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Antike christliche Apokryphen

in deutscher Übersetzung
Herausgegeben von
Christoph Markschies und Jens Schröter
in Verbindung mit
Andreas Heiser

7. Auflage
der von Edgar Hennecke begründeten und
von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung
der neutestamentlichen Apokryphen

I. Band
Evangelien und Verwandtes
Teilband 2

Mohr Siebeck
B. Außerkanonische Evangelien

gen~.s Mit- und Weiterdenken. Trotz der Rolle ]esu als Offenbarer ibt es i .
Ansatze zur gemeinsamen Wahrheitssuche _ z B I'm S' d A gl n dIesen Schriften
fi d d . .. lUne er us egung und B d
n ung er ~lU~elne~ Sprüche. Sie sind darin vielleicht eher der klassischen Form ~ eut~ngs_
verwandt. DIe. dIalogIschen Evangelien zeigen also verschiedene Stile des Suche ~ ~IalOgs B. VI.1. Das Freer-Logion
von Erkenntms und Erlösung in gnostischem Kontext. ns un FlUdens

!örg Frey

Einleitung

1. Literatur:
. 1.1. Faksimile: CANT 21; Facsimile of the Washington Manuscript of the Four Gospels in
the Freer Collection, ed. by H. A. SANDERS, Ann Arbor, MI 1912, 371; weitere Abb. von fo1. 184r:
C.R. GREGORY, Versuche und Entwürfe 1: Das Freer-Logion, Leipzig 1908, 31; B. BOTTE, Art.
Freer (Logion de), DBS 3, Paris 1938, 528 Abb. 351; K. ALAND/B. ALAND, Der Text des Neuen
Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der
modernen Textkritik, Stuttgart 21989, 124·
1.2. Ausgaben: H. A. SANDERS, Four newly discovered Biblical Manuscripts, BW 31, 1908,
(13 8- 14 2) 140-142; DERS., New Manuscripts ofthe Bible from Egypt, A]A 12, 1908, (49-55) 52-
54; H.B. SWETE, Zwei neue Evangelienfragmente, KlT 31, Berlin 1908 (219 24),9- 12; H.A. SAN-
DERS, New Testament Manuscripts in the Freer Collection, Part 1: The Washington Manuscript
ofthe Four Gospels, UMS.H 9, NewYork 1912; auch E. NESTLE/K. ALAND, Novum Testamen-
tum Graece, Stuttgart 271993, 148 (App.).
1.3. Untersuchungen: Th. ZAHN, Einleitung in das Neue Testament 2, Leipzig 19 00 ,229- 231
(zu Hier.); E.]. GOODSPEED, The Detroit Manuscripts of the Septuagint and New Testament,
BW 31,19 08 ,218-226; c.R. GREGORY, Freer-Logion, (s.o.); DERS., Vier neue biblische Hand-
schriften, ThLBI 29, 1908, 73-76; A. (VON) HARNACK, Neues zum unechten Markusschluß,
ThLZ 33,1908,168-170; H. KOCH, Der erweiterte Markusschluß und die kleinasiatischen Pres-
byter, BZ 6, 1908, 266-278; E. NESTLE, Zum Freer-Logion, ThLBI29, 19 08 , 353-355; C. SCHMID,
Die neuen griechischen Bibelhandschriften, ThLZ 33, 1908, 359-360; H. VON SODEN, Ein neues
"Herrenwort", aufbehalten als Einfügung in den Schluß des Markusevangeliums, ChW 20,
1908,482-486; P. VON KASTEREN, Het slot van het Marcusevangelie, Studien 86, 1916, 283- 29 6;
DERS., Nog een woord over het Marcusslot, Studien 87, 1917, 484-490; M.- J. LAGRANGE, L'Evan-
gile selon Saint Mare, Paris 41929, 466-468; G. WOHLENBERG, Das Evangelium des Markus,
Leipzig 31930, 397-401; B. BOTTE, Art. Freer (Logion de), DBS 3, Paris 1938, 525-530; E. HELZLE,
Der Schluß des Markusevangeliums (Mk 16,9-20) und das Freer-Logion (Mk 16,14 W), illre
Tendenzen und ihr gegenseitiges Verhältnis, Diss. phi1. Tübingen 1959 (masch.), 111-203 (s.
die Selbstanzeige in ThLZ 85, 1960, 470-472); ]. ]EREMIAS, Freer-Logion, in: NTAp0 3 1, 125 f.;
K. ALAND, Der wiedergefundene Markusschluß? Eine methodologische Bemerkung zur text-
kritischen Arbeit, ZThK 67, 1970, (3-13) 1Of.; K. HAACKER, Bemerkungen zum Freer-Logion,
ZNW 63, 1972, 125-129; W. L. LANE, The Gospel according to Mark, The English Text with In-
troduction, Expositions and Notes, NIC, London 1974 (== 1999), 606-611; Ph. VIELHAUER, Ge-
schichte der urchristlichen Literatur, GLB, Berlin/New York 1975,680-682; G. SCHWARZ, Zum
Freer-Logion: Ein Nachtrag, ZNW 70, 1979, 119; R. PESCH, Das Markusevangelium 2, HThK 2/2,
Freiburg 1977 (31984), 552 f.; ELLIOT, 28 f.; E. TROCME, L'Evangile selon Saint Mare, CNT, Geneve
2000, 385f.;]. FREY, Zu Text und Sinn des Freer-Logion, ZNW 93, 2002, 13-34·
1060 B. Außerkanonische Evangelien B. VI.1. Das Freer-Logion 1061

2. Bezeugung: Das sogenannte Freer-Logion ist im Text einer einzigen, an Sonderlesarten rei- kommen. Dennoch gilt die Botschaft, daß die Sünder, für die Jesus in den Tod gegeben wurde,
chen l Evangelienhandschrift, dem im (vierten oder) fünften Jahrhundert beschriebenen Cod. umkehren sollen, um am unvergänglichen Erbe teilzuhaben. Die Jesusrede zeigt, daß das Stück
Freerianus bzw. Washingtonianus (032, W)2, belegt, wo es in den sekundären Markus-Schluß keine "eschatologische Hochstimmung"7 vertritt, sondern mit dem für die Gemeinde irritieren-
(Mk 16,9-20) zwischen V. 14 und 15 eingefügt ist. Seine erste Hälfte wird in lateinischer Ver- den Phänomen des Unglaubens ringt. Dieser ist kein Indiz dafür, daß die Welt noch vom Satan
sion bei Hieronymus (Pelag. II 15 [CChr.sL 80,73,2-8 MORESCHINI]) zitiert, der das Stück "in beherrscht wäre. Auch die von Jesus angesagten Schrecken, die die Gemeinde vielleicht schon
einigen, vor allem griechischen Codizes" gelesen haben will. Da er die Stelle lediglich anführt, getroffen haben, sind kein Indiz dafür,. daß der Herrschaftswe~hsel ~och nicht erfolgt w~re.
um zu belegen, daß die Welt vom Satan beherrscht sei, ist damit zu rechnen, daß er das ganze Die Jesusrede stellt vielmehr fest, daß dIe Herrschaft Satans bereIts an Ihr Ende gekommen 1St.
Stück kannte und den Ausschnitt womöglich ad hoc übersetzt hat 3 • In Jesu Tod und Auferstehung ist seine Gerechtigkeit offenbart, und die Gemeinde soll unbe-
irrt die ihr aufgegebene Botschaft (Mk 16,15) von der Umkehr verkündigen. Das Freer-Logion
3· Überlieferter Bestand, literarische Gattung und Datierung: Der Text besteht aus zwei greift neutestamentliche (v. a. paulinische und johanneische) Ter~in~ auf, e.~weist sich aber
durch Rahmenstücke in den Kontext eingefügten und miteinander verbundenen Redestückel1, phraseologisch und aufgrund der bearbeiteten Probleme als Zeugms emer spateren Phase des
einer Jüngerrede und einer Jesusrede. Damit gehört er zur Gattung der "Wechselgespräche Jesu frühen Christentums.
mit seinen Jüngern nach seiner Auferstehung"<!, bzw. (mit einer vom ,österlichen' Rahmen un-
abhängigen Bezeichnung), der JüngerdialogeS gezählt. Von einem "Dialogevangelium" kann 5. Wirkungsgeschichte: Die einzige belegte Rezeption bei Hieronymus (Pelag. II 15) benützt
man nicht sprechen, weil das Stück literarisch nie selbständig existiert hat. Es wurde allein zur den Text zum Beleg dessen, daß die Welt (noch) unter der Herrschaft Satans steht, d. h. gerade
Erweiterung des langen Markus-Schlusses (Mk 16,9-20) komponiert, und zwar erst zu einer entgegen der in der abschließenden Jesusrede erkennbaren Intention.
Zeit, als dieser bereits zum festen Textbestand des Markusevangeliums gehörte. Datiert man
diesen Abschnitt, der wohl alle vier kanonischen Evangelien und die Apostelgeschichte voraus-
setzt, auf 120-150 n.Chr. 6 , dann dürfte die Komposition des Freer-Logion in der zweiten Hälfte Übersetzung
des zweiten Jahrhunderts erfolgt sein. Eine spätere Einfügung wäre wegen des dann stärker ver-
festigten Textes der kanonischen Evangelien schwer vorstellbar. Da die Ergänzung nur in einem Und jene entschuldigten sich mit den Worten: "Dieses Zeitalter der Gesetzlosigkeit und
sehr schmalen Segment der Überlieferung belegt ist, könnte es sich auch um das Werk eines des Unglaubens 8 steht unter Satan 9, der es durch die unreinen Geister lO nicht zuläßt, daß
einzelnen Schreibers handeln. Der Ort der Entstehung ist nicht mehr festzustellen. die Wahrheit ll und Kraft Gottes l2 ergriffen wird. Deshalb offenbare deine Gerechtig-
l4
keit l3 schon jetzt!" sagten jene zu Christus. Und Christus erwiderte ihnen: "Erfüllt ist
4. Theologie des Textes: Das Gespräch knüpft an die Rede vom Unglauben der Jünger an, den die Grenze der Jahre der Macht Satans l5 • Aber es kommen andere Schrecken 16, und die
der Auferstandene in Mk 16,14 tadelt. Dieser wird von den Jüngern durch den Hinweis auf die Sünder, für die ich in den Tod gegeben wurde l7 , sollen umkehren zu der Wahrheit und
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noch immer ungebrochene Herrschaft Satans entschuldigt, der durch die unreinen Geister (Dä-
nicht mehr sündigen, damit sie den im Himmel befindlichen geistlichen und unvergäng-
monen) nicht zuläßt, die Wahrheit und Kraft Gottes zu ergreifen, d.h. zu glauben. Die Jünger
lichen Glanz der Gerechtigkeiterben l9 . Doch <folgt Mk 16,15:> geht hin ...".
bitten deshalb um die Offenbarung der Gerechtigkeit Christi, d. h. um die baldige Parusie als
die machtvolle Durchsetzung der Herrschaft Christi. Die Antwort Jesu stellt demgegenüber fest,
daß das Ende der Herrschaft Satans eingetreten sei, allerdings sollten noch "andere Schrecken"

1 Vgl. Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments 4/1,1, hg. v. 7 So noch J. JEREMIAS, Freer-Logion, 125 f.
K. ALAND IB. ALAND, ANTF 26, Berlin I New York 1998, 63 L, und C. R. GREGORY, Freer-Logion, 19, nach 8 Vgl. IHen 48,7; Gall,4, 2Kor 4,4 und v. a. Barn. 18,2 (SUC 2, 186f. WENGST); zur Gesetzlosigkeit in
dem der Schreiber nachlässig, der Text der Vorlage aber hochwertig war. S. ausführlich 1. W HURTADO, der Endzeit Mt 24,12; Did. 16,4 (SUC 2, 88 f. WENGST).
Text-Critical Methodology and the Pre-Caesarean Text: Codex W in the Gospel of Mark, StD 43, Grand 9 Vgl. neben 2Kor 4,4 auch IJoh 5,19 und Barn. 18,2 (SUC 2, 186 f. WENGST) sowie die Rede vom "Herr-
Rapids, MI 1981. scher dieses Zeitalters" bei IgnEph 17,1; 19,1; IgnMagn 1,2; IgnTrall4,2; IgnRom 7,1; IgnPhld 6,2 (SUC 1, 154f.;
2 Freer Gallery of Art (Washington, DC), Nr. 06.274; s. K. ALAND, Kurzgefaßte Liste der griechischen 156 f.;162 f.; 174 f.; 188 f.; 198 f.; FISCHER) bzw. vom "Herrscher dieser Welt" Joh 12,31; 14,30; 16,11.
Handschriften des Neuen Testaments, ANTF 1, Berlin 1963, 40; weitere Literatur zur Handschrift bei 10 Mk 1,23. 26 u.ö. sowie zur Sache A. Jo. 41 sowie Just., lapol. 58 (PTS 38,144,1-14 MARCOVICH).
J. K. ELLIOTT, A Bibliography of Greek New Testament Manuscripts, Cambridge 2 2000; zuletzt U. SCHMID, 11 Vgl. Röm 1,25; 3,7.
Reassessing the Palaeography and Codicology of the Freer Gospel Manuscript, in: The Freer Biblical Manu- 12 Vgl. Mk 12,24; lKor 6,14; Eph 1,19 f.; zur Verbindung mit Wahrheit s. 2Kor 6,7.

scripts. Fresh Studies of an American Treasure Trove, ed. by 1. W HURTADO, Atlanta, GA 2006, 227-249. 13 Vgl. Röm 1,17; vgl. Joh 16,8.10; ITim 3,16 sowie Jdc 5,11 und Jes 5,16.
3 So A. (VON) HARNACK, Markusschluß, 168; vgl. auch c.R. GREGORY, Freer-Logion, 27- 14 Vgl. Mk 1,15.
4 J. JEREMIAS, Freer-Logion, 125; vgl. Ph. VIELHAUER, Geschichte, 680: "Gespräche des Auferstandenen 15 Vgl. Lk 10,18; Joh 12,31; 16,11; Apk 12,10-12; zur "Macht Satans" s. Act 26,18.

mit seinen Jüngern". 16 Vgl. Hi 33,15; Sap 5,2.


5 So ebd., 680-682. 17 Vgl. Röm 8,32; Gall,4; 2,20; Eph 5,2.25; weiter lClem. 16,7 (SUC 1, 44f.; FISCHER); 49,6; Barn. 5,2

6 S. ausführlich J.A. KELHOFFER, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and their (SUC 2, 148f. WENGST).
Message in the Longer Ending ofMark, WUNT 2/112, Tübingen 2000, 474L, der zur ersten Hälfte der Pe- 18 Vgl. Jak 5,19; vgl. 2Petr 2,2l.
riode (120-135 n.Chr.) tendiert. 19 Vgl. lKor 15,42-44.50; IPetr 1,4.

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