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GENETIK Klassische Genetik| 20

7 Veränderungen des Erbguts


Die Grundlage für Morgans mutante Fliegen waren
zufällige Veränderungen der Erbinformation. Solche
Mutationen können auf verschiedenen Ebenen auf-
treten. Die Albinofärbung des Pfaus (Abb. 18) beruht
zum Beispiel auf der Veränderung eines einzigen
Gens, die dazu führt, dass die Pigmente für die Fär-
bung der Federn nicht gebildet werden können. Man
spricht in diesem Fall von einer Genmutation. Wir
werden uns später genauer dieser Form von Muta-
tion widmen.

Im Folgenden beschränken wir uns auf die Chromo-


somenaberrationen (lat. aberrare = abweichen). Abb. 18: Die Färbung des Albinopfaus beruht auf einer Gen-
Wir machen damit eine Überleitung von der Klassi- mutation.
http://www.pfauenzucht.eu/Weiss.html
schen zur Molekularbiologischen Genetik.

Zu den Chromosomenaberrationen gehören alle Translokation: Bei einer Translokation werden Chro-
Veränderungen der Struktur oder der Anzahl von mosomenbruchstücke zwischen zwei nicht-homolo-
Chromosomen. Die meisten dieser Veränderungen gen Chromosomen übertragen oder ausgetauscht.
führen zu nicht-lebensfähigen Individuen: 50% der Durch die neue Position kann sich die Aktivität der
Fehlgeburten des Menschen und 5% der tot gebore- betroffenen Gene ändern, wenn sie unter den Ein-
nen Säuglinge, aber nur 0.5% der lebend geborenen fluss anderer Regulationsmechanismen geraten. Ein
Säuglinge sind von einer Chromosomenaberration Beispiel dafür ist eine spezielle Form von Leukämie.
betroffen. Dabei werden Teile des Chromosoms 22 auf das Chro-
mosom 9 übertragen. Das verkürzte Chromosom 22
7.1 Chromosomenmutationen wird als Philadelphia-Chromosom bezeichnet. Trotz
Chromosomen können brechen und von der Zelle unveränderter Anzahl der Gene führt der Positions-
wieder neu verknüpft werden. Gelegentlich gehen wechsel zu einer Fehlfunktion des Zellstoffwechsels.
dabei grössere DNA-Abschnitte verloren oder wer- Für die Eigenschaften eines Organismus ist also nicht
den neu, aber falsch kombiniert. Abweichungen allein der Genbestand, sondern auch die Anordnung
in der Chromosomenstruktur bezeichnet man als der Gene auf den Chromosomen massgebend.
Chromosomenmutationen. Sie führen normaler-
weise nicht zur Veränderung von einzelnen Genen, Inversion: Das Chromosomenbruchstück wird aus-
sondern eher zu einem kompletten Ausfall, einer geschnitten und in umgekehrter Orientierung wie-
Vervielfachung oder aber zu einer anderen Position der in das ursprüngliche Chromosom eingebaut.
mehrerer Gene im Chromosom. Die Auswirkungen Auch hier kann es zu einer Veränderung der Genak-
reichen von unauffällig bis tödlich. tivität kommen.

Man unterscheidet verschiedene Typen von Chro- Duplikation: Die Verdopplung eines Chromosomen-
mosomenmutationen: abschnitts kann zum Beispiel die Erbkrankheit Cho-
rea Huntington verursachen. Eine Duplikation kann
Deletion: Bricht ein Chromosom an einer oder an aber auch zur Bildung neuer Gene und somit zu evo-
mehreren Stellen auf und geht ein Chromosomen- lutiver Entwicklung führen, wenn Gen und Duplikat
stück dabei verloren, spricht man von Deletion. Es durch Mutationen verändert werden. So bildeten
gibt nur wenige Fälle, bei denen ein Überleben trotz sich Genfamilien wie zum Beispiel die Globin-Genfa-
Deletion möglich ist. Ein Beispiel ist das Cri-du-chat- milie, die für die Ketten des Hämoglobins codieren,
Syndrom. oder die Opsin-Genfamilie.

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7.2 Genommutationen
Beim Biss in eine Erdbeere ist sich wohl niemand be-
wusst, dass er oder sie Zellen mit besonders vielen
Chromosomen vernascht. Eine Kulturerdbeere ent-
hält in jeder Zelle nicht nur zwei, sondern gleich acht
bis zehn Chromosomensätze. Dabei handelt es sich
nicht um gentechnische Konstrukte, sondern ledig-
lich um die züchterische Nutzung der sogenannten
Polyploidie, der Vervielfachung des Chromosomen-
satzes. Stoffwechselaktivität und Proteinsynthese
sind in einer polyploiden Zelle erhöht, was zu ver-
grösserten Zellen und Geweben führt. Vergrös-
serte Früchte werden bevorzugt wahrgenommen,
verzehrt und verbreitet. Polyploidie kann also von
Vorteil für die Pflanze sein. In der Zucht wird die-
ser Effekt gezielt ausgenutzt, um besonders grosse
Früchte zu erhalten.

7.2.1 Autopolyploidie Abb. 19: Walderdbeere (2n) und Gartenerdbeere (8n). Durch
Bei der Autopolyploidie (gr. autos = selbst; poly- die Vervielfachung des Chromosomensatzes sind die Sammel-
nussfrüchte der Gartenerdbeere grösser.
ploid = vielfach) enthält der Zellkern drei (AAA) statt Quelle: Biologie, Cornelsen, 2009
zwei (AA) komplette arteigene Chromosomensätze.
Triploidie ist auf Mehrfachbefruchtung oder auf di-
ploide Keimzellen zurückzuführen (Abb. 20). Triploi-
de Pflanzen können selbst keine Keimzellen bilden.
Solche Pflanzen können sich daher nicht sexuell ver-
mehren – sie sind steril.

7.2.2 Allopolyploidie
Das Genom der Rapspflanze ist ein Beispiel für die
sogenannte Allopolyploie (gr. allos = anders). Diese
entsteht, wenn Keimzellen von zwei verschiedenen
Arten verschmelzen und ihre Chromosomensätze
(A und B) anschliessend nebeneinander im Zellkern
vorliegen. Es entstehen dabei also zwischenartliche
Hybride. Das Genom der Rapspflanze besteht aus 38
Chromosomen, davon sind 20 davon vom Rübsen
und 18 vom Weisskohl.

In der Natur kommen Fremdbefruchtungen nur bei


ganz nahe verwandten Arten vor. In der Züchtung
wurde und wird dies immer wieder eingesetzt, um
neue, ertragsreichere oder für bestimmte Umge-
bungen besser angepasste Nutzpflanzen zu erhal-
ten. Allopolyploide Arten sind steril, wenn es vom
jeweiligen Chromosomensatz nur eine ungerade An-
zahl gibt (z.B. AB). Nur wenn die Chromosomensät-
ze A und B im Keimling verdoppelt werden (AABB), Abb. 20: Durch das Nichttrennen der Chromosomen in der
kann die ausgewachsene Pflanze befruchtungsfähi- Meiose I entstehen diploide Gameten, die bei der Befruchtung
mit einem normalen Gameten eine triploide Zygote bilden.
ge Keimzellen bilden. Quelle: Genetik, Compendio, 2015

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Um Keimlinge künstlich zu polyploidisieren, kann


Colchicin (Gift der Herbstzeitlosen) genutzt werden. 1
Colchicin stört den Spindelapparat mit der Folge,
dass die Schwesterchromatiden nicht zu den Zellpo-
len wandern können. Entfernt man Cholchicin wie-
der, tritt die Zelle in die Interphase ein und besitzt
nun einen doppelten Chromosomensatz.
2
7.2.3 Monosomie und Trisomie
Es ist auch möglich, dass nicht der ganze Chromo-
somensatz, sondern nur einzelne Chromosomen in
veränderter Zahl vorliegen. Auch hier liegt die Ursa-
che bei einer fehlerhaften Meiose, bei welcher ein
Chromosomenpaar nicht getrennt wird. Ein bekann- 3
tes Beispiel ist die Trisomie 21.

Aufgaben
1. PartnerIn A: Erklären Sie den Text über Chromo-
somenmutationen. Notieren Sie parallel dazu in 4
der Abbildung 21 die Namen der Mutationen
und halten Sie die Vorgänge stichwortartig fest.
2. PartnerIn B: Erklären Sie den Text über Genom-
mutationen, indem Sie auch die Abbildung 20
nutzen.
3. Erläutern Sie, weshalb triploide Pflanzen sich
nicht sexuell vermehren können. Abb. 21: Chromosomenmutationen
4. Das Pferd hat 60 Chromosomen, der Esel 66. Quelle: Campbell Biologie, Pearston Education, 2016

Wie viele Chromosomen hat das Maultier und


warum ist es unfruchtbar?

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