leinschätzungen oder -darstellungen dessen führt, was der erkenntnistheore-
tische oder ontologische Anspruch phänomenologischer Forschung ist oder sein kann. Die aus dem Mangel einer solchen Unterscheidung erwachsende 73 Unschärfe lässt sich exemplarisch an Dan Zahavis Erläuterung der Epoché als phänomenologischer Methode verdeutlichen. Grundsätzlich lässt sich die Phänomenologie im deskriptiven Aspekt ihres theoretischen Anspruchs als systematische Explikation allgemeiner Strukturmerkmale der Art und Weise verstehen, wie die Lebenswelt menschlichen Subjekten gegeben ist – sie ex- pliziert also diesbezüglich allgemeine strukturelle Merkmale der menschli- chen Wirklichkeit (Husserl spricht hier von »ihrer allgemeinsten Typik«; Hua VI, 126). Methodisch versucht sie dies, indem sie zunächst in der Epoché alle Bezugnahme auf erfahrungstranszendente Realität an sich einklammert und aus der Perspektive dieser Einklammerung heraus solche Strukturmerkmale durch imaginative Variationen von Phänomenen aus der Immanenz jeweili- gen Erlebens zu gewinnen versucht. Die Phänomenologie stellt also die Fra- ge nach dem, was uns unmittelbar gegeben ist (bzw. gegeben sein kann) in der Art und Weise, wie es uns gegeben ist (bzw. gegeben sein kann); nicht die Fra- ge nach dem, was unabhängig von der Art und Weise, wie uns etwas gegeben ist oder gegeben sein kann, existiert. Zahavi (2007, 30) allerdings stellt demgegenüber fest, dass die phänome- nologische Epoché gerade nicht auf einen Ausschluss der Realität ziele, son- dern es gerade erlaube, sich unmittelbarer auf die uns gegebene Realität zu fokussieren. The purpose of the epoché and the reduction is not to doubt, neglect, abandon, or exclude reality from consideration, rather their aim, as Hus- serl repeatedly emphasizes, is to suspend or neutralize a certain dog- matic attitude towards reality, thereby allowing us to focus more narrow- ly and directly on reality just as it is given. In short, the epoché entails a change of attitude towards reality, and not an exclusion of reality. (Ebd.) Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen wird allerdings deutlich, dass der hier von Zahavi gebrauchte Begriff »Realität« ambig ist; Zahavi sich zumindest keine Mühe gibt, den Eindruck zu vermeiden, dass das, was innerhalb der phänomenologischen Perspektive und das, was aus der Perspektive eines naturwissenschaftlichen Bildes unter diesem Begriff in Frage steht, letztlich dasselbe meint (Analoges lässt sich in Bezug auf die Ver- wendung des Begriffs ›Welt‹ in unterschiedlichsten theoretischen Kontexten sagen). Entweder ist damit Wirklichkeit bezeichnet, wie sie Menschen in der Erfahrung gegeben ist, oder die Realität im Sinne des erfahrungstranszen- denten Seienden, wobei erstere Thema phänomenologischer Explikationen
Medizinische Psychologie der Seele: Von dem Dasein der Seele + Vom physisch-psychischen Mechanismus + Vom Wesen und den Schicksalen der Seele + Von den einfachen Empfindungen + Von den Gefühlen + Von den Bewegungen und den Trieben