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Der philosophische Kommentar

Ein Kommentar ist eine Analyse und begründete Interpretation einer spezifischen Stelle in einem
philosophischen Text.

Geschichte des Kommentars


Im Mittelalter war der Kommentar eine der verbreitetsten scholastischen Lehrmethoden.
Thomas von Aquin beispielsweise verfasste sehr bekannte Kommentare zu Aristoteles‘ Texten.
Kommentare sollten einen Text sowohl erklären als auch interpretieren. So waren sie nie rein
expositorisch, sondern stets eine eigene Form des philosophischen Textes, in der mit dem
philosophischen Problem, das in einer Passage mehr oder weniger explizit vorhanden ist,
gerungen wird.

Kommentar vs. Essay/Hausarbeit


Im Kommentar soll ein „close reading“ des Textes vorgenommen werden, im Gegensatz zur
kritischen Konstruktion und Darlegung eines Arguments im Essay/einer Hausarbeit.

Der Kommentar soll die begriffliche Struktur einer Textstelle analysieren, von der aus
Rückschlüsse auf einen größeren Punkt des gesamten Textes gezogen werden können.

Im Kommentar muss keine Sekundärliteratur angeführt werden. Sekundärliteratur kann und


sollte eventuell sogar gelesen werden, aber sie sollte im Kommentar nicht benutzt werden, um
eine bestimmte Interpretation vorzuschlagen. Ihr sollt Eure eigene Interpretation verteidigen,
nicht einfach der einer anderen Autorin zustimmen oder diese kritisieren.

Methodologie
Es sollte genau der begriffliche Inhalt sowie die begriffliche Form der Passage analysiert werden.

 Leitfrage: Was wird gesagt und wie wird es gesagt?

Ein mögliches Vorgehen ist zum Beispiel:

Versucht die Passage in euren eigenen Worten neu zu formulieren. Dadurch werden die
Probleme und Mehrdeutigkeiten der Passage deutlich und es wird klarer was analysiert werden
muss. Dann:

1. Benutzte Begriffe/Konzepte analysieren: Welche Schlüsselbegriffe hat die Passage? Wie


beziehen sich diese aufeinander? Keine reine Erklärung der Konzepte, sondern
Beantwortung der Frage: Was bedeuten die Konzepte in ihrem Zusammenspiel in dem
Satz? Gibt es Zweideutigkeiten von Begriffen? Kein Aufzählen von Wortbedeutungen
nach dem Duden o.Ä. Die Begriffe sollen in ihrer philosophischen Relevanz erfasst
werden.
2. Form und Syntax der Stelle: Welche Form hat die Passage im Ganzen? Ist es eine Frage,
Konklusion, Wiedergabe einer Position? Nehmt den Satz auseinander. Wie spielen die
verschiedenen Teile des Satzes zusammen?
3. Ort der Passage im Text: Welche Funktion erfüllt die Passage im Text? Wie steht sie zu
kleineren Einheiten (Kapiteln, Unterkapiteln etc.)? Inwiefern ist die Passage eine
Weiterentwicklung der vorigen Abschnitte oder vielleicht ein Ausblick auf das
Kommende?
4. Welches philosophische Problem wird in dem Abschnitt behandelt? Gibt es (implizite)
Verweise auf andere Autoren? Sind diese Gegenstand von Kritik oder Zustimmung?
Welche Wichtigkeit und Bedeutung hat die Passage für den Text im größeren Kontext?
(Achtung: Nicht zum Kommentar einer anderen Passage übergehen)

Generelle Tipps:

- Schreibt im Präsens, vermeidet Vergangenheitsformen.


- Vermeidet sehr elaborierte und komplizierte Formulierungen. Benutzt eigene Worte, und
möglichst einfache Sprache. Versucht nicht zu klingen wie der Autor und seine/ihre Sprache
zu imitieren. Seid stets so präzise und prägnant wie möglich.
- Die Sätze müssen logisch strukturiert sein und keine begrifflichen „Sprünge“ enthalten. Neue
Begriffe müssen eingeführt werden. Benutzt keine Begriffe, die ihr selbst nicht versteht.
- Achtet in euren eigenen Formulierungen besonders auf Konjunktionen (z.B.: weil, daher,
folglich, also etc.). Ist die benutzte Konjunktion gerechtfertigt? Folgt beispielsweise wirklich
zwingend etwas aus dem vorher Gesagten?
- Vorsicht mit logischem Vokabular. Was ist ein Argument, was eine Behauptung, was eine
Prämisse, was eine Schlussfolgerung? Wenn ihr diese Begriffe benutzt, schaut nach, was sie
bedeuten.
- Vermeidet lange, allgemeine Anmerkungen zum Autor. Ein Kommentar braucht auch keine
Einleitung, in der die Wichtigkeit des Textes oder Ähnliches betont wird (das ist auch in einer
Hausarbeit meistens überflüssig). Fangt sofort mit der Analyse an. Gut ist es aber, am Anfang
kurz darzulegen, was die Leitfrage eures Kommentars ist und wie ihr vorgehen werdet. Das
ist auch für euch selbst eine gute Gliederung eurer Gedanken.
- Genereller Tipp für alle wissenschaftlichen Texte: Ihr schreibt keinen Krimi. Es muss keine
überraschenden Wendungen geben, im Gegenteil: Es sollte der Leserin so einfach wie
möglich gemacht werden, schon aus den ersten Sätzen herauszulesen, worum es geht und
was argumentiert wird.
- Ein Kommentar bedeutet nicht, dass ihr einfach schreiben sollt, was ihr persönlich von der
Passage haltet. Ziel ist es, ein Verständnis des Textes zu demonstrieren, nicht eure
persönliche Meinung kundzutun.
- Aber: Gibt es einen Interpretationskonflikt in der entsprechenden Passage, könnt und sollt
ihr begründet Stellung für eine bestimmte Interpretation nehmen. Das heißt auch, etwaige
andere mögliche Interpretationen zu entkräften.
- Wenn ihr gegen eine bestimmte Interpretation argumentiert, geht davon aus, dass ein
Vertreter dieser Position sich nicht sofort geschlagen geben würde. Was wären
Gegenargumente für die andere Interpretation, die der imaginäre Kontrahent anbringen
könnte und wie könnt ihr diese wiederum entkräften?
- Auch etwaige Inkonsistenzen in der Passage oder Konflikte mit anderen Passagen aus dem
Text sind wichtig herauszuarbeiten. Seid kritisch gegenüber der Autorin, d.h. nehmt nicht
einfach alles für bare Münze, nur weil ein berühmter Philosoph es gesagt hat. Fragt euch
ganz konkret selbst: Ergibt das Sinn, was dort gesagt wird.
- Gleichzeitig solltet ihr aber der Autorin und dem Text immer wohlwollend begegnen
(principle of charity). Nehmt zunächst einmal an, dass der Text irgendwie Sinn ergibt und
gebt euer Bestes zu verstehen, was gesagt wird. Einem Autor völlige Inkonsistenz
vorzuwerfen, sollte immer der allerletzte Schritt sein.

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