) berich- benötigen Schwimmer über 200 m Kraul bei
teten eine Energiebereitstellung der anaerob- einer maximalen Schwimmgeschwindig-
alaktaziden, anaeroben-laktaziden und aeroben keit von 1,42 m/s (Belastungsdauer 141,3 s)
Bereitstellung über 100 m Kraul in maximaler 76,3 kcal/319,2 kJ Energie, und die Verteilung
Schwimmgeschwindigkeit von 18 %, 31 % und der Energiebereitstellung erfolgt zu 20,4 %
51 %. Insgesamt wurden über die 100-m-Kraul- anaerob-alaktazid, zu 13,6 % anaerob-laktazid
strecke bei einer maximalen Schwimmge- und zu 65,9 % aerob.
schwindigkeit von 1,58 m/s (Belastungsdauer Über die 400 m Kraul ermittelten Ring
63,29 s) 27,7 kcal/116 kJ Energie verbraucht. et al. (1996) bei einer Schwimmgeschwindig-
Bei den mittleren Distanzen (200/400 m) keit von 1,3 m/s und einer Belastungsdauer
überwiegt bereits die aerobe Energiebe- von 315 s ein Verteilungsverhältnis der ana-
reitstellung. Die Glykolyse erfüllt für die erob-alaktaziden:anaerob-laktaziden:aeroben
200-m-Strecke dennoch eine wichtige Funk- Energiebereitstellung von 4,4:9,1:86,4 %. Bei
tion (Rodriguez und Mader 2011). Die er- den Langdistanzwettkämpfen im Becken über
reichten maximalen Blutlaktatwerte werden 800/1500 m Kraul dominiert die aerobe Ener-
von Rodriguez und Mader (2011) für die giebereitstellung. Die maximalen Blutlaktat-
200 m Kraul mit 16–18 mmol/l und für 400 m werte betragen nach Rodriguez und Mader
Kraul mit 14–16 mmol/l angegeben. Rudolph 2011 ca. 8–12 mmol/l. Zamparo et al. (2005)
und Berbalk (2000) gaben für die männli- ermittelten über eine Schwimmstrecke von
chen Schwimmer über 200/400 m Kraul im 2000 m Kraul bei einer Schwimmgeschwindig-
Mittelwert 14,1 ± 2,8/12,3 ± 2,7 mmol/l und keit von 1,43 m/s und einer Zeit von 23 min
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
585 12
18 s für männliche Schwimmer einen Energie- Zonen ausgebildet ist, desto belastungsverträgli-
bedarf von 676,9 kcal/2832 kJ. cher ist das Training in den darüber liegenden
Zonen mit zunehmenden Belastungsintensitä-
12.1.3 Leistungsdiagnostik und ten. Das Training in den Belastungszonen 3–5
verbessert hauptsächlich die maximale Sauer-
Trainingssteuerung
stoffaufnahme und deren Ausnutzungsgrad.
Die Spitze der Leistungspyramide besteht
Der Laktatstufentest nach Pansold (Pansold
aus den Belastungszonen 6–8, wodurch vor al-
und Zinner 1994) wird durch den Deutschen
lem die anaerobe Kapazität entwickelt werden
Schwimmverband zur Ermittlung der aeroben
soll. Dabei wird zusätzlich die inter- und intra-
Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit unter-
muskuläre Koordination ausgebildet, um hohe
schiedlicher Intensitätsvorgaben bei definier-
Schwimmgeschwindigkeiten realisieren und
ter Streckenlänge empfohlen. Der Test dient
aufrechterhalten zu können.
zur Trainingssteuerung, zur Leistungsprog-
nose und, bei wiederholender Testdurchfüh-
rung, zum Längsschnittvergleich. Auf Grund- Exkurs: Individualisierung und Spezialisierung
lage der Testergebnisse erfolgt die Steuerung
Es soll darauf hingewiesen werden, dass gerade
der Trainingsbelastung in den folgenden Be- die Blutlaktatkonzentrationen der Belastungs-
lastungszonen (. Tab. 12.2). zonen für das Training eine Orientierungshilfe
Durch die in . Tab. 12.3 dargestellten acht darstellen sollen, es jedoch nach Geschlecht,
Belastungszonen sollen die anteiligen physio- Strecke und Schwimmart noch zu Abweichun-
logischen Voraussetzungen für die Wettkampf- gen kommen kann (. Tab. 12.4).
leistung trainingsmethodisch abgebildet wer-
den (Rudolph 2014). Die Vielzahl an
Belastungszonen und deren Übergänge sind in Neben dem Wassertraining liegt ein weiteres
der Trainingspraxis nicht immer exakt anzu- wichtiges Augenmerk auf dem Krafttraining an
steuern (Rudoph 2008). Der Tabelle lassen sich Land. Im Wasser führt der Schwimmer mechani-
die wichtigsten Informationen bezüglich der sche Arbeit überwiegend gegen die entstehenden
Belastungsnormative und der angestrebten hydrodynamischen Widerstandskräfte aus. Je
primären Trainingsziele zu jeder Belastungs- höher die Schwimmgeschwindigkeit, desto grö-
zone ablesen. Die Tabelle ist erst für Sportler ßer ist der hydrodynamischer Widerstand, denn
gültig, die sich im Anschlusstraining oder dar- dieser steigt proportional zur Schwimmge-
über befinden und hinsichtlich einer zuneh- schwindigkeit im Quadrat (Toussaint und Hol-
menden Spezialisierung der differenzierten lander 1994; Barbosa et al. 2008). Ziel des Kraft-
Belastungsaussteuerung bedürfen, was der trainings ist es, die gesteigerte Muskelkraft auf
Durchsetzung des Prinzips der zunehmenden das Wasser zu übertragen, um eine höhere
Individualisierung des Trainings entspricht. Schwimmgeschwindigkeit zu generieren. Gene-
Das Training in den Belastungszonen 1–5 ist rell gibt es zahlreiche Möglichkeiten, an Land
gekennzeichnet durch hohe Umfänge und ge- Krafttraining auszuführen. Dazu gehören Kraft-
ringe Intensität und verbessert grundlegend das training zur Erwärmung, Zirkeltraining, Satz-
gesamte Spektrum der aeroben Ausdauer. Dabei training, Sprungkrafttraining, biokinetische
bilden die Belastungszonen 1–3 das „Funda- Schwimmbank, exzentrisches Krafttraining, Vi
ment der Leistungspyramide“ (Wilke und Mad- brationstraining, Training auf instabilen Unter-
sen 2015, S. 157). Der Ausbildung dieses Be- lagen, Core-Training und weitere (Mujika und
reichs wird sowohl im langfristigen Crowley 2019). Das Krafttraining für Becken-
Leistungsaufbau als auch im Verlauf jeder Saison schwimmer ist unbedingt erwünscht und wird
ein hoher Stellenwert für alle Streckenlängen zu- als elementare Ergänzung an Land zum Wasser-
geschrieben. Je besser der Athlet in den unteren training verstanden. Um das Verletzungsrisiko
586 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 12.2 Berechnungsvorgaben der ersten Stufe (als Anhaltspunkte für Sportler ohne Vortest) und
der Durchführungsvorgaben des Stufentests nach Pansold in Abhängigkeit der Teststrecke; Schwimmart
Freistil (F), Brust (B), Schmetterling (S), Rücken (R) (nach DSV 2000, S. 169)
Männer Frauen
Der Laktatstufentest nach Pansold (Pansold und auf der Spezialwettkampfstrecke (Schwimmzeit)
Zinner 1994) wird routinemäßig im Rahmen der und können . Tab. 12.3 entnommen werden. Als
komplexen Leistungsdiagnostik von Kaderathleten Berechnungsgrundlage wird die aktuelle Bestzeit
2–3-mal pro Jahr auf der 50-m-Bahn durchgeführt. der Spezialwettkampfstrecke aus dem vorangegan-
Die Laktatwerte werden der Schwimmgeschwindig- genen Trainings- und Wettkampfjahr herangezogen.
keit gegenübergestellt, mithilfe der exponentiellen Im Zweifelsfall sollte eine langsamere Einstiegs-
Regressionskurve können die Schwimmgeschwin- schwimmgeschwindigkeit gewählt werden, da bei
digkeitsbereiche der einzelnen Belastungszonen zu hohen Laktatwerten auf der ersten Stufe keine
bestimmt werden. Doch erst in Verbindung einer adäquate Einteilung in die unteren Belastungszonen
begleitenden Kraft-Technik-Diagnostik kann die gewährleistet werden kann und es insgesamt das
Laktat-Leistungskurve aussagekräftig interpretiert Testergebnis verfälscht (Rudolph 2014).
werden (Rudolph 2014). Bei der praktischen Weitere ausführliche Hinweise zur Interpreta-
Durchführung des Pansold-Tests sind die Anfangs- tion der Laktatleistungskurve des Laktatstufentests
geschwindigkeiten auf der ersten Teststufe nach Pansold können in Rudolph (2014) ab S. 96
abhängig von der Schwimmart, der Streckenlänge nachgelesen werden.
und dem Geschlecht sowie dem Leistungsniveau
.. Tab. 12.3 Darstellung der Belastungszonen und Trainingsbereiche im Schwimmen ab Anschlusstraining. Belastungszone (BZ),
Trainingsbereich (TB), Kompensation (Ko), Grundlagenausdauer I extensiver Bereich (GAIext), Grundlagenausdauer I intensiver Bereich
(GAIint), Grundlagenausdauer II Ökonomisierungsbereich (GAIIÖko), Grundlagenausdauer II Entwicklungsbereich (GAIIEntw), Wettkampfspe-
zifische Ausdauer (WA), Schnelligkeitsausdauer (SA), Schnelligkeit (S), prozentuale Schwimmgeschwindigkeit der aktuellen Bestzeit (% v
akt. BZ), maximale Sauerstoffaufnahme (V̇O2max), Kurzzeitausdauer (KZA), Mittelzeitausdauer (MZA), Langzeitausdauer (LZA), Wettkampf
(WK), Teilstrecke (TS), Hauptschwimmart (HS), Nebenschwimmart (NS), Serienpause (SP)
7 - anaerob-laktazid mit 10–20 min Unterdistanz > 6 mmol/l > 180 oder 95– 1-3 min 25–50 (100) 50–100 (200) 50–200 (400) Intensive
Glykolyse (20 s – 120 s je TS) 100–105 % 100 % max (SP 10–20 min) 4–10x 4–10x 4–10x Intervallmethode
(SA) - Übergang von GAII zu WA 0–10 unter Kanaltraining (20/30/60 s) P 1 min
- Unterdistanz Maximalpuls
8 - Sprintschnelligkeit bis 15 min 105–110 % von (bis 8 mmol/l Nicht von bis 4 min (aktiv) 15–25m Wiederholmethode,
- weitgehend alaktazid v 100m möglich) Bedeutung vollständige mit aktiver Pause
(S) - Starts/Wenden Erholung (Ko)
12
588 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 12.5 Beispielhafte Wochenplanung von Kraft- und Wassereinheiten für eine Wettkampfzielstre-
cke von 200 m, für Schwimmer im Hochleistungstraining; mögliche Schlüsseleinheit im Wasser (SH) (nach
Fuhrmann et al. 2017, S. 65)
Uhrzeit Mo Di Mi Do Fr Sa So
durch Überlastung bei hohen Schwimmumfän- der Zuglänge und/oder Erhöhung der Bewe-
gen zu minimieren, sollten Schwimmer die ge- gungsfrequenz führen. Das Anheben der Mus-
samte Saison über Krafttraining durchführen kelkraft der unteren Extremitäten weist auf eine
(Pelot und Darmiento 2012). Dabei ist es wichtig, mögliche Verbesserung der Start- und Wen-
die Anforderungen für das Krafttraining dem denabschnitte hin (Mujika und Crowley 2019).
Leistungsstand des Athleten im langfristigen
Leistungsaufbau und dem jeweiligen Saisonab- 12.1.4 Langfristiger
schnitt anzupassen. Eine temporäre Trennung Leistungsaufbau
von Kraft- und Ausdauertraining im Wasser
wird befürwortet, da sich somit die Effektivität Ericsson (1996) stellt heraus, dass bis zum An-
des jeweiligen Trainings erhöht (Lundberg et al. schluss an die Weltspitze mindestens zehn Jahre
2013). Fuhrmann et al. (2017) empfehlen dem- Training oder 10.000 Trainingsstunden notwen-
nach einen Mindestabstand von drei Stunden dig sind. Das Alter der sportlichen Höchstleis-
zum und nach dem Wasserstraining (. Tab. 12.5). tung im Schwimmsport wird bei den Frauen mit
Eine Zunahme der Muskelkraft der oberen 22 Jahren und bei den Männern mit 24 Jahren
Extremitäten kann zu einer Erhöhung der erreicht. Der Anschluss an die Weltspitze wird im
Schwimmgeschwindigkeit durch Verlängerung Alter von 16 (Frauen) bzw. 18 Jahren (Männer)
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
589 12
.. Abb. 12.2 Etappen des langfristigen sportlichen ning (ABT), Anschlusstraining (AST) (nach Rudolph
Leistungsaufbaus in Zuordnung zu ontogenetischem et al. 2006, S. 8)
(AK) und schulischem Entwicklungsalter; Aufbautrai-
angestrebt (Rudolph et al. 2006). Demnach emp- fängen, besonders in den ersten beiden Jahren
fiehlt sich der Beginn des zielgerichteten und sys- des Grundlagentrainings, vorzuziehen (Ru-
tematischen langfristigen Leistungsaufbaus im dolph et al. 2006).
Schwimmsport mit der Einschulung im Alter von Da die körperliche Differenzierung von
6 oder 7 Jahren (. Abb. 12.2; Rudolph et al. 2006). Jungen und Mädchen nach dem neunten Le-
Das Grundlagentraining schließt sich der bensjahr einsetzt (Weineck 2010), werden ab
Grundausbildung, dem Erlernen des Schwim- dem Aufbautraining die Geschlechter getrennt
mens, an. Im Alter von 7–10 Jahren werden betrachtet. Das Aufbautraining kategorisiert
5–8 Trainingsstunden im Wasser und 2–4 das Alter bei Mädchen/Jungen zwischen 11/12–
Stunden mit Übungen an Land angestrebt (Ru- 13/14. Dabei werden die Trainingsstunden im
dolph et al. 2006). Der Trainingsumfang im Wasser mit 12–16 Stunden und an Land mit
Wasser pro Jahr wird mit 210–528 km empfoh- 5–6 Stunden erhöht (Rudolph et al. 2006). Der
len (Rudolph et al. 2006). Die Fertigkeitsaus- Jahresumfang des Wassertrainings beläuft sich
prägung mit einem lernorientierten Training hierbei auf 1150–1880 km (Rudolph et al. 2006).
steht in diesem Abschnitt an erster Stelle und In diesem Abschnitt stehen die Steigerung der
ist unbedingt der Realisierung von hohen Um- Belastungsumfänge zur Steigerung der Belas-
590 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 12.6 Häufig verwendete Rennformate mit den dazugehörigen Wettkampfdistanzen im Triathlon,
wobei das Rennformat Supersprint in der Regel als Team-Relay stattfindet
Strecken in km
Radfahren 8 20 40 90 180,2
Belastungs-
dauer in
Stunden
So existieren Wettkämpfe mit zeitlich ähn- Bedeutung zusätzlich erhöht, weil anschlie-
licher Schwimm- (1 km) und Laufdistanz ßend in einem Pulk gefahren wird und der An-
(10 km), die sich um den Faktor 2,5 beim Rad- schluss an eine der vorderen Gruppen nicht
fahren unterscheiden (40 km vs. 100 km). verpasst werden darf.
Häufig wird bereits mit der Bezeichnung ein Gegenüber dem Beckenschwimmen findet
Bezug zur Streckenlänge hergestellt, wie zum Triathlon häufig in freien Gewässern statt, so-
Beispiel 226 (Gesamtstrecke auf der Langdis- dass besondere Fähigkeiten wie die Orientie-
tanz in Kilometern), IRONMAN 70.3 (Ge- rung, das Schwimmen mit Wellengang, Kör-
samtsumme der Mitteldistanz in Meilen) oder perkontakt bei Positionskämpfen und das
111 (1 km Schwimmen, 100 km Radfahren, Umschwimmen von Bojen nötig werden. Zu-
10 km Laufen). dem sollte der Wasserschatten seitlich neben
Das Beanspruchungsprofil einer Ausdauer- einem Mitschwimmer oder direkt hinter ei-
sportart kann insbesondere bei Individual- nem Konkurrenten ausgenutzt werden. Als
sportarten gut über die Belastungsdauer be- Technik der Wahl wird auf hohem Leistungs-
schrieben werden. Nachfolgend wird zunächst niveau ausschließlich das Kraulschwimmen
die Gesamtbelastungsdauer betrachtet, bevor verwendet. Die Vorteile der Kraultechnik lie-
auf jede Einzeldisziplin und die Disziplinwech- gen in der Schonung der Beine und dem Vor-
sel eingegangen wird. teil, dass es die schnellste Schwimmart ist.
Weil selbst die kürzesten Distanzen im
Wettkampf knapp unter einer Stunde dauern, Spezielle Anforderungen des Radfahrens Der
erfordert der Triathlon eine gute Langzeitaus- zeitliche Anteil des Radfahrens kann beim Tri-
dauer. Die einzige Ausnahme bildet derzeit athlon 50 % und mehr betragen. Erhebliche
noch der Supersprint, der im Rahmen des Unterschiede des Anforderungsprofils bestehen
Team-Relay ausgetragen wird. Dass die Aus- zwischen Rennen mit und ohne Windschat-
dauerleistungsfähigkeit von hoher Bedeutung tenfreigabe. Rennen mit Windschattenfrei-
ist, belegen Miura et al. (1997). Demnach kor- gabe ähneln eher dem Radsport: Neben guter
reliert die maximale Sauerstoffaufnahme Ausdauerleistungsfähigkeit müssen Renntaktik,
12 (V̇O2 max) mit der Wettkampfleistung. Bei sehr Kurventechnik, das Fahren im Pulk und die To-
langen Distanzen sind offensichtlich andere leranz von Belastungsspitzen beherrscht wer-
Faktoren von höherer Bedeutung, denn Slei- den. Bei allen Rennen mit Windschattenverbot
vert und Rowlands (1996) wiesen nach, dass entspricht das Radfahren einem mehr oder we-
der Zusammenhang zwischen Wettkampfer- niger langen Zeitfahren. Von besonderer Bedeu-
gebnis und V̇O2 max mit zunehmender Stre- tung ist die Tatsache, dass nach dem Radfahren
ckenlänge abnimmt. Hier scheinen die Bewe- noch das Laufen erfolgt. Dementsprechend
gungsökonomie bei deutlich submaximaler muss eine optimale und nicht maximale Rad-
Belastung (O’Toole und Douglas 1995), der leistung erbracht werden. Es empfiehlt sich, die
mentale Aspekt (Gjerdingen 2013), die Pa- vortriebswirksame Laufmuskulatur beim Rad-
cing-Strategie (Wu et al. 2014) und die Ernäh- fahren, wie zum Beispiel die Wadenmuskulatur,
rungsstrategie (Jeukendrup 2017) eine wichti- so gut wie möglich zu schonen. Das wird durch
gere Rolle zu spielen als die maximale geringfügige Veränderungen der Fußstellung
Sauerstoffaufnahme. auf dem Pedal gegenüber dem normalen Rad-
sport erreicht. Ein weiterer Unterschied zum
zz Spezielle Anforderungen des Schwimmens Radsport ist die Bedeutung der Beweglichkeit.
Das Schwimmen ist mit dem geringsten Anteil Um eine möglichst aerodynamische Position auf
an der Gesamtzeit des Triathlons beteiligt, be- einem Zeitfahrrad einnehmen zu können, wird
sitzt jedoch erheblichen Einfluss auf das ge- die Stirnfläche verkleinert. Um dem Wind we-
samte Rennen (Laursen et al. 2000). Bei allen nig Angriffsfläche zu geben, wird der Oberkör-
Rennen mit Windschattenfreigabe wird die per stark vorgeneigt und die Schultern werden
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
593 12
aktiv nach innen geführt. Das erfordert eine er- Laufen, weil mehr Handlungsabläufe simultan
hebliche Flexibilität, aber auch eine gute Stabili- und sukzessiv erfolgen. Demgegenüber löst
tät des unteren Rückens, der Hals- und Brust- der zweite Wechsel häufig größere Probleme
wirbelsäule. bezüglich der Motorik aus und nimmt somit
großen Einfluss auf die Leistung. Es zeigte sich
Spezielle Anforderungen des Laufens Die in Studien, dass insbesondere ungeübte Athle-
Laufzeit entspricht relativ unabhängig von der ten nach erfolgtem Wechsel zum Laufen deut-
jeweiligen Distanz ca. einem Drittel der Gesamt- liche Probleme haben, eine angemessene Ge-
belastungsdauer. Im olympischen Triathlon schwindigkeit zu realisieren. Ursächlich ist
kommen häufig große Gruppen in die zweite eine Abweichung von dem individuell optima-
Wechselzone. Anschließend beginnt ein langer len Verhältnis zwischen Schrittlänge und
Ausscheidungswettkampf, der nicht selten erst Schrittfrequenz festzustellen (Neumann et al.
auf der Zielgeraden entschieden wird. Somit er- 2004). Nach längerer Belastung in hockender
fordert der Triathlon durchaus auch ein hohes Position auf dem Rad fällt die Aufrichtung
Stehvermögen und Spurtfähigkeiten. Bei den beim Laufen schwer. Von außen betrachtet
längeren Distanzen, wie Mittel- und Langdis- „sitzt der Athlet“ beim Laufen, wodurch die
tanztriathlon, wird angestrebt, dass es möglichst wichtige Hüftstreckung fehlt. Hier setzt das so-
lange zu keiner Verringerung der Laufgeschwin- genannte Koppeltraining an. Durch entspre-
digkeit kommt. Dafür müssen Energieflussra- chendes Training sollen spezifische Fertigkei-
ten, Flüssigkeits- und Mineralstoffaufnahmen ten in Bezug auf die Energiebereitstellung und
über mehrere Stunden realisiert werden. muskuläre Arbeitsweise erzielt werden (Neu-
mann et al. 2004).
Anforderungen an den Disziplinwechsel –
Koppel- und Wechseltraining Triathlon wird
Praxistipp: Koppeltraining und Wechsel-
häufig als Addition von Schwimmen, Radfahren training
und Laufen bezeichnet. Dabei kann auf Grund
der Verbundenheit der Disziplinen inklusive der In der Praxis kann beim Koppeltraining
Wechsel eher von einer Integration von Teilleis- zwischen dem Radfahren und dem Laufen
tungen gesprochen werden (Neumann et al. durchaus eine kurze Pause mit Kleidungs-
2004). Trotz einer relativ kurzen Gesamtdauer wechsel erfolgen, um nicht mit der Rad-
der beiden Wechsel (Schwimmen → Radfahren hose laufen zu müssen.
und Radfahren → Laufen) können diese renn- Beim Wechseltraining werden einzelne
entscheidend sein und die Gesamtleistung im Handlungsabläufe auch isoliert geübt, wie
Triathlon erheblich beeinflussen. zum Beispiel das Schieben des Rades
Zu Verwirrung führen die Bezeichnungen durch einen Parcours. Üblich sind auch
Koppeltraining und Wechseltraining. Dabei sich mehrfach wiederholende Wechsel
beschreibt das Wechseltraining den eher tech- zwischen zwei Disziplinen. Dabei kann der
nischen Anteil des Wechsels. Hierzu zählen im Wettkampf wichtige Wechsel mit
zum Beispiel das Wissen um den genauen Ab- höherer Geschwindigkeit erfolgen:
lauf der Wechsel inkl. Regelkunde, die Fähig- 2 km Rad → schneller Wechsel → 1 km
keit, den Neoprenanzug möglichst schnell aus- Lauf → entspannter Wechsel → 2 km Rad
zuziehen, das Rad zu schieben und die → schneller Wechsel → 1 km Lauf …
Laufschuhe anzuziehen. Diese Abläufe müssen Zudem kann zum Beispiel jeweils eine
möglichst automatisiert werden, damit sie Minute vor und nach dem Wechsel mit der
auch unter hohem Stress im Wettkampf schnell angestrebten Wettkampfgeschwindigkeit
und reibungslos ablaufen. Der Wechsel vom agiert werden, um eine höhere Wett-
Schwimmen zum Radfahren ist häufig kom- kampfspezifität zu erreichen.
plexer als der Wechsel vom Radfahren zum
594 A. Ferrauti et al.
Der Wechsel vom Schwimmen zum Fahrrad- jektive Analysen. Als subjektive Beurteilung
fahren verursacht bei den meisten Athleten bietet sich eine retrospektive Betrachtung des
weitaus weniger Probleme. Lediglich der Lage- Wettkampfes an – möglichst in chronologi-
wechsel von der Bauchlage beim Kraulschwim- scher Reihenfolge, stichpunktartig oder als
men in den aufrechten Stand führt aufgrund Fließtext. Das kann wie folgt aussehen:
der Volumenumverteilung des Blutes in Rich- 55 Vor dem Start: Verpflegung wie üblich:
tung der Beine zur orthostatischen Hypotonie helles Brötchen mit Marmelade 90’ vor
und den damit verbundenen Schwindelgefüh- Start, letztes Iso-Getränk 20’ vor Start.
len und Gangunsicherheiten. Deshalb ist es Gewöhnliche Aufregung. Einschwimmen
sinnvoll, das schnelle Verlassen des Wassers zu war vor Ort nicht erlaubt, deshalb die
trainieren, um sich daran zu gewöhnen. Ein übliche Routine mit Armgymnastik.
häufiges Koppeltraining Schwimmen → Rad- 55 Schwimmen: Weit rechts gestartet. Schnell
fahren ist ansonsten eher unüblich. und gut in den Rhythmus gekommen.
Sowohl im Ausdauersport als auch in den Bojen alle gut getroffen. Ab ca. km 3
Mehrkampfdisziplinen (Moderner Fünfkampf, leichter Einbruch → bin ab da viel überholt
Siebenkampf, Zehnkampf) sind hohe Trainings- worden. Am Ende fehlten die Motivation
umfänge notwendig, um Spitzenleistungen er- und die Kraft, um das Tempo weiter hoch
bringen zu können. Triathlon, als Ausdauermehr- zu halten. Atmung fast durchgängig 2er
kampf, erfordert sehr hohe Trainingsvolumina. nach rechts. Delphinsprünge vor Ausstieg
Eine entsprechend hohe Anzahl von ca. 1500 erst sehr spät begonnen, insgesamt gut.
Trainingsstunden pro Jahr bzw. 30 Wochenstun- 55 T1: Wechselzone war sehr lang → Neo ca.
den wird im Spitzenbereich absolviert 500 m zu gelassen, um schneller laufen zu
(. Tab. 12.7). Auf der Langdistanz werden ten- können. Socken angezogen, weil sandige
denziell weniger Trainingseinheiten pro Woche, Füße, wollte mir keine Blasen in den
aber dafür höhere Gesamttrainingsumfänge ab- Radschuhen holen.
solviert als auf der olympischen Distanz. Mit Aus- 55 Rad: ….
nahme der Saisonpause trainieren Triathleten der 55 T2: ….
12 Spitzenklasse täglich mindestens zwei Disziplinen 55 Lauf: ….
(Pfaff 2011).
Parallel dazu empfiehlt sich eine objektive
Analyse, die die jeweiligen Einzelleistungen
12.2.3 Wettkampfanalyse und berücksichtigt. Ebenfalls zu empfehlen ist ein
Leistungsbeurteilung mathematischer Ansatz: Die eigene Leistung
wird mit einem Mittelwert aus den Leistungen
Wettkampfanalysen sind ein probates Hilfsmit- der fünf besser Platzierten und fünf schlechter
tel, um ein individuelles Stärken-Schwächen- platzierten Athleten verglichen. Die jeweilige
Profil abbilden zu können (7 Abschn. 3.2). Differenz zwischen den Disziplinen sollte in
Hilfreich sind sowohl subjektive als auch ob- Prozent und absoluter Zeit angegeben werden.
.. Tab. 12.7 Trainingsumfänge und Trainingsdauer bei einem Triathleten der Weltspitze
Gesamtzeit 09:35:14
Gesamtzeit 09:36:45
.. Abb. 12.4 Wettkampfanalyse einer Triathletin der nen differenziert nach Einzeldisziplinen. Die individu-
nationalen Spitzenklasse auf der Langdistanz (NN) mit elle Stärke liegt auf der Radstrecke
den jeweils fünf vor und nach ihr platzierten Athletin-
Eine vermeintliche Schwimmschwäche auf der werden muss (7 Box. 12.1). In der eigenen Pra-
Langdistanz fällt prozentual vielleicht sehr xis der Athletenbetreuung im Zentrum für
groß aus, macht anteilig an der Gesamtzeit Diagnostik und Intervention (ZeDI) der Fa-
aber nur wenig aus (. Abb. 12.4). kultät für Sportwissenschaft an der Ruhr Uni-
versität Bochum werden zusätzliche Fragebö-
12.2.4 Trainingssteuerung gen verwendet, um wichtige Basinformationen
zur Erstellung eines Trainingsplanes zu bün-
Die Erstellung eines Trainingsplans nach dem deln (. Abb. 12.5). Erst in der synoptischen
Prinzip „one size fits all“ funktioniert im Tri- Betrachtung dieser Angaben mit individuellen
athlon nicht. Training und Trainingspläne soll- Wettkampfanalysen und klassischen leistungs-
ten so individuell wie ein Fingerabdruck sein. diagnostischen Befunden (Informationen zur
Welche Faktoren die Trainingsplanung beein- Fahrrad- und Laufbandergometrie sind
flussen, wird durch den nachfolgenden Fra- 7 Abschn. 3.4 zu entnehmen) ergibt sich ein
genkatalog deutlich, der zuvor im Rahmen ei- Gesamtbild, aus dem ein individualisierter
ner Anamnese vom Athleten beantwortet Trainingsplan erstellt werden kann.
55 Wie ist das momentane Leistungsniveau 55 Wie ist die berufliche Situation (körper-
(differenziert nach Disziplinen)? liche Belastung, Arbeitszeiten etc.)?
55 Wie ist das Leistungsniveau der anderen 55 Wie ist die Ernährungssituation (Alltag,
sportmotorischen Fähigkeiten (Kraft, Ko- Wettkampf )?
ordination, Flexibilität und Schnelligkeit)? 55 Wie erfolgt die Trainingssteuerung bis-
55 Wie ist die sportliche Biografie/Anzahl lang?
der Lebenstrainingsjahre? 55 Wie ist die Materialausstattung (Road-
55 Bestehen gesundheitliche Probleme (or- bike, Zeitfahrrad, MTB, Rollentrainer/Er-
thopädisch, internistisch, viral, ….)? gometer, Uhr, Wattmesssystem, Kraftge-
55 Welcher zeitliche Aufwand in h/Woche ist räte/Fitnessstudio etc.)?
durchschnittlich und maximal realistisch? Werden Trainingslager geplant?
55 An welchen Wochentagen kann welche
Disziplin trainiert werden?
RUB
.. Abb. 12.5 Aus-
zug aus einem ZeDI
Zentrum für Diagnostik
RUHR
UNIVERSITÄT
BOCHUM
und Intervention im Sport
Fragenkatalog zur
Erfassung Trainingsberatung Triathlon
wichtiger
Name Datum
Informationen zur
Erstellung eines Vorname
Trainingsplans im
Verein
Triathlon
Triathlon seit
Ziele
12 2023
2022
2021
2020
Bestleistungen
20 km 40 km 90 km 180 km
Rad
5 km 10 km 21 km 42 km 100 km
Lauf
Gesundheit
Erkältungskrankheiten
Beweglichkeit
Orthopädie
Menses
Sonstiges
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
597 12
12.3 Basketball Beanspruchung des kardiopulmonalen Systems
und des laktaziden Muskelstoffwechsels ist
Hubert Remmert und Christoph Schneider hoch. Die Leistungssteuerung orientiert sich so-
wohl am objektiven Belastungs- als auch am
Basketball is a game easy to play and difficult subjektiven Beanspruchungsprofil.
to master. Seit 2007 etabliert sich der dem Streetbas-
ketball ähnliche Ableger „3 × 3-Basketball“ als ei-
gene Wettkampfdisziplin und wird bei den Olym-
Zusammenfassung
pischen Spielen 2020 vertreten sein. Das Spiel 3
Im 1949 gegründeten Deutschen Basketball
gegen 3 weist aufgrund der auf 12 Sekunden be-
Bund (DBB) sind zurzeit etwa 200.000 Aktive,
grenzten Angriffszeit und der Orientierung auf
davon knapp ein Viertel Mädchen und
nur einen Korb eine eigene Belastungs- und Be-
Frauen, in 16 Landesverbänden mit ihren
anspruchungsstruktur auf, die sich deutlich vom
2000 Vereinen organisiert. Basketball ist be-
5-gegen-5-Basketball unterscheidet.
sonders bei den unter 18-Jährigen beliebt
und mit positiven Attributen wie „dyna-
misch“, „fair“ und „kämpferisch“ besetzt, das
Spiel auf zwei Körbe zählt in der Schule seit 12.3.1 Belastungs- und
langer Zeit zu den beliebtesten Sportarten. Beanspruchungsprofil
Basketball wurde 1891/92 vom Kanadier
James Naismith am YMCA-College in Spring- Basketball als Wettkampfspiel setzt anspruchs-
field, Massachusetts (USA), als Alternative volle technomotorisch-physiologische Grund-
zum American Football erfunden. Das neue lagen voraus und fordert als Teamsport beson-
Spiel zeichnete sich insbesondere durch das dere sozialpsychologische Dispositionen ein.
Gebot, Körperkontakt zu vermeiden und die Es ist weltweit eines der schnellsten Sportspiele
neuartigen, horizontal über Sprunghöhe an- und verlangt Entscheidungsfindungen unter
gebrachten Ziele aus und verbreitete sich ra- hohem psychophysischem Druck. Taktische
sant über die ganze Welt. Heute sind in der Aufgaben sind grundsätzlich von allen Spielern
FIBA (Fédération Internationale de Basket- zu bewältigen, die Funktionsaufteilung ist nicht
ball) 213 nationale Verbände sowie u. a. der so ausgeprägt wie zum Beispiel im Fußball.
Internationale Rollstuhl Basketball Verband Wissenschaftliche Spielanalysen (Spielbe-
(IWBF) und der Gehörlosen Basketball Ver- obachtung und Monitoring) liefern die physio-
band (DIBF) organisiert. Die Leistungsanfor- logisch bedeutsamen Fakten zu den so umris-
derungen im Basketball sind zum aufgrund senen Spielhandlungen (u. a. McInnes et al.
ihrer Heterogenität und Komplexität je nach 1995; Ferrauti und Remmert 2003; Schmidt
Geschlecht, Altersgruppe und Spielniveau nur ein- und von Benckendorf 2003; Schmidt und
geschränkt darstellbar. Die technisch-taktischen, Braun 2004; Ben Abdelkrim et al. 2006; Papa-
athletischen und psychischen Leistungsvoraus- dopoulos et al. 2006; Matthew und Delextrat
setzungen manifestieren sich in einer individuell 2009; Schnittker et al. 2009; Puente et al. 2017;
sehr spezifischen Spielleistungsfähigkeit. Auf Stojanović et al. 2018):
hohem Niveau erfordert das Basketballspiel eine 55 Die Bruttospielzeit beträgt im Mittel
intervallförmige Ganzkörperaktivität von be- zwischen 80 und 90 min.
achtlicher Gesamtdauer. Intensive (v. a. Lauf- 55 Das durchschnittliche Belastungs-Pausen-
und Sprung-)Belastungen von wenigen Sekun- Verhältnis liegt zwischen 2:1 und 1:2. Die
den bis im Ausnahmefall mehreren Minuten absolut meisten Belastungen dauern 2 bis
Dauer werden dabei durch regelbedingte Pau- 3,5 s, Spielunterbrechungen (ohne
sen (Viertel- und Halbzeitpausen, Auszeiten, Viertel- und Halbzeitpausen) zum Teil
Freiwurf- und Einwurfpausen) unterbrochen, die deutlich länger (1,5 bis 150 s).
598 A. Ferrauti et al.
50 47,47
45,2
45
40
35
Prozent aller Werte
30
25
21,1
20 17,7 18,35
15 12,9
10 8,4 8,83
6,45
5 4,27 3,39 4,18
0,08 0,08
0
0 1 2 3 4 5 6 7
<120 121–140 141–160 161–180 181–190 191–200 >200
Intensitätsbereich der HF
.. Abb. 12.6 Prozentuale Anteile der Herzfrequenz spieler (Bösing et al. 2019; mod. nach Zimmermann
(HF) in sieben Intensitätsbereichen während zweier et al. 2006, S. 294)
Trainingsspiele (blau, rot), 15-jähriger Basketball-
6
Laktat (mmol/l)
4
Messzeitpunkte
3 0 = Ruhe
1 = Aufwärmen
2 2 = nach 1. Viertel
3 = nach 2. Viertel
4 = nach 3. Viertel
1 5 = nach 4. Viertel
6 = 3 min nach Spielende
0
1. Viertel 2. Viertel 3. Viertel 4. Viertel
0 1 2 3 4 5 6
Messzeitpunkt
gen Einsatzzeiten von einer hervorragenden Physis (Körpergröße und -gewicht) auch zu
spielspezifischen Ausdauer abhängig. Flügel- den Haupt-Reboundern ihres Teams macht.
spieler prägen das Spieltempo und die damit Taktisch werden Centerspieler im modernen
verbundenen Möglichkeiten von Schnellan- Basketball auch für Blocksituationen auf Höhe
griff und Schnellangriffsverteidigung, sie legen der 3-Punkte-Linie genutzt. Der Power For-
die meisten längeren Wege mit hohen Intensi- ward ist der variablere und agilere Spieler von
täten zurück. Der Shooting Guard ist i. d. R. der beiden, der auch über gute Distanzwurf- und
beste Distanzwerfer seines Teams, der Small Passfähigkeiten verfügen muss. Der „echte“
Forward agiert auch in Korbnähe und profi- Center agiert fast ausschließlich am Zonen-
tiert dabei von einer gut ausgeprägten Maxi- rand mit dem Rücken zum Korb.
mal- und Schnellkraft. Centerspieler besetzen
im Angriff die Räume unmittelbar am Korb
und agieren häufig mit dem Rücken zu diesem, 12.3.2 Konditionelle
wofür sie über ein spezifisches Repertoire an Leistungsstruktur
technisch-taktischen Fertig- und Fähigkeiten
verfügen. Sie müssen sich vor allem physisch Basketballspieler verfügen über besondere
durchsetzen. Ihren Athletikschwerpunkt bildet Ausdauer-, Kraft- und Schnelligkeitsfähig-
die Maximalkraft, die sie bei entsprechender keiten. Die Anforderungen an die nur
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
601 12
schwer fassbare motorische Mischeigen- Antritten, Richtungswechseln und Sprüngen,
schaft Schnellkraftausdauer sind hoch – für wodurch der enge Bezug zu Schnell- und Ex-
Trainingspraktiker eine enorme Herausfor- plosivkraft deutlich wird. Zyklische Schnel-
derung. ligkeit und Schnelligkeitsausdauer sind weni-
Die spezifische Ausdauerfähigkeit des Bas- ger bedeutend. Leistungslimitierend ist eher
ketballspielers wird von Neumann (1990, S. 165) die Fähigkeit, die azyklischen Bewegungsan-
durch den Begriff der „azyklischen Langzeitaus- forderungen über die Gesamtspielzeit hinweg
dauer mit Intervallcharakter“ gekennzeichnet. mit hoher Intensität ausführen zu können:
Dabei ist eine hinreichend ausgeprägte aerobe die bereits erwähnte Schnellkraftausdauer.
Grundlagenausdauer zur Sicherung kurz-, mit- Im Zusammenhang mit Technik und Taktik
tel- und langfristiger Regenerationsfähigkeit ge- ist die Entwicklung der spezifischen Hand-
nauso leistungswirksam wie die spielspezifische, lungsschnelligkeit wichtigstes Trainingsziel.
eng mit den Schnelligkeitsfähigkeiten verbun- Die Beweglichkeitsfähigkeiten werden im Bas-
dene anaerob- alaktazide und laktazide Kurz- ketball auf durchschnittlich sportlichem Ni-
zeitausdauer. Die Bedeutung der Kraftfähigkei- veau beansprucht. Ein gezieltes Beweglich-
ten wird für den Basketballspieler schon bei keitstraining ist immer dann notwendig,
oberflächlicher Betrachtung des Spielgesche- wenn zu geringe Bewegungsamplituden die
hens offensichtlich. Sprünge, Antritte, Rich- Bewältigung der technisch-taktischen Bewe-
tungswechsel, Stopps und Positionskämpfe sind gungsanforderungen zu behindern drohen.
ohne gut entwickelte Kraftfähigkeiten nicht zu Problembereiche bei Nachwuchsspielern sind
realisieren. Zur Sicherung von Belastungsver- meist die Hüft- und Schulterregion, die be-
träglichkeit (Verletzungsprophylaxe!) und Spiel- sonderer Aufmerksamkeit bedürfen. „Bewegt
leistungsfähigkeit benötigen Basketballspieler sich der Spieler effizienter, benötigt er weni-
eine gut ausgeprägte Maximalkraft im Bereich ger Energie bei gleicher Arbeit“ (Lindner
des Rumpfes und der Extremitäten, insbeson- 2017, S. 13).
dere zur Stabilisierung des Schultergürtels. Ins-
besondere auf den Positionen, die häufig mit
großen Spielern besetzt sind (Power Forward, 12.3.3 Leistungsdiagnostik
Center), ist eine enorme Stabilität und Robust-
heit des Oberkörpers gefragt. Nicht vernachläs- Die leistungsdiagnostische Begleitung des Bas-
sigt werden sollte die Kraftentwicklung der Fin- ketball-Trainingsprozesses ist wie bei allen
gerbeuger und -strecker als Prophylaxe gegen Spielsportarten vielschichtig, und die ermittel-
die häufigen Kapselverletzungen. Die Spielleis- ten Daten sind angesichts der Komplexität der
tungsfähigkeit verlangt ein Training der spezifi- Leistungs- und Bedingungsstruktur wenig ein-
schen Schnellkraft von Beinen und Armen, zum deutig und interpretationsbedürftig. Vielfältige
Beispiel für das Antritts- und Beschleunigungs- Methoden von Spielbeobachtungs- über
vermögen im 1 gegen 1 und das Passvermögen. Monitoring-Verfahren bis zu naiven sportmo-
Um von der ersten bis zur letzten Spielminute torischen Tests (siehe 7 Abschn. 3.4) kommen
leistungsfähig zu sein, sind Schnellkraftleistun- zum Einsatz. Die Forderungen aus der Trai-
gen dauerhaft abzurufen. Schließlich benötigt ningspraxis nach Ökonomie verlangen häufig
der Basketballspieler für offensive und defensive die Reduzierung der zu untersuchenden Variab-
Richtungswechsel und Sprünge, die im len auf ein Minimum weniger Zubringerleistun-
Dehnungs-Verkürzungs- Zyklus realisiert wer- gen, während die komplexe Spielleistung durch
den, eine technikspezifische Reaktivkraft der Experten beurteilt wird. Weitgehend durchge-
unteren Extremitäten. Die hohe Aktionsdichte setzt haben sich dabei vor allem standardisierte
auf engem Raum erfordert darüber hinaus kom- Testverfahren zur Ermittlung der spezifischen
plexe Schnelligkeitsfähigkeiten. Im Basketball- konditionellen Eigenschaften, wobei das Prob-
spiel äußern sie sich in erster Linie in kurzen lem der Spielnähe einzelner Tests nach wie vor
602 A. Ferrauti et al.
ungelöst ist. „Die“ allgemein akzeptierte Basket- 55 Functional Movement Screen (FMS, siehe
balltestung gibt es bis heute nicht. 7 Abschn. 6.4),
Wir haben in einem langjährigen Pro- 55 Sprungkrafttests mit Kontaktmatte (Squat
jekt zur Begleitung von Basketball-Talenten Jump, Counter Movement Jump, Drop
(BISP- Fördernr. IIA1-080703/06-11) u. a. Jump mit 40 cm Fallhöhe; 7 Abschn. 6.4),
eine konditionelle Testbatterie zu den Fähig- 55 sportmotorische Krafttests (Flachbankdrü-
keitsbereichen Schnellkraft, Schnelligkeit und cken und Klimmzüge für U18/20, Liege-
Agility (siehe 7 Abschn. 5.1) entwickelt und stütze und Klimmzughang für U16),
daraus jahrgangsspezifische Normprofile un- 55 30-15-Intermittent-Fitness-Test (IFT, siehe
terschiedlicher Selektionsstufen ableiten kön- 7 Abschn. 6.4).
nen (20-/5-m-Sprint, Pendelsprint mit und
ohne Ball, Jump-and-Reach-Test, Standweit- Zu sämtlichen Tests werden altersstufenabhän-
sprung, Brustpass- Weitenmessung, Halbdis- gige Sollvorgaben präsentiert (. Tab. 12.9).
tanzwurf-Test, Multistage-Fitness-Test; Fer- Zur Testung der komplexen anaerob-
rauti et al. 2015), die als Orientierung für ein laktaziden Schnelligkeits- und Kurzzeitaus-
perspektivisches Nachwuchstraining dienen dauer werden meist Richtungswechselläufe
können (. Tab. 12.8). von etwa 10 s bis zu 2 min Dauer herangezo-
Die Spielerinnen und Spieler der höchsten gen, die je nach konkreter Zielstellung auch
Selektionsstufe (Nationalkader (3) vs. D- (2) mit Ball durchgeführt werden. Allerdings sucht
und LV-Kader (1)) weisen dabei nicht in allen man akzeptierte Standards vergeblich.
Testleistungen bessere Werte auf. Als talent-
sensitiv und damit selektionswirksam haben
sich nur die Kraft- und Schnellkraftfähigkei- 12.3.4 Leistungsentwicklung im
ten des Rumpfes und der oberen Extremitä- Jugendbasketball
ten (Brustpass-Weitenmessung) sowie die
komplexe Schnelligkeit mit Richtungswech- Durch die Verfügbarkeit sportart- und al-
seln und Ball herausgestellt. Insgesamt er- tersspezifischer Normdaten im konditionel-
12 laubt die im Projekt erprobte Talentdiagnos- len Bereich (Ferrauti et al. 2015) sowie die
tik eine Verortung eines jeden Spielers im handlungsorientierte DBB-Athletikkonzeption
Basketball- Leistungsgefüge und ermöglicht (Lindner 2017) sind Trainer im deutschen Ju-
amit die individuell passgenaue Planung und gendbasketball in der komfortablen Lage, die
Steuerung weiterer Trainingsmaßnahmen konditionelle Leistungsfähigkeit und vor allem
(. Abb. 12.8). die Leistungsentwicklung von Nachwuchsspie-
Der Deutsche Basketball Bund setzt in sei- lern zu beurteilen und klare Zielsetzungen zu
ner aktuellen Athletikkonzeption für seine Aus- definieren. In Kooperation mit einem ambitio-
wahlspieler ab der U16 ebenfalls auf eine Batte- nierten ProB-Ligisten haben wir in den ver-
rie erprobter, ökonomischer Verfahren zur gangenen Jahren im Rahmen jährlicher, im
Leistungsdiagnostik und fokussiert dabei auf Herbst stattfindender Leistungscamps eine an
die Bereiche Beweglichkeit, Bewegungskompe- das Basketball-Talente-Projekt (s. o.) ange-
tenz, Kraft und Ausdauer (Lindner 2017): lehnte Testbatterie umgesetzt. . Abb. 12.9
55 Ruheherzfrequenzmessung in liegender zeigt zwei Fallbeispiele daraus mit Leistungs-
Position über 5 Minuten, entwicklungen über zwei bzw. drei Testungen.
55 Ermittlung der Beweglichkeit mittels Die Visualisierung durch Spinnendiagramme
Toe-Touch-Test im Stand und Knee-to- liefert einen Überblick des konditionellen
Wall-Test in Schrittstellung, Leistungsprofils zum Zeitpunkt der Testungen
sowie Einblicke in die Entwicklung der relati-
.. Tab. 12.8 Normprofile des Basketball-Talente-Projekts des Jahrgangs U16 (Ferrauti et al. 2015, S. 39–40)
KH (cm) 187 175 8 194 181 176 172 168 155 289 187 9 209 195 189 185 180 158
20-m-
175 3,48 0,17 3,08 3,33 3,42 3,52 3,62 4,03 281 3,24 0,15 2,90 3,11 3,18 3,27 3,36 3,98
Sprint (s)
PSOB (s) 183 5,46 0,23 4,93 5,26 5,40 5,48 5,63 6,30 285 5,10 0,23 4,46 4,93 5,01 5,14 5,28 6,07
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
PSMB (s) 181 5,72 0,28 5,04 5,47 5,66 5,78 5,96 6,96 282 5,33 0,26 4,81 5,11 5,23 5,37 5,52 6,14
SWS (cm) 182 188 17 230 205 194 185 170 140 285 219 19 265 237 222 215 205 145
BP (m) 185 10,56 1,17 13,50 11,60 10,80 10,24 9,60 7,50 286 13,14 1,57 17,20 14,60 13,52 12,60 11,80 8,30
(Level)
KH; Körperhöhe, PSOB; Pendel-Sprint ohne Ball, PSMB; Pendel-Sprint mit Ball, J&R; Jump & Reach Test, SWS; Standweitsprung, BP; Brustpassweite, HDW; Halbdistanz-Wurf-
test, MFT; Multistage 20 m Shuttle-Run Ausdauertest
12
604 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 12.9 DBB-Standards für die Laufleistung beim 30-15-IFT und Sprungleistung beim CMJ (mod.
nach Lindner 2017, S. 23)
30-15-IFT 3 (Bronze) < 17,5 km/h < 19,5 km/h < 21,0 km/h
1 (Gold) > 19,0 km/h > 21,0 km/h > 22,0 km/h
.. Abb. 12.9 Fallbeispiele der Entwicklung konditioneller Leistungsgrößen eines Spielers a und einer Spielerin
b, getestet im Rahmen jährlicher Leistungscamps im Herbst
12
.. Abb. 12.11 Ergebnisse des Spieler-Monitorings Belastungsherzfrequenz und Anstrengungsempfinden
während einer Saisonvorbereitung in der 2. Basket- während eines 5-minütigen submaximalen Shuttle-
ball-Bundesliga ProB: Befragung zu Erholungs- und Run-Tests (Schneider et al. 2018) sowie tägliche
Beanspruchungsempfinden (Nässi et al. 2017), Dokumentation des Training Load (Trainingsdauer in
Messung von Sprunghöhe (Counter Movement Jump), min × Session-RPE (0–10))
umfangreicher Monitoring-Daten ist nur sinn- diese im Verlauf des Spiels schneller und länger
voll, wenn sie auch tatsächlich in die trainings- umsetzen zu können. Es gilt: „Trainiere so viel
praktischen Entscheidungen einfließen. wie nötig (um die Leistung zu steigern bzw. um
zu gewinnen) und nicht so viel wie möglich“
(Lindner 2017, S. 7).
12.3.6 Trainingssteuerung Durch das konditionelle Training (heute
nicht ganz zutreffend auch oft als Athletiktrai-
Ein hohes physisches Potential verschafft dem ning bezeichnet) sollen Basketballspieler auf
Basketballspieler größere Spielräume für die die Bewältigung der hohen physischen Belas-
Entwicklung seiner technisch-taktischen Fer- tungen einer langen Saison (kurzfristig) und
tigkeiten und Fähigkeiten und erlaubt es ihm, Karriere (langfristig) vorbereitet werden. All-
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
607 12
gemeine Trainingsinhalte dienen dabei der ballkarriere gesehen nimmt der Anteil speziel-
Entwicklung und Stabilisierung einer grund- ler Trainingsinhalte kontinuierlich zu, die
legenden körperlichen Ausbildung, während anfangs dominierenden allgemeinen Inhalte
spezielle Inhalte die basketballspezifische werden sukzessive zurückgedrängt
Leistungsfähigkeit ausprägen. Langfristig ge- (. Abb. 12.12). Aber auch im Verlauf einer
sehen baut somit die spezielle auf der allgemei- einzelnen Saison kommt es zu einer derartigen
nen Leistungsfähigkeit auf, die Sicherung einer Verschiebung zwischen allgemeinen und spe-
soliden Belastungsfähigkeit sollte vor der Spe- ziellen Trainingsinhalten. Ein derart idealtypi-
zialisierung erfolgen. In der Expertisefor- scher Saisonverlauf ist auf semiprofessionellem
schung (Ericsson et al. 1993; Hohmann 2009) Leistungsniveau jedoch nicht zwangsläufig
geht man davon aus, dass bis zum Erreichen wiederzufinden (. Abb. 12.11).
von (sportlichen) Spitzenleistungen ein Aus dem Talentprojekt (siehe 7 Abschn.
Übungs- bzw. Trainingsaufwand von ca. 10.000 12.3.3) abgeleitete Empfehlungen zum lang-
Stunden notwendig ist, die im Basketball auf fristig wirksamen Training berücksichtigen die
Koordinations-, Technik- und Taktiktraining, Positionsspezifik und Anthropometrie der
spezielles Athletiktraining sowie Wettkämpfe Basketballnachwuchsspieler (Ferrauti et al.
zu verteilen sind. Dieser Stundenumfang 2015). Die umfassende Ausbildung zum Spit-
würde bei einem täglichen Trainingsaufwand zenspieler kann nur gelingen, wenn ein funk-
von 2,5 Stunden eine zeitliche Gesamtinvesti- tionsorientiertes Kraft- und Schnellkrafttrai-
tion von 11 Jahren bedeuten – schon daraus ning langfristig durchgeführt wird. In der
wird ersichtlich, dass ein allgemeines Basistrai- Praxis wird diesem spezifischen Athletiktrai-
ning eine wichtige Voraussetzung für die Tole- ning jedoch noch zu wenig Beachtung ge-
rierung langfristig einwirkender spezifischer schenkt:
Trainingsmaßnahmen ist. Im speziellen Athle- 55 Nachwuchsspieler sollten frühzeitig und
tiktraining geht es um die Verbesserung der regelmäßig ein Rumpfstabilisierungs- und
spezifischen Leistungsfähigkeit in Abhängig- funktionales Mobilisationstraining
keit von Technik und Taktik. Über die Basket- durchführen. Trainer müssen auf die
Learn to train
U12
FUNdamentals
U10
80 % 20 %
608 A. Ferrauti et al.
1 3 5 7
.. Abb. 12.13 Beispiel für einen intensiven Court-Drill mit läuferisch-spielspezifischer Belastung, Belastungs-
steuerung nach der Intervallmethodik (mod. nach Brittenham 1996, S. 130–131)
läuferische Anteile, die aber zunehmend um durch Halteübungen im statischen und durch
Richtungswechsel, Sprünge, Verteidigungsbe- niedrige Zusatzlasten im dynamischen Kraft-
wegungen und ballgebundene Aktionen ergänzt ausdauertraining, letzteres bereitet zudem
werden (Gamble 2010). Die spielspezifischen über anfangs geringe, später mittlere Zusatz-
extensiven und intensiven Intervalltrainingsme- lasten auf das „richtige“ Krafttraining (der Ma-
thoden werden deshalb i. d. R. nicht nur läufe- ximalkraft) vor. Dort wird das Kraftpotenzial
risch, sondern auch mit azyklischen Bewegun- von Rumpf- und Extremitätenmuskulatur über
gen ausgefüllt (. Abb. 12.13). Hypertrophie und die nachfolgende neuronale
Auch die Kraftentwicklung folgt einem Aktivierung verbessert. Das unmittelbar leis-
langfristigen Aufbau: Nach einem präventiv tungswirksame Schnellkrafttraining besteht
wirksamen Rumpfstabilisationstraining erfolgt aus maximal-explosiven semispezifischen (mit
die substanzielle Erweiterung der Maximal- moderaten Zusatzlasten) und spielspezifischen
kraftbasis und zum späteren Zeitpunkt ein (ohne Zusatzlasten) Trainingsübungen, bei Er-
spielleistungsverbesserndes Schnell- und Re- müdungsanzeichen muss der Trainingssatz ab-
aktivkrafttraining. Im Laufe der Spielerkarriere gebrochen werden. Die Reaktivkraft wird
kann jedoch keine dieser Trainingsphasen als hauptsächlich mit Trainingsübungen ohne Zu-
abgeschlossen betrachtet werden. Die einzel- satzlasten geschult (leichte Plyometrie): Der
nen Phasen werden je nach Saisonzeitpunkt Fokus liegt dabei auf ein- und beidbeinigen
und kurzfristigen Zielen schwerpunktmäßig Sprungserien (über verstellbare Hürden, Bricks
verfolgt. Ein allgemein vorbereitendes und etc., bei höherer Qualifikation auch Kästen)
präventiv wirksames Krafttraining beinhaltet und kleinräumigen Richtungswechseln mit
die Gewöhnung an wiederholte Kraftreize kurzen Bodenkontaktzeiten.
610 A. Ferrauti et al.
.. Tab. 12.10 Abfolge der Trainingsmethoden und Zeitspannen des basketballspezifischen Krafttrai-
nings (Bösing et al. 2019, S. 62)
Trainingsziel Übung
Reaktivkraft prellende Hüpf- und Sprungserien (Linien, Bricks, Hürden, kleine Kästen)
Sprungläufe vorwärts und lateral
Hot Steps (Wechselsprünge)
Seilchensprünge ein- und beidbeinig
Niederhochsprünge (kleiner Kasten)
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
613 12
Purpose
To improve change of direction and body 4
position , transitions between skills, and
cutting ability.
Ba
5 yards
t
ck p
rin
Sp
Procedure
rda
• Place five cones in an A shape such
l
that cone 1 and cone 5 are 10 yards
or meters apart on the starting line. Shuffle
2 3
Cones 2 and 3 are 5 yards or meters in
Shuffle
front of 1 and 5 and 5 yards or meters
apart. Cone 4 is 5 yards or meters in
front of and between 2 and 3.
5 yards
rin
• Sprint from cone 1 to cone 2.
Sp
• Shuffle from cone 2 to cone 3.
• Shuffle back from cone 3 to cone 2.
• Sprint from cone 2 to cone 4.
1 5
• Backpedal from cone 4 to cone 5.
10 yards
Variation
Perform an additional skill, such as dribbling, while performing the drill.
.. Abb. 12.15 Der Fußballsport ist heute ein globales Massenphänomen, wird immer professioneller und bietet
aus trainingswissenschaftlicher Sicht zahlreiche Fragestellungen
616 A. Ferrauti et al.
sich auf den Aktionsraum und die Aktionszeit. Im Rahmen der beschriebenen Leistungs-
Der interaktive Spielverlauf kann grob in vier struktur muss der Fußballspieler vielfältigen An-
Spielphasen eingeteilt werden (. Abb. 12.16). forderungen gerecht werden. Energetisch domi-
Der Ballbesitz im Profifußball wechselt im niert aufgrund des großen Spielfeldes vor allem
Spielverlauf durchschnittlich ca. 400-mal (An- die aerobe Ausdauer. Die ständigen Intensitäts-
derson und Sally 2014), wodurch ein fließender wechsel sind ein zusätzlich prägendes Haupt-
und beständiger Phasenübergang entsteht merkmal. Während dieser azyklischen Ausdau-
(. Abb. 12.17). Daraus ergibt sich, dass jeder erbelastung wechseln die überwiegend aeroben
Spieler im Durchschnitt alle 3,4 s eine neue Ak- Beanspruchungen beim Gehen und Joggen mit
tion ausführt (Rienzi et al. 2000). Die Ballaktio- anaerob-alaktaziden und anaerob-laktaziden Be-
nen eines Spielers sind mit zwei Ballkontakten anspruchungen bei höheren Laufgeschwindig-
und 1,1 s Kontaktzeit pro Ballaktion sehr kurz
und akkumulieren pro Spiel mit nur 53,4 Sekun-
den zu einem sehr geringen Anteil der Gesamt- Offensive
aktionen (Carling 2010). Die Aktionen ohne Ball
beinhalten zum Beispiel Freilaufaktionen, An-
Umschalten von Defensive Umschalten von Offensive
laufbewegungen oder Verschiebeaktionen im auf Offensive auf Defensive
Gruppen- und Mannschaftsverbund. Die Netto-
spielzeit beträgt zwischen 55 und 62 min (Tschan
et al. 2001; Mislintat 2011). In dieser Zeit absol- Defensive
vieren Profispieler ca. 1400 unterschiedliche Ak-
tionen mit und ohne Ball und überbrücken dabei .. Abb. 12.16 Spielphasenmodell im Fußball
eine Distanz von 8–12 km (Dellal et al. 2012). (Henseling und Marić 2016, S. 20)
.. Abb. 12.17 Venn-Diagramm zur Leistungsstruktur des Fußballspiels mit komplexer Interaktion verschiede-
ner Anforderungskomponenten (mod. nach Bradley und Ade 2018, S. 658)
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
617 12
keiten (z. B. Laufen >14 km/h, Tempolauf fasst werden. Die Daten aus ausgewählten Veröf-
>20 km/h, Sprints >25 km/h) stetig und in un- fentlichungen zu diesem Thema (. Tab. 12.13)
vorhersehbarer Folge ab (. Tab. 12.13). Andere können wie folgt zusammengefasst werden:
Autoren sprechen in diesem Fall unter anderem 55 Gesamtlaufdistanz: 10.000–12.000 m
auch von Schnellkraftausdauer, Schnelligkeits- (meist ca. 11.000 m)
ausdauer, Sprintausdauer und Spiel-/Kampfaus- 55 Gehen: 3000–4000 m
dauer (Eisenhut und Zintl 2014, S. 34). 55 Joggen: 4000–5000 m
Im Kontext mit der Anzahl von Spielern, der 55 Laufen: 1000–2000 m
Größe des Feldes, dem Spielen mit dem Fuß, der 55 Tempoläufe: 500–1000 m
Seltenheit eines Tores und den kurzen Ballkon- 55 Sprints: 200–400 m (ggf. bis 900 m)
taktzeiten einerseits sowie dem vergleichsweise
kleinen und bewachten Ziel (Tor) in sich ständig Bei genauer Betrachtung der . Tab. 12.13 fällt
wechselnden Umgebungsbedingungen spielt der auf, dass ein direkter Vergleich der aufgeführten
Zufall im Fußball eine große Rolle. Der Einfluss Laufleistungen kaum möglich ist. Offensichtlich
des Zufalls, also der Einfluss jener Faktoren auf unterscheiden sich die Untersuchungen in Mess-
das Spielergebnis, die nicht prognostizierbar methodik und Messgenauigkeit sowie in den de-
sind, lag in der Bundesliga bei 53 % (Quitzau und finierten Geschwindigkeits- und Positionskate-
Vöpel 2009). In dem Zusammenhang wird in den gorien (Mislintat 2011). Trotzdem liefern die
Medien auch von Glück, Pech und zufälliger Ta- Daten neuartige und wichtige Informationen zur
gesform berichtet, insbesondere, wenn aus weni- Leistungsstruktur. Chmura et al. (2017) konnten
gen Gelegenheiten viele Tore erzielt werden. Im bei der WM 2014 einen Zusammenhang zwi-
Strafraum, in dem 82 % der erfolgreichen Tor- schen dem Titelgewinn und den mehr gelaufe-
schüsse abgegeben werden (Buschmann et al. nen Kilometern insgesamt sowie der höheren
2013), herrschen hoher Raum-, Zeit- und Geg- Anzahl an Tempoläufen der deutschen National-
nerdruck, wodurch die Vorbereitung des Tor- mannschaft feststellen. In der Fußball-Bundesliga
schusses und der Torschuss selbst auch kognitiv stellten die Autoren fest, dass bei gewonnenen
enorm erschwert werden. Die aus diesen Über- Spielen die Flügelspieler und Stürmer mehr Tem-
legungen resultierende allgemeine Leistungs- poläufe absolvierten als bei verlorenen Spielen
struktur und die darin zugrunde liegenden An- oder bei Unentschiedenen (Chmura et al. 2018).
forderungsgrößen stehen in einer komplexen Dalen et al. (2016) ergänzen zu den Belastungen
Interaktion und bedingen sich gegenseitig in Form von Laufleistungen noch die Richtungs-
(. Abb. 12.18). Schließlich geht es im Fußball- wechsel, Beschleunigungen und das Abstoppen,
spiel fast immer darum, kognitiv unter höchstem die in den Geschwindigkeitskategorien anderer
Komplexitätsdruck die richtigen Entscheidungen Untersuchungen keinerlei Berücksichtigung fin-
zu treffen und die daraus resultierende tech- den, obwohl sie nach ihrer Untersuchung bis zu
nisch-taktische Performance unter hoher bis sehr 17 % der Gesamt-Laufbelastung ausmachen.
hoher physischer Beanspruchung abzurufen. Die erbrachten Laufleistungen in den ver-
schiedenen Geschwindigkeitskategorien sollten
stets mit den damit verbundenen Anschluss-
12.4.2 Belastungs- und handlungen in Verbindung gebracht werden, um
Beanspruchungsprofil Trainern eine konkretere Vorstellung über den
kontextualen Zusammenhang zu geben (Bradley
Laufdistanzen Die Laufdistanzen sowie deren und Ade 2018) (. Abb. 12.18). Die Abbildungen
Differenzierung nach Geschwindigkeitsbereichen liefern wertvolle Informationen für die Trai-
sind wichtige Parameter zur Beschreibung des Be- ningssteuerung. So erfolgt ein erheblicher Anteil
lastungsprofils (External Load) und können durch der Tempoläufe von offensiven Mittelfeldspielern
moderne Tracking-Verfahren weitgehend objek- und Stürmern mit Ball steil in die Spitze (schwarz
tiv und unter offiziellen Wettspielbedingungen er- markierte Anteile in . Abb. 12.18).
12
618
.. Tab. 12.13 Literaturübersicht zu Laufleistungen im Fußball-Wettspiel, differenziert nach Spielpositionen und Laufgeschwindigkeiten
Autoren Liga Methode Spielposition Gesamtdis- Gehen Jogging Laufen Tempolauf Sprints
tanz (m) <7 km/h (m) 7–14 km/h (m) 14–20 km/h (m) 20–25 km/h (m) >25 km/h (m)
Bradley England ProZone alle Positionen 10.841 ± 950 3809 ± 270 4281 ± 615 1745 ± 426 716 ± 210 264 ± 114
et al. Premier Version
A. Ferrauti et al.
Innenverteidiger 9951 ± 491 4084 ± 153 4187 ± 329 1197 ± 176 484 ± 134 110 ± 55
Dalen Sweden ZXY Außenverteidiger 11.426 ± 648 3908 ± 178 4411 ± 336 1969 ± 293 1138 ± 282 330 ± 133
et al. First Sport-
(2016) League Tracking Defensives Mittelfeld 11.573 ± 768 3727 ± 273 5155 ± 516 1930 ± 421 770 ± 270 152 ± 80
Players AS Offensives Mittelfeld 11.990 ± 771 3704 ± 276 5017 ± 437 2174 ± 409 1095 ± 255 276 ± 111
Stürmer 10.429 ± 874 4051 ± 347 4184 ± 484 1416 ± 368 776 ± 264 198 ± 93
Vigne Italian SICS Abwehrspieler 9699 ± 2.901 3791 ± 1172 2914 ± 946 1300 ± 423 791 ± 287 902 ± 406
et al. First Multi-
(2010) League Camera Mittelfeldspieler 8946 ± 3.992 3263 ± 1482 2712 ± 1277 1301 ± 595 828 ± 377 875 ± 439
Players Match Stürmer 7734 ± 3.650 3410 ± 1647 2067 ± 1072 849 ± 417 563 ± 279 846 ± 455
Analysis
System
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
619 12
.. Abb. 12.18 Verteilung der Tempolauf-Distanz ger CM –zentrales Mittelfeld, WM – äußeres Mittelfeld
nach Ballbesitz und technisch-taktischer Anschluss- CF – Mittelstürmer; nach Bradley und Ade 2018, S. 658)
handlung (CB – Innenverteidiger, FB – Außenverteidi-
.. Tab. 12.14 Interpretation und Beschreibung der passenden Trainingsmaßnahmen für vier Spielertypen
mit unterschiedlichen Ergebnissen im Reactive-Agility-Test (modifiziert nach Gabbett et al. 2008, S.180)
Sprintbelastungen Die Kategorie der Sprint- dauern. Die Anforderungen an die kognitiven
belastungen (. Tab. 12.14) weist zwar einen ver- Fähigkeiten verdeutlichen die 1000–1400 ver-
gleichsweise geringen Umfang im Wettspiel auf schiedenen kurzen Aktivitäten im Spiel, die se-
(200–400 m, teilweise bis 900 m), ist jedoch kündlich wechseln (Stølen et al. 2005, S. 503).
nach Expertenmeinung übereinstimmend eine Kombinierte Schnelligkeits- und Kognitionsan-
leistungslimtierende Fähigkeit, da sie häufig mit forderungen werden auch unter dem Begriff
spielentscheidenden Aktionen und hohen kog- Agility zusammengefasst (7 Kap. 5) und spielen
nitiven Anforderungen sowohl in der Offensive im Fußball eine besondere Bedeutung (Dalen
als auch in der Defensive kombiniert wird. Ein et al. 2016; Bradley und Ade 2018; Chmura et al.
Spieler absolviert zwischen 10–20 Sprints in je- 2018). Sheppard und Young (2006) definieren
dem Spiel, welche zum Großteil 2–4 Sekunden Agility als eine schnelle Ganzkörperbewegung
620 A. Ferrauti et al.
40
42,4
(84 %) 39,0 37,1
30 (77 %) (73 %) 33,6
(67 %)
20
•
10 14,0
0
HZ 1A HZ 1B HZP HZ 2A HZ 2B
.. Abb. 12.19 Sauerstoffaufnahme während eines ersten Halbzeit, HZ 1B = zweite Hälfte der ersten
simulierten Wettspiels (11:11) im Fußball, gemittelt Halbzeit, HZP = Halbzeitpause, HZ 2A = erste Hälfte
über fünf Messzeiträume, sowie die prozentuale der zweiten Halbzeit, HZ 2B = zweite Hälfte der
Ausschöpfung der V̇ O2 max (HZ 1A = erste Hälfte der zweiten Halbzeit; mod. nach Ferrauti et al. 2006)
Psychologisch-kognitive Beanspruchung Die auf engstem Raum Mitspieler und Gegner pe-
psychologisch-kognitive Beanspruchung um- ripher in der Tiefe und Breite und gleichzeitig
fasst sowohl die Anforderungen an die ver- der frei bespielbare Raum erkannt werden
schiedenen Sinnessysteme als auch den Um- müssen. Die zentrale Rolle im Mittelfeld erfor-
gang des Spielers mit den daraus erhaltenden dert hohe Anforderungen an die Wahrneh-
Informationen. Hierbei steht am Ende einer mungs- und Orientierungsfähigkeit. Der Mit-
jeden Aktion die für den Außenstehenden telfeldspieler zeigt ein höchstes Maß an
sichtbare taktische Handlung. Der Prozess, der Kreativität, Dynamik und vor allem Effektivi-
während der gesamten Aktion im Spieler statt- tät. Der Spieler muss in Bruchteilen von Se-
findet, wird von Henseling und Marić (2016) kunden Entscheidungen fällen – die spielent-
in sechs Phasen unterteilt (. Abb. 12.20). Die scheidend sein können. Dieses analytische
besondere Bedeutung dieser Beanspruchung Vorgehen bezeichnet die Psychologie als heu-
wird speziell im Mittelfeldspiel deutlich, wenn ristische Strategie (Raab 2012).
Exkurs: Heuristik
Die Heuristik – die Anwendung von vereinfachenden suchungen bestätigen, dass 60–90 % der Athle-
Regeln – räumt mit der weit verbreiteten Annahme ten dieser intuitiv entstehenden Option folgen
auf, dass Entscheidungen besser werden, je mehr In- (Raab und Johnson 2007; Hepler und Feltz
formationen dafür herangezogen und verarbeitet wer- 2012).
den. In der Sportwissenschaft und in der Leistungspsy- 55 Take-the-Best-Heuristik: Wähle die beste
chologie ist dieser Ansatz zwar noch relativ jung, Option. Der Spieler im Ballbesitz scannt die
verspricht aber die Möglichkeit, das Entscheidungsver- Spielsituation und beurteilt dabei Erfolgs-
halten von Athleten zu erklären und zu beschreiben wahrscheinlichkeiten der sich ihm bieten-
(Raab 2012). Man unterscheidet: den Optionen. Auf dieser Basis trifft er die
55 Take-the-First-Heuristik: Wähle die erste Option, aus seiner Sicht bestmögliche Entschei-
die dir in den Sinn kommt. Empirische Unter- dung.
12
1 . Wahrnehnumg der
Situation
6. Wahrnehmung 2:
Reflexion des 2. Verarbeitung 1:
Ergebnisses Analyse der Situation
4. Entscheidung: 3. Verarbeitung 2:
5. Ausführung: Auswahl einer Handlungsplan als
Spielhandlung als situationsgerechten geistige Vorwegnahme
motorische Lösung motorischen) Lösung einer Lösung
.. Abb. 12.20 Phasen des taktischen Handelns (modifiziert nach Henseling und Marić 2016; Bruckmann und
Recktenwald 2010, S.42)
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
623 12
Kontextualität der Beanspruchung und Teamdy- schen Rollen und Aufgaben, die ein jeder Spie-
namik Der Erfolg im Fußball ist letztendlich ler auf seiner Position einnehmen und erfüllen
nicht von der Leistung eines Einzelnen, son- muss, um ein erfolgreiches Team sein zu kön-
dern von der Leistung des gesamten Teams ab- nen. Durch Positionsspezifika werden die An-
hängig. Entscheidend hierbei ist die kollektive forderungen und die Ziele abgestimmt. Daraus
Kompetenzüberzeugung, also die Überzeugung ergibt sich ein technisch-taktisches Profil einer
jedes einzelnen Teammitglieds, eine Aufgabe speziellen Position, mit spezifischen konditio-
zusammen mit den anderen und den vorhande- nellen Belastungsprognosen (z. B. wird von ei-
nen Fähigkeiten erfolgreich bewältigen zu kön- nem Außenverteidiger verlangt, dass er nach
nen (Hermann und Mayer 2016). Es konnte ein einem längeren 10–30-m-Sprint in der Lage ist,
Zusammenhang zwischen der kollektiven nach einer möglichst offensiven Ballmitnahme
Kompetenzüberzeugung und tatsächlich erziel- eine präzise Flanke oder ein Early Cross Pass
ter Leistung nachgewiesen werden (Hermann vor das Tor des Gegners zu spielen). Die Aktio-
und Mayer 2016). Ein Beispiel hierfür stellt die nen eines zentralen Mittelfeldspielers hingegen
Studie von Fransen et al. (2015) dar, in der eine sind von vielen kurzen, hochexplosiven Anrit-
Korrelation zwischen dem Vertrauen in die Fä- ten geprägt, seine meisten Ballaktionen sind
higkeiten des Teams durch die einzelnen Mit- kurze Pässe unter 10 m, wodurch er eine zent-
glieder und der Leistungswahrnehmung des rale Rolle im Kombinationsspiel erhält.
Teams nachgewiesen werden konnte. Neben
dem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit eines
Teams spielt auch die Leidenschaft, die die Mit- 12.4.3 Leistungsdiagnostik
glieder für das eigene Team empfinden, eine
entscheidende Rolle. Slater et al. (2018) konnten Im Rahmen der konditionellen Leistungsdia
nachweisen, dass Teams, die bei der Europa- gnostik werden im Fußball traditionell Feldtests
meisterschaft 2016 in Frankreich ihre National- zur Erfassung von Ausdauer- und Schnellig-
hymne vor Spielbeginn mit mehr Leidenschaft keitsleitung zu Beginn und am Ende der Saison-
gesungen haben, im Spiel eine bessere Leistung vorbereitung sowie zusätzlich in der Winter-
erbracht haben. Das Singen der Nationalhymne pause absolviert (. Abb. 12.21). Vereinzelt wird
verbinden sie in diesem Kontext mit der sozia- dies durch Laboruntersuchungen auf dem Lauf-
len Identität im Team. Der Einfluss der sozialen band (Spiroergometrie) und durch eine isokine-
Identität auf die Leistungsfähigkeit konnte auch tische Kraftdiagnostik ergänzt. Hinsichtlich der
unter dem Gesichtspunkt der Lohnstreuung in- verwendeten Testverfahren (z. B. Feldstufentest,
nerhalb eines Teams festgestellt werden. So YoYo-Intermittent-Recovery-Test, Linearsprint-
spielen Fußballteams besser, wenn sie eine ge- Tests oder Agility-Tests) sei auf 7 Abschn. 3.4
ringe oder eine extreme Lohnstreuung im Team verwiesen.
haben, da in beiden Fällen keine leistungsstö- Neben dieser Basistestung rückt die Dia
rende Konkurrenz um den Status im Team vor- gnostik der fußballspezifischen Handlungs-
liegt (Franck und Nüesch 2011). schnelligkeit zunehmend in den Fokus. For-
schungsrelevante Aspekte zur Erfassung der
Individualität der Beanspruchung und Positi- Wahrnehmungsfähigkeit in direkter Kombina-
onsspezifik Die im Beanspruchungsprofil tion mit der technisch-taktischen Performance
zum Großteil universell beschriebenen Leis- erfordern jedoch aufwendige Messverfahren.
tungsfaktoren sollten zur Ableitung von Trai- Vereine wie Borussia Dortmund und TSG Hof-
ningsmaßnehmen auf die einzelnen Spielposi- fenheim leisten sich die Anschaffung eines
tionen heruntergebrochen werden. Hughes „Footbonauten“, um diese fußballspezifischen
et al. (2012) begründen dies mit den spezifi- Anforderung standardisiert erfassen zu können.
624 A. Ferrauti et al.
Exkurs: Footbonaut
1,4 m
Tore können abwechselnd farbig aufleuchten, und
der Spieler muss sich immer wieder neu orientie-
ren, um ins vorgegebene Tor zu schießen. 20 1,4 m
definierte Bälle werden in knapp einer Minute ins 14 m
Feld gespielt, sodass insgesamt 100 Bälle in ca. fünf
Minuten bearbeitet werden müssen. Der Footbo- Verwendung als leistungsdiagnostisches Verfahren
naut ermöglicht ein attraktives individuelles sind geringfügige Abstriche hinsichtlich der
Training zentraler Leistungskomponenten (Vogt Testgütekriterien aufgrund der hohen Testkomple-
et al. 2018, s. a. Abbildung hierzu). Bei der xität unvermeidlich (Saal et al. 2018).
12
.. Abb. 12.22 Beispiel eines Leistungsprofils von die Schnelligkeit beim Dribbling ist unzureichend.
einem männlichen U12-Spieler (Höner 2015). Der Demgegenüber sind Ballkontrolle und Balljonglieren
dargestellte Spieler weist Defizite in der linearen überdurchschnittlich gut (Leistungskategorie A)
Sprintschnelligkeit auf (Leistungskategorie C). Auch
626 A. Ferrauti et al.
werden an anderer Stelle dieses Buches be- Entscheidend für die effektive Gestaltung
schrieben (7 Kap. 4, 5, 6 und 7). von Small-Sided Games ist eine angemes-
Als eine in der Sportpraxis vielfach bevor- sene Ausrichtung der Belastungsnormative
zugte Alternative bieten sich spielnahe Trai- (7 Kap. 2). . Tab. 12.15 zeigt die Auswirkun-
ningsformen bzw. Kleinfeldspiele (engl. gen unterschiedlicher Gestaltungsparameter in
Small-Sided Games) an. Spielnah bedeutet hier- Form von Spielformat, Anzahl von Spielern
bei nicht, das Wettspiel zu kopieren, sondern pro Mannschaft, Pausenzeiten, Wiederholun-
über Regeländerungen (z. B. Spielfeldgröße, gen und Serien auf die Intensität und den Trai-
Spielerzahl, Spielfeld/Spielerzahl-Relation, ningseffekt.
Spielzeit oder Spielintention) eine spielerische In zahlreichen experimentellen Untersu-
Schwerpunktsetzung im Hinblick auf tech- chungen zu dieser Thematik konnten weitere
nisch-taktische Komponenten oder ausgewählte interessante Aspekte nachgewiesen werden:
konditionelle Fähigkeiten vorzunehmen. 55 Bei einem 4 vs. 4 steigt die Intensität, wenn
ohne große Tore auf Ballhalten oder auf
»» „Offensichtlich ist 11 vs. 11 nicht immer Minitore gespielt wird (González-Rodenas
die ideale Trainingsübung, um bestimmte
et al. 2015).
Aspekte im Fußball zu verbessern. In
55 Die Herzfrequenz steigt mit zunehmender
diesem Fall muss 11 vs. 11 vereinfacht
Größe des Spielfeldes (Owen und Dellal
werden, ohne die typischen Fußballeigen-
2016).
schaften wie die Kommunikation zwi-
55 Die Anzahl an Ballaktionen am Boden
schen den Spielern und die Spieleinblicke,
steigt mit abnehmender Spieleranzahl pro
die Technik und die Fußballfitness der
Mannschaft (Owen et al. 2014).
einzelnen Spieler zu verlieren. Selbst in
55 Die kardiovaskulären Anpassungen sind
dieser weniger komplexen Trainingssitua-
mit jenen eines rein lauforientierten HIIT
tion sind alle Bestandteile des Fußballs
(High-Intensity-Interval-Training)
noch vorhanden. Trotz der temporär
vergleichbar (Iaia et al. 2009).
niedrigeren Anforderungen müssen sich
12 die Spieler sowohl auf der Entscheidungs-
als auch auf der Umsetzungsebene immer
12.4.5 Monitoring
noch mit Positionierung, der Situation,
Richtung und Geschwindigkeit auseinan-
In Wissenschaft und Praxis ist in den letzten
dersetzen.“ (Verheijen 2014).
Jahren verstärkt ein Trend hin zu umfassen-
Bezüglich der fußballspezifischen Ausdauer den Monitoring-Maßnahmen zu beobachten
ist es inzwischen unstrittig, dass sie inner- (7 Abschn. 3.5). Fußballspieler sind inner-
halb von Small-Sided Games ebenso verbes- halb einer Saison enormen körperlichen Be-
sert werden kann wie in Intervall- oder Dau- lastungen ausgesetzt, die zur Ermüdungser-
erlauftrainingsformen. Durch das Spielen scheinungen und strukturellen Schädigungen
mit dem Ball zeigt sich jedoch eine erhöhte führen können. Aufgrund des komplexen Be-
Motivation der Spieler im Vergleich zu ande- anspruchungsprofils wird dementsprechend
ren beiden Trainingsformen (Owen und ein mehrdimensionales Monitoring der kör-
Dellal 2016). Hinsichtlich der Verbesserung perlichen Beanspruchung (Internal Load),
von Schnelligkeit und Kraft ist die Sachlage bestehend aus laborchemischen, psychome
etwas weniger überzeugend. Hier kann je- trischen und leistungsdiagnostischen Mar-
doch im Sinne eines Komplextrainings durch kern, empfohlen (Urhausen et al. 1995; Meyer
Zusatzübungen in den Serienpausen ein Ak- et al. 2014; Nédélec et al. 2012). Darüber hin-
zent gesetzt werden. aus bietet auch die Herzfrequenz (insbeson-
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
627 12
.. Tab. 12.15 Übersicht über Typen des Ausdauertrainings mittels Kleinfeldspielen (mod. nach
Deutscher Fußball Bund 2019)
Geeignete Trainingsbelastung
Insensität Dauer
5x5
6x6
Laktat- ziemlich <1 min
schwelle 80 - 90 anstrengend 3-6 30 - 60 6 - 30 min 1-8 Pause
7x7
8x8
3x3
0,5-1 Be-/
• Entlastungs-
V O2 max
90 - 95 anstrengend 6 - 12 12 - 35 3 - 6 min 4-8 verhältnis
4x4
2x2
2-4 1-4 Be-/Ent-
20s to Sätze bei lastungsver-
Anaerob >85 maximal >10 4 - 16 3 min 4 - 8 Wdh hältnis
3x3
tung und eine angemessene Datenfilterung. 55 Mannschaften mit mehr Schüssen und
Diese Form des funktionellen Wissensma- Schüssen auf Tor gewinnen in der Regel
nagements stellt den Trainerstab und das ge- die Spiele (Lago-Peñas et al. 2009;
samte Beraterteam derzeit vor neue Probleme. Castellano et al. 2011).
Digitalisierung und technologischer Fort-
schritt verlangen Experten mit fußballspezifi- Exkurs: Packing
schem Sachverstand, die die Daten hinsicht-
lich ihrer Verwertbarkeit sichten und filtern In diesen Thesen finden sich Aspekte der neuen
müssen. Fachbegriffe Packing-Rate und Expected Goals
wieder, die von externen Dienstleistern für die
Insgesamt stellt ein detailliertes und eng-
tägliche Trainingsarbeit und die Matchplanung
maschiges Monitoring des gesamten Kaders einbezogen werden und in aufwendigen
erhebliche Anforderungen an Personalbe- Auswertungen den Trainerteams und den
darf, Finanzbudget und auch (Trainings-) Spielern zugänglich gemacht werden können
Zeit, was stets einer kritischen Kosten-Nut- (Impect GmbH und WyScout)
zen-Analyse bedarf. So erscheinen die Aus-
wertung und Aufbereitung umfangreicher
Daten nur dann als sinnvoll, wenn sie auch 12.5 Volleyball
tatsächlich in trainingspraktische Entschei-
dungen einfließen. Til Kittel
Neben der aktuellen Wettkampfanalyse
einzelner Fußballspiele und der unmittelbaren „Volleyball ist wie Schach, nur mit Tempo 200.“
Trainingssteuerung von Spielern zur Vorberei- (Hans-Friedrich Voigt)
tung auf das nächste Spiel liefern aggregierte
Daten aus einer repräsentativen Anzahl von Zusammenfassung
Fußballspielen wichtige grundlegende Er- Der Deutsche Volleyballverband (DVV) wurde
kenntnisse über erfolgversprechende Strate- 1955 gegründet. Im Moment sind etwas mehr
gien und deren Entwicklung (. Abb. 3.2, als 410.000 Aktive in 17 Landesverbänden und
12 7 Abschn. 3.1 und 3.2). Memmert et al. (2016) 7000 Teams organisiert. Volleyball ist heute eine
haben versucht, anhand der Big Data aus den der weltweit verbreitesten Sportarten (gemes-
Spieltagen der Bundesligasaison 2014/15 ei- sen an der Zahl der Aktiven) und findet auch in
nige Indikatoren (Key-Performance-Indika- Deutschland im Leistungs-, Breiten- und Schul-
tor) zur Bestimmung des Erfolges im Spiel zu sport umfassende Beachtung. Erfunden wurde
evaluieren. Anhand dieser Ergebnisse und wei- Volleyball 1895 vom US-Amerikaner William
terer Erkenntnisse lassen sich folgende Aussa- G. Morgan am YMCA-College in Holyoke, Massa-
gen zusammenfassen: chusetts (USA) unter dem Namen Mintonette,
55 Erfolgreiche Mannschaften kontrollieren als Zeitvertreib für ältere Mitglieder. Die Zahl der
den meisten Raum vor allem beim Spieler war zunächst ebenso unbegrenzt wie
Passspiel in der Angriffszone. die Anzahl der Ballkontakte. Von diesem Aus-
55 Erfolgreiche Mannschaften überspielen gangsprunkt aus erfolgte eine Verbreitung und
mit vertikalen Pässen oder vertikalen Versportlichung des Spiels über die ganze Welt.
Dribblings gleichzeitig mehr Gegenspieler. Die Leistungsanforderungen im heutigen
55 Erfolgreiche Mannschaften zeichnen sich Volleyball sind, wie in allen Sportspielen, auf-
durch besseres Positionsspiel und durch grund ihrer Heterogenität und Komplexität
Raumdominanz aus. nicht vollständig darstellbar. Die technisch-
55 Heimmannschaften überspielen mehr taktischen, athletischen und psychischen An-
Gegenspieler bei Pässen und kontrollieren forderungen lassen sich idealtypisch modellie-
mehr Räume. ren, münden aber immer in einer individuell
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
629 12
Leistungsstruktur im Volleyball setzt sich aus
verschiedenen Komponenten zusammen,
die – ausgehend von dem „Ideal“ der Welt-
spitze – je nach Alter, Niveau und anderen
Rahmenbedingungen variieren.
Volleyballspieler müssen aufgrund der ho-
hen Ballgeschwindigkeiten auf einem relativ
kleinen Spielfeld und den regelbedingten Rück-
schlagbedingungen schnell reagieren (dies
setzt hohe Wahrnehmungsleistungen voraus).
Dazu müssen ihnen verschiedenste sportliche
.. Abb. 12.23 Höchste kognitive und athletische Techniken stabil und präzise zur Verfügung
Beanspruchungen im Leistungsvolleyball stehen, die während des Kontakts nicht regu-
lierbar sind (Bewegungskoordination unter Zeit-
sehr spezifischen Spielleistungsfähigkeit. Auf druck).
hohem Niveau verlangt Volleyball eine Kurz- Um sich einen spielerischen Vorteil unter
zeit-Intervallbelastung von 4–7 s, in der unter sehr standardisierten Bedingungen zu ver-
hohem Zeit- und Präzisionsdruck aufgrund der schaffen (nur drei Ballberührungen erlaubt),
regelwerkbedingten Ballkontaktdauer und in werden auf kleinem Feld ausgeklügelte takti-
Kooperation mit anderen Spielern auf einem sche Verhaltensweisen (kognitive Fähigkeiten)
kleinen Raum (13,5 qm pro Spieler) agiert wer- verlangt, um komplexe gruppentaktische An-
den muss (. Abb. 12.23). Zur Leistungsent- griffs- und Abwehrmuster in hoher Geschwin-
wicklung und -steuerung im Volleyball bietet digkeit zu realisieren.
sich eine Ableitung der Trainingsempfehlun- Spieler mit großer Reichhöhe (Genetik, An-
gen an einem volleyballspezifischen Anforde- thropometrie) sind bevorteilt (die durch-
rungsprofil an, welches inzwischen aufgrund schnittliche Körperhöhe der männlichen
einer breiten Datengrundlage gut zu modellie- Olympiateilnehmer hat von 1968–2000 von
ren ist. 1,86 auf 2,00 m zugenommen).
Seit etwa 30 Jahren etabliert sich die Vari- Etwa jede sechste Spielsituation wird im
ante Beach-Volleyball als eigene Wettkampfdis- „Fehlerspiel“ Volleyball nicht erfolgreich be-
ziplin und ist seit den Olympischen Spielen wältigt. Dieser Umstand verlangt besondere
1996 mit einem eigenen Turnier vertreten. Eigenschaften der Spieler im Bereich der Frus-
Beachvolleyball weist durch die reduzierte Spie- trationstoleranz/Psyche.
lerzahl (2:2), das geringfügig verkleinerte Feld Volleyball wird über eine lange Spielzeit
(8 × 16 m), verschiedene Regelunterschiede mit vielen kurzen Wiederholungen gespielt
und den Sportboden Sand eine eigene Bela- (alaktazid-anaerobe Energiebereitstellung) bei
stungs- und Beanspruchungsstruktur auf, die vergleichsweise wenig Sprüngen, Schlägen und
sich – zumindest in konditioneller Hinsicht – Läufen (dosierte Explosiv- und Schnellkraft) in
trotz ähnlicher Spielstruktur vom Hallenvolley- einem Mannschaftsspiel, in dem jeder jede Si-
ball unterscheidet. tuation bewältigen muss (Universalismus und
Spezialisierung). Diese hohen, sich aus der Tä-
tigkeitsanalyse ergebenden, vielschichtigen
12.5.1 Leistungsstruktur und veränderlichen Anforderungen des Spiels,
grafisch dargestellt als Anforderungsprofil
Aus dem „Zeitvertreib für Ältere“ ist in den gut (. Abb. 12.24), stellen zuvorderst hohe Anfor-
120 letzten Jahren ein athletisches, schnelles derungen an die Informationsverarbeitung
Sportspiel geworden – das Spiel wurde „ver- unter Zeitdruck (Voigt et al. 2010). Insgesamt
sportlicht“ (Spitzer 1987; Voigt et al. 2010). Die kann von einem hohen Stellenwert einer dem
630 A. Ferrauti et al.
Zeitdruck ausgelieferten Verwaltung von Leis- Ball-Zeit ist inzwischen auf 14,7 % gesunken,
tungsvoraussetzungen gesprochen werden. in der Regel ist ein Ballwechsel nach fünf Ball-
berührungen und knapp zwei Netzüberque-
rungen beendet (FIVB 2017; . Tab. 12.16).
12.5.2 Belastungs- und Demzufolge ist ein Spiel im Volleyball körper-
Beanspruchungsprofil lich gekennzeichnet durch eine azyklische Kurz-
zeit-Intervallbelastung (im Durchschnitt dauert
Als Kurzeit-Intervall-Spiel beträgt die absolute ein Ballwechsel auf internationalem Niveau bei
Spieldauer (Herren, Spitzenbereich) zwischen den Herren 5,60 s, bei den Damen 7,52 s).
64 und 131 Minuten, der Anteil der Flying- Wegen der vielen Unterbrechungen, die
sich aus Pausen zwischen Aufschlägen, länge-
ren technischen und taktischen Auszeiten,
Koordination Satzpausen und neuerdings auch Video-
als Bewegungspräzision unter Zeitdruck
Challenges zusammensetzen, bestehen die
Psyche Ballwechsel nur aus kurzen Phasen der Akti-
als Umschalten und Regulation
vierung (. Abb. 12.25).
Ressourcenmanagement Aus der prozentualen Verteilung von Ball-
als spielspezifische Ausdauer wechseldauern über ihre zeitliche Länge ergibt
Leistungsbereiche
Explosivkraft
sich, dass Ballwechsel von über 15 Sekunden
für Sprung und Schlag praktisch nicht vorkommen. Die meisten Feh-
ler entstehen bei eigenem Aufschlag (<2 s), der
kognitive Fähigkeiten
als Taktik Annahme des gegnerischen Aufschlages
(2–3 s) und im Bereich des Angriffsabschlus-
Beweglichkeit ses (5–7 s). Die Blutlaktatwerte liegen während
für Spielsituationen
eines Spiels bei den Männern zwischen
aerobe 2–4 mmol/l (Steinhöfer 2008).
Ausdauer
Die ballungebundenen und ballgebunde-
12 niedrig mittel bedeutsam sehr
bedeutsam
nen Aktionen in einem Ballwechsel variieren
von Position zu Position und je nach Niveau.
.. Abb. 12.24 Anforderungsprofil Volleyball (nach Innerhalb eines „typischen“ Ballwechsels (in-
Voigt et al. 2010, S. 24) ternationales Niveau, Herren) legen Spieler
.. Tab. 12.16 Ausgewählte Strukturdaten im Volleyball der Männer national und international (modi-
fiziert nach Czimek 2012, S. 27)
Männer
national international
Häufigkeit (%)
15
wende (Voigt et al.
2010, S. 21)
10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Ballwechseldauer (s)
1,2–12,0 Schritte zurück und springen 1,2-mal führen Volleyballer im Schnitt 55 Sprünge pro
(nur die Angreifer, Voigt 2003). Dies erfolgt Stunde aus (mit großen Unterschieden, je nach
pro Satz 35–50-mal. Die ballgebundene Akti- Spielposition; . Abb. 12.27; Czimek 2012;
onsdichte liegt bei 1,2 Ballaktionen pro Mi- Mroczek et al. 2013).
nute, also etwa 80 ballgebundene Aktionen pro
Stunde Spielzeit (Voigt 2000b). zz Anforderungen an die Spielpositionen:
Innerhalb eines Ballwechsels lösen sich im Auch wenn Volleyball von der Grundidee des
Volleyball typischerweise sekündlich Situatio- Regelwerks (Rotation bei Gewinn des Auf-
nen mit weniger und mehr Zeitdruck ab – dar- schlagrechts, Aufstellungsregeln) Universalis-
aus resultieren für das Spiel typische Fehlerquo- mus fordert, wird versucht, aus Gründen der
ten, die in Situationen mit Zeitdruck deutlich Leistungsoptimierung Spezialisten auszubilden
höher liegen (. Abb. 12.26). Durch die regelbe- und einzusetzen (Selinger und Ackermann-
dingten Einschränkungen (Volley- Kontakte, Blount 1987). Aus diesen widersprüchlichen
maximal drei Ballberührungen) entsteht eine Anforderungen hat sich ein „spezialisierter Uni-
typische Handlungskettenstruktur, die dem versalismus“ im Volleyball ausgebildet (Voigt
Spiel eine typische und recht standardisierte Ab- und Jendrusch 2013). So hat zum Beispiel jeder
folge von Spielsituationen gibt (. Abb. 12.26). Spieler im Vorder- und Hinterfeld seine feste
Die genannten Aspekte verdeutlichen in der Position, die er – unter Berücksichtigung der
Summe das für Volleyball charakteristische Un- Aufstellungsregeln – nach dem Aufschlag für
gleichgewicht zwischen Offensive und Defen- die aktuelle Spielsituation einnimmt. Auf dem
sive zugunsten der Offensive. Daran haben Spielfeld ergeben sich daraus üblicherweise fol-
zahlreiche Regeländerungen der letzten Jahr- gende Positionen und Funktionen (Sheppard
zehnte strukturell nichts geändert (Voigt 2000a). et al. 2009; . Abb. 12.28):
Die Laufstrecken während eines Wettspiels 55 Zuspieler übernehmen in der Regel nach
liegen – positionsspezifisch variierend – in einem der Annahme den zweiten Ballkontakt im
Vier-Satz-Spiel zwischen 550 und 1600 Metern Spielaufbau und spielen den Ball weiter
und spielen damit in der Betrachtung möglicher zum Angreifer. Darüber hinaus inszenieren
leistungslimitierender Belastungsfaktoren keine sie den Angriffsaufbau aus der Annahme
relevante Rolle (Mroczek et al. 2013). und müssen entscheiden, welchen Angrei-
Im Gegensatz dazu stellen die Sprunghand- fer sie taktisch klug einsetzen. Die Spiel-
lungen einen leistungsbestimmenden Faktor position ist sowohl im Vorder- als auch im
dar (Czimek 2014). Auf internationaler Ebene Hinterfeld meist die rechte Spielfeldseite.
632 A. Ferrauti et al.
Angriff
3 60
Block/
4 Feldabwehr
5 Zuspiel
6
Angriff 15
Block/
7 Feldabwehr
8 Zuspiel
9
Angriff 5
10 Block/
Feldabwehr
11
12
12 80
Männer (intenational)
70
60
Anzahl/Stunde
50
40
30
20
10
0
alle Spieler Zuspieler Mittelblocker Diagonalspieler Außenspieler
(gemischt)
.. Abb. 12.27 Durchschnittliche Sprunghandlungen der Spielertypen pro Stunden (mod. nach Czimek 2012,
S. 30)
55 Der Hauptangreifer oder auch Diagonalspie- der Regel aus der Annahme herausgelöst,
ler steht in der Grundrotation diagonal zum damit die Gegner ihn nicht durch einen
Zuspieler und hat sich in den letzten 40 taktischen Aufschlag im Angriff binden
Jahren vom Hilfszuspieler und Universalspie- können, und greift über die rechte Feldhälfte
ler zum Hauptangreifer entwickelt. Er wird in an. Er ist ebenfalls Hauptangreifer aus dem
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
633 12
Exkurs: Talentdiagnostik
.. Tab. 12.17 Spielsituationen im Volleyball (modifiziert nach Kittel et al. 2016, S. 88)
12 Zuspiel im Sprung bei gutem ersten Pass aus der Annahme- oder „Dankeball"-Situation
13 Zuspiel im Stand oder Sprung nach Erlaufen bei ungenauem ersten Pass
aus der Annahme oder „Dankeball“-Situation
18 Zuspiel im Stand oder Fallen nach Erlaufen bei schlechtem ersten Pass
aus der Annahme- oder „Dankeball"-Situation
12
19 Zuspiel im Stand oder Fallen nach Erlaufen bei schlechtem ersten Pass nach Block
E
20 Zuspiel im Stand oder Fallen nach Erlaufen bei schlechtem ersten Pass nach Feldabwehr
50 Feldabwehr von auf den Körper oberhalb der Gürtellinie geschlagenen Bällen
51 Feldabwehr von auf den Körper unterhalb der Gürtellinie geschlagenen Bällen
N
52 Feldabwehr von neben den Körper geschlagenen Bällen
53 Feldabwehr von vor den Körper geschlagenen Bällen
O 56 Feldabwehr von über oder neben den Block gelegten Bällen durch Erlaufen
57 Feldabwehr von über oder neben den Block gelegten Bällen durch Erhechten
spielspezifische
„spielnahe“ ca. 5–10 s submaximal ca. 10–20 s Ausdauer = sehr hoch
Intervallmethode Energieflussrate
Verwendung deutlich eingeschränkt (z. B. Spieler. Auch für die Psyche bringt die Sportart
das obere Zuspiel), um trotz der geringen eigene Implikationen mit sich, zum einen durch
Spieleranzahl einen Spielfluss zu erreichen. die geringe Mannschaftsgröße, zum anderen
55 Die Zeitstruktur des Beach-Volleyballs ist durch die nicht vorhandenen Wechselmöglich-
allerdings mit der des Hallenspiels nahezu keiten und das Coaching-Verbot.
identisch.
Praxistipp: Zusammenfassende Empfehlun-
Zudem weisen viele Techniken – abgesehen gen zur Trainingssteuerung im Volleyball
von den veränderten Gleichgewichtsanforder-
12 rungen im Sand und einigen regelbedingten 55 Ballkontrolle im Volleyball entwickelt sich
Unterschieden – sehr große Ähnlichkeiten auf. durch sehr viele Wiederholungen in
spielgleicher oder -ähnlicher Dynamik von
Der DVV möchte, auch aus diesen Gründen,
Standardsituationen und Handlungsketten.
die „kombinierte Ausbildung“ seiner Nach- 55 Die dominante Methode im Balltraining
wuchstalente in beiden Sportarten forcieren sollte eine für Volleyball spielspezifische
(Czimek und DVV 2017). Intervallmethode sein.
Da beim Beach-Volleyball aber nur vier 55 Die Auswahl der Trainingsinhalte sollte sich
in der Regel an der Häufigkeit des Vorkom-
Spieler beteiligt sind, legen Spieler in einem
mens und ihrer Bedeutung im Spiel
Ballwechsel dreimal längere Laufwege zurück, orientieren (K1-Dominanz).
springen 50 % mehr und Schlagen dreimal häu- 55 Das große Ungleichgewicht zwischen
figer als Hallenspieler (Voigt 2003). Dies führt Offensive und Defensive und die daraus
zu höheren Laktatkonzentrationen als im Hal- resultierenden Fehlerquoten müssen sich
einem strukturnahen Training wiederfinden.
lensport, teilweise wurden bei internationalen
55 Als Leistungsvoraussetzungen sind ein
Wettkämpfen 9–11 mmol/l Blut festgestellt tägliches Stabilisationstraining und ein
(Voigt 2003). Zusätzlich sorgt der Sportboden kontinuierliches Schnelligkeits- und
Sand für eine eher konzentrische Kraftanforde- Krafttraining zu empfehlen.
rung für die sich bewegenden und springenden
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
639 12
12.6 Tennis
Zusammenfassung
Der Deutsche Tennis Bund (DTB) gehört mit ca.
1,4 Millionen organisierten Sportlern zu den
mitgliederstärksten Verbänden des Deutschen
Olympischen Sportbundes (DOSB) und ist als .. Abb. 12.29 Roger Federer (SUI) schlägt auf bei
Lifetime-Sport für zahlreiche Adressatengrup- den All England Championships in Wimbledon
pen beiderlei Geschlechts und in jeder Alters-
gruppe beliebt. Tennis wurde bereits als Rück- 12.6.1 Leistungsstruktur
schlagspiel unter Mönchen seit dem 12.
Jahrhundert und als „Jeu de Paume“ in den Ball- Die Leistungsstruktur im Tennis besteht aus ei-
häusern des 16. und 17. Jahrhunderts in Frank- nem Netzwerk verschiedener Leistungskompo-
reich und England gespielt. Das moderne Re- nenten, die je nach Alter, Geschlecht, Spielertyp
gelwerk entstand ca. 1880 in Wimbledon und Bodenbelag, in unterschiedlicher Weise in
(. Abb. 12.29) durch die British Lawn Tennis den Vordergrund treten. Die vergleichsweise
Association. In der Folgezeit öffnete sich Tennis geringe Beanspruchung des Bewegungsappara-
von einem zunächst exklusiven Sport für weite tes und der fehlende Körperkontakt ermögli-
Teile der Gesellschaft und zählt zu den bedeu- chen das Tennisspiel als Freizeit- und Turnier-
tendsten Sportarten weltweit. sportart (als Einzel und später zunehmend als
Die Leistungsstruktur im Tennis besteht Doppel) auch noch im mittleren und höheren
aus einem Netzwerk von Leistungskompo- Lebensalter (Weber 1982; Weber et al. 1995).
nenten, in dem technische, taktische, athleti- Die Schlagtechnik besitzt nach Experten-
sche und psychische Faktoren, je nach Alter, meinung die größte Bedeutung für die Leis-
Geschlecht, Spielertyp und Bodenbelag, in tungsfähigkeit eines Spielers. Deshalb werden
unterschiedlicher Weise in den Vordergrund im Anfängerunterricht vorrangig die Grundli-
treten. Der moderne Tenniswettkampf ist ge- nienschläge Vorhand und Rückhand, die Spiel-
kennzeichnet durch eine intervallförmige eröffnung mit Aufschlag und Return sowie das
Ganzkörperaktivität mit kurzen Phasen inten- Netzspiel und einige seltenere Spezialschläge
siver bis hochintensiver Belastung (4–10 s), vermittelt. Im Kindertennis wird hingegen
unterbrochen durch kurze Pausen (10–20 s) schon frühzeitig mehr Wert auf die Spieltaktik
zwischen den Punkten sowie längeren Pau- gelegt, die überwiegend spielgemäß, beispiels-
sen beim Seitenwechsel (60–90 s). Zur Leis- weise nach dem Programm „Play and Stay“ der
tungssteuerung im Training bietet sich die International Tennis Federation (ITF; 7 www.
Orientierung am Belastungs- und Beanspru- tennisplayandstay.com), gelehrt wird.
chungsprofil der Sportart an. Hierzu werden Die psychische Beanspruchung im Tennis
differenzierte Befunde vorgelegt und mit ver- ist sehr hoch. Die Alleinverantwortlichkeit
einzelten Ergebnissen aus Trainingsuntersu- des Spielers (im Vergleich zum Mannschafts-
chungen verglichen. Es wird versucht, die sport), die hohen motorischen Präzisionsan-
Leistungsstruktur des Tennissports anhand forderungen (nicht das maximale, sondern
von empirischen Daten zu quantifizieren. Das das optimale Aktivierungsniveau ist gefor-
Kapitel endet mit Empfehlungen für die Trai- dert) und die Besonderheiten der Zählweise
ningspraxis. (kein Unentschieden, kein Spiel auf Zeit) füh-
640 A. Ferrauti et al.
12
weiblich U12 (n=82) r weiblich U14 (n=177) r weiblich U16 (n=97) r
Aufschlaggeschwindigkeit 0,43 Aufschlaggeschwindigkeit 0,61 Aufschlaggeschwindigkeit 0,64
Medizinballwurf 0,26 Medizinballwurf 0,35 Hit &Turn Test 0,46
Handkraft 0,21 Hit & Turn Test 0,20 Medizinballwurf 0,36
Körpergröße 0,17 Handkraft 0,19 Gewicht 0,30
Gewicht 0,13 Körpergröße 0,18 Handkraft 0,30
Sit-Up-Test 0,07 Gewicht 0,17 Sit-Up-Test 0,16
10m Sprint 0,06 Richtungswechselsprint 0,16 CM-Jump 0,16
Hit & Turn Test 0,04 10m Sprint 0,15 Körpergröße 0,15
Tapping 0,04 Sit-Up-Test 0,03 Richtungswechselsprint 0,10
Richtungswechselsprint 0,01 CM - Jump 0,03 10m Sprint 0,06
CM - Jump 0,00 Tapping 0,03 Tapping 0,03
a b
•
V O2 (l/min) RQ
T E NNIS
4 • 1,5
W.R . (V O2 = 1,737 l/min)
RQ
•
3 V O2 1,3
2 1,1
1 0,9
L AUF E N
4 • 1,5
W.R . (V O2 = 1,695 l/min)
3 1,3
2 1,1
1 0,9
.. Abb. 12.30 a Sauerstoffaufnahme (V̇ O2) und b Alexander Zverev (GER) im Alter von 16 Jahren beim
respiratorischer Quotient (RQ) beim Tennis (oben) und Juniorenturnier von Wimbledon
Jogging (unten, Ferrauti et al. 2001a).
642 A. Ferrauti et al.
60
•
V O2 max
50
46,3
(86,5)
40
V O2 (ml/min/kg)
42,9
(82,0)
30
29,7 28,6
(56,5) (56,0)
20
•
RH VH
10
.. Abb. 12.31 Roger Federer (SUI) bei einer Vorhand
aus vollem Lauf 0
85 112 86 120
km/h km/h km/h km/h
und auf Hartplätzen bzw. Rasen teilweise unter
15 % (Kovacs 2007; Fernandez-Fernandez .. Abb. 12.32 Sauerstoffaufnahme (V̇ O2) bei
et al. 2009). In dieser Zeit legt der Spieler im submaximalen und maximalen Rückhand- und
Mittel ca. 3 m Laufstrecke pro Schlag (80 % al- Vorhandschlägen „aus dem Stand“ nach einem
konstanten Zuspiel von 40 Schlägen mittels Ballwurf-
ler Schläge unter 2,5 m) und 8–15 m pro Punkt
maschine im Abstand von 2 s. Die gestrichelte Linie
zurück. Hierbei absolviert er durchschnittlich zeigt die maximale Sauerstoffaufnahme, ermittelt auf
2,5–3 Schläge und vier Richtungswechsel. dem Laufband, an (Fernandez-Fernandez et al. 2010)
Energetisch ist die akkumulierte zurückgelegte
Laufstrecke weniger von Relevanz als beim plätzen an (O’Donoghue und Ingramm 2001;
Fußball. Vielfach sind die Laufstrecken so Morante und Brotherhood 2006; Murias et al.
kurz, dass diese methodisch kaum präzise er- 2007), obwohl sich die Unterschiede in der ver-
fasst werden können. Ferner liegt ein wesent- gangenen Dekade zunehmend angleichen
licher Energiebedarf in der positiven und ne- (Fernandez-Fernandez et al. 2007, 2008; Brown
12 gativen Beschleunigung sowie in der und O’Donoghue 2008). Im Damentennis wer-
Beteiligung umfangreicher Muskelgruppen für den weniger Schläge pro Zeit, weniger Asse,
die Schlagmechanik (. Abb. 12.32). weniger gewonnene Aufschlagspiele und mehr
Bei über 20 % aller Schläge nehmen die Doppelfehler beobachtet (O’Donoghue und In-
Laufstrecke für die Schlagvorbereitung und der gramm 2001; Collinson und Hughes 2003). Al-
Zeitdruck zu, sodass die Schlagausführung lerdings steigt die Athletik im Damentennis in
„aus vollem Lauf “ erfolgen muss (Ferrauti et al. den vergangenen Jahren erkennbar an (Auf-
2016). Aktuelle Tendenzen im Weltklassetennis schläge über 180 km/h sind inzwischen üblich),
der Herren und das dort perfektionierte „Win- und es kommt zu einer zunehmenden Anglei-
kelspiel“ sprechen dafür, dass dieser Anteil ste- chung der Spielstruktur zwischen Damen- und
tig ansteigt. Interessanterweise sind die Spieler Herrentennis (Brown und O’Donoghue 2008).
speziell in ihrer Vorhandecke häufig unter ho- Einen erheblichen Anteil an der energeti-
hem Zeitdruck, sodass die Optimierung dieser schen Beanspruchung des Tennisspiels besit-
Spielsituation im Training von Schnelligkeit zen die Schlagaktivitäten (. Abb. 12.32). Dies
und Beinarbeit einen besonderen Stellenwert ist ein häufig vernachlässigter Aspekt, wenn
einnehmen sollte (. Abb. 12.31). die Beanspruchung im Tennis ausschließlich
Insgesamt absolviert ein Spieler zwischen an der zurückgelegten Wegstrecke beurteilt
1300 und 3600 m pro Spielstunde (Murias et al. wird (s. Exkurs zur „Metabolic Power“ in
2007; Fernandez-Fernandez et al. 2008). Auf 7 Abschn. 7.2.3). In einer Untersuchung mit
langsameren Bodenbelägen wie Sandplätzen Turnierspielern der regionalen Klasse betrug
steigt die Ballwechseldauer gegenüber Hart- die Ausschöpfung der maximalen Sauerstoff-
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
643 12
aufnahme bei einem intensiven Schlagtraining 2,8 mmol/l), und auch unter realen Turnierbe-
„aus dem Stand“ deutlich über 80 %. Dabei ist dingungen auf nationalem Niveau werden im
der Energieumsatz bei Vorhandschlägen mit Durchschnitt nur 2,5–3,5 mmol/l erreicht. Der
maximaler Schlaghärte höher als bei der Rück- maximale Wettkampfbereich (Belastungsspit-
hand; allerdings werden mit der Vorhand auch zen) liegt zwischen 6 und 8 mmol/l. Die Spiel-
höhere Schlaggeschwindigkeiten erzielt (Fern- pausen sind demnach in der Regel lang genug,
andez-Fernandez et al. 2010). um Kreatin sowie Adenosinmonophosphat
Im professionellen Tennissport dominiert (AMP) und Adenosindiphosphat (ADP) über
im Einzel auf Sandplätzen eindeutig das Grund- Atmungskette und oxidative Phosphorylierung
linienspiel mit ca. 60 %. Danach folgt die Spiel- zu den energiereichen Phosphaten Kreatin-
eröffnung (Aufschlag und Return) mit ca. 32 %; phosphat (KP) und Adenosintriphosphat (ATP)
Flugbälle (6 %) und sonstige Schläge (2 %) wer- zu regenerieren 7 Abschn. 7.2. Die höhere lak-
den vergleichsweise selten gespielt. Im Doppel tazide Beanspruchung im Turniereinzel (20 %
verschiebt sich das Verhältnis zugunsten von der Blutlaktatkonzentrationen über 4 mmol/l)
Spieleröffnung und Netzspiel. Gegenüber frühe- kann auf die höhere Leistungsmotivation (und
ren Untersuchungen (Ferrauti 1992) verdeutli- dadurch Spielintensität) und auf die stärkere
chen aktuelle Daten jedoch, dass sich die Unter- adrenerge Stimulation (und dadurch ggf. hö-
schiede aufgrund einer deutlich veränderten here Muskelanspannung, geringere Bewegungs-
taktischen Grundausrichtung im Doppel teil- ökonomie sowie katecholaminbedingte Aktivie-
weise angleichen (Ferrauti et al. 2016). In beiden rung von Glykogenolyse und Glykolyse)
Fällen (Einzel und Doppel) kann aus dem ana- zurückgeführt werden (. Abb. 12.33 und 12.34).
lysierten Schlagartenprofil eine hohe Bedeutung Die Energiebereitstellung wird im Tennis-
der Spieleröffnung (Aufschlag und Return) ab- sport in erster Linie von den Kohlenhydraten
geleitet werden (Weber et al. 2010a, b). Interes- getragen (ca. 70–80 %). Deren Anteil an der
santerweise wird der so bedeutsamen Spieler- Energiebereitstellung liegt bei gleichem kalori-
öffnung im Training quantitativ und qualitativ schem Gesamtumsatz bei Tennis deutlich hö-
nur unzureichend Bedeutung geschenkt. her als bei Jogging (. Abb. 12.30). Im Damen-
In der Arbeitsmuskulatur erfolgt die Ener- tennis liegt die Fettoxidation grundsätzlich
giebereitstellung vorwiegend anaerob-alaktazid etwas höher als im Herrentennis. Der Fettan-
über die energiereichen Phosphate Adenosintri- teil steigt mit fortschreitender Spieldauer an
phosphat (ATP) und Kreatinphosphat (KP) und kann nach 60–90 min bis zu 40 % errei-
(während des Ballwechsels) sowie aerob über chen. Der Kalorienumsatz (brutto) beträgt im
den Abbau von Kohlenhydraten und nur teil- Tenniswettkampf bei männlichen Turnierspie-
weise von Fetten (während der Pausen). Folg- lern (ca. 80 kg) durchschnittlich ca. 600–800
lich bleibt die mittlere Blutlaktatkonzentration Kilokalorien/Stunde entsprechend ca. 2400–
im Trainingseinzel gering (zwischen 1,8– 3200 kJ/Stunde (Ferrauti 1999).
Blutlaktatkonzentration (mmol/l)
644 A. Ferrauti et al.
.. Abb. 12.34 a 7
Adrenalinkonzentra- a b
tion im Urin 6
unmittelbar nach
(µg/100 mg Kreat.)
einem Trainings- 5
bzw. Turniereinzel
Adrenalin
von identischen 4
Gegnerpaarungen 3,66
3
und gleicher
Spieldauer (Ferrauti 2
et al. 2001b). b **
Andrea Petkovic 1
(GER) bei den US 0,97
Open 0
Training Turnier
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
645 12
im Tennistraining präsentiert, um zumindest 55 Belastungsdauer: ca. 15, 30, 45 s
eine Groborientierung für die Ableitung von 55 Pausendauer: ca. 30, 45, 60 s
Trainingsempfehlungen zu ermöglichen. 55 Gesamtschläge: ca. 120
In einem komplexen Untersuchungsansatz
des eigenen Arbeitskreises wurden Trainings- Bei Spielern der regionalen Klasse (n = 12, Ver-
formen zur Technikstabilisation (VH-Winner), bandsliga/Oberliga) steigt bereits bei jeweils
zum Schnelligkeitstraining (Sprint + Schlag) zwölf Schlägen in Folge (ca. 45 s Belastungs-
und zum Drilltraining (VH/RH-Drill) sowie dauer) nach insgesamt 120 Schlägen die Blut-
zu komplexen Spielformen (z. B. Baseliner) in laktatkonzentration auf durchschnittlich
verschiedenen Varianten mit zunehmender 4–5 mmol/l an, und die Schlaggeschwindigkeit
Schlagzahl pro Wiederholung unter kontrol- sinkt gegenüber kürzeren Schlagfolgen ab
lierten Untersuchungsbedingungen auf ihre (. Abb. 12.35). Bei Schlagfolgen von 6–10
metabolischen und koordinativen Effekte Schlägen erreichen die Spieler insgesamt die
überprüft (Ferrauti et al. 1999, 2001c). Trai- höchste Schlagqualität (Präzision und Ge-
niert wurde jeweils in der Dreiergruppe (Bela- schwindigkeit) entsprechend des angestrebten
stungs-/Pausenverhältnis 1:2). Trainingsziels. Sehr kurze Schlagfolgen mit
nur vier Schlägen werden von den Spielern
zz Beispiel zum Techniktraining: VH-Winner hingegen subjektiv als ungünstig, da unrhyth-
Das Ziel der Trainingsform liegt in der Stabilisie- misch, empfunden.
rung des druckvollen und zugleich platzierten
Vorhand-Winners aus rückhandseitiger Grund- zz Beispiel zum Ausdauertraining: VH/RH-Drill
linienposition. Hierzu wird den Spielern abwech- Das Ziel der Trainingsform besteht darin,
selnd zur Mittellinie und im direkten Anschluss häufig auftretende Schlagkombinationen un-
zur Rückhandseite zugespielt. In mehreren Un- ter maximaler metabolischer Wettkampfbe-
tersuchungsabschnitten wurden einem Spieler anspruchung einzuüben und zu ökonomisie-
entweder vier, acht oder zwölf Schläge hinterein- ren. Gleichzeitig sollen die tennisspezifische
ander zugespielt. Jeweils zwei Spieler pausierten Schnelligkeitsausdauer und die Belastungs-
in dieser Zeit und wechselten sich ab. verträglichkeit erhöht werden. Hierzu spielt
55 Laufwege zur Schlagvorbereitung: 2–3 m der Trainer mehrere Bälle hintereinander in
55 Zeitdruck für die Schlagvorbereitung: unsystematischer Reihenfolge auf Vorhand
mittel und Rückhand unter Variation von Richtung,
55 Schläge in Folge: 4, 8, 12 Länge, Tempo und Drall des Zuspiels zu.
T T
646 A. Ferrauti et al.
Schlaggeschwindigkeit (km/h)
Verlauf der Trainings- 135
form VH-Winner in 4S
Abhängigkeit von der 130
Länge der Schlagfol- 8S
gen (Ferrauti et al.
125
2016) 12 S
120
115
ANOVA Zeit: p <0,01
Typ: p < 0,1
55 Laufwege zur Schlagvorbereitung: 4–8 m international von Trainern und Spielern eine
55 Zeitdruck für die Schlagvorbereitung: hohe Akzeptanz und Verbreitung (Reid et al.
submaximal bis maximal 2008).
55 Schläge in Folge: 4–8 oder mehr Die beschriebenen Untersuchungsergeb-
55 Richtungswechsel: 3–7 oder mehr nisse stehen teilweise in Widerspruch zu gän-
55 Belastungsdauer: 15–30 s gigen trainingswissenschaftlichen Empfeh-
55 Pausendauer: 45–90 s lungen. Eine zu enge und ausschließliche
Orientierung des Tennistrainings an der me-
12 Beim Vergleich von Drillvarianten mit 4–8 tabolischen, strukturellen und koordinativen
Schlägen in Folge in der Dreiergruppe Beanspruchung im Tenniswettkampf wird in
(n = 12, Verbandsliga/Oberliga) fällt auf, dass der Praxis häufig kritisiert. „Extremdrills“ und
beim Drill mit acht Schlägen die mittlere auch matchuntypisch hohe Schlagwiederho-
Blutlaktatkonzentration auf fast 10 mmol/l lungzahlen werden damit begründet, dass aus
ansteigt und im Einzelfall knapp 15 mmol/l der Mischung von hochintensiver Belastungs-
erreicht werden (. Abb. 12.36). Dieser Azido- verträglichkeit (weit über das im Wettkampf
sebereich wird unter Matchbedingungen nie- geforderte Maß hinaus) und koordinativer
mals erreicht (. Abb. 12.33). Trotz dieser Tat- Perfektionierung (maximale Automatisierung
sache und der unvermeidlichen Einbuße an von Schlag- und Laufbewegungen durch un-
Schlagqualität und Laufschnelligkeit im Trai- zählige Schlagwiederholungen) eine vollstän-
ningsverlauf finden gerade diese oder ähnli- dig stabile mentale und motorische Sicherheit
chen Formen des Drilltrainings national und gegenüber den arrhythmischen und unvor-
Trainingswissenschaft in ausgewählten Sportarten
647 12
.. Abb. 12.36 Blut-
4 × 4 VH-Winner
laktatkonzentration
bei unterschiedlichen Baseliner 2 Spieler
Trainings- und Baseliner 2 defensiv
Spielformen in
Abhängigkeit von der 8 × 1 Sprint + Schlag
Schlagzahl pro 4 × 4 Volley/Smash
Wiederholung
Baseliner 1 Spieler
(Ferrauti et al. 1999,
2016) 4 × 8 VH-Winner
4 × 8 Volley/Smash
Baseliner 1 defensiv
4 × 12 VH-Winner
4 × 4 VH/RH-Drill
8 × 2 Sprints + Schlag
4 × 6 VH/RH-Drill
4 × 8 VH/RH-Drill
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Laktat (mmol/l)
.. Abb. 12.37 Athletische Zieldefinitionen für Nachwuchstennisspieler der nationalen Klasse (Ferrauti et al. 2016)
Exkurs: Das Ranglistensystem im Tennis und das Dilemma einer angemessenen Trainingssteuerung
12.6.5 Ausgewählte
Trainingsbeispiele
a b
T
T
.. Abb. 12.42 Ausdauertraining: a Baseliner mit Vorbelastung und b Übung „Seitenwechsel“ (Ferrauti et al.
2016)
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ges in velocity, stroke rate, stroke length and blood Sportverlag Strauß.
661
Serviceteil
Bildnachweis – 662
Stichwortverzeichnis – 663
Bildnachweis
Das Buch beinhaltet über 100 Personenfo- nis für die Verwendung der Fotos vor. Hier-
tos, die insbesondere zur Veranschaulichung bei handelt es sich in alphabetischer Reihen-
des sportpraktischen Kontextes dienen. Die folge um Alexander Beyer (Abb. 3.61),
Rechte an diesen Fotos liegen in vielen Fäl- Reinhard F. Dahms (Abb. 11.8a), Norbert
len beim Herausgeber oder den Autorinnen Esser (Fotos S. 566 und 577), Fabio und
und Autoren dieses Buches: Abb. 1.4, 1.5, Luisa Ferrauti (Abb. 3.44, 4.14, 4.20, 10.1,
2.4, 2.6, 2.19, 3.8, 3.24b, 3.25, 3.30, 3.34, 10.19, 12.28, 12.39), Laura Hottenrott
3.36, 3.38, 3.39, 3.44, 3.54, 3.60, 3.61, 3.68, (Abb. 3.8), Nedim Jasarovic (Abb. 3.54,
4.14, 4.20, 4.22, 4.32, 7.1, 8.13, 10.1, 10.19, 12.21), Leon Kah (Abb. 3.39), Albrecht
11.1, 11.2, 12.20, 12.21, 12.28, 12.29, 12.31, Klammer (Abb. 3.30), Daniel Masur
12.34, 12.39 sowie Fotos auf S. 573, 574 (Abb. 4.32), Messieurs G. Nat (Abb. 11.1),
Die Bildrechte von weiteren Fotos, die Dr. Christian Raeder (Abb. 3.43), Tim Sand-
entweder für das Buch erstellt oder aus be- kaulen (Abb. 3.38), Patrick Schmitt
stehenden Fotodatenbanken erworben wur- (Abb. 3.39), Ben Schneider (Abb. 8.13),
den, liegen bei den folgenden Personen bzw. Christoph Schneider (Abb. 4.1), Willi Son-
Institutionen: towski (Abb. 2.1, 11.8b), Dr. Alexander Ul-
Kilian Kimmeskamp (Ruhr-Universität bricht (4.22), Florian Wehrenpfennig (Foto
Bochum): Abb. 3.26, 3.27, 3.28, 3.42, 3.43, S. 562), Abbi Westphal (S. 574), Dr. Thimo
3.44, 3.46, 3.47, 3.48, 3.49, 3.52, 4.1, 4.21, Wiewelhove (Abb. 3.25) sowie die Deutsche
4.24, 4.25, 4.26, 4.27, 4.28, 4.29, 4.30, 4.31, Volleyball Nationalmannschaft (Abb. 3.36).
5.6, 5.9, 5.10, 5.11, 5.12, 5.13, 5.14, 5.16, Ein besonderer Dank gilt Laura Hotten-
5.17, 5.18, 5.19, 5.20, 5.21, 5.22, 5.23, 5.26, rott für die Bereitstellung des Titelfotos so-
5.27, 5.28, 5.29, 5.30, 5.31, 5.32, 5.33, 5.34, wie Regine Bakenecker, Katharina Raasch,
5.35, 5.36, 5.37, 8.9, Tab. 6.2 sowie Fotos auf Pia Wagner und Jo-Lâm Vuong für die Dar-
S. 478, 480, 484 stellung von Trainingsformen und leistungs-
Andrea Bowinkelmann (Landessportbund diagnostischen Verfahren:
Nordrhein-Westfalen): Abb. 8.2, 8.7, 8.22, Regine Bakenecker: Abb. 5.6, 5.9-, 5.10,
8.25a 5.11, 5.12, 5.13, 5.14, 5.16, 5.17, 5.18, 5.19,
Dr. Alex Rotas: Abb. 11.8a und Klaus 5.20, 5.21, 5.22, 5.23, 5.26, 5.27, 5.28, 5.29,
Schneider: Abb. 2.1, 11.8b 5.31, 5.32, 5.33, 5.34, 5.35, 5.36, 5.37
Deutscher Skiverband (DSV): Abb. 8.6, Katharina Raasch: Abb. 5.6, 5.9, 5.10,
8.21, 8.25b und Tennisverband Mittelrhein 5.11, 5.12, 5.13, 5.30, 5.31, 8.9, Tab. 6.2 so-
(TVM): S. 562 wie Fotos auf S. 478, 480, 484
Mit Ausnahme von Fotos, die bei öffent- Pia Wagner: Abb. 3.26, 3.27, 3.28, 3.42,
lichen Sportveranstaltungen erstellt wurden 3.44, 3.46, 3.47, 3.48, 3.49, 3.52
(Abb. 12.20, 12.29, 12.31, 12.34) liegt von Jo-Lâm Vuong: Abb. 4.21, 4.24, 4.25,
den dargestellten Personen das Einverständ- 4.26, 4.27, 4.28, 4.29, 4.30, 4.31
663 A–C
Stichwortverzeichnis
A
Anthropometrie 113 Belastungsparameter 81
Antizipationsschnelligkeit 259, 274 Belastungsqualität 29, 33
Antizipationstraining 281 Belastungsumfang 29, 32, 221
ACSM-Konsensus 567
Antrittsschnelligkeitstraining 283 Belastungs- und Beanspruchungsprofil
Acute versus Chronic Workload 172
Anwendungsforschung 9 –– Basketball 597
Adaptation 51, 58, 368
Atmung 376 –– Fußball 617
Adaptation, neuronale 215
Atmungskette 356 –– Schwimmen 582
Adaptationsreserve 49
ATP 352 –– Tennis 641
Adenosindiphosphat 460
ATP-Bildungsrate 352 –– Triathlon 591
Adenosinmonophosphat 466
ATP-Resynthese 352 –– Volleyball 630
Adenosinmonophosphat-Kinase
Aufwärmen 272 Belastungszonen Schwimmen 587
(AMPK) 373
Ausdauer 346 Belastung, wettkampfspezifische 39
Adenosintriphosphat 460
–– aerobe und anaerobe 346 Beschleunigungsfähigkeit 262
Äquivalent
–– dynamische und statische 347 Beweglichkeit 324
–– kalorisches 356
–– lokale und allgemeine 346 –– allgemeine 325
–– metabolisches (MET) 360
–– sportartspezifische 348 –– dynamische 325
Aerobik 574
Ausdauerdiagnostik 136 –– spezifische 325
African Runners 371
Ausdauerphänotypen 371 –– statische 325
Age of Peak Height Velocity (APHV) 512
Ausdauertest Beweglichkeitsdiagnostik 134
Agility 262
–– aerober 137 Beweglichkeitsgrenze
Agonist 206
–– anaerober 141 –– anatomische 326
Agonisten-Aktivierung 215
Ausdauertraining 523, 564 –– physiologische 327
Aktinfilament 198, 202
Ausführungsqualität 33 Beweglichkeitstraining 342
Aktionspotential 202
Bewegungsanalyse 409, 414
Aktionsschnelligkeitstraining 283
Aktivierungsfähigkeit, neuronale 214
Aktivierungsniveau 89
B Bewegungshemmung 327
Bewegungskorrektur 441
Bachelor of Bewegungsregulation 204
Akupressur 483
–– Arts 5 Bewegungsschnelligkeit 259, 274
Akzeleration 512
–– Science 5 Bewegungssteuerung 330
Alter
Back Squat 233 Bewegungsumfang 221
–– biologisches 512
Bänder 330 Bewegungsvorstellung 409
–– chronologisches 512
Bankdrücken 232 Biathlon 524
Altern 550
3×3-Basketball 614 Biogenese, mitochondriale 373
Altersgang 556
Basketball 597 Bland-Altman-Plot 107
Altersspezifität 38
Beach-Volleyball 637 Blood Flow Reduction 213
Alterssport 558
Beanspruchung, interne 166 Blutlaktatkonzentration (LA) 354
Altersveränderung 559
Beanspruchung Fußball 620 Blutlaktatmessung 143
Analyse
Beanspruchungsparameter 81 Bodybuilding-Methode 224
–– biomechanische 416
Beckenschwimmen 581 Body-Mass-Index (BMI) 113
–– funktionale 415
Belastbarkeit 530 Browning 555
–– morphologische 416
Belastung Brustdrücken 235
Anamnese 104
–– exzentrische 218 Brustschwimmen 581
Anforderungsprofil 82
–– externe 166 Bruttoumsatz 361
Angiogenese 374
Anpassungseffekt 214, 368 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept 54
Anpassungsprozess 51
Ansatz
Belastungsdauer 29, 30, 221
Belastungsdichte 29, 31, 221
C
–– informationsverarbeitender 421 Belastungsdosierung 221, 376, 384 Calipometrie 115
–– systemdynamischer 423 Belastungsdosierung, individuelle 160 Cardio Drift 386
Antagonist 206 Belastungsempfinden, subjektives 390 Cardio-Tennis 652
Antagonisten-Deaktivierung 215 Belastungshäufigkeit 29, 32 Chest Press 235
Antagonistenhemmung 272 Belastungsintensität 29, 221 Closed versus Open Kinetic Chain
Antagonisten-Kontraktions-Stret- Belastungsnormativ 29 Training 230
ching 336 Belastungsnormative 33 Concurrent Training 47, 220
664
Stichwortverzeichnis
D Ergometrie 137
Erholung, aktive 355, 470, 494
Freizeitsportarten 569
Fremddehnung 325
Dauermethode 15, 377 Erholungsdauer 29, 31 Frequenzierung 206, 269
–– extensive 15 Ermüdung 459 Frequenzschnelligkeit 260
–– intensive 378 –– akute 458, 459 Frequenzschnelligkeitstraining 282
Deadlift 234 –– chronische 458 Frontkniebeuge 233
Dehnen 334 –– Messung 467, 468 Front Squat 233
–– dynamisches 336 –– mittelfristige 459 Frühstück, gesundes 556
–– statisches 336 –– periphere 205, 460, 467 Functional
Dehngrenze, absolute 338 –– zentrale 460, 467 –– Movement Prep 94
Dehnmethoden 336 Ermüdungswiderstandsfähigkeit 346 –– Movement Screen 134
Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus Ernährung 484 –– Threshold Power (FTP) 161,
(DVZ) 192 Erythropoietin 375 163, 389
Delayed Onset of Muscle Soreness Ethikkommission 13 Funktion, neuromuskuläre 167
(DOMS) 211 European College of Sport Science Fußball 572, 615
Delfinschwimmen 581 (ECSS) 3
G
Deliberate Practice 41 European Journal of Sport Science 14
Deutscher Olympische Sportbund Evaluationsforschung 11, 12
(DOSB) 3 Excess Postexercise Oxygen Consump-
Gegenstandsbereich 5, 6, 8
Deutscher Motorik-Test (DMT) 539, tion (EPOC) 363, 557
Gehirnalterung 557
540 Expertiseforschung 530
Gelenkigkeit 325
Deutsche Vereinigung für Explosivkraftmethode 227
Gelenkkapseln 330
Sportwissenschaft (dvs) 2, 3 External Load 55, 81
German Journal of Exercise and Sport
Digitalisierung 16 Research 14
DNA-Schadenstheorie 551
DOMS (Delayed Onset of Muscle F Geschlechtsspezifität 38
Geschwindigkeitsbarriere 279
Soreness) 167, 211 Fähigkeit Gesundheit 552
DOMS-Skala 169 –– koordinative 408, 436 Gewandtheitstest 130
Doping 375 Fahrradergometrie 137 Glukoneogenese 358
Drehmoment, muskuläres 207 Fahrradfahren 572 Glukose 358
Drilltraining Tennis 645 Fahrtspiel (Synonym:) 378, 523 Glykogen 56, 356, 460
Drop Jump (DJ) 122, 126 Faser 199 Glykogenabbau, oxidativer 356
Drop-Sätze 225 Faser, extrafusale 204 Glykogenolyse 358
Drop Sets 225 Faserhypertrophie 217 Glykogenstoffwechsel 56
DTB-Konditionstest 648 Faszien 331 Glykogenverarmung 461
Dysbalance, muskuläre 334 Faszienmobilisation 94 Glykolyse 353, 354
Faszikel 197 –– aerobe 356
M
Muskelquerschnitt 198, 214 Polarized Training 393
Muskelschmerz 464 Positionsspezifik Fußball 623
Muskelspindel 204, 331 Postactivation Potentiation (PAP) 211
Marathon 395
Muskelsteifigkeit 209 Powernapping 480
Massage 477, 494
Muskelstimulation 120 Precooling 95
Masterathleten 554, 560
Myofibrille 197 Preloading 89, 90
Maximalkraft 192, 275
Myoglobingehalt 369 Prognoseleistung 530
Maximalkraft, dynamische 118, 120
Myokin 219 Proteinbiosynthese 56, 58
Maximalkrafttraining 223
Myosinfilament 197, 202 Proteine 356, 489
Maximal Voluntary Isometric Contrac-
Prozentrang 111
N
tion (MVIC) 119
Prozess
Maximum Accumulated Oxygen Defi-
–– aerober 356
cit (MAOD) 141
Nachbrenneffekt 364 –– anaerob-alaktatzider 352
Medizinballwurf 127
Nachwuchsleistungssport 527 –– anaerob-laktazider 353
Meisterlehren 2, 4
Nachwuchstennis 648 Pubertät 513
Mesozyklus 46
Nackenkniebeuge 233 Pubeszenz 512
Messfehler 108
Negativwiederholung 225 PubMed 14
20-Meter-Linearsprinttest 131
Nervenbahnen 331 Pyramidentraining 227
Metabolic Power 365, 368
Nervenleitgeschwindigkeit 267 Pyruvat 354
Mikronährstoffe 491
Nervensystem, peripheres 465
Mikroschädigung 218
Nervosität 94
Mikrotraumata 218, 462
Mikro- und Makrozirkulation 374
Neurogenese 58
Non-Motorized Treadmill 142
Q
Mikrozyklus 45 Qualitätssicherung 103
Noradrenalin/Adrenalin-Quotient 93
Mineralstoffe 491 Querbrückenzyklus 202, 203
Nordic Walking 571
Mirwald-Formel 114 Querschnittuntersuchung 11
Normierung 98, 110
Mitochondrien 353, 373 Quotient
Normprofile 110
Mitochondrienvolumen 369 –– respiratorischer (RQ) 365, 368
Nützlichkeit 98
Mittelzeitausdauer 350
Modell
–– antagonistisches 53
–– kybernetisches 70
O R
Modellierung 84 Objektivität 98
Ratings of Perceived Exertion 390
Monitoring 163, 467, 628 Ökonomie 98
Reaction-and-Action-Speed-Test für
Monitoring-Parameter 166 Östrogen 514
Fußballtorhüter 149
Mortalitätsrate 370, 552 Okklusion 213
Reaktion 368
Mortalitätsrisiko 552 Open Kinetic Chain Training 230
Reaktionsschnelligkeit 258, 260, 274
Motoneuron 200, 268 Optimallänge 207
Reaktionstraining 280
Motorik 419 Overhead Press 236
Reaktivkraft 195, 197
Motorikprogramm 422 Reaktivkraftmethode 229
Motorische Einheit (ME) 206
Motorkortex 205 P Reaktivkrafttraining 284
Reflexinnervation 269
mTOR 219, 220 Pacing 74, 92 Reflexmechanismus 331
Multiple Rebound Jump (MRJ) 122, 126 Packing 628 Regeneration 9, 15, 58, 459
Multistage-20-Metre-Shutt- Pansold-Test 585, 586 Regeneration/Kompensation (Re-
le-Run-Test 139 Paradigmenwechsel 14, 15 Kom) 376
Muscle Peaking 87 Regenerationsbedarf 565
–– Damage 218 Percooling 95 Regenerationsfähigkeit 346
–– Memory 217 Periodisierung 42 Regenerationsintervention 469
Stichwortverzeichnis
667 L–T
Regenerationsmanagement 458 Schnelligkeitsausdauertraining 289 Substratverwertung 360
Reifegrad 113 Schnelligkeitsdiagnostik 128 Superkompensation 44, 56
Reizdauer 29, 30 Schnelligkeitsstereotyp 279 Superserie 225
Reizdichte 29, 31 Schnelligkeitstraining 253, 273, 276, 279 Synergist 206
Reizhöhe 29 –– Kontrastmethode 287 Synergisten-Aktivierung 215
Reizintensität 29 –– Koordinationsmethode 288 System, tendomuskuläres 209
Reizleitungsgeschwindigkeit 267, 274 –– sportartspezifisches 276
Reizqualität 29
Reizstärke 29
–– supramaximales 285, 287
–– Trainingsbeispiele 291
T
Rekrutierung 206, 269 –– Widerstandsmethode 286, 287 Talent 527
Relative Age Effect (RAE) 533 Schnellkraft 194, 214, 275 –– Detection 528
Reliabilität 98, 105 Schnellkraftmethode 228 Talentförderung 527, 528, 531
Repeated Sprint Ability (RSA) 142 Schnellkrafttraining 228 –– DFB 624
Repeated-Sprint-Ability-Training Schulkindalter Talentforschung 40, 530
(RST) 382 –– frühes 511 Talentidentifikation 527, 528
Repetitive Counter Movement Jump –– spätes 511 Talentselektion 528
(R-CMJ) 122 Schulsport 535 Tapering 87
Repolarisation 202 Schwelle, aerob-anaerobe 137 Tapping-Test 128
Reproducibility 105 Schwerpunktsetzung, individuelle 155 Teamdynamik 623
Respiratorischer Quotient (RQ) 365 Schwimmen 572 Technik 406
Residual Force Enhancement 209 Scouting 75 Technikelement 408
Retardierung 512 Sehnen 330 Technikleitbilder 409
Rezeptoren 333 Sequenzschnelligkeit 260 Techniktraining 427
Richtungswechselsprintschnellig- Sequenzschnelligkeitstraining 282 Telomertheorie 551
keit 261 Session-RPE 166 Telomerverkürzung 551
Richtungswechselsprinttest 130 Sicherheitsvorkehrung 104 Tempowechselmethode 378
RMSSD (Root Mean Square of Signalübertragung, neuromuskuläre 202 Tennis 571, 573, 639
Successive Differences) 168 Skala, psychometrische 169 Tennis-Training 644
Rope Training 232 Skelettmuskulatur 197 Tensiomyographie 167, 171
RPE-Skala 390 Smallest Worthwhile Change 108 Testgewöhnung 104
Rückenschwimmen 581 Small-Sided Games 383 Testgütekriterien 98, 103
Ruhespannung 327 Sollwert 411 Testosteron 514
Ruhespannungs-Dehnungskurve 328 Spannung, mechanische 217 Testosteron, freies 166
Ruheumsatz 361, 557 Spezialisierung 39, 585 Testprotokoll 104
Ruhr-Universität Bochum 2, 5, 13 Spielanalyse, systematische 75 Test-Retest 105
Rumpfbeugetest 135 Spieler-Monitoring Basketball 604 Test, sportmotorischer 100
Rumpfkraft 241 Spielpositionen Basketball 599 Testverfahren 97
Rumpfkraftdiagnostik 118 Spielpositionen Volleyball 631 Theorie und Praxis der Sportarten 3
Splitting, myofibrilläres 217 Thermoregulation 485, 520
S Sportspiele 350
Sportwissenschaft 3
Threshold Model 393
Titin 328
Sarkomer 197 Sprintbelastungen im Fußball 619 Titinfilament 198
Sarkopenie 559 Sprintschnelligkeitstraining 283 Torque 207
Satellitenzellen 211, 215, 218 Sprungkraftdiagnostik 118, 121 Tracking 75
Sauerstoffaufnahme 137 Sprungkrafttraining 284 Tracking-Analysen 78
–– maximale 140, 369, 372, 515, 559 Squat 233 Trainierbarkeit im Alter 563
Sauerstoffkinetik 517 Squat Jump (SJ) 122 Training 24
Sauna 475, 494 Standardmessfehler 106 –– plyometrisches 282
Schlaf 478 Standweitsprung 121 Training & Exercise Science 3
Schnelligkeit 257 Stiffness 209 Training Impulse (TRIMP) 167
–– azyklische 257, 260, 275 Stoffwechsel, anaerob-alaktazider 213 Training Load 31, 166
–– elementare 257, 274 Stoffwechselwege 357 Trainingsbeispiele
–– informatorische 272 Stressregulation 92, 94 –– Tennis 650
–– komplexe 257 Stretching 334, 471, 494 –– Volleyball 635
–– motorische 272, 274 Struktur, pfadanalytische 85 Trainingsdokumentation 175
–– zyklische 257, 260, 275 Substratmobilisation 357 Trainingsempfehlungen 521, 566
Schnelligkeitsausdauer 261, 263 Substratverstoffwechselung 358 Trainingshäufigkeit 29, 32
668
Stichwortverzeichnis